disease von Aijou ================================================================================ Kapitel I --------- Schon seit Tagen fiel der Regen vom Himmel, durchnässte alles auf was er traf, schwemmte Dreck fort und spülte neuen heran. Graue Wolken glitten drohend über sie dahin und versprachen stumm weiteren Regen. Dabei hörte es schon seit vier Tagen nicht mehr auf... Inzwischen war alles durchnässt und die Menschen hatten sich daran gewöhnt. In ihrem Elend war es ihnen wahrscheinlich auch schon egal. Hoffnungslosigkeit... Leid und Verlust hing in der Luft wie dichter Nebel, dazu kam der plagende Regen, der die Gemüter noch mehr betrübte. Er seufzte leise auf. Er hatte eine Verantwortung zu tragen, die dieser Tage nur noch schwerer auf seinen Schultern lastete... Er war stark, kontrolliert und überlegt. Aber manchmal fiel selbst ihm nichts mehr ein, um seine Schützlinge aufzumuntern. Sie befanden sich in einem trostlosen Stück Land, felsig, grau, deprimierend... Es war inzwischen alles zerstört. Sie hausten in Ruinen, hatten sich aus Tüchern und Planen versucht ein Heim zu erschaffen. Schiefe Holzhütten neigten sich gegen den Wind der endlos durch die schmalen Gassen brauste, es roch nach dem sauren Regen, nach ungewaschenen Kleidern und verdorbenem Essen. Einst war um sie herum eine Stadt gewesen. Klein, behaglich, sicher... Jetzt hatten die wenigen Überlebenden sich in die ehemaligen Slums eben dieser Stadt zurückgezogen. Es waren nicht mehr viele. Fünfzig, vielleicht einhundert....von einst ein paar Tausend. Sie lebten auf engstem Raum, teilten sich ihre Hütten und die wenigen Lebensmittel, die sie besaßen. Jeden Tag kämpften sie darum nicht zu verhungern. Krankheiten gingen herum. Es war ein einziges Elend... Und doch, war es immer noch besser als dort draußen... Er wandte den Kopf und sein Blick fiel auf den hohen, stabilen Zaun. Metallgitter, mit Stacheldraht gespickt und stark bewacht. Patrouillen gingen am Zaun entlang oder hatten ihre festen Posten. Wenige von ihnen waren richtig bewaffnet, die meisten besaßen nur rostige Messer oder schartige Äxte. Er seufzte leise, sein Blick ging weiter, suchte das Gebiet außerhalb des Zaunes ab. Es war still....zu still. Er wusste, dass diese Ruhe trügerisch war. Dort draußen drohte nach wie vor der Tot... Kreaturen, wie sie nur aus den schlimmsten Alpträumen stammen konnten... Nicht tot, aber auch nicht lebendig. Ohne Verstand schlichen sie umher und brachten nichts anderes als Leid und Schmerz, Verlust, Angst und den Tod.... Tag für Tag und Nacht für Nacht mussten die Bewohner der Slums sich gegen diese Kreaturen behaupten, mussten um das Überleben kämpfen, mussten den Hunger besiegen, die Krankheiten und das Elend, um am Ende auch noch gegen diese Monster zu kämpfen. Es waren grausame Kreaturen und ihn beschlich eine Gänsehaut, wenn er an die neusten Arten dieser Monster dachte. Sie waren inzwischen mehr Tier als Mensch, viele von ihnen waren in irgendeiner Art mutiert. Es gab schwächere Arten, aber auch jene, die beinahe unbesiegbar schienen und unnatürlich gewaltige Kräfte besaßen.......dafür, dass sie einst Menschen gewesen waren. Er schüttelte den Kopf und setzte sich in Bewegung. Lautlos ging er durch die kleinen Gassen. Ein paar Kinder spielten im Dreck, ein junges Mädchen versuchte ihre Kleider mit dem sauren Regenwasser auszuwaschen. Er selbst war einer der Ältesten in diesem Slum. Die meisten Erwachsenen waren tot. Die Alten hatte es als erstes erwischt, sie hatten keine Chance gehabt. Übrig geblieben waren nur jene, die stark genug waren oder die es rechtzeitig geschafft hatten Schutz zu suchen. Er war es gewesen, der die Menschen angetrieben und die Hoffnung nicht aufgegeben hatte. Mit seinen eigenen Händen hatte er geholfen diesen Zaun zu errichten, diese Siedlung zu erbauen. Die Führung war ihm rasch übergeben worden. Nicht weil er es gewollt oder weil es beschlossen worden war....es entwickelte sich einfach so. Er hatte Stärke bewiesen und Zuversicht, Ruhe bewahrt, war nicht verzweifelt und hatte überlegt gehandelt. Das zeichnete ihn als Anführer aus. Die Menschen folgten ihm. Er trug die Verantwortung für sie, musste dafür sorgen das sie überlebten. Er würde jeden von ihnen mit dem eigenen Leben beschützen. Die Menschen waren gespalten in drei Gruppen, wenn man es so wollte. Jene, die infiziert worden waren... Von Parasiten befallen wurden sie zu den tierischen Monstern dort draußen und lebten nur noch nach ihren Instinkten und um zu