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elleth

-Elbenmädchen-
von

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Himmelstränen (lightversion)

Lautlos huschten gut zwanzig Elbenkrieger durch die dunklen, fast schwarzen Stämme im südlichen Düsterwald, dort wo Schrecken und Furcht ein zu Hause gefunden haben. Angeführt wurden die Krieger, deren eiskalter, emotionsloser Blick ihre Entschlossenheit zu Töten offenbarte, von Legolas Thrandulion, Prinz der Waldelben.
 

Elinols Herz schlug ruhig weiter, als wäre Jagen und Töten das Normalste der Welt. In der Ferne konnte er sie hören, die verstümmelten, stinkenden Orks, wie sie rücksichtslos das verfilzte und verzweigte, nahezu undurchdringliche Unterholz in Stücken hauten. Mit den Pferden hätten sie Saurons Geschöpfe schnell eingeholt und niedergeritten, aber irgendwann standen die Bäume immer enger. Die Tiere hätten sich nur im Flechtwerk aus Ranken, Zweigen und Sträuchern verfangen und wurden deswegen zurückgelassen.

Honigblonde Haare flogen herum, als Elinol seinen Kopf hastig hochriss. Er konnte sehen, wie einer der Soldaten aus dem Astwerk sprang. Blätter segelten herab und gaben dem Ganzen schon ein fast künstlerisches, anmutiges Aussehen.
 

Quälend langsam und dann doch wieder unglaublich schnell schnitt sich die leicht gebogene Klinge des elbischen Schwertes horizontal in etwas Dunkles, das aus dem Gebüsch zu springen versuchte. Blut spritzte auf und sank wie Regen auf den kaum sehbaren Waldboden nieder. Stumm kippte das schwarze Etwas vornüber und blieb wie ein gefällter Baum nieder.

"Gar nicht so dumm," murmelte der kampferprobte Prinz, "sie haben also Wachen zur Warnung hinterlassen."

Den toten Feind achtlos liegen lassend, sah er zu Elinol. Manchmal erschreckte es selbst ihn, wie kalt die dunkelgrünen Augen des Honigblonden sein konnten. Ungerührt stand der Hauptmann da und es war nicht möglich, auch nur einen seiner Gedanken zu erraten. Langsam wandten sich Elinols Augen von seinem Herren ab und blickten stumm in die Dunkelheit des Waldes hinein. Legolas hob die Hand und ließ sie ruckartig nach vorne fallen, das Zeichen zum Weitermarsch.
 


 

Betrübt schaute Tuilinn zwischen den noch lichten Blättern zum Himmel hoch. Es wurde Herbst, wie sie an den grauen Wolken, dich sich wie eine weiche Decke über das Himmelsblau schoben und die ersten Stürme ankündigten, sehen konnte. Vielleicht wusste der Himmel auch mehr und sammelte schon seine Tränen um über die Gefallenen zu trauern. Nur widerwillig und doch befreit löste sie sich von dem Anblick und zog den Elbenmantel enger um ihren Körper. Auch die Luft wurde kälter und selbst die ersten Blätter über ihren Köpfen verfärbten sich in trügerisch warme und freundliche Rot- und Gelbtöne. Dieser Ort war nicht freundlich, friedlich oder was auch immer er darzustellen versuchte.

Ihre Augen blickten in das Feuer, welches von einem, ihr noch fremden Elben, geschürt wurde. Ein wenig Wärme wehte zu ihr hinüber und ließ sie wohlig seufzen. Warum war es so plötzlich abgekühlt? Lag es an dem Ort oder weil Elinol nun nicht mehr da war und seine Wärme fehlte? Nur wenige Stunden war er fort und schon vermisste sie ihn schmerzlich.
 

Seufzend schaute das Mädchen auf. Nur wenig Elben waren zurückgeblieben, um das Lager und sie zu beschützen; nur eine Hand voll, die sich um das Feuer sammelten, die Vorräte kontrollierten oder mit starren Blick Wache hielten. Vorsichtig wanderten die blau-grünen Augen zu Tawarên. Elinol hatte vollstes Vertrauen zu dem Elb, der nun, in seinen Mantel eingehüllt in das Feuer starrte. Vom Feuerschein waren seine Züge milde geworden und die hellen Haare rotorange gefärbt. Tuilinn konnte das Feuer in seinen verträumten Augen tanzen sehen. Kaum zu glauben, dass dieser Elb ein Kundschafter des Königs war. Einer der wenigen, überaus mutigen Elben, die weit hinter die feindlichen Linien mussten, um dort zu spionieren, sabotieren oder zu Töten. Tawarên war Attentäter, ein Killer, der bestimmte Personen gezielt tötete, meist vor einer Schlacht und immer die Anführer. Er war einer der wenigen Elben, die dafür ausgebildet waren, der Schlange den Kopf abzuschlagen, ohne Mitleid, hinterrücks und so sauber wie möglich, wenn es sein muss im Schlaf. Anders als Elinol, der als Hauptmann immer als einer der Ersten in die Schlacht stürmte oder Ithildin, der als Späher sehr nah an die feindlichen Truppen musste, um ihre Stärke zu schätzen und dabei nicht selten in Schussweite geriet und auch ganz anders, als Dhoron, der Schwertkämpfer war und deswegen meist ohne Pferd kämpfte, den Atem seiner Gegner spüren konnte und deren Klingen eigentlich ständig an seinem Lebensfaden sägten.
 

