Was uns bleibt von Shunya (Die Tage mit dir) ================================================================================ Kurzgeschichte -------------- Der Wecker klingelt und beschert mir beinahe einen Herzstillstand. Ich muss mir unbedingt mal einen vernünftigen Klingelton suchen, von dem mein Herz morgens verschont bleibt! So geht das wirklich nicht mehr weiter! Ich bleibe noch ein paar Minuten im Bett liegen, würde ich sofort aufstehen, würde ich glatt umkippen. Ich schiebe die Vorhänge neben meinem Bett ein wenig zur Seite und sehe in einen strahlend blauen Himmel. Die Sonne scheint gerade auf der anderen Seite, wie ich an den erhellten Häusern mir gegenüber feststellen kann. Wieso muss mein Zimmer auf der Schattenseite liegen? Ich setze mich langsam im Bett auf und raufe meine Haare. In meinem Zimmer ist es angenehm warm, trotzdem reiße ich die Fenster weit auf und lüfte erst mal ordentlich, ehe meine Mutter sich wieder beschwert. Das tut sie nämlich sehr gerne. Ich gehe zu meinem Kleiderschrank und greife wahllos hinein, schnappe mir ein paar Klamotten und verschwinde damit im Badezimmer. Nach einer kurzen Dusche und frisch angezogen gehe ich die Treppe herunter, muss auf der letzten Stufe über die Schuhe meines Vaters springen und lande mit einem lauten Poltern auf dem Boden, nur um sofort um die Ecke in die Küche zu gehen, dem leckeren Duft von frisch aufgebackenen Brötchen folgend. „Morgen!“, grüße ich meine Eltern, die schon beide in der Küche am Tisch sitzen und mit dem Frühstück nicht auf mich gewartet haben. Ich setze mich zu ihnen und merke, wie sie mich mit komischen Blicken mustern. „Was? Bei dem schönen Wetter muss man doch einfach gute Laune haben!“, verteidige ich mich. „Und dir geht’s auch wirklich gut, Benedict?“, fragt meine Mutter mich mit einem besorgten Blick in den Augen. Wahrscheinlich glauben sie mir nicht. Natürlich geht es mir gut, warum auch nicht? Ich grinse und schneide ein Brötchen in der Mitte durch. Komisch, meine Mutter kriegt das immer so locker hin, bei mir sieht es hingegen meistens ein wenig zerfleddert aus. Ich beschmiere mein Brötchen mit Marmelade und die andere Hälfte bekommt großzügig eine Scheibe Käse oben drauf. Meine Mutter schiebt mir ein Glas Traubensaft zu, welches ich in einem Zug leere und ihr zusehe, wie sie mir meine Brotstullen für die Schule in eine Dose stopft. Das arme Brot. Mein Vater lugt hinter seiner Zeitung durch seine dicken Brillengläser und sieht mich mahnend an. „Hast du ausreichend für die Arbeit heute gelernt?“, fragt er mich und erhält nur ein genervtes Nicken. Wie kann man nur über so ein Thema am frühen Morgen sprechen? Ich stehe auf, greife nach der Dose mit meinen Brotscheiben und meinem Käsebrötchen und gehe mit beidem zurück nach oben in mein Zimmer. Oben angekommen ziehe ich meinen, durch die Jahre ziemlich mitgenommenen, Rucksack unter dem Schreibtisch hervor und stopfe alles was ich heute brauche hinein. Ich ziehe ihn mir auf den Rücken und laufe wieder polternd die Treppenstufen herunter. „Bis nachher!“, rufe ich meinen Eltern zu, die mir noch einen schönen Tag wünschen und mich wieder so komisch ansehen. Ich gehe schulterzuckend in den Flur und schlüpfe in meine Sneakers, greife nach den Haustürschlüsseln am Haken und verlasse das Haus. Ich atme draußen die frische Luft ein und werfe kurz einen Blick in den Himmel. „Wirklich ein toller Tag!“ „Damien!“, rufe ich erfreut, als ich um die Ecke gehe und meinen besten Freund sehe, der bereits auf mich wartet. Er lächelt leicht, unscheinbar. Ich gehe freudig zu ihm und gemeinsam gehen wir das letzte Stück zur Schule. „Ich habe mich überhaupt nicht auf die Arbeit vorbereitet!