Fremdkörper von -wolke- ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Fremdkörper Kapitel 1- Unvergessen Weicher Sand unter seinen Händen. Warm von der Sonne. Er war überall. Auf seinem Gesicht, in seinen Haaren, in seinen Kleidern, Schuhen. Der Wind wehte ihm weitere Körner ins Gesicht, während er so mit geschlossenen Augen da lag. Es war Nachmittag. Ab und zu schob sich eine Wolke vor die Sonne und es wurde etwas kühler. Seine Zunge gleitet über die ausgetrockneten Lippen. Er hatte Durst. Keine Ahnung, wie lange er schon hier lag, aber nun schien ihn sein Körper zum Aufstehen zwingen zu wollen. Eigentlich wollte er sich nicht bewegen. Er war so müde. Langsam setzte er sich auf und spürte, wie die Sandkörner an ihm herab rieselten. Er öffnete seine Augen und war geblendet von dem Licht. Ein wenig Zeit verging, bis seine Augen sich wieder an das Licht gewöhnt hatten. Vor ihm lag das Meer ruhig da und seine Wellen streiften unweit von seinen Füßen den Sand. Näher ging er niemals ans Wasser, denn er mochte nicht baden. Wasserscheu. So nannten das seine Freunde. Naja, unrecht hatten sie nicht. Kurz blinzelte er in die Sonne. Es war so still hier. Weit und breit niemand. Er genoss die Stille. An diesem Ort konnte einen die Zeit verlassen. Trotzdem nötigte er sich selbst, auf sein altes, abgenutztes Handy zu schauen. Keine Nachrichten für ihn. Das war nichts Neues. Halb fünf. Er sollte sich langsam auf den Weg machen. Mühsam erhob er seinen Körper aus dem Sand und schüttelte sich. Trotzdem fühlte er das leicht brennende Reiben des Sandes überall auf seiner Haut. Noch einmal blickte er sich um. Hier hatten sie sich das letzte Mal gesehen. Hier hatte sich Ben von ihm verabschiedet. Wenn man das so nennen konnte. Ganz kurz sah er ihn vor sich stehen. Hoch gewachsen, sportlich, gebräunte Haut, braune Augen und braune Wuschelhaare, ein wenig ausgeblichen von der Sonne. Ben und er waren ein Unterschied, wie Tag und Nacht. Der andere war kräftig, lebensfreudig, ständig am grinsen, aktiv. Spielte Basketball und ab und zu Volleyball am Strand. Ben war ein aufgeschlossener, freundlicher Mensch, der mit jedem gut klar kam. Der ultimative Kumpeltyp. Beliebt. Er dagegen war… nicht so. Abgesehen davon, dass er etwas kleiner war, schmächtiger mit heller Haut, dunklen Augen und schwarzen Haaren, war er auch viel ruhiger und zurückhaltender. Schüchterner. Er mochte keine Menschenmassen. Er mochte nicht im Mittelpunkt stehen. Er mochte auch die meisten Menschen nicht. Er mochte Musik und Fotografie. Ab und zu spielte er ein wenig auf seinem Bass. Manchmal probte er mit seiner Band. Seit der Grundschule waren sie Freunde gewesen. Dass es mehr wurde, war nicht geplant gewesen. Anfangs dachte er, er wäre damit allein gewesen. Wäre dem auch so gewesen, hätte er nichts gesagt gehabt. Niemals. Er hätte die Freundschaft nicht riskieren wollen. Aber es war Ben, der auf ihn zu kam. Ben, der ihm gestand, dass er mehr von ihm wollte, als Freundschaft. Es war nicht alltäglich. Es war sogar recht schwierig, denn Bens Vater war sehr…konservativ. Er war in einer großen Firma Abteilungsleiter oder so etwas und erwartete von seinem Sohn, in seine erfolgreichen Fußstapfen zu treten. Ein Schwiegersohn wäre ihm alles andere, als recht gewesen. Er setzte Ben unter Druck, mehr zu leisten. Immer mehr unter Druck. Eine Weile war es gut gegangen. Eine kleine Weile war er glücklich gewesen. Und dann- von heut auf morgen- war Ben weg gewesen. Einfach so. Von seiner Mutter erfuhr er, dass Ben seine Schule in Amerika beenden würde, bei verwandten. Er hatte seinem Vater nachgegeben. Er hatte einen Brief erhalten, irgendein Gewäsch, das es ihm leid täte. Dass er Zeit für sich bräuchte. Zum Nachdenken. Und so weiter. Er war schwer enttäuscht gewesen. Keine Erklärungen, nichts. Ben hatte ihn einfach sitzen gelassen und nicht mal den Mut gehabt, sich ordentlich von ihm zu trennen, feige Sau. Er spürte, wie sein hals kratzig wurde und sich ein Klos bildete. Er schüttelte den Kopf und räusperte sich. Scheiße. Ruppig drehte er dem Wasser den Rücken zu und lief zum Weg über die Düne. Er zog eine Zigarette hervor und zündete sie sich an. Im Gehen rauchend dachte er an den zweiten Brief, den Ben ihm geschrieben hatte. Fast zwei Jahre später. Auch diesen Brief hätte er gern zerrissen, doch er besaß sie beide noch. Ben würde wieder kommen. Heute, um genau zu sein. Sie waren verabredet. Am Zugbahnhof. Warum ausgerechnet da, wusste er nicht. Er wusste auch nicht, warum er hinging. Was erwartete er? Dass sie sich