Amnesia von nyappy_Aki (Sasuke x Sakura) ================================================================================ Kapitel 2: Wiedersehen ---------------------- . . . Eine Schaukel wippte auf und ab. Auf ihr saß ein kleiner Junge, der schon stolze vier Lebensjahre hinter sich hatte. Seine Hände umklammerten fest das kalte Metall, das kettenartig ineinander verflochten war und so für die Stabilität der Schaukel sorgte. Sasuke befand sich in sicherer Entfernung hinter seinem Sohn und schaukelte ihn nun schon seit geschlagenen fünf Minuten. „Höher! Noch ein bisschen höher!“, verlangte Tsubasa und bekam sogleich seinen Wunsch erfüllt. Ein herzhaftes Lachen ließ diesen kleinen Spielplatz zu neuem Leben erwachen. Kinder waren das einzige, wofür ein Ort wie dieser überhaupt geschaffen worden war. Tsubasa war gerne hier, auch wenn es heute anders war als sonst. Denn eine wichtige Person fehlte: Seine Mutter, Sakura. Sie saß auf einer Parkbank gegenüber dem Spielplatz und sah den beiden beim Spielen zu. Sasuke ließ den Schwung der Schaukel abklingen, bis er sie schließlich ganz zum Stehen brachte. Tsubasa setzte sich erst hin, dann sprang er in den weichen Sand. Seine Hand griff nach Sasukes Hose und zupfte an dieser herum. Nur wenige Sekunden später saß er auf dem gemütlichen Arm seines Vaters. „Du, Papi“, begann er und wirkte, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Sasuke ahnte fast, was nun auf ihn zukam. „Ich glaube, Mami hat mich doch nicht mehr lieb.“ Er strich seinem Sohn durch das azurblaue Haar. „Du irrst dich. Mami hat dir doch selbst gesagt, dass sie dich immer lieb haben wird, egal was auch passiert.“ Tsubasa warf einen Blick zu seiner Mutter, die ziemlich teilnahmslos wirkte. Dann schmiegte er sein Gesicht in die Halsgrube seines Vaters. Die Nähe, die er bei seiner Mutter vergeblich suchte, fand er seit ihrem Unfall nur noch bei seinem Vater. „Hey …“ Besorgt tätschelte er den kleinen Kopf. „Wovor hast du Angst?“ Er spürte, wie Tsubasas Körper zitterte. Statt einer Antwort bekam er ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. „Rede mit mir, Tsubasa“, sprach Sasuke fürsorglich. Selten hatte er seinen Sohn so verzweifelt erlebt wie in diesem Moment. „Mami benimmt sich so komisch, seitdem sie wieder wach geworden ist.“ Kein Wunder, dachte sich Sasuke. Die Frau hatte immerhin fast all ihre Erinnerungen verloren und mit ihnen alle, die mit ihrer Familie zusammenhingen. Wie hätte er es übers Herz bringen können, Tsubasa diese Situation zu schildern? Der Kleine war für sein Alter ganz schön intelligent. Dass er die Lage begriff, daran zweifelte Sasuke nicht im Geringsten. Das Problem befand sich eher auf psychischer Basis. Wie konnte ein fast vierjähriger Junge mit der Erfahrung umgehen, dass seine Mutter sich nicht an ihnen erinnern konnte? Dass sie ihn vergessen hatte? Für ihn würde eine Welt zusammenbrechen und dieses Risiko wagte Sasuke nicht einzugehen.   „Ich glaube, sie hat das damals nur gesagt, damit ich aufhöre zu weinen. Aber in Wirklichkeit hat sie mich gar nicht mehr lieb. Jedenfalls nicht so sehr wie früher.“ Wieder ein Schluchzen. Sasuke wippte seinen Sohn leicht hin und her und lief ziellos umher. „Ich kann dir versprechen, dass das nicht stimmt. Du musst wissen, deine Mami ist immer noch sehr erschöpft. Sie hat mit ein paar Schwierigkeiten zu kämpfen und es wird seine Zeit brauchen, bis sie wieder ganz die Alte ist.“ „Wie lange wird es ungefähr dauern?“ „Das weiß ich leider nicht.“ „Kannst du nicht den Doktor fragen?“ Sasuke schüttelte den Kopf. „Der kann uns bei dieser Frage auch nicht weiterhelfen.