過去と現在 Kako to ima - Vergangenheit und Gegenwart von Sora-nee (Historische Liebesromanze) ================================================================================ Kapitel 1: 手紙 Tegami - Der Brief -------------------------------- 2022 – Realität "Hey! Hey Akizuki! Schläfst du etwa schon wieder?" Eine laute Stimme drang an mein Ohr und liess mich aus dem Schlaf schrecken. Ich war tatsächlich wieder bei der Arbeit eingeschlafen! So ein Mist! Verwirrt schlug ich meine Augen auf und blickte in das grimmige Gesicht meines Vorgesetzten. Er war ein eher kleiner, untersetzter Mann mit einem dicken Schnauzbart, seine buschigen Augenbrauen hatte er zusammengezogen und hatte sich tief über über mich gebeugt – da ich am Tresen sass – seine Hände hatte er in die Hüfte gestemmt und funkelte mich missbilligend an. "Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du nicht bei der Arbeit schlafen sollst?!" Nun war ich schlagartig wach. "Es tut mir leid! Bitte verzeihen Sie, Mr. Nagasaki! Ich habe wieder so viel für das Studium lernen müssen, da doch nächste Woche Semesterprüfungen sind, weshalb ich diese Nacht kaum geschlafen habe. Es tut mir wirklich leid. Wenn das Semester vorbei ist, sind erstmal Ferien, dann bin ich auch bei der Arbeit wieder konzentrierter." Es war aber auch zum Auswachsen, die viele Lernerei und dann noch die Vorlesungen, dazu mein Teilzeitjob in diesem Buchladen. Ich hatte das Gefühl, dass ich das nicht schaffen würde und eiskalt durch die Prüfungen fallen würde, oder doch noch meinen Job verliere. Ich hatte relativ kurzes, rabenschwarzes Haar, doch waren diese etwas stufig geschnitten, so dass mir manchmal die Strähnen vorne in den Augen hingen, dazu war ich eigentlich ziemlich gross, zumindest waren die meisten Leute um mich herum immer kleiner. Meine Augen waren blau, was ziemlich ungewöhnlich war, doch konnte ich ja nichts dafür und mein Körper war schlank und ziemlich athletisch, trotzdem zeigten sich Muskeln an meinem Körper, da ich ein leidenschaftlicher Kendo-Kämpfer bin. Gerne trug ich einfache Jeans und lockere Shirts, ausser beim Kendo. Das war ein weiterer Grund, weshalb ich diesen Sport besonders mochte, weil man sich da völlig in der Zeit zurückversetzt fühlen konnte. Zwar trugen wir meistens die Schutzausrüstung, aber oftmal – vor allem ausserhalb der offiziellen Turniere – zogen wir echte Samuraikleidung an und bekämpften uns so wie vor 200 Jahren. Einmal hatten wir auch echte Schwerter dafür verwendet, aber das ging leider schief, ein Kämpfer wurde dabei schwer verletzt und verlor fast seinen Arm, weshalb wir wieder zu den Holzschwertern zurückkehrten. Diese taten zwar auch ziemlich weh, vor allem ohne die Schutzkleidung, aber wenigstens hinterliessen diese nur blaue Flecken und Prellungen, manchmal auch Brüche, aber das war eher selten. Ein Seufzen kam über die Lippen meines Chefs, dann schloss er seine Augen, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. "Mensch! Was soll ich bloss mit dir machen? Wenn das nun ein Kunde gesehen hätte? Sag nichts! Sieh zu, dass du diese Prüfungen bestehst und ins nächste Semester kommst, du hast den Rest der Woche frei." Diese Worte überraschten mich so sehr, dass ich ihn total perplex anblickte und die Fähigkeit zu sprechen vergass, weshalb sich mein Mund zwar öffnete, aber unverrichteter Dinge wieder schloss. "Was ist los? Dann hast du Zeit zum lernen. Dein Gehalt bekommst du trotzdem, also geh schon nach Hause. So müde wie