disease von Aijou ================================================================================ The Soul No. 01 --------------- Flügel... Ich will Flügel haben! Flügel, um den Bildern zu entkommen, dem flüssigen Gift, den starren Blicken, den Schreien, den Klauen und der Dunkelheit. Mein Körper zittert, mein Atem geht schnell. Angst. Ich kann mich vor Angst nicht rühren. Es ist kalt in den Kellergewölben, der Stein um mich herum ist feucht, über mir eine Welt, die ich nicht kenne...nicht mehr. Flügel! Bitte gib mir doch jemand Flügel! Wieder dringt das Geräusch von zerreißender Haut an meine Ohren. Wieder erklingt das gequälte Stöhnen einer sterbenden Kreatur, während Reißzähne in ihre Kehle eindringen. Flüssiges Gift fließt lautlos über den Boden... Blut. Es folgt den Unebenheiten des Steins, füllt die Rillen zwischen den einzelnen Steinen als erstes, bevor es sich weiter ausbreitet. Still. Schleichend. Heimtückisch. Ich weiche zurück. Ich weiß, dass ich anders bin. Ich bin...immun. Dennoch habe ich Angst vor diesem Gift. Es schadet meinem Körper nicht, aber es tötet meinen Geist, wenn ich damit in Berührung komme. Simpler Hautkontakt genügt dann bereits, um diese Bilder in mir zu erzeugen. Es weitet grausam meine Sinne, lässt mich intensiver spüren, sehen, hören und leiden… Ein letzter Atemzug und die arme Kreatur regt sich nicht mehr. Ich kann nicht wegsehen, bin vor Angst gelähmt und schaue mit an, wie das arme Ding auseinander gerissen wird. Das hätte auch ich sein können. Kälte schüttelt mich und ich krieche weiter in meine Ecke zurück. Ich darf keinen Laut von mir geben, darf sie nicht auf mich aufmerksam machen, darf ihnen nicht zeigen, dass ich die einzige hier bin, die noch nicht zu ihnen gehört. Ich darf ihnen nicht zeigen, dass ich die einzige bin, die noch nicht komplett den Verstand verloren hat. Ihr schnaubender, stinkender Atem widert mich an. Ihre Mäuler sind blutig, in ihren Augen steht der Wahnsinn. Ich weiß, dass ich die nächsten Stunden nichts zu befürchten habe. Sie haben gefressen. Sie werden mir nichts tun, bis sie wieder Hunger bekommen. Ich flehe darum, dass nicht ich das nächste Opfer sein werde. Ich flehe darum, dass es vielleicht der Junge ist, der mit mir zusammen in dieses Loch gesteckt wurde. Oder vielleicht die Frau, die schon so lange vor Schmerzen stöhnend in einer Ecke liegt. Bitte... Gebt mir doch endlich Flügel, damit ich davon fliegen kann! Erhört doch endlich mein Flehen. Ich brauche nur ein bisschen Hilfe. Nur ein bisschen...ein klein wenig... Meine Augen schließen sich. Ich bin müde. Müde des Lebens. Und doch flehe ich darum, dass nicht ich es bin, die als nächstes auseinander gerissen wird. Ich will nicht! Vielleicht spüren diese Kreaturen das… Vielleicht spüren sie instinktiv, dass ich an meinem Leben festhalte? Ketten klirren und ich zucke zusammen. Panik schnürt mir die Kehle zu und nimmt mir den Atem. Das, was da draußen lauert ist der Tot. Schlimmer noch als der, welcher mir in diesem Loch bevorsteht. Ich will nicht. Ich will nicht zu einem von ihnen werden. Ich will leben! Lasst mich doch endlich fliegen! Lasst mich von hier weg fliegen! Gebt mich doch endlich frei! ... Schlagstöcke krachen gegen die Gitterstäbe. Instinktiv ziehen die Kreaturen sich in die Dunkelheit zurück. Sie sind mehr Tier als Mensch, aber sie haben Angst. Angst vor den schwarzen Göttern. Wieder klirren Ketten, mehrere Schlösser knirschen, als man eines nach dem anderen öffnet. Eine vermummte Gestalt im schwarzen Umhang steht am Gitter, den Schlagstock in der Hand. Sie hält genug Abstand um nicht in Gefahr zu geraten, aber selbst über die Distanz hinweg kann ich die Kälte dieses Augenpaares spüren. Ich will weinen, aber ich habe längst keine Tränen mehr. So sehr ich auch hoffe, ich weiß, dass man mich längst entdeckt hat. Wahrscheinlich wundert man sich darüber, dass ich noch immer am Leben bin. Noch immer, nach all der Zeit. All die Zeit in Dunkelheit. All die Zeit zwischen willenlosen Kreaturen, Missgestalten, sich selbst überlassen. Abfall. Entstanden aus dem Versuch, die perfekte Lebensform zu erschaffen... Was für ein Wahnsinn. Ein Wahnsinn, welchen diese schwarzen Götter herauf beschwört hatten in dem Glauben, die Welt verbessern zu können. Ein Glauben, der die Welt dem Untergang geweiht hat. Ich spüre wie mein tauber Körper sich erhebt, als wäre es nicht mein eigener. Meine Augen sind auf die vermummte Gestalt gerichtet. Sie wartet. Sie weiß, dass ich ihr nicht entkommen kann, dass ich mich in mein Schicksal ergeben werde. Ich wende den Blick nicht von ihr ab, während ich mich lautlos durch das Gewölbe bewege. Meine nackten Füße weichen blind den Blutlachen aus und steigen über verstümmelte Leichname, über lose Körperteile und halb abgenagte Knochen. Ich rieche den Verwesungsgestank schon längst nicht mehr. Am Gitter bleibe ich stehen. Wieder wird warnend mit den Schlagstöcken gegen die Stäbe geklopft. Das Geräusch hallt im Gewölbe tausendfach verstärkt wieder und jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich höre das unruhige Schnauben der Kreaturen hinter mir. Wenn sie nur wüssten was für Kräfte sie besaßen. Sie hätten schon längst aus ihrem Gefängnis fliehen können. Ich weiß nicht, ob es da draußen noch Menschen gibt. Aber ich bete jeden Tag darum. Ich bete darum, dass es da draußen Leben gibt. Unbeschwert, nicht bedroht durch diese Kreaturen, welche zusammengepfercht in den Unterwelten lauern. In der Hölle. Das Gitter vor mir öffnete sich, mein Körper bewegt sich automatisch. Er kennt den Weg. Ich lasse das Verließ hinter mir, meine nackten Füße suchen sich ihren Weg über rauen, scharfkantigen Stein, die grob gemeißelten Stufen hinauf und dem Licht entgegen. Trügerisch du süße Qual...wie trügerisch du doch bist... Das Licht bedeutet noch viel schlimmere Ängste als die stille Dunkelheit dort unten. Ich kann nicht atmen vor Angst. Ich bleibe stehen, warte ab, als ich das Ende der Stufen erreicht habe. Das Licht blendet meine empfindlichen Augen, ich spüre die Wärme der Sonnenstrahlen schon längst nicht mehr. Demütig beuge ich den Kopf und spüre den bekannten Druck im Nacken. Das Lesegerät piept, als es den Strichcode in meinem Nacken scannt. Ganz so, als wäre ich eine Ware. 0800 nennen sie mich... Ich weiß, dass ich einst einen Namen hatte. Aber ich habe ihn vergessen. Es kommt mir vor, als käme er aus einem anderen Leben. Ein Leben, das nicht mehr das meine ist. Einst konnte ich die Sonne auf meiner Haut spüren, konnte tanzen zwischen hohen Gräsern und mich vom Winde tragen lassen, dem Meeresrauschen lauschen und abends mit den Sternen am Himmel sprechen. Es kommt mir vor, wie ein blasser Traum. Ich werde nie meine Flügel bekommen... Stumm trete ich ins Freie. Der Himmel ist bewölkt, der Boden staubig. Um mich herum noch mehr vermummte Gestalten. Sie weigern sich seit Anbeginn ihre Gesichter zu zeigen. Vielleicht aus Angst vor der Rache der Kreaturen, welche sie selbst geschaffen haben. Alles was man von ihnen sieht, sind eiskalte Augen. Sie bewegen sich und sprechen wie Menschen. Sie atmen, wandeln umher wie Menschen... Aber in ihren Augen ist nichts menschliches mehr. Nichts. Ein unangenehmer Wind zerrt an den Fetzen die ich am Leibe trage. Einst war es vielleicht eine Art schlichtes Kleid. Der Stoff ist rau und kratzt auf der Haut, er ist zerrissen und die ursprüngliche, schmutzige Farbe lässt sich nur noch erahnen. Jetzt ist der Stoff in Blut getränkt, die Flecken sind getrocknet, aber die Erinnerung bleibt. Es hat ihr gehört… Ihr, die kurz nach mir in diese Hölle kam und noch vor mir den Verstand verlor. Ihre Knochen liegen nun dort unten im Verlies. Vergessen von der Welt. Aber nicht vergessen von mir. Sie hat mich beschützt, hat sich geopfert um mir das Leben zu retten. Sie hatte das ihre schon aufgegeben. Ich das meine noch nicht... Ich kann ihre Schreie noch immer hören. Ihre Schreie, während ihr Körper auseinander gerissen wurde. Ich kann ihre letzten, gurgelnden Atemzüge hören, kann ihre weit aufgerissenen Augen sehen, ehe sie aus ihren Höhlen gerissen wurden. Der Hunger hat diese Kreaturen dort unten dazu getrieben sie als nächstes Opfer zu ernennen. Die Fetzen die ich jetzt am Leibe trage haben ihr gehört. Als ich sie ihr genommen habe, waren sie noch warm gewesen... Und der Stoff nass von ihrem Blut. Bitte! Wenn es noch Menschen dort draußen gibt... Bitte... Gebt mir Flügel! ... Ich stolpere weiter durch den Staub und werde in einen Jeep gesetzt. Der Motor heult auf, ich spüre das leichte Vibrieren des Wagens unter mir, als wäre es ein fremder Körper den er durchdringt. In meinem Kopf ist alles leer. Schwarze, schmutzige Haarsträhnen werden mir aus dem Gesicht geweht, während der Jeep davon braust. Ich schließe die Augen und bilde mir ein, ich würde fliegen.... Ich spüre wie mein Herz heftig klopft. Ich spüre wie mein Körper Anstalten macht zu neuem Leben zu erwachen, wie eine lang vermisste Wärme in mich zurückkehrt. Dann ist alles vorbei. Der Jeep hält, ich höre die rohe Aufforderung und folge ihr. Ungeschickt steige ich aus dem Wagen und stolpere über den gepflasterten Hof. Grau... Alles hier ist grau. Farblos. Trist... Tot. Es schaudert mich. Ich gehe dumpf die geraden, glatten Stufen hinauf durch einen Seiteneingang, hinein ins Innere des Gebäudes, welches mir vorkommt wie ein gefräßiges Tier. Viele schon sind diesen Weg gegangen. Wenige sind zurückgekehrt… Die Welt ist im Wandel... Die Menschen haben sich selbst zu Göttern auserkoren. Die Wissenschaft ist zu weit vorangeschritten, hat wahnsinnige Wege eingeschlagen und zerstört mehr, als das sie schafft. Die perfekte Lebensform... Darum bin ich hier. Ich bin kein Mensch mehr, diesen Status hat man mir aberkannt. Ich bin nichts weiter als 0800...eine Nummer, eine Ware, ein Versuchskaninchen auf dem Weg zur Perfektion. Ich weiß nicht was sie dieses Mal mit mir anstellen werden. Es ist mir gleich. Ich schließe meinen Geist davor, will nichts sehen, nichts hören, nichts spüren... Die Menschen haben zu viel Macht erlangt. Macht, welche sie in den Wahnsinn treibt. Anders als diese bedauernswerten Kreaturen in den Verliesen dort unten...aber viel gefährlicher. Sie stellen sich über alles, sie haben sich selbst zu Göttern ernannt, um die Welt neu zu erschaffen, wie sie es sagen. Sie wollen eine neue Rasse Menschen züchten, wie es schon viele Herrscher vor ihnen versucht haben. Jetzt aber ist die Zeit voran geschritten und sie sind so tief in die Wissenschaft eingetaucht, dass ihnen beinahe alle Türen offen stehen. Sie öffnen eine nach der anderen, reißen sie aus den Angeln, so dass sie sie nicht wieder schließen können, wenn das notwendig sein sollte. Die perfekte Lebensform... Ich weiß nicht, was sie sich darunter vorstellen. Wahrscheinlich wissen sie es nicht einmal selbst. Sie probieren einfach. Wie kleine Kinder mit einem Chemiebaukasten. Sie gehen über Leichen, bringen ein Opfer nach dem anderen und ihre Herzen sind aus Stein, so dass sie nicht sehen was sie da tun, nicht spüren was für einen Schaden sie anrichten. Ich bemitleide sie, ebenso sehr wie ich sie verabscheue... Ihre Versuche haben schlimmes erschaffen. Schlimmer, als sie es wohl erfassen können. Sie begreifen nicht, was sie da tun. Aus den Abfällen ihrer Versuche heraus, ist tatsächlich eine neue Lebensform entstanden. Ein Schmarotzer, welcher sich anderer Körper bedient. Ein Parasit, der von einem Besitz ergreift, einen von innen heraus um den Verstand bringt, einem das Hirn zerfrisst. Langsam und qualvoll. Als erstes sind da starke Schmerzen, dann kommt langsam die Gewissheit, dass sich etwas in einem befindet...etwas Lebendes, was durch einen hindurch kriecht, sich windet... Die meisten macht es wahnsinnig. Sie reißen sich die eigene Haut auf, um sich von den Parasiten zu befreien. Sie schreien ihre Qualen heraus, während sie sich die eigenen Leiber aufschneiden. Mit stumpfen Steinen, mit bloßen Händen, wenn es sein muss... Unnütz. Nichts befreit sie von diesen Schmarotzern. Bis sie zu diesen willenlosen Kreaturen werden, welche nun dort unten hocken. Wenige von ihnen überleben es. Aber die wenigen die es tun, sind schlimm genug. Einst waren sie wie du und ich und nun sind sie zu Monstern geworden... Monstern, die nur noch für ihre Instinkte leben. Nicht mehr als blutrünstige Tiere in Tollwut. ... Ach bitte... Lasst es doch endlich ein Ende haben! Diese Welt ist zu grausam, kann einfach nicht wirklich sein. Es fühlt sich an wie ein Traum...ein Alptraum. Zu grausam. Mein Verstand kann es kaum erfassen. Mit schweren Schritten schleppe ich mich durch die Gänge des Gebäudes. Es ist ein Labor. Eine Werkstatt. Eine Fabrik für die perfekte Lebensform... Eine Lebensform, die man noch nicht gefunden hat und die man wohl auch nie finden wird. Die schwarzen Götter in ihren dunklen Umhängen sehen das nur noch nicht. Und ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass sie es je begreifen werden. Sie gehören alle zu der gleichen Organisation. M-Gene... Sie sind die Wissenschaftler, die Ärzte, die Regierung, das Gesetz... Es gibt niemanden, der ihnen die Hände bindet. Niemanden, der sie dazu bringen könnte aufzuhören. "Es ist so weit." Wie von weit weg dringen diese Worte zu mir durch. Ich blicke auf. Inzwischen stehe ich in einem Raum. Kahle Wände, ein Tisch, ein einzelner Stuhl, Ketten... Mir gegenüber eine vermummte Gestalt. Es ist ihre Stimme, die da erklungen ist. Es ist so weit... Für was? Ich weiß es nicht und es interessiert mich nicht. Ich will nicht wissen was ich als nächstes erdulden muss. Ich will nicht wissen was man mir als nächstes antun wird. Lasst mich... Lasst mich doch einfach nur mein Leben leben... Man geleitet mich durch den Raum, durch eine Tür, die mir vorher nicht aufgefallen war. Ich füge mich in mein Schicksal. Längst habe ich aufgegeben zu kämpfen... Wir erreichen einen zweiten Raum. Ebenso kahl wie der erste. Leer. Leer, bis auf eine Truhe. Es erinnert mich an eine Kühltruhe und ich erkenne, dass es auch genau das ist. Es schaudert mich. Ich will nicht wissen, was sich in dieser Truhe befindet und instinktiv will mein Körper zurück weichen. Und bleibe dennoch stehen wo ich bin. Ich weiß, dass man mir nicht sagen wird, was man mit mir vor hat. Ich spüre, wie die kalten Fänge der Angst mich erneut umschlingen. Ich zittere. Man drängt mich vorwärts, durch den Raum und eine erneute Tür. Ich finde mich in einem Waschraum wieder, wo zwei vermummte Gestalten auf mich warten. Ich bleibe stehen und lasse zu, dass man mir das zerfetzte Kleid über den Kopf zieht. Es ist mir unangenehm, als ich nackt auf den kalten Fliesen stehe. Man versetzt mir einen Schubs, ich stolpere vorwärts und im nächsten Moment prasselt kaltes Wasser über meinen zierlichen Körper. Es ist so kalt, dass es sich anfühlt wie kleine Nadelstiche auf meiner weichen, blassen Haut. Ich werde gewaschen. Man schrubbt mir den Dreck von Monaten weg, bis meine Haut schmerzhaft brennt. Das Wasser welches unter mir in einen Abfluss fließt, ist schwarz vom Schmutz. Man wäscht mir nun auch grob die Haare und ich schließe rasch die Augen. Der Schaum wird weggespült und es ist seltsam, dass ich mich noch schmutziger fühle als vorher...schutzlos. Nass, zitternd, nackt stehe ich da. Ängstlich. Es ist lange her, seit man mich das letzte Mal gewaschen hat. Es war, als ich in dieses Labor hier verfrachtet worden bin. Als Bereicherung für die Forschung hier, so hieß es. Ich bin immun gegen die Parasiten... Deshalb bin ich etwas Besonderes. Deshalb bin ich noch immer am Leben. Man drängt mich auf einen kalten, harten Stuhl. Ich sinke darauf nieder und verziehe nicht einmal das Gesicht, als man mir grob an den lang gewordenen Haaren reißt. Mein Körper hat sich verändert. Jetzt, wo all der Dreck runter ist spüre ich es umso deutlicher. Ich schaue auf und mir gegenüber schaut jemand zurück. Ein Mädchen, auf einem Stuhl. Blass, zitternd, mit stumpfen Blick. Ich brauche einen Moment bis ich begreife, dass mein eigenes Spiegelbild da zurückschaut. Ich hätte mich nicht erkannt... In meiner Erinnerung sehe ich anders aus. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal einen Spiegel gesehen habe. Ich erkenne mich nicht wieder... Meine Haut ist blass, meine Haare sind lang geworden und fallen mir dunkel auf die Schultern. Was mich verwirrt ist aber, dass mein gesamter Körperbau sich geändert zu haben scheint... Bin das ich? Bin das wirklich noch ich? Nein... Ich bin eine erschaffene Lebensform. Umgebaut und abgeändert, so wie man es haben wollte. Der Körper dieses Mädchens - ich kann es einfach nicht meinen eigenen Körper nennen - ist zierlich und wirkt fast zerbrechlich. Große, schöne Augen, fein geschwungene Augenbrauen, eine zierliche, stupsige Nase und volle, sündige Lippen. Weiche Gesichtszüge, ein schlanker, langer Hals, schmale Schultern. Arme, die in kleinen Händen enden, mit langen, schlanken Fingern. Eine schmale Taille, wohlgeformte, kleine Brüste, lange, glatte Beine und zierliche Füße. Auf meinem Kopf sind die Haare lang geworden, dunkel, mit roten Strähnen darin.... Ansonsten scheint mein Körper aber glatt zu sein, weich wie Samt... Perfektion, die einem schlecht werden lässt. Es fühlt sich nicht an wie mein Körper... Erst jetzt sehen meine Augen all die Narben. Vereinzelt auf meinen Armen, an meinen Seiten. Ich drehe den Oberkörper leicht und sehe, dass sie meinen gesamten Rücken entstellen. Ich zittere und man versetzt mir einen groben Stoß, damit ich wieder still sitze. Die Klingen einer Schere blitzen auf und einzelne, weiche Haarsträhnen segeln lautlos zu Boden. Ich schließe die Augen, lange Wimpern kommen auf meinen Wangen zum Ruhen. Es dauert nicht lang, bis man mit mir fertig ist. Aber ich habe Angst... Angst vor dem, was als nächstes kommt. Man zerrt mich auf die Beine und ich spüre einen Schmerz im Nacken. Entsetzt spüre ich, wie Blut über meinen Rücken läuft. Der Strichcode ist zerstört... Jetzt, bin ich nichts mehr. Nicht mal mehr 0800... Nichts. Ein Taubheitsgefühl nimmt von mir Besitz, während man sich an der Wunde in meinem Nacken zu schaffen macht. Sie heilt unnatürlich schnell und ist im nächsten Moment schon fast wieder vernarbt. Von dem Strichcode ist nicht mehr viel zu sehen... Man wickelt mich in ein dunkles Tuch und führt mich zurück in den vorigen Raum, zu der Truhe hin. Es ist tatsächlich eine Kühltruhe, aber sie ist leer. Im nächsten Moment begreife ich... Sie ist für mich bestimmt. Ein gläserner Sarg, ein eisiges Gefängnis, bis man wieder Verwendung für mich hat... Ich habe keine Kraft mehr mich zu wehren, während man mir in die Truhe hilft. Ich spüre wie die Kälte von mir Besitz ergreift, wie sie sich stechend durch meine empfindliche Haut bohrt. Langsam lege ich mich auf den Rücken, man faltet mir die Hände auf der Brust. Es ist ein Sarg... Ein Sarg, der mich lebend einschließen wird. Ich erinnere mich an eine Geschichte aus einem vorigen Leben. Von einer Prinzessin in einem Sarg aus Glas... Ob sie auch solche Angst gehabt hat? Die schwarzen Götter schieben den gläsernen Deckel über mir zu, das Atmen fällt mir schwer. Ich höre ein Zischen, als ein Gas in die Truhe strömt. Ich weiß jetzt, dass ich meine Flügel nie bekommen werde...... Mir wird schwindlig und mein letzter Gedanke gilt der Prinzessin aus der Geschichte. Sie wurde von einem Prinzen gerettet...ein Prinz, welcher sie aus ihren gläsernen Sarg befreite...... Kapitel I --------- Schon seit Tagen fiel der Regen vom Himmel, durchnässte alles auf was er traf, schwemmte Dreck fort und spülte neuen heran. Graue Wolken glitten drohend über sie dahin und versprachen stumm weiteren Regen. Dabei hörte es schon seit vier Tagen nicht mehr auf... Inzwischen war alles durchnässt und die Menschen hatten sich daran gewöhnt. In ihrem Elend war es ihnen wahrscheinlich auch schon egal. Hoffnungslosigkeit... Leid und Verlust hing in der Luft wie dichter Nebel, dazu kam der plagende Regen, der die Gemüter noch mehr betrübte. Er seufzte leise auf. Er hatte eine Verantwortung zu tragen, die dieser Tage nur noch schwerer auf seinen Schultern lastete... Er war stark, kontrolliert und überlegt. Aber manchmal fiel selbst ihm nichts mehr ein, um seine Schützlinge aufzumuntern. Sie befanden sich in einem trostlosen Stück Land, felsig, grau, deprimierend... Es war inzwischen alles zerstört. Sie hausten in Ruinen, hatten sich aus Tüchern und Planen versucht ein Heim zu erschaffen. Schiefe Holzhütten neigten sich gegen den Wind der endlos durch die schmalen Gassen brauste, es roch nach dem sauren Regen, nach ungewaschenen Kleidern und verdorbenem Essen. Einst war um sie herum eine Stadt gewesen. Klein, behaglich, sicher... Jetzt hatten die wenigen Überlebenden sich in die ehemaligen Slums eben dieser Stadt zurückgezogen. Es waren nicht mehr viele. Fünfzig, vielleicht einhundert....von einst ein paar Tausend. Sie lebten auf engstem Raum, teilten sich ihre Hütten und die wenigen Lebensmittel, die sie besaßen. Jeden Tag kämpften sie darum nicht zu verhungern. Krankheiten gingen herum. Es war ein einziges Elend... Und doch, war es immer noch besser als dort draußen... Er wandte den Kopf und sein Blick fiel auf den hohen, stabilen Zaun. Metallgitter, mit Stacheldraht gespickt und stark bewacht. Patrouillen gingen am Zaun entlang oder hatten ihre festen Posten. Wenige von ihnen waren richtig bewaffnet, die meisten besaßen nur rostige Messer oder schartige Äxte. Er seufzte leise, sein Blick ging weiter, suchte das Gebiet außerhalb des Zaunes ab. Es war still....zu still. Er wusste, dass diese Ruhe trügerisch war. Dort draußen drohte nach wie vor der Tot... Kreaturen, wie sie nur aus den schlimmsten Alpträumen stammen konnten... Nicht tot, aber auch nicht lebendig. Ohne Verstand schlichen sie umher und brachten nichts anderes als Leid und Schmerz, Verlust, Angst und den Tod.... Tag für Tag und Nacht für Nacht mussten die Bewohner der Slums sich gegen diese Kreaturen behaupten, mussten um das Überleben kämpfen, mussten den Hunger besiegen, die Krankheiten und das Elend, um am Ende auch noch gegen diese Monster zu kämpfen. Es waren grausame Kreaturen und ihn beschlich eine Gänsehaut, wenn er an die neusten Arten dieser Monster dachte. Sie waren inzwischen mehr Tier als Mensch, viele von ihnen waren in irgendeiner Art mutiert. Es gab schwächere Arten, aber auch jene, die beinahe unbesiegbar schienen und unnatürlich gewaltige Kräfte besaßen.......dafür, dass sie einst Menschen gewesen waren. Er schüttelte den Kopf und setzte sich in Bewegung. Lautlos ging er durch die kleinen Gassen. Ein paar Kinder spielten im Dreck, ein junges Mädchen versuchte ihre Kleider mit dem sauren Regenwasser auszuwaschen. Er selbst war einer der Ältesten in diesem Slum. Die meisten Erwachsenen waren tot. Die Alten hatte es als erstes erwischt, sie hatten keine Chance gehabt. Übrig geblieben waren nur jene, die stark genug waren oder die es rechtzeitig geschafft hatten Schutz zu suchen. Er war es gewesen, der die Menschen angetrieben und die Hoffnung nicht aufgegeben hatte. Mit seinen eigenen Händen hatte er geholfen diesen Zaun zu errichten, diese Siedlung zu erbauen. Die Führung war ihm rasch übergeben worden. Nicht weil er es gewollt oder weil es beschlossen worden war....es entwickelte sich einfach so. Er hatte Stärke bewiesen und Zuversicht, Ruhe bewahrt, war nicht verzweifelt und hatte überlegt gehandelt. Das zeichnete ihn als Anführer aus. Die Menschen folgten ihm. Er trug die Verantwortung für sie, musste dafür sorgen das sie überlebten. Er würde jeden von ihnen mit dem eigenen Leben beschützen. Die Menschen waren gespalten in drei Gruppen, wenn man es so wollte. Jene, die infiziert worden waren... Von Parasiten befallen wurden sie zu den tierischen Monstern dort draußen und lebten nur noch nach ihren Instinkten und um zu töten. Ob man sie noch als Menschen betiteln konnte, war eher fragwürdig. Dann gab es seine Schützlinge. Die Bewohner der Slums, die sich zusammen gerottet hatten und einfach nur versuchten zu überlebten. Sie beteten jeden Tag darum das es endlich ein Ende geben würde, ein Mittel gegen diese Parasiten und es alles so wurde wie früher... Und dann gab es noch "die Obrigkeit", wie er sie gerne nannte. Das war die Regierung. Und die Regierung wiederum gehörte komplett zu der Gruppe von M-Gene, wobei das "M" für "Mutant" stand. M-Gene setzte sich zusammen aus jenen, die die Welt nach ihren Vorstellungen verändern wollten. Wissenschaftler, auf der Suche nach der perfekten Lebensform. Schon seit Jahren ging es nun so und es war kein Ende in Sicht. Die fatalen, wissenschaftlichen Versuche hatten diese Parasiten hervor gebracht. Die Menschen hatten zu spät gemerkt was sie angerichtet hatten, aber sie wollten auch nicht aufhören. Bis zum heutigen Tag hatten die Leute von M-Gene ihren Fehler noch immer nicht eingesehen. Sie hatten sich der neuen Situation angepasst, anstatt ernsthaft etwas dagegen zu unternehmen. Die richtigen Städte die es noch gab, waren Festungen gleich. Von großen Mauern umgeben, von Scharfschützen bewacht. Die Obrigkeit hatte sich verbarrikadiert, hatte sich einen Schutz geschaffen, gleichzeitig aber dadurch auch ein Gefängnis. Jeder der sich ihren Mauern näherte, wurde erschossen. Man hatte Angst vor der Seuche....vor den Parasiten. Die Städte waren so gut es ging zu Selbstversorgern geworden und nur selten wurden Güter getauscht. Die Hauptstadt war nicht weit entfernt von den Slums. "New Heaven" hatte man diese Stadt getauft... Was für ein Unsinn. Sie befanden sich doch längst alle in der Hölle! Aber vielleicht hatte man den Menschen mit diesem kitschigen Namen Hoffnung geben wollen. Bei ihm jedenfalls hatte es nicht geklappt. Aber er war ja auch kein Bewohner von New Heaven... Er lebte in den Slums, welche von den Menschen der Stadt, von der Obrigkeit, nur als "Dead Zone" betitelt wurde. Das wiederum war wirklich mehr als passend... Denn sie lebten in einer Deadzone... Jeden Tag lauerte der Tod auf sie. Es wurde immer schwerer hier draußen, die Mutationen außerhalb des Zaunes wurden immer heftiger, die Monster immer aggressiver und gefährlicher. Lange würden sie sich nicht mehr verteidigen können....das wusste er. Er seufzte leise und ging weiter, vorbei an undichten Hütten und verlassenen, halb zerfallenen Gebäuden. Er blieb stehen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Aber es war nur sein eigenes Spiegelbild in einer halb zerschlagenen Fensterscheibe. Er drehte sich leicht und betrachtete sich selbst in dieser Scheibe. Virus... Das war der Name, den man ihm inzwischen gegeben hatte. Die Obrigkeit hatte sich diesen Namen ausgedacht, denn für sie war er nichts weiter als eine überflüssige Lebensform, nichts weiter als eine Krankheit, die ihnen und ihrer scheinheiligen Welt schaden wollte. Schon seit Jahren kämpfte er gegen die Regierung an, kämpfte gegen ihre Methoden, plünderte ihre Versorgungsgüter und tötete die Soldaten, wenn es notwendig war. Das Blut von so vielen klebte ihm bereits an den Händen... Vielleicht war er wirklich ein Virus.... Aber er hatte sich geschworen, die wenigen Überlebenden zu beschützen. Jene, die man aufgegeben und sich selbst überlassen hatte. Jene, die man zum Tode verurteilt hatte, indem man sie hier draußen zurückließ. Virus hatte mit einer Handvoll ungefähr Gleichaltrigen diese Siedlung hier erschaffen, als man die Städte aufgab und sich in die Festungen zurückzog. Ihnen war keine Wahl geblieben. Jeder, der es nicht rechtzeitig hinter die schützenden Mauern geschafft hatte, blieb ausgesperrt. Am Anfang waren tägliche neue Flüchtlinge zu ihnen gelangt. Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, Jugendliche, mehr tot als lebendig, Erwachsene, die rasch den aggressiven Krankheiten erlegen waren. Aber es waren immer weniger geworden, die es bis zu ihnen geschafft hatten. Und irgendwann kam keiner mehr... Dort draußen lebte niemand mehr. Niemand, außer diesen blutrünstigen Monstern die sich gegenseitig zerfleischten. Virus riss sich von seinen Gedanken los, wandte sich von dem Spiegelbild in der Scheibe ab und setzte sich mit energisch ausschreitenden Schritten wieder in Bewegung. Es dämmerte so langsam und er wollte nachsehen, ob die Wachen auf ihren Posten waren. Tagsüber war es schon schwer, aber in der Nacht wurde es in der Dead Zone zur Hölle... Viele der Kreaturen zeigten sich erst bei Dunkelheit, am Tage schlichen lediglich die Schwächeren von ihnen umher, auch wenn die schon schlimm genug waren.... Virus hatte das Lager inzwischen durchquert und den Zaun erreicht. Er schritt ein Stück daran abwärts, kontrollierte den Maschendraht, die Gitter und den scharfkantigen Stacheldraht. Wenn der Zaun beschädigt war und diese Monster die Schwachstelle fanden, waren sie alle verloren... Aber er stellte rasch fest, dass alles in Ordnung war - zumindest auf dem Stück das er nun kontrolliert hatte - also blieb er stehen und neigte den Kopf leicht zur Seite, um zu lauschen. Durch einen Angriff hatte er auf dem linken Auge seine komplette Sehkraft verloren, während das Rechte ebenfalls angeschlagen war. Eine Narbe zog sich über das gesamte linke Auge, welches nach dem Vorfall eine strahlend blaue Farbe angenommen hatte und blind ins Nichts starrte. Anfangs war er verzweifelt bei der Vorstellung, nicht mehr richtig sehen zu können. Die ersten Wochen waren besonders kritisch gewesen... Zu der Zeit war ihr Lager besonders oft angegriffen worden. Virus hatte sich im Hintergrund halten müssen, hatte seine Bewegungen einfach nicht richtig koordinieren können und wäre mehrmals fast erwischt worden, wenn ihm nicht gute Freunde geholfen hätten. Virus lächelte bei dem Gedanken. Eigentlich war es vor allem ein guter Freund, der ihm damals geholfen hatte..... Ban. Ein Gutes hatte der Verlust des einen Auges wenigstens gehabt; dadurch, dass er jetzt nicht mehr so gut sehen konnte, hörte er unglaublich gut. Sein Gehör hatte den geschwächten Sinn ausgeglichen. Er konnte Geräusche wahrnehmen, Ewigkeiten bevor alle anderen sie hörten. Er konnte auf große Entfernung die kleinsten Dinge hören, konnte winzige Details auseinander halten. Sein übernatürlich gutes Gehör war zu diesen Zeiten mehr als nützlich. Meistens hörte er die Monster schon kommen, noch bevor sie in Sichtweite waren. Deshalb waren er und seine Leute auf einen drohenden Angriff oft bereits vorbereitet. Das brachte einige Vorteile. Inzwischen hatte Virus gelernt auch während eines Kampfes sein Gehör einzusetzen. Wenn man es so wollte, "sah" er mit seinen Ohren... Er lachte leise bei der Vorstellung, lauschte dann aber angestrengt. Er hatte Ban wahrgenommen, der irgendwo ganz in der Nähe sein musste. Er hörte seine Atmung, das Rascheln seiner Kleider und wie er mit seinem Messer rumspielte. Virus grinste. Typisch Ban! Er schüttelte den Kopf, setzte sich wieder in Bewegung und ging ein Stück weiter am Zaun entlang. Es war nicht mehr weit, bis er seinen besten Freund schließlich entdeckte. Der etwas jüngere saß auf einer morschen Holzkiste, die Beine zum Schneidersitz angezogen als wolle er wenigstens den Pfützen auf dem Boden ausweichen. Ban hasste Regen. Er hatte den Kopf leicht eingezogen, das Messer in seiner Hand blitzte auf, ehe er es in den Gürtel steckte. Virus kam mit ruhigen Schritten heran und ließ sich dann kurzerhand hinter Ban auf die Kiste sinken, die gerade so groß genug für sie beide war. Das Holz ächzte unter dem zusätzlichen Gewicht drohend. Sein bester Freund zuckte zusammen. Scheinbar hatte er ihn nicht kommen gehört. Die wenigen Geräusche welche die schweren Absätze von Virus' Stiefeln gemacht hatten, waren vom Regen verschluckt worden. Sie beide schwiegen jetzt auch einfach, suchten mit den Augen das Gebiet außerhalb des Zaunes ab. Es war alles still.... Virus zog ein Band aus der Hosentasche und begann sich die ziemlich langen, nassen Haare zu einem Zopf zu flechten. Die schwarzen Strähnen fühlten sich weich an zwischen seinen Fingern, die unteren Haare wurden von ein paar ausgeblichenen, grünen Strähnen durchzogen. Schließlich befestigte er sich das zerschlissene Band in den Haaren und der Zopf fiel ihm schwer über die breiten Schultern. „Das gefällt mir nicht...“ Virus' Stimme war leise und ruhig und doch durchbrach sie diese schreckliche Stille. „Der Regen ist das einzige Geräusch heute Nacht. Das gefällt mir gar nicht...“ Es gab fast keine Nacht mehr, in welcher die Monster nicht angriffen. Sie mussten ständig auf der Hut sein und mit einem Angriff dieser Kreaturen rechnen. Nur heute Nacht, schien es unnatürlich ruhig zu sein... Virus seufzte auf und kramte in den Taschen seiner zu großen, abgewetzten Jeans die bereits mit Flecken überseht war. Der raue Stoff hing ihm nass und schwer von den Hüften und wurde gerade noch von einem rissigen Gürtel gehalten. Seine klammen Finger wühlten noch einen Moment, bekamen dann aber das kleine Etui zu fassen und fischten es hervor. Virus ließ es aufschnappen und förderte ein paar Zigaretten zu Tage. Geklaut von den Soldaten New Heavens, wie so ziemlich alles was er besaß. Er hielt seinem Freund wortlos das Etui hin. Es war aus Metall und der Inhalt somit trocken geblieben. Immerhin. Ban griff zu, Virus steckte sich selbst rasch eine der Zigaretten an, bot dann auch seinem Freund Feuer und inhalierte den Rauch tief. Er gönnte es sich nur selten zu Rauchen. Es war zu schwer an Zigaretten ranzukommen in diesen Tagen... Stumm saßen sie beide nun also bei einander, rauchten vor sich hin und beobachteten die Dunkelheit außerhalb des Zaunes. Schließlich schnippte Ban den aufgerauchten Zigarettenstummel weg. Er landete in einer Pfütze und erlosch sofort. "Es wird Zeit." Virus sah seinen besten Freund an und nickte. "Du hast Recht." Auch er schnippte seine aufgerauchte Zigarette weg und erhob sich. Er und Ban hatten noch etwas zu tun... Gemeinsam gingen sie zu Virus' kleiner Hütte, um dort noch einmal den Plan durchzugehen. Sie kontrollierten ihre Waffen und machten sich bereit. Sie besaßen beide Schusswaffen, auch wenn sie diese recht selten benutzten. Es war fast unmöglich Munitionsnachschub zu bekommen. Also beschränkte Ban sich auf seine drei Messer, während Virus sein gebogenes Schwert kontrollierte und schließlich in eine Scheide steckte, welche er auf den Rücken geschnallt hatte. Er sah den Jüngeren an und nickte ihm zu. Gemeinsam schritten sie wieder raus in die Nacht. Die beiden Kameraden hatten sich ein ganzes Stück vom Lager entfernt. Für den Weg hatten sie eine Weile gebraucht und am Horizont wurde es bereits heller, bald würde ein neuer Tag anbrechen. Vor ihnen lag eine verlassene Straße die nur selten befahren wurde, wenn Versorgungsgüter nach New Heaven geschafft wurden... So auch heute. Ab und an drangen Insiderinformationen aus der Stadt zu Virus durch. Er hatte dort eine anonyme Quelle, welche ihm immer wieder mal Tipps gab. Auch die geplante Aktion war ein solcher Tipp. "Sie kommen." Virus hatte die heran nahenden Fahrzeuge bereits gehört, obwohl man sie noch nicht sehen konnte. Ban nickte ihm zu und ging die Straße noch ein Stück weiter bis zu einem kahlen Baum. Virus beobachtete wie er sich mit Leichtigkeit auf die starken Äste schwang und ihm das Zeichen gab, das alles okay war. Der Bandenchef nickte, wandte sich selbst ab und ging die Straße in die andere Richtung noch ein Stück weiter, bis zu einer Engstelle zwischen rauen Felsen. Er und Ban waren allein. Sie mussten schnell handeln und den Überraschungsmoment für sich nutzen. Virus hatte entscheiden können wie viele seiner Leute er mitnehmen wollte und wen genau. Seine Wahl war schnell auf Ban gefallen. Sein bester Freund war mit ihm der Älteste im Lager und einer der Stärksten. Gemeinsam hatten sie schon so manches Ding gedreht und oft hatten sie Situationen gemeistert, die man sonst nur als komplettes Dutzend geschafft hätte. Er vertraute Ban und auf seine Fähigkeiten. Und das musste er auch, denn sein bester Freund würde bei diesem Streich praktisch die Hauptrolle übernehmen. Zumindest hatte er den gefährlicheren Part. Und wahrscheinlich freute er sich darüber. Virus kannte Ban gut. Der Jüngere hatte schon wieder dieses Funkeln in den Augen gehabt... Ban war manchmal ein schwieriger Mensch. Am Anfang ihrer Bekanntschaft hatten sie sich eigentlich nur gestritten und böse Auseinandersetzungen gehabt, die auch des Öfteren mit den Fäusten geregelt worden waren. Als Ban in das Lager gekommen war, war er unkontrolliert gewesen und ein Raufbold. Es hatte ihm Spaß gemacht zu kämpfen, es hatte ihn in einen Blutrausch versetzt, wenn er hatte töten können... Inzwischen hatte sich das gebessert. Virus hatte dem Jüngeren ein Ventil gezeigt wie er diese Gewaltausbrüche sinnvoll kompensieren konnte...indem er Monster erschlug oder Dinge für die Leute aus der Dead Zone erkämpfte und stahl. So wie heute. Ban würde sich ordentlich austoben können und es würde dem ganzen Lager nutzen. So wie es sein sollte. Virus strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und rieb sich dabei über die Narbe, die sich über sein erblindetes Auge zog. Ab und an schmerzte diese Verletzung noch immer, auch wenn er das niemals zugeben wollen würde. Ban und er ähnelten sich in diesem Punkt doch sehr; sie würden beide eher krepieren, als ihre Schwächen zuzugeben. Nur durfte er sich jetzt keine Schwächen erlauben. Die geplante Aktion war ein etwas größeres Ding. Wenn es ihnen gelang, hatten sie für die nächste Zeit reichlich Vorräte und vielleicht auch sonstigen Luxus, den sie normalerweise gar nicht mehr kannten. Wobei Virus schon ein zerbröseltes Stück Seife als Luxus betrachtete... Es ging darum einen Versorgungslaster zu kapern. Virus hatte die Information erhalten, dass in den nächsten Tagen in New Heaven ein Fest stattfinden sollte. Irgendein Unsinn zu Ehren des Leiters von M-Gene... Jedenfalls wurden dafür reichlich Güter heran gekarrt. Just in diesem Moment war ein weiterer LKW auf den Weg zur Stadt, begleitet von zwei bewaffneten Jeeps. Es galt also die Jeeps auszuschalten und den LKW zu übernehmen. Alles in allem eine knifflige Sache, vor allem für Ban. Der Trupp war schwer bewaffnet, ein Jeep fuhr vorneweg, einer bildete das Schlusslicht und somit hielten sie den LKW - und damit die Beute - vermeintlich sicher in ihrer Mitte. Ban musste nun den hinteren Jeep ausschalten, schnell und ohne dass der vordere etwas bemerkte, denn dann wären sie wahrscheinlich beide erledigt und ihre Mission gescheitert. Der Plan stand fest. Wenn Ban den hinteren Jeep in seine Gewalt gebracht hatte, würde Virus sich um den LKW kümmern, um mit diesem an der nächsten Kreuzung einfach abzubiegen. Dann galt es auch den vorderen Jeep auszuschalten, ehe die Insassen Alarm schlagen konnten. Wenn ihnen das gelang, waren sie definitiv die Helden des Tages... Jetzt aber konzentrierte Virus sich und lauschte erneut. Die Fahrzeuge waren nahe und nur einen Moment später kamen sie hinter der nächsten Biegung hervor. Virus spannte sich an und atmete tief durch, während sein Blick zu Ban ging. Die Position des anderen war relativ riskant, denn die kahlen Bäume boten kaum Schutz davor, von den Soldaten gesehen zu werden. Umso schneller musste Ban einfach handeln. Virus beobachtete wie angespannt sein Freund war, wie er den hinteren Jeep im Auge behielt, nicht einmal zu blinzeln schien. Seine Hand ging zu seinem Gürtel und seine Finger legten sich um den Griff seines einen Messers. Wenn Ban zu früh sprang, würde er schlicht überfahren werden - ein reichlich würdeloses Ende, wenn man Virus fragte. Ein zu später Absprung, bedeutete wahrscheinlich eine Kugel im Kopf. Etwas mehr Würde, dafür aber ziemlich langweilig... Virus beobachtete wie Ban langsam sein Messer aus der Halterung zog, während die Fahrzeuge sich weiter näherten. Er konnte das Brummen der Motoren hören und das Knirschen von Kies unter den schweren Reifen. Virus konnte den Geruch von Benzin wahrnehmen und die gedämpften Stimmen der Soldaten. Die Spannung stieg, Virus spannte sich an. Spring doch endlich! Verdammt! Ban sprang. Sein Freund hatte es als erstes auf den Mann am MG-Geschütz abgesehen, welches hinten am Jeep angebracht war. Ein paar kleinere Äste rieselten herunter, als Ban sich von seiner erhöhten Position abstieß und mit gut geschulter Präzision genau hinter seinem ersten Opfer landete. Noch während der Landung riss er sein Messer hoch und rammte es in den Körper des Soldaten. Mühelos durchdrang die Klinge weiches Gewebe und sank tief und gefährlich darin ein. Eine erwähnenswerte Menge Blut spritzte Ban sofort entgegen, doch es ließ ihn kalt. Er ließ den Mann los, der daraufhin zusammen sackte und mit schreckensgeweiteten Augen liegen blieb. Sein Gesicht war völlig verzerrt, aber das schien Ban nicht zu interessieren. Er wandte sich sofort um und schwang sich in den vorderen Teil des Jeeps. Virus hielt den Atem an. Alles ging sehr schnell und darüber war er froh. Einen Fehler durften sie sich einfach nicht erlauben. Er sah wie Ban ein weiteres Mal sein Messer hob. Die Klinge blitzte auf und das Winseln um Gnade erstarb, als sein Freund erbarmungslos sein Messer tanzen ließ. Der Soldat hatte es nicht einmal geschafft einen anständigen Satz zu Stande zu bringen, da wurde ihm mit einem widerlichen, platzenden Geräusch auch schon die Halsschlagader durchtrennt. Sein Kopf kippte irgendwie lose nach hinten, erneut spritzte Blut. Ban schob den leblosen Körper einfach zur Seite, so dass er sich selbst auf den Fahrersitz schieben konnte, ohne den Jeep dabei anzuhalten. Rasch hatte er das Gefährt unter seine Kontrolle gebracht und der leblose Körper des eigentlichen Fahrers kippte zur Seite und auf die Straße. Virus atmete auf und lächelte anschließend zufrieden. Wieder einmal hatte er sich in den Fähigkeiten seines besten Freundes nicht getäuscht. Allerdings war noch keine Zeit zum Feiern, auch wenn ein schwieriger Part bereits bewältigt war. Virus konzentrierte sich nun. Dort wo er stand war die Straße sehr eng und ging noch dazu in eine Kurve, so dass der schwere LKW seine Geschwindigkeit gezwungenermaßen drosseln musste. Es waren nur noch wenige Meter und der vorneweg fahrende Jeep war an ihm vorbei. Noch hatte keiner bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Der LKW erreichte Virus' Position. Der Bandenchef stand etwas überhöht auf einem Felsen und somit perfekt, um zum Sprung anzusetzen. Es gab ein leises Geräusch, als er seitlich am Fahrerhaus des Transporters Halt fand. Und dann ging auch alles ganz schnell. Virus riss die Tür auf, packte den Beifahrer am Kragen und zerrte ihn aus dem Wagen auf die Straße. Ein Ruck ging durch das Gefährt, als die schweren Räder den Körper des Mannes erfassten und regelrecht zermalmten. Virus hatte sich bereits ins Führerhaus geschwungen. Doch dann blitzte ein Sonnenstrahl auf. Er zischte leise und kniff die Augen zusammen. Es war nur eine Sekunde, aber die genügte. Er spürte einen Schlag, als man ihm irgendetwas schweres über den Schädel zog. Virus stöhnte auf, packte aber instinktiv zu. Er bekam den Kopf des Fahrers zu fassen und drehte ihn mit einer raschen Bewegung herum. Knochen knackten, der LKW kam kurz ins Schlenkern, ehe Virus nach dem Lenkrad griff. Dem Fahrer war eine Schusswaffe aus der Hand gefallen. Scheinbar war er nicht schnell genug gewesen um sie vernünftig zu gebrauchen und hatte somit nur damit zuschlagen können. Virus murrte. Er spürte wie ihm Blut über das Gesicht lief. Vernarbt, aber doch noch empfindlich, war seine alte Verletzung aufgerissen und rote Schlieren liefen ihm ins Auge und über seine Wange hinab. Ihm war schwindlig. Der Schlag hatte gesessen. Allerdings konzentrierte er sich, er hatte sich etwas umständlich auf den Fahrersitz gedrängt, um den Wagen restlich unter seine Kontrolle zu bringen. Die Tür an der Beifahrerseite war noch immer geöffnet und Virus versetzte dem übrig geblieben Soldaten einen Stoß, so dass der leblose Körper aus dem Wagen purzelte. Virus zog hinter ihm die Tür zu und lehnte sich dann im Sitz zurück. Na also, ging doch! Einen LKW hatte er noch nie gefahren, aber Not machte erfinderisch und er hatte rasch den Bogen raus. Virus lehnte sich zurück und grinste kühl. Zufrieden summte er ein Liedchen vor sich hin, ehe er bei der nächsten Gelegenheit kurzerhand abbog und somit die eigentliche Strecke verließ. Jetzt lag es an Ban zu verhindern, dass die beiden Leute im übrig gebliebenen Jeep ihm folgten oder gar Verstärkung riefen. Er selbst war beschäftigt genug damit, das kleine Monstrum von Wagen über die unbequeme Schotterstraße zu bugsieren. Ein Gefühl der Vorfreude macht sich in ihm breit als er an die reiche Beute dachte, die hinter ihm im Laderaum nur darauf wartete, dass man sich über sie her machte. Virus streckte sich etwas und warf einen Blick in den Seitenspiegel um zu schauen, was Ban inzwischen so trieb. Der Motor des Jeeps röhrte auf als sein Freund und Kollege ordentlich aufs Gaspedal trat. Er schloss zu dem vorderen Fahrzeug auf, überholte es und zwang es dazu anzuhalten. Virus erkannte nicht genau was vor sich ging, aber er sah Ban blitzschnell in den zweiten Jeep springen, wieder blitzte sein Messer auf und nur einen Moment später herrschte Ruhe. Ban hatte inne gehalten und schien einen Moment zu verschnaufen. Selbst von weitem erkannte Virus noch, dass Ban blutbeschmiert war, aber das war nichts neues mehr in diesen Tagen. Er drosselte das Tempo des LKW's ein wenig und gab Ban somit Gelegenheit mit dem gestohlenen Jeep wieder zu ihm aufzuschließen. Keiner der beiden hatte jemals einen Führerschein in der Hand gehabt und sie kamen selten dazu sich ans Steuer eines Fahrzeugs zu setzen, dennoch konnten sie beide gut fahren. Virus kam ja sogar ganz gut mit diesem riesigen LKW zurecht. Keine schlechte Sache an sich, wie sich mal wieder zeigte. Er lächelte zufrieden und wischte sich mit dem Saum seines Shirts etwas Blut von der Wange, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Straße, während es langsam zurück Richtung Slums ging. Der Rückweg zu den Slums hatte etwas gedauert, weil Virus ab und an Schwierigkeiten mit dem LKW gehabt hatte. Es war einfach recht schwer einzuschätzen gewesen wie lang und breit das Fahrzeug war und die verwahrlosten Straßen hatten es da auch nicht besser gemacht. Er war jedenfalls froh, als sie das Lager endlich erreicht hatten und er den gestohlenen Transporter umständlich in die Mitte des Slums steuerte, auch wenn er dafür einen Umweg einschlagen musste. Die Gassen des Slums waren zugemüllt und schmal und mit einem so großen Fahrzeug kaum zu befahren. Aber auch dieses Problem war mit Geduld schließlich gelöst und Virus atmete auf, als er den LKW endlich anhielt und den Motor abschaltete. Die meisten seiner Schützlinge hatten sich aus dem Schutz ihrer Hütten und in den Regen getraut und bestaunten die Größe des Fahrzeugs. Blieb nur zu hoffen, dass die große Ladefläche wenigstens auch ordentlich bestückt war und sich der ganze Aufriss lohnen würde... Aber eigentlich zweifelte Virus nicht daran. Seine Quelle aus New Heaven war stets zuverlässig gewesen. Wenn man ihm sagte es würde sich lohnen den Transporter zu kapern, dann würde es sich das auch... Und wenn nicht, hatte er ja nichts zu verlieren. Ban war der einzige, der in diese Sache mit reingezogen worden war und der freute sich sowieso nen Keks, weil er sich endlich mal wieder hatte austoben können. Virus lächelte und kletterte aus dem Fahrerhaus des LKW's. Ihm war schwindlig und vor seinen Augen verschwamm immer wieder alles. Dennoch hörte er sofort wie sein bester Freund sich mit forschen Schritten näherte und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Virus sah den Jüngeren an und seufzte bei der unausgesprochenen Frage in Bans Augen. „Ich war kurz geblendet,“ erklärte er und schüttelte Bans Hand ab. Er wollte sich keine Blöße geben. „Es geht mir gut. Es ist nichts weiter.“ Virus straffte die Schultern, ging um den LKW herum und Ban folgte ihm. Es hatten sich bereits mehrere Grüppchen von Menschen um sie herum gebildet und erwartungsvolle Spannung lag in der Luft. Es war still im Lager, nur das unablässige Prasseln des Regens war zu hören. Es schien, als würden alle den Atem anhalten. Virus konnte nicht anders als zu grinsen. Auch wenn er es nicht laut zugeben würde... Die ganze Aktion hatte nicht nur Ban gefallen. Auch wenn er selbst sich besser unter Kontrolle hatte, er hatte es dennoch genossen. „Na dann lass uns mal schauen, was wir da feines haben!“ Virus öffnete die große Ladeklappe, welche langsam herab sank. Noch ehe sie ganz unten war, sprang er leichtfüßig herauf und kletterte in den Bauch des LKW's. Der herrliche Geruch nach frischem Essen schlug ihm entgegen und Virus konnte nicht anders, als sich die Lippen zu lecken. An den Seiten stapelten sich die Kissen, Fässer, Tüten und Kartons, gut festgezurrt mit Gurten, damit die Ladung während des Transports nicht verrutschen konnte. Frische Lebensmittel und solche, die sie länger würden aufbewahren können. Sauberes Trinkwasser und andere Getränke, Tischtücher und Geschirr. Es war ein voller Erfolg und Virus konnte es kaum fassen. Dieser eine Überfall würde für die nächsten Wochen ihrer aller Überleben sichern. Jedenfalls, was die Vorräte betraf. „Gute Arbeit würde ich sagen.“ Ban war nach ihm auf die Ladefläche geklettert und sah ebenso befriedigt aus wie Virus. Die beiden wechselten einen Blick und grinsten. Sie konnten es kaum fassen und Erleichterung übermannte Virus, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. „Und das ist alles echt, oder?“ fragte Ban lieber noch mal nach und Virus musste leise lachen. Es kam einem aber auch wirklich vor wie in einem Traum. Er wandte sich um und sah die staunenden Blicke der anderen, die funkelnde Freude in ihren Augen und die Erleichterung. Einer von ihnen drängte sich nach vorn und wollte schon zu ihm und Ban in den LKW klettern, aber sein Freund stellte sich dem Kollegen entgegen und schüttelte den Kopf. "Das wird aufgeteilt." Bans Stimme klang fest und Virus nickte bestätigend. „Einer von der Obrigkeit müsste man sein~“ Er seufzte auf und bestaunte noch immer die Beute, ehe er breit grinste. „Die werden sich schwarz ärgern!“ Wieder einmal war er seinem Namen gerecht geworden. Für die Leute aus New Heaven war er inzwischen wohl wirklich ein Plagegeist geworden. Gut so! „Ich werde genau aufschreiben was es alles gibt.“ begann Virus jetzt aber auch zu erklären und versuchte bereits sich einen Überblick zu verschaffen. „Dann wird alles gerecht aufgeteilt. Etwas gedulden müsst ihr euch noch.“ Niemand würde ihm widersprechen und auch wenn sie alle Hunger hatten, würde es niemand wagen ohne seine Erlaubnis die Beute anzufassen. Sie kämpften ums Überleben, aber auch da musste es Regeln geben. Frisches Gemüse, Obst, gut verpacktes Fleisch und gekühlter Fisch. Fast noch besser waren allerdings die zahlreichen Konserven. Die konnten sie um einiges länger aufbewahren. Virus lachte, öffnete eine der beschrifteten Holzkisten und griff hinein. Es klirrte leicht, als er eine Flasche Champagner heraus zog. „Ich schätze heute Abend wird gefeiert!“ Und ob gefeiert werden würde! Er warf Ban die Flasche zu, die allein wahrscheinlich schon ein Vermögen gekostete hatte. Sein Freund fing sie geschickt auf und grinste breit. So sollte das Leben sein verdammt! Virus wandte sich wieder um und schaute sich noch einmal um, ehe sein Blick auf eine große, weiße Kühltruhe fiel. Ihm lief was Wasser im Mund zusammen wenn er daran dachte, was für Leckereien das gute Stück für sie bereithalten würde. Mit raschen Schritten ging er zu der Truhe rüber und warf einen Blick durch den gläsernen und halb beschlagenen Deckel. Sofort verschwand das Grinsen aus Virus' Gesicht und fast etwas erschrocken griff er nach dem Rand der Truhe, während er noch immer hinein starrte. „Ban...? Komm mal her.“ Seine Stimme war leise und doch so durchdringend, dass es seinen besten Freund sofort skeptisch werden ließ. Ban stellte die Champagnerflasche ab und kam mit ruhigen Schritten zu ihm rüber, um ihn fragend anzusehen. Virus deutete auf die Kühltruhe und der Jüngere folgte diesem Wink, ehe auch seine Augen sich überrascht weiteten. Auf einem Bett aus Eis, blass und zerbrechlich... „Ein Mädchen...“ Virus runzelte die Stirn, streckte die Hand aus und wischte über das beschlagene Glas, damit sie besser hindurch schauen konnten. Tatsächlich lag in der Truhe eine junge Frau. Vielleicht so alt wie er und Ban, vielleicht etwas jünger. Es war schwer zu schätzen, wenn man sie so sah. Ihre Augen waren geschlossen, die langen Wimpern lagen auf ihren blassen Wangen, ihre vollen, schön geschwungenen Lippen hatten einen blauen Farbton angenommen. Sie schien nicht mehr zu atmen. „Das ist...absolut pervers.“ Virus wollte nicht wissen, was man mit diesem Mädchen vorgehabt oder was sie alles hatte ertragen müssen. Die Frage stelle sich jetzt nur, ob sie überhaupt noch lebte. In einem Sarg aus Eis… Oder ob sie bereits tot war. Ban war es, der sich als erstes wieder fasste. Er zögerte nicht länger, legte beide Hände an den Deckel und öffnete rasch die Truhe. Eine eiskalte Wolke kam ihnen entgegen, doch Ban beachtete es gar nicht. Wenn dieses Mädchen noch am Leben war, wurde es schleunigst Zeit sie da rauszuholen. Er wollte schon zugreifen, als Virus ihm eine Hand auf den Unterarm legte und den Kopf schüttelte. „...Nicht!“ Virus sah zu dem Mädchen. „Die lebt doch bestimmt nicht mehr...“ Er betrachtete sie, wie sie da lag. Sie war nur eingeschlagen in einem schwarzen Tuch, schlank und zierlich. Diese Blässe unterstützte ihre Zerbrechlichkeit nur noch mehr. In Virus wurde nun allerdings doch die Neugierde wach. Er streckte die Hand in die Truhe und eine Gänsehaut zog sich wegen der Kälte über seinen Arm. Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er dem Mädchen mit den Fingern über die Wange strich. „Sie ist wirklich eiskalt...