“, murre ich und gestehe ihm, was ich meinen Eltern lieber nicht gesagt habe. Damien sieht mich entgeistert an. „Guck nicht so! Ich konnte mich einfach nicht aufs Lernen konzentrieren und ständig war ich mit meinen Gedanken ganz woanders!“, erkläre ich. Damien lächelt und irgendwie bringt er mich damit zum Lachen. Damien ist kein Mensch vieler Worte und das schöne ist, wir verstehen uns auch so, denn immerhin rede ich den ganzen Tag über genug für zwei. Wir ergänzen uns perfekt. Ich wünschte nur, ich könnte ihm auch endlich mal meine Liebe gestehen. Ich bin schon ewig in meinen besten Freund verschossen und anfangs habe ich es auch hingenommen, es als eine vorübergehende Desorientierung abgetan, weil ich noch nie eine Freundin hatte und immer mit Damien zusammen herumhänge. Dieses Gefühl ist aber geblieben und inzwischen sehne ich mich regelrecht nach einer Berührung Damien's. Nicht nur eine Berührung, ich will ihn anfassen, küssen und noch so vieles mehr. Trotzdem bringe ich nicht den Mut auf. Was soll ich auch machen? Ich habe einfach Angst, dass er mich nicht mag und unsere Freundschaft dadurch in die Brüche geht. Ich werfe einen Blick zu Damien und unterdrücke ein Seufzen. Selbst heute sieht er wieder tadellos und umwerfend aus. Ich wette er hat auch genug für die Arbeit in Chemie gelernt. Wenn ich Glück habe lässt mein Banknachbar mich wieder abschreiben, dafür darf er dann wieder in der nächsten Mathearbeit von mir abgucken. Wir machen es schon eine ganze Weile und die Lehrer haben das immer noch nicht bemerkt. Glück für uns! Damien bleibt einige Meter vor dem Schultor stehen und wühlt in seiner Hosentasche herum. Wie jeden Morgen vor dem Unterricht zündet er sich erst mal eine Zigarette an und raucht diese in Ruhe, bis es klingelt. Ich stelle mich neben ihn und warte, bis er damit fertig ist. Wieder ein Blick meinerseits. Ich kann nur hoffen, dass er es irgendwann von selbst bemerkt oder vielleicht hat er ja auch schon längst gemerkt, dass ich in ihn verliebt bin? Ich weiß nicht, ob es so offensichtlich ist. Ich kicke mit dem Fuß einen Kieselstein auf die Straße und schüttele den Kopf, als Damien mir die Kippe vor die Nase hält. Rauchen ist uncool und wer will schon freiwillig einen Aschenbecher küssen? Ist doch eklig! „Kannst du damit nicht aufhören? Ich meine, irgendwie passt es einfach nicht zu dir...“, schlage ich ihm vor. Damien sieht mich belustigt an. „Na ja, ich meine... Du bist eben viel zu cool fürs Rauchen!“, murre ich und sehe auf meine Sneakers. Ich kann ihm ja schlecht sagen, dass ich ihn lieber küssen würde, wenn er nicht geraucht hat, aber das wird wohl in hundert Jahren nicht passieren, wenn ich nicht endlich mal den Mund aufmache. Soll ich es ihm heute noch sagen? Lieber doch nicht... Morgen? Endlich ist Damien fertig, schnippt den Rest der Zigarette achtlos auf den Boden und zerdrückt sie mit seinem Schuh. Er nickt mir zu und zusammen gehen wir zum Schulgelände. Ein paar meiner Mitschüler grüßen mich und schweigend gehen wir beide zu unserer Klasse. Wirklich zu schade, dass wir nicht nebeneinander sitzen. Ich gehe zu meinem Platz, ganz hinten neben der Tür, unsere Klasse hat vorne und hinten jeweils eine Tür und Damien setzt sich weiter vorne hin. Die Plätze, die immer von allen Strebern besetzt sind, nur, dass Damien sich nicht wie ein Streber aufführt. Eher im Gegenteil. Ich starre auf seinen breiten Rücken und stelle ihn mir nackt vor. Ich habe seinen Rücken mal im Schwimmunterricht gesehen. Damien ist noch so jung, aber seine Muskeln sind wirklich ausgeprägt, denn im Gegensatz zu mir geht er regelmäßig mit seinem älteren Bruder ins Fitnessstudio. Er meinte mal zu mir, dass ich das noch nicht