Ich bin bei dir ~ von Rubinkarfunkel95 (Spiritshipping) ================================================================================ Prolog: -------- „Du weißt schon, wieso du hier bist? Oder nicht?“ „Ja, und zwar aus Gründen, die ich nicht verstehe...“ „Sie machen sich Sorgen um dich. Sie -“ „-hassen mich! Hass und Abneigung empfinden sie!“ „Sie wollen das Beste für dich, deswegen bist du hier...“ „...eingesperrt wie ein Tier!“ „Das ist doch Unsinn! Jaden, bitte -“ „Hören Sie auf mich um etwas zu bitten. Für Sie bin ich doch nur ein weiterer Verrückter...“ „Für mich bist du der einzige, den ich wirklich retten will...“ „Wovor bitte retten?!“ „Dich selbst zu verlieren!“ „Ich habe mich doch schon verloren...“ Kapitel 1: Winternacht ---------------------- Es war Winter in Domino City – eisiger Winter. Der Schnee hatte die gesamte Stadt unter einer einzigen weißen Schicht begraben. Nur vereinzelt stachen die Häuser aus der Masse des Gesamtbildes hervor. Genauer betrachtet konnte man auch ein paar Menschen sehen, die sich ihren Weg durch sämtliche Straßen und Gassen bahnten, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Niemand wollte länger als möglich in dieser extremen Kälte verweilen. Da der Tag sich schon dem Abend zuneigte, waren am Himmel sowohl die Sonne als auch der Mond zu sehen, welche sich in der Schicht abwechselten, den Lebewesen auf der Erde Licht zu spenden. Zumindest für die Lebewesen, die nicht ihre vier Wände um sich herum hatten, die von Lampen erhellt wurden. Doch nicht nur die Menschen, sondern auch alle Tiere hatten ihr warmes Zuhause aufgesucht, um nicht dem kalten Tod ausgesetzt zu sein. Nur ein einziger schien sich gegen die Masse zu stellen und gegen den Strom zu schwimmen. Nur ein einziger ignorierte die Kälte, die draußen wie eine Wildkatze auf ihre Beute lauerte. Langsam öffnete sich die Tür des Hauses, dessen Inhaber Jaden Yuki war. Der 20-jährige, ehemalige, Duellant trat mit nackten Füßen aus der Wärme seines Hauses hinaus und zog die Tür einfach hinter sich zu. Dass er dabei keinen Schlüssel mitgenommen hatte, interessierte den Japaner herzlich wenig. Ebenso wie die Kleidung, die er am Körper trug. Zerrissene Jeans und ein altes T-Shirt. Ein T-Shirt, welches nicht einmal ihm gehörte. Der Duft vom ehemaligen Besitzer hing noch daran. Zumindest kam es Jaden so vor, dass dieser vertraute Duft ihn immer noch einhüllte. Fast schien es schon so, als sei die dazu gehörende Person genau neben ihm. Für einen Moment schloss der Japaner seine hellbraunen Augen. Dass der kalte Wind ihn einhüllte und seine dünne Kleidung diesen Eisfingern nicht standhalten konnte, bemerkte er kaum. Dafür eine Hand, die sanften Druck auf seine rechte Schulter ausübte. „Willst du nicht lieber rein kommen? Du erkältest dich doch noch, Idiot!“ Anstelle etwas zu antworten, musste der braunhaarige Japaner nur leicht lächeln. Diese Stimme, die ihm so vertraut war und ihn schon immer versucht hatte, im Leben auf die richtige Bahn zu führen. Auch, wenn das nicht immer so funktioniert hatte, wie es eigentlich der Fall sein sollte. „Noch ein bisschen, Jesse, ja?“ „Bist du vollkommen verrückt geworden? Es ist Winter, Jaden – Winter! Sagt dir das was?“ „Komm schon, Jesse.“ „Jammer mir aber nicht die Ohren voll, wenn du dann krank bist...“ „Ja ja...“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht machte Jaden auf dem eigenen Absatz leicht kehrt, um der Person hinter sich die Zunge entgegen zu strecken. Doch als er die Augen öffnete, um in die smaragdgrünen Augen seines Seelenverwandten zu blicken, erfror das Grinsen. Denn dort, wo er den Schweden vermutet hatte, stand niemand. Nur der Schnee war seine Gesellschaft. Und dieser hatte ihm sicher keine Hand auf die Schulter gelegt. Ein leises Seufzen entwich den Lippen des jungen Japaners, ehe er sich erneut umdrehte um seinen Weg durch den Schnee fortzusetzen. Seine Füße fühlten sich schon nach diesen paar Minuten an wie Blei, so dass es kein leichtes war sich vorwärts zu bewegen. Etwas, was ihm wieder mehr als egal war. Was war schon Zeit? Was hatte sie für eine Bedeutung? Für den ehemaligen Duellanten keine. Seit Monaten war das alles schon nichts mehr für ihn wert. Seit dem Moment, an dem sich sein Leben verändert hatte. Wo mir nur noch Lügen erzählt wurden... Jaden blieb stehen und legte den Kopf zurück, den Blick seiner braunen Augen gen Himmel gerichtet. Zu seinem eigenen Erstaunen, war der Himmel wolkenlos und die Sterne klar zu sehen. Ein leichtes, ganz leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen, doch kurz darauf verschwand es schon wieder. Wieso konnte er selbst nicht sagen, denn nicht nur das Gefühl für Raum und Zeit war ihm fremd geworden, auch sich selber erkannte er nicht mehr. Von einem Moment auf den anderen war sein Lachen und der fröhliche Charakter verschwunden. Fast so wie bei Tim Taler... Nur, dass bei ihm kein Dämon das Lachen geklaut hatte, sondern Lügen die die Freude am Leben in ihm auslöschten. Ein leises Schnurren brachte ihn dazu, den Kopf zur Seite zu drehen. Zwei rubinfarbende Seelenspiegel schauten besorgt zu ihm hoch. Langsam kniete Jaden sich hin, streckte seine Hand nach dem Duellgeist aus. Sofort schmiegte sich Rubinkarfunkel dagegen, schnurrte erneut leise, den Blick noch auf den Japaner gerichtet. „Na, Rubin? Willst du auch die Nacht genießen, mh?