Sternenseelen von Verath ================================================================================ Kapitel 2: Schmerz im Inneren ----------------------------- Wenn er Nikyla in die Hände bekam! Ihr hatte er den ganzen Schlamassel zu verdanken. Hätte sie ihn nicht so schamlos ausgetrickst und die Bezahlung für den Schneider gestohlen, wäre er niemals in diese Lage gekommen. Bestimmt würde dieser raffinierte Händler Lord Haver eine Liste auftischen, die nur so von gezinkten Zahlen stank. Doch sein Herr müsste bezahlen, konnte er doch schließlich nicht nachweisen, welche und wie viele Tonwaren es waren, die Attur seiner Ungeschicklichkeit halber zerbrochen hatte. Er wollte gar nicht wissen, wie viel Sternsteine das kosten würde. Sicherlich einige und er müsste dafür büßen. Schritte ertönten auf der Treppe. Erneut versuchte er, den trockenen Kloß in seinem Hals loszubekommen. Er wusste genau, wer da in den Keller hinabstieg. »Du ungezogener, dreckiger Bengel«, erklang die süffisante, kratzige Stimme Ricks. Lord Haver war viel zu gebrechlich und erhaben, um ihn selbst zu bestrafen. Sein jüngster Sohn hingegen liebte es. Wenn er jemanden demütigen konnte, fühlte er sich mächtig. Rick war ein grässlicher, grausamer Mann, der keinerlei Menschlichkeit besaß, wenn es darum ging, einem Sklaven Schmerzen zuzufügen. Manchmal bildete Attur sich ein, dass diese Art des Vergnügens die einzige Möglichkeit war, um Rick zufrieden zu stellen. Jedenfalls las er das aus dem düsteren Grinsen, welches im Gesicht des anderen prangte. »Wie kannst du es nur wagen, so einen Schaden anzurichten?« Attur wusste, dass es unnötig war, sich erklären zu wollen. Rick würde ihm niemals zuhören oder gar seinen Worten Glauben schenken. Unterwürfig stand er nun zu diesem gedreht, während der junge Herr seine Fackel ebenfalls in eine Halterung in der Wand steckte und den schweren Holzstock, welchen er in der anderen Hand gehalten hatte, nun mit beiden umfasste, bevor er auf Attur zuging. Er ließ den Stock unheilvoll auf seine Handfläche schlagen. »Draper hatte Unrecht. Du weißt überhaupt nicht, wo dein Platz ist«, schnurrte er so widerlich süß, dass Attur beinahe schlecht von diesem Ekel wurde und es ihm gleichsam eine Gänsehaut bereitete. »Wollen doch mal sehen, ob wir dem nicht Abhilfe verschaffen können!« Ein verrücktes Funkeln blitzte in den Augen des anderen auf, bevor er ausholte und Attur kräftig mit dem Stock ins Gesicht schlug, sodass dieser auf den Boden geschleudert wurde. Ihm war von dem Schlag richtiggehend schwindelig, als er sich langsam vom staubigen Stein löste und wirr über seine Wange strich, die unter dem Schlag heftig pochte und schmerzte. »Oh, was haben wir denn da?«, erklang erneut diese kratzige, gekünstelt erhöhte Stimme des anderen. Attur versuchte, ihm mit seinem Blick und den Gedanken folgen zu können. Was hatte er denn gefunden? Rick kam auf ihn zu, beugte sich kurz vor ihm zu Boden und hob irgendetwas auf. Etwas Kleines… oh nein! Er hielt es in die Höhe, um es zwischen den Fingern zu drehen und besser betrachten zu können. »Zuckerobst.« Er klang, als hätte er eine unglaubliche Feststellung gemacht. Dann richtete sich der kalte, funkelnde Blick wieder auf ihn. »Sag mir, kleiner Bastard, wie kannst du dir so etwas denn leisten?