Das Ende aller Tage von Amazone_Naveala (Wenn die Zeit gekommen ist) ================================================================================ Prolog: Der Anfang vom Ende --------------------------- Es war wieder soweit. Dieses Mal die Rückendeckung von dem Bund der Morgenröte und der Heiligen Garde bei sich wissend, mussten sich Greils Söldner wieder einmal einem Krieg entgegenstellen. Die Armee Daeins und Begnions hatte sich wieder neu formiert, dieses Mal als fester Bund kämpfend, um Tellius für sich zu erobern, die Allianz der Laguz zu besiegen und auch die Königin von Crimea vom Thron zu stoßen, welche die Laguz, welche noch immer Halbmenschen genannt wurden, mit aller Tatkraft unterstützte. Micaiah konnte trotz, dass sie die Königin Daeins war, nicht verhindern, dass ihre eigene Armee sich gegen sie stellte, da diese nicht mit ihren Übereinkünften mit den Königen der Laguz und auch den mit Königin Elincia nicht zustimmen wollten. Sie konnten nicht glauben, dass ihre Königin sich hatte verweichlichen lassen... Dies war schon ein paar Monate her. Der Krieg zehrte an den Nerven aller. Die Truppen auf der Seite der Allianz und Crimeas wurde immer schwächer. Tage konnten sie weder schlafen noch essen, hatten nur wenig Zeit zum rasten, der Feind war stärker als je zuvor, als sie je erwartet hatten. Das Klirren der Waffen, das Kreischen der Laguz war wohl auf der ganzen Welt zu hören. Alles erbebte unter dem Kampf, die Schlachten, die bestritten werden mussten. Der Kampfeswille sank, selbst derer, die sonst immer genug Kraft und Glauben für eine ganze Mannschaft besaßen... Kapitel 1: Donner und Schwert ----------------------------- Ein weiterer Morgen war angebrochen. Die Lanze, welche Titania bei sich trug wurde bereits von dem Blut vieler Feinde geziert, rot wie Feuer schimmerte der Lebenssaft in der aufgehenden Sonne. Es war Tag 5 des Kampfes, es war keine Zeit geblieben, sich zurückzuziehen, zu schlafen oder gar zu essen. Wie konnte sie das nur überleben? Sie wusste es nicht, wäre sie doch schon hungernd umgefallen, so trieb nur ihr reiner Überlebenswille sie durch die Masse an Beorc, welche sich wie eine Mauer vor ihr aufgebaut hatte. Wie immer war sie an vorderster Front, wollte ihren Kameraden, Freunden und Verbündeten durch ihre sehr gute Kampferprobung einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Dabei achtete sie immer darauf, wer hinter ihr stand. Waren es selbst Kämpfer mit einer Waffe in der Hand, achtete sie weniger darauf, als wenn ein Magier oder gar ein Heiler hinter ihr war. Diese allerdings hatten sich zu einem kleinen Haufen formiert, weit weg von ihrem Geschehen. Die Heilmittel, die sie immer vorher ausgeteilt bekamen, acht an der Zahl, waren fast verbraucht. Langsam machte sich die Erschöpfung, die Kraftlosigkeit in ihr bemerkbar, ihre Bewegungen wurden immer unsicherer, ungenauer, sie wusste manchmal nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie war selbst durch den Adrenalinschub, den sie seit vielen Stunden in ihrem Blut rauschen spürte nicht genug geschützt. Ihre Angst machte alles nur noch schlimmer. Wo kamen die ganzen Männer und Frauen her, die auf ihrer Feindesseite kämpften? Waren auch Kinder gezwungen worden, denn so hin und wieder sah sie zwischen den großen und kräftigen Soldaten kleine Köpfe in zu großen Helmen...? Es war grausam mit anzusehen, wie sie nach und nach die Klinge ihrer Lanze oder ihres Schwertes in die vom Kampf ausgezehrten Leiber ihrer Feinde treiben musste, immer wieder das Blut dessen spritzen sah, hin und wieder sogar ihr Gesicht treffend. Bittere Galle stieg in ihr auf. Sie hatte schon zwei Kriege erlebt, warum musste es noch einmal geschehen? Ilyana schaute sich für nur einen Moment um. Um sie herum heiße Leiber, gewärmt von der Rüstung und dem Kampf, den sie bestritten. Sie mittendrin. Man hatte sie nicht übersehen, doch war sie jemand, der das Glück besaß, nicht oft Opfer von Angriffen zu sein. Diese Technik, welche sie sich dazu angeeignet hatte, nannte sich Schatten. So war sie auch. Sie stand inmitten des Kampffeldes und niemand sah sie. Sie hatte Platz, jede Menge sogar. Alles kam ihr so surreal vor. Wie konnte sie inmitten des Kampffeldes stehen, dem Ort, wo sie die meisten Schwertkämpfer tummelten, Duelle fochten? Ilyana konnte es sich nicht erklären, doch wusste sie, dass sie kämpfen musste, Schatten hin oder her. Normalerweise vermied sie jegliche Art von Konfrontation negativer Seiter, doch Krieg war Krieg und mit einem letzten Atemzug begab sie sich zu einer Gruppe von Reitern, die scheinbar ihre Hilfe benötigten. Sie sah, dass viele der Reiter schon gar keine Pferde mehr hatten, lagen ihre ausgeweideten Leiber