Sternenseelen von Verath ================================================================================ Kapitel 1: Gefahr im Vertrauten ------------------------------- 10 Jahre später…   Die Fransen des Besens stachen in sein Gesicht. »Na los, feg schneller, schneller!« Höhnisches Lachen erklang und dröhnte in seinen Ohrenxx, als sein Kopf gegen den Boden gedrückt wurde. Er kniff seine Augen zusammen, um sie vor den Fransen des Besens zu schützen, den einer der Söhne des Hauses ihm ins Gesicht drückte. »Ich kann nicht fegen, wenn Ihr mich auf den Boden drückt«, brachte er heraus. Seine Hände hatten sich zu leichten Fäusten geballt und er stützte sich darauf, damit nicht das gesamte Gewicht seines Oberkörpers auf seinen Nacken drückte. Wieder Lachen. »Ach, ist das so? Dann versuch doch einmal, mit deinem Gesicht zu kehren!« Anscheinend fand Rick Haver seinen eigenen Einfall überaus amüsant. »Los, los!« Dann nahm er den Besen von Atturs Gesicht und seine Hand nahm den Platz ein. Attur schwante Böses. Der Druck verstärkte sich und er musste die Zähne fest zusammenbeißen, als Rick ihn zwang, seinen Kopf vor und zurück zu bewegen, sodass seine Wange über den kalten, harten Boden wetzte. Er merkte, wie sich die groben Partikel in seine Haut trieben und sie aufrissen. »Rick?« Das Scheuern hörte auf und der Druck wurde weniger. »Was tust du da?« Das war die Stimme des älteren Sohnes, Draper. »Ich erinnere diesen Hund daran, welchen Platz er hier inne hat. Nicht, dass er zu übermütig wird.« Man hörte das höhnische Grinsen sogar aus seiner Stimme. »Ich glaube, Attur weiß genau, wo sein Platz ist. Nicht wahr?« Attur versuchte, mit der Hand auf seinem Kopf zu nicken. »Siehst du?« Die Hand verschwand gänzlich, man konnte einen herablassenden Laut seitens Rick hören, als er aufstand. »Du bist einfach viel zu weich mit deinen Dienern. Ich frage mich, ob du Vater später mit so einer Einstellung wirklich vertreten kannst.« Ein Fußtritt traf Attur in die Seite, ließ ihn schmerzvoll aufstöhnen, bevor sich Rick völlig von ihm abwandte. »Die Gesellschaft findet sich gleich ein, lass ihn arbeiten und bereite dich lieber darauf vor.« Dann hörte Attur, wie die beiden den Raum verließen. Er rappelte sich auf und strich vorsichtig über seine Wange. Als er seine Hand ansah, erkannte er Blut daran. Mit einem Seufzen stand er auf und wusch sich an der Spüle das Gesicht, bevor er den Besen wieder zur Hand nahm und den Boden der Küche weiterkehrte. Er hatte noch viel zu tun, da durfte er nicht trödeln, denn er wollte sich keine Strafen einholen, weil er faul war.   Nach dem Fegen brachte er den Eimer mit Schmutzwasser aus der Küche hinaus in den Hof, um ihn auszuschütten. Er sah seine Mutter das Unkraut im Garten jäten. Sie hatte ebenso sandfarbenes Haar wie er und etwas dunklere Haut. Viele sagten, er wäre ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Dies galt zumeist als großes Kompliment, da seine Mutter wirklich hübsch anzusehen war, soweit er das beurteilen konnte. Attur war froh, dass wenigstens sie nicht von Rick auf ihren Platz hingewiesen wurde. Er war immer hart und streng. Mit Draper konnte man reden. Er sah sie zwar als seine Diener - was sie ja auch waren - und empfand durchaus, dass sie unter ihm standen, aber er behandelte sie nicht wie Dreck. Ganz anders als Rick; Attur würde niemals wegen irgendetwas an diesen herantreten. Er wusste sowieso, wie das enden würde: Mit Beleidigungen und Schmerzen, wenn er nicht schnell genug wieder das Weite suchte. Als er zurück zum Haus ging, sah er einige Schmiede und Metallwarenhändler durch die Tür gehen. Er verneigte sich vor ihnen und wartete, bis sie eingetreten waren, bevor er es ihnen gleichtat. Heute würde wieder eine Gesellschaft zusammentreffen. Es wurde über Preise verhandelt und diese wurden für die nächsten