disease von Aijou ================================================================================ Kapitel VI ---------- … VI Er hatte sowas von die Schnauze voll! Dieses ständige Rumliegen machte ihn noch ganz verrückt! In ihm kribbelte alles, die Verletzung juckte und pulsierte ekelhaft. Ständig zog es unangenehm, er konnte eigentlich nur auf dem Rücken halbwegs bequem liegen und so langsam tat ihm verdammt nochmal der Hintern weh. Das war doch alles eine Scheiße hier. Ban hatte genug. Er wollte sich beschweren und Virus volljammern. Aber sein bester Kumpel war gerade draußen unterwegs, obwohl er die vergangenen fünf Tage wirklich viel Zeit in der schummrigen Hütte verbracht hatte. Allmählich wurde Ban noch wahnsinnig. Und nichts würde ihn noch hier halten. Da war ihm sogar der Schmerz allmählich egal. Langsam und entgegen aller Trotzgedanken setzte er sich nur sehr vorsichtig auf. Er wartete, bis sich der Raum um ihn herum nicht mehr drehte, ehe er die Beine sachte über die Kante der Europaletten schob, die als Bettgestell dienten. Er stellte die Füße fest auf den Boden, während er sich mühsam erhob. Der Boden unter ihm schwankte wie ein bockendes Boot. Verdammter Mist. Ban atmete mehrmals tief durch. Ein tiefer Atemzug nach dem anderen. Langsam. Kontrolliert. Er setzte sich in Bewegung, seine Finger immer in Kontakt mit der Hauswand. Nur für den Fall der Fälle. Ein Schritt nach dem anderen. Eigentlich ging es ganz gut. Der Schmerz war vorhanden, aber auszuhalten. Jedenfalls halbwegs. Er war so konzentriert, dass es einen Moment dauerte, bis die Kampfgeräusche zu ihm durchdrangen. Die Warnrufe seiner Leute und die Kommandos die Virus rief. Das Brüllen und Knurren der Monster. Das Lager wurde angegriffen! „Scheiße“, fluchte Ban und beschleunigte seinen unsicheren Schritt etwas. Er hatte die Tür erreicht, zog sie auf und verließ seine Hütte, blieb draußen allerdings direkt wieder stehen. Ban sah sich um, versuchte die Lage zu peilen und sah schließlich Raikon auf sich zulaufen. Die junge Frau hatte einen Kratzer auf der Wange, schien ansonsten aber unverletzt. In der Hand hielt sie ein blutiges Messer, welches sie aber in ihren Gürtel steckte, als sie Ban erreichte. „Leg dich wieder hin“, ihr Tonfall klang bittend. Ban ließ es zu, dass sie sich seinen Arm um die Schultern legte, ihn somit etwas stützte. Sein Blick ging allerdings erneut in Richtung des Zaunes. Er sah seine Leute, wie sie das Lager verteidigten. Allen vorweg Virus, der sein Schwert schwang. Seine Haare flogen ihm offen ins Gesicht und seine Muskeln spannten sich bei jedem Schlag an. Es sah so leicht aus, wie er diese Monster niedermetzelte. Als ob er in seinem Leben nichts anderes gemacht hätte. „Virus und die anderen kommen zurecht. Du musst dich wieder hinlegen und gesund werden“, betonte Raikon noch einmal und legte ihm einen zierlichen Arm um die Hüfte. Einen Moment zögerte er noch, dann nickte er und ließ sich von ihr zurück in die Hütte bringen. Sie half ihm zum Bett zurück und gehorsam legte er sich wieder auf die Matratze. „Die Wunde darf auf keinen Fall aufbrechen“, redete Raikon weiter und richtete ihm dabei die Kissen im Rücken, so dass er wenigstens eine halb aufrechte Position einnehmen konnte. Kaum hatte er es bequem, machte