過去と現在 Kako to ima - Vergangenheit und Gegenwart von Sora-nee (Historische Liebesromanze) ================================================================================ Kapitel 2: 花火 Hanabi - Feuerwerk -------------------------------- "Tja!" Erschrocken fuhr ich herum, denn dieser Ausruf hatte mich glatt aus meiner Trance gerissen. "Da gibt es wohl nur eine Möglichkeit: Du musst das Buch lesen." "Kusaka?! Hast du mitgelesen?!", stellte ich fragend fest, obwohl ich die Antwort bereits kannte. "Entschuldige, du warst so hypnotisiert und ich bin ebenfalls sehr an der Edo-Zeit interessiert, ich wollte nicht in deine Privatsphäre eindringen. Es tut mir leid." Aus seiner Stimme konnte ich nur Ehrlichkeit heraushören und sein Gesicht wirkte etwas bedrückt. "Schon gut ... wahrscheinlich wirst du wohl noch auf die selbe Uni gehen wie ich und dann besuchen wir noch denselben Kurs." Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, während ich das sagte. "Du hast recht, ich werde es lesen müssen, wenn ich das Geheimnis lüften will." Kusaka lächelte zurück. "Wäre möglich, wenn wir schon das gleiche Fach studieren, ausserdem ... ich weiss, wie seltsam das nun wirken muss, aber mein zweites Fach ist ebenfalls Englisch. Ich wollte schon immer Englisch lernen und bin froh, dass es mir möglich ist, dies zu studieren." Ich glaubte ja nicht an das Schicksal oder an Glück, aber diese Aufeinanderreihung von Zufällen, war nun wirklich mehr als suspekt. Irgendwas war mit diesem Typen nicht in Ordnung, ich wusste nur noch nicht, was es war. Auch wenn ich einerseits froh war, dass er mir so selbstlos geholfen hatte, so konnte ich nun nicht anders, als ihn einfach nur merkwürdig zu finden. Immer dieses seelige Lächeln auf den Lippen, so offenherzig und freundlich, ich hatte noch nie jemanden wie ihn getroffen gehabt und überlegte schliesslich, dass wir vielleicht ganz gute Freunde werden könnten. Gerade wenn das neue Semester beginnen würde, könnten wir zusammen lernen und uns gegenseitig helfen. "Ehm ... ja, das sind wirklich ein paar seltsame Zufälle, vor allem, dass ich ausgerechnet mit dir zusammengestossen bin. Sag Kusaka? Wieso bist du eigentlich von Osaka nach Tokyo gekommen?" Nun war es an mir, ihn zu mustern. Ich beobachtete ihn genau, ob er irgendeine Regung oder eine andere Reaktion zeigen würde, die Unsicherheit andeuten könnte – leider Fehlanzeige. Er schien zwar auf den ersten Blick überrascht zu sein, dass ich ihn das fragte, lächelte dann aber gleich wieder. "Weil meine Eltern mein Studium nicht unterstützen und sagen, es wäre Zeitverschwendung. Ich wollte etwas Abstand zwischen uns bringen und werde ihnen dann im Nachhinein beweisen, dass es keine Zeitverschwendung war, denn eigentlich möchte ich gerne Lehrer werden, in eben diesen Fächern, die ich studiere." Es war die Wahrheit, die er mir erzählte, das konnte ich ihm ansehen, doch wusste ich nicht wie es sich anfühlte, wenn einem die Eltern Vorschriften des Berufswegen machen wollten. Aus diesem Grund fühlte ich mich nun schlecht und konnte ein bedrücktes Seufzen nicht unterdrücken, als ich meinen Blick von ihm abwand und auf den Boden richtete. "Achso ... verstehe." Mehr brachte ich einfach nicht hervor und meine Stimme war kaum zu hören, da ich mich wieder an den Autounfall erinnerte als wäre es gestern gewesen. Ich liess es nur selten zu, mich von meinen Gefühlen überrennen zu lassen und dann auch nur, wenn ich alleine