Fahr mich ans Ende der Welt von Shunya (Oder zu dir nach Hause) ================================================================================ Kapitel 1: Eiskalt abserviert ----------------------------- Das ganze Wochenende habe ich auf der faulen Haut gelegen, mich mit Fertiggerichten vollgestopft und versucht mir vorzustellen, wie mein neuer Arbeitgeber wohl so ist. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich den Job wirklich habe! „Oleg Petrow... Was das wohl für ein Mensch ist?“, murmele ich leise vor mich hin. Auf jeden Fall einer, der reichlich Geld in der Tasche hat. Der Bus hält an und sofort stehe ich auf und verlasse ihn. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich mein neuer Arbeitsplatz, zumindest ein Teil davon. Die meiste Zeit kutschiere ich diesen reichen Russen von A nach B. Wozu braucht der Mann eigentlich eine Limousine? Kann er nicht selber fahren? Oder ist er sich zu fein dafür? Nachdenklich gehe ich zum Tor der Einfahrt und drücke auf den Summer. „Ja, bitte?“, erklingt die Stimme der Sekretärin. „Ähm, ich bin's. Emilio Foresta. Also, heute ist mein erster Arbeitstag, wegen dem Job als Chauffeur...“, stammele ich etwas aufgeregt. „Wir haben bereits auf Sie gewartet!“ Das Tor knirscht und öffnet sich langsam. „Ah, danke!“ Ich laufe über den Kiesweg und sehe mir die Limousine an, die aussieht als wäre sie wie neu. Wie viele Meter das wohl sind? Im Schätzen war ich noch nie sehr gut. Ich bin noch nie mit so einem langen Auto gefahren, hoffentlich bleibe ich da nicht irgendwo hängen?! Mir kommt eine Gänsehaut bei dem Gedanken, allein schon auf der Auffahrt einen Unfall zu bauen und somit auch sofort meinen Job zu verlieren, ehe ich ihn überhaupt richtig begonnen habe. Ich schüttele meinen Kopf und gehe zielstrebig zur Haustür. Wie schon beim letzten Mal wird mir geöffnet, bevor ich auf die Klingel drücken kann. Wie merkt diese Frau das nur immer wieder?! Steht sie vor dem Türspion und wartet regelrecht auf die Besucher? Lächelnd stehe ich nun vor der Sekretärin, deren Namen ich nicht kenne und sehe in ihr verschlossenes Gesicht. „Setzen Sie sich einen Moment, dann kann ich ihnen den Tagesablauf erklären!“, fordert sie mich auf und weist mir einen Platz bei den Besucherstühlen zu. Nickend gehe ich dorthin und nehme Platz, ehe sie es mir gleich tut. Meine Hände sind schweißnass und so langsam bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war, diesem Kerl den Job vor der Nase wegzuschnappen. „Also gut! Sie fahren Herrn Petrow heute nach Eimsbüttel und anschließend nach Altona. Hier ist ein Zettel mit den Adressen. Im Auto gibt es auch ein Navi, sofern Sie sich hier nicht so gut auskennen...“, erklärt sie mir und reicht mir einen Zettel, auf dem sie alles notiert hat. „Und wann geht es los?“, frage ich die Frau neben mir. „Jetzt.“ Ich schlucke. Das heißt also, dass ich mich jetzt beweisen muss. Klasse... „W-Wo ist Oleg...also Herr Petrow?“, stammele ich nervös. „Er wird gleich herunter kommen. Sie können draußen im Auto warten. Ach ja, hier sind die Schlüssel für den Wagen.“ Mir wird ein Schlüsselbund mit zwei Schlüsseln in die Hand gedrückt und aufgeregt stehe ich auf. Mein erster Arbeitstag und ich fühle mich wie an meinem ersten Schultag. Dabei ist das noch nicht mal mein erster Job. Ich habe schon so vieles ausprobiert, aber es ist jedes Mal aufs Neue aufregend. „Bis dann!