“ Natürlich kam von der lilafarbenden Katze keine Antwort. Was hatte Jaden denn auch groß erwartet? Zwar konnte er mit Duellgeistern reden, aber Rubinkarfunkel war ja immer noch Jesses kleiner Beschützer; so wie alle anderen Kristallungeheuer auch. Am Anfang hatte es den ehemaligen Duellanten irritiert, wieso Rubinkarfunkel hier bei ihm war und nicht bei Jesse, aber mit der Zeit hatte er sich damit abgefunden. Denn auch wenn es nicht viel war, fühlte es sich doch an, als würde ein Teil des Schweden genau jetzt bei ihm sein. Wo auch immer du jetzt bist, Jesse... Er wollte einfach nicht auf die Lügen der anderen hören. Was wussten die schon? Sie kannten den Schweden nicht so, wie Jaden ihn kannte. Nicht umsonst waren sie beide einander vertraut wie Brüder, eng miteinander verbunden durch ihre Seelenverwandtschaft. Es mochte verrückt klingen, aber ein Gefühl in dem Braunhaarigen sagte klar und deutlich, dass alle in seiner Umgebung ihm nicht mehr die Wahrheit erzählten; weder seine Eltern noch seine Freunde. Seit Monaten vertraute er nur noch den Duellgeistern und sich selber. Nur seinem Glauben daran, dass nicht alles in seinem Leben verloren war. Wieder hörte er ein leises Schnurren, dieses Mal allerdings schlich Rubinkarfunkel ihm dabei um die Beine. Jaden wusste, was der kleine Duellgeist ihm sagen wollte. Irgendwie hatte die Katze anstelle von dem Schweden die Rolle des Beschützers übernommen, solange dieser nicht da war. Es war etwas, was den Japaner aufmunterte, wenn auch nicht gerade viel. Lieber wäre es ihm, wenn wirklich Jesse neben ihm stehen würde. Er konnte sich genau vorstellen, wie der Ältere ihn am Arm packen würde um sich dann hinter ihm her in die Wohnung zu ziehen. Möglicherweise würde dann noch eine tadelnde Predigt folgen, die Jaden einfach so über sich ergehen lassen würde. Denn so schnell Jesse auch wütend oder sauer sein konnte, so schnell beruhigte er sich auch wieder, wenn er seinen Standpunkt klar und deutlich vertreten hatte und erst recht kein Widerspruch von Seiten des Jüngeren kam. Langsam setzte Jaden sich in Bewegung, als Rubinkarfunkel fordernd mit dem Ersatzschlüssel für die Tür – wo auch immer er diesen jetzt her hatte – in der Schnauze auf schnurrte und folgte dem Duellgeist in die kleine Wohnung zurück. Kapitel 2: Ungebetender Besuch ------------------------------ „Verfluchtes Mistding! Kannst du nicht ein einziges Mal funktionieren?!“ Wütend fauchte Jaden das kleine elektrische Gerät mit dem Namen Kaffeemaschine an. Zwar war ihm klar, dass keine Antwort erfolgen würde, aber irgendwo musste er ja seinen Frust auslassen. Denn dieses 'Mistding', wie Jesse und er diese Kaffeemaschine schon seit längerem nannten, hatte immer wieder irgendeine Macke, wieso die Zubereitung des Getränks viel länger als nötig dauerte. Das Problem heute konnte der Japaner so gerade nicht lösen. Wie wusste er denn bitte schon, warum die Maschine den Strom nicht akzeptierte? So oft er das Kabel auch schon mit dem Stromanschluss verbunden hatte, das Gerät wollte einfach nicht anspringen. Oder ist es nun vollkommen kaputt? Immer noch wütend, riss er das Kabel erneut heraus um es dann einfach achtlos liegen zu lassen. Gab es dann eben keinen Kaffee zum Frühstück, auch wenn er diesen jetzt mehr als nur gebraucht hätte. Trotz Rubinkarfunkel, der ihm gestern Abend nicht mehr von der Seite gewichen war, hatte er alles andere als gut geschlafen. Um ehrlich zu sein, war nicht einmal an eine Minute an Schlaf zu denken gewesen. Zu viele Gedanken waren die Nacht über in seinem Kopf gewesen, zu viele Sorgen. Müde lehnte er sich an die Anrichte, rieb sich verschlafen die Augen. Wenn es nach ihm gehen würde, hätte er sich wieder unter der warmen Bettdecke verkrochen und versucht vielleicht doch noch etwas Schlaf zu bekommen, doch zu seinem Leidwesen hatten seine Eltern sich vor ein paar Tagen für heute angekündigt. Sie wollten ihren Sohn mal wieder sehen, wo dieser doch jetzt auf eigenen Beinen stand und dadurch selten Zuhause vorbei schaute. Jaden selbst hatte schon gar nicht mehr an diesen Termin gedacht. Rubinkarfunkel war es gewesen, der ihn dazu aufgefordert hatte aufzustehen. Und er war auch jetzt derjenige, der ihn sanft mit der kleinen Schnauze an stupste, um ihn erneut auf etwas aufmerksam zu machen. Neugierig drehte der braunhaarige Japaner den Kopf zur Seite. Was hatte der Duellgeist denn jetzt bitte? „Rubin!“ „Was hast du, Rubin?“ „Rubin!“, kam es nur erneut von der lilafarbenden Katze, ehe Rubinkarfunkel von der Anrichte sprang und in das kleine Nebenzimmer verschwand, wohin Jaden ihr neugierig folgte. Was hatte der Duellgeist denn jetzt bitte? Die Frage klärte sich schon, als der Japaner die Tür öffnete. Dieses kleine Nebenzimmer war der Ort, wo er und Jesse die Lebensmittel aufbewahrten, die nicht auf direkten Wege in den Kühlschrank gehörten. Zumindest sollten hier diese Lebensmittel aufbewahrt sein. Ein kurzer Blick genügte und Jaden musste feststellen, dass hier rein gar nichts mehr zu bieten war, was auch nur ansatzweise etwas essbaren glich. Im Kühlschrank, der kurz darauf unter die Lupe genommen wurde, sah es nicht viel anders aus. Auch hier gab es außer einem abgelaufenen Joghurt und einer angebrochenen Colaflasche nichts zu bieten. „Du hast Recht, Rubin. Wir müssen einkaufen fahren...