Amnesia von nyappy_Aki (Sasuke x Sakura) ================================================================================ Kapitel 3: Dein Lachen ---------------------- . . . „Erzählen Sie mir von den Gefühlen die Sie hatten, als Uchiha-san Ihnen etwas über ihre Vergangenheit erzählt hat.“ Die klare Stimme des Arztes drang zu ihr durch. Auf seinem weißen Arztkittel stand der Name Hatake Kakashi geschrieben. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie dem keinerlei Achtung geschenkt, dafür staunte sie umso mehr, wie jung und frisch dieser Mann vor ihr wirkte. Er hatte seine Lehre sicherlich erst vor wenigen Jahren abgeschlossen und war nun ein angestellter Arzt der neurologischen Abteilung. Das Gerät auf ihrem Kopf, das sie äußerlich an eine Schwimmmütze erinnerte, wog seltsam schwer auf ihrem Kopf. Mehrere Kabel führten zu einem Messgerät, das ihre Gehirnaktivität in Frequenzen verzeichnete. Es war das erste Mal, dass sie eine Elektroenzephalografie machte und irgendwie bereitete es ihr ein wenig Angst. Sie griff unbewusst nach Sasukes Hand und schloss die Augen, sodass sie sich die Gefühle ins Gedächtnis rufen konnte. Sie dachte zurück an den Moment, als Sasuke die Entscheidung getroffen hatte auf sie zuzugehen, während sie an der Küste auf ihn gewartet hatte. Ein äußerst erleichtertes Gefühl beschlich sie von innen heraus und verteilte sich in ihrem ganzen Körper. Das Elektroenzephalogramm zeichnete auffällige Wellen. Ihre Gedanken zogen weiter zu dem Tag des Abschiedes. Die Zufriedenheit schwand mit einem Mal und machte einem bedrückenden Gefühl Platz. Trauer schwang mit und auch eine auffällige Spur von Bedauern. Sakura fiel es schwer diese Emotionen in Worte zu fassen. Sie gab sich Mühe, es dem Arzt so verständlich wie möglich zu machen. Die Wellen nahmen eine andere Form an. Kakashi machte sich indes mehrere Notizen auf einem vorgedruckten Dokument. „Unser erster Kuss“, sprach sie leise und rang sich zu einem dezenten Lächeln durch. Etwas in ihrem Bauch kribbelte. Eine angenehme Wärme drang durch ihren Körper. Wieder änderte sich dieses Gefühl schlagartig. Ihr Körper verkrampfte sich, ihre Augenbrauen zogen sich angestrengt zusammen und sie presste die Lippen hart aufeinander. „Wut.“ Unkontrolliert drückte Sakura die Hand ihres Ehemannes fester. „Trauer.“ Sasuke wandte schuldbewusst den Kopf zur Seite, als Kakashi ihm einen durchdringenden Blick zuwarf. „Enttäuschung.“ Das Muster der Wellen wurde immer asynchroner, was auf eine starke emotionale Belastung hin deutete. Beide Männer schwiegen. Es nahm noch einige Sekunden in Anspruch bis Sakuras Gefühle wieder ins Gleichgewicht kamen. „Das war sehr gut, Sakura-san.“ Sie öffnete die Augen und ließ sich von Kakashi das Gerät vom Kopf nehmen. Ihr Blick ging zu Sasuke, der auf sie einen leicht ungeduldigen Eindruck machte. Er war auf die Ergebnisse dieser Untersuchung vermutlich mehr gespannt als sie selbst.   „Anhand dieser Aufzeichnungen kann ich ihnen erst einmal nur ein grobes Ergebnis mitteilen. Detaillierte Informationen erhalten sie, sobald die Auswertung vorliegt.“ Sasuke nickte wissend und wartete auf das Zwischenergebnis. Kakashi besah sich die einzelnen Frequenzströme noch einmal, dann wandte er sich seiner Patientin und ihrem Mann zu. „Es ist deutlich zu erkennen, dass Ihr Gehirn auf starke emotionale Ereignisse reagiert. Ihre rechte Gehirnhälfte wird hierbei besonders stark beansprucht. Sie speichert autobiographische Erinnerungen wie beispielsweise den ersten Kuss. Ereignisse, die mit starken Emotionen verbunden sind, speichert das Langzeitgedächtnis eher – Sie können sich diese folglich besser merken. Bisher ist Ihr Gehirn allerdings nur in der Lage die Gefühle wieder aufzurufen, die mit diesen Erinnerungen zusammenhängen. Das mag zwar geringfügig klingen, kann aber durchaus als Fortschritt angesehen werden. Da all unsere Erinnerungen miteinander verknüpft sind und Sie keine schwerwiegenderen Schädelverletzungen aufweisen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich nach und nach erinnern werden.