“ Tsubasa nickte nachsichtig, auch wenn er alles andere als zufrieden war. Als er sein Gesicht wieder auf die andere Seite drehte, blickte er in mintgrüne Augen. Kurz glaubte er in sein eigenes Spiegelbild zu schauen, bis ihm bewusst wurde, dass es die Augen seiner Mutter waren. Sie sahen tatsächlich erschöpft aus, wie sein Vater es ihm eben erklärt hatte. Vielleicht machte er sich ja wirklich nur zu viele Sorgen? Er wollte seiner Mutter keine Dinge unterstellen, die nicht wahr waren und sie am Ende nur enttäuschten. Tsubasa wusste nicht, wie er jetzt reagieren sollte und senkte den Kopf. Dadurch bemerkte er nicht die vielsagenden Blicke, die seine Eltern miteinander austauschten. „Tsubasa-chan.“ Sein Kopf fuhr ruckartig hoch. Das war das erste Mal seit ihrem Erwachen, dass sie ihn so nannte. Sasuke hatte ihr heute Morgen davon erzählt, dass sie ihren Sohnemann gerne mit diesem Anhängsel gerufen hatte. Es verfehlte seine Wirkung nicht, denn Tsubasas Körperhaltung entspannte sich augenblicklich ein wenig. „Lass uns ein bisschen spielen.“ Freude zeichnete sich in seinen Augen ab und er strahlte über das ganze Gesicht. Er hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass Sakura heute noch mit ihm spielen würde. Aber wie es aussah, hatte sein Vater recht behalten und er selbst fehlinterpretierte die ganze Angelegenheit nur. „Darf Papi auch mitmachen?“, fragte er ganz aufgeregt und griff noch im selben Moment nach jeweils eines ihrer Hände. „Aber natürlich“, lachte Sakura leise und folgte ihrem Sohn zum Sandkasten.   Wenig später kam eine dreiköpfige, junge Familie auf den Spielplatz zugelaufen. Sakura wurde das Gefühl nicht los, als hätte sie sie schon einmal irgendwo gesehen. „Kann es sein, dass ich diese Familie hier öfter angetroffen habe?“, flüsterte sie Sasuke zu, dessen Haltung sie nicht definieren konnte. „Ich habe heut früh mit ihnen telefoniert.“ Sakura horchte auf. Er kannte sie? „Das sind Uzumaki Naruto, Hinata und Daisuke.“ „Sind das Freunde von uns?“ Er nickte. „Ich kenne Naruto schon von klein auf.“ Das erklärte natürlich so einiges. Der kleine Junge namens Daisuke, der nur ein Jahr älter als Tsubasa war, rannte auf die andere Familie zu. „Tsubasa!“, rief er voller Freude, sodass auch Tsubasa alles stehen und liegen ließ und sich zu seinem Freund gesellte. Nicht nur Sakura betrachtete dies mit einem Lächeln, denn alle anderen Anwesenden taten es ihr gleich. „Komm, ich stell dich ihnen vor.“ Sasuke hielt ihr seine Hand hin, obgleich er sich nicht sicher war, ob sie sie auch ergreifen würde. Doch sie tat es und zusammen begaben sie sich zu ihren Freunden. Sakura merkte auf Anhieb, dass der blonde Mann sich nur mit Mühe zusammenreißen konnte nicht in Tränen auszubrechen. Die Frau mit dem violetten, langen Haar hingegen wirkte gefasst, obgleich sie ihre Sorge nicht zu verbergen versuchte. Irgendwie tat es ihr leid, dass sie sich nicht an sie erinnern konnte. Es musste schwer für ihre Freunde sein zu akzeptieren, dass sie einfach vergessen wurden. Wie musste es dann ihrem Mann ergehen? Sie drückte seine Hand leicht, woraufhin er sie kurz verwirrt ansah. „Sakura-chan“, sagte Naruto plötzlich und zog die Oberlippe hoch. Dadurch sah er aus wie ein kleines Kind, das kurz davor war loszuheulen. Hätte Sasuke ihn heute früh am Telefon nicht darauf hingewiesen, dass er sich zurückhalten solle, wäre er nie so wortkarg gewesen. Schließlich überwand er den Abstand zu der Haruno und nahm sie fest in den Arm. Er würde ihr nicht zu viel auflasten, aber seiner Freude nicht wenigstens Ausdruck zu verleihen, konnte Sasuke einfach nicht von ihm erwarten. Das war schlicht und ergreifend zu viel verlangt. Überrumpelt von dieser Geste regte sich Sakura kaum. Ihre Arme hingen orientierungslos in der Luft. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht! Ich dachte schon, du würdest nie wieder aufwachen.“ Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte was sie mit ihren Händen anstellen sollte, ließ Naruto sie wieder los. Seine blauen Augen musterten sie und sie konnte nicht anders, als es ihm gleichzutun. „Wir hatten solche Angst um dich.