Tuilinn seufzte. Eigentlich war der Elb neben ihr, gemeiner und heimtückischer, als ein Ork und dennoch fühlte sie sich bei ihm sicher. Elinol hatte zu niemandem mehr Vertrauen, als zu seinem Freund und Schwager, der trotz seines Lebens als Killer, noch diese andere Seite hatte. Ein mildes Lächeln huschte über ihre kirschroten Lippen, als sie den verträumten Blick Tawarêns sah, der weit weg schien. Dachte er an Eirien, die Frau, über die er, all die Zeit, die sie ihn nun kannte, Liebeslieder gesungen hatte?
 


 

Sie hatten die Orks eingeholt. Klirrende Klingen schlugen aufeinander und Bogensehnen surrten. Die schwarzen Geschöpfe hatten es ihnen einfach gemacht. Eine breite Schneise war durch das Unterholz geschlagen worden und sogar einige größere Bäume lagen gefällt auf dem feuchten Boden. Orkgebrüll dröhnte durch den dichten Wald, während die Elben meist stumm agierten. Geschmeidig bogen und wanden sich die Körper der Waldelben, ohne dass sie auch nur ein Zeichen der Anstrengung offenbarten.
 

Dhoron schreckte auf, als er neben sich einen kurzen Schrei vernahm. Ruckartig drehte er sich um und sah einen der Elben niedersinken. Starr blickten dessen blaue Augen den Ork an, der zufrieden das verspritzte Blut von seinen Lippen leckte. Schockiert beobachtete Dhoron die Szene. Er kannte den Elb, hatte schon oft mit ihm gescherzt und nun musste er mit ansehen, wie aus der tiefen, klaffenden Wunde auf seinem Bauch Blut heraustrat. Noch nie hatte er einen Elben sterben sehen oder war sich der Brutalität der Orks bewusst geworden. Zum ersten Mal, sah er das, was Elinol, Tawarên und Ithildin bereits kannten; Orks waren schwarze Krieger, die folterten, brandschatzten und aus Spaß töteten. Unfähig sich zu rühren, musste der noch viel zu junge Dhoron zusehen.
 

Der Ork hielt sein Schwert fest umschlossen in der vernarbten, halb verfaulten Hand, als er sich über den noch lebenden, zuckenden Körper beugte. Ein widerliches Grinsen verzerrte sein verstümmeltes Gesicht und Geifer tropfte auf das schöne Elbengesicht unter ihm. Unter Schmerzen bäumte sich der Elbenkörper auf, der Blick war starr, matt und bereits in die Ferne gerichtet, blondes Haar klebte in seinem Gesicht und Speichel floss an den Mundwinkeln hinab.

Voller Hass bebte Dhorons Körpers. Was war das für ein Monster? So etwas sollten Krieger sein? Was war dies für eine grausam Welt?
 

Mit einem wilden, markerschütternden Schrei erhob Dhoron sein Schwert und stürmte auf den Ork zu. Jener schaute kurz von seinem, bereits toten Opfer auf und weitete verschreckt die Augen. Er konnte gar nicht schnell genug reagieren, als die silberne Klinge das erste Mal in seinen Körper gerammt wurde. Irritiert sah er den Mittelblonden an. Tränen glitzerten in den hasserfüllten grünen Augen. Etwas, was den Ork noch mehr befriedigte, als jemanden zu foltern. Blut quoll aus seinem breiten, lippenlosen Mund hervor, den er zu einem höhnischen Grinsen verzog und eine Reihe blutverschmierter Zähne entblößte. Zuviel für Dhoron. Voller Hass, Wut, Trauer und Ekel schlug er auf den Körper ein. Als eigene Schande blieb das bräunliche Orkblut am Elbenkrieger hängen und vermischte sich mit seinen Tränen.
 