töten. Ob man sie noch als Menschen betiteln konnte, war eher fragwürdig. Dann gab es seine Schützlinge. Die Bewohner der Slums, die sich zusammen gerottet hatten und einfach nur versuchten zu überlebten. Sie beteten jeden Tag darum das es endlich ein Ende geben würde, ein Mittel gegen diese Parasiten und es alles so wurde wie früher... Und dann gab es noch "die Obrigkeit", wie er sie gerne nannte. Das war die Regierung. Und die Regierung wiederum gehörte komplett zu der Gruppe von M-Gene, wobei das "M" für "Mutant" stand. M-Gene setzte sich zusammen aus jenen, die die Welt nach ihren Vorstellungen verändern wollten. Wissenschaftler, auf der Suche nach der perfekten Lebensform. Schon seit Jahren ging es nun so und es war kein Ende in Sicht. Die fatalen, wissenschaftlichen Versuche hatten diese Parasiten hervor gebracht. Die Menschen hatten zu spät gemerkt was sie angerichtet hatten, aber sie wollten auch nicht aufhören. Bis zum heutigen Tag hatten die Leute von M-Gene ihren Fehler noch immer nicht eingesehen. Sie hatten sich der neuen Situation angepasst, anstatt ernsthaft etwas dagegen zu unternehmen. Die richtigen Städte die es noch gab, waren Festungen gleich. Von großen Mauern umgeben, von Scharfschützen bewacht. Die Obrigkeit hatte sich verbarrikadiert, hatte sich einen Schutz geschaffen, gleichzeitig aber dadurch auch ein Gefängnis. Jeder der sich ihren Mauern näherte, wurde erschossen. Man hatte Angst vor der Seuche....vor den Parasiten. Die Städte waren so gut es ging zu Selbstversorgern geworden und nur selten wurden Güter getauscht. Die Hauptstadt war nicht weit entfernt von den Slums. "New Heaven" hatte man diese Stadt getauft... Was für ein Unsinn. Sie befanden sich doch längst alle in der Hölle! Aber vielleicht hatte man den Menschen mit diesem kitschigen Namen Hoffnung geben wollen. Bei ihm jedenfalls hatte es nicht geklappt. Aber er war ja auch kein Bewohner von New Heaven... Er lebte in den Slums, welche von den Menschen der Stadt, von der Obrigkeit, nur als "Dead Zone" betitelt wurde. Das wiederum war wirklich mehr als passend... Denn sie lebten in einer Deadzone... Jeden Tag lauerte der Tod auf sie. Es wurde immer schwerer hier draußen, die Mutationen außerhalb des Zaunes wurden immer heftiger, die Monster immer aggressiver und gefährlicher. Lange würden sie sich nicht mehr verteidigen können....das wusste er. Er seufzte leise und ging weiter, vorbei an undichten Hütten und verlassenen, halb zerfallenen Gebäuden. Er blieb stehen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Aber es war nur sein eigenes Spiegelbild in einer halb zerschlagenen Fensterscheibe. Er drehte sich leicht und betrachtete sich selbst in dieser Scheibe. Virus... Das war der Name, den man ihm inzwischen gegeben hatte. Die Obrigkeit hatte sich diesen Namen ausgedacht, denn für sie war er nichts weiter als eine überflüssige Lebensform, nichts weiter als eine Krankheit, die ihnen und ihrer scheinheiligen Welt schaden wollte. Schon seit Jahren kämpfte er gegen die Regierung an, kämpfte gegen ihre Methoden, plünderte ihre Versorgungsgüter und tötete die Soldaten, wenn es notwendig war. Das Blut von so vielen klebte ihm bereits an den Händen... Vielleicht war er wirklich ein Virus.... Aber er hatte sich geschworen, die wenigen Überlebenden zu beschützen. Jene, die man aufgegeben und sich selbst überlassen hatte. Jene, die man zum Tode verurteilt hatte, indem man sie hier draußen zurückließ. Virus hatte mit einer Handvoll ungefähr Gleichaltrigen diese Siedlung hier erschaffen, als man die Städte aufgab und sich in die Festungen zurückzog. Ihnen war keine Wahl geblieben. Jeder, der es nicht rechtzeitig hinter die schützenden Mauern geschafft hatte, blieb ausgesperrt. Am Anfang waren tägliche neue Flüchtlinge zu ihnen gelangt. Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, Jugendliche, mehr tot als lebendig, Erwachsene, die rasch den aggressiven Krankheiten erlegen waren. Aber es waren immer weniger geworden, die es bis zu ihnen geschafft hatten. Und irgendwann kam keiner mehr... Dort draußen lebte niemand mehr. Niemand, außer diesen blutrünstigen Monstern die sich gegenseitig zerfleischten. Virus riss sich von seinen Gedanken los, wandte sich von dem Spiegelbild in der Scheibe ab und setzte sich mit energisch ausschreitenden Schritten wieder in Bewegung. Es dämmerte so langsam und er wollte nachsehen, ob die Wachen auf ihren Posten waren. Tagsüber war es schon schwer, aber in der Nacht wurde es in der Dead Zone