« Attur öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch seine Kehle war so trocken vor Furcht, dass er keinen Ton herausbrachte. Wie sollte er auch erklären, dass er diese Köstlichkeit gestohlen hatte, ohne noch schlimmer bestraft zu werden? Rick sah ihn eine Weile lang forschend an, dann grübelte er; legte einen Finger ans Kinn, nachdem er das Stück Süßes achtlos weggeworfen hatte. »Satyrana hat mir gesagt, sie hätte dich in die Stadt geschickt, um ihre neuen Kleider zu begleichen.« Sein Blick traf erneut aus den Augenwinkeln auf den jungen Sklaven. »Hast du das getan?« Verflixt und zugenäht! Nein, hatte er nicht. Wie auch, wenn ihm der Beutel mit den Sternsteinen gestohlen worden war? Aber Ricks Stimme hatte so einen lauernden Unterton, dass er sich nicht wagte, auch nur zu heftig einzuatmen. Er fühlte sich unter dem Blick des anderen, wie ein Stück Wild vor der Waffe eines Jägers. Eingeschüchtert starrte er zurück, unfähig, etwas zu tun oder zu sagen. Aber das schien dem Sohn seines Herrn voll und ganz als Antwort zu genügen. Verstehend nickte er mit dem Kopf. »Ah, so ist das also. Du bereicherst und vergnügst dich mit den Sternsteinen, welche für einen gänzlich anderen Zweck vorgesehen waren.« Tadelnd schüttelte Rick den Kopf und schnalzte mit der Zunge, während er hin und her ging. »So etwas tut man nicht. Hat dir das dein Miststück von Mutter nicht beigebracht?!« Ricks Stimme wandte sich zum Ende hin zu einer aggressiven Anschuldigung. Attur konnte gar nicht so schnell reagieren, da war Rick bereits wieder bei ihm, den Stock hoch erhoben und dreschte damit auf ihn ein. Zweimal, dreimal, viermal. Dann ließ er wieder von ihm ab. Zusammengekauert lag der Junge am Boden, versuchte, seinen Kopf unter den Händen vor den Schlägen zu schützen. Ein jämmerliches Winseln entkam ihm, als die Schläge aufhörten, die Schmerzen aber erst anfingen, in seinem Körper zu explodieren. »Ich wusste ja gar nicht, dass es dir so sehr an Gehorsam mangelt. Es scheint so, als müsste ich in nächster Zeit mehr auf dich achten.« Nun war die Stimme wieder ruhig, drohte alleine mit dieser Tatsache. Attur fiel es schwer, den Worten des anderen überhaupt noch richtig zu folgen, weil der Schmerz beinahe seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er keuchte gequält auf. Einerseits wegen der Schmerzen, andererseits aber auch wegen der Drohung des anderen. Er wollte nicht, dass Rick ihm mehr Aufmerksamkeit schenkte! Doch natürlich war die Bestrafung noch nicht zu Ende. Sie hatte gerade erst angefangen. Attur nahm langsam die Hände vom Kopf, als die Schmerzen zuließen, dass er sich wieder bewegte. Er sah auf zu seinem Peiniger, der anscheinend noch über seine eigenen Worte grübelte. Gleichsam sah er in dessen Blick nur zu genau, dass er noch lange nicht mit ihm fertig war. Dann schüttelte Rick den Kopf, wobei seine etwas zu lang geratenen, fettigen Haare leicht in sein Gesicht schlackerten. »Satyrana wird sehr enttäuscht von dir sein, wenn sie das hört. Dabei hegt sie ja solche Sympathien für… euch.