über dem Feld verteilt, wurden von den Feinden als Schilde verwendet, da Mitleid mitten in der Schlacht sowieso unangebracht war, deren Meinung zumindest. Das Leid, welches sie überall spürte, wuchs in der Magierin zu einem Knoten in ihrer Brust zusammen. Doch jetzt galt es zu helfen, statt Mitleid zu zeigen, zu weinen und aufzugeben. Sie durften nicht aufgeben und wie schon bereits dreimal an diesem Tag, erfasste sie eine Welle des Mutes, ihre Lebensgeister schrien ihr zu, nicht aufzugeben. Der Überlebenstrief der Violetthaarigen hatte sie nicht verlassen. Mutig stand sie den Reitern zur Seite, hatte sie aber ein Ziel in der Ferne erfasst. Sie hatte den roten Schopf die ganze Zeit gesehen, hoffte, dass es ihr in der ersten Kampfesreihe gut erging. Mit ihrem Donner konnte sich die Magierin gut verteidigen, trieb heiße, tödliche Blitze in die Leiber der Gegner, verbrennte deren Fleisch und verkochte, zerrissen deren Eingeweiden, bis nur noch ein schwarzer Haufen zurückblieb, der einmal ein lebendes Wesen war. Nach und nach brannte sich Ilyana ihren Weg zu Titania. Die Kämpfe wurden immer härter, doch ihr Herz trieb sie immer weiter nach vorn, die Liebe, die sie zu der Rothaarigen zog, ließ sie überleben. Ihr Herz klopfte wild, als auch der letzte verbrannte Leib überstiegen wurde. Erleichtert wie sie war, musste sie beginnen auf ihre Feinde zu achten, denn diese wurden nun, da sie in der zweiten Reihe im Direktkampf verstrick war zuhauf, wurden zu einer undurchdringlichen Masse aus schwarzen und gelben Rüstungen. Wieso, wusste sie nicht, doch Titanias Herz begann zu rasen. Sie hatte Ilyana, ihre heimliche Traumfrau, noch nicht bemerkt. Ein ungutes Gefühl ließ ihre Adern kochen, alles in ihr vibrierte und ließ sie schwächer werden. Schon war es passiert, etwas schnitt sich tief in ihren Oberarm, wo der Panzer bereits von unzähligen Geschossen verbeult und zu einer zerbrechlichen Scheibe zermartert wurde. Eine Axt grub sich tief in ihren Arm, glitt wie durch Butter durch unzählige Gewebeteile, durch ihr schmerzaussendendes Fleisch, allerdings nicht durch den Knochen, dafür war der Schwung zu schwach. Es war der linke Arm der Goldritterin, den sie zum Führen der Lanze verwendete. Ein gellender Aufschrei hallte über das Feld, für einen Moment erstarrte die Welt um sie herum, glaubte für den einen Moment, ihren Arm auf den Boden fallen zu sehen. Bei dem nächsten Schwung des Feindes, nachdem dieser die Axtklinge mit einem heftigen Ruck aus dem eingekerbten Knochen entfernte, begann er einen neuen Angriff. Titania, von dem Schmerz überwältigt und doch tief in ihrem Überlebenswillen gefangen zog für sie in versetzt gefühlter Zeit das Schwert mit ihrer rechten Hand und konnte so den Angriff abblocken. Ihr Feind saß ebenfalls auf einem Pferd, ihr eigenes war schon an einer Flanke leicht verwundet, jedoch mit genau dem gleichen Überlebenswillen beseelt wie ihre Reiterin. Erst sehr spät merkte die Rothaarige, dass eben dieser Angriff nicht ihr selbst gegolten hatte und mit einem mitleiderregendem Wiehern spürte sie nur, wie sie dem Boden schneller entgegenkam, als ihr lieb war. Die Beine ihres treuen und geliebten Reittieres hatten nachgegeben und sie spürte, als sie sich mit ihrem unverletzten Arm abstützte, um sich aufzurichten, dass sie in das warme Blut ihres Pferdes gestürzt war. Dieses bedeckte nun ihre Handflächen, durchtränkte den Stoff ihrer Unterkleidung und färbte auch ihre Rüstung in ein kräftiges Rot, solange es zumindest hielt. Auch das Haar der Goldritterin saugte sich soweit es konnte damit voll. In Titania selbst begann es zu wüten. „Amita!“, rief sie, doch die Stute gab keine Antwort mehr. Es war zu spät. Nachdem der schwarzgepanzerte Soldat von seinem Pferd stieg, die Axtklinge aus der Flanke des weißen Pferdes zog und die Reiterin sehen musste, wie mit dieser Bewegung noch einige Fleischreste durch die Luft sausten, damit die tödliche Wunde noch weiter ausfranzten, war ihr erst bewusst geworden, dass ihre treue Amita nicht mehr aufstehen würde. Der Schmerz in ihrer Brust brannte und zum ersten Mal begannen die Wut und der Hass, den sie für Feinde sonst nur im geringen Maße empfand, in ihr Überhand zu nehmen. Die grünen Augen, welche sonst eine mütterliche Sänfte ausstrahlten, glitzerten nun unheilvoll, legten den blanken Hass in ihr dar. Nach und nach schaltete sich ihr gesunder Menschenverstand aus, doch wieder kehrte das Unwohlsein zurück und dieses Mal viel stärker als vorher. Das Kribbeln in ihren Nervenbahnen war unerträglich und begann die Bewegungen der Kriegerin nach und nach zu lähmen. Das Schwert, welches sie fest umklammert hielt, trieb sie brüllend in die Seite ihres Gegners, die