zur Hölle... Viele der Kreaturen zeigten sich erst bei Dunkelheit, am Tage schlichen lediglich die Schwächeren von ihnen umher, auch wenn die schon schlimm genug waren.... Virus hatte das Lager inzwischen durchquert und den Zaun erreicht. Er schritt ein Stück daran abwärts, kontrollierte den Maschendraht, die Gitter und den scharfkantigen Stacheldraht. Wenn der Zaun beschädigt war und diese Monster die Schwachstelle fanden, waren sie alle verloren... Aber er stellte rasch fest, dass alles in Ordnung war - zumindest auf dem Stück das er nun kontrolliert hatte - also blieb er stehen und neigte den Kopf leicht zur Seite, um zu lauschen. Durch einen Angriff hatte er auf dem linken Auge seine komplette Sehkraft verloren, während das Rechte ebenfalls angeschlagen war. Eine Narbe zog sich über das gesamte linke Auge, welches nach dem Vorfall eine strahlend blaue Farbe angenommen hatte und blind ins Nichts starrte. Anfangs war er verzweifelt bei der Vorstellung, nicht mehr richtig sehen zu können. Die ersten Wochen waren besonders kritisch gewesen... Zu der Zeit war ihr Lager besonders oft angegriffen worden. Virus hatte sich im Hintergrund halten müssen, hatte seine Bewegungen einfach nicht richtig koordinieren können und wäre mehrmals fast erwischt worden, wenn ihm nicht gute Freunde geholfen hätten. Virus lächelte bei dem Gedanken. Eigentlich war es vor allem ein guter Freund, der ihm damals geholfen hatte..... Ban. Ein Gutes hatte der Verlust des einen Auges wenigstens gehabt; dadurch, dass er jetzt nicht mehr so gut sehen konnte, hörte er unglaublich gut. Sein Gehör hatte den geschwächten Sinn ausgeglichen. Er konnte Geräusche wahrnehmen, Ewigkeiten bevor alle anderen sie hörten. Er konnte auf große Entfernung die kleinsten Dinge hören, konnte winzige Details auseinander halten. Sein übernatürlich gutes Gehör war zu diesen Zeiten mehr als nützlich. Meistens hörte er die Monster schon kommen, noch bevor sie in Sichtweite waren. Deshalb waren er und seine Leute auf einen drohenden Angriff oft bereits vorbereitet. Das brachte einige Vorteile. Inzwischen hatte Virus gelernt auch während eines Kampfes sein Gehör einzusetzen. Wenn man es so wollte, "sah" er mit seinen Ohren... Er lachte leise bei der Vorstellung, lauschte dann aber angestrengt. Er hatte Ban wahrgenommen, der irgendwo ganz in der Nähe sein musste. Er hörte seine Atmung, das Rascheln seiner Kleider und wie er mit seinem Messer rumspielte. Virus grinste. Typisch Ban! Er schüttelte den Kopf, setzte sich wieder in Bewegung und ging ein Stück weiter am Zaun entlang. Es war nicht mehr weit, bis er seinen besten Freund schließlich entdeckte. Der etwas jüngere saß auf einer morschen Holzkiste, die Beine zum Schneidersitz angezogen als wolle er wenigstens den Pfützen auf dem Boden ausweichen. Ban hasste Regen. Er hatte den Kopf leicht eingezogen, das Messer in seiner Hand blitzte auf, ehe er es in den Gürtel steckte. Virus kam mit ruhigen Schritten heran und ließ sich dann kurzerhand hinter Ban auf die Kiste sinken, die gerade so groß genug für sie beide war. Das Holz ächzte unter dem zusätzlichen Gewicht drohend. Sein bester Freund zuckte zusammen. Scheinbar hatte er ihn nicht kommen gehört. Die wenigen Geräusche welche die schweren Absätze von Virus' Stiefeln gemacht hatten, waren vom Regen verschluckt worden. Sie beide schwiegen jetzt auch einfach, suchten mit den Augen das Gebiet außerhalb des Zaunes ab. Es war alles still.... Virus zog ein Band aus der Hosentasche und begann sich die ziemlich langen, nassen Haare zu einem Zopf zu flechten. Die schwarzen Strähnen fühlten sich weich an zwischen seinen Fingern, die unteren Haare wurden von ein paar ausgeblichenen, grünen Strähnen durchzogen. Schließlich befestigte er sich das zerschlissene Band in den Haaren und der Zopf fiel ihm schwer über die breiten Schultern. „Das gefällt mir nicht...“ Virus' Stimme war leise und ruhig und doch durchbrach sie diese schreckliche Stille. „Der Regen ist das einzige Geräusch heute Nacht. Das gefällt mir gar nicht...