“ Kalt und tot. Er glaubte einfach nicht, dass sie noch am Leben war und Virus überlegte bereits, was sie mit ihrer Leiche machen konnten. Ihr Anblick betrübte ihn und sie hatte ein anständiges Begräbnis verdient. Und keinen gläsernen Sarg. Virus strich über ihren Hals nach unten, fuhr ihr über den Arm und spürte Narben unter seiner Berührung. Sie war mehr als nur eiskalt. Sie war ein kompletter Eisblock. Er seufzte auf. „So eine Verschwendung…“ Das war es wirklich. Sie war unglaublich hübsch. Und noch schrecklich jung. Hass flammte in Virus auf. Abgrundtiefer Hass, welchen er für die Obrigkeit entwickelt hatte. Solche Perversitäten konnten auch nur die Leute von M-Gene sich ausdenken! Ban schien es die Sprache verschlagen zu haben. Er starrte das Mädchen an, schien nicht zu wissen was zu tun war, ebenso wenig wie Virus. Der Bandenchef allerdings zuckte im nächsten Moment zurück und blinzelte. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Langsam, bedächtig steckte er die Hand wieder in die Truhe. Seine Finger fuhren hauchzart über das vernarbte Handgelenk des Mädchens, tasteten darüber. Ihre Finger zuckten, Virus spürte einen schwachen, flatternden Puls. „Sie...lebt noch...“ Das schien es gewesen zu sein, auf was Ban gewartet hatte. Ohne weiter zu zögern streckte er die Arme in die Truhe und versuchte das Mädchen zu fassen. Kapitel II ---------- Die Stunden vergingen, in welchen Ban einfach so dalag. Mittlerweile tat ihm schon alles weh, aber er merkte es kaum. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Mädchen neben sich. Sie war wirklich noch recht jung, ihr Alter war schwer zu schätzen. Ihre zerbrechliche Schönheit hatte ihn längst in ihren Bann geschlagen. Er lächelte, seine Fingerspitzen fuhren sacht über ihre Wange, strichen ihr einzelne, weiche Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er ringelte sich einzelne, samtige Strähnen um den Finger, fuhr anschließend ihre Gesichtsform nach, strich mit einem Daumen über ihre vollen Lippen. Er konnte es einfach nicht begreifen, wie man etwas so schönem, so etwas hatte antun können... Er lag nun schon eine halbe Ewigkeit in der zugigen Hütte. Virus hatte für zusätzliche Decken gesorgt, so dass er das Mädchen darin hatte einwickeln können. Ihre Haare waren inzwischen trocken und ringelten sich in leichten Wellen um ihr Gesicht. Sie hatte noch immer nichts an, war ja aber gut zugedeckt und lag auf der Matratze, die Ban als Schlafstätte diente. Er selbst lag dicht bei ihr, hatte die Arme um sie gelegt und an sich gezogen, um sie zusätzlich noch wärmen zu können. Sie war noch immer etwas kalt, aber ihre Körpertemperatur hatte sich schon gebessert. Eigentlich sah sie inzwischen fast so aus, als würde sie lediglich schlafen. Er selbst war in Gedanken versunken. Obwohl es selten genug war, dass er so ruhig war. Ein schwerer Atemzug durchbrach die Stille, der Brustkorb des Mädchens hob und senkte sich, ihre Augenlider flackerten. Nur eine Sekunde später fing sie an zu zittern und rutschte dichter an ihn heran, wahrscheinlich nach der Wärme suchend, die Ban ihr spendete. Ein gequälter Laut kam über ihre Lippen und es war offensichtlich, dass sie darum rang das Bewusstsein wieder zu erlangen. Ban sah sie gespannt an, wartete ab und drückte sie automatisch auch enger an sich, verstärkte seine Umarmung. Es war früh am Morgen, in der Hütte herrschte aber Dunkelheit. Das Feuer war erloschen, die Glut glimmte vor sich hin. Ban wagte nicht sich zu rühren. Er spürte wie der zierliche Körper in seinen Armen sich anspannte und nur einen Moment später schlug sie endlich ihre Augen auf und blinzelte ihn an. Es schien als würde sie einen Moment brauchen um überhaupt irgendetwas erkennen zu können, sie blinzelte immer wieder. Ihre Augen waren ausdrucksstark, in einem warmen dunkelbraun, groß und ganz leicht schräg stehend, was ihr irgendwas beinah exotisches gab. Ihr Blick wanderte unruhig hin und her, das Atmen schien sie anzustrengen und allgemein war sie scheinbar noch zu geschwächt, um sich großartig zu rühren. Ban machte gerade den Mund auf, wollte irgendeinen dummen Spruch sagen, einfach um diese Stille etwas zu durchbrechen und das Mädchen aufmerksam auf sich zu machen. Aber das war wohl nicht nötig. Eben in diesem Moment ging ein Ruck durch ihren Körper und mit einer raschen Bewegung hatte sie ihn gepackt und erstaunlich kraftvoll von sich geworfen. Ein Glück nur lag er in keinem richtigen Bett, so war der Fall von der Matratze auf den Fußboden nicht wirklich schmerzhaft. Ban schnappte nach Luft, er fluchte unterdrückt und setzte sich auf. Auch sie saß mittlerweile aufrecht im Bett, ihr Blick war panisch, sie presste eine der Decken an sich, ihre nackten Schultern zuckten, während sie sich hektisch nach einem Fluchtweg umsah. Mehr denn je wirkte sie einfach nur zerbrechlich und Bans längst verloren geglaubter Beschützerinstinkt wurde wachgerufen. Sie sah aus wie ein verletztes Reh, wie sie da mit großen Augen saß und nach einem Ausweg suchte, während sie dabei noch ein weiteres Stück vor ihm zurückwich. Er blieb sitzen wo er war, überlegte dabei angestrengt wie er ihr klarmachen konnte, dass es keinen Grund zur Panik gab. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch immer die Klamotten trug, die er bei dem Überfall auf den LKW angehabt hatte. Dreckig und über und über mit getrocknetem Blut. Wahrscheinlich machte diese Tatsache seinen Anblick nicht unbedingt Vertrauen erweckender... „....es ist alles in Ordnung.“ Ihm fiel einfach nichts besseres ein. Ban verhielt sich ruhig, wollte er das Mädchen doch nicht noch mehr verunsichern. „Ich will dir nichts tun und ich bin auch nicht dein Feind," fuhr er dann auch fort. Seine Stimme klang ungewohnt milde und hatte einen tiefen, angenehmen Ton. Er wollte einfach mit ihr sprechen, vielleicht würde sie das ja etwas beruhigen. Obwohl sie eher so aussah als würde sie im nächsten Moment davon rennen. Sie war schon wieder ein Stück mehr vor ihm zurück gewichen, hatte inzwischen das Ende der Matratze erreicht. „Wir sind hier in den Slums die an New Heaven grenzen. Wir haben dich aus dieser Truhe rausgeholt... Alles ist okay!“ So langsam bezweifelte Ban, dass diese Erklärungen sie auch nur in irgendeiner Weise beruhigen konnten. Sie sprang auf, kam aber direkt ins Schwanken. Ban wollte sie stützen, docj sie wich seinem Griff aus und sah ihn gehetzt an. Unwillkürlich fragte er sich erneut, was sie in ihrem Leben schon so alles hatte mitmachen müssen... Schön stellte er es sich jedenfalls nicht vor wenn man mal die Tatsache bedachte, dass sie am Ende als Gefrierware in einer Kühltruhe gelandet war. Und doch biss sie nun die Zähne zusammen und erhob sich erneut, brachte ihren angeschlagenen Körper zum Aufstehen. Noch immer hatte sie die Decke an sich gedrückt, als könne dieses Stückchen Stoff sie irgendwie schützen. Sie wich auch weiter vor ihm zurück, ihr Blick huschte hierhin und dorthin. Sie entdeckte eine Spiegelscherbe. Ehe Ban sichs versah, war sie die paar Schritte zur Seite gelaufen und griff mit einer Hand nach der Scherbe, während sie sich mit der anderen weiter die Decke an den Körper presste. Ban hob abwehrend die Hände, als sie die Scherbe wie eine Waffe in ihrer Hand erhob. Ihre Augen hatten ein warnendes Funkeln angenommen. „Ich will will dir echt nicht wehtun,“ sagte Ban ruhig. Aber es schien nicht wirklich so, als hätte sie auch nur eines seiner Worte verstanden. Nur eine Sekunde später stürzte sie sich auf ihn, schien ihm mit dieser elenden Scherbe den Hals aufschlitzen zu wollen. Ban fluchte, ihr Angriff war nicht wirklich gefährlich für ihn, aber er wollte ihr wirklich nicht wehtun. Sie war entkräftet, er brauchte nur eine Sekunde um sie zu packen und einen Moment festzuhalten. So langsam nervte ihn das dann doch etwas. Er nahm ihr die Scherbe aus der Hand und warf sie auf den Boden, wo sie im Sand landete und außer Reichweite war. „Hörst du mir überhaupt zu!?“, so langsam begann er daran zu zweifeln. Wahrscheinlich sprach sie nicht einmal seine Sprache. Das wäre dann mal wieder typisch! So viel Glück konnte auch nur er haben! Er hörte wie sie aufkeuchte und rasch lockerte er seinen Griff. Ihrem Funken sprühenden Blick nach zu urteilen wollte sie ihm am liebsten die Augen auskratzen oder beißen oder ihm sonst irgendwie wehtun.... „Lass mich los!“ Aha, immerhin sprach sie seine Sprache. Auch wenn ihre Stimme heiser war, als hätte sie sie lange nicht benutzt. Ban folgte ihrer Aufforderung, aber sie geriet ins Schwanken und nur eine Sekunde später fing er sie direkt wieder auf, als sie in sich zusammen sackte. Die Decke entglitt ihr und ging lautlos zu Boden. Sie fühlte sich noch immer etwas kalt an, sie war blass und ihre Lippen nach wie vor leicht bläulich. Ban verzog das Gesicht. Erst jetzt wurde ihm erneut so richtig bewusst, dass sie nackt war. Verflucht nackt! Normalerweise tat er ganz andere Dinge mit nackten Frauen... Innerlich mahnte er sich selbst zur Geduld, während er sie zurück zu der Matratze dirigierte, auf welche sie sofort nieder sank und wie ein Häuflein Elend sitzen blieb. Ban angelte sich die fallen gelassene Decke vom Fußboden und schlang sie ihr um die Schultern. Sie schien angestrengt nachzudenken, schließlich sah sie ihn flüchtig an. „Die Slums....?“ Gut! Scheinbar hatte sie doch irgendwas von dem mitgekriegt, was er so von sich gegeben hatte. War ja nicht so, dass er immer nur Unsinn laberte. Manchmal gab er auch durchaus nützliche Infos von sich. „Ja, die Slums... Oder auch die Dead Zone,“ versuchte er ihr also erneut auf die Sprünge zu helfen. Sie gab erneut einen gequälten Laut von sich. „Es ist so kalt...“ Ban seufzte auf und schlang eine zweite Decke um ihren zitternden Körper, ehe er zur Feuerstelle rüber ging und wärmende Flammen entfachte. Das Mädchen war eindeutig ziemlich durcheinander und so langsam bezweifelte er, dass er sich halbwegs mit ihr würde unterhalten können. Zumal sie ihm von der Seite her immer wieder böse Blicke zuwarf, ganz so als wäre es seine Schuld, dass sie in diesem Schlamassel steckte. Aber hey! Wenigstens war er hier bei ihr! Und nicht irgendein Perverser, der sie eisgekühlt bei sich im Schlafzimmer aufbewahrte oder sowas... Er versuchte gleichgültig zu tun, vielleicht würde das ihr die Angst etwas nehmen. Aber ihr Blick huschte schon wieder umher, suchte nach Fluchtmöglichkeiten und eventuellen Waffen. Dennoch erkannte Ban, dass sie jede kleinste Bewegung seinerseits sehr wohl registrierte. Als ob er jeden Moment über sie herfallen würde oder dergleichen... Sie sprühte nur so vor Misstrauen. Und so langsam überforderte ihn die ganze Situation irgendwie. Er wusste nicht wirklich was er nun mit ihr machen sollte, geschweige denn wie er es schaffen konnte sie zu beruhigen und ihm fürs erste zu vertrauen. Wobei sich das Wort "Vertrauen" wahrscheinlich nicht mal in ihrem Wortschatz befand. Ban runzelte leicht die Stirn als er sah, wie das Mädchen sich mit der linken Hand über den rechten Arm rieb. Selbst im flackernden Licht des Feuers erkannte er die Einstiche, die Spuren von Nadeln, die scheinbar grob in ihre weiche Haut gestochen worden waren. Sie schien seinen Blick gespürt zu haben, denn sie sah wieder zu ihm, musterte ihn ebenso wie er es bei ihr getan hatte. Wieder wurde er sich seiner blutüberströmten Klamotten bewusst und seiner ausgewaschenen Haare, die ihm ins Gesicht hingen. Allgemein schien sein Anblick nicht gerade überzeugend, denn sie wich erneut etwas vor ihm zurück und spannte sich noch mehr an. So langsam wurde ihm das hier echt zu bunt. Ban war noch nie ein Mensch mit sonderlich viel Geduld gewesen. Anders als Virus handelte er meistens, bevor er nachdachte. Ihm kam der Gedanke sie einfach allein zu lassen, aber wahrscheinlich wäre das nicht so gut. Wer wusste schon, was sie dann anstellen würde... Wo zum Henker war der Boss, wenn man ihn mal brauchte!?? „Wie bin ich hergekommen?“ fragte sie ihn dann aber doch endlich mal. "Und wir sind wirklich in den Slums!? In der Dead Zone!?" Das schien sie zu verwirren. Ihre Worte klangen ungläubig. Ganz so als wäre es etwas Besonderes in diesem verdammten Loch festzustecken. Ban nickte nur. „Hab ich dir doch schon gesagt", er klang etwas ungeduldig. Aber wer sollte es ihm auch übel nehmen!? „Und wer zum Henker bist du!?", ihre Stimme war schneidend, misstrauisch. „Was willst du von mir!? Ich kann dir nichts geben! Und wenn du mich anfässt, bring ich dich um!“ Von der Tür er erklang ein Lachen, was das Mädchen sofort wieder zusammen zucken ließ. „Oho! Wie ich sehe, habt ihr euch angefreundet!“ Virus betrat die kleine Hütte und grinste. „Kriegst du schon Morddrohungen von ihr Ban-chan!? Das ging ja schnell! Scheint ja ne richtige Wildkatze zu sein!“, seine Augen funkelten amüsiert, während er Ban neckend angrinste. „Halt die Klappe und mach was Nützliches, anstatt sie noch mehr einzuschüchtern!“, zischte Ban seinem Freund nur entgegen und konnte ihn dabei lediglich beleidigt ansehen. Manchmal wollte er Virus wirklich am liebsten einfach nur ohrfeigen. Er warf dem Chef einen vernichtenden Blick zu und wünschte ihm insgeheim einen Genickbruch. “Und nenn mich nicht Ban-chan...“, fügte er dann auch noch genuschelt hinzu. Er hasste es, wenn Virus das machte. „Ich wollte nur nach dem Rechten sehen“, erklärte dieser nun auch. „Aber wie ich sehe gehts unserer Eisprinzessin schon besser! Gut genug um dir zu drohen jedenfalls.“ Wollte dieser Kerl ihm nun helfen oder ihm nur auf die Nerven gehen verdammt!? Ban hoffte nur, dass diese ganze Situation sich langsam mal etwas wenden würde, denn so allmählich bekam er Kopfschmerzen von dem ganzen. Virus kam weiter in die Hütte hinein und ging direkt zu dem Mädchen rüber. Sie wollte sofort aufspringen und flüchten, aber er machte eine beschwichtigende Geste mit der Hand. „Ruhig Blut, niemand hier tut dir etwas“, seine Stimme klang ruhig, während er ihr eine Schale entgegen hielt, aus welcher es verführerisch dampfte. „Heiße Suppe. Du solltest etwas essen, das wird dich aufwärmen.“ Virus blieb ganz ruhig, als das Mädchen ihn von oben bis unten musterte. Sie zögerte sichtlich, kämpfte scheinbar mit ihrem Misstrauen. Ihr Hunger schien allerdings zu siegen, denn sie griff nach der Schale, zog die Hand allerdings doch wieder zurück. Virus seufzte auf. „Ich hab nichts reingemischt. Schau?“, er griff nach dem angeknacksten Plastiklöffel und schob sich von der Suppe etwas in den Mund. Das Mädchen betrachtete ihn skeptisch und schien ernsthaft darauf zu warten, dass er direkt tot umfiel. Als das nicht passierte, griff sie nach der Schale und begann sie mit großem Hunger zu leeren. Was war das denn bitte!? Ban starrte seinen Freund ungläubig an. Virus vertraute sie sofort, aber ihm wollte sie am liebsten die Augen auskratzen!? Irgendwas lief hier echt schief... „Das hier ist übrigens Ban“, wurde er dann aber von seinem Kollegen vorgestellt. „Und mich nennt man Virus. Du bist hier in unserem Lager.“ Ach nee, Blitzmerker. Das hätte er ihr auch noch sagen können... „Wir haben dich in einem Transporter der Regierung gefunden, in einer Kühltruhe.“ Konnte ein Mensch in eine Kühltruhe gestopft werden ohne das selbst zu merken!? Na ja okay, vielleicht hatte sie ja irgendwelche Drogen verabreicht bekommen, die sie schon vorher umgenietet hatten. Bevor ihr Körper schockgefroren worden war. Das Mädchen hatte die Schale bereits geleert - scheinbar hatte die Kleine echt Hunger gehabt - und stellte sie vor sich auf den Boden. „Mhm...“ Sie nickte matt, erinnerte sich scheinbar tatsächlich an das, was man ihr angetan hatte. Eigentlich bedauernswert. Wahrscheinlich wäre es einfacher gewesen, hätte sie sich nicht erinnert. Irgendwie tat sie Ban leid. „Man wollte mich in die Hauptstadt bringen und den Leuten von M-Gene vorführen....“, sie sprach leise, mehr zu sich selbst, während sie sich fahrig eine Haarsträhne aus der Stirn strich. Jetzt tat sie Ban nur noch mehr leid. Virus runzelte die Stirn. „Ich werd dir etwas zum Anziehen besorgen“, erklärte er dann auch. „Ban passt derweil auf dich auf.“ Super! Er durfte weiter den Babysitter spielen! Obwohl...momentan war das Mädchen ja sogar halbwegs umgänglich. Jedenfalls so lange sie nicht einen rostigen Nagel oder irgendwas in die Hand bekam, um es ihm in den Kopf zu rammen... Das war echt unfair. Bei Virus hatte sie nicht direkt versucht ihm an die Gurgel zu gehen... Was hatte er denn bitte verbrochen, dass sie ihn beinahe umbrachte, obwohl er nur hatte helfen wollen!? Und Virus blieb unversehrt!? Da gab er sich einmal Mühe und das war der Dank dafür! Ban sah seinem Kollegen nach, während dieser die Hütte verließ, anschließend richtete sein Blick sich aber wieder auf das Mädchen. Sie starrte ihn schon wieder an. Wahrscheinlich überlegte sie gerade, wie sie ihm am besten die Nase brechen konnte oder dergleichen... Aber es hatte ja alles keinen Sinn. Patzig zu sein brachte ihn hier ja nicht weiter. „Und du bist...?“, fragte er also nach einer Weile des Schweigens. Sie kannte ja nun seinen Namen, da war es nur gerecht, wenn sie sich auch vorstellte. Als er sah wie sie bei seiner Ansprache zusammen zuckte, konnte er nur seufzen. Allerdings wandelte ihr Blick sich von gehetzt mörderisch zu irritiert. „Ich?“ Na wer sonst!? Sie schien tatsächlich überlegen zu müssen, was Ban dazu brachte die Stirn zu runzeln. Völlig verwirrt saß sie da. „Uhm...“ Ban zog eine Augenbraue hoch. „0800...“, nuschelte sie nun endlich leise und fummelte an der Decke rum, die um ihre Schultern lag. „Ich....keine Ahnung....“, sie blinzelte und sah ihn an. „Ich wurde lange nicht mehr beim Namen genannt. 0800...das ist die Nummer, die sie mir gegeben haben.“, Sie legte den Kopf schief, während sie scheinbar weiter überlegte. Und Ban fand es irgendwie doch etwas schockierend. Sie konnte sich nicht mal an ihren eigenen Namen erinnern!? Was zum Teufel hatte man mit der kleinen gemacht!? „Also...soll ich dich jetzt 0800 nennen?“, fragte er ein wenig irritiert und versuchte sich dabei an einem schiefen Grinsen. Er hatte ja schon mächtig verrückte Frauen in seinem Bett gehabt, aber das heute toppte echt alles.... „Ich kann mir auch einen anderen Namen für dich ausdenken, wenn du dich nicht mehr erinnerst! Oder du denkst dir selbst einen aus. Immerhin musst du damit ja leben.“ Ban versuchte einfach mit ihr zu reden, wie er sonst auch mit anderen redete. Vielleicht würde diese Lockerheit ihr helfen. Nur schien sie dennoch total durcheinander. Da schien selbst sein angedeutetes Grinsen nichts zu helfen. Aber sie schien weiter nachzudenken, schwieg nun aber eine ganze Weile. Er dachte schon sie würde nun gar nicht mehr mit ihm reden, allerdings sah sie ihn dann doch an. „Raikon“, das war es, was ihr über die Lippen kam. „Früher hat man mich mal so genannt.“ Früher!? Das klang als wäre es schon Ewigkeiten her... Aber gut. Raikon. Das war immerhin schon mal ein Anfang. Und Ban bemerkte sehr wohl, dass sie zwar noch immer angespannt war, aber dennoch schon ruhiger wirkte als vorhin noch. Sie schaute sich nicht mehr ganz so hektisch um und suchte auch nicht mehr so panisch nach Fluchtmöglichkeiten. Und das wiederum besänftigte irgendwie seine Kopfschmerzen. „Das hier...ist euer Lager?“, sie kaute sich auf der Unterlippe rum, ihre Augen schauten fragend. „Ist es hier sicher?“, fragte sie dann auch noch. „Was ist...mit diesen....“, scheinbar suchte sie nach dem richtigen Wort, erschauderte dann aber lediglich heftig und zog unbewusst die Decke enger um sich. Ban konnte es ihr nicht verdenken. Er wusste genau was sie meinte. Einen Moment flackerte ein gehetzter, ängstlicher Ausdruck in ihren Augen auf, ehe sie den Blick wieder abwandte. „Um die Slums herum gibt es einen recht massiven Zaun. Wir bewachen ihn ständig,“ begann er zu erklären. „bisher hat es noch keiner dieser Zombies hier rein geschafft.“ Und das würde er auch niemals zulassen. Die Hüttentür öffnete sich und erneut kam Virus herein. „Hier, das hab ich für dich mitgebracht. Zieh dich am besten an, dann wirds bestimmt wärmer“, er legte dem Mädchen die Kleider hin, sah Ban dann aber wieder an. „Ich werde draußen gebraucht“, erklärte er dann auch nur. „Ruft mich, wenn irgendwas ist.“ Und schon war er wieder weg. Raikon sah ihm nach, stand dann aber auf. Und einmal mehr an diesem Abend ging die Decke lautlos zu Boden und einmal mehr stand sie einfach nackt da. Weiche, glatte Haut, mit Narben geziert. Perfekte Proportionen, zierlich, schlank. Fast unwirklich... Im Gegenzug zu all der Zierlichkeit dann aber das verschnörkelte Tattoo an ihrer Hüfte, welches einen Drachen darstellte. Und sie schien sich kein Stück daran zu stören nackt vor ihm zu stehen. Es war, als konnte sie damit auch gar nichts anfangen. Ban hatte sie angestarrt, senkte den Blick nun aber rasch zu Boden. Okay, schon wieder war da dieses Gefühl der Überforderung... Dabei ließ er sich sonst eigentlich nicht so schnell von Frauen verunsichern, die in seiner Gegenwart jegliche bedeckende Stoffe von sich warfen... Er räusperte sich. „Passt es?“, fragte er, versuchte dabei auch höflich zu klingen. Er hörte wie sie sich anzog, wie sie die Klamotten zurecht zupfte. Abgewetzte Schuhe und zerschlissene Jeans. Ban sah vorsichtig auf und beobachtete sie. In dem zu großen Hemd verschwand sie regelrecht, die Ärmel krempelte sie sich behelfsmäßig ein Stück nach oben. „Mhm, wird gehen“, antwortete sie ihm dann auch endlich und rieb sich erneut über die Armbeuge. "Ein Zaun hm? Und das hält diese Viecher wirklich auf?" Sie klang unsicher und Ban konnte es ihr nicht verdenken. „Ja, er hält seit guten fünf Jahren,“ antwortete er. Wenn man ihn so hörte konnte man fast meinen er sei gekränkt, weil jemand an seinem 'Lebenswerk' zweifelte oder so etwas in der Richtung. Sie zog nur skeptisch eine schmale Augenbraue in die Höhe, war aber klug genug nicht noch weitere Zweifel zu äußern. „Dieser andere Kerl hat gesagt, ihr habt mich aus einem Transporter der Regierung geholt... Habt ihr den noch? Den Transporter meine ich.“ Raikon strich sich eine wirre Haarsträhne aus dem Gesicht, sah sich dann auch erneut in der Hütte um. Sie erspähte einen Stoffstreifen, griff sich diesen und band sich damit die Haare zurück, so dass ihr nur noch einzelne Strähnen ins Gesicht fielen. „Klar, der steht sicher irgendwo hier rum,“ bestätigte Ban ihre Vermutung nun nur. „Ich könnte dich sofort hinbringen wenn du mir versicherst, nicht wieder auf den nächstbesten Menschen loszugehen wie eine Furie!“ Sie schien seine etwas unverschämten Worte einfach zu übergehen. „Ich braue etwas aus dem Transporter.“ Ja gut...darauf war er jetzt auch schon von alleine gekommen. Raikon erspähte ein Messer und hatte es sich schnell gegriffen. Ban spannte sich an und beäugte sie misstrauisch. Allerdings ging sie nicht direkt wieder auf ihn los, sondern befestigte sich die Waffe am Gürtel, um anschließend aufzuatmen. Das Messer schien ihr eine gewisse Sicherheit zugeben. „Ich muss dringend etwas aus diesen Kisten holen,“ sie sah ihn durchdringend an. Ban erwiderte darauf nichts mehr. Er erhob sich lediglich und ging zum Ausgang seiner jämmerlichen Hütte. Sie folgte ihm. „Der Zaun hält seit fünf Jahren!?“ Vielleicht waren ihre Hirnwindungen noch etwas eingeeist. Jedenfalls brauchte sie manchmal echt etwas lang um zu verstehen, was er so zu ihr sagte. Oder er drückte sich einfach unverständlich aus. Konnte ja auch sein... „So lang geht das erst? Es kommt mir viel länger vor“, sie lächelte traurig und steckte sich die zitternden Hände in die Hosentasche. Scheinbar war sie nach wie vor noch nicht in der besten Verfassung. Sie sah noch immer reichlich mitgenommen aus, geriet jetzt auch leicht ins Schwanken und legte rasch eine Hand auf seine Schulter, um sich bei ihm abzustützen. „Mir dreht sich alles....“, nuschelte sie dann auch matt. Ban runzelte fast schon besorgt die Stirn. Wenn die ihm jetzt umkippte, durfte er sie zurück ins Bett schleppen. Zu seiner Erleichterung riss sie sich dann aber zusammen. Sie straffte die Schultern, ihre Hand lag auf dem Messer an ihrem Gürtel, während sie sich draußen etwas umsah. Es dauerte keine Minute bis sie den Transporter entdeckt hatte. War ja aber auch nicht schwer, immerhin war das Ding nicht gerade klein. Ban konnte ihr nurnoch nachsehen als sie sich schon in Bewegung gesetzt hatte und zu dem Fahrzeug rüber ging. Irgendwie wusste er echt nicht so ganz, was er von dieser Raikon halten sollte... Da verstehe noch einer die Frauen. Und dann noch so eine! Er schüttelte den Kopf, folgte ihr nun aber. Am LKW waren Wachen postiert, Raikon hatte sich vor eben diesen aufgebaut, starrte die jungen Männer einfach nur an. Einen Moment passierte nichts, dann traten die Wachen zur Seite, Raikon ging an ihnen vorbei, öffnete die Türen zur Ladeklappe und kletterte in den LKW. Ban konnte nur dumm daneben stehen. Er warf den Wachen einen bösen Blick zu, folgte dem Mädchen dann aber auf die Ladefläche. Sie hatte nur einen kurzen Moment gebraucht um zu finden was sie suchte. Viele der Sachen waren auch schon ausgeladen und weggebracht worden. Sie zog nun aber eine Metallkiste zu sich heran, öffnete das Zahlenschloss und hob den Deckel. Ban reckte sich etwas und erspähte eine Menge medizinisches Zeug. Ein Haufen Medikamente, Pillen, Pulver, Spritzen, Verbände, Pflaster, Tape.... Da war von allem etwas dabei. Raikon durchsuchte es scheinbar nach etwas ganz Bestimmten. Schwache Neugier regte sich in Ban. Er beobachtete die Situation weiter und es schockierte ihn nicht wirklich, als sie sich in Sekunden eine Spritze präpariert und in den Arm gejagt hatte. Jetzt wusste er wenigstens woher diese ganzen Einstiche kamen. Ganz toll... Eisgekühlte Drogen Queen! Das sowas aber auch immer ihm passieren musste! Das war schon fast zu abgefahren. Selbst für seine Verhältnisse. Obwohl... Eigentlich hatte er in der Vergangenheit indirekt schon öfter mit Drogen Sachen zu tun gehabt. Das schockierte ihn wirklich nicht mehr. Also doch nicht abgefahren. Er selbst hatte die Finger von solchem Zeug gelassen. Er war mehr der gewalttätige Kleinkriminielle gewesen. „Na wenn's nur das war...“, einen trockenen Kommentar konnte er sich da einfach nicht verkneifen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete Raikon, wie sie da in den viel zu großen Klamotten hockte. Dabei fiel ihm ein, dass es vielleicht mal an der Zeit war, dass auch er sich irgendwas nicht ganz so blutbesudeltes anzog... War ja kein Wunder, dass er Raikon so erschreckt hatte! Nur konnte er sie ja nun auch schlecht alleine lassen. Immerhin schien Virus sich darauf zu verlassen, dass er auf sie aufpasste. Raikon schüttelte den Kopf. „Nur das ist gut,“ sie sah zu ihm auf, steckte sich dann aber sämtlichen Vorrat dieses bestimmten Medikaments ein und griff sich dazu auch sämtliche Spritzen. „Ich krepiere, wenn ich das Zeug einfach von heute auf morgen absetzte.“ Gut, das behaupteten alle Drogensüchtigen... „Das ist das Zeug, was all diese Zombies da draußen fabriziert hat.“ Okay, das war dann doch mal was neues. Bitte was!? Was hatte sie da gerade eben von sich gegeben!? Der Unglaube war ihm scheinbar anzusehen, denn Raikon setzte direkt zu einer Erklärung an: „Das ist das Zeug, was all diese Monster geschaffen hat, die tot sind und es doch nicht sind...