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Einmal im Jahr

von

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Doppeltes Glück

Mit konzentrierter Miene fixierte Lily das Fluchmal auf der morschen Holztür vor sich. Es bestand aus vier im Halbkreis angeordneten Mondsicheln, welche durch eine wellenartige Linie kunstvoll miteinander verbunden waren. Es wirkte in keinster Weise bedrohlich oder überhaupt irgendwie wichtig und ein Laie hätte sich davon wohl nicht aufhalten lassen und hätte die Tür einfach geöffnet. Doch Lily wusste es besser. Sie war sich sicher, dass sie dieses Mal in einem ihrer unzähligen Lehrbücher schon einmal gesehen hatte, und so versuchte sie nun, sich den Inhalt des Textes, der unweigerlich auf diese Abbildung gefolgt haben musste, in Erinnerung zu rufen. Dies war allerdings gar nicht so leicht, wenn man sich in einer dunklen, wenig einladenden Grabkammer mitten im Dschungel von Peru befand. Da fiel das Nachdenken doch um einiges schwieriger als Zuhause in der gemütlichen Wohnung. Doch Lily ignorierte die unheimlichen Malereien an den steinernen Wänden und rief sich die markanten Merkmale dieses Fluches ins Gedächtnis.
 

In Gedanken verglich sie sie mit den verschiedenen Darstellungen aus dem Lehrbuch, und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Mischung aus verschiedenen Malen handeln musste.
 

Vorsichtig tippte sie es mit ihrem Zauberstab an und murmelte: „Codex“. Augenblicklich erschienen die einzelnen mathematischen Zusammensetzungen des Fluches in Form von sich stetig ändernden Zahlen in grünlichen Ziffern vor ihr in der Luft.
 

Prüfend huschten ihre Augen über die verschiedenen Kombinationen. Im Prinzip war Magie der Mathematik sehr ähnlich. Es gab zwar nur ein richtiges Ergebnis, aber mehrere Rechenwege, wie man zu diesem Ergebnis gelangen konnte. So verhielt es sich auch bei der Magie. Wollte man beispielsweise einen Gegenstand auf sich zu bewegen, konnte man ihn entweder mit einem einfachen ‚Accio‘-Zauber herbei rufen oder mit ‚Wingardium Leviosa‘ auf Einen zu schweben lassen. Beides verfolgte im Prinzip das gleiche Ziel. Nur war eben in jeder Situation entweder der eine oder der andere Spruch besser geeignet.
 

Genauso war es nun ihr Ziel, den Fluch aufzuheben. Nur der Weg dahin musste sie korrekt wählen. Sie legte die Stirn in Falten und verglich die Zahlen vor ihrem inneren Auge mit denen der verschiedenen Aufhebungszauberer, die sie kannte. Nur, wenn sie ein möglichst nahes Ergebnis fand, konnte sie den Zauber sicher anwenden.
 

Schließlich hatte sie ihn gefunden. Er tauchte plötzlich in ihrem Kopf auf, es erschien ihr vollkommen logisch, und sie haderte sie nicht lange mit sich selbst, sondern murmelte, während sie mit ihrem Zauberstab erneut das Mal berührte, die vermeintlich richtigen Worte.
 

Sie hielt den Atem an und wartete. Das Mal nahm eine leuchtend orange-rote Farbe an, bevor es langsam verblasste und schließlich gänzlich verschwand. Triumphierend legte sie die Hand auf die Türklinke und öffnete langsam die Tür. Da sie weder zu Staub zerfiel noch anderweitig irgendwelchen Schaden nahm, hatte sie wohl den richtigen Riecher gehabt. Kaum eine Sekunde später wurde ihr Verdacht bestätigt, als die Umgebung um sie herum zu verschwimmen begann und sie plötzlich wieder in dem weißen, sterilen Raum stand, wo sie ihre Reise begonnen hatte.
 

Etwas benommen blinzelte die Rothaarige in das grelle Licht.

„Hervorragend, Miss Potter! Wirklich eine Glanzleistung.“, beglückwünschte sie Professor Mayson, welcher eben durch eine Schiebetür den Raum betreten hatte und lächelte die Potter wohlwollend an.
 

„Danke, Professor. Ich muss zugeben, die Tür war wirklich das Schwerste. Erst hielt ich das Zeichen für eine Abwandlung des ‚Fluch des Goldes‘, aber dafür waren die mathematischen Zusammensetzungen viel zu Komplex. Doch schließlich ist mir die Ähnlichkeit zu dem ‚Zorn der Paracas‘ aufgefallen.“
 

Der Professor nickte zustimmend. „Hätten Sie sich für den ‚Fluch des Goldes‘ entschieden, hätten Sie zwar die Grundzüge des Fluches entschlüsselt, der Schatz hinter der Tür wäre aber verloren gewesen, weil dies automatisch einen Schutzmechanismus ausgelöst hätte. Also, alles richtig gemacht. Sie dürfen sich freuen. Sie haben soeben ihre erste Zwischenprüfung bestanden.“

Pure Erleichterung machte sich in Lily breit und sie gestattete sich einen kleinen Freudenschrei.
 

„Und jetzt gehen Sie etwas essen. Sie wissen ja, was die Simulation für Nachwirkungen haben kann.“

„Ja, Professor.“ Sie machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

„Ach ja, und Miss Potter?“

„Ja?“

Der Professor lächelte. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“
 

Fröhlich vor sich hin summend hüpfte Lily den Korridor Richtung Fahrstuhl entlang. Vor dem Professor hatte sie ihre Würde bewahren wollen, doch nun ließ sie ihrer Freude freien Lauf.

Sie hatte bestanden! Die erste Hürde ihrer Ausbildung hatte sie bezwungen. Erst war sie wenig begeistert gewesen, dass ihr Prüfungstag genau auf ihren 20. Geburtstag fallen würde, doch jetzt hielt sie es für das Beste, was ihr je passiert war. So hatte sie heute doppelt Etwas zu feiern.