“ Es gab fast keine Nacht mehr, in welcher die Monster nicht angriffen. Sie mussten ständig auf der Hut sein und mit einem Angriff dieser Kreaturen rechnen. Nur heute Nacht, schien es unnatürlich ruhig zu sein... Virus seufzte auf und kramte in den Taschen seiner zu großen, abgewetzten Jeans die bereits mit Flecken überseht war. Der raue Stoff hing ihm nass und schwer von den Hüften und wurde gerade noch von einem rissigen Gürtel gehalten. Seine klammen Finger wühlten noch einen Moment, bekamen dann aber das kleine Etui zu fassen und fischten es hervor. Virus ließ es aufschnappen und förderte ein paar Zigaretten zu Tage. Geklaut von den Soldaten New Heavens, wie so ziemlich alles was er besaß. Er hielt seinem Freund wortlos das Etui hin. Es war aus Metall und der Inhalt somit trocken geblieben. Immerhin. Ban griff zu, Virus steckte sich selbst rasch eine der Zigaretten an, bot dann auch seinem Freund Feuer und inhalierte den Rauch tief. Er gönnte es sich nur selten zu Rauchen. Es war zu schwer an Zigaretten ranzukommen in diesen Tagen... Stumm saßen sie beide nun also bei einander, rauchten vor sich hin und beobachteten die Dunkelheit außerhalb des Zaunes. Schließlich schnippte Ban den aufgerauchten Zigarettenstummel weg. Er landete in einer Pfütze und erlosch sofort. "Es wird Zeit." Virus sah seinen besten Freund an und nickte. "Du hast Recht." Auch er schnippte seine aufgerauchte Zigarette weg und erhob sich. Er und Ban hatten noch etwas zu tun... Gemeinsam gingen sie zu Virus' kleiner Hütte, um dort noch einmal den Plan durchzugehen. Sie kontrollierten ihre Waffen und machten sich bereit. Sie besaßen beide Schusswaffen, auch wenn sie diese recht selten benutzten. Es war fast unmöglich Munitionsnachschub zu bekommen. Also beschränkte Ban sich auf seine drei Messer, während Virus sein gebogenes Schwert kontrollierte und schließlich in eine Scheide steckte, welche er auf den Rücken geschnallt hatte. Er sah den Jüngeren an und nickte ihm zu. Gemeinsam schritten sie wieder raus in die Nacht. Die beiden Kameraden hatten sich ein ganzes Stück vom Lager entfernt. Für den Weg hatten sie eine Weile gebraucht und am Horizont wurde es bereits heller, bald würde ein neuer Tag anbrechen. Vor ihnen lag eine verlassene Straße die nur selten befahren wurde, wenn Versorgungsgüter nach New Heaven geschafft wurden... So auch heute. Ab und an drangen Insiderinformationen aus der Stadt zu Virus durch. Er hatte dort eine anonyme Quelle, welche ihm immer wieder mal Tipps gab. Auch die geplante Aktion war ein solcher Tipp. "Sie kommen." Virus hatte die heran nahenden Fahrzeuge bereits gehört, obwohl man sie noch nicht sehen konnte. Ban nickte ihm zu und ging die Straße noch ein Stück weiter bis zu einem kahlen Baum. Virus beobachtete wie er sich mit Leichtigkeit auf die starken Äste schwang und ihm das Zeichen gab, das alles okay war. Der Bandenchef nickte, wandte sich selbst ab und ging die Straße in die andere Richtung noch ein Stück weiter, bis zu einer Engstelle zwischen rauen Felsen. Er und Ban waren allein. Sie mussten schnell handeln und den Überraschungsmoment für sich nutzen. Virus hatte entscheiden können wie viele seiner Leute er mitnehmen wollte und wen genau. Seine Wahl war schnell auf Ban gefallen. Sein bester Freund war mit ihm der Älteste im Lager und einer der Stärksten. Gemeinsam hatten sie schon so manches Ding gedreht und oft hatten sie Situationen gemeistert, die man sonst nur als komplettes Dutzend geschafft hätte. Er vertraute Ban und auf seine Fähigkeiten. Und das musste er auch, denn sein bester Freund würde bei diesem Streich praktisch die Hauptrolle übernehmen. Zumindest hatte er den gefährlicheren Part. Und wahrscheinlich freute er sich darüber. Virus kannte Ban gut. Der Jüngere hatte schon wieder dieses Funkeln in den Augen gehabt... Ban war manchmal ein schwieriger Mensch. Am Anfang ihrer Bekanntschaft hatten sie sich eigentlich nur gestritten und böse Auseinandersetzungen gehabt, die auch des Öfteren mit den Fäusten geregelt worden waren. Als Ban in das Lager gekommen war, war er unkontrolliert gewesen und ein Raufbold. Es hatte ihm Spaß gemacht zu kämpfen, es hatte ihn in einen Blutrausch versetzt, wenn er hatte töten können... Inzwischen hatte sich das gebessert. Virus hatte dem Jüngeren ein Ventil gezeigt wie er diese Gewaltausbrüche sinnvoll kompensieren konnte...indem er Monster erschlug oder Dinge für die Leute aus der Dead Zone erkämpfte und stahl. So wie heute. Ban würde sich ordentlich austoben können und es würde dem ganzen Lager nutzen. So wie es sein sollte. Virus strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und rieb sich dabei über die Narbe, die sich über sein erblindetes Auge zog. Ab und an schmerzte diese Verletzung noch immer, auch wenn er das niemals zugeben wollen würde. Ban und er ähnelten sich in diesem Punkt doch sehr; sie würden beide eher krepieren, als ihre Schwächen zuzugeben. Nur durfte er sich jetzt keine Schwächen