Klinge bohrte sich zwischen zwei Rippen hindurch, ein leichtes Schmatzen verriet nach dem durchgleiten des Schwertes, dass eben dieses vor Blut nur so triefte, hastig tropfte es zu Boden. Achtlos ließ Titania den Mann liegen, der ihr geliebtes Pferd auf dem Gewissen hatte und drehte sich um. Dort sah sie Ilyana stehen, welche sich ängstlich, vom Überlebenswillen gepackt gegen ihre Feinde behauptete. Sie war in ihr Buch vertieft, so schien es jedenfalls, kannte sie doch alle Formeln darin auswendig und schaute lediglich zur Sicherheit hinein. Der Drang, zu ihr zu stürmen und sie schützend in die Arme zu nehmen war zu groß, doch dem Wahn verfallen brach sie eine der obersten Regeln des Kampfes. Störe niemals einen Kameraden in der Schlacht. „Ilyana!“, rief sie, wollte die Jüngere warnen. Erst als jene sich umdrehte und sie ansah, bemerkte die Rothaarige, dass sie einen großen Fehler begangen hatte. Ihre wachsamen Augen wiesen sie darauf hin, dass ein Lanzenkämpfer auf sie zustürmte, die Magierin im Visier, welche es nicht bemerkte, sogar erleichtert war, ihre Liebste wohlauf zu sehen. Dies sollte ihr zum Verhängnis werden... Gewaltige Schritte, beinahe Sprünge trieben die Beine der Älteren zu der Donnerweise hin, streckte unter starken Schmerzen ihren verletzten Arm aus, wollte sie wegziehen, selbst wenn es ihr den Arm abreißen würde. Sie sah dabei unentwegt in das zierliche Gesicht Ilyanas, wollte an ihrem Blick lesen, ob etwas geschah, doch die Welt stand für die Goldritterin ein zweites Mal still. Die Augen der Magierin rissen weit auf, so weit, dass man dachte, dass sie aus ihren Höhlen fielen, ihr Mund öffnete sich leicht und nur wenige Augenblicke später quoll ein Schwall Blut heraus, lief wie ein Wasserfall ihre Lippen, ihr Kinn entlang, klatschte teilweise auf ihren Rock, teilweise auf den Boden. Es war wieder passiert. Titania war zu spät. Langsam, so fühlte sie, fiel Ilyana auf die Knie, aus ihrem Bauch ragte ein langer Speer, welchen die kleine Magierin heftig umklammerte, ihn aber nicht bewegen konnte, wollte sie diesen Fremdkörper aus sich heraus entfernen, doch dafür war sie zu schwach. Das magische Buch, Thoron, fiel in eine rote Pfütze aus dem Blut seiner Trägerin. Dies geschah still, sie gab keinen einzigen Laut von sich, ihre Augen wurden glasig und zeugten davon, dass sie diese Welt geistig bereits fast verlassen hatte, wohingegen ihr Körper in alle Winkel Schmerzsignale aussandte, vergebens, denn dies konnte man nicht mehr heilen. Ilyana spürte, dass es vorbei war. Ihr Blick haftete sich nun auf die verzweifelte Frau vor ihr, welche verzweifelt ihren Namen schrie. Sie spürte den Schmerz, den sie fühlte und Ruhe kehrte in ihr ein. Ja, Ruhe. Sie wusste, dass der Tod sie in den nächsten Momenten zu sich holen würde und ein friedliches Gefühl blockte die Annahme des Schmerzes vollkommen. „Meine Liebste... ich... muss gehen...“, keuchte sie zwischen den Tönen sich kreuzender Waffen in ihrer Nähe. Langsam schlossen sich die Augen der Magierin, eine einzelne Träne rann über ihre Wange. Titania war erstarrt und konnte Ilyana nicht mehr packen, als sie nach hinten fiel und zu Boden donnerte. Der Speer zerbrach in ihrem Bauch und riss blankes Fleisch und Haut mit sich, blieb noch zum kleinen Teil in dem zierlichen Körper stecken, wo hingegen der vordere Teil so blieb wie er war. Die Zeit stand endgültig still. Titania stand einfach nur da und konnte nicht einmal eine Hand nach ihrer geliebten Ilyana ausstrecken, als diese ihren letzten Atemzug austat und auf den Rücken fiel. Ihre sonst so imposante Gestalt fiel in sich zusammen. Jetzt kehrte ihre Vernunft zurück und sagte ihr, was sie falsch gemacht hatte. Sie hätte die Magierin niemals rufen dürfen. Der Klang der Worte, welche Ilyanas letzte waren, hallten noch in ihren Ohren. Sie hatte sie Liebste genannt. Sie hatten immer gleich gefühlt, doch diese Liebe würde nun für immer unerfüllt bleiben, wusste Titanias Angebetete nicht einmal von ihren Gefühlen. „Ilyana... Ilyana!!!