Unruhig schaute Tuilinn dabei zu, wie die zurückgebliebenen Elben begannen Zelte aufzubauen. Auch sie schienen sich auf den Regen vorzubereiten. Sorgfältig musterte sie das Volk, zu dem sie bald gehören sollte. Alle hatten sie helle Haare und verschiedenen Varianten, von weiß, silbern bis hin zu mittelblond und ihre Augen waren klar, leuchtend und schienen doch immer abweisend in die Leere zu schauen.
 

Ein Elb hatte besonders ihr Interesse geweckt. Er war etwas kleiner als Elinol, auch seine Haare waren kürzer, dafür heller, aber an den Oberarmen trug er Metallplatten, die sich Schuppenartig überlappten. Ein Teil einer elbischen Rüstung, wie das Mädchen vermutete. Auch hatte sie irgendwo einen Helm gesehen, in einem golden, teilweise grünlich schimmerndem Metall. Nachdenklich betrachtete sie den Elben, der bereits ein drittes Zelt aufbaute und stellte sich die vollständige Rüstung vor. Wie prächtig mussten die Elben darin aussehen, fürstlich, edel, den Feind erschütternd. Beeindruckender, als die Ritter aus Gondor, die sie früher immer mit Mithrandir besucht hatte. Ein einfacher elbischer Krieger sah sicher imposanter aus, als Gondors Statthalter Denethor und seine beiden mutigen, wohlgeratenen Söhne Boromir und Faramir in vollem Kriegsgewand.
 

Gern erinnerte Tuilinn sich an die Besuche in Minas Tirith, der Stadt mit dem weißen Turm, dem Juwel Gondors. Wie oft hatte Boromir, der ältere Sohn Denethors, versucht ihr einen Kuss abzuringen. Wie alt mochte er jetzt sein? Zwanzig oder noch etwas älter? Er war schon immer ein Raufbold gewesen, einem Faust- oder Schwertkampf nie abgeneigt und der ganze Stolz seines Vaters. Faramir war anders gewesen, ruhiger, besonnener, gebildeter und bereits als Kind, ein fabelhafter Stratege, leider waren seinem Vater Tugenden wie Mut, Streitbarkeit und kriegerischer Einfältigkeit anscheinend wichtiger, wodurch er, der bereits als Junge ein fürstlich edles Aussehen und kluge, scharfsinnige Augen gehabt hatte, seinem älteren Bruder nie das Wasser reichen konnte. Wie gern wünschte sie sich diese Zeit zurück. Sich bei diesen egoistischen Gedanken ertappend, schüttelte die Halbelbe ihre blonden Haare. Wie konnte sie nur daran denken, wo ihr geliebter Elinol und ihre Freunde in Gefahr schwebten?
 


 

Stinkender, warmer Atem kam Ithildin entgegen, als der Ork vor ihm, sein Maul zu einem Kampfgebrüll aufriss, während das Vieh hinter ihm seine Streitaxt weit über den Kopf erhob, um zum tödlichen Schlag anzusetzen. Elegant und mit ausdrucksloser Miene, drehte der Elb sein Schwert in der Hand und rammte die Klinge, nah an seinem Körper vorbei, zwischen die Rippen des Angreifers. Das Schwert wurde einmal um die Achse gedreht, wieder herausgezogen, um erneut in der Hand zu rotieren und schließlich den vorderen Orks mit einem Kehlenschnitt zu töten. Der Eine stumm, der Andere, ein, durch sein Blut verursachtes, Gurgeln von sich gebend, kippten beide um. Außer am Schwert, war nicht ein Tropfen orkischen Blutes an dem schönen, elbischen Krieger, der immer noch seelenlos zwischen kurzen, hellblonden Strähnen hindurch, zum nächsten Gegner starrte.
 

Wie ein verwundeter Eber, stürmte ein bulliges, untersetztes Exemplar, mit flammenden Augen auf den aufgerichteten Elben zu, der lediglich sein Schwert noch einmal in der Hand drehte, um einen besseren Halt an dem glatten, schneeweißen Griff zu haben. Der Ork stoppte und begann Ithildin mit Seitwärtsbewegungen zu umkreisen und den eigentlichen Angriff hinauszuzögern, doch der Elb blieb ruhig. Seine Augen folgten den orkischen Bewegungen scheinbar nicht, sondern blieben an einem fernen Punkt hängen, nur gelegentlich blitzte in ihnen ein leuchtendes Blau auf, dass fast zu einem Violett umschlug, ein Zeichen dafür, dass er etwas fixierte. Seine Augen konnten weit sehen, denn er stand direkt in der Schneise, welche die Orks rücksichtslos in den Wald geschlagen hatten.
 