erlauben. Die geplante Aktion war ein etwas größeres Ding. Wenn es ihnen gelang, hatten sie für die nächste Zeit reichlich Vorräte und vielleicht auch sonstigen Luxus, den sie normalerweise gar nicht mehr kannten. Wobei Virus schon ein zerbröseltes Stück Seife als Luxus betrachtete... Es ging darum einen Versorgungslaster zu kapern. Virus hatte die Information erhalten, dass in den nächsten Tagen in New Heaven ein Fest stattfinden sollte. Irgendein Unsinn zu Ehren des Leiters von M-Gene... Jedenfalls wurden dafür reichlich Güter heran gekarrt. Just in diesem Moment war ein weiterer LKW auf den Weg zur Stadt, begleitet von zwei bewaffneten Jeeps. Es galt also die Jeeps auszuschalten und den LKW zu übernehmen. Alles in allem eine knifflige Sache, vor allem für Ban. Der Trupp war schwer bewaffnet, ein Jeep fuhr vorneweg, einer bildete das Schlusslicht und somit hielten sie den LKW - und damit die Beute - vermeintlich sicher in ihrer Mitte. Ban musste nun den hinteren Jeep ausschalten, schnell und ohne dass der vordere etwas bemerkte, denn dann wären sie wahrscheinlich beide erledigt und ihre Mission gescheitert. Der Plan stand fest. Wenn Ban den hinteren Jeep in seine Gewalt gebracht hatte, würde Virus sich um den LKW kümmern, um mit diesem an der nächsten Kreuzung einfach abzubiegen. Dann galt es auch den vorderen Jeep auszuschalten, ehe die Insassen Alarm schlagen konnten. Wenn ihnen das gelang, waren sie definitiv die Helden des Tages... Jetzt aber konzentrierte Virus sich und lauschte erneut. Die Fahrzeuge waren nahe und nur einen Moment später kamen sie hinter der nächsten Biegung hervor. Virus spannte sich an und atmete tief durch, während sein Blick zu Ban ging. Die Position des anderen war relativ riskant, denn die kahlen Bäume boten kaum Schutz davor, von den Soldaten gesehen zu werden. Umso schneller musste Ban einfach handeln. Virus beobachtete wie angespannt sein Freund war, wie er den hinteren Jeep im Auge behielt, nicht einmal zu blinzeln schien. Seine Hand ging zu seinem Gürtel und seine Finger legten sich um den Griff seines einen Messers. Wenn Ban zu früh sprang, würde er schlicht überfahren werden - ein reichlich würdeloses Ende, wenn man Virus fragte. Ein zu später Absprung, bedeutete wahrscheinlich eine Kugel im Kopf. Etwas mehr Würde, dafür aber ziemlich langweilig... Virus beobachtete wie Ban langsam sein Messer aus der Halterung zog, während die Fahrzeuge sich weiter näherten. Er konnte das Brummen der Motoren hören und das Knirschen von Kies unter den schweren Reifen. Virus konnte den Geruch von Benzin wahrnehmen und die gedämpften Stimmen der Soldaten. Die Spannung stieg, Virus spannte sich an. Spring doch endlich! Verdammt! Ban sprang. Sein Freund hatte es als erstes auf den Mann am MG-Geschütz abgesehen, welches hinten am Jeep angebracht war. Ein paar kleinere Äste rieselten herunter, als Ban sich von seiner erhöhten Position abstieß und mit gut geschulter Präzision genau hinter seinem ersten Opfer landete. Noch während der Landung riss er sein Messer hoch und rammte es in den Körper des Soldaten. Mühelos durchdrang die Klinge weiches Gewebe und sank tief und gefährlich darin ein. Eine erwähnenswerte Menge Blut spritzte Ban sofort entgegen, doch es ließ ihn kalt. Er ließ den Mann los, der daraufhin zusammen sackte und mit schreckensgeweiteten Augen liegen blieb. Sein Gesicht war völlig verzerrt, aber das schien Ban nicht zu interessieren. Er wandte sich sofort um und schwang sich in den vorderen Teil des Jeeps. Virus hielt den Atem an. Alles ging sehr schnell und darüber war er froh. Einen Fehler durften sie sich einfach nicht erlauben. Er sah wie Ban ein weiteres Mal sein Messer hob. Die Klinge blitzte auf und das Winseln um Gnade erstarb, als sein Freund erbarmungslos sein Messer tanzen ließ. Der Soldat hatte es nicht einmal geschafft einen anständigen Satz zu Stande zu bringen, da wurde ihm mit einem widerlichen, platzenden Geräusch auch schon die Halsschlagader durchtrennt. Sein Kopf kippte irgendwie lose nach hinten, erneut spritzte Blut. Ban schob den leblosen Körper einfach zur Seite, so dass er sich selbst auf den Fahrersitz schieben konnte, ohne den Jeep dabei anzuhalten. Rasch hatte er das Gefährt unter seine Kontrolle gebracht und der leblose Körper des eigentlichen Fahrers kippte zur Seite und auf die Straße. Virus atmete auf und lächelte anschließend zufrieden. Wieder einmal hatte er sich in den Fähigkeiten seines besten Freundes nicht getäuscht. Allerdings war noch keine