nötig habe. Warum auch immer. Vielleicht gefalle ich ihm ja auch so wie ich bin? Unsere Lehrerin betritt die Klasse und sieht aus wie immer. Enges Kostüm in lila in dem ihre großen Brüste gut zur Geltung kommen, hochhackige Pumps, mindestens 15 Zentimeter und ihre Hochsteckfrisur, die ihre unzähmbaren roten Locken zusammenhalten soll, neben der modischen schwarzen Sonnenbrille. Ich glaube, manchmal verwechselt sie die Schule mit einem Laufsteg für Models... Mal davon abgesehen, dass sie genauso alt ist wie meine Mutter und die läuft nicht in solchen Klamotten herum. „So, ich hoffe ihr habt genug gelernt! Ich verteile jetzt die Arbeitsblätter! Nehmt eure Sachen vom Tisch! Wenn alle ihre Blätter haben, geht’s los! Ihr habt eine Stunde Zeit!“, ermahnt sie uns und verteilt die Aufgabenblätter in der ersten Reihe, die nach hinten durchgereicht werden. Ich schaue mir den Zettel an, den ich erhalte und verstehe nur Bahnhof. Was ist das alles? Ausgerechnet jetzt habe ich auch noch eine Blackout und kann mich an gar nichts erinnern, was ich die letzten Wochen über gelernt habe. Das kann ja heiter werden! Ich linse zu meinem Banknachbar, der ebenfalls nicht sehr begeistert aussieht. Okay, ich glaube, auf den kann ich mich heute auch nicht allzu sehr verlassen. Mein Blick wandert durch die Klasse. Die ersten haben schon angefangen und wieder bleibt mein Blick an Damien hängen. Der hat bestimmt keine Probleme und wie es aussieht, ist er schon fleißig am Schreiben. „Benedict!“, ermahnt mich meine Lehrerin und sieht mich streng an. Hey, ich habe nicht mal abgeguckt?! Ist heutzutage Löcher in die Luft starren auch schon verboten? Mein Blick gleitet wieder auf mein Blatt und lustlos schreibe ich einfach irgendetwas hin, nur um überhaupt etwas zu machen. Die Arbeit versemmel ich so oder so. „Hey, Ben! Kommst du mit in die Stadt?“, fragt mich ein Junge aus meiner Klasse, der vor meinem Tisch steht und mich nun abwartend ansieht. Wie hieß der Kerl noch gleich? Irgendwie kann ich mir Namen immer so schlecht merken, dabei gehen wir schon so lange in dieselbe Klasse. „Nee, ich habe heute schon was vor. Nächstes Mal!“, meine ich und schiebe meine Schulsachen in den Rucksack, ehe ich aufstehe. Ein paar meiner Mitschüler werfen mir einen kurzen Blick zu, aber sobald ich in ihre Richtung sehe, schauen sie schnell weg oder sehen mich mitleidig an. Was ist heute nur los? Ich hänge eben lieber in meiner Freizeit mit Damien herum und nicht mit den anderen aus meiner Klasse. Dann bin ich eben ein Außenseiter in ihren Augen. Ist mir schnuppe! Ich verlasse das Schulgebäude und sehe wie Damien draußen schon auf mich wartet. Grinsend gehe ich zu ihm. „Zu mir oder zu dir?“, frage ich ihn und sehe wie er nun ebenfalls breit grinst. Das heißt, wir gehen zu mir, weil ich eindeutig die besseren Konsolenspiele habe als er. Meine Sammlung wächst stetig und ich habe beinahe alle Konsolen, die es zurzeit so auf dem Markt gibt. Manchmal zocken wir auch zusammen mit Damien's Bruder, der ist auch echt cool, sieht nur nicht so gut aus wie Damien. Damien läuft neben mir her und will sich eine Zigarette anstecken, stopft die Packung dann aber doch zurück in die Hosentasche. Ich muss darüber lächeln. Anscheinend ist es ihm doch nicht ganz egal, was ich gesagt habe. Irgendwie macht mein Herz gerade Purzelbäume. Um mich abzulenken, frage ich ihn auf dem Heimweg nach der Arbeit heute in Chemie aus. War ja klar, dass er alles gewusst hat. Der kriegt bestimmt wieder die Bestnote. „Hast du gesehen, wie die Enke heute wieder aussah? Wen will die damit eigentlich beeindrucken? Glaubst du, die steht auf jemanden aus unserer Klasse? Vielleicht ist die ja pedo und steht auf kleine Jungs?!