du bist, solltest du dich erst mal ausschlafen. Ausserdem vertreibst du mir so nur die Kunden." Es lag etwas väterliches auf seinen Zügen und ein kaum sichtbares Lächeln konnte ich erkennen. Eigentlich war er gar kein so übler Kerl und ich war ihm dafür wirklich dankbar. Schliesslich fasste ich mich wieder und verbeugte mich vor ihm. "Vielen Dank! Ich danke Ihnen wirklich, Mr. Nagasaki! Dann bis nächste Woche." Nun musste ich doch grinsen und sein Lächeln wurde breiter, er legte mir eine Hand auf die Schulter und nickte mir zu. "Nun hau schon ab, ehe ich es mir anders überlege!" Solche Dinge sagte er nur, um mich zu ärgern, denn ich wusste, dass er mich Grunde mochte, sonst würde er mir diese ständigen Schlafattacken nicht einfach so durchgehen lassen. Ich war im ersten Semester meines Studiums, doch den Job hier hatte ich schon eine Weile länger, da ich schon seit der Mittelschule immer wieder hier ausgeholfen hatte, um etwas Geld zu verdienen und mir auch mal was gönnen zu können. Da Mr. Nagasaki keine eigenen Kinder hatte und ich meine Eltern im Alter von 8 Jahren bei einem Autounfall verloren hatte, behandelte er mich fast wie einen Sohn und ich sah in ihm – trotz seines grimmigen Äusseren – einen Ersatzvater, denn eigentlich machte er sich nur Sorgen um mich und war deshalb manchmal so über streng. Er hatte mir auch schon einhundertfach das >Du< angeboten, aber ich brachte es einfach nicht über mich, da es sich einfach komisch anfühlte. Das konnte ich ihm nun wirklich nicht übel nehmen. "Ich geh ja schon, vielen Dank nochmal." Ich erhob mich wieder vollständig, nahm meine Tasche, die unter dem Tresen stand und verliess zügig den Buchladen, während Mr. Nagasaki lächelnd und mit geschlossenen Augen den Kopf, als er mir hinterher schaute. "Dieser Junge ... nein, eigentlich ist er schon ein Mann, aber ich kann nicht aufhören, ihn als solchen zu betrachten. Ein bisschen naiv, aber sehr intelligent, es wäre wirklich schade und verschwendetes Talent, wenn er die Prüfungen, wegen Schlafmangels versemmeln würde …", dachte er und begab sich dann wieder an die Arbeit. In der Zwischenzeit schlenderte ich gähnend durch die Strassen, um nach Hause zu gelangen, deshalb achtete ich auch nicht genau darauf, was vor mir war. "Autsch!" Ich krachte gegen etwas, oder vielmehr jemanden und landete unsanft auf meinen Hintern, dabei hatte ich die Augen zusammengekniffen und brauchte einen Moment, um mich zu sammeln und neu zu orientieren. Mein Blick fiel auf ein paar Beine, die halb waagrecht und halb aufgestellt waren, was wohl bedeutete, dass ich die Person – mit der ich zusammengeprallt war – ebenfalls umgestossen hatte. "Tut ... tut mir leid …", gab ich etwas kleinlaut von mir. "Ich habe nicht aufgepasst." Ohne aufzusehen, blieb ich erst mal sitzen, denn es war so schon peinlich genug, da musste ich demjenigen nicht noch ins Gesicht schauen. "Schon okay, ist ja nichts passiert. Kommen Sie, ich helfe Ihnen hoch." Diese Stimme! Sie hatte so etwas Freundliches und Liebevolles in ihrem Klang, so dass ich auf die genauen Worte gar nicht geachtet hatte, meinen Kopf dennoch hob und in das Gesicht eines lächelnden, jungen Mannes blickte, der sich halb zu mir hinab gebeugt hatte und mir eine Hand hinhielt, um mir aufzuhelfen. Seine Haare waren ungewöhnlich hell, in etwa die Farbe von Karamell, dafür hatte er tiefe, braune Augen, die mich einen Moment die Luft anhalten liessen. Noch immer etwas konfus, griff ich nach der Hand