Das Blut der schwarzen Rose von JessMizukiro ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Während ihre Schritte sie wie von selbst über den grau gepflasterten Steinweg zum Haupteingang des Gebäudes führten, schweiften ihre Augen über den großzügigen Vorplatz der Schule. Das Gras war bedeckt vom weißen Neuschnee der letzten Nacht und die Bäume die den Weg säumten waren kahl und verbreiteten eine traurige Stimmung. Die sonst so voll besetzten Holzbänke standen verlassen am Wegesrand und waren von Schnee bedeckt, während die Schüler den schnellsten Weg ins Warme suchten. Sie zog den Kragen ihres Mantels enger um den Hals, während ihr Blick an den grauen Steinwänden des dreistöckigen Schulgebäudes entlang glitt, welches immer näher kam und damit größer wurde. Danach richtete sie den Gurt ihres Rucksacks, da er ihr von der Schulter zu rutschen drohte. Doch das konnte ihren Blick auch nicht von dem fernhalten, was sie am liebsten nie wieder sehen würde. Mitten im Neuschnee ragten die hellgrauen Steine des ausgetrockneten Schulbrunnens aus dem Boden und der Eimer stand unter einem Schneehaufen begraben daneben. Die dazugehörige Holzkonstruktion gab es schon seid einigen Jahren nicht mehr. Deswegen rankten sich viele Gerüchte um diesen Brunnen und kaum ein Schüler war sich zu schade dafür noch etwas hinzu zu dichten. Doch sie hatte ihre eigene Geschichte für diesen Brunnen, eine Geschichte die sie am liebsten vergessen würde - für immer. Eine Hand, welche sich an ihren Arm legte, holte sie aus ihren Gedanken und als sie den Kopf umwandte, sah sie in Sakis rote Augen - sie schimmerten traurig. Jess hatte gar nicht bemerkt das sie stehen geblieben war, kaum das ihre Augen den Brunnen entdeckt hatten. "Komm, lass uns reingehen.", sprach Saki sanft und Jess nickte zustimmend, bevor sie ihrer besten Freundin die Treppen hoch und durch die doppelflüglige, weiß angestrichene Eingangstür folgte. Der Flur war mit Holz ausgelegt und in der Mitte hatte eine breite Treppe Platz gefunden, an dessen Absatz jeweils eine Treppe rechts und links zu den Klassenräumen des ersten Stocks führte. Im Erdgeschoss befanden sich die Räume des Hausmeisters, Besenkammern und Abstellräume, in welche noch nie ein Schüler einen Blick hatte werfen können. So rankten sich auch um die vielen, unter anderem verschlossenen, Räume ebenfalls viele Gerüchte, so sollen Schüler, welche hinter eine dieser Türen hatten blicken können, verschwunden sein, oder sind verrückt geworden. Jess glaubte keiner dieser Legenden. Abwesend folgte sie Saki sie ausladende Treppe, welche vom Schulwappen, einem Fuchs, flankiert wurde, hinauf und bemerkte kaum, wie sie immer mehr Abstand zu eben dieser aufbaute. Sie ging die Treppe zu ihrer rechten hinauf, während Saki schon um die Ecke verschwunden war. Der obere Flur war schmaler und große Fenster erlaubten einen wunderbaren Ausblick auf den Schulhof und den dahinter befindlichen Wald. Am Horizont konnte man die Berge des Niemandslandes erahnen und die Sonne zeigte ihre ersten Strahlen am östlichen Horizont. Doch Jess hatte heute keinen Blick dafür und ging wie ferngesteuert den Gang hinab. Im zweiten Stock befanden sich besondere Räume, wie die Labore oder die Räume für die außerschulischen Aktivitäten, auch frei zugängliche Kunsträume befanden sich dort. An der Treppe zum zweiten Stock, welche sich etwa in der Mitte dieses Flures befand und sich ebenfalls in zwei Absätze unterteilte, blieb sie stehen und starrte die Stufen hinauf. Oben am Absatz hing das Foto des Schulleiters an der Wand und es kam ihr so vor, als ob er sie mit hämischem Lachen und herablassendem Blick betrachten würde. Seine Falten an Mund und Augen ließen ihn älter aussehen als er war, aber trotzdem respektierten ihn alle Schüler - nun ja, fast alle. Sie streckte sich leicht und sah den Flur hinab, welcher von kleinen Lampen erhellt wurde, welche aber erstaunlich viel Licht spendeten. Ihre Blicke sprangen von den Türen hoch zu den Schildern, welche die einzelnen Klassen kennzeichneten. Dieses