“ Erleichterung machte sich in Sasuke breit. Er hatte so sehr gehofft, dass Kakashi genau das sagen würde: Dass es sich hierbei um einen Fortschritt handelte. Obwohl er sie darauf hinwies, dass es sich lediglich um ein Zwischenergebnis handelte, konnte Sasuke nicht anders, als sich darauf zu verlassen. „Vielen Dank, Hatake-san.“ Wieder starrte Kakashi ihn mit diesem scharfsinnigen Blick an, als versuche er tief in Sasukes Inneres zu schauen. Sasuke war es unangenehm und so zog er seine Frau an der Hand, um sie zur Tür zu geleiten. „Ich melde mich bei Ihnen, sobald das Ergebnis da ist.“ Sakura bedankte sich eilig bei ihrem Arzt, dann verließ sie zusammen mit Sasuke das Hospital.   Sie überquerten eine Straße und begaben sich unter die Zivilbevölkerung. Sakura war verwirrt. Stand das Auto nicht in der kleinen Seitenstraße, an die sie gerade vorbeigelaufen waren? „Wo gehen wir hin?“ Sakura sah auf ihre Hand, die Sasuke nach wie vor hinter sich her zog. Seit ihrer Ankunft im Krankenhaus hatte er sie nicht ein einziges Mal losgelassen, obwohl sie ursprünglich diejenige war, die sie ergriffen hatte. „Das Auto steht ganz woanders“, verwies sie und nahm an, dass er es womöglich vergessen hatte. Sie hatte ein bisschen Mühe mit seinem Tempo Schritt zu halten. Andererseits wollte sie nicht länger hinter ihm her laufen, weshalb sie sich mit einem kleinen Sprint an seine Seite begab. „Ich weiß“, war seine flüchtige Antwort. Verwundert sah sie ihn an, doch er schien sie nicht weiter beachten zu wollen, geschweige denn auf ihre Neugier Rücksicht zu nehmen. Sie wollte stehen bleiben und protestieren, da sprach er plötzlich weiter. „Ich führe dich aus.“ Seine Mundwinkel hoben sich ein wenig. Sakura festigte den Griff um seine Hand und blieb ruckartig stehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als es ihr gleichzutun. „Meinst du das ernst?“ Sasuke war verwirrt angesichts der Entrüstung, die in ihrer Stimme mitschwang. „Sollte ich nicht?“ Sie ließ seine Hand los und machte eine Geste, mit der sie auf ihren gesamten Körper deutete. „Du willst, dass ich mit dir essen gehe“, sie wies auf die schwarzen Leggins, den Jeansrock und das Top hin, „in dieser Aufmachung?“ Sasuke sah sie weiterhin verdutzt an. „Ich hatte nicht vor ein Nobelrestaurant zu besuchen“, machte er deutlich, doch Sakura gab sich damit nicht zufrieden. „Du hättest mir ruhig früher sagen können was du vorhast.“ „Das war eine spontane Entscheidung“, erklärte er und schmunzelte. Er erinnerte sich an Augenblicke zurück, in denen Sakura so ähnlich wie jetzt reagiert hatte. Sie war keineswegs ein Modepüppchen oder jemand, der stets ganz penibel auf sein Aussehen achtete. Aber sie legte dennoch Wert auf ihr Äußeres und kleidete sich gerne den Anlässen entsprechend. Er hätte sich eigentlich denken müssen, dass sie seine Idee kritisieren würde. Sie war ja immerhin kein anderer Mensch, sondern immer noch seine Sakura. Sie seufzte tief. Sasuke ergriff diese Gelegenheit und schnappte sich ihre Hand. „Du siehst gut aus“, beruhigte er sie. Ein verschmitztes Lächeln huschte kurz über sein Gesicht. In seinen Augen sah Sakura immer irgendwie gut aus, egal was sie trug. „Und jetzt komm.“ Er duldete keine Wiederede und zog sie wieder hinter sich her. Sakura fühlte sich seltsam beflügelt durch seine Worte, von denen sie nicht einmal genau wusste wie ernst er sie in Wirklichkeit meinte. Ihr Herz pochte wild gegen ihre Brust ohne, dass sie es hätte beeinflussen können. Sie konnte nicht sagen was es war, aber irgendetwas an diesem Mann schien sie förmlich magisch anzuziehen. Insgeheim wünschte Sakura sich, dass es nicht nur daran lag, dass sie ihn einst geliebt hatte. Es wäre um einiges schöner, wenn sie im Nachhinein sagen konnte, sie hätte sich von Neuem in ihn verliebt.   