und er zog mich auf die Füsse. Nun im Stehen konnte ich ihn mir genauer betrachten, er war ein kleines bisschen grösser als ich, auch von schlanker, sportlicher Gestalt und hatte in etwa dieselbe Frisur wie ich. "Danke. Nochmals Entschuldigung, ich hab Sie nicht gesehen", sagte ich nun und verneigte mich vor ihm. "Wie gesagt es ist nichts passiert. Ich bin Shuichi! Shuichi Kusaka!", stellte er sich nun vor und brachte mich so dazu, mich wieder zu erheben und ihn anzusehen. "Ich bin ... Kazuya ... Kazuya Akizuki!" Irgendetwas an dem Kerl störte mich, ich wusste nur noch nicht was. Er hatte mich völlig aus der Bahn geworfen und nicht nur körperlich und wörtlich – meine ganzen Sinne spielten verrückt und ein eigenartiges Gefühl machte sich in mir breit, das mir gar nicht gefallen wollte. Irgendwie hatte ich das Gefühl ihm schonmal begegnet zu sein, was aber nicht möglich war, da ich mich an jemanden mit so hellem Haar ganz sicher erinnert hätte und deshalb war ich so verwirrt, weil ich dieses Gefühl einfach nicht loswerden konnte. "Ich hätte ja nicht gedacht, dass meine erste Bekannschaft in Tokyo so von statten gehen würde, aber es ist völlig okay. Sagen Sie ... haben wir uns schonmal irgendwo gesehen?" Ich spürte, dass er mich musterte, während er diese Worte sprach und mir war gar nicht wohl dabei. Etwas gequält lehnte ich mir nur auf mein linkes Bein und belastete das Rechte nicht, denn irgendwie tat es seit dem Sturz wieder weh. Ich hatte damals bei dem Autounfall wahnsinniges Glück gehabt und habe nur einen Trümmerbruch des Schienbeins ertragen müssen, wobei es abgeklemmt war und das ziemlich lange, dass die Ärzte schon kurz davor gewesen waren, es ab dem Knie zu amputieren. Aber glücklicherweise kehrte das Gefühl wieder zurück und ich konnte es nach vielen Wochen der Genesung wieder normal benutzen. Allerdings dauerte es drei Jahre, bis ich wieder Sport machen konnte und hin und wieder schmerzte es auch einfach nur so, oder eben bei Überbelastung sowie unvorhergesehenen Geschehnissen. "Erste Bekanntschaft?", fragte ich deshalb nur und blickte ihn kurz an, nachdem ich kurz die Augen zusammengekniffen hatte. "Ja, ich komme eigentlich aus Osaka und bin nun nach Tokyo gezogen, werde dort mein Studium fortsetzen, sobald das neue Semester beginnt. Aber sag ... ist sicher alles in Ordnung?" Leichte Besorgnis lag auf seinem Gesicht und vergrösserte mein Unwohlsein nur noch, so dass mir gar nicht aufgefallen war, dass er mich plötzlich mit >Du angesprochen hatte. "Ja, mir geht's gut, es ist nur eine alte Verletzung ..." Eigentlich wollte ich ihn noch was fragen bezüglich seines Studiums, doch Kusaka schnitt mir das Wort ab. "Es tut mir leid, es ist mir gar nicht aufgefallen, es war wirklich keine Absicht ... Ich wollte nicht >Du< sagen." Er verneigte sich tief vor mir und schien es wirklich ernst zu meinen. Wer war dieser Kerl nur? Etwas perplex, dass er mir das Wort abgeschnitten hatte und auch noch wegen so einem banalen Grund, war ich für den Moment etwas wortkarg und brachte nichts heraus als ein Kopfschütteln, das er nicht sehen konnte, weil er sich ja verbeugte. "Nein, schon in Ordnung, belassen wir es dabei. Ich hab kein Problem damit, vor allem nicht bei einem anderen Studenten." Kusaka erhob sich wieder und lächelte mich an, er schien wirklich erleichtert zu sein. "Danke, Akizuki. Dann kannst du es mir gleich tun." "Danke, werd ich machen ..." Diese Worte kamen einfach aus meinem Mund, ohne dass ich