System war vorbildlich und andere Schulen hatten es bereits kopiert, denn so war es um einiges leichter seine Klasse zu finden - vor allem für neue Schüler. "Na, schlecht geschlafen, Jess?", eine Mädchenstimme riss sie aus ihren Gedanken und sie sah zur Tür ihres Klassenzimmers. An den Rahmen gelehnt stand Missy und betrachtete sie mit hämischem Blick, verschränkte die Arme und versperrte die Tür. Wieder einmal sah sie aus, als ob so etwas wie Kleidung ein Fremdwort für sie war, sie trug einen roten Minirock, schwarze Overknees und ihr Oberteil sah aus, als wäre es dazu konzipiert worden mit einem Unterteil getragen zu werden - eigentlich. "Was willst du, Missy?", knurrte Jess, ihr war eigentlich nicht nach Streit zumute, aber wenn sie diese Zicke sah, stieg ihr Puls sofort an. "Nichts.", kicherte die Angesprochene und im Lampenlicht schimmerten ihren roten Nägel wie Blut. Während sie aus den Augenwinkeln noch immer die schwarzen Silhouetten des Waldes und der Berge sah, betrachtete sie die früher einmal weiße Tapete des Flures. Wieder einmal kam ihr der Flur düsterer vor, als er eigentlich war und sie verschränkte die Arme. Langsam glitt ihr Blick zurück zu Missy und ihr fiel der Spruch ein, welcher ihr einmal gesagt worden war: "Vor dem Sonnenaufgang ist die Nacht am dunkelsten." "Hihi, da ist aber jemand verträumt.", kicherte Missy nun und Jess' Blick wurde finster. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie leise vor sich hingemurmelt hatte und ausgerechnet diese Person hatte das mitbekommen. "Ach, halt doch deine Klappe, Missy.", knurrte sie leise - dieses Mädchen hatte doch überhaupt keine Ahnung. Nicht einmal ansatzweise wusste sie etwas und sie würde es auch niemals - wirklich niemals. "Man soll der Vergangenheit nicht nachtrauern - war das nicht mal dein Spruch?", diese Frage war mehr provozierend gemeint und Jess spannte sich an. Sie sollte es besser nicht übertreiben. Sie atmete zischend ein und ignorierte Chess' weit entfernt scheinende Stimme, die sich langsam in ihren Gedanken einnistete. Missy warf ihre mattschwarzen Haare locker zurück und während die Blonde das beobachtete, freute sie sich schon innerlich auf den Tag, an dem Missy wieder die Uniform anziehen musste. Es war nun einmal eine alte Tradition an dieser Schule, dass in der letzte Woche die Kleiderordnung aufgehoben wurde und Missy vollführte in dieser Zeit die größte Verwandlung - Vom Kokon zur Raupe. Wobei - selbst eine Raupe war hübscher wie dieses schwarzhaarige, zickige Biest. "Missy, du hast da was vergessen.", konterte Jess schließlich und Missy schaute sie fragend aus ihren dunklen, graugrünen heraus an. "Dir etwas anzuziehen." Es war ein amüsanter Anblick zu sehen, wie der Zicke der Mund aufklappe, wenn auch nur soweit wie es ihr Make-up zuließ. Die kurze Zeit der Stille und des statuenhaften Verhaltens der Schwarzhaarigen, trat Jess zur Tür, stieß das Mädchen zur Seite und betrat den hell erleuchteten Klassenraum. Dabei achtete sie nicht auf die entrüstete Miene Missys und bekam nur aus den Augenwinkeln mit, das diese fast in den Mülleimer gestolpert wäre - schade. Die Klasse war noch relativ leer, soweit Jess es beim ersten Überschauen erfassen konnte. Kenji saß wie gewohnt in seiner dunklen Ecke, hatte sich mitsamt dem Stuhl gegen die Wand gelehnt und döste, Drake spielte mit seinen Stiften herum und Saki las in einem Buch, schaute aber in regelmäßigen Abständen aus dem Fenster. Bis auf die Bäume des Vorgartens, einem Teil der Stadt und dem süd-östlichen Teil des Waldgebietes um Naidoko sah man nichts. Tara und Hit waren offenbar noch nicht in der Klasse eingetroffen und ansonsten waren nur wenige Schüler da: In der ersten Reihe am Fenster hatten sich die beiden Klassenstreber zusammengesetzt und schienen über ein Thema angeregt zu diskutieren. Ebenso wie eine Mädchengruppe in der vierten Reihe sich über etwas unterhielt, was zur Abwechslung nicht die üblichen Themen, wie die neuste Boyband, Mode, Schmuck oder sonstigen Mädchenkram zu sein