Zum Inhalt der Seite

MST-Shots

Dummheit in einer neuen Dimension
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Deus Ex Machina und die "Wall of Text"- Sues auf Abwegen

“Bist du bereit?”

“Ja, Mama.”
 

Sanftes Quietschen, als der Roller abbremst und schließlich zum Stehen kommt. Die größere der beiden Gestalten erhebt sich vom Sitz, nimmt den Helm ab und streckt sich genüsslich, um sich anschließend der dicken Jacke, die sie gegen den Fahrtwind getragen hat, zu entledigen- wobei offenbar wird, dass das merkwürdige Neutrum mit den grünen Haaren tatsächlich eine Sie zu sein scheint. Das mottenzerfressene, fadenscheinige Top, das unter der Jacke zum Vorschein kommt, wölbt sich auf der Brust verräterisch, wenngleich nur minimal.

“Gib mir dein Zeugs, bitte.”

Ihre Beifahrerin klettert verschlafen von ihrem Gefährt herunter, streckt sich ebenfalls genüsslich und blinzelt ins kalte, opalgraue Licht dieses Morgens. Es ist noch kalt, der Tau glitzert auf der Wiese, an deren Rand sie angehalten haben, und weit und breit keine Spur von Zivilisation.

Suspekt.

“Wie, geben? Ich soll meine Sachen ausziehen?”

“Genau das. Wir werden gleich abgeholt und müssen die Beweise vernichten, dass wir hier waren.”

“Mama”, protestiert die weißhaarige Frau energisch, “ich hab nichts drunter! Und mir ist jetzt schon kalt!”

“Das ist egal”, beharrt ihr Gegenüber, “du musst. Es ist wichtig und dient unserer Sicherheit. Wenn jemand bemerkt, dass wir hier waren… wenn jemand von deiner Existenz erfährt… dann kannst du dich von deiner Familie endgültig verabschieden. Hast du verstanden?”

“Mmh…”

“Ich sagte: Hast du VERSTANDEN?”

“Ja, Mama.”
 

Widerstrebend zieht die Kleinere ihren knallig orangefarbenen Gefängnisoverall aus- Nummer 2377, nebenbei bemerkt- und beobachtet fröstelnd und von einem Bein aufs andere tretend, wie ihre Begleiterin den Overall säuberlich faltet, ihn zusammen mit der Motorradjacke und dem Helm auf den Motorroller legt, aus dem kleinen Transportkästchen hinten auf dem Roller einen großen, weißen Kanister holt und ihn aufschraubt. Aus dem Kanister übergießt sie den Haufen mit einer stechend riechenden, gelblichen Flüssigkeit; dann läuft sie ein bisschen um den Roller herum und schließlich legt sie noch eine Spur aus jener Flüssigkeit auf der Straße, etwa fünf Meter lang und einen Meter breit.

Nummer 2377 reibt sich frierend die Arme, sich nicht ganz im Klaren darüber, was dieses Theater soll.

Ihre “Mama” ist definitiv merkwürdig… so viele komische Sachen, die sie tut und nicht erklärt, und dann diese komischen Fortbewegungsmittel und der Kaffee und das Gefluche dauernd…

Eine unangenehme Person, so würde Nummer 2377 ihre “Mama” beschreiben. Undurchsichtig und irgendwie verschlagen, scheinbar immer besser im Bilde als sie selbst- das konnte einem schon auf den Nerv fallen.

“Komm”, befiehlt Besagte jetzt und kramt aus den schmuddeligen Taschen ihrer ebenso schmuddeligen Jeans ein Sturmfeuerzeug heraus, lässt es aufschnappen und dreht das Gas soweit auf, wie es nur irgend geht, “hier zu mir. Wir müssen gleich in Deckung.”

Sie wirft das Feuerzeug in die stinkende Pfütze, packt Nummer 2377 am Handgelenk und zerrt sie zum Straßenrand, von dort aus die Böschung hinunter, quer durch ein Meer aus Gras und Löwenzahn und-

Hinter ihnen, auf der Landstraße, geht mit Getöse der Roller in die Luft. Ein Feuerball erhebt sich in die Lüfte, gefolgt von dichtem schwarzen Rauch. Ganz schnell ist es wieder vorbei, nur der schale Gestank von verbrennendem Gummi bleibt und das dezente Knistern der Flammen.