“ Sie schüttelte das Fläschchen mit dem Medikament in ihrer Hand, ehe sie es in die Hosentasche gleiten ließ und aufseufzte. „Uh....aber....,“ stotterte Ban verwirrt zusammen, als Raikon auch schon an ihm vorbei lief und aus dem Transporter kletterte. Das kaufte er ihr nicht ab. Das war nun wirklich zu abgedreht. Also folgte er ihr und blieb neben ihr stehen. „Deine Geschichte kannst du wem anderen erzählen.“ „Glaub es oder glaub es nicht,“ schien ihr relativ egal zu sein. „Denkst du die karren mich zum Spaß durch die Gegend? Ich bin immun gegen das Zeug, obwohl ich es brauche. Ich bin nicht tot oder dergleichen. Nicht wie diese Viecher da draußen.“ Raikon warf ihm einen Blick zu. „M-Gene testet ihre Medikamente an Menschen. Das ist bekannt. Ich komme aus einem ihrer Labore,“ sie schüttelte den Kopf. „Aber was red ich eigentlich. Du glaubst mir sowieso nicht.“ Und damit hatte sie verdammt nochmal Recht! Was auch immer das Mädel sich so spritzte, es war definitiv zu viel davon! Raikon sah sich aufmerksam um, schien die Lage zu erfassen. Mehrere Wachen rund um den Zaun, ein paar wenige Leute zwischen den Hütten. Es war noch früh, das Lager erwachte erst allmählich. Langsam wurde es heller, aber noch herrschte Dämmerlicht. „Mh....scheint ein Kampf stattgefunden zu haben,“ Raikon nickte zu einer Ecke des Zaunes. Außerhalb des abgesperrten Bereiches lagen ein paar leblose Körper am Boden. Blut sickerte in die Erde. Diese schrecklichen Mutanten lagen mit verdrehten Körpern am Boden. Tot. „Sind nicht viele,“ Raikon zählte siebten Stück. Das waren wirklich nicht viele. „Sieht so aus als hätten sie keine Chance gehabt. Euer System scheint zu funktionieren.“ „Natürlich funktioniert es,“ erwiderte Ban darauf nur. So langsam begann er echt eine leichte Abneigung gegen diese Braut zu spüren... Dadurch das Virus in eben diesem Moment wieder auftauchte konnte er sich eine Diskussion mit ihr aber sparen. „Das nennst du aufpassen!? Ich glaube nicht, dass es so gut ist, wenn sie hier so rum stiefelt!“ Virus' Blick war streng. Er runzelte die Stirn als er sah, wie das Mädchen erneut leicht schwankte. Ban murrte. Nett, dass der Chef sich auch mal blicken ließ! Raikon hatte sich inzwischen abgewandt, wollte sich scheinbar noch etwas umsehen. Ban beachtete es nicht. „Ich glaube, die hat nen kleinen Schaden...,“ murrte er nur und sah Virus dabei finster an. „Zumindest ist sie ziemlich undankbar,“ fügte er hinzu und schnaubte abfällig. Da rettete man ihr praktisch das Leben und hörte kein einziges "Danke" von ihr! So langsam war sie bei ihm echt unten durch. Er fragte sich schon wie lange sie noch bleiben würde. Ob sie überhaupt bleiben wollte. Wahrscheinlich nicht, so wie die drauf war. Virus runzelte nur die Stirn. „Du magst sie nicht unbedingt eh?“ Nein verdammt! Aber eigentlich mochte Ban niemanden so schnell auf Anhieb... Der Bandenchef seufzte. „Lass sie. Gib ihr Zeit. Ich glaube sie weiß noch gar nicht wirklich was hier so abgegangen ist,“ Virus schüttelte den Kopf, fluchte dann aber auch leise und eilte zu dem Mädchen rüber, welches so eben gefährlich schwankte und einen Moment später tatsächlich in sich zusammen sackte. Virus fing sie auf. Sie war erstaunlich leicht. Er sah zu Ban rüber, ehe er Raikon hochhob. Sie sank in seinen Armen zusammen, ihr Kopf lehnte gegen seine Schulter. „Ban! Sie hat Fieber,“ wunderte Virus eigentlich nicht. Immerhin war sie ein lebender Eisklotz gewesen. „Sie muss unbedingt wieder ins Bett.“ „Dann trag sie doch hin,“ meinte Ban daraufhin nur. Denn eigentlich hatte er keine Lust sich noch weiter um sie zu kümmern. Er war schon dabei sich abzuwenden, seufzte dann aber auf. So schlecht er auch ab und zu gelaunt sein konnte - was er in letzter Zeit öfter war als gewöhnlich - er hatte Virus noch nie sitzen lassen. Verdammt aber auch! Kapitel III ----------- Ein leichter Windzug und das Licht der Kerze flackerte. Virus hob nicht einmal den Kopf, sondern blieb auf die vor ihm liegenden Papiere konzentriert. Er hatte die Schritte seines besten Freundes längst erkannt. „Was machst du da?“ Ban trat an den wackligen Tisch heran, der eigentlich nur aus zwei Böcken und einer losen Holzplatte bestand. Als Stühle dienten umgedrehte Kisten. Er ließ sich auf eine von ihnen fallen, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und schielte neugierig auf Virus’ Unterlagen. „Die Bestandsliste der geklauten Güter.“ Virus deutete auf eines der Dokumente. „Die Auflistung darüber, wer was bekommt.“ Er zeigte auf ein anderes Papier. „Und der ganze andere Kram?“ „Unwichtig.“ Virus schob die handgeschriebenen, teilweise angeschlagenen Papiere zu einem Stapel zusammen. Er sortierte seine restlichen Schreibutensilien – kurze, grob angespitzte Bleistifte, lose Kugelschreiberminen, ein Fass Tinte und ein Füllfederhalter – und sah Ban anschließend fragend an. „Wie komm ich zu deinem Besuch?“ „Raikon schläft jetzt. Vorerst in meiner Hütte.“ „Gut.“ Virus nickte. „Sie muss sich ausruhen.“ „Du aber auch.“ Ban runzelte die Stirn. Virus wusste das er angeschlagen aussah. Man sah ihm die Müdigkeit an. Er schmunzelte. „Es geht halbwegs. Ich denke ich hab eine leichte Gehirnerschütterung.“ Dazu kam, dass er bereits die vergangenen zwei Nächte nicht geschlafen und seit Stunden nichts gegessen hatte. Virus war ein guter Anführer. Er sorgte immer erst für das Wohl seiner Leute, ehe er sich um sich selbst kümmerte. Manchmal opferte er sich vielleicht sogar ein kleines bisschen zu sehr auf. Aber er konnte es auch nicht ändern. Es war eine Angewohnheit. „Wie ist der Status?“ Eine lässige Standartfrage. Virus lehnte sich auf seiner wackligen Kiste etwas zurück, griff nach seinem Metalletui und zog eine der Zigaretten heraus. Er steckte sie sich an, verzog das Gesicht und hielt Ban den Glimmstengel sofort hin. Der grinste nur und nahm sie wortlos entgegen. Es roch nach Menthol. Virus hasste Mentholzigaretten. „Die Wachen sind auf ihrem Posten. Noch ist es ruhig da draußen.“ Ban nahm einen Zug an der Zigarette, inhalierte den Rauch und blies ihn dann in Richtung Raumdecke. Virus nickte zufrieden. Tagsüber was es meistens ruhig, das wussten sie beide. Das hieß aber nicht, dass sie in Sicherheit waren. Sie lebten in den Slums. Hier war man nie in Sicherheit. „Ich werde mich eine Stunde hinlegen.“ Das Pochen in seinen Schläfen sagte ihm einfach zu deutlich, dass er sich ausruhen musste. Er brauchte Schlaf und eine zumindest halbwegs anständige Mahlzeit. Sie erhoben sich beide. Virus streckte sich, ehe er Ban einen Wink gab. Der Jüngere verstand, wandte sich ab und ließ ihn allein. Er wusste, dass Ban sich die nächste Stunde um alles kümmern würde. Sein Freund war zwar ein kleiner Chaot und hatte einen deutlichen Hang zu übertriebenen Wutausbrüchen, aber wenn es drauf ankam, war er trotzdem ein guter Stellvertreter. Virus ging zu seinem Bett rüber. Es bestand aus übereinander gestapelten Holzpaletten, auf der eine schäbige Doppelmatratze lag. Er besaß zwei Decken, dünn und aus minderwertigem Material, durchlöchert und ausgefranst. Aber es genügte ihm. Er hatte gelernt unter den widrigsten Umständen zu überleben. Man musste sich anpassen oder sterben. Hier draußen hatte man keine andere Wahl. Mit einem Keuchen schreckte er auf. Sein Herz raste und vor seinen Augen sah er noch immer die verstörenden Bilder seines Traums. Wie lange hatte er geschlafen? Schwerfällig setzte er sich auf, blieb einen Moment so sitzen. Er lauschte. Es regnete wieder. Er konnte hören wie die schweren Tropfen auf das mit Blech geflickte Dach seiner Hütte prasselten. Er hörte das Knistern von Lagerfeuern, gedämpfte Unterhaltungen, Schritte, irgendwo stritt jemand. Weiter entfernt hörte er ein paar wenige Kampfgeräusche. Virus stand sofort auf. Zu hastig. Ihm drehte sich direkt alles. Schwindel erfasste ihn und er musste inne halten. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Geräusche, die vom Zaun her zu ihm rüber wehten. Es waren die letzten Ausläufer eines Angriffs. Aber er registrierte rasch, dass es wohl nur einzelne Monster gewesen waren, die ihrem Lager da zu nahe gekommen waren. Seine Leute hatten keine Probleme damit sie nieder zu strecken und Virus atmete auf. Er nahm sich einen Moment Zeit, befreite sich von seinem Shirt und unterzog sich einer Katzenwäsche. Er kämmte sich die langen Haare und band sie zu einem neuen Zopf, ehe er sich ein frisches T-Shirt und einen Pullover überzog. Es war kühler geworden. Virus ging zur Feuerstelle seiner Hütte rüber. Sie war recht nahe beim Bett, gut ausgehoben und mit Steinen befestigt. Die Glut glimmte noch und es war ein leichtes, sie wieder anzufeuern. Passend geschlagenes Holz lag direkt in Reichweite, der Rauch stieg zur Raumdecke und konnte dort durch eine Art behelfsmäßigen Schornstein entweichen. Die Flammen knisterten. Virus wandte sich ab und ging zu seinem Vorratsregal hinüber. Das meiste waren Konserven, Flaschen, getrocknetes Fleisch. Er griff nach einer der Dosen und öffnete sie. Bohnen. Er brauchte nicht lang um seine Mahlzeit über dem Feuer zu erhitzen. Er aß direkt aus der Blechdose, räumte dann alles weg und vergewisserte sich, dass das Feuer etwas runter gebrannt und gesichert war, ehe er seine Hütte verließ. Ihm war noch immer schlecht und schwindlig. Bei jedem einzelnen Schritt fühlte es sich an, als bekäme er einen dumpfen Schlag auf den Kopf. „Wollte dich grad wecken kommen.“ Ban trat an seine Seite und Virus nickte ihm zu. Sie setzten sich gemeinsam in Bewegung, schlenderten durch das Lager. Der Boden war schlammig und uneben. Die meisten hatten sich in den Schutz ihrer Hütten verzogen. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Virus bis auf die Haut durchnässt war. Der Regen prasselte unaufhörlich weiter auf sie nieder. Das Rauschen dröhnte unangenehm in seinen Ohren und er hatte Mühe, darüber hinaus andere Geräusche wahrzunehmen. Ein Nachteil, wenn man ein solch übernatürlich gutes Gehör hatte. Manchmal war es schwierig, allzu dominante Geräusche auszublenden und sich zu konzentrieren. Es war dämmrig hier draußen, obwohl es noch gar nicht so spät war. Die schweren Regenwolken verdunkelten den Himmel einfach zusätzlich. Virus blinzelte. Die Lichtverhältnisse bereiteten ihm zusätzliche Schwierigkeiten. Seine alte Verletzung war bei der Eroberung des LKW’s wieder etwas aufgeplatzt. Sie schmerzte und ab und an verschwamm alles vor seinen Augen. „Gleich ist Wachwechsel.“ Ban nickte in Richtung des Zauns und Virus gab einen bestätigenden Laut von sich. „Wir sollten die Wachen heute Nacht verstärken.“ Sie hatten schon oft die Erfahrung gemacht, dass Regen und Gewitter die Monster da draußen noch mehr anstachelte. Meistens waren es von der Zahl viel mehr, als es an einem sonnigen Tag der Fall war. Und Virus wusste, dass die Moral seiner Leute sank, je länger es regnete. Das machte die Verteidigung nur noch schwieriger. Eine Alarmglocke läutete ein paar Mal. Virus runzelte die Stirn und hob den Kopf. Er wandte seinen Blick in Richtung der Glocke, sah die Monster dort auf den Zaun zu torkeln und fluchte leise. Er hatte sie nicht gehört. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er angeschlagen war. Ein Gedanke, den Ban scheinbar gerade ebenfalls hatte. Virus sah es ihm an. Aber sie hatten keine Zeit darüber zu diskutieren. Auch wenn sie an der Art des Alarms bereits gehört hatten, dass es nur ein kleinerer Angriff war. Trotzdem halfen sie den aufgestellten Wachen sofort bei der Verteidigung. Es war ihr Alltag. Der Kampf auf Leben und Tot gehörte genauso dazu, wie essen und schlafen. Sie versuchten ihre schäbigen Hütten in Stand zu halten, ab und an überfielen sie Transporter, die auf dem Weg zur Hauptstadt waren. Sie alberten mit ihren Freunden rum, um Minuten später Seite an Seite mit ihnen den Zaun zu verteidigen. Es war ein Leben, dass sie alle gewohnt waren. Aber niemand von ihnen hatte es sich so ausgesucht. Virus seufzte leise. Inzwischen war es dunkel geworden. Die Slums wurden nur teilweise erhellt von einzelnen Feuerstellen und Fackeln. Elektrisches Licht gab es schon seit Jahren keines mehr. Es waren Umstände wie im Mittelalter. Die kleine, hübsche Vorstadt von damals war nurnoch zu erahnen. Man hatte sie komplett abgeschottet. Die Reichen hatten sich in den Stadtkern New Heavens zurückgezogen. Umringt von Mauern, in ihren modernen Hochhäusern und gut versorgt. Außerhalb der Mauern hatte der Verfall Einzug gehalten. Ruinen und zerfallene Reste der Zivilisation. Zugewucherte Plätze, verlassene Hallen, geplünderte Supermärkte, leere Tankstellen. Und dann kamen die Slums. Keiner von den Slumbewohnern hatte sich freiwillig für ein Leben hier draußen entschieden. Sie alle waren praktisch ausgesperrt worden, als man die großen Städte damals verriegelt hatte. Politiker und sonstige Regierungsbeamte hatte man als erstes in Sicherheit gebracht. Einige der zivilen Einwohner hatten es noch in den rettenden Schutz der gut bewachten Städte geschafft, die meisten waren zurück geblieben. Sich selbst überlassen und schutzlos. Damals war bereits die parasitäre Infizierung umgegangen. Die Menschen hatten den Verstand verloren und sich gegenseitig zerfleischt. Panik und Angst hatten geherrscht und es hatte Jahre gebraucht, bis die Situation sich beruhigt und die Überlebenen sich angepasst hatten. Virus sah an die Decke seiner kleinen, bescheidenen Behausung. Es war inzwischen mitten in der Nacht. Die meisten seiner Schützlinge schliefen und er selbst hatte sich erneut hingelegt, um sich etwas auszuruhen. In den vergangenen Stunden hatte er dabei geholfen mehrere, kleinere Angriffe zurück zu schlagen. Sie hatten die niedergestreckten Monster auf einen Haufen geworfen und verbrannt. Virus hatte den Geruch noch immer in der Nase. Es hatte Verletzte gegeben, aber damit mussten sie leben. Immerhin hatten sie niemanden aus ihren Reihen verloren. Er war müde, aber an Schlaf war nicht zu denken. Virus döste lediglich ab und an ein, hing seinen Gedanken nach, schmiedete Pläne. Er versuchte das Überleben seiner Leute zu sichern, fühlte sich für sie verantwortlich. Die Alarmglocke schrillte. Das Zeichen für einen heftigen Angriff. Sofort war Virus auf den Beinen und rannte aus der Hütte. Draußen liefen die Leute durcheinander, Schlamm spritzte, aufgeregte Rufe drangen an seine Ohren. Er hörte das animalische Grollen, die schlurfenden Schritte, scharrende Geräusche. Er brauchte einen Moment um die Situation zu erfassen. Dann allerdings sah er sie... Die Gruppe von Monstern am Zaun, die versuchte sich Einlass zu schaffen. Virus reagierte sofort und brüllte ein paar Befehle, damit das ganze kontrolliert ablief und nicht im Chaos unterging. Er selbst schnappte sich sein Schwert und lief dann auch schon los, dicht gefolgt von Ban und ein paar der anderen. Es war schon ein Weilchen her, dass sie so überrascht worden waren. Und Virus ärgerte sich darüber. Er hätte die nahe Bedrohung viel früher bemerken müssen. Schwindel und Kopfschmerzen hatten ihn erschöpft und dazu gezwungen, die Geräusche des Lagers so gut es ging auszublenden. Und jetzt hatten sie den Salat… Aus dem Augenwinkeln registrierte er eine zweite Horde der wankenden Zombies. Sie rissen am Zaun, versuchten ihn zu überwinden. „Ban!“ Ein Wink genügte. Augenblicklich stürmte sein bester Freund in die ihm gedeutete Richtung, rief währenddessen noch ein paar Helfer zu sich, um sich mit ihnen gemeinsam um die sich eben formierende, zweite Front zu kümmern. Es ging alles sehr schnell. Hektik brach aus. Das Ausschalten dieser Monster hatte höchste Priorität, aber die Slumbewohner waren deutlich in der Unterzahl. Hatten diese wankenden, Parasiten zerfressenden Gestalten erst einmal Witterung genommen, vermehrten sie sich rasch. Sie kamen aus ihren Löchern gekrochen, angezogen von den Geräuschen des Kampfes und dem Geruch nach frischem Blut. Seine Leute riefen sich Warnungen zu, sie gaben sich gegenseitig Rückendeckung, versuchten die widerlichen Kreaturen vom Zaun weg zu drängen. Aber es war schwierig. Sie kämpften mit schlechten Waffen, hatten kaum Deckung und mussten sich meistens mindestens drei Angreifern gleichzeitig stellen. Und nicht alle von ihnen waren ausgebildete Killer, so wie Virus es einer war… Es gab spritzende, plaschende Geräusche und Virus wandte sich verwundert um. Von einem erhöhten Mauerrest aus leerte Ban gerade einen Kanister Benzin über der grollenden Angreiferfront. Es folgte der erst vor Stunden errungene, hochprozentige Alkohol. Die zerrissenen Kleider der Monster sogen sich mit den Flüssigkeiten voll, sie fauchten aggressiv. Eine mutierte Pranke hieb nach ihm und Virus musste ausweichen. Sein Schwert sirrte durch die Luft und schnitt durch rohes Fleisch. Es fühlte sich an, als ginge die Klinge durch Butter. Das Monster ging zu Boden und blieb zuckend liegen. Eine Stichflamme schoss empor und Rauch stieg in den Himmel. Virus beobachtete wie die mit Benzin und Alkohol übergossenen Biester in Flammen aufgingen – von Ban höchstpersönlich angezündet. Sie gaben qualvolle Laute von sich. Geräusche, die nicht mehr menschlich klangen. Die Flammen breiteten sich rasch aus und nur Minuten später war die Nacht erleuchtet vom orange farbenen Licht des Feuers. Es prasselte und zischte. Der Zaun war inzwischen an einer Stelle gebrochen, aber noch nicht weit genug um mehrere der Feinde auf einmal hindurch zu lassen. Ein Faustschlag, ein Treffer und im nächsten Moment kam Virus selbst ins Schwanken. Er taumelte einen Schritt zurück, während er benommen blinzelte. Einen Moment sah er nur Sterne, hinter seiner Stirn pochte es schmerzhaft. Eines der Viecher hatte ihn erwischt und nur mit Mühe schaffte er es, es zu erledigen. Ein weiteres hatte ihn allerdings schon fast erreicht, aber Virus reagierte nicht. Vor seinen Augen war alles nur verschwommen und wirr, er konnte kaum mehr etwas erkennen. Schritte erklangen hinter ihm. Er blinzelte. Seine Bewegungen waren fahrig, er taumelte wieder leicht. Sein Atem ging schnell, sein Puls raste. Er wusste, dass er in höchster Gefahr war, dass er jetzt auf keinen Fall schwächeln durfte. Der Drang sich übergeben zu müssen wurde immer deutlicher. Er konnte das tiefe Grollen des nächsten Monsters hören, konnte verschwommen erkennen, wie es ausholte. Dann waren da hastige Schritte, Virus wurde gepackt und grob zur Seite gezogen. Er strauchelte und fiel, Ban landete neben ihm im Dreck. Er konnte seinen besten Freund ächzen hören und das war fast das Schlimmste, was er in dieser Nacht hören musste. Es war ein unterdrückter Aufschrei, ein Schmerzenslaut der ihm zeigte, dass es Ban erwischt hatte – seinetwegen. Virus holte mit seinem Schwert aus. Es gab ein reißendes Geräusch, Blut spritzte und ein loser Kopf rollte zu Boden. Der Torso blieb für den Bruchteil einer Sekunde noch stehen, ehe er kippte und ebenfalls im Staub landete. Virus sah sich um. Um ihn herum wurden eben die letzten Angreifer erschlagen. Seine Leute hatten gewonnen, drei von ihnen hatte es erwischt. Die restlichen Verletzungen waren nicht so schlimm, bis schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich. Nur Ban… In der Brust seines Freundes steckte noch eine der seltsam anmutenden Klauen des Monsters. Bans Shirt hatte sich mit Blut vollgesogen, die Lache breitete sich aus und versickerte teilweise im Sand. Unter Schmerzen griff Ban selbst nach der Klaue und zog kräftig. Er riss sie sich aus dem Fleisch, verschlimmerte die Wunde dadurch nurnoch. Es war ein kleines Loch, was da in seiner Brust klaffte, mehrere Zentimeter vom Durchmesser fassend und kritisch tief. "Ban..." Virus’ Stimme zitterte ungewohnt ängstlich. „Du verfluchter Idiot!“ Er konnte einfach nicht anders. Sein Magen krampfte sich zusammen, schwarze Punkte flimmerten vor seinen Augen und er blinzelte sie hastig weg. Die Sorge um seinen besten Freund war erdrückend. Er kniete neben Ban, legte ihm die Hand auf die stark blutende Wunde und drückte kräftig zu. Der Verletzte stöhnte schmerzerfüllt, aber Virus ließ nicht locker, versuchte so die Blutung etwas zu stoppen. Er rief rasche Befehle. Der Zaun musste umgehend repariert werden, zusätzliche Wachen sollten aufgestellt und die Verletzten versorgt werden. Er rief einen der anderen zu sich, damit dieser ihm mit Ban half. Virus war gerade nicht in der Lage, seinen Freund alleine in eine der Hütten zu schaffen. Der Weg war nicht weit, aber er war eine Tortur. Ban hinterließ eine deutliche Blutspur, er wirkte benommen, schien kurz davor das Bewusstsein gänzlich zu verlieren… Kapitel IV ---------- Feuer. Sein Körper stand in Flammen. Rasselnder Atem, ein gequältes Aufstöhnen. Seine Arme wurden taub, die Muskeln verkrampften sich und seine Kehle schnürte sich zu. Blut. Überall Blut. „Verfluchte Scheiße“, kam es gepresst über seine Lippen, obwohl er viel lieber Schreien und den Schmerz heraus lassen wollte. Nur am Rande registrierte er, wie man ihn in eine der Hütten verfrachtete. Er spürte eine weiche Matratze unter sich, dann war da das Reißen von Stoff, als man ihm mit einem Messer Pullover und T-Shirt aufschnitt. „Kipp mir hier nicht weg, ne? Ist alles halb so schlimm!“ Er konnte schon am Tonfall seines Kumpels erkennen, dass er belogen wurde. Allein die Tatsache, dass Virus unbewusst in ihre gemeinsame Muttersprache verfallen war, sagte schon alles. Japanisch. Sie unterhielten sich nur selten auf japanisch. Benommen versuchte Ban die Augen zu öffnen. Er blinzelte mehrmals, um ihn herum drehte sich alles. Er spürte wie Virus sich an ihm zu schaffen machte und versuchte die Blutung zu stoppen. Die Geräusche um ihn herum klangen immer gedämpfter, er hörte alles wie durch Watte hindurch. Der Schmerz war einfach zu übermächtig. Es war zerreißend. Es fühlte sich an, als steckte die Klaue des mutierten Wesens noch immer tief in der Wunde. Hektik. Verbände. Desinfektionsmittel. Er hatte nicht mal gewusst, dass sie so etwas inzwischen hatten. Schmerz. Unbändiger, zerreißender, wuchtiger Schmerz. Ein Aufschrei. Und er brauchte tatsächlich einen Moment um zu begreifen, dass er selbst es war, der geschrieen hatte. Seine Stimme klang ganz anders. Ungewohnt. Virus sprach zu ihm. Jedenfalls glaubte er, dass es Virus war. Doch da war noch eine weibliche Stimme. Ban blinzelte. Nur verschwommen erkannte er Raikon, die sich über ihn gebeugt hatte. Direkt hinter ihr stand Virus. Die junge Frau war es aber, welche die Wunde nun versorgte. Er stöhnte wieder. Leise, heiser und gequält. Es war nicht die erste schwerwiegendere Verletzung in den letzten fünf Jahren, doch das letzte Mal lag auch schon ein Weilchen zurück. Er hatte einfach schon vergessen, wie peinigend solche Verletzungen sein konnten… Er behielt die Augen geschlossen. Sein Gesicht war deutlich von Schmerzen verzerrt. Er kaute sich auf der Unterlippe herum, so dass diese schon ganz aufgesprungen war. Der hohe Blutverlust gab ihm einfach den Rest, auch wenn die Blutung inzwischen gestillt war. Es genügte. Ihm war schwindlig. Der Raum drehte sich um ihn herum. „Virus…“, war das Einzige was ihm noch über die Lippen kam, ehe es um ihn herum schwarz wurde. „Wir können nichts weiter tun, um ihm zu helfen Virus.“ „Aber er ist jetzt schon fünf Stunden weggetreten!“ Gedämpfte Stimmen drangen an sein Ohr. Eine leise Unterhaltung. Es klang mal lauter, mal leiser. Als würde jemand an der Lautstärke eines Fernsehers drehen. Ihm war schwindlig. „Es gibt Schmerzmittel, aber ich halte es nicht für klug ihm welche zu geben.“ Nur mit Mühe erkannte er Raikons Stimme. War sie immer noch immer bei ihm? Oder schon wieder? Mit wem redete sie da? „Ich weiß nicht, ob die Medikamente wirklich vertrauensselig sind. Davon mal abgesehen will ich nicht, dass Bans Körper völlig ertaubt.“ Doch! Um Himmels Willen doch! Taub klingt super! Das Ziehen in seiner Brust war noch immer mehr, als er ertragen konnte. Es brannte, kribbelte und quälte ihn. Die Matratze senkte sich neben ihm ab. Die leichte Bewegung genügte, um neue Wellen des Schmerzes durch seinen Körper zu jagen, obwohl er sich immer noch benommen fühlte. Trotzdem registrierte er halbwegs, dass sich jemand neben ihn gelegt hatte. Er konnte die Wärme spüren, die von diesem anderen Körper ausging. Eine Hand fuhr ihm über die Haare. „Virus…“ „Ich bin hier…“ Virus. Das war Virus’ Stimme. „Es geht mir gut. Du hast mich gerettet.“ Hätte er gekonnt, hätte er aufgeatmet. Virus war in Ordnung. Er war nicht von diesen Monstern zerfleischt worden. Ban hatte schon befürchtet, es hätte sie beide erwischt. „Du musst dich jetzt ausruhen, hörst du? Schlaf wieder. Du warst großartig. Ohne dich hätten wir es nicht geschafft, den Angriff heute zurück zu schlagen.“ Natürlich war er großartig! Das war er immer. Hätte er die Kraft dazu gehabt, würde er das Virus auch direkt ins Gesicht sagen. So aber verzog er nur einmal mehr das Gesicht. Es tat gut die Stimme seines Kumpels zu hören. Zu wissen, dass der Ältere bei ihm war. Irgendwo in seinem Hinterkopf war auch das erleichternde Wissen, dass sie frisches Wasser, Medikamente und saubere Verbände hatten. Noch bis vor ein paar Tagen hatte es da ganz anders ausgesehen. Es kam ihm so vor, als wäre der Überfall auf diesen LKW schon eine Ewigkeit her. Er und Virus hatten nur zu zweit dieses ganz Ding durchgezogen. Es war Ban vorgekommen wie ein Spaziergang. Alles war so einfach gewesen. Vom Ausschalten der Soldaten, zur Übernahme des Jeeps bis zur sicheren Heimkehr mit dem LKW. Einfach…so einfach. Nichts, gegen die jetzigen Schmerzen. Er wollte etwas sagen. Sich bei Virus bedanken. Normalerweise hasste es Ban so geschwächt zu sein. Dabei auch noch gesehen zu werden war Folter für ihn. Heute war er froh darum, dass Virus bei ihm war, sich um ihn kümmerte und sich Zeit für ihn nahm. Aber alles was ihm über die Lippen kam, war ein tiefes, gequältes Stöhnen. „Schlaf jetzt…“ Ein verlockender Gedanke. Einfach schlafen… Die Wunde pochte unangenehm. Sie pulsierte und zog noch immer schrecklich. Aber der Schmerz fühlte sich nur noch gedämpft an. Ban murrte leise. „Ssch…“ Jemand strich ihm über die Haare. Er mochte das eigentlich nicht. „Wir haben dir was gegen die Schmerzen gegeben. Geht’s besser?“ Daher dieses leichte Taubheitsgefühl. Das war ein wahrer Segen. Ban brachte ein Nicken zu Stande. Ihm war schlecht. Er hatte Angst sich übergeben zu müssen, wenn er jetzt den Mund aufmachte. „Raikon…ich hab ein seltsames Gefühl.“ War das echt Virus? Seine Stimme klang so unglaublich besorgt. Verunsichert. Die sonstige Festigkeit fehlte. Das Selbstbewusstsein war weg. Und was hieß hier eigentlich seltsam?! „Kann ich verstehen. Das hab ich auch.“ Na ganz toll… Wie beruhigend! „Es ist zu einfach von diesen Viechern infiziert zu werden. Aber wir können nicht viel mehr für ihn tun. Er hat Schmerzmittel bekommen und ein Medikament, dass das Immunsystem unterstützt.“ Moment…. Zwei Medikamente? Aber doch hoffentlich nicht in Form von Spritzen! Oh Gott… Er hasste Spritzen! Ban wurde noch schlechter. „Virus… Es ist jetzt über zwölf Stunden her, dass er verletzt wurde. Hast du gesehen, wie die Wunde inzwischen aussieht?“ Schweigen. Warum schwieg Virus bitte denn jetzt!? Wie zum Henker sah die Wunde denn aus!? „Wie…schlimm….ist es?