“ Begeistert war der ehemalige Duellant davon nicht, aber was sollte er schon machen? Seine Eltern würden ihn nur eine lange Predigt halten, wenn sie heraus finden würden, dass er kaum etwas zum Essen im Hause hatte. Außerdem wäre es total unhöflich, ihnen nichts anbieten zu können. Wohl oder übel hieß es dann also, das Haus zu verlassen und in den Supermarkt zu fahren. Mit einem lauten Knall schlug Jaden die Kühlschranktür zu, ehe er auf dem Absatz kehrt machte und sich auf den Weg in sein Zimmer begab, wo er aus dem Schrank ein paar Klamotten heraus kramte. Heute Nacht hatte es ihn kein bisschen gestört, wie er herum gelaufen war. Auch jetzt war es ihm eigentlich Jacke wie Hose, was andere über sein Aussehen denken würden, jedoch wurde er bei jedem Griff zu einem T-Shirt oder einer Sommerhose aus rubinfarbenden Augen böse und vorwurfsvoll angesehen. Auch wenn Rubinkarfunkel nur ein Duellgeist war, konnte auch die lilafarbene Katze die gleiche Überzeugungskraft ausstrahlen wie Jesse. Eine Überzeugungskraft, die den Japaner dazu brachte brav sich einen dicken Pullover, eine ordentliche lange Jeanshose und dem Wetter entsprechende Schuhe anzuziehen. „Bist du jetzt zufrieden?“ „Ja, bin ich.“ Jadens braune Augen wurden von seinen Augenlidern bedeckt, als er die Stimme seines Seelenverwandten wahrnahm. Er wollte nicht aufsehen, wollte nicht wieder erleben, wie niemand hinter ihm stand, oder eher auf dem gemeinsamen Bett saß. Lieber wollte er nur diesen einen Moment an dem Glauben festhalten, der Schwede würde wirklich hier sein. Unbewusst musste er wieder leicht lächeln, ehe er die Augen öffnete und, ohne sich weiterhin umzudrehen, nach seinem Geldbeutel und der Winterjacke griff. „Willst du, dass ich dir noch etwas bestimmtes mitbringe?“ „Eigentlich nicht. Außer... Wie wäre es heute Abend mit Pfannkuchen?“ „Verstanden, Chef.“ Damit verließ er das Zimmer und kurz darauf die kleine Wohnung. Ich wusste schon, wieso ich Einkaufen so hasse... Ja, und wie er es hasste. Zumindest seit ein paar Monaten war es für ihn einfach nur schrecklich in der Öffentlichkeit Einkaufen zu gehen. An sich war diese Tätigkeit ja nichts, wofür man sich schämen müsste, denn es gehörte ja zum Leben dazu. Wenn man es auf die allgemeine Bevölkerung ausbreitete versteht sich. Was Jadens Leben allerdings anging, konnte man es nicht so genau sagen. In der letzten Zeit hatte der Japaner es so oft wie möglich vermieden das Haus für solche Dinge zu verlassen. Mit seinen Freunden traf er sich ja auch so gut wie gar nicht mehr, da ihm deren Lügengeschichten mehr als nur auf den Geist gingen. Bei seinen Eltern war es eigentlich genauso, jedoch konnte man das, was sich Familie nannte, nicht so gut abschütteln wie die komischen Dinger namens Freunde. So hatten sich Jadens Gänge zum Supermarkt auf die großen Einkäufe einmal im Monat beschränkt – bis auf heute. Wenn er jetzt alleine bleiben würde den Tag über, müsste er das nicht hinter sich bringen. Diesen Gang durch die Hölle. Schon als er den Laden betrat beschlich ihn dieses mulmige Gefühl, welches ihn auch nicht die restliche Zeit über verließ. Egal, wohin sein Weg ihn durch die ganzen Regale voller Lebensmitte und sonstigen Produkten trieb – das unangenehme Gefühl blieb wo es war. Der braunhaarige Japaner hätte noch nicht einmal sagen können, woher das alles kam, was seinen Körper dazu brachte leicht vor Angst und vor allem Anspannung zu zittern. War es einfach diese Menschenmasse, die einen immer in so großen Einkaufsläden erwartete? Oder waren es diese seltsamen Momente in denen man glaubte schief von der Seite angeschaut zu werden? Damals an der Duellakademie war es auch so gewesen. Viele Schüler hatten es einfach verrückt gefunden, dass er mit seinen Monstern reden konnte, allen voran sein geflügelter Kuriboh. Jedoch war dies alles zu seiner Zeit dort passiert und damals war er damit auch klar gekommen, hatte es mit einem ehrlichen und breiten Grinsen hingenommen. Hier, in aller Öffentlichkeit, hatte er mit den Duellgeistern noch keinen Kontakt vor anderen Personen aufgenommen. Auch jetzt hatte er sich Rubinkarfunkel noch nicht zugewendet, der ihm seit dem Verlassen der Wohnung keinen Millimeter von der Seite gewichen war. Wie ein Schatten war die lilafarbene Katze dem ehemaligen Duellanten gefolgt. Ein paar Dinge um den Vorrat Zuhause aufzufüllen hatte er schon zusammen. Nicht viel, aber genug um den Eindruck eines gesunden Haushaltes zu erzeugen. Gerade stand er vor dem Regal mit den Keksen und sonstigen Gebäcken. Was sollte er für seine Eltern mitnehmen? Trotz dieser engen Bindung, die eigentlich existieren sollte, hatte der Japaner keine Ahnung, was jetzt richtig wäre oder was nicht. So griff er einfach wahllos zu einem der unzähligen Verpackungen, die eigentlich ja nur darauf warteten gekauft zu werden und wollte sich dann in Richtung Kasse wenden, als er in der Bewegung inne hielt. Der kleine Einkaufskorb, den er sich am Eingang geschnappt hatte, schwanke dabei leicht hin und her. Moment, hatte er nicht noch etwas vergessen? Etwas, was das Abendessen anging? Die Zutaten für die Pfannkuchen... Wie von der Tarantel gestochen machte der junge Japaner eine nicht gerade sehr elegante 90°-Wendung und suchte das Regal auf, wo der fertige Teig für Pfannkuchen stand. Es war nicht so gesund wie wenn man das Gericht selber machen würde, aber da der Schwede und er in den Teig dann noch das mit unter mischten, was sie so liebten wie Äpfel oder auch verrückte Dinge wie Karotten, war es dann doch nicht mehr so schlimm. Obst und Gemüse habe ich schon... „Dann sind wir fertig, oder, Rubin?