“, meine ich lachend und knuffe Damien in die Seite. „Die hat bestimmt ein Auge auf dich geworfen. Die halbe Klasse steht auf dich, Dam!“, erzähle ich ihm belustigt. Damien zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich mit einem komischen Blick an. Wieso gucken mich heute alle so merkwürdig an? Habe ich was verbrochen? Damien bleibt kurz stehen und sieht mir tief in die Augen. Wäre toll, wenn er sich jetzt vorbeugen und mich küssen würde, stattdessen scheucht er eine Hummel aus meinen Haaren. Wir gehen weiter und irgendwie freue ich mich schon auf den Nachmittag mit Damien. Meine Eltern kommen ja auch erst abends heim. Wir haben den ganzen restlichen Tag für uns! Wenn da nicht noch was passieren könnte... Am Haus angekommen, schließe ich die Haustür auf und ziehe mir im Flur die Schuhe aus. Damien tut es mir gleich. Wir gehen in die Küche, machen uns über den Süßigkeitenschrank her und nehmen so viel mit wie wir tragen können und gehen damit die Treppe hinauf in mein Zimmer. „Wollen wir Final Fantasy spielen?“, frage ich Damien und lege die Süßigkeiten auf dem Boden ab, anschließend gehe ich zur Konsole und stecke einige der Kabel um. Damien hockt sich vor mein Regal, in dem all meine Games wie Trophäen lagern. Wenn schon mein ganzes Geld dafür drauf geht, dann muss ich sie ja auch irgendwie präsentieren. Damien geht zu meinem Bett und macht es sich darauf gemütlich. Ich muss schlucken, als ich sehe, dass sein Shirt ein wenig hochgerutscht ist. Hastig schaue ich weg und stecke die CD in die Konsole, schnappe die beiden Controller und setze mich zu Damien, natürlich auf einem Kissen vor dem Bett, damit ich nicht immer auf seine nackte Haut gucken muss! Ich öffne die Chipstüte und greife hinein, gleichzeitig mit Damien. Unsere Hände berühren sich und mir läuft ein angenehmes Kribbeln den Arm entlang. Seine Finger fühlen sich etwas rau an. Wie es wohl ist, wenn er damit über meinen Körper gleiten würde? Ich ziehe meine Hand mit den Chips heraus und stopfe sie mir in den Mund, um nicht länger verlegen zu wirken. Eine Beschäftigung ist immer gut. Das Spiel startet und wir sehen uns den Anfang an, ehe wir anfangen zu zocken. Eigentlich ist es ganz lustig, wäre Damien nur heute nicht so schweigsam. Was hat er? Okay, er ist immer schweigsam, aber heute hat er irgendwie so gut wie gar nichts gesagt. Muss ich mir Sorgen machen? Ich speichere unseren Spielstand ab und sehe zu Damien auf. Er sieht auf mich herunter und lächelt mich an. Mir liegt die Frage auf der Zunge, aber es fällt mir schwer, es auszusprechen. „Damien? Ist alles okay mit dir? Du hast heute noch kein Wort gesagt...“, frage ich ihn. Damien sieht mich an, als suche er irgendetwas in meinem Blick. Nur was? Er lächelt mich freundlich an und schüttelt den Kopf. „Komm schon, wenn dir etwas auf der Seele liegt, dann kannst du es mir sagen! Ich bin doch dein Freund!“, beharre ich. So leicht kommt er mir nicht davon, dafür liebe ich ihn einfach viel zu sehr. Ich rücke ein wenig näher an Damien heran und lege meinen Kopf träge auf seinem Knie ab. So schön warm. Ich schaue zu ihm auf und sehe ihn bittend an. Wieso will er mir nur nichts verraten? Wir erzählen uns doch sonst immer alles? „Damien...“, rede ich auf ihn ein. „Bitte, sag mir, was los ist.“ Damien beugt sich leicht vor und schüttelt den Kopf. Wir sehen uns einfach nur in die Augen und sagen kein Wort. Ich kann unten hören, wie meine Mutter ins Haus kommt. Die Tür fällt ins Schloss. Wahrscheinlich sieht sie unsere Schuhe und kurz darauf kann ich ihre Schritte auf der Treppe hören. Die Tür geht auf und schon steht sie mitten im Zimmer. „Wie war die Arbeit?