“ Es fühlte sich an, als wäre Bans Kehle ein einziges Reibeisen. Es schmerzte richtig zu sprechen. Und Ban war dankbar, als man ihm ein Glas an die Lippen hielt. Sein bester Freund half ihm dabei etwas zu trinken und Ban seufzte erleichtert auf, ehe er wieder zurück sank. Die kurze Bewegung hatte gereicht, um dieses unsägliche Brennen wieder hervor zu rufen. „Mach dir keinen Kopf Ban. Okay? Du musst dich einfach nur ausruhen.“ Virus’ Worte klangen nicht so zuversichtlich, wie er es wahrscheinlich gern gehabt hätte. „Die Verletzung hat sich verfärbt“, mischte Raikon sich jetzt ein. Virus murrte. Scheinbar wollte er nicht, dass man ihm, Ban, die Wahrheit sagte. Aber Raikon schien das egal zu sein. Ausnahmsweise mochte Ban sie. Jedenfalls ein bisschen. „Sie sieht ungesund aus. Wir müssen sie weiter beobachten und dafür sorgen, dass sie sich nicht entzündet.“ Eine Entzündung war jetzt seine kleinste Sorge. Was, wenn dieses verdammte Vieh ihn infiziert hatte!? Was dann!? „Ban, du bist stark. Du packst das.“ Im Halbschlaf versuchte Ban sich auf die Seite zu drehen. Schmerz jagte dabei durch seinen Körper. Er stöhnte gequält auf und öffnete die Augen. Irgendwas war seltsam. Ihm war, als bewegte sich etwas unter seiner Haut. Die Wunde pochte noch immer. Es war widerlich. „Du musst aufpassen, Ban.“ Eine warme Hand legte sich auf seine Wange und strich darüber. Virus’ Hand. Sein bester Freund war immer noch bei ihm. „Wie fühlst du dich?“ Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Ihm von dem Kribbeln unter seiner Haut erzählen? Von dem furchtbaren Brennen, dem ziehenden Schmerz? Ban seufzte leise. „Als wäre ich als Frühstücksbuffet geendet…“ Vorsichtig drehte er etwas den Kopf und bekam Virus ins Blickfeld. Der Ältere saß neben ihm am Bett, dunkle Schatten unter seinen Augen und irgendwie blass. Als er Bans Blick auffing lächelte er schwach, aber das machte es auch nicht viel besser. Virus war hundemüde und Ban sah es ihm deutlich an. „Wie spät ist es?“ Seine Stimme war immer noch kratzig und leiser als sonst. Es kostete ihn Mühe zu sprechen. „Spät. Du liegst jetzt schon fast 36 Stunden hier.“ 36 Stunden!? Das erklärte warum ihm alles wehtat. Er war es nicht gewohnt, so lange zu liegen. Und die Matratze war auch nicht der pure Luxus. Aber apropos Matratze… Das war nicht seine eigene. Das war immer noch die von Virus. Ban blinzelte und sah sich um. Tatsächlich, er lag immer noch in der Hütte seines besten Kumpels. Da konnte er sich wohl glücklich schätzen. Das Bett des Chefs war viel bequemer. Und wärmer war es hier auch. „Wie läuft’s da draußen?“ Reden. Sich ablenken von diesem seltsamen Gefühl. „Der Zaun ist wieder repariert. Ich hab Raikon eine Schlafstelle zugewiesen. Es gab ein paar kleinere Angriffe. Nichts großartiges. Die meisten schlafen.“ Das sollte Virus wohl auch besser. Ban verzog leicht das Gesicht. „Sitzt du schon die ganze Zeit hier?“ „Ich war immer mal kurz draußen um ein paar Anweisungen zu geben. Wenn du das nicht mitzählst, sitze ich schon die ganze Zeit hier.“ Das war ungewöhnlich. Normalerweise nahm Virus sich nicht so viel Zeit. Er hatte einfach irgendwie immer zu tun. Das er jetzt 36 Stunden hier hockte, war kein gutes Zeichen. „Die Wunde brennt und zieht…“ Bans Stimme klang immer noch ganz rau, aber langsam fiel ihm das Sprechen nicht mehr ganz so schwer. „Es ist, als würde die Wunde weiter aufreißen, oder als wenn….sich etwas durch mein Fleisch bohrt…“ Seine eigenen Worte beunruhigten ihn. Er hoffte inständig, dass er sich nichts eingefangen hatte. Am Ende würde er noch genauso mutieren wie diese Monster. Daran wollte er gar nicht denken. „Ruh dich aus okay? Werd mir schnell wieder fit, sonst gibt’s Ärger!“ Virus versuchte zu scherzen, aber es klang nicht wirklich lustig. Ban konnte ihm seine Sorge viel zu deutlich ansehen. Die Unruhe, die in dem Älteren herrschte. In Virus’ Kopf ratterte es die ganze Zeit. Es war offensichtlich, dass er nach einer Lösung suchte. Eine Lösung für was? Den Ernstfall? … Falls er infiziert war? Virus Worte waren nicht gerade motivierend für Ban. Doch es brachte wahrscheinlich auch nichts, die ganze Sache schön zu reden. „Wir haben für den Ernstfall nichts da, oder?“, fragte er auf Japanisch in einem ernsten Ton, der nicht oft bei ihm vorkam. Er kannte die Antwort. Trotzdem musste er es einfach fragen. Er sah wie Virus den Kopf schüttelte und hörte ihn seufzen. „Wir haben Desinfektionsmittel und Verbandszeug und Schmerzmittel und keine Ahnung was noch alles. Aber wenn da wirklich…irgendwas komisches mit der Wunde ist…“ Seine Stimme hatte kurz gezittert. Nur flüchtig, aber Ban hatte es bemerkt. „…dann nein, dann haben wir nichts.“ Das war doch wirklich zum Kotzen. Gerade jetzt! Hätte es nicht irgendwen anders treffen können!? Der Gedanke mochte nicht edel sein, doch im Moment wünschte Ban sich einfach nur, diese dämliche Verletzung nicht erlitten zu haben. Bei den Verhältnissen die hier herrschten war es nicht unwahrscheinlich, dass sich Verletzungen entzündeten und noch viel schlimmer wurden. Das war schon oft genug vorgekommen. Die Möglichkeit, dass sich bereits etwas in Bans Körper befand, das dort überhaupt nichts zu suchen hatte, machte es auch nicht besser. „Wenn irgendwas ist…,“ sagte er dann leise aber entschlossen, „besorg ich mir etwas, das mir helfen kann.“ Für den Fall, dass tatsächlich irgendwelche Abnormalitäten auftreten sollten. Und das war schon beinahe eine implizite Ankündigung dafür, dass er im Fall der Fälle in New Heaven eindringen würde, wenn es nötig war. „Wenn irgendwas ist, werde ich dir etwas besorgen.“ Virus Stimme klang ernst. Es klang wie ein Versprechen. Sein Blick war durchdringend und Ban schluckte. Da waren wieder diese Rädchen in Virus’ Kopf. Er wusste einfach, dass sein Freund da irgendetwas ausheckte. Ban konnte nicht anders, als matt zu lächeln. Einmal mehr wusste er, warum ausgerechnet Virus sein bester Freund war. „Allein gehst du aber nicht. Ich werde hier nicht rumliegen, während du dich amüsieren gehst…,“ Ban klang noch immer ungewohnt geschwächt, doch er meinte es so, wie er es sagte. Er würde sich irgendwie voran schleppen, egal was es kostete. Er würde nicht zulassen, dass Virus sich seinetwegen solch einer Gefahr aussetzte. „Und ob ich mich da allein amüsieren werde!“ Virus klang streng. Ban konnte ihm seine Sturheit ansehen und wusste, dass der Ältere keinen weiteren Widerspruch zulassen würde. Er war außerdem einfach zu müde, um jetzt eine Diskussion anzufangen… „Noch ist ja nicht so schlimm…,“ meinte Ban also simpel und schloss die Augen wieder. „Lügner…“ Virus Stimme klang wieder milder, aber die Sorge hörte man trotzdem noch heraus. Ban konnte nichts mehr antworten. Er wurde abgelenkt, als ihn ein fieser Stich in der Brust plagte und ihn zu einem nicht gerade dezenten Keuchen zwang. Es fühlte sich an, als hätte ihn etwas kleines, winziges ins Fleisch gebissen… Kapitel V --------- Guten Morgen und ein großes SORRY! Ich hatte in letzter Zeit wirklich so viel um die Ohren, dass ich noch nicht dazu gekommen bin weiter zu schreiben :( Trotzdem gibt es heute schonmal das nächste Kapitel. Damit ihr nicht mehr so lange warten müsst. Ich hoffe ich schaffe es, die Tage das neue Kapitel zu schreiben. Damit es hier endlich wieder flüssig voran geht. Ich hoffe ihr bleibt immernoch fleißig dabei. ------------------------------------------------------------------------- …V Drei volle Tage. Vierundsiebzig Stunden und achtundreizig Minuten. Genau so lange lag Ban, sein bester Freund, nun schon vollkommen geschwächt im Bett. Virus seufzte auf und ließ die ramponierte Uhr in seine Hosentasche gleiten. Ihm selbst ging es noch immer nicht viel besser. Er litt an dumpfen Kopfschmerzen und hatte sich in der vergangenen Nacht mehrmals übergeben müssen. Die Sonne blendete ihn – mehr als es normalerweise ohnehin schon der Fall war – und er war äußerst gereizt. Die meisten seiner Leute ließen ihm mittlerweile seine Ruhe und kamen nur noch bei wichtigen Dingen zu ihm. Sie wussten alle, dass Virus ganz krank vor Sorge um Ban war. Überraschenderweise hatte sich die erst kürzlich gerettete Raikon als äußerst nützlich erwiesen. Die junge Frau kannte sich recht passabel in medizinischen Dingen aus und versorgte Ban sehr gut. Woher ihr Wissen stammte wollte oder konnte sie ihm nicht erzählen, aber im Grunde war es Virus auch egal. Alles was für ihn zählte war, dass Ban gut verarztet wurde und jemand bei ihm war. Ruhig schritt Virus durch die heruntergekommenen Slums. Es war noch sehr früh – die Sonne ging gerade erst auf – und die meisten schliefen noch. Sein Weg führte ihn an den Rand ihres Lagers. Hier war mit Mühe eine kleine Fläche vom Schutt befreit worden. Früher hatte hier einmal eine Grünfläche vorgeherrscht, inzwischen war der Rasen nur noch stellenweise vorhanden, die Büsche kahl und schief gewachsen, die Erde locker und uneben. Grobe Holzkreuze waren nebeneinander aufgereiht, ab und an auch unterbrochen von einzelnen, mit Farbe beschriebenen Steinen. Virus hielt am Ende der Gräberreihe und besah sich die noch frisch umgegrabene Erde. Zwei weitere seiner Leute hatte es in der vergangenen Nacht erwischt. Er hatte sich an den Verlust mittlerweile gewöhnt und doch fühlte er sich jedes Mal aufs Neue verantwortlich. Ruhig stellte er sich an die neuen Gräber, klatschte drei Mal in die Hände und schloss die Augen, um ein stummes Gebet in den Himmel zu senden, auch wenn er den Glauben an Gott längst verloren hatte. Es war mehr eine Tradition. Ein Ritual, dass ihn an sein früheres Leben erinnerte. Er wusste wie wichtig es war, solche Erinnerungen wach zu halten. Unruhe. Irgendetwas stimmte nicht. Neugieriges Getuschel drang an seine Ohren, einzelne Wortfetzen die wenig Sinn für ihn machten. Leute von der Obrigkeit? Hier? Unmöglich. Er musste sich verhört haben. Virus lauschte noch weiter, hörte die Geräusche von Fahrzeugen, von Leuten außerhalb des Zauns. „Virus?“ Die vorsichtige Stimme überraschte ihn nicht. Er hatte die sich nähernden Schritte längst wahrgenommen, öffnete die Augen jetzt wieder und wandte sich dem Jüngeren zu, der unruhig hinter ihm stand. Virus’ Blick war kühl, aber er forderte seinen Schützling mit einem Wink dazu auf zu sprechen. „Da nähern sich zwei Fahrzeuge“, wurde ihm also Meldung gemacht und er runzelte die Stirn. Virus setzte sich in Bewegung und der Blonde folgte ihm. „Wie nah sind sie schon dran?“ „Nah. Wir haben M-Genes Logo an den Fahrzeugen erkannt.“ M-Gene… Das bedeutete Ärger. „Adam, ich will, dass alle auf ihren Posten sind. Ladet die Schusswaffen.“ Eine seltene Anweisung. Munition war schwer zu bekommen und sie gingen sparsam damit um. Aber wenn das wirklich M-Gene Soldaten waren, die ihnen da einen Besuch abstatten wollten, würden sie jede mögliche Verteidigung nötig haben. Der junge Blonde, Adam, nickte noch und lief dann los. Virus sah ihm nach, behielt selbst aber seinen üblichen, weit ausgreifenden Schritt bei. Er brauchte nur Minuten, bis er den schützenden Zaun erreicht hatte. Alle die bereits wach und auf den Beinen waren, hatten sich hier versammelt und bildeten eine Menschentraube. Als sie Virus kommen sahen, kamen ihm einige von ihnen aufgeregt entgegen. Ein Blick oder ein Handzeichen genügte, um ihr aufgeregtes Geplapper zu unterbinden. Er konnte auch so an ihren Gesichtern ablesen wie unruhig und nervös sie waren. Umso wichtiger war es nun, dass er selbst die Ruhe bewahrte. Virus hatte den Kopf erhoben, seine Bewegungen waren vollkommen kontrolliert. Er erfasste rasch die Situation, musterte die beiden inzwischen parkenden Fahrzeuge. Ein schwarzer, schnittiger BMW, flankiert von einem mit Soldaten besetzten Jeep. Die Männer in den Uniformen hielten sich zurück, lediglich eine einzelne Person war ausgestiegen, lehnte nun lässig am BMW und wartete. Virus nickte seinen Leuten zu, einer von ihnen öffnete sofort hastig das stark bewachte Haupttor im Zaun. Der unangekündigte Besucher richtete sich auf, blieb aber auf Abstand. Der Blick seiner eisblauen Augen hatte bis eben noch die Umgebung gemustert, legte sich nun aber auf den sich nähernden Virus. Der Bandenchef wusste genau wie riskant es war den eingezäunten Bereich zu verlassen, dennoch schritt er auf den Mann mittleren Alters zu, musterte ihn dabei. Es war eine hochgewachsene Erscheinung, schlicht, aber gut gekleidet. Das tiefschwarze Haar war zurück gegelt, sein Gesicht zeigte keine Emotionen. Virus konnte nicht einschätzen, mit welchen Absichten er gekommen war. „Sie haben hier nichts zu suchen.“ Virus sprach vollkommen ruhig. Nicht feindselig, wenn auch distanziert und kühl. Er war inzwischen direkt vor dem Älteren stehen geblieben und sah ihn an. Automatisch prägte er sich jedes kleinste Detail ein. Er registrierte die gute Qualität des maßgeschneiderten, dunklen Anzugs, den Staub auf den wohl vorher blank polierten, schwarzen Schuhen. Er merkte sich wie der Besucher sich bewegte, diese ruhige, vollkommen kontrollierte Art. „Oh, da bin ich aber anderer Meinung“, waren die ersten Worte des Fremden. Seine Stimme klang tief und angenehm, er sprach klar und deutlich. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er sich in dieser herunter gekommenen Umgebung unwohl fühlte. Man konnte ihm einfach nicht ansehen, was in ihm vorging, was er denken könnte. Seine Lippen zierte ein bedeutungsloses Lächeln. „Dann sind Sie wohl nicht grundlos hier.“ Virus konnte die Aufregung hinter sich im Lager regelrecht spüren. Er hörte das Getuschel überdeutlich, die aufgeregte Atmung von manch einem, das nervöse Rumfingern an Jacken- oder Hemdsärmeln. „Ich habe lediglich eine Frage,“ der Besucher kam direkt zum Thema und sein Blick änderte sich dabei schlagartig. Er sah ernst aus. „Wo ist der Transporter?“, wollte er wissen und Virus spürte seinen Blick genau auf sich. Der Bandenchef schmunzelte, aber es war kühl und abschätzend. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen“, war seine simple Antwort. Es war klar, dass er sehr wohl wusste wovon dieser Kerl sprach. Und es war klar, dass er nicht einfach so mit der Sprache rausrücken würde. Er hatte unter den gegebenen Umständen wenig zu befürchten. Das hier war sein Gebiet und dieser Kerl mit seinem Begleitschutz waren Eindringlinge. Selbst wenn sie es schafften ihn, Virus, zu überwältigen, würden sie innerhalb einer Minute von seinen Leuten erledigt werden. Er wusste, dass auf jeden Kopf dieser Typen mindestens eine Waffe zielte. „Das ist wirklich sehr schade,“ meinte der Fremde. „Ich schätze, Sie werden dabei bleiben?“ Ganz langsam und vorsichtig bewegte er seine Hand in Richtung Innentasche seines Jacketts. Virus blieb nach außen hin locker, hörte aber wie sich seine Leute hinter ihm sofort verkrampften. Er hob eine Hand und bedeutete ihnen somit Ruhe zu bewahren. Die Hand seines Gegenübers fischte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, dazu ein mit verschnörkelter Gravur verziertes Zippo-Feuerzeug, dass wahrscheinlich mehr wert war als alles, was Virus besaß. Ihm wurde eine Zigarette angeboten und er griff danach, beugte sich anschließend lässig etwas vor und ließ sich den Glimmstängel anstecken, von welchem er direkt einen tiefen Zug nahm. Ruhig inhalierte er den Rauch in seine Lungen, um ihn dann in Richtung Himmel zu blasen. „Wissen Sie, Virus, ich habe nicht wirklich Lust lange mit Ihnen zu diskutieren.“ Die Tatsache das der Fremde seinen Namen kannte, überraschte Virus. Aber er zeigte keinerlei Gefühlsregung, sah sein Gegenüber einfach nur an und schwieg noch einen Moment. „Verzeihen Sie die Frage“, begann Virus dann schließlich. „Die Leute aus Ihrer Gesellschaftsschicht haben wohl keine Manieren?“ er lächelte gespielt freundlich. „Sie scheinen meinen Namen zu kennen. Ich den Ihren aber nicht.“ „Immerhin habe ich Sie nicht mit einem ‚Sie haben hier nichts zu suchen’ begrüßt. Das ist auch nicht wirklich die feine Art, oder?“ Der Fremde sah Virus an. „Um Ihren Wissensdurst zu stillen: Mein Name ist Cyril.“ Irgendetwas sagte Virus dieser Name. Es war nur ein Gefühl, dass er nicht wirklich greifen konnte. Vielleicht hatte er ihn schon einmal irgendwo gelesen. Vor langer Zeit. Er würde Erkundigungen einholen. Später. Jetzt nickte er nur. „Ob ich bei meiner Antwort auf Ihr Anliegen bleibe oder nicht, kommt ganz darauf an, was Sie zu bieten haben, Cyril“, erklärte der Bandenchef. „Das Überleben in diesem Drecksloch ist nicht einfach, wissen Sie?“ Er schmunzelte und verbeugte sich übertrieben höflich. „Wenn der Herr sich von seinen Freunden trennen kann, würde ich ihn herein bitten in mein bescheidenes Heim.“ Sein Blick war abfällig zu den begleitenden Soldaten geglitten, ehe er Cyril wieder ansah und mit einer einladenden Geste in Richtung der schäbigen Hütten deutete. „Ich habe nicht viel, aber Kaffee kann ich anbieten.“ „Es wäre mir eine Ehre,“ kam die Antwort und Cyril deutete ebenfalls eine Verbeugung an. Virus nickte, wandte sich ab und setzte sich in Bewegung. Er musste sich ein fast amüsiertes Grinsen verkneifen. Er und sein Besucher schlichen umeinander herum wie hungrige Tiger. Höflich und wohlerzogen und doch waren sie sich wohl beide sehr wohl bewusst, dass ein einziger Fehltritt genügen würde, bis einer dem anderen an die Kehle ging. Auf ein Kopfnicken des Bandenchefs ließ man das Tor im Zaun offen, nachdem er es mit ihrem Besuch durchschritten hatte. Zusätzliche Wachen postierten sich an der nun deutlichen Schwachstelle. Einige von ihnen beobachteten die Umgebung, andere hielten durchgehend ihre Waffen auf die Soldaten gerichtet. Ruhig führte Virus seinen Gast durch die Slums. Entlang der bröckligen „Hauptstraße“, vorbei an Schutt, Ruinen und Dreck. Cyril schien sich davon unbeeindruckt zu geben und falls er die respektlosen oder abwertenden Blicke bemerkte die man ihm zuwarf, so ignorierte er sie gekonnt. Er folgte Virus ohne zu zögern in eine der Hütten und setzte sich dort auf den ihm angebotenen Stuhl. Die einzige, richtige Sitzmöglichkeit im Raum. Der Bandenchef selbst nahm ihm gegenüber auf einer einfachen Kiste Platz. „Sie müssen die Neugierde meiner Leute entschuldigen, aber es ist nicht an der Tagesordnung, dass jemand aus der Stadt uns besucht.“ Virus gab einem jungen Mädchen an der Tür einen Wink und sie eilte sofort hinaus, um eine Minute später mit einem blechernen Tablett wiederzukommen auf welcher sich etwas Gebäck befand, dazu eine Flasche klares Wasser und ein Glas, das einen Sprung hatte, ansonsten aber ganz sauber aussah. Er beobachtete Cyril genau als dieser nach dem Glas griff, sich etwas Wasser einschenkte und einen kleinen Schluck trank. Scheinbar hatte er keine Angst davor, dass man ihn vergiften wollte oder dergleichen. Allgemein legte er ein solches Selbstbewusstsein an den Tag, dass es schon fast bewundernswert war. Seine Selbstkontrolle kam der von Virus gleich, dass musste der Bandenchef anerkennen. „Also, wo waren wir stehen geblieben?“, kam der Fremde anschließend zum Thema zurück. Das Glas hielt er noch in der Hand, sein Blick war auf Virus gerichtet. Der Bandenchef zog noch einmal an seiner Zigarette. „Ich gebe eine gewisse Verwunderung zu“, erklärte er im Anschluss. Besagte Verwunderung hörte man ihm allerdings nicht an. „Wie kommt es, dass dieses Fahrzeug für die Obrigkeit so wichtig ist, dass sie sogar jemanden schicken, um es abzuholen?“ Er kannte die Antwort schon. Und Cyril war sich wohl im Klaren darüber. Es ging hier nicht um irgendeinen ungelenken LKW, den teuren Kaviar oder Champagner. Es ging hier ganz allein um einen einzelnen Teil der geklauten Fracht: die Kühltruhe. Cyril beugte sich etwas vor. Sein Blick war durchdringend. „Meine exakte Anweisung ist es, das Fahrzeug zu beschaffen. Vom Frachtgut war keine Rede gewesen.“ Ein fast spöttisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel und war somit die erste Gefühlsregung, die er heute zeigte. Virus runzelte die Stirn. Spott. Ausgerechnet? Es wirkte fast, als würde der Fremde sich über seine eigenen Bosse amüsieren, sich über sie lustig machen. „Sie wirken auf mich wie ein loyaler Mann, Cyril. Es überrascht mich, dass Sie die Anweisungen Ihres Chefs willkürlich auslegen.“ „Oh das ist ganz und gar nicht willkürlich“, der Ältere winkte ab, trank noch einen Schluck Wasser und funkelte Virus im Anschluss wieder an. „Mein Boss hat sich einfach nicht präzise ausgedrückt.“ Virus grinste. „Soso...nicht präzise ausgedrückt mh? Entschuldigen Sie diese Bemerkung, aber sämtliche Chefs da oben sind absolute Vollidioten.“ Sein gesundes Auge funkelte fast frech, das Blinde starrte ins Nichts. Cyril ließ sich nicht zu einer Antwort hinreißen, aber der Bandenchef sah das amüsierte Funkeln in seinen Augen. Er wusste, dass er auf der Hut sein musste. Cyril gehörte zu M-Gene und er, Virus, bekämpfte diese Organisation nun schon sein seid Jahren. Der Bandenchef neigte den Kopf etwas zur Seite, lauschte, ohne seinen Gast dabei aus den Augen zu lassen. „Komm rein“, forderte er schließlich auf. Kurz passierte nichts, dann schlüpft Raikon in die kleine Hütte. Die junge Frau sah krank aus. Virus registrierte sofort ihre leicht trüb wirkenden Augen und die fiebrige Röte auf ihren Wangen. Es überraschte ihn nicht. Immerhin hatte man sie eisgekühlt aufgefunden. Da war eine sich anbahnende Grippe wohl nur natürlich. Virus fing den fragenden Blick des Fremden auf. „Ich wollte nur sicherstellen dass Sie wissen, worum genau es hier geht“, stellte er also ruhig klar. Er deutete auf Raikon. „Sie befand sich ebenfalls in dem LKW.“ Die Augenbrauen des Älteren zuckten. Eine Kleinigkeit, die seine Überraschung ausdrückte und Virus nicht entging. Dann hatte man Cyril also losgeschickt, ohne ihm die ganze Wahrheit zu erzählen. „Ein Mädchen im LKW?“, der Fremde seufzte leise. „Vermutlich Ware für die Forschungsabteilung.“ Er sprach über Raikon, wie über einen Gegenstand. Allerdings klang es nicht abschätzig oder böse. Er stellte viel eher die Tatsachen fest. Trotzdem machte es Virus wütend. Er spannte sich an, schnippte die Reste seiner aufgerauchten Zigarette weg und drückte sie im Sandboden aus. Nur am Rande registrierte er, wie Raikon ihm eine Tasse Kaffee hinstellte. Das Mädchen schwieg. Er konnte ihr nicht ansehen, wie sie sich dabei fühlte, wenn man so über sie sprach. Es war eine Schande was M-Gene tat. Verschwendung. Irrsinn. Virus sah Raikon an, schenkte ihr ein angedeutetes Lächeln und schickte sie mit einem Wink hinaus. Er wartete, bis sie die Hütte wieder verlassen hatte, ehe er Cyril wieder ansah. Eine schwierige Situation. Er hatte nicht wirklich vor die junge Frau wieder der M-Gene Corporation auszuliefern. Andererseits zog es seine Gedanken immer wieder zu Ban, der verletzt und leidend in einer der Hütten lag. Sein Blick war ernst und durchdringend. Gerade durch den krassen Unterschied seiner Augen, konnte er einem durch und durch gehen und Virus war sich dessen bewusst. Die meisten hatten sofort Respekt vor ihm und Cyril schien es da nicht anders zu gehen, auch wenn er sich scheinbar absolut nicht einschüchtern ließ. Der Mann aus New Heaven unterschätzte ihn, Virus, einfach absolut nicht. Diesen Fehler hatten schon viele andere mit dem Leben bezahlt. „Ich benötige Arznei“, kam der Bandenchef jetzt auch zum Punkt. „Ein Kinderspiel für einen Mann wie Sie, eine Schwierigkeit für jemanden wie mich. Arznei. Das wäre ein Anreiz für Verhandlungen.“ Virus blieb ganz ruhig. Er hatte einen geschäftsmäßigen Tonfall angeschlagen obwohl er wusste, dass es nicht so einfach werden würde. Eigentlich war es aussichtslos. Dennoch musste er es wenigstens versucht haben. „Ich habe Verletzte“, das war keine überraschende Neuigkeit. „Vielleicht sind Sie der Meinung, je weniger von uns räudigen Kötern, desto besser.“ Virus machte eine wegwerfende Handbewegung. „Dennoch sollten Sie es sich überlegen. Es würde keine großen Umstände für Sie bedeuten und Ihren guten Willen zeigen. Der wiederum ist ein geeigneter Grundstein für friedliche Verhandlungen.“ Der Bandenchef wog jedes seiner Worte genaustens ab, ehe er es aussprach. Bis jetzt hatte er noch keine Versprechen gemacht, die er nicht würde halten können. Er hatte sich nicht dazu bereit erklärt Raikon auszuliefern. Virus hatte lediglich zugestimmt, bei angemessenem Entgegenkommen Verhandlungen in Betracht zu ziehen. Nur wusste er nicht, ob Cyril diese kleinen Details ebenfalls aufgefallen waren. „Ich habe einen Schwerverletzten. Es scheint keine normale Wunde zu sein. Und ich weiß, dass es in Ihrem hübschen New Heaven Arzneien dafür gibt“, Virus sah den Älteren durchdringend an. „Bringen Sie mir etwas davon, so dass ich meinen Kollegen damit heilen kann. Wenn ich sehe dass es ihm besser geht, werde ich Ihnen den Transporter widerstandslos überlassen und auch persönlich bis vor die Pforten von New Heaven karren, wenn es sein muss.“ Nur den Transporter wohlgemerkt. Von Raikon war nach wie vor keine Rede gewesen. Aber immerhin hatte die Obrigkeit ja auch nur das Fahrzeug zurückverlangt. Cyril zeigte keine Regung, während er seinem Gegenüber aufmerksam zuhörte. Virus konnte nicht erkennen, was in dem Älteren vorging, während er über das Angebot nachdachte. Arzneien gegen den leeren Transporter. Sie wussten beide, dass das nicht der Handel war, den die Obrigkeit beabsichtigt hatte. Allerdings hatte Cyril es selbst gesagt – sein Boss hatte sich auch nicht präzise ausgedrückt. „Ich könnte natürlich, wenn ich wollte, nachfragen ob das ein mögchlier Vetrag wäre,“ ging der Fremde auf Virus’ Forderung ein. Er überschlug seine Beine um es sich bequemer zu machen, ehe er fortfuhr: „Aber Sie müssen bedenken, dass ich nicht das letzte Wort habe. Ich kann auch nicht einfach ins Forschungszentrum reinspazieren und mir mal eben nehmen, was ich gerne hätte. Das ist schließlich kein Selbstbedienungladen. Und ich schätze Sie können sich denken, dass dieser Bereich extrem gut abgesichert ist – und falls nicht, glauben Sie mir, ich weiß wovon ich spreche.“ Der Bandenchef wusste sehr genau, wovon Cyril sprach. Er kannte die Sicherheitsvorkehrungen innerhalb der Stadt. Und er kannte auch den Sicherheitsstandard bei M-Gene selbst. Besser wahrscheinlich, als sein Gegenüber es ahnen konnte. „Natürlich bin ich mir sehr wohl bewusst, dass Sie nicht das letzte Wort haben“, Virus lächelte abschätzig. „Und auch all die anderen Tatsachen sind mir bekannt.“ Der Bandenchef erhob sich. „Ich denke, dann ist alles gesagt, was gesagt werden muss.“ Er wartete, dass auch Cyril aufstand. „Sie werden entschuldigen? Ich habe noch genug zu tun. Ich begleite Sie noch zum Tor.“ Die Unterhaltung war beendet. Gemeinsam verließen sie die Hütte und Virus musste sofort blinzeln. Das Licht blendete ihn und er zog eine zerkratzte Sonnenbrille aus der Tasche, die er sich auf die Nase schob. Schweigend führte er seinen Gast durchs Lager. Einige seiner Leute warfen ihnen neugierige Blicke zu, aber keinen von ihnen stellte sich ihnen in den Weg. „Mir persönlich ist es völlig egal, was mit dem LKW passiert. Ich mache hier nur meinen Job“, Cyril ging neben dem Bandenchef her. Virus spürte seinen Blick auf sich. „Ich habe Ihnen gesagt, dass ich einen Versuch wagen werde. Aber ich garantiere für nichts.