Als sie ihren Eltern Anfang des 6. Schuljahres eröffnet hatte, dass sie Fluchbrecherin werden wollte, waren diese zuerst nicht sehr begeistert gewesen. Ihr Mutter hätte es lieber gesehen, wenn sie etwas ‚Sinnvolles‘ mit ihrem Leben anfing, sprich Heilerin werden würde und ihr Vater hielt ihre Berufswahl schlichtweg für zu gefährlich. Womit er zugegeben nicht gänzlich Unrecht hatte.
 

Neben den Vampirzahnärzten belegten die Fluchbrecher den zweiten Platz, was die Sterberate während eines Berufseinsatzes anging. Außerdem wurde für die Zulassung zur Ausbildung ein ‚Ohnegleichen‘ in Arithmantik, Verteidigung gegen die dunklen Künste, Verwandlungen, Zaubertränke und Zauberkunst verlang, wodurch der Beruf ‚Fluchbrecher‘ als einer der Anspruchsvollsten galt, was die Schulnoten anging.
 

Doch all das hatte Lily nicht von ihrer Entscheidung abbringen können. Schon immer hatte sie ihrem Onkel Bill gespannt gelauscht, wenn dieser von seinen Berufserlebnissen erzählt hatte, und sie war einfach fasziniert gewesen von den vielen weit entfernten Orten, die er bereist hatte, oder den vielen verschiedenen Kulturen, die er kennen gelernt hatte.

Also hatte sie in ihren letzten drei Hogwartsjahren die Zähne zusammen gebissen, eifrig gelernt und hatte es schließlich geschafft, die Anforderungen zu erfüllen.
 

Seit knapp anderthalb Jahren lernte sie nun schon unter der Leitung Professor Mayson alles Mögliche und Unmögliche über Bann- und Abwehrflüche, Fluchmale verschiedener Kulturen, Gegenzauber und versteckte Barrieren. Neben den Theoriestunden standen auch regelmäßig praktische Übungen auf dem Stundenplan.
 

Es war natürlich zu gefährlich, eine solche Übung an einem realen Fluch durchzuführen. Aus diesem Grund war der Simulationsraum gebaut worden.
 

Es war eine einzigartige Konstruktion aus Elektronik und Magie, welche demjenigen, der den Raum betrat, das Gefühl vermittelte, nicht in einem Raum im Ausbildungstrakt des Ministeriums zu stehen, sondern – wie in Lilys Fall – in einem alten peruanischen Grab.

Das Grundprinzip dieses Raumes hatten sich die Zauberer von den Muggeln abgeschaut, doch durch den Zusatz von Magie hatten sie einige Tücken und Fehler ausbessern können und das Gerät dadurch nahezu perfektioniert.
 

Dadurch wirkten die Simulationen sehr realistisch. Hätte Lily die falsche Taktik gewählt, hätte das System sie wirklich zu Staub zerfallen lassen. Es war zwar nur eine Illusion, doch Lily wusste aus Erfahrung, dass dies trotzallem nicht besonders angenehm gewesen wäre. Sie selbst war, gerade zu ihrer Anfangszeit, oft in den Geschmack dieser äußerst realitätsnahen Darstellungen ihres vermeintlichen Todes gekommen. Mit einem leichten Schaudern dachte sie an das eine Mal zurück, bei dem der gesamte Tempel aufgrund ihrer fehlerhaften Diagnose über ihr zusammengestürzt war oder an das andere Mal, wo sie sich selbst in eine Goldstatue verwandelt hatte, weil sie zwar die Tür zur Grabkammer ordnungsgemäß gesichert, aber nicht daran gedacht hatte, dass das Gold selbst auch mit einem Fluch belegt sein könnte.
 

Erst letzte Woche war Gwendolyn Banks, eine ihrer Mitschülerinnen, bei einer ihrer Übungen in Flammen aufgegangen. Selbst, nachdem der Professor die Simulation unterbrochen hatte und die vernichtenden Flammen samt der angst einflößenden Kulisse verschwunden waren, hatte sie sich immer noch kreischend auf dem Boden gewälzt und so versucht, das Feuer zu löschen.

Erst, nachdem Professor Mayson minutenlang beruhigend auf sie eingeredet hatte und ihr versicherte, dass sie nicht mehr lichterloh brannte, beruhigte Gwen sich wieder.

Außerdem zog die längere Benutzung des Raumes ein paar Nebenwirkungen nach sich. Wenn man nichts oder zu wenig gegessen hatte, lief man Gefahr, in Ohnmacht zu fallen oder sich zu übergeben. Die Ausbildung zu einem Fluchbrecher war also wirklich kein Zuckerschlecken. Umso erleichterter war Lily, dass sie den ersten Teil ihrer Prüfung bestanden hatte. Nach der Mittagspause stand der Theorietest an, der würde um einiges entspannter ablaufen.

Doch jetzt würde sie erst einmal die Mensa ansteuern. Ein deftiges Mittagessen hatte sie sich redlich verdient, wie sie fand.
 

Die Mensa des Zaubereiministeriums befand sich im untersten Stockwerk. Sie wurde von allen Abteilungen zusammen genutzt und war dementsprechend meist brechend voll. So wie auch heute.

Als Lily mit einer Schar von Hexen und Zauberern aus dem Fahrstuhl trat, war in der Mensa bereits der Betrieb im vollen Gang.
 

An der Kantine hatte sich eine meterlange Schlange gebildet und die schwebenden Suppenkellen, Pfannenwender und Siebkellen kamen mit dem Auftun der verschiedenen Speisen gar nicht so schnell hinter her. Trotzdem nahm sich Lily eines der schwebenden Tabletts, welche neben dem Eingang darauf warteten, gebraucht zu werden, und stellte sich an.
 

„Einmal Nudeln mit Tomatensoße.“, bestellte sie schließlich nach einer fast zwanzigminütigen Wartezeit bei einer der Siebkellen und nur wenige Sekunden später hatte sie endlich ihr ersehntes Mittagessen. Sie nahm sich Besteck aus einem der Besteckbehälter und blickte sich dann in der Halle suchend nach einem freien Platz um.
 