Sie betraten das Restaurant und nahmen an einem Zweiertisch Platz. Trotz der Größe machte die Gaststätte auf Anhieb einen gemütlichen und ruhigen Eindruck. Sakura sah sich nachdenklich um. Sie hatte das Gefühl schon einmal hier gewesen zu sein. „Dieser Ort kommt mir irgendwie bekannt vor … Waren wir schon mal hier?“, fragte sie an Sasuke gerichtet. „Gut möglich.“ Sie plusterte die Backen auf. „Mensch, Sasuke“, tadelte sie ihn, „drück dich doch bitte etwas klarer aus.“ Es interessierte sie wirklich und er erlaubte sich hier einen Scherz mit ihr. Das war ja echt nicht zu fassen! „Was denkst du?“ Nun fühlte sie sich wirklich auf den Arm genommen. „Sasuke! Mir ist nicht nach Raten zumute.“ Sie nörgelte wirklich ungern, aber er ließ ihr ja keine andere Wahl. „Erinnerst du dich noch, wie du dich damals bei mir für deinen Vater entschuldigt hast?“ Das war zwar nicht direkt das was sie hören wollte, aber es brachte sie trotzdem ans Ziel. Sie brauchte nur wenige Sekunden, bis ihr ein Licht aufging. Mit offenem Mund schaute sie sich ein zweites Mal um, diesmal genauer. Es war lächerlich das zu glauben, aber auf einen Schlag kam ihr alles wesentlich vertrauter vor als noch vor wenigen Minuten. Eine Kellnerin trat an ihren Tisch und riss Sakura aus ihrem Staunen heraus. „Was darf ich Ihnen bringen?“ Sakura schnappte sich eilig die Speisekarte, während Sasuke bereits seine Bestellung aufgab. Sie tat es ihm gleich und dann waren sie wieder unter sich. „Wir waren öfter hier, hab ich recht?“ Etwas überrascht von ihrer plötzlichen Schlussfolgerung nickte er und wartete auf eine Erklärung. „Du hast nicht einen Blick in die Speisekarte geworfen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass das unser Stammlokal ist, aber wir haben uns hier auf jeden Fall mehrmals verabredet.“ Sasuke bestaunte ihre Aufmerksamkeit und Cleverness. Obwohl es ihn eigentlich gar nicht mal so sehr überraschen sollte, denn diese Eigenschaften besaß sie auch schon vor ihrer Amnesie.   „Du bist aufmerksamer, als ich von dir erwartet hätte“, neckte er sie – und wie so meist biss sie an. „Was soll das bitteschön heißen?“ Empört verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Hältst du mich etwa für blöd? Deine eigene Ehefrau?“ Er konnte sich ein reserviertes Lächeln nicht länger verkneifen. „Das würde ich niemals tun.“ In seiner Stimme schwang der Sarkasmus mit, den er ihr mit voller Absicht präsentierte. „Hey, was soll dieser spöttische Unterton?“ „Ich weiß gar nicht wovon du redest.“ „Und ob du das tust.“ Sie drückte ihm ihren Zeigefinger gegen die Brust, doch er ließ es nur unbeeindruckt über sich ergehen. „Du bist ein gemeiner Kerl, ist dir das bewusst?“ Ihr Herz schlug unkontrolliert höher, als er nach ihrer Hand griff. Stumm öffnete er sie und drückte ihre Finger sachte gegen seine Brust. Sie spürte seinen Herzschlag und sah ihn erwartungsvoll an. Da er sich allerdings nicht regte, schloss sie die Augen und lauschte dem Rhythmus seines Herzens. Dieses Geräusch übte eine seltsam beruhigende Wirkung auf sie aus. Sie nahm nichts anderes mehr von ihrer Umgebung wahr. Ihre Herzen schlugen im Einklang, schnell und in regelmäßigen Abständen.     Stimmen um sie herum wurden lauter. Vor ihrem inneren Auge sah sie das Restaurant, in dem sie sich befanden. Zwei Menschen saßen an einem Tisch und unterhielten sich miteinander. Immer wieder lachte die weibliche Person, als würde der Mann ihr Gegenüber Witze erzählen. Was er in Wirklichkeit aber gar nicht tat. Die Umrisse der beiden waren verschwommen, die Gesichter kaum zu identifizieren. Und doch spürte sie, dass sie etwas miteinander verband, was man mit Worten nicht zu beschreiben vermochte. „Du bist ein Schelm, hör auf damit.