Als sie sich die Böschung wieder hinauf kämpfen, nähert sich irgendein Fahrzeug. Nur allzu deutlich ist das Brummen der Motoren zu hören, kommt immer näher und näher, und verstummt schließlich abrupt.

“Mama, was-?”

“Bleib unten”, flüstert die Größere und späht hinter einigen Grasbüscheln zur Straße hinauf, “und sei still.”
 

Langsam zieht sie einen metallisch glänzenden Gegenstand aus der Hosentasche, etwa handtellergroß, und drückt ein Hebelchen daran nach unten. Das leise Klicken, das folgt, kommt Nummer 2377 bekannt vor, und es gefällt ihr ganz und gar nicht. Dieses Klickgeräusch verheißt niemals Gutes.

Sie zittert vor Kälte, und ein bisschen vor Angst, aber als ihre grünhaarige Begleiterin beginnen will, den Abhang hinauf zu klimmen und sich dem, was auch immer da oben sein mag, zu stellen, hält Nummer 2377 sie zurück.

“Ich komme mit, Mama”, flüstert sie, “ich lasse dich nicht allein.”

“Und ich sag dir, bleib hier. Du kennst diese Welt nicht… und die Leute da oben sind wahrscheinlich auch bewaffnet. Unsere Kontakte sind sie jedenfalls nicht.”

“Aber ich will dir helfen. Ich… du hast mich erschaffen! Ich kann dich nicht allein lassen, das geht nicht.”

“Papperlapapp. Hör mir zu.”

Die Grünhaarige streicht ihr über den Kopf, lächelnd.

“Ich verspreche dir, dass mir nichts passieren wird, Kiara. Ich passe schon auf, okay? Du bleib schön hier, und warte auf mich.”
 

Sie fummelt aus der anderen Hosentasche ein Klappmesser, lässt es mit unangenehm metallischem Sirren aufschnappen und überwindet mit einigen Schritten die letzten Meter, die sie noch von der Landstraße trennen.

Kurze Stille.

Dann: Stimmengewirr, Aufregung, jemand brüllt, und dazwischen mischt sich die hellere Stimme der grünhaarigen jungen Frau, durchsetzt mit Nervosität.

Immer ängstlicher klingt sie, verhaspelt sich beim Sprechen.

Erneutes Schreien, diesmal Männerstimmen, und das Klickgeräusch.
 

Männer. Und das Klicken.
 

Nummer 2377 krallt ihre Finger in die Grasbüschel vor sich, bemüht, nicht einfach loszusprinten und sich da einzumischen. Sie bleckt die Zähne, und auf ihrer Stirn wird die altbekannte Zornesfalte sichtbar, während oben auf der Straße weiterdiskutiert wird.

Dass sie an einem kalten, bewölkten Morgen nur mit Boxershorts und Bustier bekleidet und ohne jede Waffe im Straßengraben liegt, während auf der dazugehörigen Straße irgendwelche Männer mit den Klickdingern rumfuchteln, heißt ja nicht, dass sie nichts tun kann. Im Gegenteil; diese merkwürdige Welt hier scheint ihre Kräfte nur zu verstärken. Geringere Erdanziehungskraft oder sowas, aber das tut ja nichts zur Sache. Das einzig Wichtige sind folgende Tatsachen: Sie liegt halb nackt im Gras und soll liegenbleiben. Ihre “Mama”, ihre Schöpferin, ist oben, weg von ihr. Kämpfen oder verhandeln. Und da oben sind Leute mit Waffen.

Männer und das Klicken.

Die zwei Dinge, die sie am wenigsten leiden kann, besonders nach den paar Monaten, die sie inzwischen in dieser Welt lebt. Aber es ist nicht die Zeit, über sowas nachzudenken, denn noch während sie zu entscheiden versucht, ob Gehorsam oder Ungehorsam hier mehr angebracht sei, fällt ein Schuss.

Dann noch einer und noch einer.

Immer wieder reißt das laute Knallen Löcher in die morgendliche Stille, ein beißender Pulverdampf breitet sich aus, und dann-

Dann schreit “Mama”. Laut. Ungemein dringlich. Und schmerzvoll.

Und Nummer 2377 fällt die Entscheidung plötzlich sehr leicht.
 