“ Virus hörte den Nachdruck in seiner Stimme. Und er glaubte Cyril. Der Ältere kam ihm vor wie ein ehrenhafter Mann, der zu seinem Wort stand. Er war sich sicher, dass Cyril tatsächlich nachfragen würde. Auch wenn es ein schlechter, aussichtsloser Handel war. „Sie sollten jetzt gehen.“ Sie hatten das noch immer offene Tor erreicht und Virus blieb stehen. Sein Blick ging zu den wartenden Fahrzeugen hinüber und schweifte weiter in Richtung Osten. Er konnte sie hören. Ihre schlurfenden Schritte, ihre fast tierischen Laute, das bedrohliche Knurren. Nur Sekunden später schleppten sich verdrehte Körper einen Hügel hinauf, kamen somit in Sichtweite. Es waren Zombies der gefährlicheren Sorte. Jene, die im Kampf nicht so schwerfällig und schwer auszutricksen waren. Cyrils Blick war dem des Bandenchefs gefolgt und er nickte jetzt. „Ich schätze, Sie werden alleine mit denen fertig,“ meinte er und wandte sich ab. Virus sah ihm nach, als er zu seinem Wagen hinüber ging und einstieg. Der Motor schnurrte, das Fahrzeug wendete und brauste davon. Der Bandenchef wandte sich ab. Ein Wink und man verschloss das Tor, ein Ruf genügte und seine Leute waren sofort auf dem Posten. Zusätzliche Waffen wurden verteilt, eine Vorhut versammelte sich beim Tor. Sie würden den Monstern entgegen gehen, sie außerhalb des Zaunes abfangen und versuchen, zurück zu schlagen. Und Virus wusste, dass es kein einfacher Kampf werden würde. Kapitel VI ---------- … VI Er hatte sowas von die Schnauze voll! Dieses ständige Rumliegen machte ihn noch ganz verrückt! In ihm kribbelte alles, die Verletzung juckte und pulsierte ekelhaft. Ständig zog es unangenehm, er konnte eigentlich nur auf dem Rücken halbwegs bequem liegen und so langsam tat ihm verdammt nochmal der Hintern weh. Das war doch alles eine Scheiße hier. Ban hatte genug. Er wollte sich beschweren und Virus volljammern. Aber sein bester Kumpel war gerade draußen unterwegs, obwohl er die vergangenen fünf Tage wirklich viel Zeit in der schummrigen Hütte verbracht hatte. Allmählich wurde Ban noch wahnsinnig. Und nichts würde ihn noch hier halten. Da war ihm sogar der Schmerz allmählich egal. Langsam und entgegen aller Trotzgedanken setzte er sich nur sehr vorsichtig auf. Er wartete, bis sich der Raum um ihn herum nicht mehr drehte, ehe er die Beine sachte über die Kante der Europaletten schob, die als Bettgestell dienten. Er stellte die Füße fest auf den Boden, während er sich mühsam erhob. Der Boden unter ihm schwankte wie ein bockendes Boot. Verdammter Mist. Ban atmete mehrmals tief durch. Ein tiefer Atemzug nach dem anderen. Langsam. Kontrolliert. Er setzte sich in Bewegung, seine Finger immer in Kontakt mit der Hauswand. Nur für den Fall der Fälle. Ein Schritt nach dem anderen. Eigentlich ging es ganz gut. Der Schmerz war vorhanden, aber auszuhalten. Jedenfalls halbwegs. Er war so konzentriert, dass es einen Moment dauerte, bis die Kampfgeräusche zu ihm durchdrangen. Die Warnrufe seiner Leute und die Kommandos die Virus rief. Das Brüllen und Knurren der Monster. Das Lager wurde angegriffen! „Scheiße“, fluchte Ban und beschleunigte seinen unsicheren Schritt etwas. Er hatte die Tür erreicht, zog sie auf und verließ seine Hütte, blieb draußen allerdings direkt wieder stehen. Ban sah sich um, versuchte die Lage zu peilen und sah schließlich Raikon auf sich zulaufen. Die junge Frau hatte einen Kratzer auf der Wange, schien ansonsten aber unverletzt. In der Hand hielt sie ein blutiges Messer, welches sie aber in ihren Gürtel steckte, als sie Ban erreichte. „Leg dich wieder hin“, ihr Tonfall klang bittend. Ban ließ es zu, dass sie sich seinen Arm um die Schultern legte, ihn somit etwas stützte. Sein Blick ging allerdings erneut in Richtung des Zaunes. Er sah seine Leute, wie sie das Lager verteidigten. Allen vorweg Virus, der sein Schwert schwang. Seine Haare flogen ihm offen ins Gesicht und seine Muskeln spannten sich bei jedem Schlag an. Es sah so leicht aus, wie er diese Monster niedermetzelte. Als ob er in seinem Leben nichts anderes gemacht hätte. „Virus und die anderen kommen zurecht. Du musst dich wieder hinlegen und gesund werden“, betonte Raikon noch einmal und legte ihm einen zierlichen Arm um die Hüfte. Einen Moment zögerte er noch, dann nickte er und ließ sich von ihr zurück in die Hütte bringen. Sie half ihm zum Bett zurück und gehorsam legte er sich wieder auf die Matratze. „Die Wunde darf auf keinen Fall aufbrechen“, redete Raikon weiter und richtete ihm dabei die Kissen im Rücken, so dass er wenigstens eine halb aufrechte Position einnehmen konnte. Kaum hatte er es bequem, machte sie sich daran Tee zu kochen. Irgendwie schon süß die Kleine. Ban beobachtete sie und ihm fiel ein, dass sie es gewesen war die ihn wieder halbwegs zusammengeflickt hatte. Natürlich, Virus hatte ihm so oft es ging Gesellschaft geleistet, aber die medizinische Versorgung war von Raikon ausgegangen. Die junge Frau hatte ihm die Verbände gewechselt und vorsorglich Medikamente gegeben. Sie hatte immer nach dem Rechten geschaut und sich um ihn gekümmert. „Danke“, sagte er also. Er war sich nicht sicher ob Virus in der Lage gewesen wäre ihn besser zu versorgen und er war froh darüber, dass Raikon sich dazu bereit erklärt hatte. Davon mal abgesehen konnte er wohl dankbar dafür sein, dass diese Metallkiste mit im geklauten LKW gewesen war. Das Teil stand inzwischen am Fußende seines Bettes. „Du hast keinen Grund dich zu bedanken“, Raikon schüttelte den Kopf. „Du hast mir das Leben gerettet. Wir sind quitt.“ Da war wohl was Wahres dran. Dennoch… „Ich hab nichts Besonderes getan. Jeder halbwegs vernünftige Mensch hätte dich aus dieser Truhe gefischt“, Ban zuckte mit den Schultern, verzog daraufhin aber direkt das Gesicht. Seine Wunde schmerzte. Sie juckte unangenehm und am liebsten wollte er sich den Verband runter reißen, die Fingernägel über diese Verletzung ziehen um diesen Juckreiz stillen. Wäre wohl keine so gute Aktion. Also versuchte er sich abzulenken. „Da wo ich herkomme, war so etwas wie Hilfsbereitschaft nicht üblich.“ Raikon zuckte mit den Schultern und kam zu ihm rüber. Sie stellte eine Tasse mit dampfenden Tee auf die kleine Ablage neben dem Bett und zog sich einen ramponierten Hocker heran, um sich darauf nieder zu lassen. Dafür das sie bis jetzt wohl nur wenig Hilfsbereitschaft erfahren hatte, war sie aber erstaunlich fürsorglich ihm gegenüber. Ban schwieg. Er griff nach der Tasse und trank den Tee, während er die junge Frau immer wieder musterte. Es war fast abstoßend wie hübsch sie war. Sie sah so endlos zerbrechlich aus, dass Ban sie am liebsten für immer von diesem Leid da draußen beschützen wollte. Sie hatte so viel durchgemacht und trotzdem war dieses fröhliche Funkeln in ihren Augen, wenn sie ihn ansah. Nach einiger Zeit seufzte Ban. „Ist es gefährlich, wenn ich an meiner Wunde kratze?“ Wahrscheinlich eine blöde Frage, aber es ließ ihm einfach keine Ruhe. Es war kaum mehr zu ignorieren. „Natürlich ist es das“, Raikon sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Sie stand auf, krabbelte zu ihm aufs Bett und kniete sich neben ihn auf die Matratze. Er stellte seinen Tee wieder ab und ließ zu, dass Raikon seinen Verband löste und langsam abzuwickeln begann. Ban sah zur Seite weg. Er wollte echt nicht wissen, wie die Wunde inzwischen aussah. Wenn sie optisch einen solchen Anblick bot, wie sie sich anfühlte, wäre das alles andere als gut. „Du darfst da auf keinen Fall dran kratzen, Ban“, Raikons Stimme klang mahnend, aber auch besorgt. Er wusste ja, dass sie Recht hatte. Aber das sagte sich so leicht. „Hast du ne Ahnung wie sich das anfühlt?“, beschwerte Ban sich leise. „Nein.“ Na immerhin gab sie ihm eine ehrliche Antwort. „Und auf eine solche Erfahrung kann ich auch getrost verzichten. Ich hab die Schnauze voll von den Parasiten.“ Nicht nur sie. Das hatten sie wohl alle. „Wie sieht’s aus?“, eigentlich wollte er die Antwort gar nicht wissen. Es machte ihn nervös. Irgendwie hatte er einfach die ganze Zeit das Bild im Kopf, wie kleine Würmchen aus dem Loch in seiner Brust ragten und an seinem blutigen Fleisch herum knabberten… Raikons schweres Seufzen machte es da auch nicht besser. „Es sieht ungesund und abnormal aus.“ Schon wieder war sie nur ehrlich, aber er hätte es sich gewünscht, das die Antwort etwas blumiger ausgefallen wäre. „Die Farbe macht mir Sorgen“, erklärte Raikon weiter und besah sich die Wunde. „Noch mehr macht es mir Sorgen, wie diese Wunde entstanden ist…“ Ban sah nun doch an sich herunter. Raikon hatte Recht. Die Verletzung sah alles andere als gesund aus. Obwohl sie gut versorgt worden war, hatte sie eine seltsame Färbung angenommen. Er konnte das bloße Fleisch erkennen und um die Wundränder herum hatte sich ein blasses Muster aus feinen Äderchen gebildet. Wenn er sich bewegte spannte die Haut und es sah aus, als würde seine Brust jeden Moment in der Mitte aufreißen. Er war Verletzungen gewohnt, doch diese hier war etwas ganz anderes. „Du kannst nur hoffen, dass die Obrigkeit sich trotz aller Unwahrscheinlichkeit auf ein Tauschgeschäft einlässt“, erklärte Raikon jetzt, während sie seine Wunde neu versorgte und ihm vorsichtig einen frischen Verband anlegte. Tauschgeschäft? Ban runzelte skeptisch die Stirn. „Was für ein Geschäft?“, wollte er wissen. Da hatte er wohl etwas Wichtiges verpasst, wie ihm schien. Und das nervte irgendwie. Da war man einmal außer Gefecht gesetzt – allein diese Tatsache war schon ätzend – und schon verpasste man alles, was sich außerhalb der Hüttenwände so abspielte. „Ein Mann aus New Heaven war hier“, begann Raikon ihm zu erklären. Ein Mann aus New Heaven in der Dead Zone? Ban traute seinen Ohren nicht, als er das hörte. Die Leute aus der Obrigkeit verließen sonst niemals die sicheren Städte. Schon gar nicht, um den Slums einen Besuch abzustatten. Normalerweise versuchten diese Leute wohl eher ihre Augen zu verschließen vor dem, was außerhalb der Stadttore lag… Er richtete sich etwas auf und stützte sich mit den Ellenbogen ab, auch wenn es wohl besser für ihn gewesen wäre flach zu liegen. Das Ziehen an der Wunde machte ihn darauf aufmerksam und Raikon würde das vermutlich auch gleich tun. Sie legte ihm wie erwartet direkt eine Hand auf die Schulter und drückte ihn sachte wieder in eine liegende Position. Eigentlich passte ihm das gerade gar nicht, aber er ließ es trotzdem mit sich machen. „Sein Name ist Cyril“, erzählte die junge Frau dabei weiter. „Man hat ihn geschickt, weil man den Transporter zurückhaben will, den ihr geklaut habt.“ „Wohl eher, weil sie dich zurückhaben wollen“, platzte es sofort aus Ban heraus. Raikon sah ihn an, schien einen Moment nachzudenken, nickte dann aber. „Wahrscheinlich.“ Sie zuckte mit den Schultern. Der Anflug von Wut stieg in Ban auf. Er würde nie verstehen, warum die Menschen bei M-Gene so handelten. Das war doch der pure Wahnsinn! „Der Mann war seltsam.“ Raikon setzte sich etwas bequemer hin und zog sich einen Zipfel von Bans Decke über die Beine. „Er sagte, sein Boss hätte sich nicht präzise ausgedrückt. Bei seinen Anweisungen war nur die Rede vom Transporter selbst gewesen, nicht von der Fracht. Virus hat darauf aufgebaut. Er hätte das Fahrzeug jederzeit wieder hergegeben, verlangte im Gegenzug aber Medikamente.“ Ban schnaubte. Absoluter Unsinn! „Warum sollten die Leute von M-Gene das tun? Ein leeres Fahrzeug hat für sie keinerleih Wert. Es ist doch wohl vollkommen klar, dass das ein unsinniger Handel ist.“ „Natürlich ist es das. Aber Virus wollte es wenigstens versuchen. Und ich traue diesem Cyril fast zu, dass er es seinem Boss gegenüber so auslegt, dass der wiederum auf den Handel eingeht.“ „Wohl kaum.“ Ban schüttelte den Kopf. Virus war verrückt, wenn er tatsächlich glaubte, dieser Cyril würde ihm weiterhelfen. Er selbst war jedenfalls skeptisch und das würde sich auch nicht so schnell ändern. Die dort oben wollten doch alle nur haben, haben, haben. Vermutlich hätten die noch ihren Spaß daran zu sehen, wie die Slums komplett verschwänden. „Virus wollte einfach Medikamente für dich. Alles andere war ihm egal. Er hätte auch das komplette Frachtgut wieder zurück gegeben wenn es hätte sein müssen“, Raikon lächelte. „Du hast wirklich einen guten Freund. Das ist beneidenswert...“ „Ja, er ist klasse...,“ stimmte Ban ihr direkt zu und klang dabei hoffentlich nicht zu schwärmerisch. Er schloss erneut die Augen. Diese Schmerzen machten ihn fertig. Und diese Übelkeit erst... Die Situation bedrückte ihn. Virus’ Forderung nach Arzneien begründete sich nur auf seinen, Bans, Zustand. Und das wollte ihm nicht so recht gefallen. Die Tatsache, dass sein Freund alles gegeben hätte, nur um ihm irgendwie helfen zu können, ließ ihn sich schlecht fühlen. Noch schlechter als ohnehin schon. „Wenn du mir nen Gefallen tun willst... stell mir einen Eimer neben die Matraze,“ bemerkte er jetzt und fasste sich an den Kopf. Man konnte ja nie wissen... Die junge Frau stand sofort auf. Ban behielt die Augen geschlossen und lauschte ihren Schritten. Sie durchquerte die Hütte und er hörte, wie sie nach einem Blecheimer griff, um diesen neben das Bett zu stellen. „Danke“, murmelte er also. „Ruh dich aus“, erwiderte Raikon. „Schlaf am besten einfach.“ Er hatte in den vergangenen fünf Tagen nichts anderes getan, als zu versuchen zu schlafen. Allerdings eher weniger erfolgreich. Der Schmerz hielt ihn wach. Das Kribbeln unter seiner Haut machte ihn nervös. Keine Chance mal abzuschalten. „Ich schätze Virus wird nachher nochmal zu dir kommen“, erzählte die junge Frau jetzt weiter. „Allerdings hab ich ihm gesagt, er solle sich vorher selber nochmal hinlegen.“ Stimmt… Auch Virus war die vergangenen Tage etwas angeschlagen gewesen. Man hatte ihm die Müdigkeit angesehen und Ban hatte ihm schon öfter gesagt, er solle sich einfach mal hinlegen und pennen. Aber sein Kumpel hatte nicht so richtig auf ihn gehört. „Du bist noch nicht mal eine Woche hier und kommandierst uns schon rum“, scherzte Ban und grinste dabei. Raikon lachte. Es klang schön in seinen Ohren. Wenn sie so war, war sie ihm wirklich symphatisch. Ganz anders noch als vor ein paar Tagen. Scheinbar hatte sie ihren ersten Schrecken überwunden und sich so langsam eingelebt. „Brauchst du denn noch irgendwas?“, hörte er Raikon nachhaken. „Eine Tafel Schokolade wär nicht übel…oder ein Bier.“ Ban grinste. Es war einfach die erste, dämliche Antwort, die ihm auf ihre Frage eingefallen war. Schokolade und Bier hatte er seid Jahren nicht mehr genießen können. Solche Dinge waren der pure Luxus. Er hörte wie Raikon sich in Bewegung setzte und öffnete irritiert die Augen. „Hey! Wo willst du denn-“ Aber es war zu spät. Die junge Frau war schon aus der Hütte gehuscht und Ban konnte ihr nur verdattert nach sehen. Hatte er etwas falsches gesagt? Er hatte doch nur einen Witz gemacht! Er wartete. Und spürte, wie sich dieses Jucken wieder bemerkbar machte. Ban gab einen genervten Laut von sich und versuchte an etwas anderes zu denken. Zum Glück öffnete sich nur einen Moment später wieder die Tür und Raikon schlüpfte zurück in die Hütte. „Wo warst du!?“ Ban runzelte die Stirn, als er das breite Grinsen auf ihren Lippen sah. Was hatte die Kleine denn nun schon wieder angestellt!? Raikon setzte sich erneut neben ihn auf die Matratze und legte ein Bündel vor sich ab. Er beobachtete, wie sie den Stoff zur Seite schlug und den Inhalt neben sich ausbreitete. Tatsache kamen zwei Flaschen und eine Schachtel zum Vorschein. Ban staunte nicht schlecht. Das Mädel hatte doch tatsächlich Bier und Schokolade aufgetrieben. Genauer gesagt Pralinen, wenn er das richtig sah. „Was zum…?“ Raikon lachte wieder. „Luxusgüter aus dem LKW“, grinsend sah sie ihn an. Und am liebsten hätte er das Mädchen jetzt geknutscht. Das konnte doch echt nur ein Traum sein! „Du bist ein Engel…“ Er beobachtete, wie Raikon sich eine der Flaschen griff und sie kurzerhand mit den Zähnen öffnete. Ban grinste staunend und nahm das Bier dankend entgegen. Die Flasche war kühl. Eigentlich hatte er echt nur einen dummen Witz machen wollen. Das Raikon direkt loshüpfte und tatsächlich diese Luxusgüter besorgte, hätte er niemals gedacht. Er hatte nicht mal gewusst, dass solche Dinge ebenfalls zum geklauten Gut gehört hatten. Ein bisschen mühsam setzte Ban sich wieder auf. Die Wunde brannte dabei schmerzhaft, aber er versuchte es zu ignorieren und eine halbwegs bequeme Position zu finden. Schließlich hielt er Raikon die geöffnete Flasche etwas entgegen, proteste ihr zu und ließ ein „Auf die Slumbewohner“ verlauten. „Lieber auf deine Gesundheit“, erwiderte sie direkt und schenkte ihm ein hübsches Lächeln. Ban zuckte mit den Schultern und trank. Und es war das beste, was ihm seid Monaten passiert war. Kühles, prickelndes Bier rann seine Kehle hinunter. Es kribbelte in der Nase und er gab einen genüsslichen Laut von sich. Ein Traum. Absolut ein Traum. „Ich freue mich, wenn ich dir etwas Gutes tun kann.“ Raikon hatte Ban beim Trinken zugesehen und legte jetzt den Kopf etwas schief. „Immerhin warst du es, der mich aus dieser Truhe gefischt hat.“ Das würde sie ihm wohl nie vergessen. Aber wenn sie sich unbedingt bedanken wollte, würde Ban sie garantiert nicht davon abhalten. Nicht, wenn Bier und Pralinen dabei für ihn raussprangen! Er nahm noch einen Schluck und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Raikon die Schachtel öffnete. Zu Tage kamen handgemachte Luxuspralinen. Der pure Wahnsinn. Am liebsten wollte Ban sie sich alle gleichzeitig in den Mund stopfen. Aber er hielt sich zurück. Sowas musste genossen werden. Raikon griff sich eine der süßen Verführungen und biss davon ab. Es war wirklich amüsant sie dabei zu beobachten. Ihr Blick drückte die totale Neugierde aus, als sie die Praline musterte, während sie sich die andere Hälfte auf der Zunge zergehen ließ. Schließlich schloss sie genießend ihre Augen und Ban lachte leise. Scheinbar schmeckte es. „Einer von der Obrigkeit müsste man sein“, Raikon hatte inzwischen runtergeschluckt und seufzte auf. Ban nickte bestätigend, nahm sich ebenfalls eine der Pralinen und kaute sie zufrieden. Sie schmeckte noch besser, als er gedacht hätte. Die Schokolade zerschmolz einem auf der Zunge. Es hatte einen nussigen Nachgeschmack, den Ban wirklich mochte. „Wo kommst du eigentlich her?“, fragte er jetzt aber und trank noch einen Schluck. Bier. So richtiges, echtes Bier. Viiiiieel besser als das dämliche Regenwasser sonst immer. Er sah, wie Raikon unruhig etwas hin und her rutschte. Ban runzelte die Stirn und sah sie an. Sie wich seinem Blick aus, sah zur Seite weg und zuckte mit den Schultern. „Nicht von hier“, war schließlich ihre Antwort. Es klang total ausweichend. „Ah...,“ machte er nur und entschloss sich dazu, nicht weiter auf diesem Territorium zu wandeln. Er wusste schließlich selbst nur zu gut wie unangenehm es sein konnte, wenn man dazu genötigt wurde über etwas zu sprechen, das niemanden etwas anging. Die nächste Praline war des Todes. Der Geschmack war wirklich einmalig. Süß und lecker. Aber wenn Raikon schon nicht sagen wollte woher sie kam... „Wie alt bist du eigentlich?“, fragte er und neigte den Kopf etwas zur Seite. Ihr Alter war schwierig zu schätzen, weil sie so hübsch war und etwas puppenhaftes an sich hatte. „Uhm...ich?“ Na wer denn sonst? War doch sonst niemand hier, mit dem er sprechen konnte. Raikon sah ihn wieder an, überlegte offensichtlich und sah einen Moment tatsächlich ratlos aus. Sie schob sich noch eine Praline in den Mund ehe sie anfing, leise an ihren Fingern irgendetwas abzuzählen. Ein seltsamer Anblick, doch es hatte auch etwas kindliches und wirkte ein Stück weit... niedlich. „Herrje…,“ seufzte sie schließlich leise. „…schon zwanzig!“ Sie verzog das Gesicht, nickte und sah Ban wieder an. „Ich müsste jetzt zwanzig sein.“, erklärte sie noch einmal etwas sicherer. „Und du?“ Auf diese Gegenfrage lächelte er nur. „Älter“, war alles, was er dazu sagte. Gut, das war nicht geade eine präzise Antwort und vielleicht auch ein wenig unfair, doch auch er konnte sich um Antworten drücken, da war Raikon nicht die einzige. Nicht, dass ihm etwas an seinem Alter nicht passte, doch ein bisschen mysteriös durfte man wohl noch sein. Raikon schob die Unterlippe vor und gab einen beleidigten Laut von sich, der Ban zum Lachen brachte. Er musste zugeben, dass ihm ihre Gesellschaft inzwischen doch zusagte. Wenn sie so zutraulich war, war es einfach sich mit ihr zu unterhalten. „Schmeckt das?“ Ihre Augen sahen neugierig auf die Flasche in seiner Hand. Großzügig hielt er sie ihr entgegen. „Probier doch mal“, schlug er vor. Sie griff danach und nahm einen Schluck, verzog allerdings sofort das Gesicht und hustete. „Baaaah….das kribbelt in der Nase! Und es ist bitter“, angewidert gab sie ihm die Flasche zurück. Ban grinste schon wieder. Da blieb wohl mehr für ihn! „Wie kann man sowas trinken!?“ Raikon hatte immernoch das Gesicht verzogen. „Ach, ich mags!“ Er streckte den Arm aus und wollte die halb geleerte Flasche neben sich abstellen, zuckte aber zusammen. Schmerz schoss ihm durch den Oberkörper und brachte ihn dazu gequält aufzukeuchen. „Scheiße…“ Die Flasche war seinen Fingern entglitten und rollte über den Boden. Ban atmete tief durch und tastete sich über den Verband. Es fühlte sich seltsam an… „...!?“, Bans Zeige- und Mittelfinger tasteten vorsichtig die Bandage ab. Hatte sich da eben etwas gegen seine Fingerkuppe bewegt? Er wartete ab und tastete weiter. Nichts passierte. Es brannte einfach nur fürchterlich. Raikon biss sich auf die Unterlippe, beugte sich vor und sah ihn an. „Es ist bestimmt nichts“, versuchte sie ihn zu beruhigen, aber er glaubte ihr nicht. Dazu sah sie zu besorgt aus. Ban wurde schlecht. Das ganze beunruhigte ihn sehr, doch er versuchte nicht in Panik zu geraten. Er musste sich vorstellen, was alles passieren konnte... Parasiten. Das wäre etwas wirklich beunruhigendes. Mit einem unguten Gefühl dachte er an diese Monster da draußen. Widerlich, schlimmer als alles andere. Parasiten… Das Übelkeit erregendste war, dass sie so winzig waren. Man konnte einfach nichts gegen sie machen – es seidenn man war im Besitz bestimmter Medikamente, doch selbst das war nicht immer eine Lösung. Ban hoffte inständig, dass es sich schlimmer anfühlte, als es war. Vielleicht begann er auch langsam sich Dinge einzubilden… „Ban…“ Raikons Stimme klang richtig zittrig vor lauter Sorge. Ban sah sie an, sah den Ausdruck in ihren Augen und wollte sich am liebsten übergeben. Er wusste, was kommen würde. Er hatte es die ganze Zeit gewusst. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass du infiziert wurdest…“ Das war der Satz, vor dem er am meisten Angst gehabt hatte. Sein Magen krampfte sich zusammen, hinter seinen Schläfen pochte es schmerzhaft. „Sag es ihm nicht,“ bat er auf einmal und völlig ohne Zusammenhang. Virus sollte noch nichts erfahren. Schließlich war ja noch nicht viel passiert und Ban wollte ihn nicht noch mehr in Besorgnis bringen. „Ich muss es ihm nicht sagen“, antwortete Raikon aber direkt und seufzte dabei auf. „Virus geht bereits davon aus, dass irgendwas in dieser Wunde ist. Er sitzt ständig in seiner Hütte und zerbricht sich den Kopf darüber, wie er nach New Heaven rein kommt. Er hat wohl schon eine Idee, aber er wird unwirsch und grob, wenn man danach fragt.“ Hatte er es doch gewusst… Virus würde wohl alles tun, um an die nötigen Medikamente zu gelangen – für den Fall, dass dieser Cyril ihm nicht entgegen kam. Und er konnte nur hoffen, dass sein bester Freund sich nicht irgendeinen Mist ausdachte. Und wenn doch, dann sollte er es wenigstens nicht voreilig alleine durchziehen. Allein die Vorstellung davon, was alles passieren konnte… Ban wollte nicht, dass Virus seinetwegen Dinge tat, die er im Nachhinein bereuen könnte. „Leg dich hin“, bat Raikon ihn jetzt wieder und er gehorchte. Und da lag er nun wieder. Jeder Millimeter seines Oberkörpers schmerzte. Jede Bewegung war eine Qual. Er fühlte sich, wie ein Sterbender… Wahrscheinlich war er das auch. Eine solche Verletzung war hier draußen ohnehin schon riskant. Aber mit der ziemlich sicheren Gewissheit einer Infektion, war es sein pures Todesurteil... Kapitel VII ----------- … VII Stunde um Stunde saß er am Bett seines besten Freundes. Er beobachtete ihn, wachte über seinen Schlaf. Ban war unruhig, aber Virus konnte es ihm nicht verdenken. Der Bandenchef seufzte auf und erhob sich von der unbequemen Holzkiste. Er selbst hatte die vergangenen Tage nur wenig Ruhe gefunden und das sah man ihm an. Ruhigen Schrittes verließ Virus die kleine Hütte. Draußen herrschte dämmriges Licht. Das Lager erwachte langsam und nur wenige waren schon auf den Beinen. Sie hatten alle eine harte Nacht hinter sich. Ein weiterer Angriff war zurückgeschlagen worden. Ein weiteres Opfer war gefallen. Virus’ selbst hatte seinem Freund und Kollegen die Kugel in den Kopf gejagt. Der Schuss war wohlgezielt gewesen und hatte die schrecklichen Schmerzensschreie beendet… Wie grausam es doch sein musste, in die Hände dieser geistlosen Kreaturen zu fallen. War man einmal in ihren Fängen, gab es kein Entrinnen mehr. Virus hatte schlimmeres nur verhindern wollen, hatte seinem Freund die größten Qualen erspart und ihn erlöst. Er musste daran denken, dass Ban beinahe das selbe Schicksal ereilt hätte. Nur sehr knapp war Virus bester Freund den zerreißenden Klauen dieser Kreaturen entronnen. Und selbst jetzt war seine Rettung noch nicht vollkommen… Hoffnungslosigkeit hatte sich im Lager ausgebreitet. Einmal mehr musste Virus alles daran setzen seine Schützlinge erneut auf die Beine zu ziehen. Das war seine Aufgabe. Er hatte inzwischen einen Beschluss gefasst. Pläne waren geschmiedet, auch wenn sie noch nicht so ausgereift waren, wie Virus das gern gehabt hätte. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Er würde wohl oder übel improvisieren müssen. „Guten Morgen“, wurde er freundlich begrüßt. Virus wandte sich um, sah den jüngeren an und nickte ihm zu. Sie gingen ein paar Schritte nebeneinander her, während der Bandenchef sich auf den neuesten Stand bringen ließ. Es hatte keine weiteren Angriffe mehr gegeben. Ihren gefallener Freund und Kollegen war beerdigt worden, so wie es sich gehörte. Ruhe war eingekehrt. Die Wachen befanden sich auf ihren Posten, alles war still. Das hieß…fast alles. Virus lauschte auf. Er hörte das Rollen herankommender Reifen und das Surren eines Motors. Auch wenn er so früh noch nicht damit gerechnet hatte, konnte er sich denken, wer sie da besuchen wollte. Sein Blick wandte sich zum Zaun. Ein Wagen tauchte hinter einer Ruine auf, näherte sich rasch und kam somit in Sichtweite. Das schwarz lackierte Fahrzeug rollte über den sandigen Boden und kam wenige Meter vor dem Zaun der Slums zum stehen. Virus stand bereits am Tor. Er beobachtete, wie niemand anderes als Cyril aus dem Fahrzeug stieg und sich schlendernd näherte. Dieses Mal war er komplett ohne Begleitung, dennoch nicht weniger selbstbewusst. Den Mann schreckte es keineswegs ab, dass mehrere Waffen auf ihn gerichtet waren. Mit einer ihm ganz eigenen Lässigkeit kam er bis ans Tor heran, blickte Virus an und wartete. Der Bandenchef erwiderte diesen Blick und gab schließlich das Zeichen, dem Besucher zu öffnen. Der Maschendraht schepperte als das Tor aufgezogen wurde. Als sich der Staub legte, war ein kühles Lächeln auf Cyrils Lippen zu sehen. Das allein genügte Virus eigentlich. Er wusste welche Neuigkeiten man ihm bringen würde, hatte ohnehin bereits damit gerechnet. Dennoch bedeutete er seinem Gast ihm zu folgen, führte ihn still zu einer Hütte und bot ihm einmal mehr den einzigen Stuhl an. „Was verschafft mir die Ehre?