“ Lange gab sie sich ihrer Trauer nicht hin, denn mit dem Schrei, den die Goldritterin von sich gab, wurde jegliche Vernunft, jegliche Güte in ihr getötet. Der Körper war nun eins mit den Empfindungen Titanias und begann sich selbstständig zu bewegen. Ein Ring von Feinden hatte sich um sie gebildet und hastig, zornentbrannt schlachtete sie einen nach dem anderen ab. Sie spießte die Herzen ihrer Feinde auf, Köpfe rollten zu Boden, deren Augen fehlten, beinahe mit Genuss schmeckte sie das Blut derer, die für den Tod ihrer Kameraden verantwortlich waren. Immer wieder brüllte sie, lauter als die stärksten Löwen es konnten, ihre Augen verdrehten sich und verhinderten so manches Mal die Sicht der wildgewordenen Ritterin. In ihrem Wahn aber übersah sie eine kleine Person, einen Assassinen, der wohl noch zu jung für eine Schlacht war, vielleicht gerade 15 oder 16 Jahre. Dieser hatte den gleichen Hass in den Augen wie die, auf deren Rücken er sich warf, sich an ihr heftete wie auf einem Stier. Titania bemerkte ihn nicht, war sie in einem Blutrausch, der sie nur Augen für die Gegner vor ihr haben ließ. Ein Streich nach dem anderen streckte Soldaten Daeins und Begnions nieder. Die Luft um sie herum flimmerte und mit einem kräftigen Stoß in ihrem Hals wurde eben diese ihr geraubt. Sie konnte nicht mehr atmen, es schmerze so sehr, dass sie nicht einmal schreien konnte. Langsam ließ sie ihr Schwert fallen und fasste sich an den Hals und schnitt sich an einer Klinge, die zu ihrer linken Seite herausschaute. Röchelnd stellte sie fest, dass ihr jemand einen Dolch in den Hals gerammt, ihre Knochen aufgeschabt und die Schlagadern so gut wie durchtrennt hatte. Es war also nun auch mit ihr vorbei. Ihr Körper wurde endgültig schwach und wie ein nasser Sack fiel sie in sich zusammen. Sie fühlte, wie sich ihre Adern mit der Kraft eines Peitschenschlags durchtrennten. Ilyana... gleich bin ich bei dir... Jetzt musste sie nicht mehr traurig sein. Gleich war sie bei ihr. Bei ihrer Liebsten. Kapitel 2: Auf den Schwingen des Todes -------------------------------------- Der Ritt war anstrengend geworden. Keuchend saß Sigrun auf ihrem Pegasus und trainierte. Heute war ein ruhiger Tag, die Heilige Garde hatte sich zurückgezogen. Einige Tage Pause hatten sich die erschöpften und verletzten Mädchen verdient, doch Sigrun kannte keine Pause. Sie kümmerte sich um jedes Mädchen persönlich, munterte die Truppe auf, kümmerte sich um die Moral. Sigrun litt unter der Situation, an Schlaf war schon lange nicht mehr zu denken, immer, wenn eine der Mädchen weinte und vor Sorge schluchzte waren die Arme der sanften Anführerin schon da. Der Ritt war schwer, Blasen hatten sich auf ihren Handflächen gebildet, da die hölzerne Lanze mittlerweile zu einer Last wurde. Sigruns Augen wurden schwer und konnten sich von selbst nicht mehr oben halten. Es war an der Zeit sich etwas bei einer der Heilerinnen zu holen. Langsam und vorsichtig landete sie auf dem sporadisch errichteten Trainingsplatz. Ebenso vorsichtig schwang sie sich aus dem Sattel. Der Blick der Anführerin war verschwommen, ihre Glieder schmerzten und sie zitterte. Dies war bereits normal, war Sigrun erschöpft und hatte keine Kraft mehr um den Krieg weiterzuführen. Doch es musste weitergehen, der Kampf war noch nicht zu Ende und eilig mussten neue Rekrutinnen ausgebildet werden. Tanith, ihre Vize wurde dazu verdonnert, sich in ihrer Abwesenheit um die Verletzten und Verzweifelten zu kümmern. „Sigrun! Commander Sigrun! Kommt schnell!“, rief eine der Mädchen aus der Ferne. Ein leises Seufzen entkam der Kehle eben dieser Commander. Scheinbar war wieder eine ihrer Untergebenen zusammengebrochen, vielleicht sogar gestorben. Langsam, auf jeden Schritt achtend, ging sie auf die grünhaarige Rekrutin zu. Lirayi… glaube ich… „Livia ist tot!“ Wieder war eine tapfere Kriegerin gefallen. Wieder war eine weitere Wunde in dem Herz der Türkishaarigen gebohrt worden. Livia war eine alte Kameradin von ihr, sie hatten zusammen die Ausbildung in der Heiligen Garde absolviert. Während Livia auf ihrem Platz sitzen blieb war Sigrun ihre Karriereleiter weiter hinaufgeklettert, hatte sich ihren Platz an der Spitze erkämpft. Selbst den Platz der Vize wollte Livia nicht haben und schickte die damals recht junge Tanith vor. Nun war Livia tot. Der gefühlte Herzschlag der Commander hörte auf, doch noch brach sie nicht zusammen. Tränen rannen beinahe reflexartig über die Wangen der blassen Sigrun, woher nahm sie diese noch her? Innerhalb der letzten Tage waren fünf Mädchen gestorben. Livias Tod allerdings traf ihre nun ehemalige beste Freundin schwer. Leise weinend folgte sie Lirayi, welche schon laut schluchzte, als sie die trauernde Anführerin sah. Es war das Gebetszelt, welches sie betraten. Dieser enthielt ein paar chaotisch verteilte Bänke und in der Mitte einen Altar, um zu Ashera zu beten. Auf diesem war bereits ihre Freundin gebettet. Sie lag in ihrem Lieblingskleid auf einem Seidentuch, um sie herum waren Blüten verteilt. Die Zeremonie sollte gleich beginnen. Sigrun schloss sich der trauernde Menge schweigend an. Auf einer Bank waren für sie beide noch zwei Plätze frei. Ebenso schweigend, wie sie das Zelt betraten, setzten sie sich. Schwach schaute sich die Commander um, direkt links von ihr saß Mira, eine neue Rekrutin und beinahe wie eine kleine Schwester für die Verstorbene. Gegenüber sah