aufhalten konnte, denn eigentlich wollte ich was anderen sagen. "Ehm ... wenn wir schon dabei sind ... Wieso bist du denn schon hier? Die Semesterprüfungen sind doch erst nächste Woche." Langsam tat mir mein linkes Bein von der Dauerbelastung weh, weshalb ich mich an den nahegelegenen Laternenpfahl lehnte. "Ganz einfach! Wir in Osaka hatten schon letzte Woche Semesterprüfungen, auf diese Art und Weise habe ich nun zwei Wochen länger Ferien", erklärte er und lächelte dabei kurz, schien sich jedoch weiter Sorgen zu machen, was ich nicht verstehen konnte, da ich ihn ja eben erst kennengelernt hatte. "Ach so ... na ja dann sieht man sich vielleicht in der Uni. Ich wollte eigentlich gerade nach Hause gehen, denn ich bin ziemlich müde von der Lernerei, mein Chef hat mir auch frei gegeben. Also wenn du mich nun entschuldigen würdest." Eigentlich sollte das ein Abschied sein, aber als ich mich selbst von dem Laternenpfahl wegdrückte und losgehen wollte, durchzog der Schmerz mein rechtes Bein beim Auftreten, dass ich fast in die Knie gegangen wäre und mit zusammengekniffenen Augen den Atem anhielt. "Soll ich dir vielleicht helfen? Hast du es weit?" Seltsamerweise hatte er mir bereits einen Arm um den Rücken gelegt und sich meinen Arm über seine Schultern gezogen, um mich zu stützen. Was war nur mit diesem Typen los? Ich kannte ihn doch gar nicht! Wieso war er nur so hilfsbereit? Ich verstand es nicht und ich konnte es auch nicht verstehen, denn in meinem Leben habe ich bisher nichts geschenkt bekommen und musste immer kämpfen, habe bisher dennoch immer alles erreicht, was ich wollte, trotz meiner zeitweisen körperlichen Einschränkung. Dieser Kerl war einfach nur seltsam! Ich wehrte mich nicht gegen die Hilfe, da die Entlastung meinem Bein gut tat. Ich wusste, dass, wenn ich zu Hause ankommen würde, ich erst mal meine Medikamente nehmen müsste und mein Bein dann hochlegen und kühlen würde, dann würde es morgen wieder in Ordnung sein. "Nein, ich habe es nicht weit. Nur zwei Strassen weiter in einem Mietshaus. Ich will dir wirklich keine Umstände machen, oder dich von etwas abhalten." "Ach was, du machst mir keine Umstände, ich wollte mir ohnehin vorerst nur die Stadt ansehen, aber das kann ich nachher oder morgen immer noch machen, also mach dir keine Sorgen, ich werde dich jetzt nach Hause bringen." Kusaka hatte irgendwie eine seltsame Aura an sich und lächelte schon wieder so euphorisch, es sah fast so aus, als könnte er sich nichts besseres vorstellen als mich nun nach Hause zu begleiten und dabei meine Stützhilfe zu sein, weshalb ich ihm nicht widersprach, zumal ich ihm auch dankbar war, dass er mir einfach so helfen wollte. Nach einiger Zeit erreichten wir dann den Mietshauskomplex, wo sich mein Appartement befand und hatten unterwegs kein einziges Wort mehr gewechselt. Wieso war er auf einmal so schweigsam? Als schwerfällig und mühsam stellte sich noch der Treppenaufstieg heraus, denn ich musste immerhin in den fünften Stock hoch gelangen, doch zuvor warf ich noch einen Blick in den Briefkasten. Kusaka hatte mich zu diesem Zweck losgelassen und stand etwas abseits, anscheinend wollte er meine Privatsphäre nicht verletzen. Kaum, dass der Kasten offen war, fiel mir ein gepolsterter Briefumschlag entgegen, den ich nicht mehr auffangen konnte und er deshalb mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden aufkam. Doch noch ehe mich danach bücken konnte, hielt mir Kusaka den Umschlag schon hin. "Hier! Du