war und mir niemand dabei zusehen konnte. "Ist alles in Ordnung?", riss er mich erneut aus meiner Grübelei und zwang mich so reflexartig, zu ihm aufzusehen. Schnell setzte ich ein Lächeln auf und nickte. "Ja, alles in Ordnung! ... Bitte sei mir nicht böse, aber ich bin einfach nur müde und würde gerne etwas schlafen, der Stress der bevorstehenden Prüfungen, macht mich einfach fertig. Ich will dich auch wirklich nur ungern >rauswerfen<, zumal das so ein böses Wort ist und ich dir für deine Hilfe auch dankbar bin, aber ich glaube ich brauch einfach ein bisschen Schlaf." Noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte, war Kusaka bereits aufgestanden, doch sein Lächeln hatte er nicht verloren, was mich ein bisschen verwunderte. "Ist doch völlig in Ordnung. Dann will ich mal nicht länger stören und dich in Ruhe schlafen lassen. Aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne wiederkommen und dir beim Lernen helfen, da ich die Prüfungen schon gemacht habe. In Osaka sind es zwar andere Prüfungen, aber ich denke, von der Thematik her dürfte es das gleiche sein." Es war keine Frage, sondern ein Angebot, auch wenn ich keine Hilfe beim Lernen brauchte, konnte ich nicht anders, als zu nicken. "Ich würde mich freuen, wenn du wiederkommen würdest und wir zusammen lernen könnten. Für diesen Zweck geb ich dir gerade einfach mal meine Visitenkarte, da steht meine Nummer drauf. Ruf mich doch bitte vorher an, ehe du vorbeikommst." Mit diesen Worten zog ich ein Kärtchen aus meiner Tasche hervor und reichte es ihm. Dankend nahm er es entgegen und versprach anzurufen, ehe er die Wohnung verliess. Ich war schon froh, nun wieder alleine zu sein, zumal mich die Müdigkeit langsam immer mehr überwältigte und mich eigentlich nicht mehr dagegen wehren wollte. So gern ich auch noch einen Blick in das Buch geworfen hätte, weil ich noch so viele Fragen hatte, gerade wegen dieses Briefs, ich konnte meine Augen kaum noch offen halten und blieb einfach auf dem Sofa sitzen, wobei ich lang machte und hinlegte. Einen Moment liess ich meine Augen zufallen und war fast augenblicklich eingeschlafen. Ich hatte mir in letzter Zeit wirklich zu viel zugemutet und spürte selbst, dass diese Pause meinem Körper und auch meinem Geist gut tun würde. Das Buch konnte ich ja immer noch lesen, zumal am heutigen Tag, sehr viel passiert war und ich mich von Ereignissen erschlagen fühlte. In der Zwischenzeit machte sich Kusaka auf den Heimweg in sein Appartment, das seltsamer Weise auch noch gerade bei mir ums Eck lag, was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. "Irgendwas stört mich an diesem Tagebuch ... ich würde es auch zu gern mal lesen", überlegte er, während er die Strasse entlangschlenderte und schliesslich seine Wohnung erreichte. Drinnen angekommen liess er sich auf dem Sessel sinken und versank völlig in seinen Gedanken. "Ich frage mich, ob das wirklich nur Zufall war, dass Akizuki in mich gekracht war. Er wirkte misstrauisch und doch selbstbewusst, so als könnte ihm nichts Angst machen. Er ist ein faszinierender Typ, ich freue mich schon darauf, mit ihm zusammen ins zweite Semester zu gehen." Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und er zog meine Visitenkarte aus seiner Tasche, drehte sie eine Weile hin und her, ehe er sie auf dem kleinen Glastisch vor dem Sessel platzierte und mit undefinierbarem Blick daraufstarrte. "Akizuki? ... Akizuki? ... A-ki-zu-ki ... Wieso kommt mir das nur so vertraut vor? So bekannt, ich kann nichts dagegen machen. Mein Instinkt sagt mir, dass ich diesen jungen Mann kenne, aber mein Verstand sagt mir, dass unser heutiges Treffen unsere erste Begegnung gewesen ist." Seine Gedanken kreisten weiter und er war selbst von diesen überfordert, auch schon wegen des Gefühls, dasselbe Gefühl, welches auch ich verspürt hatte. "Das ist doch zum Verrücktwerden!", rief er nun laut aus und erhob sich wieder. Dann schritt er durch das Zimmer zum Fenster, um nach draussen zu sehen und vielleicht einen klaren Kopf zu bekommen. Denn er auch war von den Ereignissen des Tages überfordert und fühlte sich wie ein Wackelpudding, oder zumindest fühlte sich sein Hirn für ihn so an, denn er war nicht im Stande, die Zusammenhänge zu begreifen, oder zu ordnen. "Dieser komische Brief, das Tagebuch ... Wieso nur glaube ich, dass es nicht nur Akizuki allein etwas angeht? Ich spüre eine Verbindung zu dem Buch und ich werde ihn fragen, ob ich es mit ihm zusammen lesen kann. Ja! Das wird wohl das beste sein, wenn ich diesen Rätseln auf den Grund gehen möchte." Ein Seufzen kam über seine Lippen und er begann unruhig den Raum auf und ab zu gehen, ohne zu wissen, was er nun eigentlich tun sollte. Schliesslich setzte er sich wieder hin und lehnte sich zurück, atmete dabei tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Schemenhafte Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf, doch waren es nur Bruchstücke einzelner Szenen, die immer nur sekundenweise anhielten, so dass er nicht wirklich etwas damit anfangen konnte. >Ein Feuer, ein Zaun, ein Samurai, der Sturz ins Meer, die Rettung!< Verwirrt schlug er die Augen wieder auf und schaute sich um, hatte dabei eine Hand auf seiner Stirn liegen und spürte wie sein Puls sich erhöht hatte und seine Atmung ebenfalls schneller ging. "Was war denn das gerade? Abgebrochene Bilder, ohne Zusammenhang ... Was hat das zu bedeuten? Es fühlte sich so an, als hätte ich selbst es erlebt, als wär ich dort gewesen, auch wenn es kein fliessender Ablauf war, den ich gesehen habe. Ich verstehe es nicht, doch erinnere ich mich an eins: Diese sagenhaften, blauen Augen!" Er liess seine Hand durch sein Gesicht gleiten und schloss die Augen erneut. >Ein Streit, Provokation, eine Schlägerei, viele Narben und blaue Flecken!< Erneut schlug er die Augen auf, doch diesmal war er sich ganz sicher, dass es eine Art Vision gewesen sein musste. Auch wenn er sie nicht verstehen konnte, oder deren Bedeutung, oder wieso er diese Bilder sah. "Ich sollte selbst auch etwas schlafen gehen, die Begegnung mit Akizuki, der Fund dieses alten Tagebuches, die vielen Gemeinsamkeiten mit ihm ... das alles ist verwirrend und doch wirkt es vertraut als wäre es normal. Mein Kopf braucht eine Pause, ein bisschen Schlaf tut mir sicher gut, dann denke ich auch nicht so viel nach", murmelte er leise vor sich hin und stand auf, dann ging er durch den schmalen Flur in das hintere Zimmer, wo sich sein Bett befand. Da es draussen bereits dämmerte, war es auch eigentlich nicht zu früh, um schlafen zu gehen, vor allem wenn man einen so verrücken Tag erlebt hatte. Kusaka legte sich zwar ins Bett, hatte jedoch Angst, die Augen zu schliessen und wieder zusammenhangslose Bilder zu sehen, weshalb er noch lange die Decke über sich anstarrte und versuchte, sich mit Nachdenken abzulenken und wachzuhalten. Allerdings konnte er nicht leugnen, dass ihn das nur noch mehr erschöpfte, und schliesslich gab er nach und liess sich von der Schwärze des Schlafs umarmen, der ihm dieses mal keine Bilder bescherte, da die Erschöpfung zu gross gewesen ist. Denn immerhin hatte er ja noch die Reise hierher angetreten gehabt und war dementsprechend auch ausgelaugt. 