“ Die junge Frau bekam sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Sie wusste genau, um wen es sich handelte. Die Gestalten nahmen klare Formen an. Es war sichtlich merkwürdig sich selbst zu sehen, auch wenn sie wusste, dass das nicht die gegenwärtige Realität war, die sich vor ihren Augen abspielte. Es war, als würde sie in ihr eigenes Spiegelbild blicken und doch auch nicht.  „Warum sollte ich? Dich scheint es ja prächtig zu amüsieren.“ Seine Lippen bebten, als verspüre er das Bedürfnis zu lachen, hielte sich aber mit aller Kraft zurück. Schon wieder. Sakura verstummte, dann nahm sie seine Hand in ihre. „Lach doch auch mal ein bisschen“, bat sie mit einer sanften und zugleich besorgten Stimme. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie befreiend sich das anfühlen kann. Außerdem“, sie machte eine rhetorische Pause, „ist Lachen außerordentlich gesund. Glückliche Menschen leben länger.“ „Wer sagt denn, dass ich unglücklich bin?“ „Niemand. Aber du machst manchmal den Eindruck, als würde dir etwas Entscheidendes fehlen. Etwas, das nicht einmal Ich dir geben kann.“ Gedankenverloren fuhr sie die Konturen seiner Hand nach. „Ich würde alles dafür tun, damit du richtig glücklich sein kannst.“ Sasuke entzog seine Hand ihrer und legte sie stattdessen in ihren Nacken. Dann zog er sie zu sich heran und küsste sie kurz, aber innig. „Du tust mehr für mich, als du dir vorstellen kannst.“ Wirklich zufrieden war sie mit dieser Bemerkung nicht, trotzdem flatterten augenblicklich hunderte von Schmetterlingen durch ihren Bauch.     Es war ein berauschendes Gefühl und so intensiv, dass es auch dann noch präsent war, als sie ihre Augen wieder aufschlug. Sie nahm die Hand von seiner Brust und starrte ihm schweigend in die onyxfarbenen Augen. Etwas Magisches lag in der Luft. Und es war fast greifbar. Wäre die Kellnerin nicht jeden Moment aufgetaucht, hätte sie wohl noch minutenlang so verweilt. Die Speisen und Getränke wurden ihnen serviert, doch Sakuras Gedanken kreisten nur um zwei Dinge: Zum einen hatte sie sich gerade an ein Ereignis erinnert, wovon Sasuke ihr nichts erzählt hatte. Das war großartig und sie konnte es kaum abwarten, ihn darüber zu informieren. Aber vorher wollte sie die andere Angelegenheit ansprechen. Ihr Essen blieb unangetastet, dann fragte sie: „Wieso lachst du eigentlich nie, Sasuke?“ Der Uchiha sah von seinem Essen auf, in das er gerade hineinbeißen wollte. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit dieser Frage hatte er hier und jetzt nicht gerechnet. Vor ihrem Unfall hatte sie ihm genau zwei Mal diese Frage gestellt. „Ich weiß, dass ich dich das früher schon mal gefragt habe. Aber da ich mich nicht mehr daran erinnern kann …“ Sie führte ihren Satz nicht zu Ende. Sasuke legte Messer und Gabel beiseite und nahm einen Schluck von seinem Rotwein. Er machte einen unschlüssigen Eindruck auf sie. Als ringe er mit sich, ob er ihr die Wahrheit sagen oder ihr eine Lüge auftischen sollte. Augenblicklich fragte er sich, ob er ihr jemals den wahren Grund genannt hatte. „Etwas in mir hält mich davon ab.“ Sie staunte über seine Antwort, obgleich sie nicht aufschlussreich genug war. Er klang ehrlich und das war ihr im Moment am wichtigsten. „Was hält dich davon ab?“, hakte sie nach. Ihr nachdrücklicher Blick war ihm ein wenig unangenehm, doch nichts im Vergleich dazu, wenn Fremde ihn so ansahen. Zögernd antwortete er: „Die Erinnerung an jenen Tag.“ Sakura mochte es nicht, wenn man jemandem in einem Gespräch alles aus der Nase ziehen musste. Dennoch hatte sie so viel Anstandsgefühl sich just zurückzunehmen und ihm die Zeit zu gewähren, die er brauchte. Sie wollte ihn auf keinen Fall in Bedrängnis bringen. Wenn, dann sollte er ihr freiwillig erzählen was Sache war.   