sie in die starken Augen Taniths. Diese konnte sie jedoch nicht lange anschauen, der starken Ausdruck schien sie einzuengen, sie zu Boden zu drücken. Sigrun verstand nicht, wie ihre Vize so stark bleiben konnte. Tat es ihr nicht weh, jeden Abend und jede Nacht neue Kämpferinnen, Freundinnen begraben zu müssen? Für Sigrun waren die Mädchen wie ihre eigene, große Familie. Jede war wie eine Tochter, eine Schwester und mit jedem weiteren Mädchen, das starb, starb auch ein kleiner Teil der Commander. Dies mochte unprofessionell sein, doch der sanfte Kern hinter der stählernen Rüstung ließ es nicht anders zu, als zu jeder einzelnen Kämpferin eine persönliche Beziehung aufzubauen. Doch genau dies schien sie mehr aufzufressen als die Erschöpfung, die mit dem Kampf einher kam. Die Zeremonie war schon Alltag, währenddessen liefen weiterhin Tränen über die Wangen der Obersten. Die Geistliche tat ihre Arbeit wie immer ruhig, zumindest nach außen hin ruhig, doch alle wussten, dass auch sie trauerte und verzweifelt war. Es war alles wie immer. Tari, die Geistliche, läutete die Zeremonie mit dem Entzünden einer gefärbten Kerze ein. Der Rauch, welcher aufstieg, war in einem tiefen Blau, die Lieblingsfarbe Livias. Nach wenigen Sekunden wurde das Zelt mit blauem Rauch erfüllt, die Stimme Taris war nah an den Herzen der Frauen und doch so weit weg, dass man sie nicht bewusst hören konnte. „Heute wurde ein weiteres Mal eine Seele von einem Körper getrennt. Livia, eine fähige und tapfere Kriegerin, verlässt uns heute für immer. Ihr Tod soll nicht umsonst gewesen sein, wir, die hier setzen und ihr gedenken, versprechen, ihre Ideale und Warmherzigkeit, welche sie uns schenkte, in unserem Herzen weiterzutragen. Sie starb, wie sie lebte, als Kriegerin und liebende Frau, welche immer erst an die anderen und dann an sich dachte. Der Rauch möge ihre Seele bis zu den Toren des Jenseits beschützen…“ Die Kerze wurde herumgereicht und als Sigrun die Kerze in ihren Händen hielt, fiel eine Träne auf die Flamme, doch diese brannte weiter. Ein gutes Zeichen. Sachte blies Sigrun den Rauch zu der Toten hin, ehe sie die Kerze weitergab und die gleiche Geste tat. Die Kerze wurde weitergereicht, bis sie wieder bei der Geistlichen ankam. Diese blies die Kerze sanft aus und legte sie in Livias Hände. Nachdem die Tote geweiht und ihre Seele nun sinnbildlich mit gefärbtem Rauch in den Himmel aufgestiegen war, wurde sie mithilfe der Anwesenden in einen Sarg gebettet. Noch einmal berührte Sigrun das bereits kalte Gesicht Livias. Sie hatte es so oft getan und jetzt würde sie es nicht mehr spüren. Es verletzte sie sehr, die Kälte ihrer Haut kroch ihr bis in die Knochen. Danach nahm sie eine der Tragehölzer, zusammen brachten sie Livia zu dem provisorischen Kriegsfriedhof. Es waren lediglich kleine Erdhaufen, in denen die toten Frauen bestattet wurden. Ein Haufen war bereits geöffnet worden, gerade so groß, dass der Sarg gänzlich hineinpasste. Der Zug lief langsam an den Trainingsplätzen vorbei, die Mädchen, welche dort trainierten und sich wach hielten, verneigten sich vor dem Zug, wollten der Toten ihren Respekt zollen. Livia war die erste Tote des Tages und sollte hoffentlich die letzte bleiben. Man konnte es allerdings nie genau wissen. Schweigend wurde Livia begraben. Die Geistliche hielt noch einmal ein letztes Gebet für sie, doch ehe sie um ein schönes Ableben bitten konnte, ertönte das Horn. Wieder waren die feindlichen Truppen unterwegs. Sie hatten sich der Grenze genähert und waren wohl bereit zum Angriff. Sigrun verließ eilig das Grab ihrer Freundin, doch ehe sie nach ihrer Stute pfeifen konnte, zuckte sie zusammen. Eine starke Hand lag auf ihrer Schulter und riss sie zurück. „Commander! Es ist wichtig, dass Ihr Euch ausruht! Ihr habt seit Tagen nicht mehr geschlafen…“ Sigrun jedoch schüttelte den Kopf und die Hand ab, ging entschlossenen Schrittes zu den Stallungen. Ihr Pegasus war wohl genauso müde wie sie, doch noch einmal mussten sie die Grenzen Begnions verteidigen. Sie waren bereits etwas zurückgefallen, die Kaiserin war darüber sehr bestürzt, sie musste allerdings beschützt werden, damit das Land nicht im Chaos versank. Es musste sein, selbst wenn es das Leben eines jeden Mädchens kosten würde, einschließlich ihr selbst. Schweigend und doch davon überzeugt, ihre Commander von dem Selbstmordkommando abzuhalten, eilte Tanith Sigrun nach. Sie wollte nicht, dass sich ihre Oberste und Freundin zugleich davon überzeugte, dass ihr Zutun dabei half, den Krieg zu gewinnen. Sicherlich, sie war für die Heilige Garde unersetzlich, doch im Augenblick brauchte sie dringend etwas zu Essen und den nötigen Schlaf, um einen Teil ihrer Energiereserven