„Lily! Hier drüben!“ Winkend und wild mit den Armen rudernd machten ihre Freundinnen Mary-Lou Wood und Leslie Longbottom vom hinteren Teil der Halle auf sich aufmerksam.

Lily winkte zurück und bahnte sich dann, gefolgt von ihrem schwebenden Tablett, einen Weg durch die Halle.
 

Kurz, bevor sie den Tisch erreichte, den ihre Freundinnen sich gesichert hatten, erhob Leslie sich von ihrem Platz und bückte sich Richtung Boden. Als sie wieder hoch kam, hielt sie einen riesige, bonbonrosanen Geburtstagskuchen in den Händen, welcher mit vielen kleinen roten Rosen dekoriert war und auf welchem in großen schimmernden Buchstaben ‚Happy Birthday Lil‘ geschrieben stand.
 

„Happy Birthday, Lilyyy!“, riefen die Beiden gleichzeitig und mit einem Schwung ihres Zauberstabs entzündete Mary die Zuckergussschrift, wodurch sie anfing in den verschiedensten Regenbogenfarben zu leuchten.
 

Überwältigt schlug Lily die Hände vor das Gesicht. „Oh, ihr seid doch verrückt!“, quietschte sie und fiel erst Mary und, nachdem sie den Kuchen vorsichtig abgestellt hatte, Leslie um den Hals. Dann betrachtete sie fasziniert den kunstvollen Kuchen. „Wow, der sieht wirklich klasse aus! Ich danke euch! Vielen vielen lieben Dank!“
 

Mary und Leslie strahlten beide um die Wette.
 

„Die meiste Arbeit hat natürlich Leslie geleistet.“, räumte Mary ein, während die drei Freundinnen Platz nahmen und Leslie Lily ein Messer in die Hand drückte, damit sie den Kuchen anschneiden konnte. „Aber ich finde, mein Schriftzug ist auch nicht zu verachten.“

„Ich bin sicher, er wird mindestens so gut schmecken wie er aussieht.“, meinte Lily und hob das erste Stück auf einen Teller, welchen Leslie ihr hin hielt. Vergessen waren ihre Nudeln mit Soße. Wer brauchte schon ein nahrhaftes Mittagessen, wenn man stattdessen Kuchen hatte?

„Wie ist es denn mit deinem zweiten großen Ereignis geworden?“, wollte die Longbottom wissen, während Lily auch ihr ein Stück auf den Teller legte. Sofort war auch Mary Feuer und Flamme.

Lily biss sich auf die Lippen, um die Beiden noch ein wenig auf die Folter zu spannen, bevor sie grinste und sagte: „Bestanden.“
 

Erneut brachen Mary und Leslie in Jubel aus, worauf sich einige Hexen und Zauberer an den Nachbartischen sich neugierig zu ihnen umdrehten.
 

„Klasse, Lily!“, gratulierte ihr Leslie und tätschelte ihr den Arm. „Das macht den Tag doch gleich noch um Einiges besser, was?“
 

„Auf jeden Fall!“
 

„Und, was hast du für heute sonst noch so geplant?“, fragte Mary, nachdem die drei Freundinnen jeweils einen Teller mit einem Kuchenstück vor sich hatten, und inspizierte dabei eindringlich die kunstvolle Marzipanverzierung die sie von ihrem Stück auf gepiekt hatte, bevor sie es in ihrem Mund verschwinden ließ. Genießerisch verdrehte sie die Augen zur Decke. „Merlin noch eins, Leslie, das schmeckt himmlisch!“

Leslie quittierte diese Aussage mit einem erfreuten Lächeln, während Lily auf Mary’s Frage antwortete.
 

„Ehrlich gesagt weiß ich das noch gar nicht so genau. Roy meinte nur, ich soll mir den ganzen Abend für ihn frei halten.“
 

„Uhhh.“ Mary wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. „Das schreit doch förmlich nach einem romantischen Abend zu Zweit! Bestimmt hat er etwas Außergewöhnliches geplant!“
 

„Wobei bei Roy „außergewöhnlich“ durchaus wörtlich zu nehmen ist.“, warf Leslie ein und deutete warnend mit ihrer Gabel auf Lily. „Du weißt wie er manchmal ist, Lil. Und auch, wenn er mein Bruder ist und ich ihn unglaublich lieb habe, aber er ist wirklich schlecht darin, einzuschätzen, was eine Frau sich zum Geburtstag wünscht.“
 

„Ach, so ein Blödsinn!“, winkte Mary ab, „Der gute Roy wird schon wissen, was er tut.“

„Klar ist dein Bruder manchmal etwas schwer von Begriff, was die Bedürfnisse des weiblichen Geschlechts angeht.“, räumte Lily ein und dachte an ihr erstes gemeinsames Date, bei dem das Museum für »Außergewöhnliche Insekten der Vergangenheit und Gegenwart« besucht hatten. Grundsätzlich war das eine interessante Idee von Roy gewesen, nur hatte Lily seit jeher eine Phobie gegen jegliche Krabbeltiere und so war, besonders, als sie die Abteilung durchschritten, in der lebendes Material ausgestellt worden war, der Tag für Lily eher ein Krampf als eine wissenschaftliche Bereicherung gewesen. „Aber ich traue ihm doch schon zu, dass er ungefähr weiß, womit er mir eine Freude bereiten kann.“
 

Leslie bedachte ihre Freundin mit einem zweifelnden Blick, bevor sie mit den Schultern zuckte und sich weiter über ihr Kuchenstück her machte. „Sag aber nicht, ich hätte dich vorher nicht gewarnt!“
 

Nachdem sie aufgegessen hatten und Lily den Rest des Kuchens verkleinert und in ihrer Tasche verstaut hatte, verabschiedete sie sich von ihren beiden Freundinnen. Sie verabredeten sich für morgen zu einem Treffen in der Winkelgasse, bei welchem sie Lilys Geburtstag in Form eines ausgiebigen Shoppingtages – „Mit allem, was dazu gehört!“ – nachholen wollten.