“, verabschiede ich mich unschlüssig und werde einfach ignoriert. Die Sekretärin geht zu ihrem Platz an der Anmeldung zurück und tippt irgendetwas in ihren Computer. Ich bin längst Luft für sie. Eine merkwürdige Frau. Langsam und mit einem Kribbeln im Bauch verlasse ich das Haus und finde mich draußen vor der Limousine wieder. Ein wirklich schönes Auto, aber ob ich damit auch zurecht komme? Ich werfe einen Blick auf die beiden Schlüssel in meiner Hand und öffne mit einem der beiden die Fahrertür. Helles Leder, du meine Güte, der Kerl ist sich wirklich für nichts zu fein! Und jetzt im Sommer besonders unangenehm, wenn man mit der verschwitzten Haut daran kleben bleibt. Wieso kann das Auto keine Stoffbezüge haben? Hat es wenigstens eine Klimaanlage? Ich setze mich auf den Fahrersitz, lasse die Tür jedoch offen, da ich hier nicht eingehen möchte, bevor es überhaupt erst losgeht. Die Aufregung lässt inzwischen ein wenig nach, auch wenn ich immer noch gespannt auf Herrn Petrow bin. Völlig in mich gekehrt schaue ich mir das Innere der Limousine an und bemerke so auch nicht, wie sich mir jemand nähert. Erst als ich die knirschenden Schritte im Kies höre und sich ein dunkler Schatten über mich legt, blicke ich auf. „Der Motor ist kaputt, wir fahren mit dem BMW.“ Die dunkle und raue Stimme bereitet mir eine Gänsehaut und beschämt von meinem Fauxpas werde ich sofort rot. Wie hätte ich auch wissen sollen, dass der Wagen in dem ich sitze defekt ist? „Ah... I-ich bin... Sind Sie Herr Petrow?“, stottere ich und könnte mich dafür einmal durch die Kieselsteine wälzen. Immer, wenn ich aufgeregt bin, fange ich an zu stottern und kann kaum klar denken. Kann ich nicht wenigstens heute mal davon verschont bleiben? Ich schaue direkt in dunkle Augen, einem emotionslosem Blick, aus dem ich nicht erkennen kann, wie ich auf ihn wirke. Seine dunkelbraunen Haare gleiten schon beinahe ins Schwarz über und sein Anzug, düster wie die Nacht, wirkt edel und adrett. Der Mann vor mir sieht nicht nur attraktiv aus, er ist es auch, wie ich neidisch feststellen muss. Wieso kann ich nicht so aussehen? In meinem Anzug, den ich mir gerade noch so eben leisten konnte, wirke ich eher plump und nichtssagend. „Sind Sie wirklich für diesen Job geeignet?“, fragt er mich plötzlich und unerwartet sehe ich den Mann vor mir an. Was soll das denn heißen? Nur, weil ich mich ins falsche Auto gesetzt habe? Hat der sie noch alle? Der spinnt doch! „A-also...“ Aufgebracht bekomme ich kaum ein Wort heraus und sehe ihn nur entsetzt an. „Wenn Sie soweit sind, ich warte im BMW...“, meint Oleg und sieht mich stirnrunzelnd an, ehe er sich auf dem Absatz umdreht und zur Garage geht, diese öffnet und sie betritt. Ich höre eine Tür und kurz darauf wird diese zugeschlagen. Was war das denn eben? Irgendwie komme ich da gerade nicht ganz mit... Um den Russen nicht noch weiter warten zu lassen, steige ich hastig aus, schließe den Wagen ab und sehe zu, dass ich ebenfalls in dem dunkelblauen BMW einsteige. Ebenfalls wie in der Limousine erwartet mich hier feinstes Leder, nur in schwarz statt in beige. Die Scheiben sind verdunkelt, was ganz angenehm ist, bei der grellen Sonne. Ich stelle Sitz und Rückspiegel ein und starte den Motor. Hastig gebe ich noch die erste Adresse in das Navi ein, was ein wenig dauert, da ich so etwas nicht täglich benutze und höre von der Rückbank ein langgezogenes Seufzen. Der Herr wartet wohl nicht gerne. Ich werfe einen kurzen Blick in den Rückspiegel und erstarre als ich direkt in die Augen meines Chefs sehe. Einen Moment lang sehen wir uns beide nur an, ehe ich schnell den Blick senke. „Dann mal los...