schienen. Von der Mädchengruppe konnte sie nur einzelne Wörter erhaschen, da sie alle durcheinander redeten, aber ein braunhaariges Mädchen mit lockigem Pferdeschwanz tippte die ganze Zeit auf etwas, was wie die heutige Zeitung aussah. Also ging es anscheinend um das Feuer des Karzers, aber da sie es bei den Mädchen nicht genau verstand, ging sie langsam zu ihrem Tisch und bekam so Gesprächsfetzen der beiden Streber mit, welche natürlich in akkurater Schuluniform hergekommen waren. "Ich habe gehört, eine Assassine soll sich alleine Zugang zum Karzer verschafft haben und auch noch die ganzen Gefangenen befreit haben!", fing das Mädchen mit Bobschnitt gerade an zu reden und der Junge richtete seine Brille, bevor er antwortete: "Es kann unmöglich eine einzige Assassine gewesen sein. Bestimmt hatte sie Hilfe." "Vielleicht, aber trotzdem ist der Vorstand sehr wütend." "Du musst es wissen, immerhin arbeitet dein Vater dort. Nun ja, ich habe gehört das die Assassine, Black Rose, besagte Spionin gewesen ist." "Ja, das sagen sie alle. Unglaublich was für Probleme nur sie allein verursacht." "Ist dein Vater im Moment in Kishin? Weil ich gehört habe, dass ein Offiziersanwärter getötet wurde und außerdem einer der besten Offiziere sehr schwere Brandwunden davongetragen hat.", der Junge richtete seine Jacke und das Mädchen nickte schnell und antwortete: "Ja, das stimmt alles. Weißt du, sie hat Desten einfach eiskalt verbluten lassen im Büro des Vorstehers! Jetzt müssen sie beratschlagen wie es weitergehen soll." "Sie hat Desten umgebracht?!", fragte der Junge aufgeregt und verlor fast seine Brille, "Er war doch einer der besten und stärksten Schupo überhaupt!" Das Mädchen nickte traurig und das letzte was Jess noch hörte war: "Ja, deswegen gehen sie eine Kooperation mit den Kopfgeldjägern ein. Sie wollen diese Assassinen schnellstmöglich ausrotten." "Der beste Vorschlag den die bisher gemacht haben!" Seufzend ließ sich Jess auf ihren Stuhl sinken und stützte den Kopf in ihre Hand - Das könnte eine Erhöhung der Kopfgelder zur Folge haben. Zumindest inoffiziell. Es klingelte und alle nahmen nach und nach ihre Plätze ein, doch das Flüstern und Gemurmel hörte nicht auf. Wie konnte man nur so viel Wind um eine Sache machen? Nach dem Schellen schmiss Jess alles ungeordnet in ihre Tasche, schulterte diese und war als Erste aus dem Klassenraum verschwunden. Im Flur lehnte sie sich an den Fenstersims und wartete auf Saki. Mit den anderen hatte sie innerhalb der Schule wenig zu tun, davon abgesehen würde sie es bei Kenji und seinen Fangirls nicht eine Minute aushalten - nicht mal für alles Geld der Welt. Tara hatte ihren Platz bei ein paar quirligen Mädchen aus der Parallelklasse gefunden - dieser Umgang tat ihrer sowieso schon aufgedrehten Art überhaupt nicht gut. Wirklich überhaupt nicht. Die vier Mädchen gingen gerade an ihr vorbei und sie kicherten über den neusten Streich den sie ausgeheckt hatten. Nun ja, die vier brachten wenigstens Abwechslung in den Schulalltag und so lange sie von ihrem Streichen verschont blieb, war es Jess egal, was diese Kinder so anstellten. Überrascht war sie allerdings, als sie Hit mit einem älteren Schüler gemeinsam über den Flur schlendern sah. Vermutlich war es der Chef des Biologieclubs - passte zu Hit und seinen Kenntnissen über die Medizin. Bevor die beiden die nächste Treppe hinab verschwanden, hörte sie nur etwas von wegen gebrochene Knochen und Schiene aus Naturmaterialien. Okay, ehrlich gesagt, hatte sie nicht zugehört - zu uninteressant. Sie tippte mit den Fingern auf der Fensterbank herum und schulterte ihre Tasche erneut. Als schließlich auch Drake mit seinen zwei Freunden vorbeischlenderte, beschloss die Blondine kurzerhand das Klassenzimmer erneut zu betreten. Keine Minute zu spät. "Jetzt ist niemand da, der die helfen kann.", kicherte eine Braunblonde und zwirbelte eine Haarsträhne um ihren Finger. Ihr Name war Iowa und sie war eigentlich ganz schüchtern - wenn sie allein war. "Genau, mach doch endlich mal deinen Mund auf.", meinte