“, fragte er ruhig. „Haben Sie vergessen? Sie wollten verhandeln,“ erinnerte Cyril ihn. „Ich hab es nicht vergessen. Nur hätte ich nicht gedacht Sie tatsächlich nochmal wiederzusehen“, Virus zuckte mit den Schultern und setzte sich seinem Besucher gegenüber auf eine Kiste. Er war müde und hatte Kopfschmerzen und hatte eigentlich keine Lust auf eine Unterhaltung mit diesem Kerl. „Ich hab nachgefragt. Wie Sie sich denken können war mein Boss nicht sehr begeistert von der Idee Medikamente in die Slums bringen zu lassen.“ „Ich kann mir vorstellen, dass ihr Boss nicht gerade begeistert war“, der Bandenchef grinste abfällig. „Allerdings...würde er sich dazu bereit erklären, wenn er noch etwas anderes im Austausch erhalten würde“, Cyrils Blick war ernst. Er wusste, dass er nichts zu verlieren hatte. Ein leerer LKW war für seine Leute wertlos. Für Virus hingegen stand hier viel mehr auf dem Spiel. „Er sucht noch ein paar Freiwillige,“ erklärte er also. Wobei mit ‚Freiwillige’ lediglich Menschen gemeint waren, die man für Experimente benutzen konnte. „Freiwillige hm?“ Virus runzelte die Stirn. Sein Blick war finster. Überraschen tat ihn diese Forderung nicht. „Wenn Sie bereit sind ein paar Menschen zu stellen wäre mein Boss bereit, für den Rest etwas springen zu lassen. Und bevor Sie mir wieder dumm kommen: Ich hab mir das nicht ausgedacht.“ „Wofür genau, wie viele und was würde mit ihnen passieren?“, fragte Virus, obwohl er nicht vor hatte auch nur einen seiner Schützlinge irgendeinem verrückten Professor auszuliefern. „Vier, fünf?“, war die simple Antwort. Scheinbar hatte Cyril den abfälligen Blick seines Gesprächspartners registriert, denn um seine Lippen spielte ein amüsierter Zug. „Was mit ihnen gemacht wird weiß ich nicht. Ich bin nicht befugt über dieses Wissen zu verfügen,“ erklärte er. „auch wenn sich das dämlich anhört.“ „Sie sind nicht befugt über dieses Wissen zu verfügen?“, wiederholte Virus und runzelte die Stirn. „Sie haben Recht. Das hört sich dämlich an.“ Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn Sie sich entschieden haben, lassen Sie es mich wissen. Wahrscheinlich werden Sie niemanden opfern wollen, aber wenn Ihnen das Wohl der Gesamtheit weniger wert ist...“ Eigentlich war es ein unsinniges Gespräch. Sie wussten beide, dass Virus versuchen würde sich die benötigten Medikamente mit Gewalt zu holen. Er konnte in Cyrils Augen sehen, dass dieser ihm einen Erfolg allerdings nicht zutraute. Doch der Ältere wäre nicht der erste, der ihn unterschätzte. Scheinbar hatten die Leute aus New Heaven noch immer nicht dazu gelernt. „Der Vorschlag Ihres Bosses klingt ebenfalls dämlich“, Virus erhob sich. „Ich denke Sie kennen meine Antwort.“ Er musste es nicht aussprechen. Es war deutlich, dass er ablehnte. Niemals würde er einen seiner Schützlinge freiwillig opfern. Niemals. „Wie Sie meinen,“ mit diesen Worten stand auch Cyril auf. „Ich begleite Sie zum Tor.“ Das Gespräch war beendet und die Pläne in Virus’ Kopf hatten sich einmal mehr ein weiteres Stückchen gefestigt. Der Bandenchef würde es zu nutzen wissen, dass man ihn nach wie vor unterschätzte. Die Verhandlungen waren für Außenstehende vielleicht erfolglos gewesen, Virus selbst hatte aber einige Schlüsse daraus ziehen können. Seltsamerweise hegte er keine direkte Abneigung gegen Cyril. Der Mann hatte etwas irritierendes an sich. Unnahbar, emotionslos aber nie direkt ablehnend. Eine Mischung, die Virus vorsichtig werden ließ, weil er den Älteren nicht richtig einordnen konnte. Er war sich fast sicher, dass sie sich heute nicht zum letzten Mal gesehen hatten. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“ Virus lachte kühl. „Das glaube ich Ihnen sogar.“ Sie hatten das Tor erreicht. Man öffnete Cyril, welcher dem Bandenchef noch ein nichtssagendes Läclen zuwarf, sich abwandte und ging. Virus beobachtete noch, wie er in seinen Wagen stieg und davon fuhr. Cyril… Ein Mann, den er mit Sicherheit im Auge behalten würde. Drei Tage später herrschte wieder der übliche Alltag. Tägliche Kämpfe, knappe Essensrationen, kleinere Streitereien untereinander, aber ab und an auch das ein oder andere Späßchen unter Freunden. Die Moral im Lager stieg. Virus hatte alle Bewohner der Lagers damit überrascht, dass er gute Kontakte nach New Heaven hegte. Kontakte, von denen bisher keiner gewusst hatte, die ihnen aber nützlich werden konnten und allen Bewohnern der Slums Hoffnung auf ein bisschen Hilfe und Unterstützung machten. Es war keine zwei Tage her, als ein Bote aus der Stadt vor dem Haupttor der Slums stand. Virus hatte eine kurze Unterhaltung mit dem Besucher geführt, dann war der Fremde wieder verschwunden. Eine weitere Unterhaltung hatte es am folgenden Tag gegeben und die Neugierde der Slumbewohner war spätestens jetzt restlich geweckt. Auf direkte Fragen ging Virus allerdings nicht ein. Er erklärte simpel, dass besondere Umstände eben nach besonderen Lösungen verlangten und sie sich in einer solchen Situation befanden. Vorallem, dass Ban sich in einer solchen Situation befand. Sein bester Freund lag inzwischen wieder in seiner eigenen Hütte. Virus hatte die Ruhe gebraucht, um Pläne zu schmieden und Dinge vorzubereiten. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, einen Großteil seiner freien Zeit bei Ban am Bett zu verbringen und auf ihn aufzupassen. Eigentlich war es Zufall, dass der Bandenchef ausgerechnet jetzt gerade mal nicht bei Ban war. Dementsprechend überrascht war er, als sein bester Freund ihm jetzt entgegen kam. Einen Moment war Virus sichtlich perplex, dann holte er aus und verpasste seinem besten Freund kurzerhand eine Kopfnuss. Natürlich nicht so schlimm, dass es ihm ernsthafte Schmerzen bereiten würde. „Kannst du mir mal sagen, was du hier treibst!?“ zischte er und sein Blick verfinsterte sich. Ban verdrehte die Augen übertrieben und verschränkte die Arme vor der Brust. „Virus mein Freund,“ begann er. „mir geht’s wunderbar!“ Ein Nicken bekräftigte seine Aussage. „Ban!“ Virus’ Tonfall wurde mahnend. „Du solltest nicht hier draußen rumlaufen! Wie kommst du überhaupt auf die Idee einfach aufzustehen, du Hohlbirne!?“ „Ich weiß, du machst dir nur Sorgen. Und du willst nur, dass es mir gut geht und so weiter,“ Ban klang beinahe gelangweilt. Er machte eine abwinkende Geste mit der Hand und verschränkte dann wieder die Arme. „aber auch ich kann nicht tagelang auf einer kaputten Matratze liegen, ohne dass mein Rücken abstirbt!“ „Du machst mich wahnsinnig!“, Virus knurrte, zwang sich aber zur Ruhe. Es war ohnehin selten, dass man ihm seine Sorge derart ansehen konnte. Eigentlich passierte ihm das auch nur bei Ban. Dieser wiederum nahm den dezenten ‚Wutausbruch’ seines Freundes einfach so hin. Die beiden setzten sich in Bewegung und schlenderten in Richtung der Hütten. Virus nach wie vor sichtlich besorgt, während Ban versuchte betont lässig zu sein. Obwohl er eindeutig noch etwas unsicher auf den Beinen war. „Du hast keinen Grund mit mir zu schimpfen,“ der Jüngere warf dem Bandenchef einen Seitenblick zu. „Mir is nämlich grad zu Ohren gekommen, das du selbst gestern Nacht das Lager verlassen hast. Das is ja wohl viel schlimmer als mein Beine vertreten.“ Virus runzelte die Stirn. Ban war seiner Meinung nach viel zu gut informiert. „Ich wollte nur einen Spaziergang machen.“ Eine Lüge und das wussten sie beide. Bans Blick wurde abfällig. Er schnaubte, sah den Älteren noch einmal durchdringend an und brachte Virus dazu aufzuseufzen. „Ich musste etwas abholen,“ der Bandenchef versuchte es mit der Wahrheit. Er sah die Irritation in Bans Gesicht, die stumme Frage in seinem Blick. „Medikamente für dich.“ Ban blieb stehen und blickte Virus an. Man sah ihm die Überraschung an. Er konnte sich denken, dass es nicht einfach gewesen war, an derartige Medikamente zu gelangen. Und eigentlich wollte er auch gar nicht wissen, wie viel sein bester Freund hatte riskieren müssen, um zu bekommen was er wollte. „Es wird die Parasiten nicht vollends abtöten. Aber es wird helfen und dich wieder halbwegs zu Kräften kommen lassen,“ erklärte Virus. Seine Stimme klang ruhig. „Es ist immerhin ein Lichtblick.“ Das Mittel würde verhindern, dass sein bester Freund an der Infektion starb. Auch wenn es keine vollkommene Heilung geben würde. Noch nicht… „Wo hast du das Zeug her?“ Ban verlangte eine Erklärung. „Sag mir jetzt nicht, dass du nach New Heaven gegangen bist.“ „Ich wäre schnurstracks nach New Heaven gestiefelt, wenn es Not getan hätte.“ Virus Stimme klang sehr fest. „Aber es war nicht nötig. Wir haben einen Verbündeten in der Stadt.“ Eine Information, die Ban bereits kannte. Immerhin hatte Virus schon des Öfteren Nachrichten von eben jenem Verbündeten erhalten. Erst vor kurzem hatte der Bandenchef zum Beispiel den Rat befolgt den LKW zu überfallen. Aber Ban hätte nicht damit gerechnet, dass sie über diesen Kontakt auch an Medikamente kommen konnten. „Ich kann den Kerl noch nicht so ganz einordnen,“ Virus setzte sich wieder in Bewegung und Ban folgte ihm. „Er lässt mir des Öfteren Informationen zukommen. Aber persönlich getroffen habe ich ihn noch nie. Er schickt mir Boten.“ Sie hatten die Hütte des Bandenchefs erreicht und traten ein. „Dieses Mal gab es eben Medikamente. Ich musste mir nicht mal die Finger dafür schmutzig machen, also guck nicht so kritisch.“ So ganz ehrlich war er nicht. Alles hatte seinen Preis und Ban würde sich das denken können. Virus hoffte einfach, dass der Jüngere jetzt keine Szene machen würde. Ban ging zum Bett hinüber und setzte sich auf die Kante. Virus ging noch einmal hinaus, rief einen der Jüngeren draußen zu sich und ließ nach Raikon schicken, ehe er zurück in die Hütte kam. „Vielleicht solltest du die nächsten Tage wieder hier schlafen,“ schlug der Bandenchef ruhig vor, während er zur Feuerstelle hinüber ging und sich daran machte Holz aufzustapeln. „Mein Bett ist viel bequemer als deins. Keine Stahlfedern und noch nicht so durchgelegen.“ „Für den Boss eben nur das Beste!“ Ban grinste. „Nenn mich nicht so,“ der Bandenchef sah düster zu seinem Freund rüber. Er hasste es, wenn man ihn so nannte. Zum Glück war Ban der einzige, der sich das traute. Und das meistens auch nur dann, wenn er Virus ärgern wollte. „Aber wenn du willst, kannst du auch weiter in deiner eigenen Hütte schlafen. Mal sehen was dein Rücken dazu sagt.“ „Nein, nein!“ Ban winkte ab, verzog bei der hektischen Bewegung aber flüchtig das Gesicht. Schnelle Bewegungen verursachten stechenden Schmerz. Er versuchte es zu ignorieren. „Ich nehm dein Angebot an.“ „Unmoralische Angebote, schon so früh am Morgen?“ Lächelnd betrat Raikon die Hütte. Sie sah müde aus, aber allmählich erholte sie sich von ihrer leichten Grippe. Inzwischen hatte sie sich etwas eingelebt und war zutraulicher geworden, auch wenn sie den anderen gegenüber noch immer etwas vorsichtig war. „Gut, dass du da bist.“ Virus hatte inzwischen ein Feuer in Gang gebracht und erhob sich jetzt. Er ging zu seinem ramponierten Schreibtisch rüber und griff nach dem dort liegenden Päckchen. „Hier,“ er hielt es Raikon hin. „Medikamente für Ban. Kannst du damit etwas anfangen?“ Eine Gebrauchsanweisung hatte er dafür leider nicht bekommen. Die junge Frau nahm das Päckchen entgegen und öffnete es, um eine große Spritze zu Tage zu fördern. Dazu eine Art Kapsel, welche mit einer ungesund aussehenden Flüssigkeit gefüllt war. „Woher hast du das?“ „Unwichtig.“ Virus hoffte einfach, dass es helfen und sein bester Freund jetzt keinen Unsinn machen würde… Ban war blass geworden. Er hatte sich komplett angespannt, sein Blick starr auf diese Spritze gerichtet, die Raikon eben aus der Schachtel nahm. Unbewusst war er aufgestanden, jederzeit bereit zur Flucht. Etwas, womit Virus schon gerechnet hatte. Der Bandenchef hatte sich absichtlich so postiert, dass Ban an ihm vorbei musste, wenn er die Hütte verlassen wollte. Der Bandenchef wusste um die Phobie, die sein bester Freund gegen jegliche Art von Nadeln hegte. „Ihr wollt mich doch verarschen…“ Ban machte einen Schritt in Richtung Tür. „Setz dich hin Ban,“ Virus seufzte auf. Er ging zu dem Jüngeren rüber und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Stell dich jetzt bitte nicht so an.“ Wahrscheinlich war das leichter gesagt, als getan. Der Bandenchef zwang Ban dazu auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Er selbst postierte sich hinter ihm, die Hände immer auf den Schultern des Anderen, um ihn festzuhalten. Normalerweise hätte Ban keine Probleme damit sich gegen einen solchen Griff zu wehren. Aber er war angeschlagen, also würde Virus keine großartigen Probleme bekommen falls es nötig werden würde den ‚Patienten’ mit Gewalt still zu halten. „Oh Gott…,“ murmelte Ban panisch. Ein Tonfall den man eigetnlich nicht von ihm kannte und der auch so gar nicht zu ihm passte. „Ich spritze sehr gut.“ Raikons Stimme klang beschwichtigend. Sie drehte Ban einen Moment den Rücken zu, damit dieser nicht sehen konnte wie sie die Kapsel in die Halterung der Spritze einsetzte und festschraubte. Erst dann kam sie vorsichtig näher und vergewisserte sich, dass Virus’ seinen Griff noch etwas verstärkte, ehe sie an Ban heran trat. Raikon drückte seinen Kopf sachte etwas zur Seite und hörte, wie Ban zischend einatmete. Eine Injektion direkt in den Hals. Eine Tatsache, die für jemanden wie Ban wahrscheinlich der blanke Horror war. Virus konnte sich denken, dass sein Freund ihm jetzt wahrscheinlich am liebsten beide Arme brechen würde, nur um hier weg zu kommen. Er konnte spüren, wie Ban versuchte zur Seite auszuweichen, aber er hielt ihn fest. Die Nadel wurde gesetzt, die Flüssigkeit ganz langsam injiziert. Langsam und vorsichtig zog Raikon die Nadel schließlich wieder heraus und trat zurück. Virus wartete, bis sie außerhalb von Bans Reichweite war, erst dann ließ er seinen besten Freund los. Ban sprang allerdings nicht direkt wild schimpfend auf. Im Gegenteil. Er blieb sitzen, atmete erst einmal tief ein und versuchte sich zu beruhigen. Er war noch immer leichenblass. „Wird es ihm helfen?“ Virus’ fragender Blick ging zu der jungen Frau, die eben die geleerte Spritze zurück in die Schachtel legte. „Ja,“ Raikon nickte. „ganz sicher. Es wird die Auswirkungen eindämmen, wenn auch nicht ganz verschwinden lassen. Ban ist nach wie vor nicht komplett auf der Höhe, aber es ist zumindest sicher gestellt, dass der Parasit ihn nicht von innen auffressen wird.“ „Warum eigentlich in den Hals?“ Der Bandenchef runzelte die Stirn. Raikon zuckte mit den Schultern, ihre Augen funkelten unschuldig als sie antwortete: „Es hätte nicht zwingend in den Hals gemusst. Aber ich wollte auf Nummer Sicher gehen und bei M-Gene Medikamenten ist das immer gut.“ Das war zu viel für Ban. Mit einem Satz war er auf den Beinen. „Was!?“, platzte es aus ihm heraus und tatsächlich wirkte er ziemlich explosiv. Man sah ihm an, dass er Raikon am liebsten das Genick brechen wollte. Ganz automatisch griff Virus von hinten nach seinem Hosenbund und hielt ihn fest. Nur für den Fall… Für Außenstehende war Bans Reaktion wahrscheinlich übertrieben. Virus allerdings kannte seinen besten Freund besser. Der war ziemlich hart im Nehmen, aber Spritzen waren ihm schon immer ein Graus gewesen. Normalerweise war diese Phobie aber noch nie problematisch gewesen – Spritzen waren in den aktuellen Zeiten eher schwerer zu bekommen. „Müssen wir die Injektion wiederholen?“ Virus’ Blick ging zu Raikon. Eine weitere Spritzen-Tortur wollte er Ban eigentlich ersparen. „Die Spritze hält eine Weile,“ die junge Frau zuckte mit den Schultern. „Vielleicht lang genug, bis du das richtige Medikament besorgen kannst. Virus nickte. Sein Blick war ernst. Er ließ Ban los, ging im Kopf dabei aber bereits seine nächsten Pläne durch. Er hatte schon einiges organisieren können. Alles stand und fiel mit seinem Verbündeten innerhalb der Stadt. Einen Mann, den er noch nicht einmal persönlich kannte und über den er kaum etwas wusste… „Geh dir mal die Haare waschen,“ Raikon hatte sich vor Ban aufgebaut. „Und überhaupt…du müffelst!“ Sie rümpfte demonstrativ die Nase. An sich übertrieb sie maßlos. Scheinbar war sie frecher, als man es ihr bisher zugetraut hatte. „Tse! ’n großes Mundwerk hat die kleine!“ Ban schnaubte empört. Obwohl der Vorschlag einer gründlichen Wäsche gar nicht schlecht klang. Vor allem, weil sie derzeit super teure Seife da hatten. „Und danach zieh ich hier ein,“ er grinste frech. „Oh und was zu Essen wäre dann auch nicht schlecht.“ Virus zog eine Augenbraue hoch. „Na dir scheint’s ja besser zu gehen,“ stellte er simpel fest. „Und sonst hast du keine Wünsche?“ An sich war er erleichtert. Ban hatte ein Medikament bekommen. Es würde ihm besser gehen. Er würde zu Kräften kommen. Das war es wert gewesen… The Mind No. 01 --------------- The Mind No. 01 Ich war noch sehr jung, als ich das erste Mal starb. Nie, niemals werde ich diesen Zeitpunkt in meinem damals so kurzen Leben vergessen. Seit diesem Zeitpunkt bin ich noch viele Tode gestorben. Früher dachte ich, dass es mit der Zeit einfacher werden würde. Erträglicher. Doch das wurde es nicht. Nie. Früher dachte ich, ich würde mich daran gewöhnen, bekäme einen gewissen...Alltag. Aber das tat ich nicht. Nie. Ich musste Schmerzen erleiden, schlimmer als den Tod. Ich musste Ängste ausstehen, Erniedrigungen ertragen, mich wie einen Gegenstand behandeln lassen. Ohne Seele, ohne Herz. Und doch bin ich dankbar für jede Sekunde meines bisherigen Lebens. Ich habe meine Bestimmung gefunden, meine Aufgabe. Eine Aufgabe, die nur ich erfüllen kann. Einen Posten, den nur ich bestreiten kann. Und dafür würde ich alles Leid der Welt auf meine Schultern nehmen. Diese Welt hat sich verändert. Sie wurde gespalten in schwarz und weiß, in Himmel und Hölle. Auseinander gerissen, geteilt, verletzt und blutend liegt diese Welt dar... Und es ist keine Rettung in Sicht. Keine Hoffnung. Kein Heilmittel. Und doch will ich nicht aufgeben. Ich habe noch Hoffnung, trage sie in mir wie ein wärmendes Licht, wie die Flamme einer Kerze; klein, flackernd und doch stark, beruhigend und richtungweisend. Für viele Menschen, die in dieser Hölle dort draußen leben, bin ich die Hoffnung geworden. Ich bringe ihnen Frieden, versuche ihnen ein Leben zu schenken, sie zu schützen und ihnen den Schmerz abzunehmen. Aber es ist nicht so einfach... Besonders an Tagen wie dem heutigen. Ich kann kaum sehen vor Schmerz, keinen klaren Gedanken fassen, keinen Laut von mir geben, mich nicht bewegen, kaum mehr atmen. Um mich herum ist alles weiß, ein süßer Geruch liegt in der Luft, es fühlt sich an als würde ich schweben... Trügerisch. Es ist, als hätte die Welt sich umgekehrt. Das strahlende Weiß um mich herum sollte dunkles Schwarz sein. Der süße Geruch sollte faulig sein... So würde es stimmen. So würde es zu dem Leid passen, welches dieser Ort verursacht. Nicht nur mir, sondern noch vielen anderen. Ich bin lediglich einer der wenigen hier, welche diesen Ort lebend wieder verlassen werden. Und doch werde ich sterben... So, wie damals. Aber ich werde wieder auferstehen, werde mich erneut erheben, werde erneut meine Kräfte sammeln und letztendlich wie ein Phönix aus der Asche wieder auferstehen. Ich trage noch immer die Hoffnung und den Glauben in mir. Den Glauben an die Menschen dort draußen, an ihren Überlebenswillen, ihre Stärken und ihre Schwächen, ihr Leid und ihre Gefühle. Dort draußen herrscht die Apokalypse, der Kampf um jeden weiteren Tag, darum zu überleben, es zu ertragen, durchzustehen bis... Bis was? Bis ein Heilmittel gefunden wird vielleicht. Bis die Menschheit einsieht, dass sie verdammt nochmal Mist gebaut hat. Bis die schwarzen Götter es endlich aufgeben? Selbsternannte Götter... Götter, die dieser Welt den Untergang gebracht haben. Und doch habe ich noch nicht aufgegeben. Ich habe mir die Hoffnung bewahrt. Die Hoffnung auf diese Welt. Darauf, dass auch sie wieder auferstehen wird, aus ihrer eigenen Asche emporsteigt und schöner wird als je zuvor. Ich spüre, wie meine Lippen sich zu einem Lächeln verziehen, wenn ich an solche Dinge denke. Die Schmerzen werden nicht erträglicher, aber sie rücken irgendwie in den Hintergrund. Sie sind nicht wichtig. „Er braucht noch eine Dosis.“ Ich weiß nicht wem diese Stimme gehört. Wahrscheinlich einem der Wissenschaftler. Einem der schwarzen Götter. Alles um mich herum ist weiß. Der Boden, die Wände, die Decke, die Instrumente um mich herum, die Laken auf denen ich liege und die Kittel, die diese Männer tragen. Weiß... Die Farbe der Reinheit aber ebenso der Stille und Leere. Leer. Mein Herz fühlt sich leer, wenn ich in diesen Räumen eingesperrt bin. Mein Geist scheint ausgelaugt. Weiß steht in einigen Kulturen auch für die Trauer. Das empfinde ich schon als passender. Erneuter Schmerz schießt durch meinen Körper, der Stich im Arm ist da kaum mehr zu bemerken. Dennoch registriere ich ihn und ordne ihn sofort einer Nadel zu. Eine Spritze. Eine von vielen heute. Ich hab aufgehört sie zu zählen. Ich darf nicht darüber nachdenken, ich darf mich nicht auf den Schmerz konzentrieren, nicht auf die Qualen. In diesen Räumen bin ich kein Mensch mehr. Kein Lebewesen mit Gefühlen oder Schmerzempfinden. Ich war noch so jung, als ich das erste Mal starb. Damals gab es keine Spritzen, keine piependen Geräte oder Männer in weißen Kitteln. Damals gab es nur mich. Mich und... Die Bilder der Vergangenheit in meinem Kopf flackern vor meinem inneren Auge. Es ist, als würde mein Herz mich und sich selbst davor schützen wollen. Nur bruchstückhaft kann ich mich erinnern. Mein zehnter Geburtstag, meine Familie, das hohe Klirren eines Glockenspiels, der im Wind flatternde Stoff des Kleids meiner Mutter, der Geruch nach frisch gemähtem Gras, nach Lavendel. Kinderlachen, das Plätschern von Wasser, die Stimme meines Bruders... Und dann? Das Bild verschwimmt, plötzlich stand ich in einem dieser weißen Räume. Es roch steril, es gab keine Fenster und doch war es viel zu hell in diesem Raum. Die Neonleuchten über meinem Kopf summten unangenehm, jeder meiner Schritte klang gedämpft auf dem weißen Boden. Ich erinnere mich an die sich nähernden Schritte und kann fast wieder die Angst von damals spüren, die Verwirrung und die Freude und Erleichterung, als mein Vater vor mir zum Stehen kam. Ich kann mich genau an den dunklen Anzug erinnern, der einen so starken Kontrast zu diesem furchtbaren Weiß gegeben hat. Ich erinnere mich an den herben Geruch seines Rasierwassers. Und an die Spritze, die mir in den Arm gejagt wurde. Bis heute kann ich nur Vermutungen anstellen von dem, was man diesem kleinen Jungen damals genau angetan hatte. Und zu welchem Zweck. Mein Gedächtnis ist lückenhaft. Aber alles, an was ich mich von damals noch erinnere, ist bereits quälend genug. Ich erinnere mich an Todesangst und Schmerzen. Daran, dass ich geschrien habe, dass ich den Namen meines Vaters gerufen habe. Heute weiß ich, dass ich nie einen Vater hatte. Natürlich, ich bin wichtig für ihn, aber nicht aus väterlichen Gefühlen. Er wusste schon damals, dass ich mit einem gewissen Grad an Antikörpern auf die Welt kommen würde. Ich bin nicht immun, bei Gott nicht. Diese verdammten kleinen Monster die man Parasiten nennt, können auch mich töten. Aber dafür braucht es besondere Spezies von ihnen und eine hohe Anzahl. Mein Körper kann die weniger aggressiven Arten abtöten, kann sie in geringer Zahl abwehren. Die allerersten Prototypen des Gegenmittels wurden aus meinem Blut geschaffen. Ich weiß, dass ich etwas Besonderes bin. Nicht unbedingt, weil ich als etwas Besonderes geboren wurde, sondern weil ich zu etwas Besonderem gemacht worden bin. Und jetzt liege ich hier. ‚Etwas Besonderes’...es klingt lächerlich in meinen Ohren. Ich liege hier und lasse diese Versuche über mich ergehen, lasse Medikamente an mir testen und verschiedene Parasitenarten. Meine Werte werden gemessen, meine Reaktionen werden aufgezeichnet, der Grad meiner Qualen geschätzt. Aber niemand unternimmt etwas dagegen. Ich spüre wie das letzte Mittel langsam anschlägt und mein Geist wieder klarer wird. Der Strichcode in meinem Nacken brennt und erneuter Schmerz dringt durch meinen Körper, als das Lesegerät angesetzt und meine aktuellen Werte abgelesen werden. Der Chip in meinem Nacken fühlt sich heiß an, macht mir Kopfschmerzen und verursacht Übelkeit. Langsam lässt die benebelnde Wirkung der ganzen Medikamente nach und ich kann meine Umwelt immer klarer wahrnehmen, aber auch immer deutlicher das Elend spüren. Ich beuge mich gerade noch zur Seite, ehe ich mich über den Rand des Bettes übergebe. Es gibt ein klatschendes Geräusch als mein Mageninhalt auf dem Fußboden landet. Die nächsten zwei Minuten erfüllt mein Husten und Würgen den Raum. Mir steigt der säuerliche Geruch in die Nase und stachelt meine Übelkeit nur noch mehr an. Mir dreht sich alles. Ich bin noch viel zu benommen, registriere aber wie man mich auf die Füße zerrt und aus dem Raum schafft. Ich werde mehr mitgeschliffen, als das ich auf eigenen Beinen laufe. Es folgt das übliche: Eine eiskalte Dusche die mir den Sauerstoff aus den Lungen presst, ehe ich zitternd und bibbernd in frische Klamotten gesteckt werde. So langsam hat sich mein Verstand restlich geklärt und ich präge mir ein was am heutigen Tag geschehen ist, welche Versuche man mit mir gemacht hat. Ich darf es nicht vergessen, muss alles genau aufschreiben in der Hoffnung, dass es mir irgendwann noch etwas nützen wird. In der Hoffnung dass sich all die Schmerzen irgendwann bezahlt machen. Man bringt mich aus dem Labortrakt in den öffentlichen Bereich des Gebäudes. Es herrscht geschäftiges Treiben hier, aber ich bemerke es kaum. Mir ist schwindlig. Einmal mehr fühlt sich mein Körper seltsam an. So als wäre es nicht mein eigener. Ich muss mich erst wieder damit vertraut machen, bin noch ganz unsicher auf den Beinen. Mein Blick ist noch etwas trüb, das Bild vor meinen Augen immer wieder unscharf, wird mit jedem Blinzeln aber besser. Zwei bullige Typen in Anzügen übernehmen nun meinen Begleitschutz. Ich weiß, dass diese Männer zur Security gehören. Ihre Aufgabe ist es mich ‚unversehrt’ nach Hause zu schaffen. Als ob es möglich wäre, dass mir etwas noch schlimmeres passiert als es tagtäglich in diesen Laborräumen der Fall ist. Ein Seufzen kommt über meine Lippen, ich steige in den draußen wartenden Wagen, lehne mich auf den kalten Ledersitzen zurück. Noch immer bin ich ganz benommen und die Übelkeit rumort weiterhin in meinem Magen. Ich greife nach meiner Tasche die neben mir auf dem Autositz liegt und ziehe einen kleinen, selbstgebauten PC hervor. Groß genug um halbwegs damit arbeiten zu können, klein genug um ihn in den hinteren Taschen meiner Jeans mit mir rumschleppen zu können. Ich klappe das Gerät auf, beginne die Informationen von heute darin einzutragen und abzuspeichern. Später kann ich sie dem gesamten Progamm hinzufügen und auswerten. Jetzt brauche ich erstmal meinen Schlaf... Eine Pause, die mir nicht lange vergönnt bleibt. Lediglich während der Autofahrt kann ich mich etwas ausruhen, ein wenig meine Kraftreserven erneuern. Es dauert über eine Stunde bis zum Hauptgebäude der M-Gene Corporation. In der Zwischenzeit bin ich wieder halbwegs bei Verstand. Dafür ist die Übelkeit aber auch übermächtig geworden. Der Wagen hat noch nicht einmal richtig gehalten, da springe ich auch schon raus. Meine zwei Bewacher kennen das schon und lassen mich gehen. Sie wissen, dass ich nie flüchten würde. Wohin auch? Mein Platz ist hier. Mit raschen Schritten eile ich durch das viel zu große Gebäude und fange schließlich an zu rennen. Auf den letzten Metern drücke ich mir eine Hand auf den Mund. Halb laufe ich in einen der Handlanger des Bosses rein, aber es ist mir egal. Die Tür zu meinen Räumen ist erreicht, ich öffne sie und stolpere in das Loft, wo mich mein Weg direkt ins Badezimmer führt. Ich bin froh das ich mich gerade noch über die Kloschüssel beugen kann, ehe ich mich erneut hustend übergebe. Eigentlich ist es sinnlos, denn mein Magen ist bereits leer. Ich würge lediglich Magensäure hervor, sie brennt in meinem Hals und macht das ganze nur noch schlimmer. Diese ganze Prozedur ist mir bekannt, aber ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Es ist zu widerlich. Ich fühle mich schon wieder ganz benommen, während ich der Kloschüssel mein Innerstes offenbare. Das geräumige Badezimmer dreht sich um mich herum, der Fußboden fühlt sich trotz Bodenheizung kalt unter meinen Knien an. Ich kann mich nur an der Toilette festklammern, um nicht seitlich weg zu kippen. Ich hab keine Ahnung wie lange ich hier hocke und würgend nach Luft ringe. Minuten, vielleicht auch Stunden. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Selbst als ich mich nicht mehr übergeben muss sinke ich vor der Toilette einfach auf dem Boden zusammen. Ich ziehe die Beine eng an meinen Körper, bleibe zitternd auf den Fliesen liegen und schließe die Augen. Später kann ich Schritte hören, habe aber keine Kraft mehr dazu auch nur die Augen zu öffnen. Zwei starke Hände greifen nach mir, ich werde aufgehoben und lasse den Kopf gegen die Schulter eines anderen sinken. Eigentlich brauche ich gar nicht nachzusehen. Ich weiß wer das ist. Eben jener Handlanger, den ich vorhin fast noch umgerannt habe. Er ist es immer. Es ist seine Aufgabe sich um mich zu kümmern und das wird er auch heute tun. Wie immer weiß ich nicht, ob ich mich für meine Schwäche hassen, oder für die Hilfe dankbar sein soll. Ich werde in mein Bett gelegt, sinke sofort in die Kissen. Ich kann hören wie er ins Bad zurückkehrt, die Spülung betätigt, das Fenster öffnet und einen Eimer holt, den er neben meinem Bett auf den Boden stellt. Er zieht mir die Kleider aus, ruhig, nicht grob oder dergleichen. Es ist ungewohnt so vorsichtig behandelt zu werden und ich lasse es geschehen. Ich werde in eine warme Jogginghose und ein T-Shirt gesteckt, anschließend hält man mir eine Flasche Wasser an die Lippen und ich trinke gierig. „Langsam,“ mahnt er mich ruhig und wahrscheinlich hat er Recht. Die kühle Flüssigkeit tut gut. Sie vertreibt das Brennen in meinem Hals und dämpft den schrecklichen Geschmack im Mund etwas. „Die nächsten Tage wird man wohl nicht viel mit dir anfangen können, hm?“ Da hat er wohl Recht. Es war schlimm heute. Zu viele Medikamentenversuche. Das haut meinen Körper einfach um. Ich kann nichts mehr antworten, behalte die Augen geschlossen. Ich weiß, dass Cyril noch eine ganze Weile bei mir bleiben wird. Ich weiß, dass ich mich die nächsten Stunden noch öfters übergeben werde, dass ich Schmerzen haben und unter Krämpfen leiden werde. Aber ich weiß auch, dass sich all das lohnen wird. Spätestens, wenn ich meinen nächsten Boten in die Deadzone schicken kann… Kapitel VIII ------------ … VIII Es ging aufwärts. Er hätte es selbst nicht gedacht, aber Ban fühlte sich schon deutlich besser. Jedenfalls wenn man bedachte, dass er noch am Vortag die ganze Zeit im Bett gelegen hatte. Die Langeweile hatte ein Ende. Er konnte inzwischen aufstehen und rumlaufen, ohne Angst zu haben, direkt wieder zusammen zuklappen. Ban lächelte. Laut würde er es niemals zugeben, aber diese mörderische Spritze schien ihm tatsächlich geholfen zu haben. „Ban! Was stehst du da so rum?“ „Ich komm ja schon!“, grinsend winkte Ban seinen Freunden und Kollegen zu. Die Jungs hatten ihn die vergangenen Tage scheinbar ziemlich vermisst. Ihm wurden sofort aufgeregt die neusten Neuigkeiten erzählt, kaum das er die Hütte betrat. Man alberte direkt mit ihm herum und nötigte ihn regelrecht dazu mit den Anderen Karten zu spielen. Es war schön Freunde zu haben. Generell war es schön am Leben zu sein. Auch wenn Ban bisher immer der Meinung gewesen war, dass es ein beschissenes Leben war. Durch seine Infektion wusste er es jetzt besser. Er hatte genug Zeit gehabt, darüber nachzudenken und wusste inzwischen, dass sie durchhalten mussten. Auch in diesem Drecksloch hier draußen. Bans Lachen erfüllte die Hütte. Er riss ein paar zweideutige Witze und seine Kollegen prusteten amüsiert los. Sie zockten sich gegenseitig beim Poker ab, diskutierten über die Mädchen und ließen einfach mal ein bisschen die Seele baumeln. Fast so wie früher. Aber auch nur fast. Die Alarmglocke schrillte los. Sofort sprangen sie auf. Ban griff sich seine Messer und lief mit den anderen aus der Hütte. „Ban!“ Er sah auf, entdeckte Virus und eilte an seine Seite. „Halt dich zurück okay? Du bist noch immer nicht komplett auf der Höhe,“ mahnte der Bandenchef. Ban nickte, jedoch sie wussten beide, dass er nicht auf Virus hören würde. Er brannte darauf zu kämpfen, seine angestaute Energie loszuwerden und ein paar dieser elenden Viecher zu töten. Die Gruppe Untoter kam in Sichtweite und die Slumbewohner schwärmten aus. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Sie gaben sich gegenseitig Deckung und warfen sich diesen elendigen Monstern entgegen. Die Klinge von Bans Messer sauste durch die Luft. Er spürte, wie der Stahl in weiches Gewebe eindrang, hörte das schmatzende Geräusch und grinste siegessicher. Sein Gegner ging zuckend zu Boden, Ban sprang über den Körper hinweg und stürzte sich auf den nächsten. Aus den Augenwinkeln sah er Virus nur ein paar Schritte weiter. Das Schwert des Bandenchefs zerteilte diese Kreaturen als wären sie aus weicher Butter. Der karge Boden unter ihren Füßen färbte sich langsam rot, stellenweise wurde es etwas rutschig. Ban wich einem Angriff aus, konterte ihn und streckte auch dieses Monster nieder. Er stach ein zweites Mal zu, wollte einfach sicher gehen. Ihn erwischte ein Schlag und warf ihn um. Ban rollte sich sofort zur Seite, ehe ihn die scharfen Klauen erwischen konnten. Blut spritzte, das Vieh über ihm gab ein gurgelndes Geräusch von sich, bevor es neben ihm zu Boden ging – kopflos. Virus’ Schwert hatte mal wieder Schärfe bewiesen. „Aufpassen, Ban.“ Als ob er diese Mahnung nötig hätte. Immerhin hatte er sich nicht absichtlich umwerfen lassen. Ban grummelte missgelaunt und sprang auf die Füße. Eigentlich wollte er Virus eine gereizte Antwort zurufen, aber die angreifenden Monster verlangten seine Aufmerksamkeit. Ban kämpfte an forderster Front. Er gab wirklich sein Bestes, aber es kam ihm schwerer vor als sonst. Vielleicht war er selbst wirklich noch angeschlagen, oder aber die Monster waren stärker als normal… Es dauerte fast eine Stunde, ehe endlich Ruhe einkehrte. Außer Atem richtete Ban sich auf und sah sich um. Der Boden war übersäht von leblosen Körpern, der aufgewirbelte Staub legte sich nur langsam. Die Slumbewohner waren verstreut, müde, aber immerhin siegreich. Suchend ließ Ban seinen Blick schweifen. Er ging ein paar Schritte, bis er endlich seinen besten Freund entdeckte. Der Bandenchef hatte sich auf einem Mauerrest nieder gelassen, das blutige Schwert noch in der Hand. Ban runzelte die Stirn. Sorge stieg in ihm auf, als er zu Virus rüber ging. Das Virus sich hingesetzt hatte war einfach so untypisch. Die Jüngeren fingen an aufzuräumen, warfen die erschlagenen Viecher auf einen Haufen und zündeten den ganzen Mist an. Sie sammelten ihre Waffen zusammen, kontrollierten den Zaun, versorgten die Verletzten. Und Virus saß bloß rum!? „Was ist los mit dir?“ Ein ungutes Gefühl machte sich in Ban breit. Vielleicht war es eine Art Vorahnung. Jedenfalls fühlte es sich beschissen an. Virus sah auf und lächelte. „Was meinst du?“ „Du hast dich zurückgehalten“, es war eine Feststellung. Deshalb war es Ban schwerer gefallen. Normalerweise kämpften er und Virus an forderster Front. Sie schlugen eine Schneise in die angreifenden Horden, spielten den ersten Rammbock. Die Jüngeren mussten dann nurnoch den Rest erledigen. Natürlich, auch heute war Virus zur Stelle gewesen, wenn Ban ihn gebraucht hatte, aber der Bandenchef hatte nicht mit voller Kraft gekämpft. Virus öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber Ban unterbrach ihn sofort: „Lüg mich jetzt nicht an, Virus. Denkst du, es ist mir nicht aufgefallen?“ Er setzte sich neben den Älteren auf die unbequemen Steine, den Blick weiterhin auf Virus gerichtet. Ban forderte eine Antwort. Mit einer Lüge würde er sich da verdammt nochmal nicht abspeisen lassen. „Ich bin müde.“ Eine simple Aussage, die wahrscheinlich sogar der Wahrheit entsprach. Aber ausgerechnet müde!? Sowas würde Virus sonst nie als Ausrede nehmen. Bans Augenbrauen wanderten in die Höhe und seine Stirn runzelte sich skeptisch. Wenn er mal so darauf achtete, sah Virus wirklich müde aus. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah irgendwie blass aus. Und zitterten seine Hände nicht etwas, als er das Schwert endlich wegsteckte? Der Bandenchef stand auf und Ban tat es ihm gleich. Er wollte etwas sagen, verstummte aber als Virus ihm auf die Schulter klopfte. „Das hast du gut gemacht.“ Unwirsch schob Ban die Hand seines Kumpels zur Seite. „Red nicht mit mir als wär ich so’n Schoßhund.“ Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust. Virus lachte. Ein gutes Lachen. Amüsiert und gelöst. Vielleicht war es ja doch nicht so schlimm. Vielleicht war er wirklich nur müde. Wahrscheinlich hatte er einfach die halbe Nacht über seinen Papieren gebrütet und Pläne geschmiedet. Ban entspannte sich wieder etwas und sah Virus nach, als dieser sich jetzt abwandte. Der Bandenchef rief ein paar Befehle und schickte seine Leute wieder auf ihre Posten. Genau so, wie es sein sollte. Wahrscheinlich machte er sich einfach zu viele Gedanken. „…Und was hast du dann gemacht?“ „Hab ihm eins über gezogen! Was sonst!?“ Raikons Kichern erfüllte den Raum und Ban grinste. Inzwischen war es dunkel draußen und ruhig im Lager. Man hatte die Fackeln entzündet. Er und Raikon saßen in der Hütte des Bandenchefs beisammen. Virus selbst war nur wenige Schritte entfernt. Er saß am ramponierten Schreibtisch und kritzelte Notizen in ein abgegriffenes Buch. Ban beachtete es nicht weiter, obwohl er insgeheim froh war, dass Virus ruhig irgendwo saß und er, Ban, ihn im Blick hatte. „Erzähl mir noch mehr Geschichten,“ Raikons bittende Stimme zog seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Lächelnd wandte Ban sich ihr also erneut zu und schüttelte den Kopf. „Ein ander Mal.“ Ihre enttäuschte Miene war schon fast wieder amüsant. Ban mochte das Mädchen allmählich. Sie kümmerte sich um ihn, bekochte ihn und nähte seine zerschlissenen Klamotten wieder etwas zusammen. Wer würde es nicht mögen, so umsorgt zu werden? „Virus hast du-“ Ban brach ab, als sein Blick erneut auf den Bandenchef fiel. Virus presste sich die Hand auf die linke Brust. Er hatte die Augen geschlossen und das Gesicht verzogen. Als hätte er Schmerzen. „Was ist los?“ Ban war sofort auf den Beinen. Unruhe machte sich in ihm breit. Virus klappte sein Notizbuch zu und straffte die Schultern. „Ich schätze ich arbeite zu viel…“ Der Bandenchef lächelte etwas verünglückt und warf ihm einen besänftigenden Blick zu. „Erzähl doch keinen Scheiß.“ Das machte ihn noch wahnsinnig! Es war so offensichtlich, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Wenn Virus es ihm nicht langsam mal erzählte, würde Ban es noch aus ihm rausprügeln! „Vielleicht solltest du einfach schlafen gehen, Virus“, schlug Raikon jetzt vor. Sie war ebenfalls aufgestanden. Allerdings nur, um neues Holz ins Feuer zu legen und die wärmenden Flammen etwas anzustacheln. „Wahrscheinlich.“ Der Bandenchef nickte. Ban runzelte die Stirn. Virus gab einfach so klein bei!? Er stapfte echt freiwillig zum Bett rüber und legte sich hin? Okay, hier war definitiv etwas faul. Ban setzte dazu an etwas zu sagen, aber Raikon legte ihm eine Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf. Er sah sie an, sah ihren Blick und seufzte auf. Wahrscheinlich hatte sie Recht. Virus sollte einfach etwas schlafen. „Gute Nacht“, wünschte er also noch, aber Virus antwortete schon nicht mehr. Scheinbar war er wirklich direkt eingeschlafen… Hinter seinen geschlossenen Lidern flackerte es. Ban grummelte und drehte sich auf die Seite. Seine Wunde zog unangenehm, aber es war auszuhalten. Irgendwas knisterte. Ban runzelte die Stirn. Er öffnete langsam die Augen und blinzelte. Von draußen drang flackerndes Licht herein. Das Licht von offenem Feuer. An sich nichts ungewöhnliches. Aber es schien ein sehr großes Feuer zu sein. Dazu dieser verbrannte Geruch… Endlich drangen auch die aufgeregten Rufe an seine Ohren und spätestens jetzt war Ban restlich wach. Er sprang auf die Beine, sah sich in der Hütte des Chefs sofort nach diesem um, konnte Virus aber nicht entdecken. Fluchend eilte Ban aus der Hütte und blieb direkt wieder stehen. Rauch. Die Slumbewohner riefen wild durcheinander, rannten umher. Und dann entdeckte Ban die meterhohen Flammen, die gen Himmel schlugen. Das war definitiv nicht nur von einem harmlosen Lagerfeuer. „Ban!“ Virus’ rief alarmiert seinen Namen. Ban sah sich suchend nach ihm um, entdeckte ihn schließlich im dichter werdenden Rauch. Er setzte sich in Bewegung, lief zu dem Bandenchef rüber. Sein Blick fiel auf eine der Hütten. Sie brannte inzwischen lichterloh. „Was ist passiert!?“, verwirrt sah er sich um. Es herrschte das totale Chaos. Hitze schlug ihm entgegen, der Rauch brannte in seinen Augen und machte das Atmen schwer. „Eine Hütte hat Feuer gefangen. Wir müssen verhindern, dass es sich ausbreitet!“ Virus Stimme ging in ein Husten über. Der Bandenchef zog ein Halstuch aus der Tasche und band es sich über Mund und Nase. Ban tat es ihm gleich, versuchte sich so etwas vor dem Rauch zu schützen. Seine Augen tränten. Sie hatten nicht genug Wasser um die Flammen damit zu löschen, also griff Ban sich eine der Decken. Er schlug damit auf die Flammen ein, versuchte sie zu ersticken. Die Hitze war kaum auszuhalten. Es krachte, Funken stoben auf und die brennende Hütte brach in sich zusammen. Ban konnte gerade noch zurück springen und dem Schutt ausweichen. Irgendwo weinte ein Kind. Er hörte Raikon rufen und Virus’ heisere Stimme, die unablässig Anweisungen rief und versuchte das ganze zu koordinieren. Gefühlte Stunden vergingen, aber die Flammen wurden kleiner. Ban schlug eines der Feuer aus und wandte sich sofort dem nächsten Brandherd zu. Seine Klamotten waren inzwischen angesengt, seine Arme schmerzten. Ihm war schwindlig, daas er die vergangenen Tage nur im Bett verbracht hatte machte sich jetzt bemerkbar. Schließlich aber war es geschafft. Es wurde wieder dunkel im Lager und endlich herrschte Stille. Hier und da schwelte es noch vor sich hin, aber es gab keine offenen Flammen mehr. „Kümmert euch um die Wachtposten! Schaut nach letzten Funken!“ Noch immer rief Virus Befehle, aber seine Stimme war inzwischen komplett heiser. Der Bandenchef kam zu ihm rüber und ließ sich, bei ihm angekommen, direkt auf einen Ruinenrest fallen. Ban musterte seinen besten Freund genau. Virus war verschwitzt und wischte sich den Ruß von der Stirn. Es war ganz deutlich, dass er zitterte. Ban konnte hören wie rasselnd Virus’ Atem ging, wie schwer es ihm zu fallen schien genug Luft in seine Lungen zu bekommen. „Alles in Ordnung?“, fragte Ban also leise. Er wusste, dass es Virus unmöglich gut gehen konnte, rechnete auch damit, dass dieser abwinken würde. Aber er würde sich nicht schon wieder einfach abschütteln lassen. „Zwei Hütten sind nicht mehr zu retten. Eine ist stark beschädigt, ein paar andere haben ebenfalls etwas abgekriegt, können aber rasch wieder in Ordnung gebracht werden.“ Virus wich ihm aus. Er hustete. Ban ging ein paar Schritte, schöpfte mit einem angeschlagenen Plastikbecher etwas Regenwasser aus einer der Tonnen und kam damit zu Virus zurück. Der Bandenchef nahm den Becher dankend entgegen und trank. „Haben wir Vorräte verloren?“, Ban sah seinen Freund erneut an. „Kaum.“ Virus’ Stimme klang schon besser. Nicht mehr ganz so heiser. „Gut“, Ban nickte. Er trat dichter an Virus heran und beugte sich etwa zu dem Sitzenden herunter. „Virus? Alles in Ordnung?“, wiederholte er seine Frage. „Bin grad nicht so auf der Höhe…“, antwortete der Bandenchef jetzt endlich und sank dabei etwas in sich zusammen. Ban musterte ihn immernoch skeptisch. „Nicht ganz auf der Höhe, huh? Virus du siehst aus, als müsstest du dich jeden Moment übergeben.“ Das erkannte er selbst im schummrigen Mondlicht. Unter all dem Ruß und Dreck war Bans bester Freund inzwischen irgendwie grünlich im Gesicht. „Lass uns reingehen.“ Der Bandenchef stand auf. Er machte nicht mal einen Schritt, da kam er auch schon ins Kippen. Ban reagierte sofort, als Virus ihm praktisch entgegen fiel. Er fing seinen Freund auf, hielt ihn fest und konnte somit gerade noch einen Sturz verhindern. Das war jetzt wirklich was Übles… „Geh dich ausruhen“, sagte Ban also. Es klang mehr nach einer eindringlichen Bitte, als nach einer Aufforderung. „Hier draußen kommen sie schon ganz gut zurecht.“ „Es geht gleich wie- ungh...“ Virus presste sich eine Hand auf den Mund. Er kämpfte eindeutig mit dem Würgreiz. Ban fluchte. Er trat einen Schritt zur Seite und versuchte Virus dabei weiter auf den Beinen zu halten, ihn zu stützen. „Musst du kotzen?“ Eigentlich eine doofe Frage, immerhin war das offensichtlich. Virus konnte sich gerade noch vornüber beugen, bevor er sich würgend übergab. Ban konnte nur hilflos daneben stehen, seinem besten Freund die Haare etwas zurück streichen und ihm den Rücken klopfen. Der Bandenchef rang schwer nach Luft. Er hustete und spuckte erneut. Ein roter Schwall, der zu Boden klatschte und eine Pfütze bildete. Blut. Ban biss sich auf die Unterlippe. Das war definitiv fast nur Blut, was Virus da hochwürgte. Es dauerte Minuten, bis der Bandenchef wieder zu Atem kam. Er zitterte noch immer, schien aber zumindest nicht mehr ganz so wacklig auf den Beinen. Ban atmete erleichtert auf. Wäre Virus ihm jetzt hier umgekippt, hätte er den Kerl allein zur Hütte zurück schleppen müssen. „Stehen…die Wachposten?“ Nur mit Mühe richtete Virus sich langsam auf. Ban hielt ihn trotzdem noch am Arm fest. Sicher war sicher. „Natürlich. Wovor hast du Schiss? Das M-Gene kommt und die Medikamente wiederhaben will? Virus, man, ich denke wir haben hier momentan echt genug zu tun.“, murrte Ban. So ein Fanatiker! „Nein, kann nicht sein. Ich habe dafür bezahlt. Für die Medikamente.“ Der Bandenchef zuckte leicht mit den Schultern und atmete einmal tief durch. Bezahlt!? War Virus etwa so angeschlagen, dass er jetzt wirres Zeug redete!? Mit was bitte konnte jemand aus den Slums bezahlen? Geld gab es hier nicht, zumindest nicht so viel, als dass man wirklich etwas damit hätte anfangen können. Außerdem war es außerhalb der der Stadt praktisch wertlos. Es war unnötig Geld zu besitzen. Also was zum Henker hatte Virus gegeben, um an diese verfluchten Medikamente zu kommen? „Virus bitte“, Ban konnte nur betteln, dass sein bester Freund endlich mal kleinbei gab und sich hinlegte. Damit er sich endlich ausruhen und die Bewachung des Lagers den Jüngeren überlassen würde. „Schon okay,“ Virus Lächeln wirkte müde, als er jetzt eine Hand hob und sie sachte auf Bans Wange legte. Seine Haut war eiskalt. Ban erschauderte. „Ich sterb dir schon nicht weg,“ versichterte der Bandenchef, aber Ban glaubte ihm nicht. Nicht, wenn Virus dabei so übel aussah. Ban schob die Hand des anderen weg, nahm sich seinen Arm und legte ihn sich um die Schultern. So konnte er Virus besser stützen. Auch wenn der Ältere inzwischen wirklich etwas sicherer auf den Beinen zu sein schien. „Du hast sie nicht mehr alle…“, sagte Ban noch leise, ehe er sich in Bewegung setzte. Etwas in seiner Brust zog sich unangenehm zusammen, doch das hatte nichts mit seiner Verletzung zu tun… Es war die Sorge, weshalb ihm richtig schlecht wurde. Der Anblick von Virus, wie er dort im Bett lag. Sein bester Freund zitterte. Ihm stand der kalte Schweiß auf der Stirn und seine Haut hatte einen gräulichen Ton angenommen. Er war direkt weggedämmert, kaum das Ban ihn ins Bett gesteckt hatte. Ihn so zu sehen, gefiel Ban gar nicht. Hilflosigkeit war ein beschissenes Gefühl. Aber Ban hatte keine Ahnung was er tun konnte, um seinem Freund zu helfen. Er wusste ja nicht einmal, was Virus hatte. Ban warf einen Blick auf seine angeschlagene Armbanduhr. Das Display mit der digitalen Anzeige war bereits blass und flackerte manchmal etwas. Die Batterie würde wohl nicht mehr lange mitmachen. Er saß schon eine Stunde an Virus’ Bett. Der Bandenchef war unruhig, seine Atmung ging schnell. Manchmal gab er leise Schmerzenslaute von sich, ab und an krallte er sich die Hand in die linke Brustseite. Virus’ Hemd klebte ihm inzwischen durchgeschwitzt am Oberkörper. Ban hatte einen Moment überlegt ihm die Klamotte auszuziehen, aber er wagte es nicht den Älteren zu bewegen. Jede Bewegung schien Virus Schmerzen zu bereiten. Ban saß auf dem Rand des Bettes. Er beugte sich näher, sah Virus an, hob dann aber langsam die Hand. Er wollte seinen Freund berühren, einfach irgendwie Kontakt zu ihm halten. Bans Finger strichen über den Unterarm des Älteren. Hilflos und unsicher. Er griff schließlich nach Virus’ Hand, hielt sie in der eigenen. Der Bandenchef verkrampfte sich. Er drehte sich auf die Seite, beugte sich über den Bettrand und erbrach sich in einen dort bereit stehenden Eimer. Ban konnte nichts weiter tun, als ihm die Haare zurück zu halten. Virus schien ernsthaft krank zu sein… Die Tür zur Hütte öffnete sich und Raikon trat ein. Ban sah auf, warf ihr einen fast hilfesuchenden Blick zu. „Wie geht’s ihm?“, fragte die junge Frau, ehe sie sich über das Bett beugte und sich Virus selbst ansah. „Keine Ahnung. Ich weiß nicht was er hat! Ab und an spuckt er Blut. Meistens dämmert er nur vor sich hin…“ Ban musste sich räuspern. Seine Stimme war in einen hohen Tonfall abgedriftet. Panik. Er hatte langsam einfach echt Panik. Raikon seufzte auf. „Ich kann ihm leider auch nicht helfen“, erklärte sie und sah Ban an. „Aber ich kann dir sagen, dass er stark ist. Außerdem bezweifel ich das er daran sterben wird.“ Mit ruhigen Händen knöpfte sie Virus das Hemd auf. Das waren ja tolle Aussichten. Wenn sie ihm nicht helfen konnte wer denn dann? „Das war der Preis“, erklärte Raikon jetzt weiter. „Für deine Medikamente.“ Sie hatte Virus inzwischen das Hemd restlich ausgezogen und achtlos zur Seite geworfen. Links auf der Brust des Bandenchefs, genau über dem Herzen, prankte ein bösartig aussehendes, lila angelaufenes Muster. Ein großer Fleck, in der Mitte beinahe schwarz, nach außen hin schienen sich feine Adern davon ausgehend über Virus Oberkörper zu ziehen, in feinen Linien und gefährlichen Mustern. Ban wurde schlecht und er musste hart schlucken, während er diese Verfärbung auf Virus’ Oberkörper fassungslos anstarrte. „Er hat das selbst zu verantworten“ Raikon deutete auf eine leere Spritze, welche neben dem Bett lag. Sie war Ban bis jetzt noch gar nicht aufgefallen. Er war so auf Virus konzentriert gewesen… „Er hat sich dieses Zeug injiziert. Direkt ins Herz.“ Raikon deutete auf das Zentrum der bösartig aussehenden Verfärbung auf Virus' Brust. „Er hat sich bereit erklärt das Testobjekt zu spielen. Im Austausch gegen Medikamente. Wenn er die Nacht überlebt, werde ich ihm eine Blutprobe entnehmen und diese wird nach New Heaven gesendet werden. Und damit ist dann gewährleistet, dass du von dem Medikament das du benötigst, jederzeit Nachschub bekommst, falls das nötig werden sollte.“ Ban traf der Schlag. Er sank in sich zusammen, starrte Virus nur an und versuchte zu begreifen, was Raikon ihm da gerade erzählt hatte. „Was...?“, hauchte er schließlich leise. Das war doch nicht ernst gemeint, oder? Er drehte sich zu Raikon um und sah sie an, als hätte sie sich gerade einen sehr schlechten Scherz erlaubt. „Das ist nur eine Vermutung, oder?“, hakte er nach, wobei er schon fast davon überzeugt war, dass es stimmte, auch wenn es ihn traurig und wütend zugleich machte. „Nein, keine Vermutung. Er hat es mir erzählt. Für den Fall…“, Raikon verzog das Gesicht. „Für den Fall das ihm etwas passiert. Er wollte das du weißt, wie viel du ihm bedeutest.“ Sie schob sich die Hände in die Hosentaschen. Warum erzählte sie ihm so etwas? Und warum zum Teufel hatte Virus das getan!? „Bleib bei ihm“, meinte Raikon jetzt. „Ich bin sicher er spürt es, wenn du da bist und auf ihn aufpasst. Die nächsten Stunden werden hart, aber ich glaube daran, dass er es überstehen kann.“ Sie lächelte aufmunternd. Wenn Virus Zustand es nicht verhindert hätte, Ban hätte ihn wahrscheinlich geschlagen für das, was er getan hatte. War ihm denn überhaupt richtig klar gewesen, was für ein Risiko er eingegangen war? – Vermutlich schon. Und doch... „Ich lass euch wieder allein“, erklärte Raikon und wandte sich ab. Ban bekam es nur am Rande mit. Er war inzwischen von der Bettkante auf den kalten Boden gerutscht, hörte, wie Raikon die Hütte verließ, wandte dabei aber nicht einmal den Blick von Virus ab. Ban schüttelte den Kopf. Wie konnte Virus nur… Er verspürte den Drang seinen besten Freund anzuschreien, ihm vorzuwerfen, was für ein dämlicher Vollidiot er war. Doch er konnte nicht. Virus gab erneut einen leisen Schmerzenslaut von sich. Seine Finger krallten sich in das zerschlissene Laken des Bettes, als müsse er sich irgendwo festhalten. Ban hob die Arme und legte sie auf die Matratze vor sich. Er nahm Virus’ linke Hand in die eigenen, hielt sie erneut fest. Stumm und traurig sah er seinen besten Freund an. Als ob dieser Anblick nicht schon schlimm genug wäre. Sie wussten ja nicht einmal, welche weiteren Auswirkungen dieses Zeug, dass Virus sich da gespritzt hatte, haben würde. Was, wenn Virus nicht stark genug war? Diese Vorstellung machte Ban fertig. „Ich hasse dich…“, murmelte er kaum hörbar, als er den Kopf senkte. War das hier denn ihr ewiges Los? Das sie sich gegenseitig beschützten, immer wieder alles für den jeweils anderen riskierten? Wo würde das denn bitte enden!?? „Wehe du lässt mich hier allein…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)