Geduldig wartete sie darauf, dass er weiter sprach. Er wirkte gedankenverloren und einsam, sodass das Bedürfnis immer stärker in ihr pochte, ihn in die Arme zu schließen. „Ich war noch ein kleiner Junge, als ich mit meiner Familie unterwegs war. Wir fuhren mit dem Auto durch die Stadt. Mein Bruder und ich erzählten uns andauernd lustige Geschichten. Manchmal lachten sogar unsere Eltern mit. Es war immer etwas Einzigartiges zu sehen, wie die strenge Miene meines Vaters sich entspannte und er anfing sich zu amüsieren.“ Sasuke machte eine Pause, in der er erneut einen Schluck seines Weins nahm. Sakura ahnte, wie die Geschichte enden sollte. „Niemand hat es kommen sehen. Ein anderes Auto fuhr direkt in unseres hinein.“ Er nahm einen größeren Schluck, als wolle er damit seine Sorgen ertränken. „Meine Eltern waren auf der Stelle tot. Ich mache mir keine Vorwürfe, denn ich weiß, dass der andere Fahrer den Unfall zu verschulden hat. Allerdings …“ Eigentlich hätte Sasuke gar nicht mehr weitersprechen müssen. Sie verstand, worauf er hinaus wollte. „ ‚Wie kann ich lachen, wenn sie es nicht mehr können?‘ Die Frage ist albern“, wertete er selbst, noch bevor sie es hätte tun können, „aber sie lässt mich zusammen mit der Erinnerung bis heute nicht los.“ Der Stuhl knarrte beim Zurückschieben, doch das kümmerte Sakura nicht. Wortlos ging sie um den Tisch herum und ignorierte dabei Sasukes irritierte Haltung. Sie stellte sich neben ihn hin, streckte die Hände nach ihm aus und schlang liebevoll die Arme um ihn. Sasuke war viel zu durcheinander, um sofort darauf reagieren zu können. Er konnte nicht leugnen, dass ihm diese zärtliche Geste gut tat. Vor allem wenn er bedachte, dass sich Sakura an ihre gemeinsame Zeit noch immer nicht erinnern konnte. Das machte den Moment noch bedeutender, als er ohnehin schon war. Er legte eine Hand auf ihren Rücken und genoss den Augenblick. Sie spendete ihm mehr Trost, als sie es mit Worten je hätte tun können.   Wenig später setzte sich Sakura zurück an ihren Platz. Sasuke sah nun wesentlich erleichterter aus. Sie glaubte zwar nicht daran, dass er von heute auf morgen bedingungslos lachen können würde, aber etwas sagte ihr, dass er auf dem richtigen Weg dahin war. „Du, Sasuke?“ „Mhm?“ „Wieso hast du mir das erzählt?“ Sakura war heute für erstaunlich viele Überraschungen gut, die sich wiederum in seinem Gesicht widerspiegelten. Er verstand nicht ganz worauf sie hinaus wollte. „Ich meine, wieso ausgerechnet jetzt und nicht schon vor meinem Unfall? Dass deine Eltern nicht mehr am Leben sind, wusste ich bestimmt, nur die Details nicht.“ Das war eine berechtigte Frage, die ihn zum Nachdenken anregte. Wenn er ehrlich war, hatte er sich so intensiv gar keine Gedanken darüber gemacht. „Vielleicht gerade deswegen.“ Sakura legte den Kopf schief. „Wie meinst du das?“ Er benötigte ein paar Sekunden, um die richtigen Worte zu finden. „Du bemühst dich, deine Erinnerungen wiederzufinden und Schritt für Schritt auf mich zuzugehen. Meine Bemühungen liegen darin, offen und ehrlich dir gegenüber zu sein. Das letzte was ich will ist, dich von mir zu stoßen.“ Das ergab durchaus Sinn, wie Sakura fand. „Danke“, lächelte sie und brachte damit sein Herz zum Stehen.     +++     „Brumm! Brumm!“ Ein Spielzeugauto fuhr durch die selbst erbauten Straßen, die mindestens die halbe Fläche des Wohnzimmers einnahmen. Tsubasa ließ das Auto um die Ecke abbiegen, dann krabbelte er weiter. „Stopp, die Ampel ist rot.“ Eine tiefe, aber sanftmütige Stimme brachte Tsubasas Auto zum Stehen. Das graublaue Haar des 33-jährigen Mannes war zu einem Zopf zusammengebunden und fiel ihm lose über die Schulter. Seine Augen waren so dunkel wie die Nacht selbst, ganz im Gegensatz zu dem kleinen Jungen, mit dem er gerade spielte. „Sie ist wieder grün, du kannst weiterfahren.