Zeit zum Feiern, auch wenn ein schwieriger Part bereits bewältigt war. Virus konzentrierte sich nun. Dort wo er stand war die Straße sehr eng und ging noch dazu in eine Kurve, so dass der schwere LKW seine Geschwindigkeit gezwungenermaßen drosseln musste. Es waren nur noch wenige Meter und der vorneweg fahrende Jeep war an ihm vorbei. Noch hatte keiner bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Der LKW erreichte Virus' Position. Der Bandenchef stand etwas überhöht auf einem Felsen und somit perfekt, um zum Sprung anzusetzen. Es gab ein leises Geräusch, als er seitlich am Fahrerhaus des Transporters Halt fand. Und dann ging auch alles ganz schnell. Virus riss die Tür auf, packte den Beifahrer am Kragen und zerrte ihn aus dem Wagen auf die Straße. Ein Ruck ging durch das Gefährt, als die schweren Räder den Körper des Mannes erfassten und regelrecht zermalmten. Virus hatte sich bereits ins Führerhaus geschwungen. Doch dann blitzte ein Sonnenstrahl auf. Er zischte leise und kniff die Augen zusammen. Es war nur eine Sekunde, aber die genügte. Er spürte einen Schlag, als man ihm irgendetwas schweres über den Schädel zog. Virus stöhnte auf, packte aber instinktiv zu. Er bekam den Kopf des Fahrers zu fassen und drehte ihn mit einer raschen Bewegung herum. Knochen knackten, der LKW kam kurz ins Schlenkern, ehe Virus nach dem Lenkrad griff. Dem Fahrer war eine Schusswaffe aus der Hand gefallen. Scheinbar war er nicht schnell genug gewesen um sie vernünftig zu gebrauchen und hatte somit nur damit zuschlagen können. Virus murrte. Er spürte wie ihm Blut über das Gesicht lief. Vernarbt, aber doch noch empfindlich, war seine alte Verletzung aufgerissen und rote Schlieren liefen ihm ins Auge und über seine Wange hinab. Ihm war schwindlig. Der Schlag hatte gesessen. Allerdings konzentrierte er sich, er hatte sich etwas umständlich auf den Fahrersitz gedrängt, um den Wagen restlich unter seine Kontrolle zu bringen. Die Tür an der Beifahrerseite war noch immer geöffnet und Virus versetzte dem übrig geblieben Soldaten einen Stoß, so dass der leblose Körper aus dem Wagen purzelte. Virus zog hinter ihm die Tür zu und lehnte sich dann im Sitz zurück. Na also, ging doch! Einen LKW hatte er noch nie gefahren, aber Not machte erfinderisch und er hatte rasch den Bogen raus. Virus lehnte sich zurück und grinste kühl. Zufrieden summte er ein Liedchen vor sich hin, ehe er bei der nächsten Gelegenheit kurzerhand abbog und somit die eigentliche Strecke verließ. Jetzt lag es an Ban zu verhindern, dass die beiden Leute im übrig gebliebenen Jeep ihm folgten oder gar Verstärkung riefen. Er selbst war beschäftigt genug damit, das kleine Monstrum von Wagen über die unbequeme Schotterstraße zu bugsieren. Ein Gefühl der Vorfreude macht sich in ihm breit als er an die reiche Beute dachte, die hinter ihm im Laderaum nur darauf wartete, dass man sich über sie her machte. Virus streckte sich etwas und warf einen Blick in den Seitenspiegel um zu schauen, was Ban inzwischen so trieb. Der Motor des Jeeps röhrte auf als sein Freund und Kollege ordentlich aufs Gaspedal trat. Er schloss zu dem vorderen Fahrzeug auf, überholte es und zwang es dazu anzuhalten. Virus erkannte nicht genau was vor sich ging, aber er sah Ban blitzschnell in den zweiten Jeep springen, wieder blitzte sein Messer auf und nur einen Moment später herrschte Ruhe. Ban hatte inne gehalten und schien einen Moment zu verschnaufen. Selbst von weitem erkannte Virus noch, dass Ban blutbeschmiert war, aber das war nichts neues mehr in diesen Tagen. Er drosselte das Tempo des LKW's ein wenig und gab Ban somit Gelegenheit mit dem gestohlenen Jeep wieder zu ihm aufzuschließen. Keiner der beiden hatte jemals einen Führerschein in der Hand gehabt und sie kamen selten dazu sich ans Steuer eines Fahrzeugs zu setzen, dennoch konnten sie beide gut fahren. Virus kam ja sogar ganz gut mit diesem riesigen LKW zurecht. Keine schlechte Sache an sich, wie sich mal wieder zeigte. Er lächelte zufrieden und wischte sich mit dem Saum seines Shirts etwas Blut von der Wange, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Straße, während es langsam zurück Richtung Slums ging. Der Rückweg zu den Slums hatte etwas gedauert, weil Virus ab und an Schwierigkeiten mit dem LKW gehabt hatte. Es war einfach recht schwer einzuschätzen gewesen wie lang und breit das Fahrzeug war und die verwahrlosten Straßen hatten es da auch nicht besser gemacht. Er war jedenfalls froh, als sie das Lager endlich erreicht