Immer noch vollführte der Ork seinen Halbkreis. Seine vierfingrige Klaue erhöhte oder verringerte nervös den Druck um den, mit einem rauen Lederband umwickelten, hölzernen Griff seines überlangen Schlachtmessers mit der vertikal hochgebogenen Spitze. Wie aus einem inneren, nicht mehr kontrollierbaren Drang heraus, stürmte er los, das Schwert hoch erhoben und zum Nieder- und Dreinschlagen bereit. Der Angriff kam zu schnell. Nicht ein Muskelzucken hatte den Ork zuvor verraten und Ithildin hatte kaum noch Zeit, zu reagieren. Mit einem weit ausgeholten Schlag, versuchte er zu parieren, konnte jedoch nur das Schwert wegschlagen und verlor dabei auch noch sein eigenes. Der Ork zögerte nicht lange. Große, vernarbte, mit kleinen eiternden Wunden übersäte Klauen, legten sich blitzschnell an den elbischen Hals und drückten zu. Gierig und befriedigt traten die ockerfarbenen Augen hervor, als Ithildin das erste Mal leise nach Luft schnappte. Leichter blauer Schimmer setzte sich an der Innenseite der Lippen ab. Um sein Leben kämpfend, griff der Hellblonde nach den Handgelenken des Gegners und versuchte diesen mit schmerzhaftem Druck zu Loslassen zu zwingen. Der Ork blieb unbeeindruckt und drückte den elbischen Krieger auf den Boden zurück.

Etwas knackte unter Ithildins Füßen. Flüchtig blickte er zu Boden und sah die Überreste seines Bogens, der bereits im Kampf zerbrochen wurde. Er spürte bereits den Boden unter seinem Rücken und die zweite Bogenhälfte, die teilweise von seinem Körper bedeckt wurde. Die Waffe war einst aus gutem, sehr harten Holz geschnitzt wurden und nur die blinde Gewalt eines Orks hatte sie nach all den Jahrhunderten zerstören können. Die gesplitterte Spitze der Hälfte piekste schmerzhaft in Ithildins Seite und er konnte spüren, wie an der Stelle Blut hervortrat.
 

Die orkischen Augen strahlten erfreut auf, als immer mehr Glanz und Leben aus Ithildins Augen wich. Die Lippen waren nun dunkelblau angelaufen und verzweifelt, aber immer noch würdevoll versuchte er Luft zu holen. Ab und an entwich ihm ein leises, stimmloses Krächzen. Eilig tasteten seine Finger nach der Bogenhälfte. Der Ork bemerkte es nicht, umso überraschter war er über den plötzlichen Schmerz. Irritiert rollten seine Augen umher, um einen Anhaltspunkt dafür zu erfassen und blieben schließlich an einen Stück gebogenen Holz hängen, das unterhalb seiner Rippen im Körper steckte und den Ork aufspießte. Es war schon fast unheimlich, wie viel Kraft der Elb dafür aufbringen musste und das in einem fast verlorenen Todeskampf.
 

Vor Schmerz brüllend sprang der Ork auf, nur um einen Meter weiter auf die Knie zu fallen und vornüber zu kippen. Der Schmerz ließ seinen Körper immer wieder aufzucken und es würde sicher noch Minuten dauern, bis er endgültig.

Hustend richtete Ithildin sich auf und fasste sich an den zusammengequetschten Hals. Wackelig stellte er sich wieder auf die Beine und sammelte sein Schwert ein. Ihm war schwindelig und der Hals schmerzte höllisch, aber die Schlacht war noch nicht vorbei. Sie mussten die Orks vernichten, bevor sie noch weiter in den Wald fliehen konnten, denn dort gab es größere Gefahren für Elben, als ein paar stinkende, hinterlistige Narbengesichter.
 

Legolas' Schwerter surrten durch die Luft, bevor sie sich tief in orkische Körper schnitten. Er war ein wenig verwundert darüber, dass im Wald viel mehr Orks waren, als sie anfangs gejagt hatten. Es machte ihn ein wenig stutzig, dass die Hälfte der eigentlich Herde sich wohl versteckt gehalten hatte; das war alles andere als orktypisch, viel zu strategisch für diese Marionetten.

