Schneeketten von Hotepneith (Der 23. Fall Lord Sesshoumarus) ================================================================================ Kapitel 6: Auflösung -------------------- Sesshoumaru betrachtete die weiße Wand vor sich und genoss fast die Kälte, die sie ausstrahlte, als er ruhig meinte: „Jedes Verbrechen, ob Diebstahl oder Mord, beginnt mit der Tat. Um zu wissen, wer diese Tat begangen hat, muss man sich das Wie der Tat ansehen. Mir war rasch klar, dass es sich bei dem Dieb um keinen Außenstehenden handeln konnte. Nicht einmal einem Fuchs, die zugegeben Meister der Tarnung sind, wäre es gelungen, sich mehr als eine Woche unbemerkt in den wenigen Räumlichkeiten dieses Schlosses aufzuhalten, ohne dass eine der Damen ihn bemerkt hätte. Eure Insel, Euer selbst erschaffenes Schloss, Eure Bannkreise. Nein. Es musste jemand von innerhalb sein. Sowohl die Dämonenkrieger als auch die Menschenfrauen waren als alleinige Täter auszuschließen. Die Krieger, weil ihnen die Eigeninitiative genommen wurde und sie höchstens als Werkzeug fungieren konnten, die Dienerinnen, weil auch ihnen unbekannt war, wo die Ketten versteckt wurden. Zumindest wusste es im Fall Lady Yuzukis Midori definitiv nicht, wo die Kette nach den ersten Diebstählen verborgen wurde, und es ist nicht davon auszugehen, dass es sich um zwei verschiedene Täter handelt. Das ließ nur den Schluss zu, dass es eine von Euch Schwestern war, die gegebenenfalls einen Krieger oder eine Dienerin angestiftet hatte.“ Er hörte das tiefe, fünffache Atemholen hinter sich und hob die Hand: „ICH rede. - Aber das Letztere schloss ich eigentlich bald aus. Die Krieger dienen jeder von Euch und hätten auf Nachfragen sicher auch Befehle zugegeben, ebenso die Dienerinnen. Das Risiko für die entsprechende yuki onna wäre enorm gestiegen. - Es war weitaus einfacher harmlos bei einem Treffen wie heute immer wieder einmal über die Ketten zu plaudern, solcherart die Verstecke zu erfahren. Aber Lady Yoshiko meinte zuvor, dass jede von Euch auch die Ketten spüren könne, selbst, wenn sie ihr nicht gehörten. Das vereinfacht die Sache natürlich. Die Schwestern sind außer Haus – jede von Euch weiß das, wenn auch nicht, wann sie genau wieder kommen. Wobei ihr alle in Bezug auf das Wetter den gleichen Geschmack haben dürftet und sie es sich denken kann. Einfach die eigene Dienerin zum Aufwärmen schicken, hinüber in das Zimmer gehen, die Kette nehmen - und sie sich um den eigenen Hals hängen. Jede von Euch hat mir erzählt, dass alle Räume, alle Dienerinnen und alle Krieger durchsucht wurden. Aber Ihr habt Euch nicht gegenseitig durchsucht. Ich bin sicher, noch gestern hingen alle gestohlenen Ketten am Hals einer Frau, perfekt vor den Schwestern verborgen durch die eigene. Das führt zu der Frage: wer? Im Prinzip hatte jede von Euch die gleichen Möglichkeiten des Diebstahls. Aber es gibt Aussagen, die sich widersprechen. Jede der drei Bestohlenen bedauerte den Verlust eines Erinnerungsstückes an die Mutter, nicht jedoch den Verlust eines magischen Gegenstandes. Aber sowohl Lady Yukiko als auch Lady Yaoko, die beide noch die Kette tragen, erwähnten die Schneeketten als Gegenstand der Macht, mehr bedeutend als Schmuck oder Erinnerung. Es wäre nun vollkommen sinnlos ein Erinnerungsstück zu stehlen, das man selbst besitzt, also lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf diese beiden Schwestern, die Jüngste und die Älteste. Beide zeigten mir ihre Ketten, Lady Yukiko sofort, in dem sie ihren Kimono ein wenig auseinanderzog, Lady Yaoko nach gewissem Zögern, da ich wegschauen sollte, sie hielt sie dann in der Hand. Beide jedoch verhinderten, dass ich sehen konnte, ob sie weitere um den Hals trugen. Wenn man eine Tat begeht, in solch engem Umkreis muss man mit Schrecken, aber auch gewissen Nachforschungen rechnen. Lady Yukiko hat, gegen den definitiven Rat all ihrer Schwestern, das Hilfeersuchen an meinen mächtigen Herrn und Vater geschrieben, Lady Yaoko gab offen zu dagegen gewesen zu sein, mit der Begründung, der Herr der Hunde würde sich kaum um die Probleme der Schneefrauen kümmern. Diese Ansicht vertraten durchaus auch ihre Schwestern,. Überdies gab es da einen Besuch in der Vergangenheit, der Euch alle meinen Herrn und Vater lieber in der Ferne wissen ließt. Das führte mich zu der Überzeugung, dass selbst Lady Yukiko eigentlich nicht davon ausging, dass ihr Brief in Wahrheit den Besuch des Fürsten bringen würde. Sie war auch recht überrascht als ich eintraf, wie Ihr alle. Offenbar wusstet Ihr nicht einmal, dass mein mächtiger Herr und Vater einen Sohn hat. Wozu also dann der Brief? Sicher, eine Unschuldige schreibt, um Hilfe zu bekommen. Aber wie sieht es aus, wenn der Täter ja gar keine Hilfe bekommen will? An diesem Punkt wurde mir klar, dass Lady Yukiko noch einen Fehler begangen hat. Sie ließ mir gegenüber unerwähnt, dass alle gestohlenen Ketten verborgen gewesen waren, durchaus ein wichtiger Faktor, der, im Gegensatz zu ihrer im Brief geäußerten Ansicht, es sei ein Fuchsdämon vom Festland, auf einen internen Täter hinwies. Erst ihre Dienerin, in dem offensichtlichen Glauben ihrer Herrin zu helfen die Diebstähle aufzuklären, erzählte es mir. Auch ist sie heute bei den ersten Zwei, die die Insel verlassen wollen, sicher, um sie zu verbergen. Ich bin überzeugt, meine Damen, wenn die Bestohlenen nun Lady Yukiko durchsuchen, werden sie alle Ketten bei ihr finden.“ Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann brach hinter ihm die Hölle los. Zumindest empfand er es so. „Zeig es uns, Yukiko!“ rief wohl eine der Bestohlenen mit geradezu überschlagender Stimme. Nannte man so etwas keifen? Da auch noch andere einstimmten, beschloss Seine Lordschaft seine empfindlichen Ohren zu schonen und flüchtete mehr, als er gesetzt ging, aus dem Aufenthaltsraum. Aus den Augenwinkeln entging ihm nicht, dass sich die Schneefrauen verwandelten – rote Augen, lange Krallen anstelle der bisherigen zarten Finger, Fangzähne wuchsen. Wirklich, das waren Furien, die sich da kreischend balgten. Oben auf dem Schneeschloss herrschte dagegen faktisch Ruhe. Nun ja, eben nur gegen den Krach einen Stock tiefer, der selbst bis hierher zu vernehmen war. Fast ein wenig sehnsüchtig betrachtete er das scheinbar so nahe Ufer. Trotz der Bannkreise müsste es doch möglich sein, zumindest in seiner wahren Gestalt, dort hinüber zu springen. Aber das wäre wohl rüpelhaft und Vaters Befehl lautete höflich zu bleiben. Überdies – falls die Bannkreise der Schneefrauen recht geschickt fabriziert wären, würde er dagegen prallen und in das eisige Wasser stürzen. Die Aussicht, hier als klitschnasser Hund wieder anzulanden, brachte ihn von seinem Gedanken ab. Endlich herrschte dort unten Stille. Nein, wirklich, die