Monate festgelegt. Man teilte mit, wie viel Rohstoffe man derzeit zur Verfügung hatte und zeigte seine letzten Verkäufe auf. Die Familie Haver war seit jeher der Verwalter aller Schmiedeaufträge und Vertreter des gesamten Metallwarenhandels ihrer Region. In einem Land, das sich als Waffengroßmacht schmückte, nannten sie einen mächtigen Posten ihr Eigen. Attur lief in die Küche zurück und holte einen großen Weidenkorb für das Brennholz, welches hinter dem Haus aufgestapelt war. Nachdem er den Korb randvoll mit Holz gefüllt und ihn zurück in die Küche neben den Ofen gebracht hatte, kehrte er zurück hinter das Haus und begann, neues Holz zu spalten und aufzustapeln. Er hatte viele Aufgaben hier auf dem Anwesen der Haver. Dabei war er auf nichts spezialisiert; was anstand, erledigte er. Das konnte das Sauber halten des gesamten Anwesens, Botengänge oder andere körperlich anstrengende Aufgaben, wie der Transport von Metallwaren oder die Mithilfe am Bau eines neuen Gebäudes sein. Lesen, schreiben oder andere intellektuelle Tätigkeiten waren ihm fremd und er vermisste deren Fähigkeiten auch nicht, da er die damit verbundenen Vorteile nie kennen gelernt hatte. Schweiß rann ihm die Stirn und den Körper hinab. Er machte eine kurze Pause, legte die Axt zur Seite und wischte sich die nassen Haare aus der Stirn, welche nicht von dem Haarband zusammen gehalten wurden. Die Sonnenstrahlen brannten auf ihn hinunter. Er sah hinauf in den strahlend blauen Himmel, auf dem sich kaum eine Wolke zeigte. Sultas, die erste Sonne schien erbarmungslos auf das Land nieder und versuchte sie alle zu verbrennen. Doch nicht mehr lange und sie würde von Toltas abgelöst und die Temperaturen würden erträglicher. Attur wischte sich einmal quer über das Gesicht, um den Schweiß wegzubekommen und streckte sich, bevor er ein weiteres Mal zur Axt griff. Vor ihm stapelte sich noch immer ein Berg von Holzstämmen, welche zerkleinert und dann in handgerechte Scheite gehackt werden sollten. Aber eigentlich genoss er die Arbeit im hinteren Hof. Hierher kam Rick nur sehr selten, sodass Attur zumeist in Ruhe seiner Tätigkeit nachgehen konnte, ohne Angst haben zu müssen, gleich wieder Tritte einzustecken oder gar noch schmerzhaftere Züchtigungsmaßnahmen des jungen Herrn.   Gerade zerteilte er ein Stück Holz auf dem Hauklotz, als hinter ihm die sanfte Stimme eines Mädchens erklang. »Attur?« Er ließ die Axt stecken und drehte sich um zu dem jüngsten Kind der Familie Haver, Satyrana. Sie hatte, wie beinahe alle Männer und Frauen dieses Landes, pechschwarzes Haar. Das ihre glänzte und ging ihr bis zum Rücken. Es war leicht gelockt und umrandete ihr weiches, zartes Gesicht. Ihre Kleidung war nicht zu vergleichen mit seinen Lumpen. Sie trug ein kobaltblaues, dünnes Kleid mit schwarzen Rüschen ab der Taille nach unten gehend. Um ihren Hals hing eine silberne Kette mit einem prunkvollen kreisförmigen Anhänger. »Was kann ich für Euch tun, Satyrana?« Er deutete eine Verbeugung an und blies sich dabei die hellen Haare aus dem Gesicht. Sie lächelte sanft und hielt ihm einen Brief und in der anderen Hand einen kleinen braunen Beutel hin. »Ich wünsche mir, dass du das hier dem Schneider bringst und den Brief übergibst du bitte dessen Sohn.« Ein wissendes Lächeln erschien auf Atturs Gesicht und brachte Satyrana dazu, peinlich berührt zu Boden zu schauen. Zwischen dem Sohn des Schneiders und ihr entstand langsam ein feines Band der Zuneigung und Attur war stets derjenige, der für den Briefverkehr der beiden zuständig war, weshalb er davon wusste. Ob Satyranas Vater von dieser Sache begeistert wäre, bezweifelte er jedoch und falls irgendwann herauskam, dass er der Überbringer und somit Mittäter in der Beziehung war, würde ihn wohl eine harte Strafe erwarten. Doch er konnte dem Mädchen einfach keinen Wunsch abschlagen. Sie