daraufhin eine Schwarzhaarige, deren blonder Ansatz ziemlich weiß wirkte. Viola liebte es Missy nachzuahmen, sie aß wie sie, saß wie sie, sie bewegte sich sogar wie sie. Das einzige was Viola nicht konnte war Missys Sprechweise nachzuahmen, dazu hätte sie sich schon die Stimmbänder verätzen müssen, doch dann wäre dieser leichte französische Akzent auch verloren gewesen. Kurzum konnte man dieses Mädchen als Pantomime oder billige Kopie von Missy beschreiben, das traf es am besten. Irgendwann würde es so richtig zwischen den beiden krachen - Missy musste nur erfahren, dass Viola auch auf dieselben Jungs stand wie ihre angeblich allerbeste Freundin. Auf diesen Tag freute sich Jess schon sehr. "Kannst du überhaupt sprechen?", fragte Iowa nun provozierend und stemmte eine Hand in ihre Hüfte. Den Schal den die Braunhaarige sich umgebunden hatte klimperte leise und die Pailletten schimmerten. Viola kicherte gespielt hoch und sah auf Saki hinab: "Ich glaube kaum, ich habe sie noch nie sprechen hören. Und Weiß? Was ist das bitte für eine Haarfarbe? Bist du eine alte Frau, Saki?" Die beide kicherten und nun schaltete sich Missy ein: "Du solltest dir wirklich mal neue Klamotten zulegen, die sind so was von letzte Season." Saki zog eine Augenbraue hoch und blickte die drei Mädchen ungerührt an: "Erstens: Das Shirt habe ich mir letztens erst gekauft, Zweitens besser weiße Haare wie einen fetten Blondhaaransatz, der sieht aus, als bekommst du graue Haare und drittens wenn ich alt sein soll, dann geht ihr doch bitte nach gegenüber in den Kindergarten zurück, ja?" Jess huschte ein Lächeln auf die Lippen. So sah man Saki zwar nur selten, aber dennoch sollte man nicht über sie herziehen, denn dann konnte man durchaus überrascht werden. So blickte auch Missy drein, ihre dunklen Augen waren erst überrascht auf die Weißhaarige gerichtet, bevor sie sich vor Ärger zusammenzogen. "Wag es nicht, so mit ihr zu reden!", meinte nun Viola, welche gerade aus einer Art Schockstarre zu erwachen schien. Saki zog nur eine Augenbraue hoch und antwortete: "Dann sollte sie das auch nicht tun." Iowa schien als einzige nervös zu werden, denn sie spielte mit ihrer Goldkette herum und betrachtete die Situation nachdenklich, bis sie von Viola angesprochen wurde: "Hast du dazu gar nichts zu sagen, Iowa?" "Ich find das auch nicht nett.", antwortete die Braunhaarige hastig und blickte ihre Freundinnen an. Zufrieden drehte sich Viola nun wieder zu Saki um: "Siehst du, drei gegen eine. Du hast keine guten Karten." Teilnahmslos sah die Weißhaarige die drei vor sich an und Jess war sich sicher, das ihre Freundin sie bemerkt hatte, denn sie meinte: "Seid euch da mal nicht zu sicher." "Red doch keinen Blödsinn, außer uns ist hier niemand!", meinte nun Viola aufgebracht. Sie schienen wirklich nicht zu bemerken, wie nah ihnen Jess schon gekommen war. "Weil drei gegen einen ja auch so fair ist. Aber das ihr wieder mal nichts mitbekommt, dass passt ja zu euch.", sprach Saki nun und diese Antwort schien für Missy auszureichen. Hitzköpfig wie sie war, packte sie Saki am Oberteil und rief: "Pass bloß auf, was du sagst!" "Pass du bloß auf, was du tust.", war Sakis Antwort und Missy zog die Weißhaarige zu sich. Iowa und Viola standen tatenlos daneben und es sah nicht so aus, als ob sie etwas gegen ihre Freundin unternehmen wollten. Als die Schwarzhaarige ihre Hand hob, mischte sich Jess ein, denn jetzt reichte es ihr: "Das würde ich an eurer Stelle nicht machen." Sie trat aus dem Schatten und packte Iowa und Viola an der Schulter. Als die beiden sie erschrocken anblickten, sprach sie: "Macht das ihr verschwindet - Sofort." Kaum hatte sie die beiden daraufhin losgelassen, rannten sie aus der Klasse. Einen Lehrer würden sie wahrscheinlich nicht holen gehen, dafür würde man den dreien viel zu wenig glauben und außerdem war Saki Schulsprecherin. Das sie Jess beste Freundin war, reichte zwar den meisten auch, um sie in Ruhe zu lassen, doch Missy und ihre Anhängsel waren doch meist die nervige Ausnahme. Missy