sie sich daran Tee zu kochen. Irgendwie schon süß die Kleine. Ban beobachtete sie und ihm fiel ein, dass sie es gewesen war die ihn wieder halbwegs zusammengeflickt hatte. Natürlich, Virus hatte ihm so oft es ging Gesellschaft geleistet, aber die medizinische Versorgung war von Raikon ausgegangen. Die junge Frau hatte ihm die Verbände gewechselt und vorsorglich Medikamente gegeben. Sie hatte immer nach dem Rechten geschaut und sich um ihn gekümmert. „Danke“, sagte er also. Er war sich nicht sicher ob Virus in der Lage gewesen wäre ihn besser zu versorgen und er war froh darüber, dass Raikon sich dazu bereit erklärt hatte. Davon mal abgesehen konnte er wohl dankbar dafür sein, dass diese Metallkiste mit im geklauten LKW gewesen war. Das Teil stand inzwischen am Fußende seines Bettes. „Du hast keinen Grund dich zu bedanken“, Raikon schüttelte den Kopf. „Du hast mir das Leben gerettet. Wir sind quitt.“ Da war wohl was Wahres dran. Dennoch… „Ich hab nichts Besonderes getan. Jeder halbwegs vernünftige Mensch hätte dich aus dieser Truhe gefischt“, Ban zuckte mit den Schultern, verzog daraufhin aber direkt das Gesicht. Seine Wunde schmerzte. Sie juckte unangenehm und am liebsten wollte er sich den Verband runter reißen, die Fingernägel über diese Verletzung ziehen um diesen Juckreiz stillen. Wäre wohl keine so gute Aktion. Also versuchte er sich abzulenken. „Da wo ich herkomme, war so etwas wie Hilfsbereitschaft nicht üblich.“ Raikon zuckte mit den Schultern und kam zu ihm rüber. Sie stellte eine Tasse mit dampfenden Tee auf die kleine Ablage neben dem Bett und zog sich einen ramponierten Hocker heran, um sich darauf nieder zu lassen. Dafür das sie bis jetzt wohl nur wenig Hilfsbereitschaft erfahren hatte, war sie aber erstaunlich fürsorglich ihm gegenüber. Ban schwieg. Er griff nach der Tasse und trank den Tee, während er die junge Frau immer wieder musterte. Es war fast abstoßend wie hübsch sie war. Sie sah so endlos zerbrechlich aus, dass Ban sie am liebsten für immer von diesem Leid da draußen beschützen wollte. Sie hatte so viel durchgemacht und trotzdem war dieses fröhliche Funkeln in ihren Augen, wenn sie ihn ansah. Nach einiger Zeit seufzte Ban. „Ist es gefährlich, wenn ich an meiner Wunde kratze?“ Wahrscheinlich eine blöde Frage, aber es ließ ihm einfach keine Ruhe. Es war kaum mehr zu ignorieren. „Natürlich ist es das“, Raikon sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Sie stand auf, krabbelte zu ihm aufs Bett und kniete sich neben ihn auf die Matratze. Er stellte seinen Tee wieder ab und ließ zu, dass Raikon seinen Verband löste und langsam abzuwickeln begann. Ban sah zur Seite weg. Er wollte echt nicht wissen, wie die Wunde inzwischen aussah. Wenn sie optisch einen solchen Anblick bot, wie sie sich anfühlte, wäre das alles andere als gut. „Du darfst da auf keinen Fall dran kratzen, Ban“, Raikons Stimme klang mahnend, aber auch besorgt. Er wusste ja, dass sie Recht hatte. Aber das sagte sich so leicht. „Hast du ne Ahnung wie sich das anfühlt?“, beschwerte Ban sich leise. „Nein.“ Na immerhin gab sie ihm eine ehrliche Antwort. „Und auf eine solche Erfahrung kann ich auch getrost verzichten. Ich hab die Schnauze voll von den Parasiten.“ Nicht nur sie. Das hatten sie wohl alle. „Wie sieht’s aus?