« Dabei sprach er das letzte Wort mit so angewidertem Ton aus, als würde er über Kakerlaken reden. Rick behandelte Sklaven wie Dreck, schlechter als Vieh und käme wohl nie auf die Idee, dass sie doch derselben Spezies angehörten. Er sah in ihnen keine Menschen. Sie waren niedere Wesen, dafür geschaffen, den Leuten seines Standes zu dienen. Für diesen und nur für diesen einen Zweck waren sie da. Es schmerzte Attur, an das Gesicht des Mädchens zu denken, wenn sie davon hörte. Er mochte sie, doch nach dem würde sie ihn sicherlich nicht mehr so gütig behandeln. Sie dachte bestimmt, er wäre ein schlechter Mensch, weil er sich an ihren Sternsteinen bereichert hatte. Was eigentlich gar nicht stimmte! Nikyla war es gewesen. Sie hatte ihn bestohlen. Doch er war dumm genug gewesen, es zuzulassen. Er hätte ihre wahren Absichten bemerken müssen, jedoch wollte er sich auch selbst nichts vormachen. Sie war einfach zu geübt, zu gut, in dem, was sie tat. Sie trickste so viele aus und Attur war kein Genie. Er war nicht gerissen oder gebildet. Wie sollte er es also schaffen, ihre Absichten zu durchschauen? Sie war einfach zu raffiniert.   Rick holte ihn mit einem kräftigen Schlag zurück ins Hier und Jetzt. Schmerzhaft keuchte Attur auf. Er war erschrocken, hatte fast vergessen, dass der junge Herr vor ihm stand. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf den Boden, welchem sein Kopf bereits wieder so nahe gekommen war. Aus seinem Mund lief Blut auf den Stein und schimmerte im Licht der Fackeln. »Was ist los? Erdreiste dir nicht, jetzt an etwas anderes als an mich zu denken! Ich bestrafe dich für deinen Ungehorsam. Bereue deine Untaten!« Ein weiterer Schlag folgte. Erneut krümmte sich Attur zusammen, während der Stock einige Male auf seinen geschundenen Körper niederprasselte. Er biss die Zähne fest zusammen, um den Schmerz zu ertragen, doch schlussendlich nahm er Überhand und er schrie ihn hinaus. Die Schreie hallten an den Kellerwänden wider und vermischten sich mit dem grässlichen Geräusch des massiven Stockes, welcher auf seinem Körper auftraf. Attur wand sich unter den Schlägen, versuchte, ihnen zu entkommen und somit seinen Körper zu schützen. Aber Rick stellte kurzerhand einen Fuß auf seine Hüfte, drückte ihn damit fest auf den Boden und verhinderte so jegliche weiteren Fluchtversuche. Ein grausames Lachen erklang, während die Schläge kurzzeitig verklangen. »So ist es richtig! Fühle den Schmerz, der dich ereilt. Du bist daran selbst schuld. Du bist ungezogen gewesen. Lerne aus deinem Schmerz!« Die Worte waren noch nicht verklungen, da trafen erneute Schläge den Rücken des Jungen. Schmerzverzerrte Schreie mit überschlagener, panischer Stimme erklangen im Raum. Atturs Herz raste und drohte, jeden Moment aus seiner Brust zu springen. Wann hörte Rick nur damit auf? Sein ganzer Körper tat weh, er konnte die einzelnen Schmerzen nicht mehr von einander differenzieren. Sie hatten sich zu einem gigantischen Batzen zusammengeballt. Die Panik ereilte Attur. Er wusste, wenn Rick nicht bald aufhörte, würde er das hier nicht überstehen. Der andere schlug wie wild auf ihn ein, mehr als den Kopf konnte er in seiner Position nicht schützen, obwohl er sich so gut wie möglich zusammen gekauert hatte. Dann jedoch hörten die Schläge auf und der Fuß auf seiner Hüfte, der ihn niedergedrückt hatte, verschwand. »Und? Bereust du deinen Ungehorsam?