Danach kehrte Lily gesättigt und glücklich in ihre Abteilung zurück. Auf den Fluren begegnete sie verschiedenen Leuten, die ihr – einige mehr, andere weniger – herzlich zum Geburtstag gratulierten. Unter ihnen war auf ihr Bruder Albus.
 

Lily hatte heute Morgen, bevor sie zur Arbeit gegangen war, bereits dem traditionellen Geburtstagsfrühstück in ihrem Elternhaus beigewohnt, welches zu jedem Geburtstag eines Familienmitglieds stattfand, ungeachtet der Tatsache, ob dieses Familienmitglied schon ausgezogen war. Albus hatte ihr also schon gratuliert und ihr sein Geschenk überreicht – einen Gutschein für eine Reise zusammen mit ihm an einen Ort ihrer Wahl – doch trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, sie erneut zu beglückwünschen. „Doppelt hält besser.“

„Al, hör auf, du erdrückst mich!“, keuchte sie, als ihr Bruder sie in eine knochenzermürbende Umarmung zog. „Außerdem ist das peinlich.“
 

„Ooch, die Liebe zu deinem großen Bruder muss dir doch nicht peinlich sein!“, verkündete der Potter gut gelaunt, drückte sie noch etwas fester an sich und schüttelte sie leicht hin und her. Dann gab er sie schließlich doch frei und erleichtert und nach Luft schnappend taumelte Lily zurück.

„Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, du hast deine Prüfung mit Bravour bestanden?“, fragte er, noch bevor Lily selbst mit dem Thema beginnen konnte.

„Merlin, du hast deine Ohren aber auch wirklich überall.“, verdrehte Lily die Augen, konnte sich aber ein stolzes Grinsen nicht verkneifen.
 

„Oh, Wahnsinn!“ Und wieder zog er sie an sich.
 

„Du bist heute aber kuschelbedürftig.“, nuschelte Lily, während er ihr Gesicht an seine Brust drückte. Es dauerte eine weitere Viertelstunde, bis sie sich endlich von Albus loseisen konnte und dadurch kurz vor Beginn der theoretischen Prüfung in den Raum gehetzt kam.

Rasch nahm sie Platz und nahm den Prüfungsbogen entgegen, welcher von einem der Abteilungsmitarbeiter ausgeteilt wurde.
 

Die Aufgaben waren schwer, aber nicht unlösbar. An einigen Stellen war sich Lily nicht ganz sicher und musste sich das eine oder andere zusammenreimen, aber im Großen und Ganzen kam sie gut durch.

Nach drei Stunden war die Prüfung vorbei. Geschafft, aber glücklich, legte Lily ihre Feder beiseite und gab ihre Ausarbeitung vorne am Lehrerpult ab.

Nun war es geschafft. Die Ergebnisse für die schriftliche Prüfung würde sie erst in ein paar Tagen erhalten, aber grundsätzlich hatte sie ein gutes Gefühl. Vielleicht keine Bestnote, aber ein Bestehen müsste drin sein.
 

Auf dem Weg zum Ausgang tauschte sie sich noch etwas mit ihren Mitauszubildenen aus. Danach fühlte sie sich nicht mehr ganz so sicher, was ihre Prüfung anging, doch das war ein Phänomen, was bei jeder Prüfung auftrat, sobald man sich mit anderen Mitschreibern unterhielt.

Sie beschloss also, trot zallem positiv zu denken und verabschiedete sich rasch, da sie verquatscht hatte und so etwas in Zeitnotstände geraten war.
 

Als sie endlich ihre Wohnung betrat, war es bereits halb sieben.
 

Sie hatte noch eine gute Stunde, bevor Roy vorbei kommen und sie abholen würde. In Windeseile huschte sie ins Bad und frischte ihr Äußeres etwas auf. Da sie ja nicht genau wusste, was Roy mit ihr vor hatte, beließ sie es bei ihrem Tagesmakeup und wählte ein Outfit aus, mit welchem sie so ziemlich für jede Art Restaurant angemessen gekleidet und weder over- noch underdressed sein würde.

Pünktlich um halb acht war sie startbereit und, wie von Roy nicht anders zu erwarten, klingelte es in eben diesem Moment an der Tür. Voller Vorfreude öffnete sie.
 

Das Erste, was sie sah, war ein gigantischer Strauß hellblauer Rosen – ihre Lieblingsblumen -, erst als sie die Blumen vorsichtig zur Seite schob, erblickte sie Leroys grinsendes Gesicht. Ihr Herz machte vor Freude einen Hüpfer und in Gedanken erstattete sie Leslie bereits Bericht, wie lieb und aufmerksam ihr Bruder wirklich sein konnte.
 

„Alles Gute zum Geburtstag!“
 

„Ohh, wie süß von dir!“, freute sich Lily, nahm ihm den Strauß ab und gab ihm einen zärtlichen Kuss.

„Die sind wirklich wunderschön.“ Sie betrachtete den Strauß und vergrub ihre Nase in den duftenden Knospen. „Und sie riechen himmlisch. Warte einen Moment, ich stelle sie rasch in eine Vase. Dann können wir los.“ Nachdem sie das erledigt hatte, verließen die Beiden ihre Wohnung.

„Und? Wo geht es hin?“, fragte Lily aufgeregt, doch Leroy schüttelte nur lächelnd den Kopf und zog ein schwarzes Stofftuch aus seiner Tasche.
 

„Dreh dich um!“, forderte er sie auf und sie kam seiner Bitte ohne Widerspruch nach.

Er band ihr das Tuch um die Augen und zog etwas daran.
 

„Ist es fest genug? Kannst du was sehen?“
 

„Nein.“
 

„Sicher?“ Er wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, doch als Lily nicht reagierte, war er zufrieden. Dann griff er vorsichtig nach ihrer Hand.
 

„Wir werden jetzt apparieren, also nicht erschrecken, ja?“

Stumm nickte Lily. Sie war ja so aufgeregt! Was hatte Roy wohl für sie geplant?

Kurz spürte sie das enge, beklemmende Gefühl des Apparierens, dann konnte sie wieder frei atmen und zog gierig die Luft ein. Nach der Geräuschkulisse zu urteilen befanden sie sich immer noch im Freien.
 