“, eigentlich wollte er die Antwort gar nicht wissen. Es machte ihn nervös. Irgendwie hatte er einfach die ganze Zeit das Bild im Kopf, wie kleine Würmchen aus dem Loch in seiner Brust ragten und an seinem blutigen Fleisch herum knabberten… Raikons schweres Seufzen machte es da auch nicht besser. „Es sieht ungesund und abnormal aus.“ Schon wieder war sie nur ehrlich, aber er hätte es sich gewünscht, das die Antwort etwas blumiger ausgefallen wäre. „Die Farbe macht mir Sorgen“, erklärte Raikon weiter und besah sich die Wunde. „Noch mehr macht es mir Sorgen, wie diese Wunde entstanden ist…“ Ban sah nun doch an sich herunter. Raikon hatte Recht. Die Verletzung sah alles andere als gesund aus. Obwohl sie gut versorgt worden war, hatte sie eine seltsame Färbung angenommen. Er konnte das bloße Fleisch erkennen und um die Wundränder herum hatte sich ein blasses Muster aus feinen Äderchen gebildet. Wenn er sich bewegte spannte die Haut und es sah aus, als würde seine Brust jeden Moment in der Mitte aufreißen. Er war Verletzungen gewohnt, doch diese hier war etwas ganz anderes. „Du kannst nur hoffen, dass die Obrigkeit sich trotz aller Unwahrscheinlichkeit auf ein Tauschgeschäft einlässt“, erklärte Raikon jetzt, während sie seine Wunde neu versorgte und ihm vorsichtig einen frischen Verband anlegte. Tauschgeschäft? Ban runzelte skeptisch die Stirn. „Was für ein Geschäft?“, wollte er wissen. Da hatte er wohl etwas Wichtiges verpasst, wie ihm schien. Und das nervte irgendwie. Da war man einmal außer Gefecht gesetzt – allein diese Tatsache war schon ätzend – und schon verpasste man alles, was sich außerhalb der Hüttenwände so abspielte. „Ein Mann aus New Heaven war hier“, begann Raikon ihm zu erklären. Ein Mann aus New Heaven in der Dead Zone? Ban traute seinen Ohren nicht, als er das hörte. Die Leute aus der Obrigkeit verließen sonst niemals die sicheren Städte. Schon gar nicht, um den Slums einen Besuch abzustatten. Normalerweise versuchten diese Leute wohl eher ihre Augen zu verschließen vor dem, was außerhalb der Stadttore lag… Er richtete sich etwas auf und stützte sich mit den Ellenbogen ab, auch wenn es wohl besser für ihn gewesen wäre flach zu liegen. Das Ziehen an der Wunde machte ihn darauf aufmerksam und Raikon würde das vermutlich auch gleich tun. Sie legte ihm wie erwartet direkt eine Hand auf die Schulter und drückte ihn sachte wieder in eine liegende Position. Eigentlich passte ihm das gerade gar nicht, aber er ließ es trotzdem mit sich machen. „Sein Name ist Cyril“, erzählte die junge Frau dabei weiter. „Man hat ihn geschickt, weil man den Transporter zurückhaben will, den ihr geklaut habt.“ „Wohl eher, weil sie dich zurückhaben wollen“, platzte es sofort aus Ban heraus. Raikon sah ihn an, schien einen Moment nachzudenken, nickte dann aber. „Wahrscheinlich.“ Sie zuckte mit den Schultern. Der Anflug von Wut stieg in Ban auf. Er würde nie verstehen, warum die Menschen bei M-Gene so handelten. Das war doch der pure Wahnsinn! „Der Mann war seltsam.“ Raikon setzte sich etwas bequemer hin und zog sich einen Zipfel von Bans Decke über die Beine. „Er sagte, sein Boss hätte sich nicht präzise ausgedrückt. Bei seinen Anweisungen war nur die Rede vom Transporter selbst gewesen, nicht von der Fracht. Virus hat darauf aufgebaut. Er hätte das Fahrzeug jederzeit wieder hergegeben, verlangte im Gegenzug aber Medikamente.