“, fragt sie sofort neugierig. Ich seufze leise. „Schlecht. Ich hatte einen Blackout und irgendwie...“, kommt es zögerlich von mir. „Ich dachte, du hast gelernt?“, fragt sie nun stirnrunzelnd. „Schon, aber...“ Ich weiche ihrem Blick aus. „So viele Süßigkeiten, wenn ich Mittag mache, bleibt nur wieder die Hälfte liegen und was dürfen ich und dein Vater dann wieder essen? Kriegen wir vielleicht auch mal etwas ab?“, fragt sie kopfschüttelnd und räumt ein paar Tüten zusammen. „Das ist wirklich zuviel!“ „In einer Stunde gibt es sowieso Mittagessen!“, meint sie und geht zur Tür. „Dein Zimmer solltest du auch mal wieder aufräumen!“, fordert sie mich auf. Ich seufze gedehnt und sehe zu Damien, der mich fies angrinst. Der hat gut lachen, seine Eltern lassen ihm alles durchgehen. Bestimmt wegen seiner guten Noten. Damien kichert und kommt mir noch näher. Er sagt zwar heute nichts, aber er scheint doch irgendwie gut gelaunt zu sein. Steckt ihn meine gute Laune etwa an? Er umarmt mich plötzlich und ich erstarre sofort, laufe rot im Gesicht an und höre mein Herz laut hämmern. Was ist denn jetzt in ihn gefahren? Ich spüre seinen warmen Atem an meinem Hals, wie er meine empfindlichen Ohren streift. Seine Hände gleiten über meinen Rücken. Damien lehnt sich wieder zurück, die Hände voller Chips. „Idiot!“, murre ich, muss aber trotzdem lächeln. Scheiße, weißt du eigentlich wie sehr ich dich liebe, Damien?! Ich sehe ihm beim Essen zu und merke, wie er meinen Blick erwidert. Unsere Blicke treffen sich und wir sehen uns wieder einfach nur an. Küss mich! Komm schon, Damien! Küss mich, bitte! Nur einmal! Meine Gebete werden leider nicht erhört. „Damien...“, entfährt es mir, doch er sieht mich nicht an, wendet den Blick ab und schaut auf den Fernseher. Ich seufze und tue es ihm gleich. Ich greife nach der Konsole, während er sich auf meinem Bett flätzt. Ich lehne meinen Kopf gegen sein Bein und genieße das bisschen Nähe. Morgen sage ich es ihm! Ich werde ihm meine Liebe gestehen, egal, ob er dann nichts mehr mit mir zu tun haben will. Ewig kann ich es sowieso nicht für mich behalten. Meine Mutter ruft zum Essen. Wir stellen alles weg, das Spiel wird auf Pause gestellt und wir laufen die Treppe herunter. Als wir in der Küche ankommen, setze ich mich an den Tisch und häufe die Spaghetti auf unsere Teller. Meine Mutter steht noch im Flur und telefoniert. Ich sehe Damien beim Essen zu und muss grinsen, als sein Mund von der Soße so herrlich rot wird. Er leckt sich über die Lippen und verlegen sehe ich wieder auf meinen Teller und schaufele die Spaghetti in mich hinein. Nach dem Essen gehen wir wieder nach oben. Meine Mutter telefoniert immer noch, klingt aber ein wenig besorgt. Was sie wohl hat? Hängt das mit heute morgen zusammen? Ich zucke mit den Schultern und setze mich neben Damien aufs Bett. Irgendwie komme ich nicht umhin und streiche mit meinen Händen über seine Mundwinkel, die immer noch nicht besser aussehen. Damien scheint ein wenig verwirrt zu sein, lässt es jedoch zu. Ich muss hart schlucken, als ich seine Lippen berühre. Wenn ich noch weiter gehe, wird er es bemerken. Damien regt sich nicht, sieht mich einfach nur an und lässt mich machen. Ich sehe kurz zu ihm auf. Ist das eine stille Aufforderung? Kann ich es als das ansehen? „Damien, ich...