“ Tsubasa ließ sich das nicht zwei Mal sagen und fuhr los. Er blieb bei einem Parkplatz stehen und betrachtete den Truck, der nur darauf wartete zum Einsatz zu kommen. „Ich bin jetzt da“, sagte er und sah den Mann neugierig an. „Gut, dann steig ich jetzt in meinen Truck“, er bewegte Zeige- und Mittelfinger wie zwei Beine auf den Spielzeugwagen zu, „und dann können wir losfahren. Starte schon mal deinen Motor, Tsubasa.“ Der Kleine tat wie von ihm verlangt wurde und gab erneut einen brummenden Laut von sich. Als er sah wie sein Mitspieler den Truck einfach ausparkte, protestierte er. „Du schummelst, Onkel Itachi! Du musst den Motor anmachen, sonst kann dein Auto ja gar nicht fahren.“ Da hatte er nicht ganz Unrecht, wie Itachi sich eingestehen musste. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. „Ich wollte nur sehen, ob du auch gut aufpasst.“ In Wirklichkeit kostete es ihn einen Teil seiner Überwindung, um ebenfalls kindliche Laute von sich zu geben. „Von wegen.“ Tsubasa schmollte. „Du kannst ruhig zugeben, dass du es vergessen hast.“ Dabei war Itachi derjenige, der Tsubasa erst vor wenigen Sekunden an das Anschalten des Motors erinnert hatte. Aber wie war das noch gleich mit der kindlichen Naivität? Itachi gab sich geschlagen. „Na gut, du hast mich erwischt. Wo hab ich nur meinen Kopf gelassen?“ „Das frage ich mich auch manchmal.“ Itachi stutzte. Tsubasa legte gelegentlich eine freche Art an den Tag, die ihn stets aus der Bahn warf. Das hatte der Kleine definitiv von seinen Eltern vererbt bekommen. „Mami und Papi sagen immer, man darf nicht lügen. Außer wenn es wirklich, wirklich notwendig ist. Sie nennen das ‚Notlüge‘. Aber die darf man nur ganz selten benutzen.“ Es war offensichtlich, was Tsubasa seinem Onkel damit sagen wollte. Itachi bestaunte die Auffassungsgabe seines Neffen. Stolz fuhr er ihm durch das blaue Haar. „Da hast du ganz recht, kleiner Mann. Ich werde es nicht noch einmal tun.“ Tsubasa nickte zufrieden, dann deutete er auf die Spielzeugautos. „Los Onkel, starte endlich den Motor“, verlangte er ganz aufgeregt. Itachi entfuhr ein leises Lachen. Schließlich war jede Scheu verschwunden. Mit einem dumpfen Brummen ging der Motor des Trucks an, dann fuhren sie los.   Gegen Abend saßen Itachi und Tsubasa gemeinsam auf der Couch, schauten sich eine Kinderserie im Fernsehen an und füllten ihre Mägen mit leckeren Sandwiches. Ein schrilles Klingeln der Tür erregte ihre Aufmerksamkeit. Itachi konnte gar nicht so schnell gucken, da landete Tsubasas Sandwich zurück auf seinem Teller und er verschwand aus seinem Blickwinkel. „Das sind bestimmt Mami und Papi!“, rief er voller Vorfreude. Prompt stand er vor der Haustür und wartete auf seinen Onkel, denn er selbst würde niemals ohne Erlaubnis einfach öffnen. Immerhin konnte er nicht sicher sein, dass nicht doch jemand Unbekanntes vor der Tür stand. „Schneller, Onkel.“ Ungeduldig hüpfte Tsubasa auf und ab. „Immer mit der Ruhe, ich komme ja schon.“ Irgendwie war es ganz süß wie sehr sich Tsubasa darauf freute, seine Eltern wiederzusehen. Und das, obwohl er sie erst heute Morgen das letzte Mal gesehen hatte. Itachi selbst freute sich natürlich auch. Der letzte Besuch von Sasuke und seiner Familie lag schon einige Wochen zurück. Er wusste über den Unfall und was er bei Sakura für Schäden angerichtet hatte genauestens Bescheid. Als Sasuke Tsubasa heute früh bei ihm abgegeben hatte, hatte er gleichzeitig seinen Besuch am Abend angekündigt. Sakura würde sich an Itachis Gesicht nicht mehr erinnern können. Auf diese Veränderung sollte er sich lieber  schnell eingewöhnen, wenn er ihr nicht verkrampft gegenübertreten wollte. Itachi öffnete die Tür. Sein Blick huschte flüchtig über Sasukes Gesicht. „Hallo, Bruder.