1858 – Traum Ich befand mich mitten in einer grossen Halle und schaute mich um. Dieser Ort war seltsam und doch vertraut, meine Kleidung war die eines Samurais und an meiner Hüfte befanden sich zwei Schwerter – Katana um genau zu sein –, um mich herum standen noch andere mit derselben Kleidung. Es war ein Treffen, um eine Strategie zu besprechen. Unser Land hatte mit unserer Regierung – dem Shogunat – zwar die längste Friedenszeit unserer Geschichte geschaffen, doch leider waren wir dadurch auch sehr von der Aussenwelt abgeschnitten. Es gab kaum Handel und es herrschte striktes Ausreiseverbot für uns und Einreiseverbot für Ausländer. Lediglich auf den kleinen Inseln gab es weniger Ausländer, die geduldet wurden, was die Lage im Land immer mehr zuspitzte und es schwierig war diese Sicht der Dinge aufrecht zu erhalten. Deswegen fand diese Versammlung statt, wie schon so oft. Die Diskussion ging darüber, dass wir unser Land öffnen müssten, den Handel zum Leben erwecken und uns weiterentwickeln mussten. Diese Isolation rief Unmut unter dem Volk hervor und sie verlangten danach, aber natürlich gab es auch Gegner, die >für< die Vertreibung der Ausländer waren. Ich war mir sicher, dass die Friedenszeit nicht mehr lange anhalten würde und es früher oder später zum Krieg kommen würde. Sie wollten unsere Kultur bewahren und verhindern, dass diese durch die westliche Zivilisation zerstört würde. Aber das war auch gar nicht unser Ziel, wir wollten nur ein wenig Fortschritt und offen sein für den internationalen Handel. "Keiichi?" Ich fuhr herum, als mein Name gerufen wurde, denn es gab nicht viele, die mich mit meinem Vornamen ansprachen und so erkannte ich meinen Vater, der sich mir näherte. "Ich danke dir, dass du dafür bist. Es bringt uns einen grossen Schritt weiter. Ich denke wir können damit auch schon bald anfangen." "Ja, das denke ich auch, der Bau ist auch schon besprochen und ich glaube es wird uns nur helfen. Wir sollten bereit sein, wenn sich das Land öffnet, auch wenn es noch dauern kann, denn zuvor müssen wir unsere Gegner davon überzeugen", gab ich zurück und konnte ein wehmütiges Seufzen nicht unterdrücken. Auch wenn ich gerade mal 15 Jahre alt war, verstand ich sehr viel von unserer Politik und den Problemen des Landes, auch war ich ein wirklich begabter Kämpfer. Ich hatte schon oft mit dem Schwert gekämpft und nie auch nur eine Narbe davon getragen, weil ich immer sehr vorsichtig war, aber auch geschickt – so schnell machte niemand was vor, weshalb ich es geschafft hatte, trotz meines jungen Alters mir Respekt zu verschaffen. Zu Anfang redeten die Clansmitglieder, dass ich bevorzugt werden würde, weil ich der Sohn des Oberhaupts war, aber ich konnte sie relativ schnell eines besseren belehren und das Gerede hörte auf. "Das schaffen wir schon, aber du wirst diese Schule auch besuchen. Du wolltest doch eh schon immer Englisch lernen, diese Schule wird uns wirklich weiter voran bringen und wir werden bereit sein", sagte mein Vater und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ein führsorgliches Lächeln lag auf seinem Gesicht, so dass ich nicht anders konnte, als es