“ Hinata stellte sich dazu und lächelte. Ihr Lächeln hatte etwas, das Sakura auf merkwürdige Weise besänftigte. „Wenn Sasuke nicht gewesen wäre, wäre ich vermutlich durchgedreht“, gestand Naruto und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Sonst bin ich eigentlich immer derjenige der anderen Mut zuspricht.“ Er sah dankbar in Sasukes Richtung, doch der wandte nur den Kopf zur Seite, wo er den Kleinen beim Spielen zusah. „Erzählt mir doch ein bisschen etwas über euch“, sagte Sakura und setzte sich mit ihnen auf die Parkbank, um ihre Freunde besser kennenzulernen. +++     Zwei vollgefüllte Teetassen standen auf dem quadratischen Holztisch im Wohnzimmer. Dampf stieg auf und erfüllte den Raum mit einem angenehm süßen Duft. Sakura wärmte sich ihre Finger an dem glatten Porzellan, auch wenn die Umgebungstemperatur recht angenehm war. Sasukes Hände waren ein wenig kalt, zumindest hatte sie das immer so empfunden, sobald sie diese berührte. Sie sah ihn im Blickwinkel auf sich zukommen. Seine Schritte waren so leise, dass sie ihn unter normalen Umständen nie gehört hätte. Sie konnte sich denken, dass er sich damit früher gerne einen Spaß gemacht hatte. „Schläft er?“, fragte sie, als er sich ihr schräg gegenüber an den Tisch setzte. Er nickte bestätigend. „Der Tag hat ihn ganz schön geschafft.“ Er dachte daran zurück, wie Tsubasa und Daisuke gegen Ende hin mehrere Runden Fangen und Verstecken gespielt hatten. Dann ergriff Sakura so unerwartet nach seiner Hand, dass er fast aufzuckte. Er verstand nicht, was sie damit ausdrücken wollte. Geduldig wartete er auf eine Erklärung, während sie seine Hand sachte massierte. „Deine Hände sind immer so kühl.“ Sakura öffnete seine Hand und betrachtete sie intensiv. Sie war groß und schlank, typisch männlich eben. Ein paar kleinere Narben zeichneten sich auf der Außenfläche seiner Haut ab, die sicherlich durch alltägliche Missgeschicke entstanden waren. Sie fuhr diese mit ihren Fingerkuppen nach und erforschte andere Stellen seiner Hand genauer. Sasuke verlor kein Wort, obgleich er sich etwas komisch bei dem Ganzen vorkam. Sie führte seine Hand zu der Teetasse, wie als wolle sie, dass er sich seine Hände daran aufwärmte. „Wie haben wir uns wiedergesehen?“ Sasuke nahm einen Schluck der heißen Flüssigkeit zu sich und dachte nach. Dann atmete er tief ein und führte die Geschichte fort. „Etwa ein dreiviertel Jahr später, am selben Ort …“     Das Wasser peitschte in hohen Wellen gegen die Küste. Inmitten dieser verlassenen Stelle stand eine junge Frau. Der Wind zog an ihr vorbei und brachte ihr die Abkühlung, die sie sich ersehnte. Sie trug ein luftiges, weißes Sommerkleid mitsamt einem großen Sommerhut. Sie reckte den Kopf etwas nach hinten und schloss die Augen. Die Sonne traf ihr Gesicht und erzeugte ein prickelndes Gefühl in ihren Wangen. Zwei Tage war es nun her, seitdem Sakura mit ihrer Klasse hier war. Die Schule war fast vorbei und jeder hatte nur noch sehnsüchtig darauf gewartet, dass die Prüfungszeit um war. Jetzt, da es endlich wieder Sommer war, hatte ihrer Abschlussfahrt nichts mehr im Wege gestanden. Ob es eine Fügung des Schicksals war, dass die Wahl ausgerechnet auf Ôsaka gefallen war? Sie wollte es wissen und doch auch nicht. Eigentlich hatte sie nicht einmal vorgehabt an diesen Ort zu kommen, wo sie ihn damals getroffen hatte. Ihre Füße hatten sie wie von selbst hierher geleitet und sie wusste, sie würde keine Ruhe finden, wenn sie es nicht wenigstens versuchte. Und nun stand sie hier in der Hoffnung, dass er früher oder später auftauchte. Sakura erhoffte sich nicht viel. Sie wollte ihn nur noch ein Mal wiedersehen. Ein einziges Mal. Selbst wenn ihr Herz seit ihrem Abschied verrücktspielte und nach mehr verlangte, reichte ihr ein kurzes