“ Dann wanderte sein Blick zu Sakura herüber. Sie sah ihn mit großen Augen an – als würde sie ihm zum ersten Mal in ihrem Leben über den Weg laufen. Obgleich er es sich nur denken konnte, so war er sich sicher, dass sie just Vergleiche zwischen ihm und seinem kleinen Bruder zog. Sie sahen sich ähnlich, daran bestand kein Zweifel. Vermutlich fragte sie sich gerade, ob sie charakterlich auch einander so sehr ähnelten wie äußerlich. Itachi bekam nur nebensächlich mit, wie Tsubasa sich von seinem Vater auf den Arm hoch heben ließ. „Hallo, Sakura“, sprach er sie direkt an und lächelte freundlich. Er hielt es nicht für nötig sich vorzustellen, das würde Sasuke sicher längst erledigt haben. „Kommt doch rein“, bat er die beiden und trat zur Seite. Sie nahmen Platz im Wohnzimmer, während Itachi ihnen frischen Tee zubereitete. Tsubasa schnappte sich derweil sein Sandwich wieder und setzte sich auf den Schoß seines Vaters, von wo aus er seine Eltern gut beobachten konnte. „Er sieht dir so ähnlich“, flüsterte sie Sasuke zu, nachdem sie sichergegangen war, dass Tsubasas Konzentration voll und ganz der Kinderserie gewidmet war. „Genau so hast du damals auch reagiert“, gab Sasuke amüsiert zurück. Sie beide schwiegen, als Tsubasa von seiner Serie aufsah und seine Mutter erwartungsvoll betrachtete. „Was hat der Arzt gesagt, Mami? Tut dir noch irgendetwas weh? Hat er dich wieder ganz gesund gemacht?“ Sakura musste unweigerlich kichern. Sie hatte noch nie so ein süßes Kind gesehen und hierbei handelte es sich sogar um ihr eigenes. Sie hätte stolzer gar nicht sein können. Tsubasas Miene hellte sich auf als er sah, wie unbeschwert seine Mutter lachte. „Nein, mir tut nichts mehr weh. Aber deine Mami muss sich regelmäßig vom Doktor durchchecken lassen, damit es ihr auch weiterhin gut geht.“ „Damit kann ich leben.“ Er stimmte in ihr Lachen ein und auch Sasuke konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.   Mit einem vollen Tablett in der Hand kehrte Itachi ins Wohnzimmer zurück. Er stellte es auf den Tisch ab und ließ den Tee ziehen. Wieder spürte er die neugierigen Blicke Sakuras auf sich. „Wie geht es euch?“, begann er das Gespräch, als hätte sich nichts verändert. Schließlich mussten sie darauf achten was sie sagten, damit Tsubasa keinen Verdacht schöpfte. Seine Aufmerksamkeit galt zwar inzwischen wieder der Kinderserie, aber er könnte trotzdem jederzeit Wortfetzen aufschnappen, die nicht für seine Ohren bestimmt waren. „Ganz gut“, kam es von Sasuke. Es gab vieles was hätte besser sein können, aber das brauchte er hier nicht erläutern. Außerdem wollte er sich über die Fortschritte freuen, die Sakura machte. Als sie ihm beim Essen von ihrer Erinnerung erzählt hatte, beschloss er, ab sofort weniger darüber nachzudenken was früher war, sondern die kleinen Erfolge in den Mittelpunkt zu stellen. „Was habt ihr denn heute so Schönes gemacht?“, fragte Sakura, um sich an dem Gespräch zu beteiligen. Sie kannte ihren Schwager zwar nicht mehr, aber das Interesse, ihn von Neuem kennenzulernen, war durchaus präsent. Angesichts der Tatsache, dass er Sasuke vom Aussehen her so ähnlich war, fiel es ihr gar nicht mal so schwer. „Wir haben Straßen gebaut und sind dann mit unseren Autos hin und her gefahren. Danach haben wir zusammen ein paar Bilder ausgemalt.“ Er deutete auf das Malbuch und die Buntstifte, die quer verstreut in der anderen Ecke des Tisches lagen. „Das klingt nach ganz viel Spaß.“ Sakura war positiv überrascht von ihrem Schwager. Dass er als Mann mittleren Alters so gut mit Kindern konnte, obwohl er selbst keine hatte, freute sie ungemein. Tsubasa verbrachte sicherlich gerne Zeit bei seinem Onkel. „Den hatten wir“, bestätigte er. Allein an diesem Satz erkannte Sakura, wie gern er seinen Neffen haben musste. Denn nicht nur Tsubasa hatte das Spielen Spaß gemacht, sondern auch Itachi. Sie konnte in seinem fröhlichen Gesicht sehen, wie ehrlich er es meinte. „Habt ihr Hunger? Tsubasa und ich haben zusammen Reisbällchen gemacht.