Aussicht auf mehrere Ehefrauen bot noch weniger Reize als die auf eine. Er vernahm leise Schritte und drehte sich um. Lady Yaoko, die jüngste der yuki onna, kam die Treppe empor und lächelte ihn an: „Meine Schwestern, bis auf Yukiko, natürlich, sind Eurer Lordschaft sehr dankbar. Yukiko trug sie tatsächlich um den Hals. Sie schrie uns gerade an, dass sie die Älteste sei und darum auf Mutters Erbe Anspruch habe. Wie töricht, wo wir doch alle gemeinsam sogar stärker als Mutter sind. - Ich erbot mich Euch dies zu sagen.“ Aha. Kam da noch etwas? Aber er musterte sie nur. Lady Yaoko lächelte: „Ihr habt nun fast alle unseren kleinen Geheimnisse erfahren, so möchte ich Euch auch den Grund nennen, warum Ihr wegsehen solltet als ich meine Kette abnahm. Hier....“ Sie legte die Hand an ihren Ausschnitt: „Trage ich ein Mal eines Kriegers, das nur langsam verblasst. Ich...schätze ihn sehr und erlaube ihm aus seiner Trance zu erwachen, wenn er bei mir ist. Wir haben uns recht gern, aber das würden meine Schwestern natürlich nie dulden. - Falls Ihr mögt, könnt Ihr gehen. Falls Ihr es jedoch schätzen würdet noch ein wenig unsere Gesellschaft zu genießen, würden wir uns sehr freuen.“ „Was geschieht mit Lady Yukiko?“ „Nichts weiter. Ein kleiner Familienstreit, nicht wahr? Das kommt in den besten Familien vor. Habt Ihr einen Bruder?“ „Nein.“ „Nun, dann könnt Ihr nicht wissen, wovon ich rede.“ Sie lächelte erneut: „Kommt Ihr mit oder wollt Ihr leider gehen..? Wir kommen Euch sicher in allen Euren Wünschen entgegen.“ „Mein Herr und Vater erwartet meinen Bericht,“ wehrte Seine Lordschaft fast zu eilig ab: „So sind die Bannkreise jetzt offen.“ „Ja.“ Mit gewissem Bedauern sah die junge Dame, wie sich neben ihr ein großer, weißer Hund bildete, der mit einem gewaltigen Satz auf das Festland flog. Nun ja, zumindest das hatten die vier Schwestern Yukiko nun erst einmal untersagt. Erst in sicher scheinender Entfernung von der Insel verwandelte sich Sesshoumaru zurück. Frauen! Wie konnte man so etwas nur bei sich dulden! Nun ja, zur Sicherung des Erbes, ja. Aber das konnte wirklich noch warten. Bei der Vorstellung eine Ehefrau wie Prinzessin Tokushima zu bekommen, mit ihrer spitzen Zunge und den sonstigen Launen, oder eine wie diese Schneefrauen, immer lächelnd, immer darauf bedacht einen zu locken, und in Wahrheit reißende Furien? Oder, als Krönung, eine Mischung aus beiden Varianten, was vermutlich eine Bestie in Reinkultur wäre? Nein, danke. Keine Dämonin, keine Schneefrau.....es sei denn, es musste in ferner Zukunft wirklich einmal sein. Warum konnten sie nicht so schweigsam und höflich wie ein Menschenmädchen sein? Oder konnten die sich auch verwandeln und wurden dann zu Monstern? Hm. Sakura arbeitet neben ihrem Lehrer Neigi im Kräutergarten. Die Ohren des Dämons waren weitaus besser als die des Menschenmädchens neben ihm, so dass er ihren Namen ausgesprochen hörte und hastig bedeutsam wiederholte, um seine Schülerin nicht einer unverdienten Strafe auszusetzen. Sie wandet gerade noch rechtzeitig den Kopf um zu erkennen, dass Seine Lordschaft mitten auf dem Hof stand und mit dem Zeigefinger knapp vor sich gedeutet hatte. „Verzeiht, sensei,“ murmelte sie, ehe sie hastig aufstand, hinübereilte und sich vor den Füßen des Dämonenprinzen niederkniete. Was wollte er denn von ihr? Sie hatte gehört, dass er im Auftrag seines Vaters in