Wiedersehen. Es musste, denn mehr würde sie nicht erhalten. Eine Windböe überraschte sie und fegte ihr den Hut vom Kopf. „Halt“, rief sie und versuchte ihn noch zu erwischen, aber ohne Erfolg. Der Wind trug ihn weiter fort, bis er abrupt nachließ. Ihr Blick folgte ihrem Sommerhut, der den Boden fast erreicht hatte – da blieb ihr Herz stehen. Er stand da und fing ihren Hut auf, als wäre er geradewegs das Ziel gewesen. Dann lief er auf sie zu, bis er nur noch zwei Meter von ihr entfernt stand. Wortlos überreichte er ihr ihre Kopfbedeckung und musterte daraufhin ihre gesamte Person. Ihr Haar war kürzer geschnitten, denn es reichte ihr nur noch bis zu den Schultern. Das Kleid verlieh ihr einen beinah unschuldigen Charme. „Sasuke“, hauchte sie und er wandte den Blick wieder zu ihren grünen Iris. „Du bist gekommen.“ Dann lächelte sie. In diesem Moment realisierte er, was dieses unerfüllte Gefühl in seinem Inneren zu bedeuten hatte. Es war, als würde ihm etwas fehlen, was er nur kurzzeitig hatte auskosten dürfen.   „Nein“, korrigierte er sie, „du bist gekommen.“ Schließlich war sie diejenige, die sich dazu entschlossen hatte diesen Ort aufzusuchen. „Ich wollte dich sehen.“ Er trat einen Schritt auf sie zu. „Diesmal hängt mir kein Vater im Rücken“, lachte sie zufrieden über diesen Umstand. Seine Hand berührte ihre Schulter. Erst jetzt bemerkte sie, wie nah er ihr mittlerweile gekommen war. Etwas verunsichert fragte sie: „U-Und wie geht es dir?“ „Gut“, erwiderte er etwas trocken. Nach nur wenigen Sekunden beugte sich Sasuke zu ihr herunter und sie ahnte, was nun auf sie zukam. Sakura lag komplett daneben. Obwohl sein Mund neben ihrem Ohr sie rot anlaufen ließ, war es nicht das, was sie befürchtet hatte. Sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht. „Lust auf eine kleine Fahrt?“ Er entfernte sich von ihr und sah, wie sie eifrig mit dem Kopf nickte. „Ja! Ja, ich will!“ Verdutzt schaute er sie an. Zu spät bemerkte Sakura ihre unglücklich gewählte Wortwahl. Die Röte schoss ihr noch heftiger in den Kopf. „I-Ich meine, ich würde sehr gerne mit dir fahren.“ Sasuke schmunzelte und hielt sich eine Hand vor den Mund, als wolle er sich ein Lachen verkneifen. Ihr fiel auf, dass sie ihn noch nie lachen gehört hatte. Was hinderte ihn daran? „Du darfst mich ruhig auslachen“, machte sie ihm klar, auch wenn sie nicht glaubte, dass er sich nur ihretwegen zurückhielt. Seine überraschte Miene bestätigte dies. „Ich habe dich noch nie lachen gehört. Wovor hast du Angst?“ Angst? Er hatte doch keine Angst! Wie kam sie bloß auf so einen Stuss? „Wovor sollte ich denn Angst haben?“ fragte er spöttisch zurück. „Ich weiß nicht, sag du es mir.“ „Hn!“ Er vergrub seine Hände in die Hosentaschen und wandte sich von ihr ab. Als er an ihr vorbeiging glaubte sie etwas wie „Blödsinn“ aus seinem Mund gehört zu haben, aber vielleicht irrte sie sich auch nur. Sie folgte ihm auf dem Fuß, bis sie vor seinem Motorrad standen. Wie zu erwarten reichte er ihr seinen Helm und blieb selbst ohne Schutz. Sakura mochte es nicht, wenn er ohne Helm fuhr, obgleich sie es ihm hoch anrechnete, dass er es ihr zuliebe tat.     „Wir haben den ganzen Tag miteinander verbracht.“ Sakura blieb in Schweigen gehüllt. Ihre Augen waren geschlossen, damit sie sich das Geschehene vor ihrem inneren Auge besser vorstellen konnte. An einigen Stellen verspürte sie Gefühle, die sie damals anscheinend gehabt hatte. Sie konnte sie nicht genau zuordnen, aber sie wollte einfach daran glauben, dass man das positiv bewerten konnte. Dennoch ärgerte es sie, dass bislang nicht eine einzige Erinnerung zu ihr zurückgekehrt war. Ihre Augenlider hoben sich langsam und sie sah zu Sasuke. „Warst du verliebt in mich?