wieder füllen zu können. Ohne diese Reserven würde sie wohl noch von ihrem Pegasus fallen. Mit einem festen Griff wollte Tanith ihre Vorgesetzte davon abhalten, sich wieder auf ihren Pegasus zu schwingen, doch sie wurde abgeschüttelt, als sei sie nur ein kleines Kind. Dies konnte sie nicht durchgehen lassen, eifrig griff sie Sigrun an die Hüften und zog sie daran ruppig zurück. Dies war ein Fehler, denn die Commander stolperte und fiel zur Seite weg, prallte mit dem – zum Glück noch behelmten – Kopf gegen eine der Stalltüren. Der Pegasus dahinter wurde unruhig, wieherte nervös und machte einen Satz nach hinten. Eilig half die Dunkelhaarige ihr auf und stützte sie. Die Verfassung der Älteren war deutlich schlechter als ihre eigene, doch Tanith bemühte sich um Erholungspausen, während Sigrun sich darum nur wenig scherte. Torheit würde sie das nennen, auch wenn sie das Verhalten ihrer Vorgesetzten und Freundin durchaus verstehen konnte. Doch jetzt musste sie durchgreifen, auch wenn dies ihren Rang als Vize kosten würde. „Sigrun! Verdammt, sieh zu, dass du Schlaf findest! Du kannst jetzt nicht aufsatteln und unnötig dein Leben riskieren!“, schalte sie die schwache Sigrun, welche sich sehr auf ihre Schulter stützte. Allerdings hörte die Angesprochene nicht darauf, sie löste sich von ihr und schwankte zu ihrem Pegasus, öffnete die Stalltür. Erst scheute das schneeweiße Tier, spürte selbst die Erschöpfung ihrer Reiterin, doch auch dieses hielt sie nicht auf und es wurde an den Zügeln nach draußen gezerrt. Tanith lief ihr mit offenem Mund nach. Woher nahm sie noch die Kraft, einen über 200 Kilogramm schweren Pegasus aus dem Stall zu ziehen, selbst wenn es sich mit allen Mitteln wehrte? Sie konnte es sich nicht erklären, doch ehe sie noch etwas sagen konnte und zu ihr gelaufen war, war es schon zu spät. Sigrun war wieder auf ihren Pegasus gestiegen und war bereits abgehoben! Erschrocken eilte Tanith hinterher, sie würde ihre Commander mit ihrem Leben beschützen, wenn es sein musste. Daher langte sie nach ihrem Schwert, als sie in den Stallungen ankam, stieg schwungvoll auf ihren Pegasus und eilte hinterher. Es hatten sich bereits alle verfügbaren Kräfte in der Luft versammelt und warteten nur auf die Herrin des Krieges, so wurde Sigrun mittlerweile oft genannt. Egal, wie erschöpft sie war, egal, wie wenig sie zu sich genommen hatte, immer kämpfte sie mit Stärke und Stolz, welche viele nicht mehr hatten. Als Sigrun beim Versammlungsort ankam, schaute sie auf ihre nur noch auf 50 Mädchen beschränkte Armee. Alle anderen waren zu stark verletzt oder bereits tot. Sie waren schon seit beinahe einem halben Jahr im Krieg verstrickt und viele der Mädchen waren nicht auf diese Belastungen vorbereitet worden. Von anfangs 200 Pegasusrittern, Falkenrittern und darunter drei Weißen Rittern, von denen eine Sigrun war, waren nur noch etwa 80 übrig geblieben. Die Heilige Garde war noch nie sonderlich groß gewesen, eine Elitetruppe der Kaiserin, doch war sie die stärkste, welche man in ganz Tellius finden konnte. Wenn diese bereits über die Hälfte ihrer Besatzung verloren hatte, war für die Armee, welche sich aus Crimea und der Allianz zusammengeschlossen hatte, ein sehr schwarzer Tag, vielleicht waren sie schon besiegt. „Nun Mädchen, das Horn hat gesprochen! Wir müssen und wieder auf einen harten Kampf vorbereiten. Es sind nicht mehr viele von uns übrig und heute Morgen verstarb Livia, wie ihr wisst, doch in ihrem Sinne und aller Verstorbenen müssen wir kämpfen und siegen! Wir lassen nicht zu, dass die Armee aus Teufeln uns besiegen kann!“ Es kam eine starke Resonanz seitens ihrer Kriegerinnen. Dies baute Sigrun wieder etwas auf und ihr Zittern verschwand. Auch war ihr nicht mehr schwindelig, das altbekannte Adrenalin rauschte durch ihre Adern und ließ sie nach außen hin wach und kampfbereit wirken. Innen allerdings waren bereits so viele kleine Wunden, dass man sie nicht mehr zählen konnte, seelische Wunden um genau zu sagen. Noch immer war die Commander müde und ausgelaugt, es war nur ein kurzer Energieschub, welcher sie durchdrang, er hielt nur wenige Augenblicke. Von weitem hörte Tanith die starken Flügelschläge von Wyvern. Sie hatten ausgerechnet noch gefehlt, selbst die drei Weißen Ritter kamen sehr schlecht gegen die widerstandsfähigen Wyvern und deren gut gepanzerte Ritter an. Still zog Tanith ihre Windschneide. Dies war die Waffe ihres Vertrauens, sie hatte sie geschenkt bekommen, als sie ihre Ausbildung beendet hatte. Seitdem übte sie auch ihre magischen Fähigkeiten, damit sie diese Klinge gut führen konnte und sie war mittlerweile mit ihr verbunden wie Zwillinge es einander waren. Mit einem erbitterten Kriegsgeheul stürmte