den Norden gereist sei, wohl kein Mord, jedenfalls hatte er sie nicht mitgenommen. Während sie so zu Boden blickte und angelegentlich die schwarzen Schuhe vor sich musterte, bewegte sie sich wohlweislich nicht. Sie kannte die winzigen Anzeichen, die etwas zu starre Haltung der Finger, des gesamten Körpers Seiner Lordschaft, nur zu gut, als dass sie nicht gewusst hätte, dass er aufgebracht war. Der Erste, der einen Fehler beging, würde das zu spüren bekommen – und Sakura wollte nicht gerade diejenige sein. Die Minuten vergingen, und, obwohl sie seinen Blick förmlich auf ihrem Hinterkopf, ihrem Nacken spüren konnte, sagte er nichts, tat nichts. Was war nur los? Sie wurde etwas unruhig, rührte sich aber noch immer nicht. Sie war nur froh, dass ihr Haar sich aus dem Knoten löste, über ihr Gesicht fiel, als sie aus den Augenwinkeln bemerkte, dass die ungewöhnliche Szene Zuschauer fand. Natürlich. Eine solche Einzelunterhaltung mit dem Erbprinzen bedeutete für den jeweiligen Diener, gleich, ob Dämon oder Mensch, zumindest eine Strafe. Und vermutlich überlegten alle, was sie getan haben könnte, zumal der Prinz ja unterwegs gewesen war. Das wusste sie auch nicht. Ihr war nur klar, dass es eine überaus peinlich Lage war, so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen oder eher zu knien. Warum nur sagte Lord Sesshoumaru nichts? Wie lange kniete sie hier schon? Er tat doch nichts ohne Grund? Der Inu no Taishou hatte durchaus bemerkt, dass sein Sohn eingetroffen war und erwartete eigentlich dessen unverzüglichen Bericht. Da nach einer halben Stunde noch immer nichts von Sesshoumaru zu sehen oder zu hören war, sandte er, zugegeben irritiert, einen Diener aus, der nach dem sehen sollte. Dessen Bericht: „Lord Sesshoumaru steht seit vierzig Minuten auf dem Hof und macht mit Sakura herum....“ beunruhigte den Fürsten doch soweit, dass er sich erhob und selbst nach dem Rechten sehen ging. Er konnte es sich zwar eigentlich bei seinem kühlen Sohn nicht vorstellen, aber die Magie der Schneefrauen hatte den doch nicht etwa auch beeinflusst? So sehr, dass er vor aller Augen mit einem Menschenmädchen..... Etwas erleichtert, wenngleich verwundert, musterte der Schlossherr die Szene im Hof, ehe er anmerkte: „Hier scheint niemand etwas zu tun zu haben. – Sesshoumaru, dein Bericht.“ Der Hundeprinz drehte unverzüglich ab und überließ es Sakura zumindest innerlich aufzuatmen,. Sie wartete allerdings bis die beiden Herren den Hof verlassen hatten, ehe sie vorsichtig, mit etwas steifen Gliedern, aufzustehen wagte. Neigi war heran: „Meine Schülerin...?“ Echtes Erstaunen lag in seiner Stimme: „Was sollte das?“ „Das...das weiß ich nicht, sensei. Die Gedanken Seiner Lordschaft sind unergründlich,“ gestand sie ehrlich. „Und doch errätst du sie meist – sonst wärst du kaum mehr am Leben.“ „Mag sein, aber.... Sakura wollte ihrem verehrten Lehrer nicht sagen, dass sie für einen Moment tatsächlich geglaubt hatte die Gedanken Seiner Lordschaft zu lesen. Das wäre natürlich unsinnig, aber sie hatte das Gefühl gehabt, er stelle sich ihr nicht wie der Erbprinz des Westens gegenüber einer kleinen Dienerin, die nicht einmal wagen durfte den Blick seiner Brust zu heben, sondern eher wie ein junger Krieger gegenüber einem sprungbereiten Raubtier. Wahrlich töricht. Wovor sollte ER je Angst haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)