muss dich nicht bücken, das würde dir beim Aufstehen nur wieder Schmerzen bereiten. Nicht wahr?" Leicht verwirrt nahm ich den Umschlag in die Hand und konnte nicht verhindern, dass man mir das auch ansah, denn Kusaka lächelte schon wieder auf diese eigenartige Art. Ein stummes Nicken war meine Antwort, ich wusste einfach nicht, was ich von diesem Kerl halten sollte. Er war so furchtbar vertrauensselig und das konnte ich einfach nicht verstehen, denn ich war es anders gewohnt. Es wäre noch ein wahnsinniger Zufall, wenn er das gleiche Fach studieren und dieselbe Uni besuchen würde. Diesen Gedanken verwarf ich jedoch gleich wieder, da er mir zu absurd erschien. Mein Blick fiel auf den Umschlag, er hatte keinen Absender und richtig adressiert war er auch nicht. Dort stand nur: >Für Kazuya Akizuki!< Da ich aber von Grund auf misstrauisch war, tastete ich diesen nun erst ab und stellte fest, dass es sich bei dem Inhalt wohl um ein Buch handelte, weshalb ich dachte, dass einer meiner Studienkollegen mir dieses Buch eingeworfen hatten, da ich noch in der letzten Vorlesung erwähnt hatte, dass mir ein bestimmtes Buch für meine Recherche fehlen würde. Ich studierte Geschichte und Englisch, weil mich beides schon immer fasziniert hatte. Seufzend nahm ich die andere Post noch heraus und schloss den Briefkasten wieder. Kusaka war gleich wieder an meiner Seite und stützte mich erneut, um den Treppenaufstieg zu bewerkstelligen. Ich hätte es wohl auch alleine geschafft, da ich mich am Geländer gut abstützen konnte, aber aus irgendeinen Grund, war ich froh, dass er mich nach oben begleitete und mir weiterhin half. Oben angekommen lud ich ihn dann doch noch ein, mit reinzukommen, denn es wäre nun wirklich unhöflich gewesen, ihn an der Tür abzuwimmeln, nachdem er mir so selbstlos seine Hilfe angeboten und es auch noch bis zum Schluss durchgezogen hatte. "Bitte setz dich!" Obwohl ich >Bitte< sagte, klang es fast wie ein Befehl, doch liess sich Kusaka nichts anmerken, nickte nur freundlich und liess sich dann auf dem Sofa nieder. Es war nur eine kleine Wohnung mit zwei Zimmern einer Kochniesche und einem Bad, doch war ich eigentlich ganz zufrieden damit. Schliesslich könnte es schlimmer sein. Ich legte die Post auf den Tisch und begab mich langsam ins Bad, um meine Medikamente zu nehmen, danach humpelte ich noch zum Kühlschrank, wo ich mir einen Eisbeute aus dem Gefrierfach nahm. Mit diesem in der Hand schleppte ich mich dann zum Sofa und liess mich mit einem erleichterten Stöhnen darauf nieder. Dann fiel mir mein Fehler auf und ich wollte mich schon wieder erheben, als mein Handgelenk ergriffen wurde und mich so daran hinderte. "Bitte bleib sitzen. Es ist dein rechtes Bein, oder? Mach dir bitte keine Umstände, ich brauche nichts, leg es lieber hoch, dass es sich erholen kann." Schon wieder! Schon wieder diese unbegründete Fürsorge, die mir fast den Atem raubte. "Danke ... du kannst mich trotzdem wieder loslassen ... bitte. Aber woher weisst du, welches Bein, das >Kaputte< ist?" Es war mir wirklich unangenehm, so festgehalten zu werden und ich war froh, dass Kusaka seine Hand daraufhin zurückzog. "Oh natürlich, entschuldige." Er lächelte dann wieder, wahrscheinlich wegen meiner Frage. "Ich habe es an deiner Haltung gesehen, als wir uns gegenüberstanden und uns kurz unterhalten hatten, du hast das rechte Bein nicht belastet. Aber als du dann gehen wolltest, bist du aufgetreten; dies sah ich an deiner Bewegung und habe schon