zu erwidern. "Hey Akizuki!" Reflexartig drehte wir uns beide gleichzeitig um, um nach der Ursache der Stimme zu suchen. "Sakuma?!", rief ich aus. Er war ein guter Freund von mir, wir kannten uns schon seit wir gerade so Schwerter halten konnten. Immer haben wir gemeinsam trainiert und obwohl er von etwas niedrigerem Rang war, war er ein sehr guter Samurai, zudem war er auch noch 4 Jahre älter als ich. Somit war er fast mein Lehrmeister gewesen, zumindest früher. Wir unternahmen immer noch viel gemeinsam und er war eigentlich immer an meiner Seite, wohl hatte mein Vater ihn beauftragt ein Auge auf mich zu werfen, auch wenn er wusste, dass ich sehr gut auf mich selbst aufpassen konnte. "Akizuki? Kommt wir gehen raus, die Versammung ist beendet. Ihr habt doch nichts dagegen, oder?" Seine Aufforderung war an mich gerichtet, doch die Frage galt meinen Vater und als dieser mit dem Kopf schüttelte, zeigte sich ein Lächeln auf Sakuma's Gesicht. "Super! Ich muss euch was zeigen!" Er packte mein Handgelenk und zog mich hinter sich her aus der Halle hinaus ins Freie. Da es drinnen sehr dunkel gewesen ist, wurde ich nun erst mal von der Sonne geblendet, weshalb ich die Augen zusammenkniff. "Was ist denn los Sakuma?" Ich war stehengeblieben, da ich ohnehin nichts sehen konnte und versuchte ihn zumindest zu erkennen. "Das werdet ihr gleich sehen! Es wird euch gefallen." Ich hasste es, wenn er das tat, doch beschloss ich, dass eine Diskussion keinen Sinn machen würde und folgte ihm schliesslich, nachdem ich mein Handgelenk befreien und wieder etwas sehen konnte. "Wo gehen wir hin?" Ich konnte es nicht abwarten, denn ich liess mich nicht gern überraschen, ich wusste gern was auf mich zukam, denn so wurde ich erzogen >immer wachsam sein<. "Jetzt warte es doch einfach ab!", gab er nur abwinkend zurück, grinste dabei aber die ganze Zeit. Dieses Grinsen wollte mir nicht gefallen, irgendwie hatte es was Unheimliches und ich hatte das Gefühl, dass er was ausheckte, wobei das gar nicht zu ihm passen würde. Langsam durchschritten wir die Strassen von Edo und erreichten schliesslich eine Anhöhe, von der man wunderbar nach unten blicken konnte, die Sonne war gerade im Begriff unterzugehen und färbte die Stadt in ein herrlich leuchtendes Orange. Schon allein für diesen Anblick war es wert gewesen, hierher zu kommen, doch die Frage, was Sakuma genau von mir wollte, blieb immernoch offen. Wir hatten einen guten Blick auf den grossen Platz mitten in der Stadt und Sakuma war auch stehengeblieben, schaute erwartungsvoll nach unten und schüttelte nur mit dem Kopf, als ich ihn ansprechen wollte. Also langsam nervte es mich wirklich, ich war nicht in der Stimmung für diese Geheimniskrämerei und seufzte langgezogen. "Jetzt wartet's einfach ab, das ist der Wahnsinn, sie haben mit Schiesspulver experimentiert, seht es euch an, sobald die Sonne untergegangen ist …", sagte er nun doch und grinste mich breit an. "Na schön, dann warte ich! Aber allein schon diesen Sonnenuntergang zu sehen, war es wert, herzukommen." Ich lehnte mich auf die Brüstung der Anhöhe und schaute nach unten, beobachtete das Treiben der Menschen. Seltsamerweise war eine Stelle völlig frei, eine grosse Menge hatte einen Kreis um diesen Platz gebildet und in diesem Kreis waren gerade mal zwei Leute, die irgendwas zu machen schienen, was ich aber von hier oben nicht erkennen konnte. Allmählich versank die Sonne und die ersten Sterne tauchten