„Darf ich die Augenbinde abnehmen?“, fragte sie.
 

„Ja, mach nur.“
 

Hektisch fummelte sie an dem Knoten herum und wenige Augenblicke später hatte sie ihn gelöst.

Sie nahm das Tuch ab und sah sich um. Augenblicklich klappte ihr der Mund auf.

Geburtstagsüberraschung

„Tada!“ Erwartungsvoll streckte Roy die Arme aus und deutete auf den dunklen Wald, der sich vor ihnen erstreckte.
 

Entgeistert starrte Lily ihn an. „Ist das…?“, begann sie dann.

„Der Verbotene Wald? Ja, nur bewegen wir uns diesmal nicht in dem Teil, der zur Schule gehört, sondern in dem, der außerhalb der Grenze liegt.“ Er sagte das so, als hätte es nie etwas Besseres und Schöneres gegeben.
 

„Und was machen wir hier?“, fragte Lily und betete innerlich, dass dies lediglich ein kleiner Zwischenstopp war, den sie auf dem Weg zu ihrem richtigen Ziel einlegten. Doch ihre Gebete wurden nicht erhört.
 

„Ich habe im »Klitterer« gelesen, dass Anfang August die Paarungszeit der gemeinen Killerlibelle beginnt und dass sie sich für ihren Nestbau gerne Bäche oder Seen aussuchen, die in einem bewaldeten Gebiet liegen, welches eine starke, konzentrierte Magie verströmt. Da durch den Verbotenen Wald ein kleiner Bach fließt, dachte ich mir, wir könnten nach einem von diesen Nestern suchen, und wer weiß, vielleicht sehen wir auch eine der Killerlibellen. Die sollen im Allgemeinen ziemlich zaubererscheu sein, aber wer weiß, vielleicht haben wir ja Glück?“ Er sah Lily begeistert an. Frei nach dem Motto ‚Ist das nicht aufregend?‘.
 

„Klasse.“, erwiderte Lily tonlos. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein. Sie beide, alleine, nachts im Verbotenem Wald?! Das war ihre Geburtstagsüberraschung? Eine Nachtwanderung inklusive Todesangst und widerlicher Tiere?
 

Doch anscheinend schien Leroy dieser Umstand überhaupt nicht zu beunruhigen, denn er entzündete mit einem gemurmelten ‚Lumos‘ seinen Zauberstab und machte Anstalten, in dem dunklen Wald zu verschwinden. „Lily, komm, wo bleibst du?“, rief er nach einer Weile, als sie immer noch wie festgeklebt am Waldrand stand.
 

Lily wusste selbst nicht, warum sie nicht sofort wieder disapparierte und Leroy seinen doofen Wald alleine erkunden ließ, doch dann dachte sie an den Strauß Rosen und folgte ihm grummelnd. Vielleicht würde sich doch noch alles zum Guten wenden.
 

Während Leroy sie fröhlich mit verschiedenen Fakten über den Verbotenen Wald versorgte – „In keinem Wald Englands leben so viele gefährliche magische Wesen wie hier, wusstest du das, Lil?“ – klammerte Lily sich ängstlich an seinen Arm und ließ den Blick hektisch umher huschen. Leroys Zauberstab erhellte den matschigen Waldweg vor ihnen nur spärlich und Lily erwartete hinter jedem Baum und hinter jedem Busch ein grausames Wesen, welches nur darauf wartete, ihnen die Kehle aufzureißen.
 

Doch nach einer Weile hatte sie sich etwas beruhigt und nachdem Leroy von seinen Schauerfakten zu den Pflanzenfakten überwechselte, fühlte sie sich schon nicht mehr ganz so unwohl.

Dies änderte sich jedoch schlagartig, als sie die ersten kalten, nassen Tropfen auf ihrem Gesicht spürte.
 

„Oh.“, merkte der Longbottom auch sogleich an, „Es fängt an zu Regnen.“ Er sah Lily lächelnd an und griff nach ihrer Hand. „Du magst doch Regen. Ein weiteres Geschenk für dich, wie passend.

Ja, natürlich mochte sie Regen. Wenn sie warm eingekuschelt mit Leroy im Bett lag und die Tropfen gegen das Fenster trommelten. Aber bestimmt nicht, wenn sie durch den Verbotenen Wald pilgerten, auf der Suche nach einer ominösen Killerlibelle!

Konnte es eigentlich noch schlimmer werden? Sie schlang die Arme um den Oberkörper und stapfte weiter missmutig neben Leroy her.
 

Dieser musterte sie stirnrunzelnd von der Seite. „Lily, frierst du?“

„Nein!“, kam die patzige Antwort.
 

„Du kannst meine Jacke haben, wenn du möchtest.“
 

„Mir ist aber nicht kalt!“ In eben diesem Moment frischte der Wind auf und wehte ihr einige eisige Tropfen ins Gesicht. Lily musste sich auf die Zunge beißen, um ein verräterisches Zähneklappern zu unterdrücken.
 

„Rede doch keinen Mist, ich sehe doch, wie du zitterst.“ Er schlüpfte im Gehen aus seiner Jacke und hängte sie der Potter über die Schultern. Am liebsten hätte sie ihm diese gleich wieder um die Ohren gehauen, sie war viel zu wütend, um diese liebe Geste von ihm anzunehmen. Doch schließlich siegten doch ihre niederen Instinkte und sie wickelte sich eng in die durch Leroy’s Körperwärme angewärmte Jacke.
 

„Du bist aber auch wirklich nicht dem Wetter und dem Vorhaben entsprechend angezogen.“, fügte Leroy noch nachdenklich hinzu und bedachte ihre enge Jeans und ihre Wildlederstiefel mit einem amüsieren Blick.
 

„Ich hatte ja auch keine Ahnung, dass wir den ganzen Abend im Wald herumspazieren würden.“, presste Lily zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
 

Leroy, der von der beinahe überkochenden Stimmung seiner Freundin nichts zu bemerkten schien, verschränkte zufrieden die Arme hinter dem Kopf und grinste siegessicher.