« Zittrig nahm Attur die Hände vom Kopf, sah unsicher und schwer atmend zum jungen Herrn auf. Dieser stand mit dem Stock in der Hand direkt neben ihm, hatte den Oberkörper jedoch so weit vorgebeugt, dass er beinahe über ihm schien. Langsam nickte Attur, denn er wagte es nicht, hastige Bewegungen zu vollbringen. Zu groß war die Angst, dass sein Körper ihm dies mit einer explosionsartigen Verschlimmerung seiner Schmerzen vergalt. »Ich bereue es. Bitte, habt Gnade und verzeiht mir mein schlechtes Betragen. Ich werde… mich in Zukunft bessern und ein guter Sklave sein.« Noch immer raste sein Herz wie verrückt. Ricks Gesicht verdunkelte sich durch den strengen Ausdruck darin. »Das hoffe ich. Für dich.« Dann grinste er düster und schlug noch einmal nach Attur. Er traf ihn am Kopf und mehr als einen kurzen Schmerz verspürte dieser nicht mehr, dann umschloss ihn Finsternis und nahm ihm sein Bewusstsein.   »Wird er bald aufwachen?« »Ich weiß es nicht. Der junge Herr hat ihn schwer bestraft. Aber ich bete dafür.« »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Attur so etwas tun würde.« Langsam hörte er Stimmengewirr, dann nach und nach konnte er auch die Worte darin erkennen. Es waren seine Mutter und Haal, der dritte Sklave der Familie. »Oder? Ich meine, es wäre schließlich ein schlimmes Vergehen. Attur bemüht sich immer, unauffällig seine Arbeit zu machen, um von Rick nicht behelligt zu werden. Hätte er die Kleider von Satyrana nicht bezahlt, wäre es mit Gewissheit aufgeflogen. So etwas Dummes tut er nicht.« Attur stöhnte. Natürlich tat er so etwas nicht! Dann versuchte er seine Augen zu öffnen. Das sandfarbene Haar seiner Mutter war das Erste, was er erkannte. Sie saß direkt neben ihm und schien gerade seine Verletzungen zu behandeln, denn hier und da durchzog ihn ein heftiger Schmerz, deutlich stärker als der, den Attur noch von den Schlägen spürte. Ihr Gesicht kam in sein Blickfeld, als sie anscheinend bemerkt hatte, dass er wach war. Die Sorge war klar darin zu erkennen. »Attur.« Mehr sagte sie vorerst gar nicht. Wollte wohl herausfinden, ob er sich in einem Stadium des Bewusstseins befand, in dem er antworten konnte und alles um sich herum wahrnahm. Sofort danach hörte er schnelle, polternde Schritte, bevor sich das junge, aufgeregte Gesicht von Haal ebenfalls in sein Blickfeld drängte. »Hey, bist du wach? Wie fühlst du dich?« Attur öffnete den Mund und drehte den Kopf hastig zur Seite, als er husten musste. Erst danach schaffte er es, zu sprechen. »Ich lebe noch. Von dem her…« Dabei stöhnte er erneut auf. Beim Sprechen tat sein gesamter Oberkörper weh. Ihm war irgendwie übel und sein Schädel dröhnte, als habe er sich am Abend zuvor bis an den Rand volllaufen lassen. »Was ist passiert? Erzähl, was wirklich war. Man hört schließlich allerhand Humbug die Runde machen«, forderte Haal ihn sofort auf. Attur verzog das Gesicht. Er fühlte sich wirklich nicht in der Verfassung, nun zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Die Hand seiner Mutter legte sich auf Haals Schulter und drängte ihn sanft, aber bestimmt zurück vom Bett, sodass der junge Sklave nicht mehr direkt darüber lehnte und Attur derart bedrängte. »Gib Ruhe, Haal. Er kann auch noch später davon berichten. Nun muss er sich erst ausruhen und wieder zu Kräften kommen.« Attur war seiner Mutter zutiefst dankbar dafür, dass sie Haal davon abgehalten hatte, ihn sprichwörtlich mit seinen Fragen zu löchern. Gerne würde er den beiden später die Wahrheit erzählen, aber nun fühlte er, wie die Bewusstlosigkeit bereits wieder an seinem Geist zerrte und ihn zurück in die verlockende Dunkelheit ziehen wollte.   