Etwas entfernt konnte er Elinol sehen, der seinen Bogen längst fort geworfen hatte, da sämtliche Pfeile längst verschossen waren und nun mit seinem, fast zierlich anmutenden, Schwert, dessen lange Klinge leicht gebogen war, weiterkämpfte. Es war nicht zu übersehen, dass er sich nur durch die Orks durchkämpfte, wie durch zu dichtes Unterholz. Er wollte woanders hin, an ein Ziel und mit Schrecken erkannte Legolas nun wohin.
 

Rote, flammende Augen starrten emotionslos auf das Schlachtfeld. Ungerührt sahen sie Elinol näher kommen. Ihre Blicke trafen sich und heißes Feuer prallte auf eiskalte Ruhe. Nicht ein Bluts- oder Schweißtropfen zeugte von der Anstrengung, die der Elb gerade hinter sich hatte. Seine Augen waren matt und die schwarzen Pupillen schienen mit dem Dunkelgrün zu verschwimmen. Ein blau-violetter Schatten huschte über die Iris und vom umgebenen Gemetzel unbeeindruckt stand der Honigblonde da und starrte auf den dunklen Ork. Fast wie ein verzerrtes Spiegelbild wirkte es. Kein Muskelzucken, Wimpernschlag oder tiefer Atemzug bewegte die Körper, nur die Augen flammten ruhig auf oder wurden von blauen Schatten durchzogen.
 

Eine Ewigkeit oder nur eine Sekunde später, riss der Ork seine Augen los und brüllte lauthals in die Luft. Augenblicklich ergriffen die kämpfenden Orks in alle Richtungen die Flucht. Ihr Anführer warf einen letzten, verhöhnenden Blick zu Elinol, bevor er, für seine Rasse außergewöhnlich, nahezu würdevoll in der Finsternis der kommenden, dichtstehenden Bäume verschwand. Ein außergewöhnliches Exemplar seiner Rasse, vielleicht ein General unter ihnen, zu bedeutend, um sein Leben in der Schlacht zu opfern.
 

Wut packte Elinol. Er konnte und wollte ihn nicht entkommen lassen. Es musste ein Ende finden, noch bevor Tuilinn das Gebiet der Waldelben erreichte. Der Elb war sich sicher, solange dieser Ork lebte, konnte das Mädchen nie völlig sicher sein. Mit einer gekonnten Drehung, steckte er sein Schwert zurück in die Scheide auf seinem Rücken. Der graue Elbenmantel aus Lórien flatterte heftig auf, als Elinol scheinbar kopflos losrannte, um den Rotäugigen nicht zu verlieren.
 

"Elinol, bleib hier!" brüllte Legolas seinem Vasallen hinterher, doch dieser ignorierte ihn.

"Elinol, ich befehle es dir!"

Doch dieser war bereits im Dickicht umgestürzter Bäume verschwunden und rannte dorthin, wo Finsternis herrschte und der Boden karg war, da kein Lichtstrahl durch die hohen, uralten Bäume drang. Legolas runzelte besorgt die Stirn. Der Rotäugige führte Elinol immer näher an Dol Guldur heran, dort wo Sauron einst wieder erwacht war. Eine Falle, es roch unverkennbar nach einer Falle und Elinol war blind hineingerannt, dabei war es doch sonst nicht seine Art. Kein Elb, der kühler oder besonnener agierte, selbst der König fürchtete sich manchmal vor der stoischen, kühlen Berechnung des Honigblonden. Was war so wichtig an diesem Ork?

Kopfschüttelnd wandte Legolas sich an die anderen Elben und biss sich kurz auf die Lippe. Schwankende Gestalten und kaum mit Blut bespritzte Krieger, ein ungleiches Bild. Argwöhnisch betrachtete er Dhoron, der über und über mit Blut beschmiert war. Sein edles Gesicht war völlig rot und die langen Haare verklebt, Trauer stand in seinen Augen. Er musste wie ein Berserker gekämpft haben. Neben ihm wankte Ithildin. Rote und violette, fast schwarze Striemen wanden sich um seinen Hals. Fragend blickte er seinen Prinzen an, der nur wieder den Kopf schütteln konnte und mit der Schwertspitze in Elinols Richtung zeigte.

"Der Narr rennt in den Tod, direkt nach Dol Guldur."

Ithildin seufzte und musste sich, vom Schwindelgefühl übermannt, an Dhoron abstützen.

"Er will es zu Ende bringen, sonst werden sie uns noch im Schlaf überraschen", krächzte er mit dünner, kaum hörbarer Stimme.

Verstehend nickte Legolas und gab das Zeichen zum Abzug.

"Dann sollten wir beten, das sämtliche Valar ihm beistehen werden."

Ungläubig glotzte Dhoron den schönen Prinzen an.

"Werden wir ihm nicht folgen?"