hatten und er den gestohlenen Transporter umständlich in die Mitte des Slums steuerte, auch wenn er dafür einen Umweg einschlagen musste. Die Gassen des Slums waren zugemüllt und schmal und mit einem so großen Fahrzeug kaum zu befahren. Aber auch dieses Problem war mit Geduld schließlich gelöst und Virus atmete auf, als er den LKW endlich anhielt und den Motor abschaltete. Die meisten seiner Schützlinge hatten sich aus dem Schutz ihrer Hütten und in den Regen getraut und bestaunten die Größe des Fahrzeugs. Blieb nur zu hoffen, dass die große Ladefläche wenigstens auch ordentlich bestückt war und sich der ganze Aufriss lohnen würde... Aber eigentlich zweifelte Virus nicht daran. Seine Quelle aus New Heaven war stets zuverlässig gewesen. Wenn man ihm sagte es würde sich lohnen den Transporter zu kapern, dann würde es sich das auch... Und wenn nicht, hatte er ja nichts zu verlieren. Ban war der einzige, der in diese Sache mit reingezogen worden war und der freute sich sowieso nen Keks, weil er sich endlich mal wieder hatte austoben können. Virus lächelte und kletterte aus dem Fahrerhaus des LKW's. Ihm war schwindlig und vor seinen Augen verschwamm immer wieder alles. Dennoch hörte er sofort wie sein bester Freund sich mit forschen Schritten näherte und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Virus sah den Jüngeren an und seufzte bei der unausgesprochenen Frage in Bans Augen. „Ich war kurz geblendet,“ erklärte er und schüttelte Bans Hand ab. Er wollte sich keine Blöße geben. „Es geht mir gut. Es ist nichts weiter.“ Virus straffte die Schultern, ging um den LKW herum und Ban folgte ihm. Es hatten sich bereits mehrere Grüppchen von Menschen um sie herum gebildet und erwartungsvolle Spannung lag in der Luft. Es war still im Lager, nur das unablässige Prasseln des Regens war zu hören. Es schien, als würden alle den Atem anhalten. Virus konnte nicht anders als zu grinsen. Auch wenn er es nicht laut zugeben würde... Die ganze Aktion hatte nicht nur Ban gefallen. Auch wenn er selbst sich besser unter Kontrolle hatte, er hatte es dennoch genossen. „Na dann lass uns mal schauen, was wir da feines haben!“ Virus öffnete die große Ladeklappe, welche langsam herab sank. Noch ehe sie ganz unten war, sprang er leichtfüßig herauf und kletterte in den Bauch des LKW's. Der herrliche Geruch nach frischem Essen schlug ihm entgegen und Virus konnte nicht anders, als sich die Lippen zu lecken. An den Seiten stapelten sich die Kissen, Fässer, Tüten und Kartons, gut festgezurrt mit Gurten, damit die Ladung während des Transports nicht verrutschen konnte. Frische Lebensmittel und solche, die sie länger würden aufbewahren können. Sauberes Trinkwasser und andere Getränke, Tischtücher und Geschirr. Es war ein voller Erfolg und Virus konnte es kaum fassen. Dieser eine Überfall würde für die nächsten Wochen ihrer aller Überleben sichern. Jedenfalls, was die Vorräte betraf. „Gute Arbeit würde ich sagen.“ Ban war nach ihm auf die Ladefläche geklettert und sah ebenso befriedigt aus wie Virus. Die beiden wechselten einen Blick und grinsten. Sie konnten es kaum fassen und Erleichterung übermannte Virus, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ. „Und das ist alles echt, oder?“ fragte Ban lieber noch mal nach und Virus musste leise lachen. Es kam einem aber auch wirklich vor wie in einem Traum. Er wandte sich um und sah die staunenden Blicke der anderen, die funkelnde Freude in ihren Augen und die Erleichterung. Einer von ihnen drängte sich nach vorn und wollte schon zu ihm und Ban in den LKW klettern, aber sein Freund stellte sich dem Kollegen entgegen und schüttelte den Kopf. "Das wird aufgeteilt." Bans Stimme klang fest und Virus nickte bestätigend. „Einer von der Obrigkeit müsste man sein~“ Er seufzte auf und bestaunte noch immer die Beute, ehe er breit grinste. „Die werden sich schwarz ärgern!“ Wieder einmal war er seinem Namen gerecht geworden. Für die Leute aus New Heaven war er inzwischen wohl wirklich ein Plagegeist geworden. Gut so! „Ich werde genau aufschreiben was es alles gibt.“ begann Virus jetzt aber auch zu erklären und versuchte bereits sich einen Überblick zu verschaffen. „Dann wird alles gerecht aufgeteilt. Etwas gedulden müsst ihr euch noch.