am Himmel auf, weshalb ich automatisch meinen Blick nach oben richtete. Ich mochte die Sterne und könnte sie manchmal stundenlang einfach nur betrachten, es war ein herrliches Gefühl, so entspannt bei Nacht dazuliegen und in den Himmel zu starren. Bei diesen Gedanken musste ich wohl einen etwas glückseeligen Gesichtsausdruck gemacht haben, denn mein Freund stiess mir sanft mit dem Ellenbogen in die Rippen. "Hey, an was denkt ihr gerade? Ein Mädchen?" Seine Worte liessen mich zusammenzucken und ich spürte zeitgleich wie mein Herz einen Schlag aussetzte und dann heftig zu rasen anfing. Es war fast, als wenn er mich bei etwas unsittlichem ertappt hätte, dabei dachte ich nichtmal an Mädchen. Schliesslich war ich verlobt, wenn dies auch von meinem Vater arrangiert worden war und ich ihr noch nie begegnet bin bisher. Ich hielt auch nicht viel von dieser Verlobung, denn ich war mir sicher, dass ich dieses Mädchen nicht lieben könnte. Wie sollte ich auch? Wenn ich sie noch nie gesehen hatte. "N-Nein! Wie kommst du denn darauf? Ich habe nur gerade über die Sterne nachgedacht. Hör auf mich immer zu ärgern." Er musste lachen und ich warf ihm einen leicht beleidigten Blick zu! Immerhin lag meine Bestimmung im Kampf und ich wusste, dass dieser früher oder später kommen würde und ich wollte darauf vorbereitet sein, da hatte ich keine Zeit über Liebe und Beziehungen nachzudenken. "Na schon okay ... Oh seht! Es geht los!" Das war ja mal wieder typisch, keine Entschuldigung, dafür aber eine Ablenkung. Leicht lächelnd schüttelte ich den Kopf und folgte mit dem Blick seinem Arm, der auf den freien Platz zeigte. Plötzlich löste sich irgendwas daraus mit einem lauten Knall und flog hoch in die Luft, wo es erneut knallte und ein bunter Feuerregen entstand. Wie hypnotisiert starrte ich auf die Stelle, obwohl das Licht längst erloschen war, denn so etwas hatte ich noch nie gesehen. "Wow!" Mehr brachte ich nicht hervor und war auch nicht im Stande mich zu bewegen, oder in das vielsagend grinsende Gesicht von Sakuma zu schauen. "Ich habe es euch ja gesagt." Erneut erklang ein Zischen und ein Knall, gefolgt von einem Surren, als es in die Luft stieg, wo es erneut knallte und wieder bunter Regen entstand. Immer schneller schossen die Gebilde in die Luft und liessen bald den Himmel in Regenbogenfarben leuchten, was wirklich ein atemberaubender Anblick war. Das Spektakel zog sich noch eine ganze Weile hin und ich spürte, wie es mich mitriss, wie mein Herz gegen meine Rippen pochte und ich mich unbewusst mit den Fingern in das Geländer der Brüstung krallte. Mit einem Satz stand ich nun auf dieser und starrte weiter zum Himmel. Wenn ich abgerutscht wäre, oder das Gleichgewicht verloren hätte, wäre es um mich geschehen gewesen, dies schien auch Sakuma zu wissen und klang nun ganz aufgeregt. "Seid ihr verrückt? Kommt bitte sofort da runter! Wisst ihr, was euer Vater mit mir macht, wenn ich ohne euch zurückkomme? Bitte tut mir das nicht an!" Nun konnte ich endlich meine Augen vom Himmel abwenden und blickte hinab in das flehende Gesicht meines Freundes, wobei ich ihn sanft anlächelte. "Okay! Beruhige dich, ich wär schon nicht runtergefallen." Schnell drehte ich mich auf dem Absatz um und sprang wieder runter, Sakuma war sehr erleichtert und seufzte schwer. Das Lichterspektakel fand auch sein Ende und ich lehnte mich nun mit dem Rücken gegen die Brüstung, so dass ich meinen Freund ansehen konnte. Er war etwas grösser als ich, hatte braune Haare und wie es die Tradition verlangte einen Zopf, da er ebenso ein Samurai war wie ich. Ich trug auch einen Zopf, wenn es mir auch nicht gefiel. An seiner Hüfte steckten zwei Schwerter und an meiner auch. Nie verliess ich das Anwesen ohne meine Schwerter. Ausser den Samurai war es ohnehin niemandem gestattet bewaffnet herumzulaufen, zumindest nicht, wenn die Waffen länger als ein Kurzschwert waren. Wir lebten wahrlich in einer friedlichen Zeit. Die Frage die offen blieb war: >Wie lange noch?< Lässig stützte ich meine Ellenbogen auf das Geländer und überstreckte meinen Kopf in den Nacken, um wieder in den Himmel zu schauen. "Sag Sakuma? Es wird zum Krieg kommen, oder?" Eine Weile schwieg er und liess meinen Kopf wieder nach vorn rucken, um ihn anzusehen. "Ich denke schon ... Unsere Gegner wollen ja die Ausländer vertreiben und das Land geschlossen halten, damit treiben sie uns aber in die Isolation. Ich denke es wird nicht ewig ruhig bleiben, die Situation wird irgendwann eskalieren." Ich war wirklich froh, dass er so ehrlich zu mir war und mir kein rosa rotes Leben vorgaukeln wollte, denn das war es bei weitem nicht. "Danke!", sagte ich und lächelte dann. "Komm! Lass uns zurückgehen, es ist schon spät und ich denke, ich würde gern etwas schlafen. Ich danke dir, dass du mir das gezeigt hast, es war wirklich herrlich." Noch ehe ich zu Ende gesprochen hatte, setzte ich mich wieder in Bewegung, um zurück zu gehen. "Keine Ursache, ich wusste, dass es euch gefallen würde", gab er zurück und folgte mir. "Ja ihr habt recht, ihr solltet schlafen und morgen trainieren wir wieder zusammen. Ihr seid wirklich begabt mit dem Schwert." Das wusste ich auch selbst, doch prahlte ich nicht mit meinen Fähigkeiten, hatte ich sie erst wenige male zum Einsatz bringen können und bin immer unbeschadet davon gekommen. "Ja, das werden wir. Ich danke dir, dass du dich immer so für mich einsetzt und immer an meiner Seite bist." "Nun ... das habt ihr eurem Vater zu verdanken, wobei ich es wirklich gerne mache, zu Anfang jedenfalls war es noch eine Pflicht, mittlerweile kann ich es mir nur noch schwer vorstellen, euch nicht zu begleiten." So war es aber wirklich, mein Vater war immer sehr besorgt, obwohl er dazu keinen Grund hatte, weshalb er mich selten alleine ausgehen liess, aber wenn Sakuma an meiner Seite war, war es egal, dann fühlte er sich sicher und sein Gewissen beruhigt. Dies brachte mich doch tatsächlich dazu, meine Mundwinkel zu einem kleinen Schmunzeln zu verziehen. "Ich weiss und dafür danke ich dir. Du bist der beste Freund, den man sich vorstellen kann." Nun zeigte sich auch ein Lächeln auf seinem Gesicht, ich wusste, dass es ihn freute, wenn ich so etwas sagte, aber ich meinte es auch ernst. So schlenderten wir noch eine Weile durch die kleinen Gassen, ehe wir das Anwesen erreichten, wo ich mich von Sakuma verabschiedete und allein in meine Gemächer zurückzog, um meinem Körper und meinem Geist eine Ruhepause zu gönnen. 