Etwas überrascht schielte Legolas zu dem viel jüngeren Elben.

"Und uns auch in Gefahr bringen? Wir sollten uns erst um die Verletzten und um die Toten kümmern."

Ein bedauernder, schmerzerfüllter Blick huschte über die toten Körper der gefallenen Elben.

"Nehmt sie mit!" ordnete der goldblonde Prinz an.

"Niemals sollen sie dunklem Getier als Nahrung dienen."
 


 

Vorsichtig streckte Tuilinn die Hand aus dem Mantel hervor und fing die ersten Tropfen auf. Bedrückt schaute sie zu, wie ein Tropfen in ihrer Handfläche zu unzähligen kleinen zersprang.

"Tuilinn, komm ins Zelt, du wirst sonst ganz nass", hörte sie Tawarên hinter sich. Nur langsam drehte sie sich zu ihm um und konnte die Zelte sehen. Es waren etwa fünf, die Dächer von den Ästen getragen und die Wände aus Stoffbahnen bestehend, die von Stamm zu Stamm gespannt waren. Auch die wenigen Pferde, die noch da waren, meist Lasttiere, an denen zu sehen war, dass die Waldelben sich auf eine längere Jagd vorbereitet hatten, standen trocken unter einem Baldachin.
 

"Tuilinn, komm!", rief Tawarên erneut. Die ersten Tropfen wichen immer schneller, ganzen Bindfäden und das Mädchen stand immer noch vor der Baumgrenze. Vorsichtig blickte sie in den grauen Himmel. Aus irgend einem Grund fühlte sie sich leer, gar nicht mehr sie selbst. Tropfen fielen auf ihre Augen und sie musste blinzeln. Der Herbst war da und hatte eine graue, undurchdringliche Wolkendecke mitgebracht.

"nallach?"[1] hörte sie sich selber den Himmel fragen.

Erste salzige Tränen vermischten sich mit dem Regen, der auf ihr Gesicht fiel. Sie war traurig, so unendlich traurig. Angst nagte an ihrer Seele und nur mühevoll konnte sie diese verdrängen. Sie wollte nicht weinen, nicht jetzt und dabei fehlte ihr nun soviel. Wieso hatte sie nur dieses unbestimmte Gefühl, Elinol nicht mehr fühlen zu können?

"amman nallach?"[2] fragte sie den stummen Himmel erneut.

"pedo nin! cuia daer nîn?"[3]

Regen prasselte auf die zierliche Gestalt nieder und drohte sie zu erdrücken, doch der Himmel blieb stumm. Fröstelnd zog sie den Mantel enger, bevor sie sich schließlich doch zu den Zelten begab.
 


 

Elinol blieb stehen. Einige verwelkte Blätter hingen an seiner Kleidung. Vor ihm stand er, doch die rotglühenden Augen, waren kaum zu erkennen, da ein breiter Lichtstrahl durch das sturmgeschädigte Blätterdach brach und den pflanzenlosen, nackten Waldboden gnadenlos enthüllte. Mit einem grunzenden Geräusch trat das Schattenwesen in das Licht. Hohn funkelte in seinen Augen, als er den aufrechten Elben musterte.

"Was willst du, Elinol Brethilion?" fragte der Ork mit einer tiefen, kratzigen, selten benutzten Stimme.

Wenn der Angesprochene überrascht war, so wusste er dies gut zu verbergen. Mit leerem Blick sah er den Rotäugigen an und schien auf dessen weiteres Vorgehen zu warten, jedoch musterte er das Vieh recht genau. Etwas seltsam Bekanntes strahlte der untote Elb aus. Elinols Hirn versuchte das Gesicht des Elben, der er einst war zu rekonstruieren. Was war es nur? Dieser Glanz in den Augen, weit hinter der roten Iris, oft gesehen und schmerzlich vermisst, obwohl gehasst. Er kannte diese Augen, dieses Gesicht, doch wer von ihnen war es?
 

"Geh Elinol!" raunte der Ork und ein gefährliches Funkeln blitzte in den Augen auf. Der Honigblonde rührte sich nicht, sondern sah das Wesen weiterhin schweigend an.

"Geh oder stirb", erweiterte der Ork seine Forderung, die er mit einer raschen Bewegung seines Armes unterstrich.