Es dauerte einige Tage, bis Attur tatsächlich wieder in der Lage war, seinen Aufgaben nachzugehen und Arbeit zu verrichten. Währenddessen hatte Haal das Seinige mit erledigen müssen und war deshalb abends stets erschöpft nach der kargen Mahlzeit sofort eingeschlafen. Attur hatte den beiden von seiner Naivität und Dummheit erzählt und Haal wäre beinahe ein Lachen ausgekommen, als er hörte, wie Nikyla es geschafft hatte, ihm den Beutel abzunehmen. Doch der ernste, warnende Blick seitens Adina, Atturs Mutter, hatte ihn dazu gebracht, es sich zu verkneifen. Seitdem Attur nun wieder seiner Arbeit nachging, versuchte er stets peinlichst genau das zu tun, was von ihm verlangt wurde. Er ging Rick so gut wie möglich aus dem Weg, doch dieser hielt Wort und stattete ihm zusehends mehr Besuche ab. Manche davon liefen friedlich ab, andere endeten damit, dass Attur erneut gedemütigt und verletzt wurde. Nikyla hatte er seitdem nicht mehr in der Stadt gesehen. Sie tat auch gut daran, sich ihm nicht zu nähern, denn noch immer hatte er eine gehörige Wut im Bauch, wenn es um sie ging. Er half seiner Mutter gerade in der Küche, um Gemüse für das Mittagessen kleinzuhacken, als Draper beschwingten Schrittes die Tür öffnete und hereintrat. Sofort standen er und seine Mutter parat, denn es war selten genug, dass der älteste Sohn sich direkt an sie wandte, ohne sie auch nur rufen zu lassen. Draper schien einen arbeitsreichen Tag mit vielen Verpflichtungen zu haben, wobei sein Weg ihn bereits an der Küche vorbei geschickt hatte. »Attur.« »Herr?« Attur stand aufrecht da, das Messer, mit dem er zuvor noch das Gemüse geschnitten hatte, lag nun achtlos auf dem Holzbrett. Er war bereit, jeglichen Auftrag anzunehmen und sogleich auszuführen. »Bring das eilends in die Schänke der Stadt. Dort fragst du nach Harlekin. Du bringst ihm das in sein Zimmer und übergibst es ihm. Ausschließlich ihm! Hast du das verstanden?« Eifrig nickte der junge Mann und ergriff sogleich Beutel und Brief. Kaum dass Draper die Küche zufrieden wieder verlassen hatte, verabschiedete sich Attur von seiner Mutter und machte sich sogleich auf, den Befehl zu erfüllen. Auf dem Weg traf er auf die familieneigene Kutsche, für die er sofort artig Platz machte und wartete, bis sie an ihm vorbeigefahren war. Dabei senkte er demütig seinen Kopf. Er wusste, wer darin saß und zum Anwesen zurück kehrte. Satyrana. Seit dem Vorfall mit Nikyla strafte sie ihn mit Nichtachtung, aber einmal hatte er den verletzten Blick gesehen, welchen sie ihm zugeworfen hatte. Es tat ihm leid, das Mädchen enttäuscht zu haben, jedoch würde er den Teufel tun und ihr die Wahrheit erzählen. Sie würde ihm wahrscheinlich nicht einmal glauben, weil ihre Brüder ihr etwas ganz anderes erzählt hatten. Denen glaube sie sicher mehr als einem niederen Sklaven.   