“ Zur Antwort schnurrte der kleine Duellgeist einmal um Jadens Beine herum. Mit einem sanften Lächeln beobachtete der ehemalige Duellant die lilafarbene Katze dabei. Für den Bruchteil einer Sekunde vergaß er das unangenehme Gefühl, verdrängte, dass seine Eltern bald zu Besuch da sein würden. Somit machte er sich, immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen, zur Kasse auf um endlich zu bezahlen und nach Hause zu fahren. Kurz ließ Jaden seinen Blick durch die Küche schweifen. Gut, so ordentlich sah es nun immer noch nicht aus, trotzdem war er der Meinung, dass es reichen sollte. Seit er vom Einkaufen wieder da war und die Lebensmittel entsprechend verstaut hatte, war er nun dabei gewesen die kleine Wohnung ein wenig ansehnlicher zu gestalten. Mit anderen Worten wurde hier und da ein kleines Staubwölkchen entfernt und dreckiges Geschirr endlich in die Spülmaschine gestellt. Viel Mühe gab der Japaner sich nicht, denn so ganz viel Freude konnte er für den kommenden Besuch nicht aufbringen. Warum also sollte er sich dann die Mühe machen nur für ein paar Stunden die Wohnung unnötig aufzuräumen? Er würde damit nur seinen Eltern und sich etwas vorspielen. Und im Gegensatz zu den anderen stand Jaden nicht darauf zu lügen, spielte lieber mit offenen Karten. Ein kurzer Blick zur Uhr sagte ihm, dass er noch ein paar Minuten Zeit hatte. Zeit, in der er Tassen und Kuchenbesteck aus dem Schrank holte. Mit anderen Worten vier Tassen, vier kleine Teller die er mitsamt der Kekspackung auf dem Tisch verteilte. Die Tatsache, dass er dabei eigentlich für eine Person zu viel eindeckte, überging er, nahm es nicht richtig wahr. Ebenso wenig die besorgten Blicke von Rubinkarfunkel, welcher es sich wieder auf der Anrichte bequem gemacht hatte und seinem sozusagen Teilzeitbesitzer bei seinem Treiben zusah. Genau in dem Moment, wo er das letzte Teil abstellte, klingelte es an der Tür – seine Eltern. Rubinkarfunkel gab ein leises 'Rubin' von sich, ehe die lilafarbene Katze von der Anrichte sprang und wie ein Wachhund zur Tür lief. Anstelle aber wie ein Hund nun wild daran hoch zu springen, setze sich der Duellgeist brav auf den Boden, wartete auf Jaden. Als der Japaner zu dem Tier aufgeschlossen hatte, stand jenes auf und kletterte an dem ehemaligen Duellanten hoch um es sich auf dessen Schulter bequem zu machen. Kurz wendete Jaden seine Aufmerksamkeit voll und ganz Rubinkarfunkel zu, kraulte den Kopf der Katze. Der Duellgeist schloss seine rubinfarbenden Augen und gab ein leises Schnurren von sich. Man konnte ihm ansehen, wie sehr er diese Streicheleinheit genoss. Erst als das zweite Klingeln ertönte, ließ der braunhaarige junge Mann von seinem kleinen Freund ab und öffnete die Tür, nur um keine paar Sekunden später seinen Eltern direkt gegenüber zu stehen. Jadens braune Augen blieben ausdruckslos als das falsche Lächeln seine Lippen umspielte. Seine Erzeuger schien dies allerdings herzlich wenig zu interessieren. So, als würden sie alle immer noch eine glückliche Familie sein, nahmen sie den jungen Japaner nacheinander in den Arm, drückten ihn jeweils an sich. Rubinkarfunkel war in der Zeit von Jadens Schulter gesprungen und sträubte sein Fell. Wie auch der ehemalige Duellant war das Tier nicht gut auf die beiden erwachsenen Personen zu sprechen. Jadens Vater war der Erste, der das Wort ergriff. „Es ist schön dich wieder zu sehen, mein Junge.“ „Wir hoffen doch, dir geht es gut?“, fing nun auch seine Mutter an. Jedoch gab Jaden nur ein kurzes Kopfnicken von sich, ehe er sich umdrehte und seine Eltern mit einer Handbewegung die so viel sagte wie 'ihr könnt die Jacken einfach hier im Flur an den Haken hängen' in die Küche führte. Kaum hatte die ganze Familie Yuki den kleinen Küchenbereich betreten, fiel die freundliche Fassade völlig in sich zusammen. Hatten Jadens Eltern bis vor ein paar Minuten noch gelächelt, versucht freundlich zu sein, erstarrten beide zeitgleich zu einer Statur aus Eis. Etwas, was dem Japaner nicht entging, es aber zu überspielen wusste. „Kaffee kann ich euch leider nicht anbieten, zumindest keinen frisch gekochten, da die Maschine heute morgen den Geist aufgegeben hat. Wie wäre es mit einer Fertigmischung?“ „Jaden.... Für wen ist das vierte Set an Besteck gedacht?“ Sofort war die Frage um das Trinken vergessen. Rubinkarfunkel kletterte wieder an Jaden hoch um den Platz auf der Schulter des Japaners einzunehmen. Die Stimmung hatte nun deutlich den Gefrierpunkt erreicht, als sich die Blicke aller drei anwesenden Menschen im Raum trafen. Trotzig verschränkte Jaden die Arme vor der Brust. „Für wen wohl, mh? Jesse natürlich...