Sie gräbt die nackten Zehen in den weichen Boden, stößt sich mit aller Kraft ab und ist mit einem Satz auf der Straße, der kalte Asphalt unangenehm rau und ungewohnt an den Füßen, als sie landet.

Überrascht stieben die Männer auseinander, die Waffen im Anschlag, den Finger am Abzug- es sind sehr viel größere Klickdinger als das, was ihre “Mama” dabei hat, bemerkt sie-, und offensichtlich verwirrt. Und am Boden, nahe am gegenüberliegenden Straßenrand, kauert die Grünhaarige, lässt ab und zu einen leisen Schluchzer vernehmen und hält sich ihren blutüberströmten linken Arm. Sie krallt die Finger so fest ins Fleisch, dass ihre Knöchel ganz weiß werden und ist selbst beunruhigend bleich unter dem grellgrünen Haarschopf.

“Mama!”, ruft Nummer 2377 und stürzt zu ihr, “Mama, was ist passiert?”

“Sie haben geschossen”, keucht ihr Gegenüber. Eine feine Schweißperle rinnt ihre Stirn hinab, sie blinzelt verwirrt. “Sie… sie wissen davon… du musst weg, schnell, sonst-!”

“Hey, seht mal!”, ergreift plötzlich einer der Männer das Wort, ein schmieriger Kerl mit nach hinten gegeltem Haar und Zigarette im Mundwinkel, “die da, das ist doch die, die wir mitnehmen sollen.”

“Stimmt! Die sieht aus wie auf dem Bild. Nur nackiger. Und dünner.”

“Was auch immer. Sie ist es jedenfalls, guckt euch doch die Narben da an. Lasst uns loslegen.”
 

Die Männer legen an, es sind fünf an der Zahl.

Sie bilden einen Kreis um Nummer 2377, ganz langsam und gemütlich, als hätten sie alle Zeit der Welt.

Zwei oder drei lachen, der Rest mustert sie misstrauisch und irgendwie interessiert. Eigentlich nachvollziehbar; sie sieht aus wie ein wandelndes Kuriosum. Die Narben hören nämlich nicht da auf, wo ihre Kleidung anfängt. Und erst jetzt, da sie nicht mehr angezogen ist, wird offenbar, dass ihr linker Arm durch eine metallene Prothese ersetzt ist, die beim Bewegen sanft klickt und quietscht. Ein altes Modell eben, aber zuverlässig. Schon immer gewesen.

Nummer 2377 ist angespannt, aber nicht allzu ängstlich. Das einzige wirkliche Hindernis ist ihre “Mama”, die da verletzt rumliegt… die Kerle mit ihren Klickdingern kriegt sie locker irgendwie aus dem Weg.

“Hey, Fettsack”, ruft sie in Richtung des ältesten Mannes der Gruppe, einem fetten Kerl in den Mittvierzigern mit einem unfassbar hässlichen Schnurrbart, “hübsches Klickding. Kann ichs mal anfassen?”

“Bis blöd du?”, erwidert er, sichtlich verwirrt, “Nix anfassi! Töten! Musst du sterben jetzt, peng peng!”

Er fuchtelt mit seiner Waffe, tut einen Schritt auf sie zu, und will den Abzug betätigen.

Leider kommt er niemals dazu. Jemand schießt nämlich, bevor er die Chance hat.

Nummer 2377 zuckt zusammen und ist sogar ernstlich entsetzt über diese sinnlose Gewalt- zum ersten Mal seit Jahren. Allerdings ist das viel eher dem Umstand geschuldet, dass es nicht schön ist, jemand gegenüber zu stehen, wenn er eine zusätzliche Körperöffnung verpasst bekommt. Mit zittrigen Fingern wischt sie sich ein paar Spritzer Blut und Hirnmasse aus dem Gesicht und beobachtet, wie der Fette röchelnd in die Knie geht, stürzt und in einer dunkelroten Lache liegenbleibt.

“Was hast du mit ihm gemacht?”, herrscht einer der verbliebenen Männer sie an, presst ihr die Pistolenmündung an die Stirn, mit der freien Hand wild gestikulierend. “Sags schon! Was hast du gemacht, du Hexe!”

“Nichts”, antwortet Nummer 2377 wahrheitsgemäß, wenngleich ein bisschen ängstlich.