“, murmele ich leise und starte den Wagen, fahre ihn langsam aus der Garage heraus und über die Auffahrt. Welcher Idiot hat hier eigentlich Kieselsteine ausgelegt? Das ist doch Gift für jeden Autolack! In Schneckentempo fahre ich also vorsichtig von der Auffahrt und biege auf die Straße ab. Der Verkehr ist jetzt schon stockend langsam, die Straßen gerammelt voll und das Vorwärtskommen ist mühsamer als gedacht, wenn man nicht so geduldig ist, wie der Mann, der hinter mir sitzt und dauernd so gereizte Töne und Flüche ausspeit. Es ist als würde ein bockiges Kleinkind auf der Rückbank sitzen. „Ähm... Was arbeiten Sie denn?“, frage ich und sehe kurz in den Rückspiegel. Oleg sieht aus dem Fenster und achtet scheinbar gar nicht auf mich. Wozu auch? Ich bin ja nur der Chauffeur, mehr nicht. „Ich habe Sie zum Fahren eingestellt, nicht zum Reden...“, murmelt er leise, aber immer noch so deutlich, dass ich es, zwischen dem Dauergehupe der genervten Autofahrer um mich herum, noch heraushören kann. „Na ja, also...“ Was soll ich denn darauf erwidern? Vielleicht redet er nur nicht so gerne mit Fremden? Oder im Allgemeinen nicht? Irgendwann wird er doch mit mir sprechen müssen... Mal ehrlich, der Höflichkeit halber kann man doch mal ein wenig Smalltalk mit dem neuen Angestellten führen! Oder ist er sich auch dafür zu fein? Ich habe ihm nicht einmal eine allzu persönliche Frage gestellt. Was ist so schlimm daran, mir zu erzählen was er für einen Beruf hat? Es kommt mir vor, als müsse er es verheimlichen, weil er für irgendwelche zwielichtigen Personen arbeitet, aber das ist wahrscheinlich viel zu weit hergeholt. Zu gerne würde ich jetzt das Radio einschalten, nur um nicht diese angespannte Stille ertragen zu müssen. Mein Griff um das Lenkrad wird stärker und genervt versuche ich mich wieder auf den Verkehr zu konzentrieren. Gut, wenn der Kerl nicht reden will, keiner zwingt ihn dazu! Der dichte Verkehrt lichtet sich nur langsam und so allmählich verliere ich ebenfalls die Geduld. Mit den Fingern trommele ich auf dem Lenkrad herum und nach kurzer Zeit, nicht länger als einer halben Stunde, sehe ich den Grund für den langsamen Verkehr. Quer auf der Straße steht ein Wagen mitten auf dem Dach. Überall darum herum liegen Glassplitter der Fenster, Bruchstücke des Wagens und nur allzu deutlich sieht man die starken Bremsspuren. Ein weiterer Wagen wurde scheinbar bei dem Unfall gegen ein Straßenschild geschoben und hatte eine ziemlich deutliche Delle in der Seite. Es sieht aus als hätte jemand versucht, dass Auto zusammenzufalten. Einige Leute sind dabei den Schutt von der Straße zu kehren, die Autofahrer werden von der Polizei mühsam an dem Unfall vorbei geleitet. Ein Krankenwagen steht an der Unfallstelle, aber für den Fahrer des Wagens, der umgekippt ist, scheint es bereits zu spät zu sein. Die Leiche liegt noch mit einem Tuch verhüllt in der Nähe des Wagens, während weitere Leute versuchen, die Fahrerin des anderen Wagens herauszuschneiden. Wie in Zeitlupe manövriere ich den Wagen den Weg entlang, den der Polizist mir mit Handzeichen weist. „Was wohl passiert ist?“ Im nächsten Moment wird mir klar, dass ich die Frage laut gestellt habe. Ich werfe einen Blick durch den Rückspiegel und sehe wie Oleg entspannt auf der Rückbank sitzt, die Augen geschlossen hält und seinen Kopf gegen das Fenster gelehnt hat. Interessiert es ihn denn nicht, was hier geschehen ist? Ich meine, so ein Unfall ist doch schrecklich, wie kann es diesen Mann dann nur so kalt lassen? Ich schüttele den Kopf und biege an der nächsten Kreuzung nach links ab. Endlich kann ich wieder schneller fahren und da ich nicht möchte, dass mein Chef sich verspätet, versuche ich ihn rechtzeitig in Eimsbüttel abzuliefern. „Ich warte dann wohl solange...