“ Sasuke durchdachte seine Antwort gut, dann sagte er: „Ich bin mir nicht sicher. Ich habe mich zu dir hingezogen gefühlt, das habe ich damals schon nicht abgestritten. Aber ob ich in dich verliebt gewesen bin, ist schwer zu sagen …“ „Was auch immer es war, mit der Zeit ist aus dieser Zuneigung Liebe geworden.“ Sie sagte das so leichtfertig, als könne sie sich wieder an alles erinnern. Sasuke schluckte. Für einen winzigen Moment glaubte er wirklich, es wäre wieder alles so wie früher. Umso bestürzender war es, dass seine Fantasie ihm nur einen Streich gespielt hatte. „Aber“, begann er und konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche, „eines war mir damals durchaus bewusst: Ich wollte dich.“ Irritiert blickte sie ihm entgegen. Es war offensichtlich was er meinte, dennoch traute sie ihren Ohren nicht. „Du meinst …“ Er nickte, noch bevor sie ihren Satz zu Ende aussprach. „Es war schon Abend, als wir zu mir nach Hause fuhren. Wir wollten uns eigentlich noch einen Film ansehen, aber es kam ganz anders …“ Ihre Münder trafen sich, liebkosten einander und lösten sich wieder, nur um das Ganze Sekunden später zu wiederholen. Seine Zunge klopfte gegen ihre Lippen und sie gewährte ihm Einlass. Hitze machte sich in ihren Körpern breit. Ein Schwall von Gefühlen rieselte auf sie nieder, dass kaum einer mehr vernünftig zu denken vermochte. Sie packte ihn am Hinterkopf und drückte sein Gesicht näher an ihres, als gäbe es keine Grenzen. Sie spürte die Wand in ihrem Rücken immer deutlicher, je mehr Sasuke seinen Körper gegen ihren drückte. Seine Hände fuhren über ihren Oberschenkel, streichelten ihre straffe Haut. Doch immer, wenn er den Saum ihres weißen Kleides hoch schieben wollte, kam ihm ihre Hand zuvor und schob das Kleid wieder zurecht. Sasuke ließ sich von seinem Vorhaben nicht so leicht abbringen und versuchte es immer weiter. „Sasuke“, hauchte sie gegen seine Lippen. Er duldete diese Unterbrechung nicht und begann den Kuss von Neuem. Nach zwei weiteren gescheiterten Versuchen und einem festen Griff um ihren Po schob Sakura ihn mit einem leichten Druck von sich. „Nicht, Sasuke.“ Er küsste sie erneut und drückte sein Becken fordernd gegen ihres. „Sasuke, bitte.“ Diesmal reagierte er auf den unterbrochenen Kuss anders. Seine Lippen wanderten über ihren Hals und zeitgleich drückte er ihr Handgelenk gegen die Wand. Die andere Hand kämpfte sich derweil unter ihr Kleid. „Hör auf!“ Vor Sakuras innerem Auge erschienen Bilder von Jungs, die sie auf dieselbe Weise berührt hatten wie Sasuke in diesem Moment. In den letzten drei Jahren hatte sie genau zwei Beziehungen geführt – keine davon hielt länger als eine Woche. Immer wollten sie nur das eine von ihr und wenn sie sagte, dass es ihr zu schnell ging, dann stieß sie auf Unverständnis. Warum glaubten Kerle eigentlich immer, dass man nach dem ersten Kuss gleich miteinander ins Bett springen musste? Wütend hob sie die freie Hand und ehe sie sich versah, traf diese seine Wange. Es knallte laut, dann hielt Sasuke inne und ging einen Schritt zurück. Seine Augen waren geweitet und starrten fassungslos auf das junge Mädchen vor sich. Ihr Blick war glasig, das erkannte sogar er. „Du bist nicht anders als all die anderen Männer!“, warf sie ihm an den Kopf. „Ihr wollt immer nur das Eine! Was bitteschön ist so schwer daran, ein ‚Nein‘ zu akzeptieren? Ich bin doch kein Flittchen mit dem man machen kann, was man will!“   Es verschlug ihm die Sprache. Nie hatte er gewollt, dass sie ihn als so einen Typen ansah. Obwohl er nicht leugnen konnte, dass er in diesem Augenblick tatsächlich nicht besser dastand als genau diese. Er hatte ihre Worte und Zeichen ignoriert, bewusst ignoriert. Sasuke hätte sie nie zu etwas gezwungen, was sie nicht auch wollte. Doch es stimmte, dass er ihren Willen missachtet hatte und lediglich auf sich selbst bedacht war. „Ich dachte, du wärst anders. Verdammt, ich hab ja nicht einmal damit gerechnet, dass du noch etwas mit mir zu tun haben möchtest!