geahnt, dass es dich in die Knie zwingen würde, deshalb habe ich dich gleich gestützt." Kusaka verblüffte mich immer wieder, er hatte eine erstaunlich gute Beobachtungsgabe. Allerdings wusste ich darauf nichts zu sagen und Stille trat ein, eine bedrückende Stille, die eine Ewigkeit anzuhalten schien und sich mich fast zu zerquetschen drohte, als mein Begleiter plötzlich wieder das Wort ergriff – anscheinend hatte er es auch gespürt und wollte es nicht dabei belassen. "Aber sag mal ... du sagtest vorhin, dass du auch Student bist, oder?" Diese Frage überraschte mich nun weniger und ich war froh vielleicht ein normales Gespräch mit diesem überfreundlichen Kerl führen zu können. "Eh ja, das habe ich gesagt. Ich studiere Geschichte und Englisch, ausserdem bin ich ein guter Kendo-Kämpfer. Du bist ziemlich naiv. Kam dir denn zu keinem Zeitpunkt in den Sinn, dass ich nur Theater machen könnte und dich vielleicht überfallen würde?" Ich wusste nicht, wieso ich das sagte, aber ehe ich darüber nachdenken konnte, waren die Worte einfach so herausgesprudelt, ohne dass ich sie noch aufhalten könnte wie einem Aquarium, das einen Haarriss im Glas hatte – durch den Druck des Wassers auf die Scheibe, würde diese früher oder später einfach platzen. Zum ersten Mal sah ich nun Überraschung in seinem Gesicht und schien ihn für einen Moment aus dem Konzept gebracht zu haben, wie hypnotisiert starrte er mich an, ehe er seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzog und die Augen schloss, dabei den Kopf schüttelte und mich schliesslich wieder ansah. "Nein! Diese Idee kam mir nicht. Es mag sich vielleicht seltsam anhören, aber ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass wir uns schonmal begegnet sind und ich habe irgendwie auch gespürt, dass von dir keine Gefahr ausgeht. Ich kann es nicht erklären, es ist nur ein Gefühl." Seine Worte hallten in meinem Kopf wieder als wollten sie sich in mein Hirn einbrennen. Er auch? Das konnte doch nun wirklich kein Zufall mehr sein! Mittlerweile hatte ich es auch geschafft mein Bein hochzulegen und es mit dem Eisbeute zu versehen, auch die Tablette wirkte langsam und die Schmerzen klangen immer mehr ab, so dass ich mich weitestgehend entspannen konnte und den seltsamen Moment der Stille irgendwie überbrücken wollte. "Also doch naiv!" Mein Ton klang verspielt, was eigentlich nicht meine Art war und ich grinste ihn sogar an. "Das selbe könnte ich auch sagen. Denn immerhin könnte ich ja ein Einbrecher sein, dessen Masche es ist, sich so Zutritt zu verschaffen, indem er sich das Vertrauen der Leute erschleicht." Er grinste auch und obwohl mich seine Aussage nachdenklich machte, lachte ich nun sogar. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Kusaka der Typ vor so was wäre, was aber auch nur ein Gefühl war, allerdings konnte ich meinem Instinkt bisher immer trauen und dieser sagte mir, dass dieser Mann keinesfalls eine Gefahr für mich war. Er musste auch lachen und so verflog die Anspannung im Nu und ich konnte mich endlich meiner Post widmen, nachdem wir uns wieder beruhigt hatten. Zuerst öffnete ich die normalen Briefe, die wie üblich Rechnungen enthielten, dann – nachdem ich diese bei Seite gelegt hatte – widmete ich mich dem gepolsterten Umschlag. Irgend etwas sagte mir, dass das kein Studienbuch war, noch bevor ich ihn geöffnet hatte. Kusaka's Blick lag auf mir, oder viel mehr auf meinen Händen, die den Umschlag hielten, das konnte ich spüren, ohne ihn