„Na, immerhin sollte dieser kleine Ausflug ja auch eine Überraschung für dich sein.“

„Die ist dir gelungen. Voll und ganz.“, brummte Lily leise.
 

Nach einer weiteren halben Stunde Marsch durch den inzwischen völlig verschlammten Waldweg, gelangten an ihr Ziel: den Bach.
 

Augenblicklich geriet Leroy völlig aus dem Häuschen. „Wir sind da.“
 

Lily verkniff sich eine bissige Antwort und blickte sich stattdessen um.

So gesehen war es eigentlich ganz schön hier. Sie standen auf einer kleinen Lichtung und der Bach plätscherte unmittelbar vor ihnen leise vor sich hin.
 

Sie trat etwas näher an den Bach und starrte in das dunkle Wasser.

Doch all das änderte nun einmal nichts daran, dass es erstens dunkel war, zweitens der Regen sich noch verstärkt hatte und sie drittens lieber überall woanders gewesen wäre als hier in diesem gruseligen Wald.
 

Leroy trat neben sie ans Ufer des Baches. „Alles gut?“, fragte er, da ihm ihre nicht ganz so begeisterte Miene inzwischen doch aufgefallen war.
 

„Nein, nichts ist gut!“, fauchte Lily und warf ihm wütend seine Jacke vor die Füße. Augenblicklich kroch ihr die Kälte in die Knochen – wie konnte es Anfang August nur so kalt sein? – doch das war ihr inzwischen egal. Der Regen, der Wald, alles war ihr egal. Das Einzige, was jetzt zählte, war ihr Zorn.
 

Leroy sah sie verblüfft an. „Lily, bleib doch ruhig. Ich verstehe nicht, wo dein Problem ist.“

Dieser letzte Satz brachte das Fass zum überlaufen.
 

„Du bist so ein VOLLIDIOT!“, fauchte Lily, bückte sich und bevor Roy auch nur reagieren konnte, flogen bereits die ersten Steine. Sie waren nicht besonders groß und würden nicht viel Schaden anrichten, aber das war auch gar nicht Lilys Ziel. Sie brauchte einfach nur etwas, um Luft abzulassen. Einer traf Leroy zielsicher an der Stirn und der Longbottom zuckte zusammen. „Au!“, sagte er überrascht und rieb sich über die verletzte Stelle, doch die Potter gewährte ihm keine Pause.
 

Sie hatte sich schon wieder Nachschub besorgt und bewarf ihn nun mit allem, was sie am Ufer als Wurfgeschoss finden konnte.
 

„Alles-was-ich-wollte-war-einen-schönen-Abend-mit-dir-zu-verbringen!“ Sie untermalte jedes Wort mit einem weiteren Steinwurf. Während Roy sich die Stirn hielt, wich er ihren kläglichen Versuchen, ihn erneut zu treffen, geschickt aus.
 

„Aber es war doch ein schöner Abend!“, verteidigte er sich. Er verstand nicht, warum sie auf einmal so wütend war.
 

„Für dich vielleicht! Ich jedenfalls kann mir Schöneres vorstellen als bei völliger Dunkelheit bei sintflutartigen Regenschauern durch einen gottverlassenen Wald zu stapfen!“
 

„Zum Beispiel? Und bei Merlin noch eins, Lily, hör auf, mit Steinen nach mir zu werfen!“
 

„Ach, ich weiß auch nicht.“ Sie klang immer noch zornig, doch zumindest ließ sie den Arm sinken. „Vielleicht in einem schicken Restaurant essen zu gehen oder ein Theaterstück anzusehen. Ich wäre auch mit einem Besuch bei »Madame Puddifoots« einverstanden gewesen. Oder sogar damit, dass wir einfach Zu Hause bleiben und uns dort einen schönen Abend machen. Einfach mal ein gemütliches Zusammensein, ohne dass ich Gefahr laufe, in einer Schlammpfütze zu versinken oder von irgendwelchen exotischen Tieren oder Insekten als Brutstätte missbraucht zu werden!“

„Hey, das ist jetzt unfair! Ich habe die Regenbogenmade doch damals von deinem Arm geschnipst, bevor sie ihre Eier unter deiner Haut ablegen konnte!“, warf Roy ein.
 

„Ja, aber Roy, es geht doch ums Prinzip!“, stöhnte Lily verzweifelt, „Muss denn alles immer ein Abenteuer sein? Muss denn alles, was wir unternehmen, immer mit Wissen und Entdecken zu tun haben?“
 

Als einem Impuls heraus hätte er fast mit „Ja.“ geantwortet, doch er konnte sich noch gerade rechtzeitig auf die Zunge beißen. Er bezweifelte, dass diese Antwort zur Entspannung der Situation bei getragen hätte.
 

„Nein?“, gab er deshalb die zögerliche Antwort, worauf Lily begleitet von einem frustrierten Aufschrei die Arme in die Luft warf. „Okay, okay, ich gebe es auf, du hast gewonnen.“

Sie drehte sich abrupt um und stürmte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war.

„Warte! Lily, wo willst du hin?“
 

„Ich werde zurück zum Waldrand gehen und da auf dich warten. Wenn du damit fertig bist, deine ach so tollen und interessanten Tierwesen zu erforschen, kannst du mich da ja abholen!“, rief sie, ohne sich dabei umzudrehen.
 

„Aber Lily…“
 

Doch sein schwacher Einwand verflüchtigte sich ungehört in die Tiefen des Waldes.
 

„Scheiße.“, murmelte er, während er sich durch die vom Regen nassen Haare fuhr. Das fasste das Ganze ziemlich gut zusammen.