hatte ihn gewissermaßen in ihren Bann gezogen, ohne dass er es gemerkt hatte. »Ich werde mich sofort darum kümmern«, erwiderte er und ließ sie dadurch erleichtert aufsehen. Sie übergab ihm die beiden Dinge und nickte ihm zum Abschied kurz zu, bevor sie Richtung Haus verschwand. Attur freute sich, die schweißtreibende Arbeit etwas nach hinten zu verschieben, denn sobald Toltas schien, würde es erträglicher. Er schob den Beutel in seine rechte Hosentasche. Wahrscheinlich befanden sich darin die Sternsteine als Bezahlung für die neuen Kleider von Satyrana. Er marschierte los, um schnell ins Innere ihrer kleinen Stadt zu kommen. Das Anwesen der Haver war etwas abseits, aber nach einem kleinen Fußmarsch erkannte Attur das liebevoll gestaltete Schild, auf dem wohl der Name der Stadt stand, doch er konnte es nicht mit Sicherheit sagen. »Rhodohr«. Er schlenderte durch die äußeren Teile der Stadt, bis er auf den Markt kam. Einen Ausflug hierher sollte man schließlich nutzen. Das gezuckerte Obst roch herrlich, als er daran vorbei ging; der gewürzte Fisch am Stand gegenüber wurde über einem feuerbetrieben Grill zubereitet und angeboten. Ihm knurrte richtiggehend der Magen bei all den Köstlichkeiten, die hier zum Verkauf standen. Aber er konnte sich nichts davon leisten, bekam er doch keine Sternsteine für seine Arbeit. Genau aus diesem Grund stellte er sich an einen der Zuckerobst-Stände, an welchem gerade viele Leute standen und wartete, bis man ihm keine Aufmerksamkeit schenkte, bevor er in eine der Schalen griff und sich mehrere Stücke davon stahl, sie in seine Hosentasche gleiten ließ und sich dann bemüht unauffällig entfernte. Nicht weit entfernt vom Markt verschwand er in einer Gasse, holte seine Beute freudig heraus und begann sie zu vertilgen. Selten aß er so etwas Gutes. Bei seinen Herren bekam er meist dumpf schmeckende Feldrüben oder Karglandbeeren. Nicht zu vergleichen mit der Geschmacksintensität dieser Zuckerfrüchte.   »Und wie gedenkst du, dieses Essen zu vergelten?« Die Stimme ließ ihn erschrocken herumfahren, dabei fiel ihm eines der Stücke beinahe aus der Hand. »Nikyla!« Das Mädchen grinste ihn breit an und in ihren dunklen Augen blitzte der Schalk. »Hast du mich erschreckt«, beschwerte sich Attur und zog die Augenbrauen tief zusammen. Nikyla lachte auf, hielt sich dabei die Hand leicht vor den Mund und kam dann auf ihn zu. Sie schnappte sich eines der Stücke aus seiner Hand und beugte sich zu ihm vor. »Ich verlange trotzdem eine Bezahlung dafür, dass ich dich nicht verrate«, schnurrte sie ihm entgegen und biss von dem Zuckerobst ab. Atturs Mundwinkel verzogen sich zu einem wissenden Lächeln. Sie war ebenso wie er Sklavin, nur bei einer anderen Familie. Sie hatte ihm vor einigen Jahren auch gezeigt, wie man richtig stahl, ohne dass die Standverkäufer etwas davon bemerkten. Ohne sie wäre er wohl nicht halb so oft in den Genuss solcher Köstlichkeiten und dafür viel häufiger in Schwierigkeiten gekommen. Er richtete seinen Blick auf ihr Gesicht, schob den Rest des Essens in seine Tasche zurück und griff in ihre Haare, bevor er sie zu sich zog und ihre Lippen eroberte. Willig drückte sie sich ihm entgegen, bewegte ihren Mund gegen den seinen und umschlang ihn mit ihren Armen, fuhr mit den Händen seinen Rücken hinauf, bis zu seinen Schultern, wo sie sich festkrallte. Sie war heiß und wild, leidenschaftlich. Das hatte Attur schnell bemerkt. Wenn sie etwas tat, dann stets mit voller Inbrunst. Es war nicht so, als würde er für sie tiefliegende Gefühle hegen. Er fand sie hübsch und war imponiert von ihrem Einfallsreichtum und ihrer Raffinesse. Aber sein Herz gehörte jemand anderem und das würde sich auch durch eine durchtriebene Diebin nicht ändern. Aber trotzdem sprach nichts gegen ein wenig Vergnügen in einer Welt, in der Sklaven nicht viel zu lachen hatten. Ausgehungert glitten Atturs Lippen hinab zum Hals der jungen Frau und seine rechte Hand schob ihr dunkles, etwas schäbig wirkendes Kleid am Kragen ein wenig hinab, sodass er bis zu ihrem Schlüsselbein kam. Ihre Hände wanderten ebenfalls, strichen nun den Rücken wieder hinunter und über seine Hüften. Kurz darauf entzog sie sich ihm mit einem Lächeln. »Gut, ich werde dich nicht verraten. Nun genieße deine Beute.