hielt derweil weiter wie versteinert Sakis Oberteil fest und ihre Hand, welche sie noch immer nach oben hielt, wurde langsam weiß. Ihre Augen fixierten derweil Jess mit einer Mischung aus Angst und Wut, welchen die Blondhaarige nur mit einem ausdruckslosem Blick quittierte. Derweil spürte Jess die ängstlichen Blicke von Iowa und Viola auf sich Ruhen, welche das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachteten. Missys Hände fingen an zu zittern, aber ihr Blick blieb starr auf Jess gerichtet. Ein amüsanter Anblick - fand Jess. "An deiner Stelle würde ich sie loslassen.", meinte sie schließlich, als Missy noch immer keine Anstalten machte Saki loszulassen. Die Hand der Schwarzhaarigen vergrub sich tiefer im Stoff des T-Shirts und ihr Blick wurde finster. Hinten konnte Jess das ängstliche Gemurmel von Viola und Iowa wahrnehmen, doch ihre Aufmerksamkeit galt alleine Missy. Diese schien gerade ihre Sprache wieder gefunden zu haben und fragte nun provozierend: "Und was ist wenn nicht?" Da diese Art der Provokation Jess nicht im geringsten interessierte, antwortete sie dementsprechend kühl: "Willst du das wirklich wissen?" Missy schluckte leicht, aber noch löste sie ihren Griff nicht von Sakis Oberteil. Jess erwiderte den Blick der Schwarzhaarigen hingegen kühl und ausdruckslos, denn sie wusste, dass genau das ihrer Rivalin am meisten Angst machte. Wenn sie nicht wusste was ihr gegenüber fühlte, war sie verloren, denn ihre Angriffsfläche war verschwunden. "Bist du dumm, oder einfach nur lebensmüde?", fragte sie und als sie Angst in Missys dunklen Augen sah, lächelte sie und fügte hinzu: "Lebensmüde ist wahrscheinlicher, denn dumm bist du ja sowieso." Daraufhin knurrte die Schwarzhaarige vernehmlich, löste ihren Griff vom grauen T-Shirt und stolzierte an Jess vorbei. Ein paar Meter entfernt wandte sie sich jedoch noch mal um und rief: "Das bekommst du zurück! Warte nur ab!" Jess lächelte auf die Drohung hin nur kühl: "Wir sehen uns in Sport, Missy." Missy ballte die Hände zu Fäusten und stolzierte mit festen Schritten zurück zu ihren Freundinnen und verschwand mit ihnen den Flur hinab. Jess lächelte nur kühl, denn sie wusste, dass sie Missys Stolz gekränkt hatte und genau dasselbe würde sie nach der Pause noch einmal erleben. Sie drehte sich zu ihrer Freundin um sah ihr zu, wie sie ihr Shirt so gut es ging glättete: "Alles in Ordnung, Saki?" "Das Oberteil ist neu.", seufzte ihre Freundin daraufhin und die beiden Freundinnen lächelten sich belustigt an. Jess huschte mit ihren Augen über das Abbild eines Falken mit übergroßen Augen und meinte: "Du meinst wohl eher frisch gewaschen." Daraufhin kicherte Saki und befestigte ihren zwei Haarklammern erneut. Die Wutausbrüche von Missy waren sie schließlich gewohnt und sie wussten, dass Missy nun den gesamten Tag beleidigt sein würde. Aber so hatten sie immerhin Ruhe vor ihr - mehr oder minder. "Lass uns Essen gehen - ich hab Hunger.", meinte Jess und Saki nickte bestätigend: "Das Schulessen am letzten Tag ist sowieso das leckerste." "Was meinst du, wieso wir ansonsten immer was von Zuhause mitnehmen?", meinte Jess und Saki kicherte erneut. Die Blondine wusste das die Weißhaarige nur in ihrer Nähe so fröhlich und offen war, ansonsten war sie meist schüchtern und zurückhaltend. Das war vielleicht auch der Grund weshalb sie dieses Mädchen so gern hatte und es beschützen wollte. Sie lächelte sanft, während sie Sakis Zopf dabei zusah, wie er hinter ihr auf- und abwippte. Dieses Mädchen war etwas ganz besonderes und sie war wahrscheinlich die einzige, die wirklich alles über sie wusste - fast alles. Während sie den Verbindungsflur zur Schulcafeteria entlang schritten, beobachtete Jess, wie sich graue Wolken von den Bergen her Richtung Stadt schoben. Es sah ganz nach einer neuen Fuhre Neuschnee aus, aber heute Nacht war zum Glück kein Auftrag angesetzt. Die Aufregung über den Einsturz des Karzers musste erst abflauen, denn erst dann würden auch die verdoppelten Wachen aus der Stadt verschwinden. Leise seufzte