“ Es fiel ihr sichtlich schwer die Tränen zurückzuhalten. „Sakura …“ „Ich werde jetzt gehen. Es war schön, dich wiedergesehen zu haben, Sasuke.“ Er sah ihr nach, als sie die Wohnung verließ, dann lehnte er sich gegen die Wand. Sasuke ließ das Geschehene in seinen Gedanken Revue passieren. Was für ein Idiot er doch war … er hatte alles vermasselt. So sehr er auch nach ihrem Körper verlangte, die Situation hätte nie so eskalieren dürfen. Er hatte es zu weit getrieben – und er musste es wiedergutmachen. Sasuke drückte sich von der Wand ab und stürmte aus seiner Wohnung. Auf dem Bürgersteig blieb er stehen und sah sich nach ihr um. Sie war nirgendwo zu sehen, aber sie konnte noch nicht weit sein. In der Hoffnung, dass er den richtigen Weg einschlug, rannte er los.     „War es die richtige Richtung?“ Er lächelte matt, dann schüttelte er den Kopf. „Es hat mich den ganzen nächsten Tag gekostet herauszufinden, in welches Hotel du mit deiner Klasse eingecheckt hast.“ „Wie hast du das angestellt?“ Die Neugierde in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Er tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn. „Köpfchen. Ich habe meinen logischen Menschenverstand eingesetzt.“ Mehr wollte er anscheinend nicht preisgeben, sodass Sakura dazu gezwungen war die Puzzleteile selbst zusammenzufügen. Da er ihr Ehemann war und sie auch nicht erst seit gestern kannte, wusste er anscheinend genau, dass sie das kleine Rätsel mit Leichtigkeit lösen würde. Sakura schlug nachdenklich die Augen nieder, dann wurde es ganz still. Sasuke beobachtete jede noch so kleine Regung in ihrem Gesicht. Nicht einmal zwei Minuten später ging ihr ein Licht auf. Ihr Gesicht strahlte förmlich, als sie ihm die Lösung des Rätsels vorlegte. „Du hast dir alle Jugendherbergen und Hotels herausgesucht, die preislich in einem für Schulabsolventen bezahlbaren Rahmen liegen?“ Entzückt zogen sich seine Mundwinkel nach oben. Er hatte nichts anderes von ihr erwartet. „Richtig. Aber das war noch die leichteste Hürde.“ Sakura zog eine Augenbraue in die Höhe. Wieder konnte er beobachten, wie die Erkenntnis sich in ihre Gesichtszüge mischte. „Du hast jeden einzelnen dieser Beherbergungsbetriebe nach mir abgesucht?“ Er nickte und sie fing an zu lachen. Eigentlich fand er das nicht annähernd so lustig wie sie. Aber gut, wenn sie ihren Spaß hatte, sollte es ihm ganz recht sein. Auch wenn sie sich gewissermaßen gerade über ihn lustig machte. Was Sasuke allerdings nicht sehen konnte war, dass sie mit ihrem Lachen unter anderem versuchte, das Gefühl der Wut zu unterdrücken, das sie bis eben noch empfunden hatte. Sie war nicht wütend auf Sasuke. Vielmehr machte es den Anschein, als könne sie sich wieder in die Situation aus seinen Erzählungen hineinversetzen. Als würde sie dasselbe fühlen wie damals.   Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte nahm sie einen Schluck ihres kalt gewordenen Tees. „Was hast du dann gemacht?“, fragte sie und fühlte sich nun wesentlich entspannter. „Ich hoffe für dich, du hast dich bei mir entschuldigt.“ Natürlich meinte sie das nur spaßig. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, dass sie Sasuke je verziehen hatte, wenn er nicht einmal dazu fähig war sich ehrlich bei ihr zu entschuldigen. Seine Miene blieb unverändert, sodass sie kurzzeitig die Befürchtung hegte, er hätte ihre Worte ernst genommen. Als sich jedoch ein Lächeln auf seinen Lippen bildete, atmete sie erleichtert aus. „Du hast es mir sehr erschwert. Ich weiß gar nicht mehr wie ich Ino, deine beste Freundin, dazu gebracht habe mich einen kurzen Moment mit dir alleine zu lassen, damit wir unter vier Augen miteinander sprechen können.“ „Wo lebt sie?