Bei der Schänke angekommen, umfasste er den Beutel fester. Auf dem Weg hatte er bereits bemerkt, wie schwer der Beutel war - es musste sich eine ansehnliche Summe Sternsteine darin befinden. Attur fragte sich, wofür der junge Herr so viel bezahlte, doch der Brief war versigelt und selbst wenn nicht, hätte er ihn ja doch nicht lesen können. Er betrat den Schankraum, welcher zu dieser Zeit noch nicht so gut besucht war. Einige Tische waren mit Männern gefüllt, die eine warme Speise zu sich nehmen wollten. Solche ohne Frauen Zuhause, die ihnen etwas kochen hätten können. Attur wurden einige Blicke zugeworfen; neugierige, gelangweilte, schiefe, sogar leicht skeptische. Er versuchte sie geflissentlich zu ignorieren und trat auf den Schankwirt zu, der sich bullig vor ihm aufbaute und ihm einen abwartenden Blick schenkte. Als Attur vor ihm stand, sah er zu ihm auf - der Mann war ein ganzes Stück größer als der Sklave; er glich einem Hünen. »In welchem Eurer Räume kann ich Harlekin finden?«, stellte er mit kräftiger Stimme seine Frage. Hier musste man von Anfang an zeigen, dass man wusste, was man wollte, sonst machte man sich zur leichten Beute. Der Schankwirt musterte ihn von oben bis unten, wobei seine Augen für Atturs Geschmack einen Moment zu lange auf dem Beutel in seiner Hand lagen. »Den Gang entlang, die letzte Tür rechts.« Dabei zeigte er mit dem Daumen über seine Schulter auf eine Tür. Attur nickte und trat an dem Hünen vorbei, als dieser noch einmal das Wort an ihn richtete: »Aber was will ein junger Bursche wie du von Harlekin? Der hat keine Zeit für Kinderspielchen.« »Mein Herr hat Geschäfte mit ihm«, erwiderte er ohne stehen zu bleiben. Er wusste schließlich selbst nicht mehr und seiner Meinung nach ging das den Schankwirt auch gar nichts an. Attur betrat den Gang hinter der massiven Tür und ging bis zum Ende weiter, bis er an der letzten Tür angekommen war. An diese klopfte er. »Ja bitte?« Verwirrt starrte er die Tür an, als er dahinter eine Frauenstimme, anstatt die eines Mannes, vernahm, doch schnell hatte er sich wieder gefasst. »Ich möchte zu Harlekin.« »Das möchten sie alle«, erwiderte die Frauenstimme amüsiert durch die Tür. Missmutig kräuselte Attur seine Stirn. So einfach wollte man es ihm wohl nicht machen. »Mein Herr schickt mich.« »Und wer ist dein Herr?« Nun klang die Stimme schon ein wenig interessierter. Ein schmerzhafter Schrei erklang hinter der Tür. Attur wich erschrocken einen Schritt zurück. Was ging in dem Zimmer vor sich? Irgendwie war ihm die Sache nicht geheuer. Mit etwas Verspätung antwortete er doch noch: »Lord Haver ist mein Herr.« Die Tür ging einen Spalt weit auf. »Oh, na wenn das so ist, komm doch herein.« In dem Zimmer war es dämmrig, anscheinend waren die Vorhänge zugezogen. Im Türspalt erschien eine Frau; sie war schön, obwohl ihr Aussehen gänzlich fremdländisch erschien. Sie hatte feuerrotes, langes Haar, welches zu einem seitlich über die Schulter hängenden Zopf geflochten war. Ihre Haut war alabasterfarben und der Blick aus ihren ungewöhnlich dunkelgrünen Augen betrachtete Attur neugierig. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Frau mit solchem Äußeren gesehen zu haben, mit solcher Schönheit und Anmut. Ihr Gesicht zierten beinahe aristokratisch erscheinende Züge und ein amüsiertes Lächeln. Allerdings war sich Attur nicht sicher, ob er dort hinein wollte. Er erinnerte sich nur zu gut an den Schmerzensschrei, der eben noch erklungen war. Aber Draper hatte ihm diesen Auftrag gegeben und er hatte Folge zu leisten. Sicher würde der junge Herr ihn nirgends hinschicken, wo sein Leben in Gefahr wäre… hoffte er.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)