“, mutmaße ich und sehe Oleg unentschlossen an, als dieser mit einem Koffer in der Hand aussteigt. Er wirft mir einen stirnrunzelnden Blick zu, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ja, wahrscheinlich sterben bereits einige meiner Gehirnzellen ab. Ich sehe Oleg hinterher, wie er sich gemächlich vom Auto entfernt, als hätte er alle Zeit der Welt und alle Leute würden nur auf ihn warten. Das tun sie wahrscheinlich sogar, nur dass er sie warten lässt, würde diese Leute wohl eher weniger ansprechen. Oleg verschwindet hinter den Glastüren des Gebäudes, das meterhoch in die Höhe schießt. Zu gerne würde ich es jetzt betreten, nur um nachzusehen, wie viele Etagen es dort drinnen gibt. Da braucht man bestimmt eine Woche mit dem Fahrstuhl bis man ganz oben angekommen ist. Was für Menschen arbeiten dort drin? Was genau arbeiten sie? All das werde ich wohl nie erfahren, es sei denn, ich quetsche Oleg's Sekretärin aus, die genauso wenig gesprächig ist wie er. Ich habe keinen blassen Schimmer wie lange ich jetzt auf den Kerl warten muss. Ein paar Minuten, eine Stunde, länger? Ich stelle das Radio ein und lehne mich in meinem Sitz zurück, schließe die Augen und kann mir eigentlich auf die Schulter klopfen oder nicht? Bisher lief es ja soweit ganz gut, wenn man mal davon absieht, dass mein Chef nicht gerade sehr gesprächig ist. Ich seufze und drehe meinen Kopf mal von links nach rechts, hin und her und trommele gelangweilt mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Irgendwie habe ich mir erhofft, dass ich doch etwas mehr zu tun bekommen würde, aber dass der Job so langweilig wird, wer hätte das gedacht? Was habe ich auch erwartet? Wilde Verfolgungsjagden, kreuz und quer durch die Stadt, nur um meinen Boss zu beschützen? In einem Computerspiel vielleicht, aber nicht im realen Leben... Nach einer 3/4 Stunde kommt Oleg endlich zurück, öffnet die Tür und wirft seinen Koffer achtlos auf die Rückbank. Für einen Moment überlege ich, ob es auch mein Job wäre, ihm die Tür zu öffnen, verwerfe diese Gedanken jedoch sofort wieder, als Oleg mit einem ziemlich gereizten Blick im Gesicht einsteigt und die Tür mit voller Wucht zuschlägt. „Lief wohl nicht so gut, was?“, entfährt es mir, noch ehe mir einfällt, dass der werte Herr wahrscheinlich sowieso keinen Wert auf meine Meinung legt. „Fahren Sie mich zur nächsten Bar!“, brummt er und schnallt sich an. Ich runzele die Stirn. „Aber sollte ich Sie nicht nach Altona fahren?“ Hastig suche ich den Zettel heraus und sehe auf die zweite Adresse. Ich will sie gerade ins Navi eingeben, als Oleg mir doch tatsächlich einen ziemlich unsanften Stoß gegen den Sitz gibt. „Scheiß drauf! Ich brauche jetzt einen Whiskey!“, meckert Oleg und verwirrt sehe ich ihn an. Was ist dem denn für eine Laus über die Leber gelaufen? Vorhin war er noch ganz anders drauf. Was auch immer in dem großen Gebäude passiert ist, schien wohl ziemlich in den Keller gegangen zu sein. „Also gut, allerdings kenne ich hier keine Bars...“, erwidere ich resigniert. „Na, ganz toll!“, murrt Oleg. „Ich könnte aus dem nächsten Supermarkt Whiskey holen...“, grübele ich laut vor mich hin. „Prima, geht doch! Worauf warten Sie!“, erklingt von hinten Oleg's erwartungsvolle Stimme, rau und dunkel, so dass mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper fährt. Will der Kerl sich etwa volllaufen lassen? Ich kann nur hoffen, dass er es nicht hier im Auto tun wird. „In Ordnung.