“ Kurz tauschten die Eltern einen vielsagenden Blick aus, ehe sich seine Mutter ihm wieder zuwendete. „Jaden, Liebling, wann wirst du es endlich einsehen? Jesse kommt nicht wieder...“ „Natürlich kommt er wieder! Er -“ Doch sein Vater schnitt ihm mit einer deutlichen Handbewegung das Wort ab. Beide Männer funkelten sich wütend an. Doch es war der ältere Yuki der anfing zu sprechen. Und seine Worte schienen den jungen Japaner zu erdrücken. „Jaden... Jesse ist tot!“ Kapitel 3: Lügen; Missverstanden vom Rest der Welt -------------------------------------------------- „Jaden... Jesse ist tot!“ Die Worte seines Vaters hingen wie ein ein schweres Tuch über den anwesenden Personen. Jadens ganzer Körper begann zu zittern, seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Rubinkarfunkel, der diese Worte wohl auch verstanden hatte, sträubte erneut sein Fell. Es hätte den Japaner nicht gewundert, wenn der Duellgeist versucht hätte mit einer seiner Vordertatzen die andere männliche Person im Raum zu erwischen und Kratzspuren in dessen Gesicht zu hinterlassen. Aufhalten würde Jaden das Tier nicht. Wie konnte sein Vater es wagen so eine Lüge auszusprechen. Jesse war nicht tot, nie im Leben! Gut, er war nicht hier und seit Monaten hatte der braunhaarige Japaner kein Lebenszeichen seines besten Freundes erhalten. Dennoch wollte er nicht glauben, dass der Schwede nicht mehr am Leben sein sollte. Dieser Gedanke war doch einfach nur absurd und mehr als widerlich. Der andere Duellant lebte, daran wollte er einfach festhalten. Es konnte einfach nicht anders sein. Die Arme hatte Jaden immer noch vor der Brust verschränkt, spannte sich im Gesamtbild noch mehr an. Irgendwo hatte er gewusst, dass dieses Treffen mit seinen Eltern nicht gut enden würde. Einfach aus einem Gefühl heraus, welches er nicht richtig deuten konnte. Aber dass es dann so schnell eskalieren würde, damit hatte der ehemalige Duellant nicht gerechnet. „Wie kannst du es wagen?“, richtete er die Frage direkt an seinen Vater. Seine Stimme war zwar ruhig, aber von einem bedrohlichen Unterton begleitet. „Wie kannst du es wagen einfach so zu behaupten, Jesse sei tot?“ Sein Vater sah ihn nur an, sagte auf die Worte nichts. Den Blick, den er auf sich spürte, konnte Jaden nicht deuten. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er es auch nicht. In den letzten Monaten hatte er sich so eine Art Schutzwall zugelegt, der ihn davor schützen sollte, von den Lügengeschichten verletzt zu werden. Es klappte zwar nicht immer, aber in den meisten Prozenten der Fälle – so wie auch jetzt. Alles in ihm stellte auf durchzog, versuchte erst gar nicht richtig zu verstehen, was man ihm da sagen wollte. Seine innerliche Seele zog sich hinter die Schutzmauer zurück, setzte sich davor und hielt sich einfach die Ohre zu, während es sich vor und zurück wiegte und ein 'lalalala' vor sich hin redete. „Du weißt genau, dass es stimmt, Jaden. Du weißt genau, dass er -“ „HALT DEN MUND!“ Sofort waren seine beiden Eltern still. Jadens Hände zitterten vor Wut, seine Stimme bebte bei den nächsten Worten nur. „Raus. Ich brauche euch hier nicht wenn ihr mir wieder nur Lügengeschichten erzählen wollt...“ „Aber, Jad-“ „RAUS!“ Für einen Moment war es still in der kleinen Küche. Rubinkarfunkel erhob sich und war in ein paar kleinen Sätzen bei dem ehemaligen Duellanten, schmiegte sich an dessen Halsbeuge, nachdem er auf der Schulter Platz genommen hatte. Zwar beruhigte diese Geste den Braunhaarigen ein wenig, aber nicht genug als das er seine Eltern noch länger um sich herum ertragen könnte. Beide Erwachsenen warfen sich noch einen Gegenseitigen Blick zu, der Jaden fast dazu gebracht hätte wieder laut zu werden, wäre da nicht immer noch der Duellgeist, der sich weiterhin an seine Halsbeuge schmiegte. Was hatten seine Eltern jetzt schon wieder vor? Was hatten sie verdammt noch einmal geplant? Weiterhin sagten die anderen beiden Anwesenden im Raum kein Wort, was Jaden schon fast wahnsinnig machte. Wenn sie nichts mehr zu sagen hatten, sollten sie gehen. Einfach nur gehen und ihn mit diesen verdammten Lügen in Ruhe lassen. Womit hatte er es verdient so verraten zu werden? Von den eigenen Eltern? Seine Mutter machte einen Schritt auf ihn zu, Jaden selbst wich einen zurück. Diese Frau da sollte ihm auf keinen Fall näher als nötig kommen. Rubinkarfunkel sträubte leicht seine Nackenhaare, sodass diese das Ohrläppchen des ehemaligen Duellanten streichelten. In anderen Momenten hätte er sicher angefangen zu lachen, doch hier und jetzt zuckten seine Mundwinkel nicht einmal. Nur seine klaren braunen Seelenspiegel funkelten vor Wut. Wut, die er an sich noch gut verstecken konnte. Selbst, als er eben laut geworden war, hatte noch nicht einmal die Hälfte von dem, was noch unter der Oberfläche brodelte, den Weg nach draußen gefunden. Wenn seine Eltern aber nicht bald gingen, würden sie das Ventil für seine angestauten schlechten Gefühle bilden. Die lilafarbene Katze auf seiner Schulter schaffte es auch nicht, alles