Jess und rückte ihren Rucksack auf der Schulter zurecht, während sich Saki ihre Jeansjacke beim Gehen anzog. In der Cafeteria saßen zum Glück die allermeisten Schüler schon an ihren Tischen, sodass keine lange Schlange mehr vor dem Tresen war. Jess packte sich eines der graumelierten Tabletts und ging zur Salatbar, wo sie sich einen Salat bestehend aus Mais, Salat, Gurken und Dressing zusammenwürfelte. Danach ging sie zu ihrer Freundin, welche schon vor der älteren Dame stand, die das heutige Tagesgericht ausgab. Nachdem sie den Preis von 5 Rubal bezahlt hatten, bekamen sie ein Stück Pizza. Unter dem Käse konnte man kaum ausmachen, mit was es belegt war und die Küchenfrau war offenbar nicht in der Stimmung diese Frage zu beantworten. Saki nahm sich noch einen Schokoladenpudding vom Desserttresen und dann schlenderten beide auf der Suche nach einem freien Tisch durch die Halle. Am Fenster sahen sie schließlich Drake, welcher sie zu sich an den runden Tisch winkte. Jess stellte ihr Tablett ab und ließ sich auf den Stuhl sinken: "Wo sind deine Kumpel, Drake?" Der Angesprochene zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung, draußen glaube ich." "Achso.", Jess kramte ihre Wasserflasche aus der Schultasche und begann anschließend damit prüfend ihre Pizza zu begutachten. Der Käse schien von selbst von der Pizza zu fließen. "Ich glaube es ist Salami, oder Margherita.", vermutete Saki nun, nachdem sie den Käse etwas zur Seite geschoben hatte. Jess blickte ihr Stück weiterhin skeptisch an, bevor sie mit der Kabel ein Stück abschnitt und es probierte: "Margherita.", war ihre Antwort und dann begann auch Saki zu essen. Drake schlürfte währenddessen seinen Orangensaft und sah aus dem Fenster, wo sich langsam alles verdunkelte: "Sieht nach Neuschnee aus." "Was interessierst uns? Wir haben heute nichts zu tun.", meinte Jess und spülte ihre Pizza mit einem Schluck Wasser herunter. "Also ich mag Schnee.", trällerte eine ihnen bekannte Stimme plötzlich und schon hatte sich Tara neben Saki auf einen Stuhl fallen gelassen. Saki sah die Lilahaarige an und fragte: "Wo sind deine Freundinnen?" "Die haben schon Schule aus.", war die knappe Antwort und ihre hellgrauen Augen färbten sich dunkler, "Wir haben nur noch Sport, oder?" Allgemeines Nicken war die Antwort und erleichtert seufzte Tara und trank mit ein paar schnellen Zügen ihren Kakao leer. Skeptisch beobachtete Saki das Geschehen: "Hast du jetzt noch etwas für Sport?" "Natürlich." Jess war sich nicht sicher, ob Tara es wirklich ernst meinte, doch lange konnte sie nicht darüber nachdenken, denn zu ihrer Überraschung betraten Hit und Kenji gerade miteinander redend die Essenshalle. Sie war allerdings nicht die Einzige, die überrascht wirkte, denn sie hörte, wie Drake das Messer aus der Hand fiel und es auf dem leeren Teller landete. Es war ungewöhnlich für Kenji nicht von einer Mädchentraube umgeben zu sein und ansonsten war er auch nicht der Typ, der sich gerne mit einem von ihnen in der Schule abgab. "Hallo, zusammen.", meinte Hit und ließ sich neben Tara fallen. Jess sah hoch zu Kenji, welcher Anstalten machte, sich auf den letzten, freien Platz zu setzen: "Wo hast du deinen Fanclub gelassen?" "Ich hoffe ganz weit weg.", murrte der Schwarzhaarige, kurz bevor der Direktor die Halle betrat, begleitet von seinem Stellvertreter. Er stellte sich etwa in die Mitte, sodass ihn alle Schüler sehen konnten. Erst jetzt fiel Jess auf, dass hauptsächlich ihre Klasse und die dritte des Jahrgangs vertreten war. Alle anderen hielten sich offenbar draußen auf - beziehungsweise hatten schon Ferien. Der Direktor räusperte sich vernehmlich, um sich die Aufmerksamkeit der Schüler anzueignen, bevor er anfing zu sprechen: "Wie ihr wisst, werden wir nach den Ferien Besuch von unserer Partnerschule aus Immemoria bekommen. Die Klasse, welche uns besuchen kommt, wird eurem Jahrgang zugewiesen, beziehungsweise der ersten und dritten Klasse dieses Jahrganges.", allgemeines Gemurmel machte sich breit, doch davon ließ sich der ältere