« Sie ging wenige Schritte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen rückwärts, bevor sie ihm noch einmal zuzwinkerte und sich dann umdrehte. Ein wenig überrascht war Attur schon, dass sie so schnell zufrieden war, doch sie war seit jeher flatterhaft und ihre Begegnungen bestanden nicht selten nur aus kurzen Zusammentreffen. Vielleicht hatte sie auch noch irgendetwas für ihre Herren zu erledigen, was eilte. Er zuckte mit den Schultern, sah sich kurz prüfend um, bevor er wieder in seine Hosentasche griff und eines der Zuckerobststücke herausholte. Doch Moment! Hatte er nicht bis eben noch in der gleichen Hosentasche den Beutel für den Schneider mit sich getragen? Erschrocken tastete er mit beiden Händen an jede Seite, schluckte das Obst einfach hinunter. Doch nichts; weder links noch rechts fand er den Beutel in seiner Hose. Er sah kurz auf den Boden, doch auch dort wurde er nicht fündig. Seine Augen wurden zu Schlitzen. »Nikyla…«, knurrte er düster, bevor er zum Sprint ansetzte. Noch konnte er sie einholen. Sicher rechnete sie nicht damit, dass er es so schnell bemerkte. Wütend preschte er aus der Gasse hinaus zurück auf den Marktplatz und suchte mit den Augen den Platz ab, um sie ausfindig zu machen. Diebin blieb eben Diebin! Wie er ihr nur so auf den Leim gehen konnte. Er ärgerte sich richtig über seine eigene Naivität. Es dauerte nur einen Moment, dann erkannte er ihre wilde Haarpracht unter den anderen Leuten und hetzte ihr hinterher. Hier und da stieß er an Passanten, rempelte eine reiche Dame an und sprang über eine Kiste. Durch diesen Lärm wurde Nikyla auf ihn aufmerksam und erkannte, dass sie entlarvt worden war. Sie sah ihm einen Augenblick ins Gesicht, dann drehte sie sich um und lief ebenso schnell wie Attur durch die Menge, um ihm zu entkommen.  Er folgte ihr, achtete kaum noch auf seine Umgebung. Der Beutel, er musste ihn zurückbekommen! Was würden seine Herren ihn strafen, wenn er ohne ihn zurückkehrte und ohne den Schneider bezahlt zu haben? Er wollte sich dieses Dilemma gar nicht ausmalen. Seine Aufmerksamkeit galt gänzlich Nikyla, an die er immer näher heran kam. Gleich würde er ihren Arm zu packen bekommen. Eine schnelle Bewegung seitens der Diebin, ein dumpfer Schlag und lautes Krachen ließen ihn dann jedoch wieder seine Umgebung wahrnehmen. Er lag auf dem harten Steinboden und sah Nikyla wieder mehr Abstand zwischen sie bringen, dann erschienen saubere Stiefel in seinem Blickfeld und er sah hinauf in das verärgerte Gesicht einer der Händler. Um ihn verstreut lagen Tonwaren. Allesamt zerbrochen. Schleunigst rappelte er sich auf, versuchte noch nach hinten zu fliehen, um dem Schlamassel zu entkommen und Nikyla vielleicht doch noch zu erwischen. Grob wurde er am Arm gepackt, als er Reißaus nehmen wollte, und zurückgezogen. »Hier geblieben, Bürschchen! Den Schaden, den du mir gemacht hast, ersetzt du mir gefälligst!« Außer Atem und verzweifelt, wie er das seinen Herren erklären sollte, versuchte er sich aus dem Griff loszureißen, doch der Griff wurde nur noch verstärkt und die Hand drückte schmerzhaft in seinen Arm. Das Gesicht des Händlers wurde zunehmend  wütender und Attur gestand sich ein, dass eine Flucht aus dieser Situation unmöglich war.   