Er war noch nicht lange mit der Potter zusammen, erst knapp ein halbes Jahr, aber dennoch hatte er gedacht, dass er sie einigermaßen gut kannte. Sie mochte zwar nicht so gerne Insekten – das hatte er bei ihrem ersten Date festgestellt – aber Libellen ähnelten ja etwas den Schmetterlingen, die Lily so hübsch fand, deshalb hatte er angenommen, dass es sie freuen würde, wenn sie zusammen auf eine Expedition gehen würden. Außerdem strebte sie den Beruf ‚Fluchbrecher‘ an. Waren diese Art Leute nicht grundsätzlich von Abenteuern, Gefahren, Forschung und der Entdeckung des Neuen fasziniert?
 

Ihrer Reaktion nach zu schließen nicht wirklich.
 

Sie schien sich wirklich etwas Anderes erhofft zu haben.

Er verharrte einen Moment unbewegt und dachte angestrengt darüber nach, wie er das, was er verbockt hatte – was immer es auch wahr – wieder hin biegen konnte.

Dabei ließ er seinen Blick den Bach entlang wandern, wodurch ihm im Schein seines Zauberstabes ein rundes, fußballgroßes Nest ins Auge fiel, welches am Ufer verborgen unter etwas Moos hervor schaute.
 

Er würde seinen linken Fuß darauf verwetten, dass dies das Nest einer Killerlibelle war. Aber anders, als erwartet, spürte er keine Freude oder Aufregung, sondern nur Bedauern. Er wollte das Nest nicht allein entdecken, ihm war es darum gegangen, es zusammen mit Lily zu sehen.

Leroy seufzte laut bei dieser Erkenntnis. Diese Frau hatte es ihm wohl wirklich angetan.
 

~♥~
 

Als er aus dem Wald heraus trat, blickte er sich nach allen Seiten nach ihr um. Der Regen war noch etwas stärker geworden und inzwischen war er bis auf die Haus durchnässt.

Er brauchte nicht lange zu suchen.
 

Lily saß zusammengekauert auf einem der umgestürzten Baumstämme und starrte vor sich hin.

Als er näher kam, hob sie den Kopf, drehte sich aber sofort weg, sobald sie erkannt hatte, wer da im Dunkeln auf sie zu kam. Unmittelbar vor ihr blieb Leroy schließlich stehen. Er wusste nicht so recht, wie er anfangen sollte. Bisher war er nur zweimal mit einer wütenden Lily konfrontiert worden und beide Male hatte ihr Zorn nicht ihm gegolten. Sie konnte, wenn sie wollte, unglaublich nachtragend sein und ein paar flüchtige Entschuldigungen würden sie nicht besänftigen. Aber er würde trotzdem sein Bestes versuchen.
 

„Ich habe was für dich.“, sagte er in einem versöhnlichen Tonfall.
 

„Danke, aber ich will nichts!“ Mürrisch verschränkte sie die Arme vor der Brust. Ihre roten Haare klebten ihr am Kopf und Regentropfen liefen ihr unaufhörlich über das Gesicht. Ihre dünne Jacke war komplett durchweicht und in unregelmäßigen Abständen wischte sie sich mit der Hand den Regen aus den Augen, wodurch ihr Augen Make-up noch mehr verwischte. All diese Umstände nahmen ihrer trotzig-widerwilligen Haltung etwas an Gewicht, doch Roy würde sich hüten, das anzusprechen. Vermutlich hätte er es sich dann unwiderruflich mit ihr verspielt. Aber immerhin hatte sie ihm geantwortet, das wertete er als ein gutes Zeichen. Also fuhr er fort.

„Jetzt stell dich gefälligst nicht so an! Los, mach die Hand auf.“
 

Lily stieß ein genervtes Brummen aus, streckte ihm jedoch widerwillig ihre Hand entgegen.

Mit einem fröhlichen Grinsen legte Roy Etwas auf ihre Handinnenfläche.

Verblüfft betrachtete Lily den Gegenstand. Dann sah sie zu ihm auf.
 

„Ein Stein?“, fragte sie, und man hörte ihr deutlich an, dass sie nicht genau wusste, ob sie belustigt oder wütend reagieren sollte.
 

„Es ist nicht irgendein Stein. Es ist der, mit dem du mich am Flussufer beworfen und beinahe tödlich verletzt hast!“
 

Lily verdrehte über seine dramatische Übertreibung die Augen. „Wie romantisch.“

„Das war gar nicht so leicht!“, verteidigte der Longbottom sein Geschenk. „Im Dunkeln sehen die nämlich fast alle gleich aus und der Zauberstab hat lichttechnisch auch nicht viel geholfen!“

„Im Prinzip könnte das also auch irgendein x-beliebiger Stein sein?“ Zweifelnd zog Lily eine Augenbraue hoch.
 

„Du glaubst mir nicht? Guck doch genau hin, mein Blut klebt noch dran!“ Er beugte sich über ihre Hand und tippte mit dem Zeigefinger gegen den besagten Stein.
 

„Ja ja, schon gut, ich glaube dir.“, gab Lily genervt nach, und zufrieden stellte Roy fest, dass ihre Mundwinkel trotz ihres weniger freundlichen Tonfalls leicht zuckten. „Das ändert aber trotzdem nichts an der Tatsache, dass du ein Blödmann bist!“, fügte sie dennoch hinzu.

Nun war es an Leroy, sich ein Grinsen zu verkneifen. Nicht, dass sie noch dachte, er würde sich über sie lustig machen.
 

„Gut, wenn du ihn nicht möchtest…“ Er machte Anstalten, ihr den Stein wieder aus der Hand zu nehmen.

„Finger weg!“, empörte sie sich und schlug seine Hand weg. „Das ist mein Stein!“

„Aber du hast doch gesagt…“

„…, dass du immer noch ein Blödmann bist, ja. Aber den Stein behalte ich.“
 

Sie schloss die Hand um den kleinen, flachen Stein und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Sie sah immer noch zornig aus.
 

Mit einem leisen Seufzen setzte Leroy sich neben die Potter auf den Baumstamm. Einen Weile herrschte Stille, in der nur das regelmäßige Prasseln des Regens zu hören war und gelegentlich das Schuhuen einer Eule aus dem Wald zu ihnen herüber wehte.
 

„Es tut mir Leid.“, begann Roy schließlich, da er die eisige Stille einfach nicht mehr ertragen konnte, wurde jedoch zu seiner Überraschung sofort von Lily unterbrochen.
 