Herr mit den grauen Haarsträhnen im schwarzen Haar nicht aufhalten: "Ich setzte großes Vertrauen darauf das unsere Schulsprecherin und ihre Vertreterin die Einführung der Schüler übernehmen. Wie euch ebenfalls bekannt sein müsste, handelt es sich bei unserer Partnerschule um eine Eliteschule. Also erwarte ich von euch allen, dass ihr unsere Schule verantwortungsvoll und bestens vertretet. Immerhin haben wir den besten Ruf im ganzen Land und das soll sich nicht ändern. Ich verlasse mich auf euch und ich wünsche euch wunderschöne Ferien." Kaum hatte der Direktor seine Rede beendet und war aus den Türen der Halle verschwunden, brach wie auf Kommando eine große Diskussion unter den beiden Klassen aus. "Immemoria also.", murmelte Jess vor sich hin und ihr war bewusst, dass dort die Nummer eins der Weltrangliste ihren Aufenthaltsort hatte. Doch wie wahrscheinlich war es, dass ausgerechnet er hier nach Naidoko kommen würde, und das auch noch durch einen simplen Schulbesuch. Eigentlich recht unwahrscheinlich, doch durchaus möglich. Diese Möglichkeit werde ich mir wohl offen halten müssen, dachte sie sich, während sie nur mit halben Ohr den anderen lauschte, welche anscheinend ganz andere Probleme hatten. "Saki, dass kann doch nicht dein Ernst sein!", meinte Kenji aufgebracht und die Weißhaarige zog ihm eine Art Liste aus der Hand und antwortete: "Ich kann nichts dafür, also reg dich endlich ab, Kenji." "Abregen?! Wie soll ich mich bei den Neuigkeiten bitte abregen?", fragte der Schwarzhaarige aufgebracht und stieß dabei fast ein Tablett vom Tisch. Jess sah auf, strich sich eine Haarsträhne aus dem Sichtfeld ihres linken Auges und fragte: "Was habt ihr jetzt schon wieder? Was für Neuigkeiten sollen das sein?" "Ein paar aus der Schule werden die drei Wochen in der freien Wohnung neben uns verbringen.", war die einfache Antwort Sakis und Jess nahm ihr die Liste aus der Hand. Dort waren fünf Schüler vermerkt, welche bei ihnen unterkommen würden. Soju Kaná, irgendwo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört, aber es wollte ihr nicht einfallen. Wahrscheinlich war es auch gar nicht so wichtig. Sie überflog den Rest der Namen nur und sah dann auf: "Das heißt also, das wir die Wohnung aufräumen müssen." Sie waren schon lange nicht mehr in der Nachbarwohnung gewesen, das letzte Mal hatten sie ein paar funktionstüchtige Geräte runter in den vierten Stock geschleppt - und das war vor sechs Jahren gewesen. Alle sahen sie an und Kenji grummelte: "Das wird mindestens eine Woche dauern!" "Hör auf zu meckern. Wir sind zu sechst, da sollte das auch in weniger als einer Woche zu schaffen sein, wenn alle mithelfen.", meinte Jess und Kenji verschränkte die Arme, während Tara ihre Totenkopfspange richtete und fragte: "Was ist denn überhaupt in der Wohnung?" "Alles was wir nicht mehr gebrauchen können, obwohl, selbst da bin ich mir sicher. Es ist viel Zeit vergangen, seit wir die Wohnung das letzte Mal betreten haben.", antwortete Saki und Drake fügte hinzu: "Um genau zu sein sechs Jahre, Saki." Bevor jedoch noch jemand ein Wort sagen konnte, mischte sich Missy in das Gespräch ein: "Ach, bei euch kommen also ein paar Schüler unter, oder was?" "Selbst wenn, was geht dich das an, Missy?", fragte Jess und Tara fügte hinzu: "Was mischt du dich eigentlich in unser Gespräch ein?" "Es ist interessant euch zuzuhören. Sind so viele Personen in einem Haus nicht etwas viel? Kenji, du kannst gerne mit in das Haus meiner Eltern kommen, da ist mehr als genug Platz.", meinte Missy und ihre Augen blickten den Schwarzhaarigen beschwörend an. Doch der Angesprochene antwortete nur genervt: "Kein Interesse." Saki und Tara fingen an zu kichern und Missy plusterte sich gekränkt auf: "Du bist also lieber bei denen", dabei deutete sie mit den Finger auf Jess, Saki und Tara: "Als bei mir?!" "Du hast es erfasst.", war die knappe Antwort Kenjis, aber anstatt nun zu gehen, fing Missy wieder an: "Was haben sie dir ins Getränk getan? Du bist doch garantiert nicht freiwillig da." Kenji schlug ihre