“ Ich starte den Motor, schnalle mich an und fahre vom Parkplatz herunter, auf die Straße. Der Wagen reiht sich im Verkehr ein und angestrengt halte ich Ausschau nach einem Supermarkt. Ich kann nur hoffen, dass die dort auch wirklich Whiskey haben, sonst bin ich wahrscheinlich meinen Job los, bei so einer miesen Laune wie sie der Mann hinter mir hat. Hastig laufe ich durch die Gänge eines Supermarktes und suche den Bereich mit den alkoholischen Getränken. Scheinbar habe ich hier den größten Supermarkt der Stadt erwischt, denn die verwirrenden Gänge scheinen kein Ende nehmen zu wollen, vielleicht liegt es aber auch nur an den vielen Menschen, die zu dieser Zeit jeden Weg auch nur im Keim ersticken und zwar mit ihren Einkaufswagen, welche mein Vorankommen erheblich langsamer werden lassen. Vor meinem inneren Auge sehe ich Oleg, der mir die Flasche um die Ohren schlägt, nur weil ich eine Minute zu lange gebraucht habe, um ihm seinen Whiskey zu kaufen. Dem Kerl würde ich in seiner momentanen Stimmung alles zutrauen, denn die ist in den letzten Minuten deutlich gesunken. Endlich komme ich an den gesuchten Regalen an, gehe sie entlang und finde schließlich wonach ich suche. Ich greife nach der Flasche und sehe zu, dass ich zur Kasse komme. Hätte ich nur vorher gewusst, wie viel hier los ist, denn alle Kassen sind voll besetzt und davor sind meterlange Schlangen und in den Einkaufswagen sind viel zu viele Sachen drin! Da bin ich ja Weihnachten nicht mal bei der Kasse! Ergeben stelle ich mich hinter einer Frau an und sehe ihr dabei zu, wie sie all ihre Einkäufe auf dem Laufband drapiert, als würde es um einen Schönheitswettbewerb gehen. Wenn die wüsste, wie ich meine Einkäufe immer aufs Laufband schleudere, ohne Rücksicht auf Verluste... „Oh, haben Sie nur eine Flasche?“, fragt sie, als sie mich erblickt und ich in dunkle braune Augen sehe. Ich nicke und sie lächelt mir zu. „Wenn Sie möchten, lasse ich sie vor.“ Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und so nehme ich ihr Angebot sofort und ohne mit der Wimper zu zucken an. Ein Gedanke bahnt sich an, der relativ schnell zu einem zufriedenstellenden Ziel gelangt. Nach kurzer Fragerei, lassen mich so gut wie alle an der Kasse stehenden Kunden vorbei und so kann ich aufatmend die Flasche bezahlen und den Laden verlassen. Ich gehe zum Parkplatz und steige ein, reiche Oleg die Flasche, die er sofort öffnet und am Mund ansetzt, um den Whiskey in sich rein zu kippen. Ich schüttele kaum merklich den Kopf und fahre den Wagen vom Supermarktgeländer herunter, zurück auf die Straße und habe keinen blassen Schimmer wo es jetzt hingehen soll. Ich meine, ich kann Oleg ja schlecht zum nächsten Termin fahren, wenn er vorhat sich hier im Auto volllaufen zu lassen? Soll er etwa da betrunken ankommen? Wobei... Das wäre ja nicht meine Sache, oder? Denn immerhin ist es seine Schuld, nicht meine. „Soll ich Sie jetzt nach Altona fahren?“, frage ich trotzdem sicherheitshalber nach. Oleg gibt einen mürrischen Laut von sich und ich nehme es als Zeichen, dass er nicht vorhat heute noch irgendwo anzukommen. Was hat ihn nur in so schlechte Laune versetzt? „Soll ich Sie heimfahren?“ „Nein, fahren Sie in der Gegend herum!