Da, wo sie herkommt, in ihrer Welt, gibt es solche Klickdinger nicht. In ihrer Welt muss man sich noch persönlich die Hände schmutzig machen, wenn man jemand töten will, und deshalb überlegt man sich länger, ob es wirklich sein muss oder nicht. Aber hier, in dieser Welt, ist sogar das Töten modern geworden, nicht nur die Fahrzeuge.

Der Mann zieht die Pistole wieder ein bisschen zurück, sodass Nummer 2377 jetzt genau in die kleine schwarze Öffnung hineinschauen kann, die drohend vor ihrem Gesicht schwebt. Klicken; der Mann grimassiert wütend. Das kann jetzt eng werden.

“Hey, Tobias! Was sollen wir eigentlich mit der da hinten machen? Am Leben lassen?”

“Nein, natürlich nicht! Überleg mal, was passiert, wenn die irgendwie entwischen kann. Leg sie um!”

“Mit Vergnügen.”
 

Ein anderer, kleinerer Mann mit dunklem Haar und lächerlichem Hütchen klickt mit seinem Klickding, geht gemessenen Schrittes zu der grünhaarigen jungen Frau herüber, die am Straßenrand kauert und weint, setzt die Mündung seines Klickdings an ihre Stirn und-
 

Er kommt nicht dazu, noch abzudrücken. Diesmal ist es allerdings kein Schuss, der ihn erwischt- ernsthaft, woher kam der Schuss von vorhin eigentlich?-, sondern ein ziemlich dicker Felsbrocken.

Der Klumpen trifft ihn mit voller Wucht, sodass es ihm wortwörtlich die Schuhe auszieht, schleudert ihn einige Meter weit und zermantscht ihn mit recht unappetitlichem Geräusch auf der harten Asphaltstraße.

“So, wer will noch einen? He?”

Nummer 2377 steht breitbeinig da, zwei weitere Felsbrocken, herausgerissen aus der Straße, schweben vor ihr in der Luft. Und auch wenn ihr die Knie zittern, blickt sie doch sehr entschlossen drein.

“Denkst du, deine Erdklöpschen könnten irgendwas gegen uns ausrichten? Das hier, meine Kleine, ist eine Maschinenpistole mit 45 Schuss. Bevor du dich überhaupt bewegen kannst, wirst du schon tot sein. Was uns jetzt nicht wirklich unrecht kommt.”

“Halt die Fresse!”

Ein bisschen unsicher und ungeschickt schießt sie einen der Felsbrocken ab. Und verfehlt ihr Gegenüber meilenweit.

Er lacht, dass sein dicker Bauch schwabbelt, wischt sich ein paar Tränchen aus den Augenwinkeln und befiehlt: “Jungs, anlegen… so lustig das auch war. Feuer auf mein Kommando.”

Nummer 2377 weicht bis an den Straßenrand zurück, wo die Grünhaarige kauert und sie aus vor Angst geweiteten Augen anstarrt.

Dezentes Motorengeräusch in der Ferne.

“Mama”, wispert sie, “was machen wir? Mama, sag doch irgendwas!”

Sie packt die Größere an den Schultern und schüttelt sie energisch.

“Du kannst mich doch nicht hergeholt haben, nur damit wir beide hier sterben! Meine Töchter und mein Mann warten auf mich! Tu irgendwas! Sag mir, was ich machen soll!”

Brummen; das Motorengeräusch nähert sich. Niemand schert sich darum.

Und “Mama” nickt resigniert und meint: “Dich hinsetzen, und in Würde sterben.”

“Ich kann nicht sterben! Nicht jetzt!”

“Akzeptier es. Die Bruderschaft wird ohne mich auskommen müssen… und deine Kinder ohne dich.”

“Ich will nicht!”, schreit Nummer 2377

Penetrant lautes Brummen, das Motorengeräusch ist jetzt verdammt nahe.

“In dem Fall”, flüstert die Grünhaarige lächelnd, “SPRING!”

Und Nummer 2377 springt.

In den Straßengraben, und mit den nackten Beinen voll in die Brennnesseln. Auweh.

Kurz darauf kommt “Mama” die Böschung heruntergekollert, ebenfalls volle Breitseite in die Brennnesseln, während auf der Straße etwas sehr Unschönes seinen Lauf nimmt. Unschön zumindest für die Männer, die sich da oben aufhalten.