anzusehen, doch kümmerte ich mich nicht darum, denn ich war selbst viel zu gebannt auf den Inhalt. Langsam öffnete ich den Brief und weitete ihn, um einen Blick hineinwerfen zu können. Ein kleines, schwarzes Buch, das ziemlich alt aussah, befand sich im Inneren. Sofort – ohne weiter darüber nachzudenken – liess ich meine Hand hineingleiten und zog es hervor. Es war wirklich verdammt alt! Die schwarze Farbe war teilweise abgerieben und das Buch war auch ziemlich zerkratzt, allerdings war es in Folie gewickelt, offenbar um es zu schonen, da alte Bücher schnell an der Luft oxidierten und dann einfach zerfallen würden, wenn sie dieser zu lange ausgesetzt wären. Fasziniert betrachtete ich das kleine Buch in meinen Händen und hatte schon ganz vergessen, dass ich nicht alleine war. "Das sieht aus wie ein Tagebuch." Ich zuckte heftig zusammen, als die Stimme an mein Ohr drang und fuhr erschrocken herum – mein Herz hämmerte wild gegen meine Rippen und ich brauchte einen Moment um zu realisieren, dass es Kusaka war und ich ihn eingeladen hatte. "Ta-Tagebuch?" fragte ich verwirrt und blickte zwischen ihm und dem Buch hin und her. "Ja! Sieh mal, dort steht es sogar. Man kann es zwar kaum noch lesen, weil es ziemlich verblasst ist, aber es steht eindeutig da, wahrscheinlich mit Tusche und Pinsel geschrieben." "Aber wie -?", wollte ich wissen. "Ganz einfach, ich studiere ebenfalls Geschichte und dieses Buch ist sicher schon 150 Jahre alt." Die Zufälle begannen sich immer weiter zu häufen, doch wollte ich darüber nun nicht nachdenken, weshalb ich mich dem Buch widmete, dort stand wirklich noch ganz blass und kaum lesbar >Tagebuch<. Schliesslich entfernte ich vorsichtig die Folie und strich sachte über den Einband, ehe ich es langsam aufschlug. Doch was ich auf der Innenseite zu lesen bekam, liess mich für einen Moment den Atem anhalten und dann nach Luft schnappen. Das war doch mehr als nur verrückt! "Da ist etwas rausgefallen." Wieder meldete sich Kusaka zu Wort und deutete auf ein Stück Papier, das weit weniger alt wirkte und wohl beim Aufklappen zu Boden geglitten war. Schnell bückte ich mich danach und hob es auf, die Worte auf der Innenseite des Buchdeckels steckten noch immer in meinen Knochen und hielten das Adrenalin aufrecht, welches ich nun gebrauchen konnte, da ich wohl ansonsten schon längst eingeschlafen wäre. "Für Kazuya Akizuki …", las ich vor. "Dieselben Worte wie auf dem Umschlag und es ist auch dieselbe Schrift. Das muss ein Brief sein. Vielleicht erklärt er mir, was es mit diesem Buch auf sich hat." "Dann solltest du ihn lesen. Schliesslich ist es schon merkwürdig, dass der Autor des Buches denselben Namen hat wie du. Keiichi Akizuki ..." Kusaka entging aber auch gar nichts, ich hatte es nicht einmal bemerkt, dass er sich vorgelehnt hatte, um auch zu lesen. was dort stand – zu paralysiert war ich von den Worten, die dort standen. >Dieses Tagebuch ist das Eigentum von Keiichi Akizuki, Samurai des Shogunats – September 1860< Dieses Buch war wirklich schon über 150 Jahre alt und es grenzte schon fast an ein Wunder, dass es weitestgehend unbeschadet war, denn es stammte aus der Edo-Zeit. Die Edo-Zeit war eine glorreiche Zeit, in der das Shogunat regiert hatte; diese Zeit faszinierte mich an der Geschichte schon immer am meisten und nun hielt ich ein originales Tagebuch aus diesen Tagen in meinen Händen. Ich wusste, dass die Zeit acht Jahre später zu Ende war und Edo zu Tokyo wurde, weil das Shogunat abgeschafft