“ Sakura versuchte sich vorzustellen, wie ihre beste Freundin wohl aussehen mochte und was für ein Mensch sich dahinter verbarg. „Ino“, fügte sie hinzu. Obwohl Sasuke mit seiner Antwort zögerte zweifelte sie nicht daran, dass er genau wusste, wen sie meinte. Es war vielmehr, dass sie sich erhoffte das Gefühl von Vertrautheit zu bekommen, wenn sie diesen Namen laut aussprach. Zu ihrer Verwunderung empfand sie es sogar, wenn auch nicht in ausgeprägtem Maße. Aber es war da und das freute sie ungemein. Auf der anderen Seite beschlich sie ein beängstigendes Gefühl. Ihr Gewissen trat zum Vorschein und sie wusste auch genau, warum: Wie konnte sie bei dem Gedanken an ihre beste Freundin Vertrautheit empfinden, sich an ihren Sohn und Ehemann dagegen kein bisschen erinnern? Sasuke nahm Notiz von ihrem Unwohlsein, ohne die Gründe dahinter ausmachen zu können. Irgendwie beschlich ihn das Gefühl, dass er ihr bei dieser Sache nicht helfen können würde, egal wie sehr er sich auch bemühte. Manchmal war es besser dem anderen Zeit zu lassen, um sich auf bestimmte Gegebenheiten und Veränderungen einzustellen. „In Tokyo. Wir fahren regelmäßig dorth-“ Er hielt inne. Ein leises, ziemlich unauffälliges Geräusch aus dem oberen Stockwerk erregte seine Aufmerksamkeit. „Was ist los?“, fragte Sakura, die nichts wahrgenommen hatte. Dann folgte sie seinem Blick zum Treppengeländer, wo sie jedoch nichts Ungewöhnliches ausmachen konnte. Aber er starrte nur weiter an diese Stelle. Man konnte fast meinen er erwartete, dass jeden Augenblick etwas aus der Ecke hervortrat. Sie schluckte. „Sasuke?“, rief sie und verlieh ihrer Stimme Nachdruck. Er reagierte nicht. Stattdessen erhob er sich und sprach: „Tsubasa ist aufgewacht.“   Kurz darauf trat eine kleine Gestalt an die oberste Treppenstufe. Tsubasa war eingehüllt in einen kleinen, braunen Overall. Die dazugehörige Kapuze mit den bärenartigen Ohren bedeckte seinen kleinen Kopf. Nur ein paar Strähnen seines himmelblauen Haares ragten heraus. „Mami?“ Verschlafen griff Tsubasa nach einem Pfosten des Geländers, um kurz darauf die erste Stufe nach unten zu erklimmen. Er überwand noch ein paar Treppenstufen, dann war Sasuke bei ihm und nahm ihn auf den Arm. Sofort schmiegte er sich an die Brust seines Vaters, die Augen halb geschlossen. „Wo ist Mami?“ Sasuke lief mit geschmeidigen Schritten die Treppe herunter. „Ist sie Zuhause?“ Kurz schlossen sich die Augen des kleinen Uchiha, bis er wieder die Kraft fand sich wach zu halten. „Ja“, antwortete Sasuke trocken. Wieder einmal erstaunte es Sasuke, wie viel Informationen Tsubasa unbewusst von seiner Umgebung aufnahm. Kinder hatten oftmals ein außergewöhnliches Gespür für Dinge, von denen viele Erwachsene nur träumen konnten. Tsubasa wusste insgeheim, dass mit seiner Mutter etwas nicht stimmte – dass mehr als nur pure Erschöpfung zu den Konsequenzen ihres Unfalls gehörte. Wie lange würden sie ihm wohl noch etwas vormachen können? Noch bevor sich Sasuke zurück an den Tisch setzen konnte, zappelte Tsubasa in seinen Armen hin und her. Sasuke verstand und ließ den kleinen Mann herunter, damit dieser sich in die Arme seiner liebenden Mutter begeben konnte. Ihr Herz schlug bei diesem Anblick höher. Ein überaus starkes Glücksgefühl machte sich in ihrem Inneren breit, wie sie es noch nie zuvor verspürt hatte. Wie musste sie sich gefühlt haben, als sie diesen kleinen Engel zur Welt gebracht hatte? Sasuke und sie mussten sich als die glücklichsten Eltern der Welt angesehen haben. Sie wollte sich so gerne daran erinnern … Tsubasas Finger gruben sich in ihr Nachthemd, als sie ihn ruhig in ihren Armen wog. Seine Augenlider schlossen sich langsam wieder. „Geh nicht weg, Mami …“, seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern angesichts der Tatsache, dass er kurz davor war in das Reich der Träume zu einzutreten. „Ich gehe nirgendwohin, mein Liebling.