Sigrun voran und Tanith raste sofort hinterher. Sie kannte Sigrun wohl besser als jeder andere Beorc auf der Welt, selbst Livia kannte sie nicht besser, wie Tanith es tat. Sie hatten schon sehr viel miteinander teilen müssen, allein in den letzten beiden Kriegen waren sie zu sehr eng verbundenen Kameradinnen geworden, waren beinahe unzertrennlich, bestritten all die Schlachten stets nebeneinander, miteinander. Ohne die jeweils andere konnten die beiden gar nicht mehr im Kampf existieren. Doch heute war es nicht so. Wagemutig, den anderen Mädchen helfend, hetzte Sigrun von einem Kampf zum nächsten. Die Feinde hatten die Heilige Garde bereits auf dem entgegenkommenden Weg erreicht und angegriffen. Tanith hatte direkt zu Beginn den Überblick und – was für sie noch schlimmer war – Sigrun aus dem Blick verloren. Leicht panisch suchte sie nach der Türkishaarigen, eilte umher, doch sie konnte sie nicht finden. Innerlich machte sich Tanith schon bereit, Sigrun am Boden zu finden. Währenddessen umzingelten sie zwei weitere Wyvernritter, welche sie dank ihrer Windschneide aus der Ferne in Schach halten konnte. Der Wind schnitt mit Leichtigkeit durch die gepanzerten Wyvernkörper hindurch, teilte den Reiter entzwei und beide fielen wie Steine zur Erde hinab. Der andere Reiter wollte noch vorher abdrehen aufgrund der magischen Bedrohung, doch dieser fand wenige Augenblicke später sein Reittier entzwei und hielt sich, als er fiel, noch an einer Flanke fest, welche in seinem Griff nur noch weiter auseinander riss. „Sigrun! Sigrun!!“, rief Tanith ängstlich. Die tapfere Vize zeigte nie ihre Angst, doch jetzt… jetzt war es etwas Anderes. Sie machte sich zu große Sorgen um ihre Freundin, welche völlig erschöpft in den Kampf geflogen war, sich sogar regelrecht hineinstürzte, um die restlichen Mädchen, die ihr noch geblieben waren, zu beschützen. Sie konnte sie nicht finden… Da, endlich! Aus einer Reihe schwarzer Rüstungen und roter Leiber schaute ihre helle Mähne deutlich hervor. Allerdings war diese nun mit roten Flecken übersät und als Tanith zur Hilfe eilte, weil sich drei Wyvernritter auf Sigrun und einer frisch ausgebildeten Pegasusreiterin stürzten, sah sie das ganze Ausmaß von Sigruns Wagemut. Nachdem sie zu dritt den Gegnern Herr wurden, beschaute die Vize ihre Commander mit einem geübten Blick. Sigruns alte Wunde an ihrer linken Schulter war aufgebrochen, hatte diese nicht einmal die Zeit, vollständig zu verheilen, selbst wenn die Wunde bereits vier Wochen alt war. Blut quoll aus dem Baumwollschutz, welcher das Aufscheuern der Haut durch die Panzer verhindern sollte. Er war rot gefärbt und es floss so viel Blut aus ihren Adern, dass es daran herunterlief. Tanith wurde schlecht bei dem Anblick, dem Mädchen neben ihr schien nichts passiert zu sein, Ashera sei Dank. Stumm nickte die Ältere den beiden Jüngeren zu und flog davon. Tanith eilte ihr nach, rief nach ihr, doch ihr Ruf blieb leise im Klirren der Waffen. Der Schrei eines jungen Mädchens erhallte. Sigrun wusste, um wen es sich handelte. Es war die junge Tochter einer Reiterin, die vor zwei Wochen bereits gestorben war. Die Kleine war gerade erst 18 geworden und wie alle anderen ihrer Mädchen war diese wie ein eigenes Kind für sie. Nera Utia – der zweite Name war der Name ihrer Mutter – war eine ebenso tapfere Kriegerin, wenn auch noch frisch und jung, doch Sigrun war der Auffassung, dass sie es sogar zur Commander schaffen konnte, wenn sie so tapfer blieb. Sie hatte keine Scheu, nach vorn zu stürzen und ihr Leben für ihre Kameradinnen herzugeben. Sie hatte sich ein Beispiel an ihrer ebenso mutigen Mutter genommen, welche vor den Augen ihres Kindes mit einem Schwert geköpft wurde. Seither regierte der Hass in der jungen Frau und sie wurde unvorsichtiger. Genau deswegen, weil sie es wusste, war der Schrei unter all den anderen Schreien in Sigruns Ohren besonders hervorgestochen. Innerhalb weniger Sekunden war Sigrun bei ihr und konnte gerade noch ihr Schwert gegen das des Gelbgepanzerten halten. Ansonsten hätte Nera wohl mindestens einen Arm verloren, wenn nicht sogar ihren Kopf, wie ihre Mutter. Schnell atmend schaute die junge Pegasusreiterin auf ihre leeren Hände, sie hatte ihre Lanze verloren und nun war sie völlig schutzlos. Kurzerhand, ohne nachzudenken, drückte Sigrun ihr das blutgetränkte Schwert in die Hand, welches sie selbst führte. Es war ein Silberschwert, Nera war noch zu unerfahren für solch qualitative Schwerter, doch Sigrun wusste, sie würde damit zurechtkommen. Sie selbst hatte noch ein Stahlschwert dabei, welches sie auf ihrem Rücken trug. Dieses zog sie leise aus der Scheide und in der Bewegung drehte sie sich um und trieb die frische Klinge einem feindlichen Pegasusritter in den Bauch. Dieser ächzte in seinen letzten Momenten, bevor er über der Klinge zusammensackte. Sigrun wunderte sich nur einen kurzen Wimpernschlag lang, warum mittlerweile sogar Männern erlaubt wurde, auf Pegasi zu reiten. Doch dies war nicht von Belang… „Sigrun! Bleib fern!!