“ Ich nicke und beschließe für mich, dass ich mir ja mal die Gegend anschauen kann, denn obwohl ich schon länger hier in Hamburg bin, habe ich leider noch nicht allzu viel gesehen. Ich meine, ich bin hier in Hamburg! Das muss man doch gesehen haben! So fahre ich gemütlich mit dem Wagen durch die Straßen, während sich mein Chef auf der Rückbank so langsam aber sicher betrinkt. Wie kann man sich nur so gehen lassen, wenn man mal ein wenig Kritik erhält oder ist etwas Schlimmeres passiert? Was kann denn noch schlimmer sein? Hoffentlich hat er nicht seinen Job verloren! Dann würde ich ja ab morgen auf der Straße stehen oder hat er genug Geld, um mich weiterhin für ihn arbeiten zu lassen? Ich kann es nur hoffen. Eine halbe Stunde fahre ich nun durch den dichten Verkehr, als ich plötzlich etwas an meinem Hals spüre. Was zur Hölle ist das? Verwirrt sehe ich in den Rückspiegel und staune nicht schlecht, dass sich Oleg vorgelehnt hat und nun an meinen Haaren zupft. Er wirkt dabei so gedankenverloren, aber wahrscheinlich ist er nur dicht vom Alkohol. „Was machen Sie da?“, frage ich ihn stirnrunzelnd und schaue wieder auf die Straße. „Hm... Du riechst gut...“, murmelt er und schließt einen Moment seine Augen, wie ich es im Rückspiegel sehen kann. Seit wann sind wir denn beim Du? „We-Wenn Ihnen das Aftershave gefällt, kann ich ihnen auch die Marke empfehlen oder so...“, stottere ich und weiß nicht wirklich wie ich darauf sonst eingehen soll. Oleg atmet tief aus, was mir am Nacken eine Gänsehaut bereitet. So langsam wird mir das ganze irgendwie unheimlich. „Halt an...“, murmelt Oleg. Irritiert sehe ich in den Rückspiegel. „Ist Ihnen etwa schlecht?“, frage ich sofort lauernd. Oleg schüttelt den Kopf. „Halt an!“, meint er nun etwas fordernder. Ich sehe zu, dass ich seiner Forderung nachkomme und suche den nächsten Parkplatz auf. Zum Glück ist er nicht ganz so zugeparkt und hier scheint eher weniger los zu sein, als vorher beim Supermarkt. Ich parke den Wagen etwas abseits und drehe mich dann zu Oleg herum. „Alles in Ordnung? Ist Ihnen schlecht?“, frage ich ihn noch einmal. Oleg verharrt noch immer in seiner Position, hält sich an der Kopfstütze fest und betrachtet mich, sieht mir tief in die Augen und noch ehe ich reagieren kann, greift Oleg in meinen Nacken, zieht mich vor, so dass ich mich am Sitz neben mir abstützen muss und küsst mich unsanft und fordernd. Wie ein erstarrtes Kaninchen hänge ich auf meinem Sitz und lasse mich mit schreckgeweiteten Augen von meinem Chef küssen. Einem Mann, den ich gerade mal seit etwa zwei Stunden kenne! Was soll ich denn jetzt machen? Während des Kusses scheint sich mein Denkapparat in Gang zu setzen und sämtliche Szenarien durchzuspielen. Wenn ich ihn jetzt zurückweise wird der Typ mich doch garantiert feuern! Ich kann allerdings auch nicht auf den Kuss eingehen, immerhin ist er doch mein Chef und wenn da mehr draus wird? Was soll der Scheiß? Wir sind doch beide Männer und keinen Deut schwul! Zumindest ich! Bei Oleg bin ich mir gerade nicht so sicher... Ich lasse mich weiterhin küssen, weil mir gerade nichts besseres einfällt, was ich machen könnte und auch weil es Oleg scheinbar großen Spaß bereitet mich zu küssen, warum auch immer, aber dem leisen Keuchen nach zu urteilen, geht er ganz in seiner Aktivität auf. Ich kann nur hoffen, dass er noch den Rest des Whiskeys trinken wird und sich nicht mehr an den Vorfall erinnert, wenn er später aus seiner Starre als Alkoholleiche erwachen wird. Bis dahin lasse ich mich wohl besser küssen, ablecken und streicheln, solange es nicht mehr wird, genieße und schweige, so gut es eben geht... Für einen Hetero, der sich nicht ganz so sicher ist, was er von all dem halten soll... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)