“, flüstere ich aufgeregt, kann kaum meinen Blick von seinen verführerischen Lippen lassen. Vorsichtig nähere ich mich seinem Mund und ehe ich es mich versehe, küsse ich ihn auch schon. Unsere Lippen berühren sich erst vorsichtig, schüchtern. Damien schließt seine Augen und erwidert den Kuss leicht. Erleichterung überfällt mich. Ich seufze leise und kralle meine rechte Hand in sein Shirt. Der Kuss wird mutiger, Damien schiebt mir seine Zunge in den Mund und aufgeregt überlasse ich ihm die Führung. Er ist dabei viel geschickter als ich. Ich spüre, wie seine Hände unter mein Shirt wandern und es leicht hochschieben. Seine rauen Hände wandern über meine erhitzte Haut. Das wollte ich fühlen und es ist viel besser als in meinen Vorstellungen! Damien drückt mich aufs Bett, beugt sich breitbeinig über mich, spreizt meine Beine und legt sich auf mich. Ich spüre seine Hände überall, küsse ihn verlangend. Wir liegen zufrieden nebeneinander im Bett. Da meine Mutter im Haus ist, konnten wir nicht weiter gehen, als uns zu küssen und ein wenig zu befummeln. Ich sehe zu Damien und sehe ihn wahrscheinlich total verliebt an. Es stört ihn nicht. „Ich liebe dich...“, murmele ich und spüre die Hitze in meinem Gesicht aufsteigen. Wahrscheinlich sind meine Ohren jetzt ganz rot, genauso wie meine Wangen. Damien lächelt mich an und streicht mir durch die Haare. Er freut sich! Dass ich das noch erleben darf! Ich schmiege mich an ihn, doch er richtet sich auf. „Gehst du schon?“, frage ich ihn. „Hat es dir doch nicht gefallen?“ Mit einem Mal wird mir mulmig zumute. Damien bleibt sitzen und schüttelt den Kopf. Er beugt sich zu mir und küsst mich noch einmal, ehe er nun wirklich aufsteht und mein Zimmer verlässt. Ich richte meine Klamotten ein wenig und lausche seinen Schritten im Flur. Zufrieden mit mir und der Welt bleibe ich einfach in meinem Bett liegen. Es wird langsam dunkel, das Spiel ist immer noch auf Pause und ich wünschte, ich könnte die ganze Nacht mit Damien verbringen. Ich lache laut auf, halte mir die Augen zu und mir kommen aus irgendeinem Grund die Tränen. Ganz langsam laufen sie mir über die Wangen und nehmen einfach kein Ende. Endlich ist es vorbei. Ich konnte ihm sagen, was ich für ihn empfinde und er fühlt genauso wie ich! Das Abendessen mit meinen Eltern verläuft sehr schweigsam. Meine Mutter ist in ein Buch vertieft und mein Vater lauscht im Radio einem Fußballspiel. Ich hänge also meinen Gedanken vom Nachmittag nach und kaue gelangweilt auf meinem Brot herum. „Ich gehe auf mein Zimmer...“, meine ich nach einer Weile. Ich spüre die Blicke meiner Eltern auf mir, ignoriere sie jedoch. Langsam gehe ich die Treppe hoch und betrete mein Zimmer. Die Süßigkeiten liegen noch herum, der Fernseher ist angeschaltet, meine Bettdecke liegt zerknüllt im Bett, alles ist noch wie vorhin, als würde die Zeit stehen bleiben. Ich lächele und greife nach meinem Handy. Auf dem Bett sitzend prüfe ich die neuen Nachrichten und sehe eine Nachricht auf meiner Mailbox. Ich drücke drauf und höre die Nachricht ab. „Ich liebe dich auch, Ben...“ Das ist alles, mehr nicht. Ich könnte vor Freude in meinem Zimmer auf und abspringen. Ich schließe kurz die Augen, ehe ich mein Handy zurück auf den Tisch lege. Ich ziehe meine Klamotten aus und lege mich ins Bett. Morgen sehe ich ihn wieder, wir verbringen den Tag miteinander, nicht als Freunde, sondern als Liebhaber. Mein Wecker klingelt unerbittlich und extrem laut. Stöhnend wälze ich mich im Bett herum, wurschtel mich unter meiner Decke hervor und suche mit der Hand nach meinem Wecker. Ich stoße dagegen und er fällt zu Boden. Davon geht er nur leider nicht aus. Ich lasse die Hand fallen und greife nach dem Wecker, um ihn endgültig auszuschalten. Meine Augen fühlen sich irgendwie so verquollen an. Ich reibe mir darüber, kann mir aber nicht erklären, wieso ich mich auf einmal so schlecht fühle. Ich setze mich im Bett auf und sehe aus dem Fenster. Draußen sieht es genauso aus wie am Vortag. Vielleicht geht es mir ja auch nur so mies, wegen der blöden Chemiearbeit? Weil ich meine Eltern wieder enttäuscht habe? Ich sehe zur Tür, die sich öffnet und dann steht meine Mutter im Zimmer. Sie lächelt mich an und begrüßt mich. „Wie geht es dir?