„Nein, du brauchst dich nicht entschuldigen, wirklich.“ Verwundert blickte der Longbottom die Rothaarige an. Das war nun das Letzte, womit er gerechnet hätte. War das nicht normalerweise genau das, was alle wütenden Freundinnen von ihrem Freund erwarteten? Dass er seine Fehler einsah und reumütig um Vergebung bat? Die Potter wich seinem fragenden Blick aus und musterte stattdessen ihre dreckigen Stiefel. Dann fuhr sie fort: „Ich hätte nicht so ausrasten dürfen. Schließlich hast du es ja nur gut gemeint. Und wäre ich so eine verbissene Forschernatur so wie du, wäre das auch wirklich eine tolle Überraschung gewesen. Aber ich bin, was das angeht, nun mal so ein richtiges Mädchen. Ich möchte mich hübsch machen, mit meinem Freund ausgehen und einfach nur den Abend genießen, und nicht in völliger Dunkelheit durch den Verbotenen Wald latschen, um nach einem Insekt zu suchen, welches mir schon vom Namen her sehr suspekt ist.“ Sie hob den Blick und sah ihn an. „Ich bin, was das angeht, nun mal echt langweilig.“ Sie zuckte mit den Schultern.
 

Nachdenklich musterte Leroy seine Freundin. Sie schien beinahe ängstlich auf sein Urteil zu warten. Glaubte sie ernsthaft, dass er es schlimm finden könnte, dass sie eine andere Vorstellung von einer gelungenen Geburtstagsüberraschung hatte als er?
 

„Das ist doch Blödsinn.“, sagte er schließlich. „Du bist nicht langweilig. Du bist…anders als ich. Und das ist doch auch irgendwie gut oder? Denn wenn wir beide die komplett gleichen Interessen hätten, das wäre doch langweilig, oder meinst du nicht auch?“

Sie wirkte überrascht, doch dann nickte sie langsam.
 

„Und ich denke, in Zukunft kann ich einmal im Jahr auf Abenteuer verzichten und werde mich bereitwillig deiner Mädcheninterpretation von Geburtstagen unterwerfen.“, fügte er hinzu.
 

„Danke, das ist sehr lieb von dir.“ Lily lächelte ihn an und schon allein dafür hatte sich seine Entscheidung gelohnt, wie er fand. Normalerweise war so etwas wirklich nicht seine Art. Im Allgemeinem war es ihm ziemlich egal, ob Leute in seiner unmittelbaren Umgebung seine Einstellungen teilten oder nicht. Er tat das, was ihm Spaß machte. Doch irgendwie war Lily ihm zu wichtig, als dass er sie ohne Rücksicht auf Verluste mit seinen Ansichten und Meinungen von der Welt konfrontieren wollte. In Zukunft, so nahm er sich vor, würde er versuchen, mehr auf ihre Wünsche und Vorstellungen einzugehen, als das bisher der Fall gewesen war.
 

„Tja, so bin ich eben.“ Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und er schlang die Arme um sie. So saßen sie einen Moment lang still da, bis Roy erneut das Wort ergriff.

„Meinst du ich könnte, bevor wir gehen, noch einmal ganz ganz ganz kurz zurück und mir das Nest von der Killerlibelle ansehen?“
 

„Wag .Es .Ja. Nicht.“, kam es drohend als Antwort.
 

Leroy seufzte ergeben.
 

» Ein Frauenherz und eine Festung sind sich darin ähnlich, dass man beide erst kennen lernt, nachdem man sie erobert hat.«
 

~♥~
 



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: abgemeldet
2013-11-21T17:52:44+00:00 21.11.2013 18:52
Ahhhhhhhhhh! Soooooooo süüüüß!!
Dein Ende hat mich total aus den Latschen gehauen. Ich will Roy einfach nur knuddeln (obwohl mein Roy eig ein selbstverliebter Arsch ist...)

Deine Fluchbrecherinterpretation mit Mathematik finde ich genial, ich hatte auch mal so nen ähnlichen Gedanken, dass Zauber wie Computerzeugs verschlüsselt sind oder so und finde deine Lösung echt super. Auch der Simulationsraum ist große Klasse und typisch Ausbilder, die armen Schüler mit den Todesillusionen zu quälen.

Die Mensa ist cool! Du verstehst es echt, total alltägliche Sachen auch noch in Zaubererform zu bringen.

Die Insektensache: Ich glaube ich hätte wie Lily reagiert. Ich meine, wenn Roy mir gesagt hätte, dass er mit mir nach der Libelle suchen will, dann hätte ich das als nettes, kleines Abenteuer gesehen, aber als romantische Geburtstagsüberraschung??? Da wär ich aber SOFORT disappariert.

"Hey, das ist jetzt unfair! Ich habe die Regenbogenmade doch damals von deinem Arm geschnipst, bevor sie ihre Eier unter deiner Haut ablegen konnte!" Da hab ich nen Lachflash bekommen. Große Klasse. Und so knuddelig XD

Bei Lily kann ich mir übrigens sehr gut vorstellen, dass sie mit Steinen wirft, in dieser Situation.

Vielen, vielen Dank für die süße Geschichte. Du schaffst es immer wieder, dass es süß ist, ohne kitschig zu werden. Danke, Danke, Danke

LG Dudi
Von:  _Natsumi_Ann_
2013-11-19T20:59:10+00:00 19.11.2013 21:59
Lily und ein Longbottom das sind ja ganz neue töne XD
aber gefällt mir besser als roxanne und frank :D
ich bin leider grad vom spätdienst und habe nicht mehr so die energie soviel zu schreiben, mir wurde die energie vom königreich des dunklen abgesaugt :D
aber ich finde die bilder total klasse <3 und die geschichte auch wenn ich es nicht mit den longbottoms habe, iwie süß <3

aber du zauberst ja immer etwas tolles ^^
tel 2 lese ich auch noch fleissig, bin gespannt :)

*rose werf*

Gib nicht auf!

Natsu, hab u lieb <3



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