Hand weg, mit der sie ihm durch das Haar streichen wollte: "Wenn du nicht in 5 Sekunden verschwunden bist, werde ich dafür sorgen müssen." Jess beobachtete wie ein paar muskulöse Typen sich von ihren Tischen erhoben und hinter Missy traten. "Hast du dir etwa ein paar Leibwächter angeschafft?", fragte Jess ungerührt und Saki legte eine Hand auf Drakes Schulter. Er war mit diesen Jungs schon seid Jahren verfeindet und auch die anderen hatten das ein oder andere Problem mit ihnen. "Die sind immerhin nicht so verklemmt wie ihr. Sie wissen meine Schönheit zu schätzen!" Als Jess und Kenji anfingen zu lachen, sprang ihr Blick von Stolz in Verwirrung über. "Deine - Was?", fragte Kenji belustigt und Jess fügte hinzu: "Du meinst wohl eher deine Freizügigkeit. Du glaubst doch nicht ernsthaft das du schön bist?" Missys Blick verfinsterte sich und einer der Typen wollte Kenji packen, doch dieser duckte sich unter dem Arm hinweg und stand auf. Jess drückte ihren Stuhl in die Magengegend des Zweiten und stand ebenfalls auf: "Willst du diese Weicheier, etwa auf uns ansetzen?" "Das soll wohl ein schlechter Witz sein.", grinste Kenji und betrachtete den Typen, welcher sich vor Schmerzen seinen Bauch hielt. Als er wieder auf Jess zutrat und ausholte, stieß sie ihn an den Schultern weg, sodass er stolperte und auf dem Rücken fiel. Dann betrachtete sie Missy, welche wie versteinert dastand: "Glaubst du echt ich lasse mich von denen beeindrucken?" "Das sind doch nichts weiter als Angeber, die nicht einmal rechts von links unterscheiden können.", meinte Kenji, während er mit einer Hand den Schlag des Anderen abfing. Missy schien beinahe der Mund aufzuklappen, aber für die übrigen Schüler war das nichts Neues. "Missy, wir haben dir doch gesagt, dass die beiden regelmäßig zur Selbstverteidigung gehen.", rief Iowa von einem Tisch herüber. Innerlich grinste Jess, wenn die nur wüssten, ja, wenn sie nur wüssten. Während der Typ Kenji mit unglaublich dreinblickenden Glubschaugen anstarrte, hielt Saki Drake davon ab von seinem Platz aufzustehen und sich einzumischen. Jess warf leicht ihre Haare zurück und meinte: "Ich würde dir empfehlen auf deine Freundin zu hören." Missy knurrte und ballte die Hände zu Fäusten. Beleidigt drehte sie sich auf dem Absatz um: "Ihr werdet noch sehen, was ihr davon habt. Niemand legt sich mit mir an!" Kenji stieß seinen Angreifer von sich weg, sodass dieser neben seinem Freund auf dem Boden landete und ließ sich wieder auf seinen Stuhl zurücksinken. Jess blickte zu den beiden, während sie sich gegen die Lehne ihres Stuhles lehnte und ein mildes Lächeln aufsetzte. Kaum hatten sich die beiden Jungen erhoben, kam eine Durchsage, welche sich durch ein vorhergehendes Rauschen ankündigte: "Die Schülerinnen und Schüler können nach Hause gehen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen zu einer letzten Konferenz. Schöne Ferien an alle Schülerinnen und Schüler!" Daraufhin brach in der Cafeteria lauter Jubel los, sodass eigentlich nur Jess und ihre Freunde die letzten Worte mitbekamen: "Die Zeugnisse werden euch per Post zugesendet." Jess schulterte ihren Rucksack und sah zu den anderen: "Los, lasst uns nach Hause gehen. Wir haben schließlich noch einiges zu tun, bevor Weihnachten ist." Die anderen nickten und schulterten ihre Taschen und Rucksäcke. Jess schnappte sich ihre Flasche und blickte aus dem Fenster, es fing an zu schneien - was für ein schöner Ferienbeginn. "Vergiss nicht, dass du morgen mit Tara auf den Schwarzmarkt gehst, Jess.", meinte nun Kenji, als sie schon auf halben Weg nach Hause waren. Jess seufzte und antwortete: "Keine Sorge, ich bin doch nicht senil." Saki kicherte und gemeinsam gingen sie über die Brücke des Flusses, dessen Strömung dunkelgrau unter ihnen floss. Der Schatten der dort stand, lächelte und verschwand hinter der nächsten Häuserreihe, ohne das ihn jemand bemerkte. Kenji Kurotake: "Beliebt zu sein ist eine Sache - Freunde zu haben die Andere. Ich habe beides." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)