“, fragt sie mich. „Gut...“, murmele ich und weiche ihrem Blick aus. Sonst kommt sie nie in mein Zimmer. Das hier ist Elternfreie Zone! Meine Mutter setzt sich zu mir aufs Bett. „Du hast gestern deine Tabletten nicht genommen!“, meint sie kopfschüttelnd. „Glaubst du, das kriege ich nicht mit?“ Ich sehe auf ihre Hand und starre auf die Tabletten. Seit wann nehme ich Tabletten? Wofür? Bin ich krank? Verwirrt sehe ich sie an. Sie lächelt nur und reicht mir auch noch ein Glas Wasser, das sie ebenfalls mit hochgebracht hat. „Ich habe mich schon gewundert, wieso du gestern so komisch drauf warst...“, meinte sie. Wieso komisch? Mir ging es doch gut?! Irgendwie verstehe ich nur Bahnhof. „Ich habe mitbekommen, dass du wieder Selbstgespräche geführt hast.“ Ich runzele die Stirn und sehe meine Mutter an. „Habe ich nicht. Damien war doch hier!“, murre ich und nehme widerwillig die Tabletten in meine Hand. „Ben... Hör zu... Damien ist tot. Er lebt nicht mehr. Erinnerst du dich nicht? Er hat sich in seinem Zimmer erhängt. Weißt du das nicht mehr?“, fragt sie mich einfühlsam und legt mir ihre Hand auf meine. „...aber er war doch hier... die ganze Zeit über...“, entfährt es mir leise. „Ben, er ist nicht mehr hier...“ Ich fühle einen Klos in meinem Hals. Ich kann ihn nicht hinunterschlucken, so sehr ich es auch versuche. Ich knabbere auf meiner Unterlippe und spüre wie mir die Tränen in die Augen steigen. Ich kann sie nicht aufhalten. Unaufhaltsam laufen sie mir über die Wangen. „Er war doch gestern hier...“, bringe ich mühsam, mit erstickter Stimme hervor. „Ben, hier war niemand. Du warst den ganzen Tag alleine hier!“, erklärt mir meine Mutter. Ich sehe sie an und schlucke hart. „Aber...“ Ich sehe auf die Tabletten in meiner Hand. Mein Kopf fühlt sich auf einmal so leer an. Meine Mutter reicht mir das Wasserglas und steht auf. „Ich bringe dir gleich noch das Frühstück hoch.“ Sie verlässt mein Zimmer. Ich merke wie meine Hände zittern und haltlos lasse ich meinen Blick durchs Zimmer wandern. Ich sehe zum Handy auf meinem Tisch, lasse die Tabletten und das Wasserglas fallen, schlage die Bettdecke zurück und laufe hastig zum Tisch rüber, reiße das Handy an mich und öffne die Mailbox. „Ich liebe dich auch, Ben...“ Seine leise und warme Stimme bringt mich zum Heulen. Wieso sagt er mir, dass er mich liebt und im nächsten Moment ist er tot? Wieso das alles? Ich schniefe und wische mir mit dem Handrücken über die Wangen. „Wenn du mich liebst, dann bring dich nicht um...“ Ich höre mir die Nachricht auf der Mailbox an. Einmal, zweimal, dreimal, immer wieder. Das war alles passiert, es war kein Traum. Das war der letzte Tag, den wir zusammen verbracht haben. Der letzte Tag, an dem ich ihn gesehen habe, bevor er sich umgebracht hat. Ich habe gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber er hat nur gelächelt. Alles sei in bester Ordnung. Ich habe es einfach nicht bemerkt. Ich lege auf und lasse das Handy einfach zu Boden fallen. Ich starre vor mich hin, ohne wirklich etwas anzusehen. Ich fühle mich wie betäubt. Es gab keinen Abschiedsbrief, nichts was darauf hingedeutet hätte, dass er Selbstmord begehen würde. Es gab einfach keinen Grund. Und wenn doch? Vielleicht wollte er ihn nur niemandem sagen? Nicht einmal mir. Ich atme tief durch. Der Klos in meinem Hals ist immer noch da. Schniefend wische ich mir noch einmal über das Gesicht und sehe aus dem Fenster. „Wirklich ein toller Tag...“, murmele ich leise vor mich hin und sehe in den hellblauen wolkenlosen Himmel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)