um den Hals fielen, wie in diesen kitschigen Filmen, die seine Mum immer sah? Das er wieder da war und alles würde wieder gut? Nichts war gut. Seufzend verließ er die Düne und machte sich auf den Weg. Beim Bahnhof angekommen, setzte er sich in die Bahnhofshalle und wartete. Ihm gegenüber war die elektronische Anzeigetafel, die um 18:05 einen Zug anzeigte. Das musste wohl Bens sein. Nervös biss er auf seinem Unterlippenpiercing herum. In fünf Minuten würden sie sich wieder sehen. …Oder auch nicht. Mittlerweile war es acht Uhr durch und er war immer noch am Bahnhof. Wie pathetisch. Wie masochistisch kann man sein, dachte er. Warum tat er sich das hier an? Offensichtlich hatte Ben ihn versetzt- wenn nicht vergessen. Er wartete jetzt zwei Stunden. Mittlerweile war er nach draußen gewechselt und rauchte seine letzte Zigarette. Seine Nervosität war vergangen, nur Frust und Wut waren geblieben. Er war verletzt und traurig. Scheiße, dass der Mistkerl ihm immer noch weh tun konnte… Dabei hatte er gedacht, er wäre darüber hinweg. Pustekuchen. Fahrig strich er sich durch die Haare und brachte sie dadurch noch mehr in Unordnung. Es brachte nichts. Hier zu warten war Schwachsinn. Zeit zu gehen. Das hatte sich jetzt erledigt. Zum millionsten Mal schaute er auf sein Handy, während er sich zum Aschenbecher umdrehte. Hinter ihm bog ein Auto gefährlich rasant in den Bahnhof ein und bremste mit quietschenden Reifen, bevor es parkte. Türen wurden aufgerissen und zugeschmissen. Jemand lief fluchend in Richtung Bahnhofshalle, während ein anderer ihn anmeckerte, er solle nicht so mit den Türen knallen. Nachdem er seine Zigarette ausgedrückt hatte, wandte er sich um zum Gehen und prallte frontal mit einem von beiden zusammen. „Pass doch auf!“, zischte er, während er ein paar Schritte zurück stolperte, um das Gleichgewicht zu verlieren. Dann schaute er auf, mit wem er zusammengestoßen war. Vor ihm stand ein Kerl, bestimmt einen halben Kopf größer als er, dunkelhaarig, zwei Ringe durch die Unterlippe gezogen, einen weiteren durch die Nasenscheidewand. In seinen Ohren prangten schwarze Tunnels mit über einem Zentimeter Weite. Grüngraue Augen schauten ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Ärger an. Er kannte ihn nicht und wollte sich an ihm vorbei schieben, als sein Begleiter am Arm packte und aufhielt. Genervt sah er zu dem anderen Kerl. Na, schau einer an. Er war noch größer geworden. Mittlerweile bestimmt einen ganzen Kopf größer, als er selbst (und er war auch gewachsen). Ansonsten hatte sich nicht viel verändert. Braune Wuschelhaare, braune Augen, sportliche Statur- raue Hände. Es kostete ihn alle Kraft, ruhig zu bleiben. Wieder bildete sich ein Kloß in seinem Hals. Bens Mund bewegte sich, aber er konnte ihn nicht hören- er trug seine Kopfhörer und hörte seine Musik auf voller Lautstärke. Er senkte den Blick und betont langsam nahm er die Kopfhörer ab und legte sie sich in den Nacken. „-gar nicht glauben, dass du noch hier bist! Wahnsinn! Ich dachte, ich hätte dich verpasst, Noah.“, sprudelte es aus ihm raus. Er antwortete nichts. Sah ihn nur einfach an. Sah, wie eng die beiden beieinander standen. Wie scharf ihn der Fremde beobachtete- und wie besorgt. So war das also. Mittlerweile war Ben verstummt und schaute nun nervös drein. Er schien sich mit mal ausgesprochen unwohl zu fühlen und zu warten, dass er etwas sagte. Er wusste gar nicht, was er sollte. Eigentlich wollte er nur noch weg. Das hier war sinnlos. Er hätte gar nicht her kommen sollen. Langsam wandte er sich ab und ging weiter. „Noah, hey!“, rief Ben hinter ihm und hielt ihn wieder auf- diesmal, indem er ihn an der Schulter fasste. „Sag doch was!“ Noah schloss für einen Moment die Augen, dann wandte er sich halb zu den anderen um. Vorsichtig entfernte er die Hand von seiner Schulter. Dann schaute er Ben in die Augen. „Du bist einfach abgehauen. Ohne ein Wort. Zwei Jahre habe ich nichts von dir gehört. Und jetzt kommst du an mit deinem Neuen machst ein auf Friede, Freude, Eierkuchen. Danke, darauf habe ich keine Lust. Das nächste Mal, wenn du dich einfach verpisst, vergiss nicht, vorher Schluss zu machen, Feigling. Ich habe dir nichts mehr zu sagen.“ Die Worte kamen ruhig und tonlos aus seinem Mund, leise aber deutlich. Sie schmeckten wie Asche auf seiner Zunge. Aber er hatte genug. Diesmal wandte er sich endgültig um, setzte sich wieder die Kopfhörer auf und hob seine Kapuze über den Kopf. Dann entfernte er sich. Diesmal wurde er nicht aufgehalten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)