“ Niemand würde ihm widersprechen und auch wenn sie alle Hunger hatten, würde es niemand wagen ohne seine Erlaubnis die Beute anzufassen. Sie kämpften ums Überleben, aber auch da musste es Regeln geben. Frisches Gemüse, Obst, gut verpacktes Fleisch und gekühlter Fisch. Fast noch besser waren allerdings die zahlreichen Konserven. Die konnten sie um einiges länger aufbewahren. Virus lachte, öffnete eine der beschrifteten Holzkisten und griff hinein. Es klirrte leicht, als er eine Flasche Champagner heraus zog. „Ich schätze heute Abend wird gefeiert!“ Und ob gefeiert werden würde! Er warf Ban die Flasche zu, die allein wahrscheinlich schon ein Vermögen gekostete hatte. Sein Freund fing sie geschickt auf und grinste breit. So sollte das Leben sein verdammt! Virus wandte sich wieder um und schaute sich noch einmal um, ehe sein Blick auf eine große, weiße Kühltruhe fiel. Ihm lief was Wasser im Mund zusammen wenn er daran dachte, was für Leckereien das gute Stück für sie bereithalten würde. Mit raschen Schritten ging er zu der Truhe rüber und warf einen Blick durch den gläsernen und halb beschlagenen Deckel. Sofort verschwand das Grinsen aus Virus' Gesicht und fast etwas erschrocken griff er nach dem Rand der Truhe, während er noch immer hinein starrte. „Ban...? Komm mal her.“ Seine Stimme war leise und doch so durchdringend, dass es seinen besten Freund sofort skeptisch werden ließ. Ban stellte die Champagnerflasche ab und kam mit ruhigen Schritten zu ihm rüber, um ihn fragend anzusehen. Virus deutete auf die Kühltruhe und der Jüngere folgte diesem Wink, ehe auch seine Augen sich überrascht weiteten. Auf einem Bett aus Eis, blass und zerbrechlich... „Ein Mädchen...“ Virus runzelte die Stirn, streckte die Hand aus und wischte über das beschlagene Glas, damit sie besser hindurch schauen konnten. Tatsächlich lag in der Truhe eine junge Frau. Vielleicht so alt wie er und Ban, vielleicht etwas jünger. Es war schwer zu schätzen, wenn man sie so sah. Ihre Augen waren geschlossen, die langen Wimpern lagen auf ihren blassen Wangen, ihre vollen, schön geschwungenen Lippen hatten einen blauen Farbton angenommen. Sie schien nicht mehr zu atmen. „Das ist...absolut pervers.“ Virus wollte nicht wissen, was man mit diesem Mädchen vorgehabt oder was sie alles hatte ertragen müssen. Die Frage stelle sich jetzt nur, ob sie überhaupt noch lebte. In einem Sarg aus Eis… Oder ob sie bereits tot war. Ban war es, der sich als erstes wieder fasste. Er zögerte nicht länger, legte beide Hände an den Deckel und öffnete rasch die Truhe. Eine eiskalte Wolke kam ihnen entgegen, doch Ban beachtete es gar nicht. Wenn dieses Mädchen noch am Leben war, wurde es schleunigst Zeit sie da rauszuholen. Er wollte schon zugreifen, als Virus ihm eine Hand auf den Unterarm legte und den Kopf schüttelte. „...Nicht!“ Virus sah zu dem Mädchen. „Die lebt doch bestimmt nicht mehr...“ Er betrachtete sie, wie sie da lag. Sie war nur eingeschlagen in einem schwarzen Tuch, schlank und zierlich. Diese Blässe unterstützte ihre Zerbrechlichkeit nur noch mehr. In Virus wurde nun allerdings doch die Neugierde wach. Er streckte die Hand in die Truhe und eine Gänsehaut zog sich wegen der Kälte über seinen Arm. Ein Schauer rann ihm über den Rücken, als er dem Mädchen mit den Fingern über die Wange strich. „Sie ist wirklich eiskalt...“ Kalt und tot. Er glaubte einfach nicht, dass sie noch am Leben war und Virus überlegte bereits, was sie mit ihrer Leiche machen konnten. Ihr Anblick betrübte ihn und sie hatte ein anständiges Begräbnis verdient. Und keinen gläsernen Sarg. Virus strich über ihren Hals nach unten, fuhr ihr über den Arm und spürte Narben unter seiner Berührung. Sie war mehr als nur eiskalt. Sie war ein kompletter Eisblock. Er seufzte auf. „So eine Verschwendung…“ Das war es wirklich. Sie war unglaublich hübsch. Und noch schrecklich jung. Hass flammte in Virus auf. Abgrundtiefer Hass, welchen er für die Obrigkeit entwickelt hatte. Solche Perversitäten konnten auch nur die Leute von M-Gene sich ausdenken! Ban schien es die Sprache verschlagen zu haben. Er starrte das Mädchen an, schien nicht zu wissen was zu tun war, ebenso wenig wie Virus. Der Bandenchef allerdings zuckte im nächsten Moment zurück und blinzelte. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Langsam, bedächtig steckte er die Hand wieder in die Truhe. Seine Finger fuhren hauchzart über das vernarbte Handgelenk des Mädchens, tasteten darüber. Ihre Finger zuckten, Virus spürte einen schwachen, flatternden Puls. „Sie...lebt noch...“ Das schien es gewesen zu sein, auf was Ban gewartet hatte. Ohne weiter zu zögern streckte er die Arme in die Truhe und versuchte das Mädchen zu fassen. Hosted by Animexx e.V. 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