zu heilen. Alleine schon, weil auch der Duellgeist Trauer und Sehnsucht in sich trug. Sie beide wollten ihn zurück haben. Die einzige Person, bei der Jaden sich jemals ganz hatte fallen lassen können. Auch jetzt wollte er am liebsten den Arm um sich spüren, damit er dort Halt fand. Dann würden die smaragdgrünen Augen ihn mit einem sanften und aufbauenden Blick ansehen und ein verschmitztes Grinsen würde die Mundwinkel nach oben ziehen. Ja, wenn Jesse jetzt hier wäre, würde alles so viel leichter sein. All die Trauer, die Wut und die Sehnsucht wären verschwunden. Vor allem aber könnte er den anderen endlich beweisen, dass sie lügen würden. Jesse … Unbewusst wich er soweit zurück, dass er die Anrichte im Rücken spürte. Seine Hände suchten an der Kante nach dem Halt, welchen er ansonsten bei dem Schweden bekommen hätte. Fast schon verkrampft, klammerte sich Jaden daran fest. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen, holte ein paar Mal tief Luft. Er durfte jetzt nicht explodieren. Nein, für diesen Augenblick musste er die letzten Reserven an Ruhe zusammen schaufeln und sie zu einem großen Berg vereinen. Ein Berg, der ihm dabei helfen sollte seine Eltern los zu werden. Länger würde er ihre Anwesenheit nicht ertragen. „Geht jetzt – bitte.“ Das 'bitte' war nur schwer über seine Lippen gekommen, doch es schien seine Wirkung nicht zu verfehlen. Seine Mutter, die wieder einen neuen Schritt auf ihn zugemacht hatte, blieb stehen. Ihre besorgter Blick ruhte auf ihm. Auch wenn Jaden die Augen noch geschlossen hatte, konnte er diesen auf sich spüren. „Wir werden Hilfe für dich holen, Liebling. Wir werden dir helfen, davon los zu kommen. Es wird dir bald besser gehen...“ Jaden machte sich nicht einmal die Mühe, darauf etwas zu sagen. Auch sah er sich nicht dazu genötigt, seine Augenlider nach oben zu klappen, damit er den Blick, der immer noch auf ihm lag, erwidern konnte. Rubinkarfunkel ließ ein leises Fauchen von sich hören, allerdings nur für den Japaner verständlich. Seine Eltern konnten es nicht hören, könnten den kleinen Duellgeist nicht sehen. Für einen einzigen weiteren Moment war es wieder still in der kleinen Küche, ehe er hörte, wie seine beiden Elternteile langsam den Raum nacheinander verließen, ihre Jacken nahmen und schlussendlich auch dem ganzen Haus den Rücken kehrten. Erst, als die Haustür ins Schloss fiel, öffnete Jaden seine braunen Augen. Erst jetzt begann er, die letzten Worte seiner Mutter zu realisieren. Hilfe? Wozu Hilfe? Alles was er hier haben wollte, war Jesse. Mehr brauchte er nicht, mehr wollte er nicht haben. Anstelle ihn von irgendwas befreien zu wollen, sollten sie lieber ihm helfen den Älteren zu finden. Wenn Jesse tot wäre, hätte es dann nicht eine Beerdigung gegeben? Wäre er dann nicht eingeladen worden? Oder wollten sie mich nicht dabei haben? Jaden hatte die Eltern seines besten Freundes noch nicht oft getroffen, da sie ja noch in Schweden wohnten. Zwar hatten sie ihm nie die kalte Schulter gezeigt, waren immer lieb und freundlich gewesen; dennoch war er nie das Gefühl los geworden, sie hätten irgendetwas gegen ihn. Nein, das glaube ich nicht. Meine Gedanken spielen schon verrückt... Alles wegen den Lügen meiner Eltern und meinen angeblichen Freunden... Ja, so musste es sein. Wenn Jesse wirklich tot wäre, dann hätten seine Eltern den Japaner informiert, davon ging Jaden jetzt stark aus. Außerdem, wäre es nicht mit so etwas wie Jesses letzter Wille gewesen, seinen Seelenverwandten mit dabei zu haben? Oder hätte er es dem Jüngeren einfach ersparen wollen, diese traurige Feier mitzumachen? „Rubin...“ „Du hast Recht, Rubin. Ich sollte mir nicht solche Gedanken machen. Wir beide wissen, dass Jesse lebt, oder?“ Anstelle noch etwas von sich zu geben, schmiegte sich Rubinkarfunkel nur eng an ihn, während Jaden der lilafarbenen Katze das Fell kraulte. Ja, Jesse lebte. Daran wollte er festhalten, mit diesem Glauben wollte er leben. Kapitel 4: Unerwünschte Hilfe ----------------------------- Das soll also diese...Hilfe sein...? Voller Misstrauen lagen die klaren braunen Augen auf dem, was vor ihm lag. Oder eher auf der Person, die nur eine Schreibtischbreite von ihm entfernt entspannt zurück gelehnt auf dem drehbaren Stuhl Platz genommen hatte. Um genau zu sein, war diese Person ein Mann in seinen besten Jahren, zumindest ging er davon aus, denn trotz der grauen Haare war sein Gesicht noch nicht von Zeichen des Alters wie Falten gezeichnet. Auch die violetten Augen, mit denen er gemustert wurde, machten auf Jaden nicht den Eindruck als würden sie schon müde und schwach wirken. Eher strahlte aus ihnen eine Energie aus, die fast schon beängstigend war; auf eine seltsame Art und Weise. Zumindest für ihn, denn so ganz wollte es nicht in sein Bild passen, wie so ein Mann um die Mitte Vierzig noch so junge Augen haben konnte. Oder werde ich selber zu früh zu alt? So schnell dieser Gedanke da war, so schnell schüttelte Jaden ihn auch ab. Stattdessen ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, wendete sich somit von diesem seltsamen Mann ab. Seit er vor einer gefühlten Ewigkeit den Raum betreten hatte, war noch kein Wort zwischen ihnen beiden