“ Ban schnaubte. Absoluter Unsinn! „Warum sollten die Leute von M-Gene das tun? Ein leeres Fahrzeug hat für sie keinerleih Wert. Es ist doch wohl vollkommen klar, dass das ein unsinniger Handel ist.“ „Natürlich ist es das. Aber Virus wollte es wenigstens versuchen. Und ich traue diesem Cyril fast zu, dass er es seinem Boss gegenüber so auslegt, dass der wiederum auf den Handel eingeht.“ „Wohl kaum.“ Ban schüttelte den Kopf. Virus war verrückt, wenn er tatsächlich glaubte, dieser Cyril würde ihm weiterhelfen. Er selbst war jedenfalls skeptisch und das würde sich auch nicht so schnell ändern. Die dort oben wollten doch alle nur haben, haben, haben. Vermutlich hätten die noch ihren Spaß daran zu sehen, wie die Slums komplett verschwänden. „Virus wollte einfach Medikamente für dich. Alles andere war ihm egal. Er hätte auch das komplette Frachtgut wieder zurück gegeben wenn es hätte sein müssen“, Raikon lächelte. „Du hast wirklich einen guten Freund. Das ist beneidenswert...“ „Ja, er ist klasse...,“ stimmte Ban ihr direkt zu und klang dabei hoffentlich nicht zu schwärmerisch. Er schloss erneut die Augen. Diese Schmerzen machten ihn fertig. Und diese Übelkeit erst... Die Situation bedrückte ihn. Virus’ Forderung nach Arzneien begründete sich nur auf seinen, Bans, Zustand. Und das wollte ihm nicht so recht gefallen. Die Tatsache, dass sein Freund alles gegeben hätte, nur um ihm irgendwie helfen zu können, ließ ihn sich schlecht fühlen. Noch schlechter als ohnehin schon. „Wenn du mir nen Gefallen tun willst... stell mir einen Eimer neben die Matraze,“ bemerkte er jetzt und fasste sich an den Kopf. Man konnte ja nie wissen... Die junge Frau stand sofort auf. Ban behielt die Augen geschlossen und lauschte ihren Schritten. Sie durchquerte die Hütte und er hörte, wie sie nach einem Blecheimer griff, um diesen neben das Bett zu stellen. „Danke“, murmelte er also. „Ruh dich aus“, erwiderte Raikon. „Schlaf am besten einfach.“ Er hatte in den vergangenen fünf Tagen nichts anderes getan, als zu versuchen zu schlafen. Allerdings eher weniger erfolgreich. Der Schmerz hielt ihn wach. Das Kribbeln unter seiner Haut machte ihn nervös. Keine Chance mal abzuschalten. „Ich schätze Virus wird nachher nochmal zu dir kommen“, erzählte die junge Frau jetzt weiter. „Allerdings hab ich ihm gesagt, er solle sich vorher selber nochmal hinlegen.“ Stimmt… Auch Virus war die vergangenen Tage etwas angeschlagen gewesen. Man hatte ihm die Müdigkeit angesehen und Ban hatte ihm schon öfter gesagt, er solle sich einfach mal hinlegen und pennen. Aber sein Kumpel hatte nicht so richtig auf ihn gehört. „Du bist noch nicht mal eine Woche hier und kommandierst uns schon rum“, scherzte Ban und grinste dabei. Raikon lachte. Es klang schön in seinen Ohren. Wenn sie so war, war sie ihm wirklich symphatisch. Ganz anders noch als vor ein paar Tagen. Scheinbar hatte sie ihren ersten Schrecken überwunden und sich so langsam eingelebt. „Brauchst du denn noch irgendwas?“, hörte er Raikon nachhaken. „Eine Tafel Schokolade wär nicht übel…oder ein Bier.