2022 Realität Ich fuhr aus dem Schlaf und schaute mich verwirrt um, mein Atem ging rasch und mein Herz pochte wie verrückt gegen meine Rippen, dass es weh tat. Was war denn das gerade? Das war unheimlich real! Ich brauchte wirklich einen Moment, bis ich mir im Klaren wurde, dass ich in meinem Appartement auf meinem Sofa sass, denn ich hatte mich aufgerichtet, als ich aufgewacht war. Dieser Traum war wirklich seltsam, ich verstand nicht, wieso ich diesen Traum hatte und wieso ich mich auch noch an jede Einzelheit erinnern konnte. Ich wurde anscheinend in der Zeit zurückversetzt und habe wohl das erste Feuerwerk gesehen, allerdings fragte ich mich, ob es sich wirklich so zugetragen hatte. Reflexartig griff ich an meine Hüfte, doch dort war nichts, keine Schwerter. "Seltsam …", murmelte ich leise und rieb mir die Augen. Es war ziemlich dunkel, nur das Steckdosenlicht brachte etwas Helligkeit in den Raum, die aber für meine verschlafenen Augen ausreichend war. Mein Bein tat auch auch nicht mehr weh, weshalb ich es nun vom Sofa nahm und mich vorsichtig erhob, dabei fiel mein Blick zur Uhr, die gerade mal 2 Uhr in der Nacht anzeigte. "Wirklich seltsam ..." Langsam schritt ich durch den Raum und merkte dabei, dass das Auftreten nun auch kein Problem mehr war, weshalb ich den Eisbeutel zurück in den Kühlschrank brachte. Normalerweise wachte ich nachts nicht auf und normalerweise träumte ich nicht von meiner liebsten Zeit, wo ich mich anscheinend selbst hineinversetzt hatte. Nur war ich mir nicht sicher, ob das ein Hirngespinst war, oder tatsächlich damals so passierte. Seufzend blickte ich aus dem Fenster und betrachtete mir den Nachthimmel, an dem keine Wolke zu sehen war, weshalb man die Sterne gut erkennen konnte, trotz der vielen Lichter, die von den ganzen Hochhäusern ausgingen. Aber da ich etwas abseits wohnte und nicht mitten in der Stadt, war dies möglich. Mein Körper zuckte zusammen und meine Hand fing an zu zittern; ich spürte wie mein Herz immer schneller wurde wie bei einem Galopprennen und drehte mich mechanisch – wie in ein Zeitlupe – um, um in den Raum zu schauen. Dort war es! Das kleine schwarze Buch lag unschuldig auf dem Tisch vor dem Sofa. Wie konnte ich das nur vergessen? Hatte mein Traum vielleicht etwas damit zu tun? Immerhin wurde ich in diesem >Keiichi< genannt und das war der Name des Autors des Tagebuchs, welches nun auf meinem Tisch lag. Nun wusste ich, dass ich sicher nicht mehr schlafen können würde und begab mich deshalb schnell zurück zum Sofa, wo ich mit immer noch zitternden Fingern nach dem Buch griff und es vorsichtig anhob als wäre es etwas Zerbrechliches. Behutsam hielt ich es eine Weile fest und betrachtete es gebannt. Man hätte meinen können, ich erwarte, dass es mir seinen Inhalt von sich aus erzählen würde, wenn ich es nur lange genug anstarre. Schliesslich löste ich eine Hand von dem Deckel und schlug es auf. Wieder konnte ich den Namen lesen und zeitgleich mein Blut in meinen Ohren rauschen hören, fast so wie wenn ich mir eine Meeresmuschel an mein Ohr halten würde. Mit zunehmender Nervosität strich ich über die Zeichen des Namens, sie waren blass, aber noch gut erkennbar, liess meine Hand dann über die Seite gleiten und bewegte meine Finger so, dass ich es umblättern konnte. Es war wirklich ein unbeschreiblicher Schatz, dieses Buch! Der erste Eintrag war vom 16. August 1860! Lange starrte ich das Datum an, traute mich nicht den Text zu lesen, doch wusste ich nicht wieso. Ich wusste nicht, wovor ich Angst hatte. Vielleicht, dass sich herausstellen könnte, dass mein Traum kein Traum war, sondern eher so was wie eine Vision, eine Reise in die Vergangenheit. Doch wieso nur war es so verdammt realistisch? Und wieso passierte das ausgerechnet mir? Schliesslich liess ich meine Augen doch weiter sinken und begann zu lesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)