worden war und der Kaiser wieder regierte, allerdings war dieses Buch fast wie ein Schatz von unschätzbarem Wert, zumindest für einen Geschichtsfanatiker wie mich. Es war einfach unfassbar und dieser Keiichi war auch noch ein echter Samurai gewesen, wenn man den Worten glauben konnte. Natürlich bestand noch immer die Möglichkeit, dass es eine Fälschung war, aber das glaubte ich nun nicht, dafür sag es einfach zu echt aus, auch der Geruch war mehr als echt. "Du hast recht, das ist in der Tat seltsam …", wandte ich mich nun wieder an Kusaka und klappte das Buch zu, ehe ich es vorsichtig auf den Tisch legte, da ich den Brief zuerst lesen wollte. >>> Lieber Kazuya, Ich spar mir nun die Mühe der Höflichkeitsfloskel und rede direkt mit Dir! Dieses Buch fiel vor einigen Monaten in meine Hände, als mein Vater starb, und es war ein Brief dabei, dass ich es, falls es mir möglich wäre, an >Akizuki< weitergeben sollte. Anscheinend hütete meine Familie dieses Buch nun schon fast 150 in den Händen hält. Ich muss gestehen, dass ich es gelesen habe und ich bin der Meinung, dass Du es wirklich bekommen solltest. Es dauerte zwar eine Weile, bis ich es herausfand und ich musste einiges recherchieren, um darauf zu kommen und die Verbindungen zu sehen. Schliesslich ist Akizuki nun kein so seltener Name in Japan und Du hättest wirklich überall sein können, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Du die richtige Person bist. Näher möchte ich darauf nicht eingehen, der Inhalt des Buches wird für sich sprechen und als Geschichtsstudent, sollte es Dir auch einige Erklärungen liefern, die Dir sicher nützlich sein könnten. Sei versichert, dieses Buch ist echt! Ich war nicht in der Lage es Dir persönlich zu überreichen, denn dies hätte mich in eine Lage gebracht, die mir sehr unangenehm gewesen wäre. Sobald Du das Buch gelesen hast, wirst Du es verstehen! Es tut mir leid, dass es so gekommen ist, aber nun befindet es sich endlich nach so langer Zeit wieder in den Händen des rechtmässigen Besitzers. Bitte denke nicht schlecht von mir, vielleicht begegnen wir uns doch mal, dann werde ich Dir nicht ausweichen. Doch auch meinen Namen möchte ich nicht preisgeben. Sieh es als gegeben und lass Dich in eine Zeit entführen, in der Du am liebsten selbst gelebt hättest. In eine Zeit, die näher mit Dir Verbunden ist als Du ahnst. In eine Welt voller Gefühl, Verrat und Trauer! Mich hat es sehr mitgenommen, was damals alles passiert ist und ich kann mich nur bei Dir entschuldigen und Dir sagen, wie leid mir das alles tut. Ich hoffe, sollten wir uns eines Tages wirklich begegnen, dass Du mir dann verzeihen kannst. Es tut mir leid, dass ich nur in Rätseln sprechen kann, aber Du wirst schon bald alles verstehen. Trotz deines Misstrauens dem Unbekannten gegenüber bin ich mir sicher, dass Du den Inhalt wie einen Schwamm aufsaugen wirst. Vielleicht bis irgendwann! Reumütige Grüsse Der Hüter des Buches <<< Nun war ich noch mehr verwirrt und ich konnte meinen Herzschlag hören, der das Blut durch meinen Körper in einer bahnbrechenden Geschwindigkeit schiessen liess. Mit zitternden Fingern starrte ich auf das Stück Papier und verstand nicht, was diese Person mir sagen wollte, oder wer sie eigentlich war. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Was wollte er mir damit sagen? Und wieso entschuldigte er sich bei mir? Was machte ihn so sicher, dass ich die >richtige< Person war? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)