“ Ban grinste. Es war einfach die erste, dämliche Antwort, die ihm auf ihre Frage eingefallen war. Schokolade und Bier hatte er seid Jahren nicht mehr genießen können. Solche Dinge waren der pure Luxus. Er hörte wie Raikon sich in Bewegung setzte und öffnete irritiert die Augen. „Hey! Wo willst du denn-“ Aber es war zu spät. Die junge Frau war schon aus der Hütte gehuscht und Ban konnte ihr nur verdattert nach sehen. Hatte er etwas falsches gesagt? Er hatte doch nur einen Witz gemacht! Er wartete. Und spürte, wie sich dieses Jucken wieder bemerkbar machte. Ban gab einen genervten Laut von sich und versuchte an etwas anderes zu denken. Zum Glück öffnete sich nur einen Moment später wieder die Tür und Raikon schlüpfte zurück in die Hütte. „Wo warst du!?“ Ban runzelte die Stirn, als er das breite Grinsen auf ihren Lippen sah. Was hatte die Kleine denn nun schon wieder angestellt!? Raikon setzte sich erneut neben ihn auf die Matratze und legte ein Bündel vor sich ab. Er beobachtete, wie sie den Stoff zur Seite schlug und den Inhalt neben sich ausbreitete. Tatsache kamen zwei Flaschen und eine Schachtel zum Vorschein. Ban staunte nicht schlecht. Das Mädel hatte doch tatsächlich Bier und Schokolade aufgetrieben. Genauer gesagt Pralinen, wenn er das richtig sah. „Was zum…?“ Raikon lachte wieder. „Luxusgüter aus dem LKW“, grinsend sah sie ihn an. Und am liebsten hätte er das Mädchen jetzt geknutscht. Das konnte doch echt nur ein Traum sein! „Du bist ein Engel…“ Er beobachtete, wie Raikon sich eine der Flaschen griff und sie kurzerhand mit den Zähnen öffnete. Ban grinste staunend und nahm das Bier dankend entgegen. Die Flasche war kühl. Eigentlich hatte er echt nur einen dummen Witz machen wollen. Das Raikon direkt loshüpfte und tatsächlich diese Luxusgüter besorgte, hätte er niemals gedacht. Er hatte nicht mal gewusst, dass solche Dinge ebenfalls zum geklauten Gut gehört hatten. Ein bisschen mühsam setzte Ban sich wieder auf. Die Wunde brannte dabei schmerzhaft, aber er versuchte es zu ignorieren und eine halbwegs bequeme Position zu finden. Schließlich hielt er Raikon die geöffnete Flasche etwas entgegen, proteste ihr zu und ließ ein „Auf die Slumbewohner“ verlauten. „Lieber auf deine Gesundheit“, erwiderte sie direkt und schenkte ihm ein hübsches Lächeln. Ban zuckte mit den Schultern und trank. Und es war das beste, was ihm seid Monaten passiert war. Kühles, prickelndes Bier rann seine Kehle hinunter. Es kribbelte in der Nase und er gab einen genüsslichen Laut von sich. Ein Traum. Absolut ein Traum. „Ich freue mich, wenn ich dir etwas Gutes tun kann.“ Raikon hatte Ban beim Trinken zugesehen und legte jetzt den Kopf etwas schief. „Immerhin warst du es, der mich aus dieser Truhe gefischt hat.“ Das würde sie ihm wohl nie vergessen. Aber wenn sie sich unbedingt bedanken wollte, würde Ban sie garantiert nicht davon abhalten. Nicht, wenn Bier und Pralinen dabei für ihn raussprangen! Er nahm noch einen Schluck und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Raikon die Schachtel öffnete. Zu Tage kamen handgemachte Luxuspralinen. Der pure Wahnsinn. Am liebsten wollte Ban sie sich alle gleichzeitig in den Mund stopfen. Aber er hielt sich zurück. Sowas musste genossen werden. Raikon griff sich eine der süßen Verführungen und biss davon ab. Es war wirklich amüsant sie dabei zu beobachten. Ihr