gefallen und er selber wäre der Letzte, der nun anfangen würde zu reden. Wieso sollte er? Wäre er aus freien Stücken hier vielleicht, aber da seine Eltern ihn auf ihre Art und Weise gezwungen hatten eben nicht. Oder besser gesagt, sie hatten ihm einen Deal vorgeschlagen, den er unmöglich ausschlagen hätte können. Es war ja auch zu verlockend gewesen, nur ein blödes Gespräch führen zu müssen und dafür mit Lügen über Jesse und besorgten Blicken über seinen angeblichen schlechten seelischen Zustand nicht mehr belastet zu werden. Wie hätte er da schon groß nein sagen können? Zwar war irgendwo in ihm ein Gefühl erwacht, das ihn davor warnen wollte dem allen zuzustimmen, denn an sich konnte ein einzelnes Gespräch ja nicht wirklich eine Hilfe sein. Doch so wie er eben war, hatte Jaden es einfach ignoriert und zugesagt, da er einfach ein ruhiges Leben haben wollte ohne sich weiter falsche Geschichten anhören zu müssen. Heute morgen waren sie alle zusammen kurz nach dem Frühstück losgefahren, zu einem privaten Psychater, und seitdem saß er hier in diesem Raum, nachdem seine Eltern ihn hier abgesetzt hatte um sich die Zeit in der Nähe zu vertreiben, denn alleine könne er ja sicherlich besser ein Gespräch führen. Sein Blick glitt zu der Uhr an der Wand. 11:30. Also saß er nun schon seid einer guten Stunde hier und hatte mit seinem Gegenüber noch nicht ein einziges Wort gewechselt. Wenn das so weiter geht, stehe ich auf und gehe... „Du weißt schon, wieso du hier bist? Oder nicht?“ Noch direkter könnte man ein Gespräch doch gar nicht eröffnen. Ohne Begrüßung, ohne sonst etwas. Von einem Kärtchen auf dem Schreibtisch wusste Jaden, dass der Andere Herr Doktor Hejime hieß. Um genau zu sein Doktor Sebastian Hejime. Außerdem war er ein alter Freund von Jadens Mutter, was dieser als zweiten Grund nahm wieso man ihn mit diesem Doktor alleine ließ. Kurz dachte Jaden über die Frage nach, die ihm gestellt wurde. Natürlich wusste er, wieso er hier war. Seine Mutter wollte, dass man ihm bei etwas helfen sollte wo es nichts zu helfen gab. „Ja, und zwar aus Gründen, die ich nicht verstehe...“ Doktor Hejime richtete sich etwas auf und stützte seine Ellenbogen auf dem Schreibtisch vor sich ab, während seine violetten Iriden versuchten den Blick von Jadens braunen Augen festzuhalten. „Sie machen sich Sorgen um dich. Sie -“ „-hassen mich! Hass und Abneigung empfinden sie!“ „Sie wollen das Beste für dich, deswegen bist du hier...“ „...eingesperrt wie ein Tier!“ „Das ist doch Unsinn! Jaden, bitte -“ „Hören Sie auf, mich um etwas zu bitten. Für Sie bin ich doch nur ein weiterer Verrückter...“ „Für mich bist du der Einzige, den ich wirklich retten will...“ „Wovor bitte retten?!“ „Dich selbst zu verlieren!“ „Ich habe mich doch schon verloren...“ Es war Jaden anzuhören, wie sehr er sich über das alles hier lustig machte. Seine Eltern wollten nur das Beste für ihn? Wieso erzählten sie ihm dann Lügen? Wieso taten sie so, als wäre er verrückt und dabei, seinen Verstand zu verlieren? Nein, der Spott war nicht zu überhören, wie er sich als fester Unterton bei jedem Wort des Braunhaarigen mit eingeschlichen hatte. Die gesamte Welt hatte sich gegen ihn verschworen und da bildete auch sein Gegenüber keine Außnahme. Das alles war doch nur lächerliches Psychater-Getue. 'Ich will dir doch nur helfen' und 'es ist doch das Beste für dich' waren doch so richtige Standartsätze, die sich wohl ein jeder hier anhören musste, sobald er auf dem Stuhl gegenüber Doktor Hejimes Schreibtisch Platz genommen hatte. Nur waren gewiss die meistens seiner Patienten freiwillig hier, im Gegensatz zu Jaden. Denn auch, wenn er sich auf diesen Deal mit seinen Eltern eingelassen hatte, bezeichnete er seine eigene Präsenz hier gewiss nicht als aus freien Stücken gewählt. Es war einfach nur der Wunsch, wie gesagt, sich diesen Lügen über Jesse entziehen zu können. Wenn er es etwas nicht leiden konnte, dann das man über seinen besten Freund her zog, was ja auch sozusagen getan wurde. Von seinen Eltern und Menschen, die er mal Freunde genannt hatte. Warum hatten sie sich alle gegen ihn gewendet? Was hatte er getan, dass er so verraten wurde? Wärst du doch nur hier, Jesse. Dann könnten wir es allen beweisen, dass ich deren Mitleid nicht verdient haben, denn dann gibt es nichts, was sie bemitleiden müssen... Ich vermisse dich, warum meldest du dich nicht bei mir...? „Jaden... Hör mal...“ Der Angesprochene zuckte leicht zusammen, als man ihn aus seinen Gedanken riss. Er hatte sich so sehr in seinen Gedanken verloren, dass er vergessen hatte, wo er war und wer ihm da gegenüber saß. Nun hatte er den Blick seiner schokoladenbraunen Seelenspiegel aber wieder auf den Psychater gerichtet, welcher ihm ja angeblich helfen sollte. Diesem war anzusehen, dass er jetzt wohl eine ganz andere Taktik probieren wollte, denn bei seinen letzten Worten war er wohl zu schnell gewesen und hatte damit nicht das Ziel erreicht, welches er eigentlich hatte erreichen wollen – Jadens Vertrauen zu gewinnen. Diesem war es im Grunde mehr als nur egal, welche Masche Doktor Hejim abziehen würde, denn alleine die Tatsache, dass eben mit seinen Eltern unter einer Decke stecken, ja, so konnte man es nennen, machte das Ganze hier einfach nicht besser, sondern verschlechterte diese Gesamtsituation nur. Immer mehr wünschte Jaden sich, einfach nur gehen zu können und – er hatteja ein Gespräch mit diesem Herren geführt – in Ruhe gelassen werden. Solange, bis er allen beweisen konnte, dass sie was Jesse anging Unrecht hatten. Dennoch wendete er sich brav dem älteren Mann zu, der sogar ein wenig zufrieden dadurch wirkte. Wenn du wüsstest, wie wenig dein Gerede mich interessiert... „Es muss schwer sein, zu akzeptieren, dass man Jemanden verloren hat, der einem nahe steht.