Man hört sie schreien, wimmern, und dann folgen schreckliche, unbeschreibliche Knirschgeräusche.

Nummer 2377 geht es durch Mark und Bein; sie schaudert und hält sich die Ohren zu, so gut es geht, duckt sich in die Nesseln und sieht nicht nach oben. Ihre Begleiterin hingegen scheint ganz ruhig, fast entspannt. Sie zieht sich bedächtig ihr Top aus, legt einen Druckverband auf ihren blutenden Oberarm an und wartet geduldig, bis das grausige Spektakel oben auf der Straße vorbei ist. Dann tippt sie die zitternde Weißhaarige an, meint: “Komm mit”, und klettert wieder nach oben.
 

Auf dem Asphalt sieht es wüst aus; Blutlachen überall, kleine Fleischfetzchen, zersplitterte Teile dieser Klickdinger und ein einzelner Fuß in einer geschmacklos grellpinken Tennissocke verunzieren die Straße. Von den Männern und ihrem Auto fehlt ansonsten jede Spur, genau wie von dem Ding, das sie überrollt hat.

“Mama… was zum Teufel-?”

Nummer 2377 tapst auf nackten Füßen umher, betasten die Brennnesselquaddeln an ihren Beinen und stupst den abgerissenen Fuß vorsichtig mit den Zehen an. Schon wieder so ein merkwürdiges Phänomen, das sie nicht versteht! Diese Welt ist wirklich rätselhaft.

“Du fragst dich, was das war, Kiara?”

Sie nickt eifrig.

“Das, meine Liebe, war ein Geschenk der Bruderschaft an uns… die Deus Ex Machina. Ist nur selten im Einsatz, aber wenn wir sie mal rausholen…”

Sie lässt den Satz unbeendet, aber Nummer 2377 kann sich denken, was gemeint ist.

“Also war auch der Schuss von vorhin-?”

“Ja, ganz genau. Deus Ex Machina, oder auch Plot-Convenience. Wir benutzen sie eigentlich nicht gern, ist nämlich ziemlich niveaulos. Aber sie wirkt gut. Und schau mal, Kiara, da hinten!”

Die Grünhaarige deutet enthusiastisch in die Ferne. Hinter der Wegbiegung am nahen Waldrand taucht ein unauffälliger, heller Van mit abgedunkelten Scheiben auf, der sich rasant nähert.

“Jette kommt, um uns zu holen!”
 

Nur Minuten später sind sie endgültig in Sicherheit.

Sie klettern in den Van, die Grünhaarige schließt die Autotüre hinter ihnen, hilft Nummer 2377 dabei, sich anzuschnallen und lässt sich schließlich zufrieden grinsend auf dem Beifahrersitz nieder. Allerdings nicht, ohne Jette, die deutlich weniger vergnügt scheint, noch einen Kuss zur Begrüßung zu verpassen.

Das Gefährt röhrt auf, als die blonde Kleine den Gang reinhaut und das Gaspedal durchdrückt; ihre Augenbrauen scheinen schon an den Lidern festzukleben, so wütend blickt sie drein, und an ihrer Stirn pulsiert eine Ader. Kein guter Tag.

“Was machst du für einen Scheiß?”, fährt sie ihre grünhaarige Beifahrerin an, die sich inzwischen aus dem Handschuhfach eine Packung Minzkaugummi genommen und auch Nummer 2377 einen Streifen davon abgegeben hat, gegen die Reisekrankheit.

“Ich hab gesagt, du sollst herkommen, dein Zeug verbrennen und dich hinsetzen und im Versteck warten! Und was machst du? Du legst dich mit den Schergen des Bösen an! Den Butthurt-Author-Chans! Herrgott, Emma, das ist doch kein Spiel!”

“Und? Kann ich was dafür, wenn die Spasten einfach auftauchen? Und nenn mich gefälligst nicht Emma!”

Sie verzieht angewidert das Gesicht.

“Du kannst was dafür, dass du hingehst und schießt, statt dich zu verstecken! Die Bruderschaft hat ihre Deus Ex Machina eingesetzt, damit du nicht abkratzt, ist dir das klar? Emma ist außerdem dein Name, falls du das vor lauter Paranoia schon vergessen hast. Und wer ist die Nackte da?”