Blick drückte die totale Neugierde aus, als sie die Praline musterte, während sie sich die andere Hälfte auf der Zunge zergehen ließ. Schließlich schloss sie genießend ihre Augen und Ban lachte leise. Scheinbar schmeckte es. „Einer von der Obrigkeit müsste man sein“, Raikon hatte inzwischen runtergeschluckt und seufzte auf. Ban nickte bestätigend, nahm sich ebenfalls eine der Pralinen und kaute sie zufrieden. Sie schmeckte noch besser, als er gedacht hätte. Die Schokolade zerschmolz einem auf der Zunge. Es hatte einen nussigen Nachgeschmack, den Ban wirklich mochte. „Wo kommst du eigentlich her?“, fragte er jetzt aber und trank noch einen Schluck. Bier. So richtiges, echtes Bier. Viiiiieel besser als das dämliche Regenwasser sonst immer. Er sah, wie Raikon unruhig etwas hin und her rutschte. Ban runzelte die Stirn und sah sie an. Sie wich seinem Blick aus, sah zur Seite weg und zuckte mit den Schultern. „Nicht von hier“, war schließlich ihre Antwort. Es klang total ausweichend. „Ah...,“ machte er nur und entschloss sich dazu, nicht weiter auf diesem Territorium zu wandeln. Er wusste schließlich selbst nur zu gut wie unangenehm es sein konnte, wenn man dazu genötigt wurde über etwas zu sprechen, das niemanden etwas anging. Die nächste Praline war des Todes. Der Geschmack war wirklich einmalig. Süß und lecker. Aber wenn Raikon schon nicht sagen wollte woher sie kam... „Wie alt bist du eigentlich?“, fragte er und neigte den Kopf etwas zur Seite. Ihr Alter war schwierig zu schätzen, weil sie so hübsch war und etwas puppenhaftes an sich hatte. „Uhm...ich?“ Na wer denn sonst? War doch sonst niemand hier, mit dem er sprechen konnte. Raikon sah ihn wieder an, überlegte offensichtlich und sah einen Moment tatsächlich ratlos aus. Sie schob sich noch eine Praline in den Mund ehe sie anfing, leise an ihren Fingern irgendetwas abzuzählen. Ein seltsamer Anblick, doch es hatte auch etwas kindliches und wirkte ein Stück weit... niedlich. „Herrje…,“ seufzte sie schließlich leise. „…schon zwanzig!“ Sie verzog das Gesicht, nickte und sah Ban wieder an. „Ich müsste jetzt zwanzig sein.“, erklärte sie noch einmal etwas sicherer. „Und du?“ Auf diese Gegenfrage lächelte er nur. „Älter“, war alles, was er dazu sagte. Gut, das war nicht geade eine präzise Antwort und vielleicht auch ein wenig unfair, doch auch er konnte sich um Antworten drücken, da war Raikon nicht die einzige. Nicht, dass ihm etwas an seinem Alter nicht passte, doch ein bisschen mysteriös durfte man wohl noch sein. Raikon schob die Unterlippe vor und gab einen beleidigten Laut von sich, der Ban zum Lachen brachte. Er musste zugeben, dass ihm ihre Gesellschaft inzwischen doch zusagte. Wenn sie so zutraulich war, war es einfach sich mit ihr zu unterhalten. „Schmeckt das?“ Ihre Augen sahen neugierig auf die Flasche in seiner Hand. Großzügig hielt er sie ihr entgegen. „Probier doch mal“, schlug er vor. Sie griff danach und nahm einen Schluck, verzog allerdings sofort das Gesicht und hustete. „Baaaah….das kribbelt in der Nase! Und es ist bitter“, angewidert gab sie ihm die Flasche zurück. Ban grinste schon wieder. Da blieb wohl mehr für ihn! „Wie kann man sowas trinken!?“ Raikon hatte immernoch das Gesicht verzogen. „Ach, ich mags!