Ein Luftzug fegte durch die honigblonden Haare und etwas Blut tropfte auf Elinols Brust. Quälend langsam wurde die Klinge des orkischen Schwertes zurückgezogen, wobei sich die dornartige, vertikal auf der Klinge sitzende Spitze durch die helle Wange des Elben schnitt. Ein feiner roter Streifen verunstaltete das sonst gleichmäßige, attraktive Gesicht, wie der Ork mit Genugtuung feststellte, doch wurde seine Freude von der Tatsache getrübt, dass der Waldelb nicht einmal mit der Wimper zuckte. Stoisch ließ er es über sich ergehen und blickte das Schattenwesen weiterhin unverhohlen an. Die schmale Oberlippe zuckte unregelmäßig nach oben und entblößte spitze, faulige Zähne.

"Ioreth ist mein. Sie gehört mir, nur mir."

Seine Stimme war nur noch ein hasserfülltes Fauchen und Zischen.

"Dummkopf", sagte Elinol trocken.

"Ioreth war sterblich. Du glaubst doch nicht etwa im Ernst, dass sie nach fast 300 Jahren noch am Leben ist?"

Irritation zeichnete sich im Gesicht des Orks ab, wurde jedoch schnell wieder von Gier und Hass verdrängt.

"Sie lebt. Sie lebt und ich werde sie mir holen. Sie ist mein, nur mein."

Das letzte Wort hatte er wütend herausgebrüllt und machte damit umso deutlicher, dass Reden sinnlos war. Elinol ergriff sein Schwert.

"Ich werde nicht zulassen, dass du auch nur ein Haar von berührst."

Überrascht blickte der Ork auf das helle Schwert, dann in das Gesicht des Gegners und wieder auf das Schwert. Ein tückisches Grinsen verzerrte seinen lippenlosen Mund, welches Elinol nun doch verwirrte.

Zu spät hörte er Zweige hinter sich knacken. Im Augenwinkel sah er etwas auf seinen Kopf zustürzen. Dumpfer Schmerz und Schwärze folgte. Stumm kippte er vornüber, während ein weiterer Ork, sich wie ein Schatten zu seinen Füßen aufbaute. Zufrieden schaute der Rotäugige auf den regungslosen Elb nieder. In seiner eigenen, hässlichen Sprache fauchte er den anderen Ork an, der Elinol daraufhin an den Füßen packte und hinter sich herzog. Das helle, nun mit Blut verschmierte, elbische Schwert, ließen sie achtlos liegen. Für derartige Waffen hatten sie keine Verwendung.
 


 

Ungeduldig wartete Legolas auf die Rückkehr der beiden Soldaten, die Elinol suchen sollten. Er war an einen Baum gelehnt und schaute in die Richtung, in der sie verschwunden waren und das schon vor Stunden. Endlich tauchten blonde Schöpfe aus dem Schatten auf. Mit zusammengezogenen Brauen bemerkte Legolas, dass es nur zwei waren, aber sie trugen etwas bei sich, ein Schwert, Elinols Schwert. Was ist mit ihm geschehen? War er tot? Wo war er? Wo war dann seine Leiche?
 


 

Von Hufgetrappel und Pferdewiehern geweckt, richtete Tuilinn sich kerzengerade in der wackeligen Hängematte auf. Sie hatte ein Zelt, nur für sich und statt eines Bettes, eine leinene Hängematte, die an zwei starken Ästen gebunden war. Stimmen drangen durch den starken Regen zu ihr. Sie waren wieder da. Eilig und voller Vorfreude auf Elinol sprang sie auf und zog sich eilig Stiefel an und Mantel über, um so schnell wie möglich aus dem Zelt zu stürmen.

Ihre Augen huschten über den Lagerplatz und sahen einige Verletzte, die ihn eines der Zelte gebracht wurden. Trauer und Besorgnis hing wie eine Gewitterwolke über allem. Den Mantel enger ziehend, um dem Regen so wenig wie möglich Angriffsfläche zu bieten, schritt sie weitgreifend zu dem Zelt, das für Legolas und die Offiziere bestimmt war.
 

Sämtliche Köpfe drehten sich zum Eingang, wo Tuilinn ruckartig den Vorhang zur Seite geschoben hatte. Das leichte Lächeln erstarb in ihrem Gesicht, als sie die Runde inspizierte. Trauer und ungesprochene Worte standen allen ihm Gesicht geschrieben. Sie bemerkte Dhorons bedauernden Blick und musterte diesen nun sehr genau. Der Regen hatte das meiste Blut längst abgewaschen, doch klebte immer noch etwas in seinen Haaren und machte Tuilinn eine ungefähre Vorstellung davon, was passiert war. Wieder wanderten ihre Augen durch die Runde.

"Wo ist Elinol?" fragte sie unsicher, in der Hoffnung mit ihrer Vermutung falsch zu liegen.