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und wandte ihren Blick zu Sasuke. In diesem Moment wirkte er außerordentlich beruhigt und zufrieden. Er war erleichtert darüber, dass es ihr immer leichter fiel ihren gemeinsamen Sohn zu lieben. Wenn sie Zeit benötigte, um sich an ihre Freunde und ihren Ehemann einzugewöhnen, war das schon okay. Es machte die Sache nicht unbedingt einfacher, aber er könnte damit leben. Sich vorzustellen, dass sie zu ihrem eigenen Sohn eine gewisse Distanz wahrte, wäre tausend Mal schlimmer.   Nachdem Tsubasa eingeschlafen war und wieder in seinem gemütlichen Bett lag, machten sich Sasuke und Sakura jeweils abwechselnd bettfertig. Einzig und allein das Licht der Nachtlampen an beiden Seiten des großen Ehebettes erhellte den Raum. Die Gardinen waren zugezogen, sodass sie am nächsten Morgen von jedweden Sonnenstrahlen verschont blieben. Sasuke saß aufrecht im Bett, den Rücken gegen das gepolsterte Kissen gelehnt. Mit seinem Daumen tippte er schnell eine SMS an Sakuras Jugendfreundin Ino, um sie über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren. Es fiel ihr übermäßig schwer sich in Geduld zu üben und nicht auf der Stelle herzufahren, aber es ging nun mal nicht anders. Zuerst wollte er sein nächstes Vorhaben mit ihrem Arzt durchsprechen und dann sah er weiter. Die Tür öffnete sich und Sakura betrat das Zimmer. Schnell schrieb er die Nachricht zu Ende, dann verstaute er sein Handy im Schubfach der Kommode. Er beobachtete, wie Sakura unter die Decke schlüpfte, gleichzeitig aber einen auffälligen Sicherheitsabstand zu ihm wahrte. Natürlich, es war ein Unterschied, wenn sie sich in alltäglichen Situationen nahe waren und wenn sie sich im Bett zu nahe kamen. Obgleich Sasuke ihre Vorsicht nachvollziehen konnte, verletzte es ihn auf eine unpassende Art und Weise. Er versuchte sich nichts davon anmerken zu lassen. Sakura wusste, dass es dämlich war. Sie lernte ihren Mann zwar gerade erst kennen, aber sie konnte mit Sicherheit behaupten, dass er sie nie ohne ihr Einverständnis so berühren würde. Sasuke vermied jeden direkten Körperkontakt zu ihr aus Rücksicht – und das rechnete sie ihm hoch an. Er hatte einen Großteil ihres Vertrauens für sich gewonnen und doch fühlte sie sich unsicher bei dem Gedanken, die Nacht in ein- und demselben Bett mit ihm zu verbringen. Bisher war sie wenigstens immer vor ihm eingeschlafen und nach ihm aufgewacht, sodass sie davon kaum etwas mitbekommen hatte. Diesmal war es anders. Sasuke war ihr Ehemann und als solcher hatte er auch Bedürfnisse. Was, wenn er doch versuchte sie um den kleinen Finger zu wickeln? Sie war einfach noch nicht bereit dafür.   „Ich werde nichts tun, was du nicht auch willst.“ Seine tiefe Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Beschämt ließ sie den Kopf sinken und zog die Decke höher. Sasuke hatte sie eiskalt durchschaut. Es war ihr peinlich, denn sie wollte nicht, dass er hinter ihren unausgesprochenen Verdacht kam. Nur war es leider schon zu spät, denn ein so aufmerksamer Mensch wie Sasuke merkte schnell, wenn etwas nicht stimmte. „Ich habe für morgen Nachmittag einen Termin im Krankenhaus vereinbart. Der Arzt wird überprüfen, wie sich deine Amnesie entwickelt und uns dann mitteilen, wie wir weiter vorgehen werden.“ Sakura nahm diese Information mit einem Nicken zur Kenntnis. Sasuke wirkte merkwürdig abwesend, fast als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders. Ihr Gefühl sagte ihr, dass die Distanz zwischen ihnen nicht spurlos an ihm vorbeizog, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. Sie würde es verstehen, schließlich vertraute sie ihm nicht gut genug und das war sicher alles andere als schön. „Gute Nacht“, wünschte er, knipste die Nachtlampe aus und legte sich ordentlich ins Bett. Kurz starrte sie auf seinen Hinterkopf, dann tat sie es ihm gleich. „Gute Nacht, Sasuke.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)