“ Er streckte den Arm aus und wollte die halb geleerte Flasche neben sich abstellen, zuckte aber zusammen. Schmerz schoss ihm durch den Oberkörper und brachte ihn dazu gequält aufzukeuchen. „Scheiße…“ Die Flasche war seinen Fingern entglitten und rollte über den Boden. Ban atmete tief durch und tastete sich über den Verband. Es fühlte sich seltsam an… „...!?“, Bans Zeige- und Mittelfinger tasteten vorsichtig die Bandage ab. Hatte sich da eben etwas gegen seine Fingerkuppe bewegt? Er wartete ab und tastete weiter. Nichts passierte. Es brannte einfach nur fürchterlich. Raikon biss sich auf die Unterlippe, beugte sich vor und sah ihn an. „Es ist bestimmt nichts“, versuchte sie ihn zu beruhigen, aber er glaubte ihr nicht. Dazu sah sie zu besorgt aus. Ban wurde schlecht. Das ganze beunruhigte ihn sehr, doch er versuchte nicht in Panik zu geraten. Er musste sich vorstellen, was alles passieren konnte... Parasiten. Das wäre etwas wirklich beunruhigendes. Mit einem unguten Gefühl dachte er an diese Monster da draußen. Widerlich, schlimmer als alles andere. Parasiten… Das Übelkeit erregendste war, dass sie so winzig waren. Man konnte einfach nichts gegen sie machen – es seidenn man war im Besitz bestimmter Medikamente, doch selbst das war nicht immer eine Lösung. Ban hoffte inständig, dass es sich schlimmer anfühlte, als es war. Vielleicht begann er auch langsam sich Dinge einzubilden… „Ban…“ Raikons Stimme klang richtig zittrig vor lauter Sorge. Ban sah sie an, sah den Ausdruck in ihren Augen und wollte sich am liebsten übergeben. Er wusste, was kommen würde. Er hatte es die ganze Zeit gewusst. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass du infiziert wurdest…“ Das war der Satz, vor dem er am meisten Angst gehabt hatte. Sein Magen krampfte sich zusammen, hinter seinen Schläfen pochte es schmerzhaft. „Sag es ihm nicht,“ bat er auf einmal und völlig ohne Zusammenhang. Virus sollte noch nichts erfahren. Schließlich war ja noch nicht viel passiert und Ban wollte ihn nicht noch mehr in Besorgnis bringen. „Ich muss es ihm nicht sagen“, antwortete Raikon aber direkt und seufzte dabei auf. „Virus geht bereits davon aus, dass irgendwas in dieser Wunde ist. Er sitzt ständig in seiner Hütte und zerbricht sich den Kopf darüber, wie er nach New Heaven rein kommt. Er hat wohl schon eine Idee, aber er wird unwirsch und grob, wenn man danach fragt.“ Hatte er es doch gewusst… Virus würde wohl alles tun, um an die nötigen Medikamente zu gelangen – für den Fall, dass dieser Cyril ihm nicht entgegen kam. Und er konnte nur hoffen, dass sein bester Freund sich nicht irgendeinen Mist ausdachte. Und wenn doch, dann sollte er es wenigstens nicht voreilig alleine durchziehen. Allein die Vorstellung davon, was alles passieren konnte… Ban wollte nicht, dass Virus seinetwegen Dinge tat, die er im Nachhinein bereuen könnte. „Leg dich hin“, bat Raikon ihn jetzt wieder und er gehorchte. Und da lag er nun wieder. Jeder Millimeter seines Oberkörpers schmerzte. Jede Bewegung war eine Qual. Er fühlte sich, wie ein Sterbender… Wahrscheinlich war er das auch. Eine solche Verletzung war hier draußen ohnehin schon riskant. Aber mit der ziemlich sicheren Gewissheit einer Infektion, war es sein pures Todesurteil... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)