“ Wieder trieb ihr Schwager ein stolzes Lächeln auf ihre Lippen. Tsubasa hatte seinem Onkel beim Kochen also unter die Arme gegriffen, so so. „Tsubasa hat ein Talent für Handarbeit. Seine Reisbällchen sehen erstaunlich gut aus. Er überrascht mich immer wieder aufs Neue.“ Sasuke strich seinem Jungen langsam durch das volle Haar. Er war so stolz wie ein Vater auf seinen Sohn nur sein konnte. Mit einem letzten Happen verschlang Tsubasa das letzte Stück seines Sandwiches. Sasuke nahm ihm den Teller ab und stellte ihn auf den Tisch. Wie auf Knopfdruck ruckte Tsubasas Kopf in Sakuras Richtung. Vergessen war die Serie, die er ursprünglich verfolgte. „Mami, Mami! Rate mal, was Onkel Itachi und ich heute zusammen gemacht haben.“ Voller Elan wedelte er mit den Händen herum und Sakura griff nach ihnen. Obwohl Itachi ihnen gerade eben davon erzählt hatte, wollte sie ihrem Sohn die Freude nicht nehmen. „Lass mich überlegen … Ihr habt gemalt?“ Sie zeigte auf das Buntstifte hinter Tsubasa. Er sah kurz hinter, dann erstrahlten seine Augen von Neuem. „Ja, das auch. Aber das meine ich nicht. Wir haben was viel Aufregenderes gemacht! Soll ich dir einen Tipp geben?“ Sakura kicherte leise. „Das wäre super.“ „Ok. Also, es hat was mit Essen zu tun.“ Tsubasa bemerkte nicht, wie Sasuke und Itachi sich ein Lachen verkneifen mussten. Sein Tipp war mehr als das – er hatte soeben die Lösung auf einem Präsentierteller geliefert. „Also, ich würde sagen, ihr habt zusammen gekocht. Ist das richtig?“ Er nickte eifrig mit dem Kopf. „Willst du auch wissen was wir gekocht haben?“ „Liebend gern.“ „Warte, ich zeig es dir.“ Fröhlich sprang Tsubasa vom Schoß seines Vaters herunter und stürmte in die Küche. Die drei Erwachsenen sahen ihm nach. Ein einziger Mensch konnte eine solche Wärme in ihren Herzen erzeugen, die mit Worten nicht zu beschreiben war. Nach nur wenigen Sekunden kehrte der kleine Mann zu seiner Familie zurück. In seinen Händen hielt er ein Reisbällchen in Form eines Dreieckes, das er Sakura reichte. „Hier, probier mal. Es schmeckt wirklich lecker.“ Sakura nahm die Speise entgegen und drückte ihm zum Dank einen Kuss auf die Wange. „Danke, Tsubasa-chan.“ Dann biss sie in den Reis hinein, während Tsubasa sie neugierig musterte. Sie kaute und schluckte den Bissen herunter, dann sagte sie: „Das schmeckt wirklich gut.“ Tsubasa strahlte über beide Ohren. „Nicht wahr?“ Er wandte den Blick zu Sasuke, der das bis hierher nur stillschweigend und mit einer unverkennbaren Zufriedenheit im Gesicht verfolgt hatte. „Ich hol dir auch eins, Papi.“ Tsubasa war so schnell verschwunden, dass er Sasuke nicht einmal die Gelegenheit gab etwas zu sagen. Er nahm das Reisbällchen seines Sohnes entgegen, obwohl er eigentlich gar keinen Hunger hatte. Aber weil er seinen Sohn nicht enttäuschen wollte, bedankte er sich und aß das Reisbällchen fleißig auf. Auch er lobte die Kochkünste der beiden, was Tsubasa unendlich freute.   Nach ein paar Schäkereien und alltäglichen Gesprächsthemen war es an der Zeit für die Familie den Heimweg anzutreten. Tsubasa hatte der Schlaf bereits vor zehn Minuten eingeholt. In den sicheren Armen seines Vaters erholte er sich und sollte erst aufwachen, wenn die Sonne wieder hoch am Himmel stand. „Besuch uns doch mal“, lud Sakura ihren Schwager ein. In der kurzen Zeit, die sie just miteinander verbracht hatten, war er ihr überaus sympathisch vorgekommen. Sie mochte ihn und konnte sich gut vorstellen, dass sie Tsubasa früher gerne in seine Obhut gegeben hatte. Da Itachi Freiberufler war und seine Tätigkeiten somit Zuhause ausüben konnte, stellte dies anscheinend selten ein Problem dar. Jedenfalls hatte ihr Sasuke heute Morgen mit seinem Vorschlag, Tsubasa hierher zu bringen, nicht den Eindruck vermittelt, als nehme sich Itachi selten Zeit für seinen Neffen. „Gerne. Ich melde mich, passt gut auf euch auf.“ „Mach’s gut.“, sagte Sasuke, während Sakura dem älteren der Uchiha-Brüder zuwinkte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)