“ Sie hörte wieder nicht. Die letzten fünf feindlichen Reiter hielten sich erbittert. Tanith sah erst jetzt, dass einer von ihnen weiter weg eine Armbrust trug. Der Pfeil war bereits losgeschossen, als Tanith zu ihrer Freundin herüberschrie. Panisch riss die Vize die Augen auf und gab ihrem Hengst einen harten Tritt in die Seite, damit dieser innerhalb weniger Sekundenbruchteile bei Sigrun sein konnte. Sie ahnte nicht, dass sie dem geschwächten Hengst dabei eine Rippe brach und sie ihm in die Lunge trieb. Ihr Gefährte ließ sich davon nichts anmerken. Doch gerade, als die Pegasi zusammenstießen, durchdrang der Pfeil die weiße Panzerung der Commander. Geschockt sahen sich beide Frauen an, Sigrun schien gar nicht zu verstehen, dass ein langer Pfeil durch ihre Brust aus ihrem Rücken ragte. Kleinste Blutstropfen peitschten Tanith ins Gesicht, ihr Sichtfeld vernebelte sich, da ihr die Tropfen auch in die Augen spritzten. Als sie diese loswurde, sah sie Sigrun nur noch in die Tiefe stürzen. Im nächsten Moment explodierte der weiße Hals ihrer Stute, sie schien ein hartes Geschoss getroffen zu haben, welche ein tief klaffendes Loch hinterließ. Für Tanith kroch die Zeit, als könnte sie durch diese Verlangsamung alles rückgängig machen, gar verhindern. Doch dem sollte nicht so sein. Der Reiter mit der Armbrust kam näher und zückte eine Axt hervor. Was für Soldaten trugen eine Axt und zugleich eine Armbrust?! Während Sigrun und ihre Stute gen Boden rasten, konnte Tanith gerade noch ihr Schwert schwingen, um ihren Kopf vor der Axtklinge zu schützen. Doch sie wurde getroffen, sie schaute auf das Schwert, welches ihr aus der Hand flog… und etwas großes, fleischiges, menschliches, in Rüstung bekleidet, flog im großen Bogen nach. Tanith hielt die Luft an und sie schaute zu ihrer rechten Seite und dort… sah sie nichts. Sie konnte ihren Kopf vor der Attacke schützen, doch dabei wurde ihr rechter Arm sauber abgeschnitten. Die Vize hatte keine Zeit, um vor Schmerz zu schreien, denn im nächsten Moment schaute sie neben sich und konnte Sigrun nicht sehen. Ohne auf ihre Schmerzen, die sie gerade sowieso nicht spürte, zu achten, preschte sie dem Gewirr aus türkisem Haar und weißen Federn hinterher. Ihr Hengst jedoch war erschöpft und ließ sich selbst fallen, statt gezielt hinunterzufliegen. Tanith wusste, dies würde ihre letzte Stunde sein und schickte ein Stoßgebet zu Ashera, nicht für sich, sondern für Sigrun, welche den Sturz hoffentlich überlebte… Als sie aufschlug, landete sie auf ihrem Pegasus und verlor für einige Sekunden das Bewusstsein. Erst das dumpfe Geräusch eines Aufpralls ließ sie wieder erwachen. Es war die Pegasusstute Sigruns, welche einige Meter neben ihrer Herrin aufschlug. Tanith stützte sich von ihrem Hengst ab, er atmete nicht mehr, stattdessen knackte unter ihrem Stützgewicht ein Knochen, die Rippe, welche sie brach, wurde noch einmal entzweigebrochen. Die Splitter verteilten sich und unter ihrer Hand spürte die Braunhaarige nur noch warmes Fleisch. Mit der Übelkeit ringend stolperte sie zu Sigrun herüber. Sie fiel über die Ältere, schrie sie an, schlug ihr ins Gesicht… doch es wirkte nichts. Die Gefühle der Vize waren wie betäubt. Eine gefühlte Stunde saß sie bei ihrer Freundin und Kameradin. Schuldgefühle versuchten zu ihr durchzudringen, doch ihr betäubtes Herz ließ nichts zu. Währenddessen füllte sich die Erde unter ihnen mit Blut… ihr wurde schwarz vor Augen… Wieder saßen die Mädchen im Gebetszelt. Eine grasgrüne Kerze wurde herumgereicht. Der Kreis war klein, die Feinde konnten bis auf zwei Mädchen alle kampfbereiten töten. Zusätzliche Verstärkung rückte nach Sigruns Tod an, das Lager wurde angegriffen. Die Heilige Garde, einst 200 tapfere Kriegerinnen, bestand nur noch aus 10 Frauen. Tanith umklammerte die Kerze fest mit ihrer verbliebenen Hand, viele Tropfen benetzen die Flamme, welche nicht einmal zischte. Ein gutes Zeichen. Jedes Mädchen weinte. Das letzte verbliebene Stück Land der Kaiserin war gefallen, sie hatten ihre letzte Zuflucht im Wald von Serenes gefunden. Tanith gab die Kerze an Sanaki weiter, welche vor ihr stand, darauf wartend, die Zeremonie im Zelt zu beenden. Nera schaute mit tränenverhülltem Gesicht zu Tanith auf, diese legte ihr den Arm tröstend um die Schultern. Gerade, als die Kerze gelöscht wurde, ertönte das Horn… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)