“ Aha, seine Eltern hatten natürlich reinen Tisch gemacht, was denn das angebliche Problem ihres Sohnes sei. Bestimmt musste Doktor Hejim ihn für einen vollkommen kranken Jungen halten, der sich in Wahnvorstellungen verlor, weil er nicht verstehen wollte, dass der beste Freund doch nicht mehr am Leben ist. Oder eher sein Seelenverwandter, denn der türkishaarige Schwede war mehr als nur ein bester Freund für den braunhaarigen Japaner – sie waren ein Herz und eine Seele, verstanden sich ohne Worte und konnten fast schon deuten, was der Andere eventuell dachte. Diese Bindung konnte keiner verstehen. Wenn Jesse nicht mehr am Leben wäre, dann hätte er es doch ganz gewiss irgendwie gespürt, alleine, weil doch auch Rubinkarfunkel immer anders reagiert hätte, oder nicht? Nein, der Psychater hatte ein vollkommenes falsches Bild von ihm. „Es ist nur verständlich, dass du dir wünschtest, die Realität wäre anders, doch es ist besser, sich Tatsachen zu stellen und zu lernen, mit den Schmerzen klar zu kommen. Und dabei würde ich dir gerne helfen...“ „Jesse ist nicht tot!“ Wut klammte in Jaden wieder auf, doch sein Gegenüber ließ ihn nicht noch einmal zu Wort kommen. „Genau das meine ich. Du redest dir ein, dein Freund wäre noch am Leben...das ist aber nicht wahr. Lass mich dir helfen. Einmal pro Woche ein kleines Treffen mit mir, während du ein eigenes Zimmer in der naheliegenden Klinik bekommst. Was hälst du davon?“ Es war schon fast erbärmlich, dass dieser Mann sich nicht traute das Wort 'Psychiatrie' in den Mund zu nehmen, dabei wusste Jaden genau, dass kein Krankenhaus mit der Klinik gemeint war. Kurz spielte er mit den Gedanken es gleich abzulehnen, aber gewiss würde er nicht eher gehen gelassen werden, bis er keine zufrieden stellende Antwort geliefert hatte. „Ich werde es mir überlegen...“ Sofort wurde ihm ein Visitenkärtchen entgegen gehalten, welches Jaden mehr als nur widerwillig entgegen nahm. „Darf ich dann jetzt gehen.“ „Darfst du. Bis bald, Jaden.“ Das werden wir ja noch sehen..., dachte er sich nur im Stillen, während er aufstand und wortlos ging. Doktor Hejim stand und begleitete ihn aus dem Zimmer heraus noch zur Tür, wo er ihn einmal an der Schulter berührte. „Überleg es dir wirklich, ja? Es würde dir gut tun...“ „Auf Wiedersehen.“ Und damit verließ er nun entgültig das Haus, wo er schon das Auto seiner Eltern erblickte, welches an der Straße geparkt hatte. Seine Eltern waren die letzten Leute, die er nun sehen wollte, aber Geld um sich ein Taxi zu rufen hatte er nicht mit, sodass er mit ihnen fahren musste, wenn nicht den ganzen Weg bis nach Hause zu Fuß gehen wollte. Davon abgesehen, dass er gerade nicht einmal wusste, wo er genau lang musste. Selbst wenn, wäre er ungern gegangen, denn auch die vereinzelten Menschen, die er auf seinem Weg getroffen hätte, wären ihm mehr als nur zu viel gewesen. So wie gestern beim Einkaufen. Nein, er wollte einfach nur so schnell wie möglich nach Hause, sodass er eben keine andere Wahl hatte, als einen Schritt vor den anderen setzend dem Wagen näher zu kommen, die Hintertür zu öffnen und sich dort auf einen Sitz niederzulassen. „Wie war es, mein Schatz?“ Schweigen. Jaden starrte aus dem Fenster und ignorierte die Worte seiner Mutter, die auf der Beifahrerseite saß und irgendwie über ihre Schulter zu ihm sah. Auch sein Vater beobachtete ihn etwas über den Rückspiegel, während er den Motor startete und das Auto schon langsam in Richtung Heimat lenkte – hoffte Jaden jedenfalls. Der besorgte Blick seiner Mutter brannte sich in ihn ein, sodass er ihr nur einen vernichtenden Blick zuwarf. Erst dann, nach einer gefühlten Ewigkeit die verstrichen war und in der er erkannt hatte, dass sie ihn wirklich in seine eigenen vertrauten vier Wände bringen würden, ließ sie ihn in Ruhe. Nur eine kurze Floskel zum Abschied, war noch zu hören gewesen, als er ausgestiegen war, aber auch diese hatte Jaden nicht erwidert. Eher war er mit eiligen Schritten zu seiner Wohnung regelrecht gestürmt, hatte die Tür augeschlossen und war dahinter verschwunden. Erst dann entspannte er sich und ließ sich, die Augen schließend, an der Eingangstür zu Boden sinken. Niemals würde er sich bei diesem Doktor Sebastian Herjim melden, da konnte dieser warten, bis sein eigenes Herz aufhören würde zu schlagen. Jaden war nicht verrückt, da lag dieser Kerl falsch! Er würde ihnen allen beweisen, wer Recht hatte. Egal, was dazu nötig war. Und gleich morgen würde er damit beginne, dies schor er sich. Er würde Jesse finden – lebend. Das war sein Ziel. Jesse... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)