Mit einem schmerzhaften Aufschrei landete er auf dem steinigen Boden, direkt vor den Füßen seines Herrn. Er wagte sich gar nicht aufzusehen. Das würde böse Folgen haben, er wusste es genau. Attur rappelte sich wieder auf, blieb aber am Boden knien, wagte es nicht, sich zu erheben oder erneut die Flucht anzutreten. Stattdessen lauschte er bangend dem Wortgefecht der Männer über sich. »Dieser Junge hat mir mein Geschäft für die nächsten Tage ruiniert! Ich verlange eine Wiedergutmachung, Lord Haver! Ein Großteil meiner Waren ist zerbrochen, wie soll ich so meinen Handel führen? Wenn ich keine Ware habe!« Die Stimme des bulligen Mannes war unangenehm näselnd und Attur fragte sich, wie so jemand ein gutes Handelsgeschäft betreiben sollte. Sicherlich wich die Hälfte der potentiellen Käufer bereits zurück, wenn sie ihn die Angebote ausschreien hörten. Lord Haver schien sichtlich verärgert, wobei nicht klar war, ob sein Groll Attur oder dem aufgescheuchten Händler galt. Oder nicht gleich beiden. »Wieso sollte er so etwas tun?« »Ich kann nicht mehr sagen, als ich bereits erklärt habe: Er rannte wie ein Wildgewordener durch das Volk und sprang am Schluss mitten in meine Tonwaren! Hätte ich ihn nicht aufgehalten, wäre er weiter durch die Gänge gestürmt wie ein wilder Stier.« Der Händler rang mit seinen Händen und schwang die Arme wild gestikulierend durch die Gegend, sodass Attur sich sicher war, ein jeder, der ihm in diesem Moment zu nahe gekommen wäre, hätte sich einen saftigen Schlag eingeholt. »Ich kann keine Scherben verkaufen, aber die Materialien als auch die Arbeit sind trotzdem hinfort! Lord Haver, für Euren Sklaven müsst Ihr gerade stehen.« Diese Zurechtweisung seines Herrn ließ dessen Unmut nur noch steigen. Als wüsste nicht ein jeder, was für Gesetze galten. »Macht eine Aufzählung der Gegenstände bereit, ich werde Euch morgen einen Boten mit den Sternsteinen zu Eurem Haus schicken.« Dass die hohen Leute in seiner Gegenwart immer so sprachen, als sei er nicht anwesend, war Attur bereits zu Genüge gewöhnt. Sklaven schenkte man wenig Aufmerksamkeit, sie standen noch unter Nutzvieh. Und mit jenem sprach man schließlich auch nicht. Der Händler schien zufrieden und gab kund, er würde die Liste noch heute Abend vorbeibringen lassen. Das Gespräch wandte sich zum Ende und Attur wurde immer mulmiger zumute. Welche Strafe würde ihm wohl nun widerfahren? Er schluckte trocken, als er das Gefühl bekam, ein großer Kloß würde sich in seinem Hals bilden. »Steh auf und geh hinunter in den Keller.« Der Kloß wurde dicker. Atturs Augen weiteten sich. Nicht der Keller, bitte! Alles nur nicht der Keller, dachte er flehend. Er spürte kalten Schweiß auf seinem Gesicht. Ein Zittern durchzog seinen Körper wie ein schauerliches Frösteln, doch er rappelte sich langsam auf, wollte seinen Herrn nicht dazu bringen, sich wiederholen zu müssen. Er sah nicht in das faltige, graue Gesicht des alten Mannes, wollte die Härte und den kalten Zorn nicht in diesen dunklen, starren Augen sehen. Er fühlte sich wie ein Ross, das auf dem Weg zur Schlachtbank war. Der Keller bedeutete solche Schmerzen, dass man es nirgends tun wollte, wo andere ihn allzu laut schreien hören könnten. Attur öffnete zittrig die schwere, massive Holztür, hinter welcher sich düstere, einschüchternde Dunkelheit befand. Ein am oberen Ende mit Pech bestrichener Stock sollte ihm helfen, diese Dunkelheit zu durchdringen. Er zündete die Fackel an und stieg langsam mit ihr in der Hand die unebene Steintreppe hinunter. Eigentlich lagerten hier Nahrungsmittel, damit sie nicht so schnell verdorben und einige empfindliche, unbearbeitete Metalle, doch Attur war schon ein paar Mal zur Bestrafung hier unten gewesen. Er steckte die Fackel in eine Wandhalterung. Irgendwo neben ihm quiekte eine Ratte, die wohl vom plötzlichen Licht erschrocken worden war und sich an eine dunklere Stelle zurückzog. Attur stand unruhig da und knetete seine Hände. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)