Betroffen schaute Legolas sie an, als er zur Seite trat und den Blick auf einen kleinen Tisch, der aus übereinander gestapelten Gras- und Moosstollen bestand. Ein Tuch bedeckte die großen Pflanzenstollen und etwas lag darauf. Neugierig trat das Mädchen einen Schritt darauf zu und blieb erstarrt stehen. Das Tuch war voller Blutflecken und darauf lag ein Schwert. Die zierliche, leicht gebogene Klinge blutverschmiert und etwas Dreck war auf dem weißen, mit elbischen Zeichen verzierten Griff.

Sie kannte das Schwert, besser als jedes andere. Verwirrt blickte sie auf und schaute wieder in die Runde, die aus Legolas, Dhoron, Tawarên und Ithildin bestand. Hilflos sah sie Tawarên an, doch dieser sah nur weg. Es war ihm zuviel, dem Mädchen alles erklären zu müssen. Ihre schockierten blau-grünen Augen wanderten zu Ithildin.

"Ithildin, wo ist Elinol?"

Ihre Stimme zitterte unbarmherzig und nur schwerlich konnte sie die Tränen zurückhalten. "Wir wissen es nicht, rodwen", antwortete Legolas schließlich. Augenblicklich spürte ihren hilflosen, ängstlichen Blick auf sich ruhend. Ihre Augen bewegten sich hastig und musterten jede Regung im Gesicht das Prinzen.

"Er...er ist verschollen."
 

Verschollen! Das Wort war wie ein Hammerschlag. Verschollen im dunkelsten Gebiet des Düsterwaldes. Das war dem Tod gleichzusetzen. Selbst ein Elb wie Elinol, konnte dort nicht allein überleben. Tagsüber war es schon gefährlich, aber nun war die Nacht hereingebrochen.

Schockiert legte Tuilinn ihre Hand auf den Mund und versuchte die ersten Schluchzer zu unterdrücken. Ihr war schlecht, richtig schlecht. Ungläubig und fassungslos schüttelte sie den Kopf. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Die ersten heißen Tränen rollten ihre Wange hinab und tropften auf ihre Hand. Ihr war der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Vorsichtig streckte Tawarên seine Hand nach dem zitternden Mädchen aus, doch da drehte sie sich bereits um und rannte aus dem Zelt zurück in den Regen.

"Tuilinn?"

Dhoron war bereits einen Schritt vorgegangen und wollte ihr hinterher, als eine Hand auf der Schulter ihn zurückhielt. Es war Legolas, der ihn eindringlich ansah.

"Lass sie. Sie braucht jetzt Zeit für sich."

Irritiert sahen die grünen Augen auch zu den anderen Beiden, die nur betroffen und zustimmend nickten.
 


 

Unbarmherzig prasselte der Regen durch die Blätter hindurch auf den kleinen Körper, der sich immer weiter vom Lager entfernte. Ihr war kalt, so schrecklich kalt. Die Ungewissheit über Elinols Schicksal bohrte sich tief in ihr Herz und ließ es sich schmerzend zusammenkrampfen. Was, wenn er tot war? Der Gedanke ließ sie nicht los. Es tat weh, so furchtbar weh auch nur daran zu denken. Das durfte einfach nicht sein.

"Elinol..."

Schluchzend und vom Weinen entkräftet, lehnte sie sich an den nassen Stamm eines Baumes. Schutzsuchend schlangen ihre Arme sich um ihren Körper. Ihre verweinten, bereits geröteten Augen starrten stur in den Wald hinein.

"den anno ad nin! Nin anno ad melethron nîn!"[4]

Ihr Schluchzen verschluckte die letzten Worte. Es war so sinnlos, alles war einfach nur noch sinnlos. Was sollte sie den ohne ihn machen, wo er doch das Wichtigste in ihrem Leben geworden war? Ihr Herz schmerzte und ihre Knie wurden weich. Kraftlos rutschte sie am Stamm entlang auf den Boden. Ihre Arme umarmten ihren zitternden Körper immer noch.

"den anno ad nin..."[5] Unaufhörlich tropfte der kalte Regen auf sie nieder und vermischte sich mit ihren Tränen. Ihr Kummer war unermesslich und machte sie taub für ihre Umgebung. Sie wollte ihn nur wiederhaben. Sie wollte nur noch, dass der Wald ihn wieder aus seinen Klauen entlässt.
 

[1] "Weinst du?"

[2] "Warum weinst du?"

[3] "Sag mir, lebt mein Bräutigam?"

[4] "Gib ihn mir wieder! Gib mir meinen Liebsten zurück!"

[5] "Gib ihn mir wieder..."



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