“Jetzt komm, reg dich nicht so auf, Jette… sei lieb zu mir, hm?”
 

Die Grünhaarige lächelt, schiebt sich einen Streifen Pfefferminz in den Mund und erwidert:

“Das da ist übrigens Kiara-chan.”

“Kia und Kiara?”

Jette schüttelt den Kopf.

“Willst du mich verscheissern, oder was? Erklär mir das, sofort. Und wehe, das ist nicht die beste Erklärung aller Zeiten! Wer ist sie?”

“Du hast von mir die Technologie bekommen, die Dimensionsbarriere zu umgehen, ohne sie zu beschädigen. So kriegst du die Leute für dein Vorhaben, genau wie ich… und während du im Wald gehockt und dich versteckt hast, hab ich noch ein bisschen dran rumgetüftelt… und ein paar Sachen rausgefunden.”

“Aha, ich höre?”

Jette schaltet und wird langsamer, fährt jetzt ruhiger. Die schlimmste Gefahr liegt hinter ihnen, es ist Zeit, sich zu entspannen.

“Nun”, beginnt Kia, “seit Whist arbeiten muss und ich mein Abitur vorbereite, hab ich mir eine Wohnung nahe der Schule gemietet und sehr viel Zeit da verbracht- gezwungenermaßen. In dem Swastika-Haus in Langenhain kann ich leider nicht mehr wohnen, das ist leider ein bisschen zu Bruch gegangen. Äh, ja… Jedenfalls, wenn ich nicht gerade arbeite oder lerne, bastle ich an Geräten für die Bruderschaft… und dabei hab ich entdeckt, dass es wesentlich mehr Dimensionen gibt, als wir bisher angenommen haben. Stell es dir so vor, Jette… bisher gingen wir von elf in sich geschlossenen Parallelwelten aus, getrennt durch die Vierte Wand und umschlossen vom Äther. Allerdings ist das nur ein schlechter Abklatsch dessen, wie das Multiversum wirklich funktioniert.”

“Mmh? Gib mir auch so´n Kaugummi.”

Kia reicht ihr einen Streifen und fährt fort.

“Wo war ich? Nun, das Multiversum ist wesentlich größer, als die alte Theorie besagt. Tatsächlich ist es nicht statisch, sondern wächst exponentiell. Und rate mal, wie?”

“Keinen Plan.”

“Es kann dadurch wachsen, dass die Bewohner der einzelnen Welten denken, Jette! Jedes Mal, wenn sich irgendwer eine Geschichte, einen Film, ein Comic ausdenkt und dazu eine Welt kreiert, entsteht sie! Das Multiversum besteht aus einer unfassbaren Anzahl von Welten… es gibt außer Googolplexplex nichts, das auch nur annähernd diese Zahl beschreiben kann. Und selbst Googolplexplex, also eine Zahl mit zehn hoch zehn hoch zehn hoch hundert Nullen dahinter, reicht nicht dazu aus.”

Jette nickt, ganz aufs Fahren konzentriert, aber dennoch fasziniert. Diese Vorstellung…

“Jedenfalls ist es gigantisch! Und wenn man dem Gedanken folgt, dass aus jeder erdachten Welt eine tatsächliche entsteht, dann kommt man auch darauf, diese Welten gezielt aufzuspüren und ihnen einen Besuch abzustatten. Daher kommt Kiara-chan.”
 

Kia deutet nach hinten auf die Rückbank, wo Nummer 2377 in ihrem Gurt hängt, von der ganzen Aufregung ermüdet und in einen unruhigen Schlaf gefallen. Sie murmelt etwas, streckt sich ein bisschen, gähnt und döst danach unbeirrt weiter.

“Augenblick”, unterbricht Jette die Ausführungen ihrer Freundin, “warte! Ist es dieselbe Kiara, die du-?”

“Ganz recht”, bekräftigt Kia, zufrieden lächelnd, “sie ist mein alter OC. Sie entstammt einem RPG, das ich mal mit Freundinnen geführt habe, und ist vermutlich die schlimmste Sue, die mir je untergekommen ist. Mittlerweile hab ich ganze zwei Fanfics über sie geschrieben, sie überarbeitet, sie hat einen Mann und zwei Töchter… und ich hab mich entschlossen, als ihre Schöpferin, sie für dein Projekt zu nutzen. Wer könnte besser Sues zerstören als eine ehemalige Sue selbst? Außerdem mag ich sie fast sogar ein bisschen, inzwischen.”

“Na ganz toll. Ganz toll, Emma! Dein komischer Self-Insert OC ist die große Überraschung? La grosso Surpriso?”

“Mh, nein. Die Überraschung kriegst du, wenn wir angekommen sind.”
 

Sie lächelt, ordnet bedächtig ihre grellgrünen Haarsträhnen wieder und fügt hinzu:
 

“Und wenn du mich noch einmal Emma nennst, dann werde ich, bei allem, was mir heilig ist, dieses Auto anhalten und dich rauswerfen.”

“Mh, ganz toll… hab dich auch lieb, du Arschloch.”

“Was willst du? Ich hatte einen überaus langen, harten Tag. Ich hab seit drei Nächten nicht mehr geschlafen, und du kommst her und nennst mich Emma… Pfff.”

“Selber Pfff, du Möchtegern- McGuyver.”
 

Die restliche Fahrt über schweigen sie dumpf, das Autoradio düdelt leise vor sich hin und die kleine Weißhaarige schläft auf dem Rücksitz, im Gurt hängend und sichtlich geschafft. Ab und an grummelt sie, wenn das Auto über Bodendellen holpert.

Und auch ihre Ankunft ist nicht weniger trist; Jette verzieht sich aus dem Kleinlaster nach drinnen, ins Innere der Halle, und ward nicht mehr gesehen, womit es nun an Emma-Kia-Was-auch-immer ist, ihre kleine, halbnackte Begleiterin reinzutragen und irgendwie anzukleiden.

Und sie ist nicht besonders erfreut, im Inneren der heimeligen Fabrikhalle gewisse ihr bereits bekannte Herr- und Damschaften vorzufinden, allen voran Jettes komischer Alki-Bruder, der ihr lustlos den Mittelfinger zeigt-

Für einen angeblich Hochbegabten hat er erschreckend wenig Kontrolle über sich selbst oder sonst irgendwas, stellt sie missbilligend fest. Aber da ist er ja nicht der einzige, da ist er ja in guter Gesellschaft.

In einem Eckchen der Halle liegen Deidara, Pain und Kisame bäuchlings auf dem Boden und spielen miteinander irgendein komisches Kartenspiel- ohne erkennbare Regeln, der Sinn scheint darin zu bestehen, eine Karte zu legen und seinen Mitspielern daraufhin weh zu tun-, Sakura lümmelt in der riesigen Hängematte, gemeinsam mit Gaara, der verzweifelt ein Nickerchen zu halten versucht und sich doch irgendwie nicht traut. Und Zetsu, der nicht viel von seinen Mitstreitern zu halten scheint, klebt vor Jettes Terrarium und beobachtet die fetten Wolfsspinnen, die darin über den Boden huschen.
 

“Jette, Süße?”

“Hier hinten, Emma!”

“Wo?”

“Na hier, du dummes Stück!”
 

Das liebreizende Stimmchen tönt von weit her aus irgendeiner Abstellkammer, ist aber nicht wirklich abschreckend. Zudem hat Emma ja durchaus was zu tun, sie hat ja jetzt- und bei dem Wort schaudert sie- Verantwortung. Verantwortung für ein lebendiges Wesen, auch wenn besagtes ja nicht wirklich zählen dürfte, da weil Schinken und so.

Mit Nummer 2377 in den Armen schwankt sie zum Kämmerchen, und inzwischen ist auch den MSTing-Opfern aufgefallen, dass etwas anders ist als die Tage zuvor. Ein neuer Gast, ein neues Gesicht im Kreise der glücklosen Glücksritter. Wenngleich ziemlich mickrig und nackig.

Die Grünhaarige lässt ihre Bürde auf einen Stuhl plumpsen- nicht übermäßig vorsichtig, muss man sagen, und wendet sich Jette zu- nur, um von selbiger missmutig einen Stapel Klamotten in den Arm gedrückt zu bekommen.

“Zieh deinen Nackedei-OC an und dann bring sie mit. Wir haben noch viel vor.”



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück