Das Todesspiel von Sky- (Fortsetzung zu "Das Grauen") ================================================================================ Kapitel 12: Ein doppeltes Spiel ------------------------------- Beyond hatte endlich die Mauern der Arroway Psychiatrie erreicht und sah auch, dass da noch zwei Wagen in der Nähe geparkt standen. Ein roter Seat und ein schwarzer Rolls Royce. Der Rolls Royce gehörte, soweit er wusste, Fear und Anne. Aber was suchte der Seat hier? Naja, das konnte ihm jetzt auch egal sein. Wichtig war nur, dass Fear ihn hier erwartete und irgendwas mit ihm vorhatte. Durch das Tor, das so weit geöffnet war, dass man sich hindurchquetschen konnte, ging er zum Haupteingang der Anstalt. Der ganze Hof war verwildert und überall lag Schrott und zersplittertes Glas. Die Fenster waren schon vor einiger Zeit eingeworfen worden und mit Graffiti hatte man Initialen oder Schimpfwörter und Hakenkreuze gesprüht, man fand sogar rassistische Parolen an den Wänden. Auch an der Tür war etwas geschrieben worden, und zwar mit roter Farbe, die teils heruntergetropft war und wie Blut aussah. „Dieser Ort macht aus Menschen Ungeheuer!“ Von außen sah Beyond bereits die Stelle, wo das Feuer ausgebrochen war. Sie befand sich im Ostflügel im Erdgeschoss. An allen Fenstern waren zusätzlich Gitter befestigt und oben an der Mauer hing noch Stacheldraht. Die Arroway Psychiatrie war in zwei Bereiche eingeteilt: Im Ostflügel waren die jugendlichen Patienten untergebracht und im Westflügel alle, die älter als 21 Jahre alt waren. Hauptsächlich hatten sich unter den Jugendlichen Psychopathen, Soziopathen, welche mit Persönlichkeitsstörungen und anderen schweren Psychosen befunden. Viele von ihnen waren Mörder, Vergewaltiger, Serienbrandstifter und Amokläufer. Aber warum hatte man Andrew damals hier eingesperrt? Ohne Grund hätte man ihn doch nicht hier aufgenommen. Vielleicht wusste Fear ja die Antwort und würde ihm alles ausführlich erklären. Andererseits… warum bestellte er ihn an einen solch verlassenen Ort? Sicherlich hatte dieser Freak irgendwelche Hintergedanken, die ihm nicht sonderlich gefallen würden. Vielleicht wollte er auch ihn umbringen. Nein, nicht nachdem er sein Leben riskiert hatte, als er ihm und Rumiko im Kampf gegen Jeff und dem Slenderman geholfen hatte. Vielleicht wollte er sich einfach mit ihm aussprechen oder aber etwas von ihm verlangen. Aber sich den Kopf zu zerbrechen, half auch nicht weiter. Beyond würde so oder so nicht um ein Treffen herum kommen und er war sich sicher, dass schon alles gut gehen würde. Wenn er nur nicht das Gefühl hätte, von irgendwo her beobachtet zu werden. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend stieg er die Treppen hinauf und stieß die Eingangstür auf. Diese schlug so schnell auf, dass sie laut gegen die Wand knallte und sie sah fast danach aus, als würde sie gleich aus den Angeln fallen. Das Innere der Anstalt war dreckig und sah aus, als wäre es die Kulisse einer neuen Silent Hill Verfilmung. Die Fliesen waren zum Teil zersprungen, der Schimmel hatte sich in den letzten Jahren ausgebreitet und es gab noch diverse andere dunkle Flecken, die verdächtig nach altem Blut aussahen. Die Farbe blätterte ab, überall lagen umgeworfene Stühle, zerbrochene Möbelstücke und Betonbrocken. Vorsichtig stieg der Serienmörder über diese Hindernisse hinweg und sah sich überall um. In den Zimmern waren Betten mit alten, vermoderten Matratzen, wo Ratten hausten und zum Teil Tierkadaver verwesten. Es stank furchtbar nach Moder und Urin und Beyond konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand in den letzten Jahren hier war. Nicht mal obdachlose Penner. Als er sich aber in den Badezimmern umsah, fiel ihm auf, dass es aus den Wasserhähnen tropfte. Seltsam, dachte er, als er sich das näher ansah. Normalerweise wurde das Wasser doch abgestellt. Ob der Strom auch funktionierte? Beyond ging zum Lichtschalter und tatsächlich: als er ihn betätigte, flackerten die Neonröhren auf. Sie gaben ein kränklich gelbes blasses Licht ab und flackerten, aber der Strom funktionierte. Offenbar hatte sich Fear hier verschanzt, oder aber… konnte es möglich sein? Lebte hier etwa jemand? Beyond rekapitulierte noch mal die letzten Ereignisse im Kopf und dachte scharf nach. Andrew wurde im Alter von 13 Jahren in diese Anstalt eingewiesen, er hatte Fear eine Nachricht zukommen lassen und fiel dann diesem Brandanschlag zum Opfer. Oder war es vielleicht möglich, dass er noch lebte? Hatte er mit Fear einen Plan geschmiedet, um seinen Tod vorzutäuschen, damit er keine weiteren Mordanschläge mehr fürchten musste? Aber warum hatte Fear ihm das nicht mitgeteilt? Wollte er es ihm etwa als letzte Überraschung bereithalten? Oder hatte er es gar nicht vor? Noch mehr Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Zumindest noch nicht. Schließlich ging er in Richtung Ostflügel und hoffte, dass er dort etwas fand, was ihm weiterhelfen würde. Doch kaum hatte er den Flur betreten, hörte er von irgendwo her ein leises Stöhnen. Es klang gequält und kam aus einem der Zimmer. „Hallo?“ rief er und beschleunigte seine Schritte. „Ist da jemand?“ Es kam ein leises Murmeln und konzentriert versuchte Beyond diese Stimme zu orten. Sie kam aus einer Zelle mit einem kleinen Schiebefenster. Dieses öffnete er und als er hindurchsah, konnte er jemanden erkennen, der auf dem Boden lag. Sofort riss er die Tür auf und fand Oliver und L vor, die gefesselt und schlimm zugerichtet aussahen. Oliver hatte mehrere Schnittwunden und sah aus, als wäre er verprügelt worden. In einem ähnlichen Zustand befand sich auch L. „Oliver, was ist passiert? Wer hat euch das angetan?“ „Es war… Fear.“ Die Antwort kam von einer Gestalt, die zusammengekauert in der Ecke hockte und am ganzen Leib zitterte. Es war ein junger Mann, in Beyonds Alter und mit rotem Haar. Als Beyond seinen Namen erkannte, weiteten sich seine Augen vor Fassungslosigkeit und er wich zurück. „Das… das kann doch nicht sein. Bist du das wirklich?“ Hastig nickte der Rothaarige und wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. „Du musst sofort von hier verschwinden. Er wird gleich zurückkommen, er will dich umbringen!“ „Was ist passiert? Warum sind L und Oliver hier?“ „Er hat sie geschnappt, als er Irene und Uriah umgebracht hat. Fear ist vollkommen durchgedreht. Er ist total wahnsinnig geworden! Du musst so schnell wie möglich von hier weg.“ „Warum will er mich umbringen? Und was hat das Ganze mit dir zu tun?“ „Ich brauchte seine Hilfe, um dem Mordanschlag zu entkommen, den sie geplant hatten. Aber dann hat er mich hier eingesperrt und will dich als auch die anderen Buchstaben töten. Er ist eifersüchtig auf dich. Ihm hat es nie gepasst, dass wir uns beide besser verstanden haben. Ich hab es erst gemerkt, als er mich hier eingesperrt hat.“ Das konnte doch nicht wahr sein. Fear hatte ihm eine Falle gestellt und wollte ihn umbringen? Er wollte auch seinen Freund Oliver töten? Dann war das alles nur ein krankes Psychospiel von ihm gewesen, um ihn zu manipulieren? Und er hatte Andrew über all die Jahre eingesperrt, damit er ihn nicht warnen konnte? So ein elender Mistkerl. Und wenn er die restlichen Buchstaben getötet hatte, dann würde er mit Sicherheit auch Rumiko etwas antun, nur um sich dafür zu rächen, dass er nur die Nummer 2 war. Dabei hatte Fear all die Jahre als jemanden eingeschätzt, den man nach Lust und Laune herumschubsen konnte und der es selbst noch toll fand. Aber anscheinend hatten sich sowohl Beyond als auch Andrew geirrt. Der gruselige Freak war zum lebensgefährlichen Serienmörder geworden. Ein Monster, das völlig außer Kontrolle war. „Wo ist Fear gerade?“ „Ich weiß es nicht. Aber er wird gleich zurückkommen. Du musst sofort weg, sonst wird er dich umbringen. Schnell!“ „Nein, ich werde nicht ohne euch gehen.“ Beyond half ihm hoch und nach einigen Versuchen gelang es ihm, L und Oliver zu wecken. Diese waren vollkommen orientierungslos und konnten sich nicht erinnern, wo sie waren und was genau passiert war, nachdem sie Irene und Uriah umgebracht hatten. Zum Glück konnten sie noch laufen und so machten sie sich auf den Weg zum Ausgang, um die Anstalt schnellstgehend zu verlassen, doch dann stellte sich ihnen jemand in den Weg. Es war Watari und zu ihm gesellte sich niemand anderes als Hester Holloway und Tarara Jones alias T, die eine Waffe auf sie richtete. „Keine Bewegung und schön die Hände hinter dem Kopf!“ Beyond verstand die Welt nicht mehr. Was zum Teufel sollte das? Warum war Hester hier und was suchten Tarara und Watari hier? Das alles wurde immer verworrener und völlig undurchschaubar. „Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“ Andrew wich zurück und versteckte sich hinter Beyond. „Andrew Asylum, du bist verhaftet wegen Brandstiftung, mehrfachen Mordes sowie Anstiftung zum Mord und Entführung!“ „Das ist Schwachsinn, ich habe nie etwas Falsches getan!“ „Wir haben ausführliche Zeugenaussagen, die bestätigen, dass Sie Fear Illusion dazu angestiftet haben, Roger Ruvie, Elly Sitch, Uriah Houston und Irene Malbourne zu töten und sowohl Watari als auch L und Oliver zu entführen.“ „Das ist Blödsinn“, rief Beyond empört und machte direkt einen Schritt auf Tarara zu. „Andrew ist doch auch ein Opfer von Fear, er hat nichts damit zu tun.“ Er stand kurz davor, seine Pistole zu ziehen und zu schießen, doch dann trat Hester auf ihn zu und legte beschwichtigend eine Hand auf seine Schulter. „Beyond, bitte du musst mir jetzt genau zuhören: Andrew hat dich all die Jahre belogen. Er hat dich manipuliert und wollte dich wieder zu seiner Spielfigur machen. Watari hat ihn damals aus gutem Grund in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Er leidet unter einer schweren antisozialen Persönlichkeitsstörung und war eine Gefahr für uns alle.“ „Antisoziale… Willst du mir etwa damit sagen, er ist ein Psycho? Warum zum Teufel sollte ich euch glauben? Ihr habt immerhin versucht, Andrew umzubringen!“ „Das haben wir nicht und wir haben auch Beweise. Die Leiche, die damals verbrannt wurde, war die eines Patienten aus der Anstalt, der von Andrew getötet und dann bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde. Und Fear hat er als seine Spielfigur benutzt, um dich zu manipulieren. Er war es auch, der Jeff auf dich gehetzt hat!“ „Alles Lügen!“ rief Andrew mit Angst in den Augen. „Uriah selbst war dabei, als ihr mein Zimmer angezündet habt.“ „Und außerdem habe ich ganz eindeutig seine Stimme gehört, als ich mit ihm telefoniert habe. Uriah hat gestanden, dass ihr Andrew und auch mich umbringen wolltet.“ „Das war ein ganz hinterhältiger Trick“, erklärte Hester mit beschwichtigender Stimme, um Beyond ein wenig zu beruhigen. „Fear hat Uriah hypnotisiert und ihn dazu gebracht, so etwas zu sagen.“ „Ach ja? Und wie wollt ihr das beweisen?“ „Wir haben Andrews Geständnis auf Tonband und die Zeugenaussagen von Fear Illusion und Anne Hartmann.“ „Wie bitte?“ rief Andrew plötzlich und verlor jegliche Farbe im Gesicht. Das kann doch nicht wahr sein, das ist ein ganz mieser Trick, dachte Andrew und versuchte die Fassung zu wahren. Fear würde ihm niemals schaden wollen und Anne wusste, dass Fear sterben würde, wenn sie sich nicht an die Spielregeln hielt. Das war ein Trick, um ihn aus der Reserve zu locken. „Das ist blanker Unsinn, ich habe niemals mit den beiden gemeinsame Sache gemacht.“ Doch dann trat Anne hervor und mit ihren bernsteinfarbenen Augen, die er an ihr so bewundert hatte, schaute sie ihn eiskalt und verachtend an. Sie gesellte sich zu Watari und lächelte ihn mit einem siegessicheren Lächeln an. In diesem Moment wurde ihm klar, dass es kein Trick war. Anne, die eigentlich damit beauftragt worden war, Watari in die Folterkammer zu bringen, hatte ihn befreit! Und sie hatte mit ihm zusammen einen Plan ausgearbeitet, um ihn, Andrew Asylum, in seinem eigenen Spiel zu schlagen. Dieses hinterhältige Miststück hatte er gewaltig unterschätzt und das war wohl sein Fehler. Unter ihrer Schürze holte Anne ein kleines Diktiergerät hervor und spielte es ab. Und was da abgespielt wurde, ließ Andrews schlimmste Befürchtungen wahr werden: „Eigentlich sollten I und U sofort getötet werden, aber als Fear dann erst einmal Mist gebaut hatte, musste ich umdenken. Und da sich Beyond von euch verabschiedet hatte, kam mir das gerade Recht. Ich hab also gewartet, bis ihr bei den beiden Physikern aufkreuzt und habe Anne beauftragt, die beiden zu töten und euch hierher zu bringen. Ich möchte nämlich nicht, dass das Spiel vorschnell beendet wird.“ Mit einer selbstgefälligen Miene drückte Anne auf Stopp und während sie diese Aufnahme abgespielt hatte, trat Fear hinzu. Wie immer war sein Auftreten elegant und vornehm und er legte beinahe zärtlich eine Hand auf Annes Schulter. Andrew sah abwechselnd beide an und versuchte zu verstehen, was hier eigentlich vor sich ging. Dann aber sagte Anne „Du hast mir mal gesagt „Vergiss nicht, wer momentan dein Besitzer ist“. Ich weiß es sehr wohl: Ich bin mein eigener Besitzer und ich bin auch nicht Fears Spielzeug. Ich bin ich, Anne Hartmann und der einzig wichtige Mensch in Fears Leben. Genauso wie er der einzig Wichtige in meinem Leben ist. Und ich tue alles, um ihn zu beschützen. Vor allem vor Subjekten wie dir.“ Und damit wandte sie sich an Beyond. „Er hatte zuerst vorgehabt, dich dazu zu bringen, L und Watari zu töten. Dann aber hatte er sich anders entschieden und wollte eine Rochade durchführen. Das heißt: Er wollte Fear als wahren Nummer 14 hinstellen, der ihn über Jahre eingesperrt hielt und nun Rache nehmen wollte. Damit hatte er nun vorgehabt, dich auf Fear zu hetzen, um ihn loszuwerden. Mich hätte er auch umgebracht. Als ich diesen Plan durchschaut hatte, habe ich Fear über alles in Kenntnis gesetzt und Watari befreit.“ „Aber was haben Hester und Tarara hier zu suchen?“ „Ich habe Hester angerufen“, erklärte Anne beiläufig, als sie nun ihr Diktiergerät an die FBI Agentin übergab. „Ich habe gewusst, dass Hester neben Oliver die Einzige war, zu der Beyond kein angespanntes Verhältnis pflegte und es traf sich auch gut, dass sie auch nicht Teil des Spiels war. Ich habe sie angerufen und sie davon in Kenntnis gesetzt, dass du hinter dem Mord an Roger Ruvie und Elly Sitch steckst und Hester hat daraufhin Tarara alarmiert, die ja beim FBI arbeitet.“ Die Notiz! Beyond erinnerte sich wieder an diese merkwürdige Notiz, die er neben ihrem Laptop entdeckt hatte und die letzte Internetseite, die sie besucht hatte. Dann hatte Hester gar nicht das Land verlassen, sondern Tarara Jones vom Flughafen abgeholt und sich lediglich informiert, wann und wo sie ankam. Alles um ihn herum begann sich zu drehen und Beyond fühlte sich völlig benommen. Er wusste nicht mehr, was eigentlich noch wahr oder falsch war, wer hier log und ein Spielchen spielte und wer hier die Wahrheit sprach. Der Mensch, den er all die Jahre für seinen besten Freund gehalten hatte, war ein gefährlicher Soziopath, der in ihn nur eine nützliche Spielfigur sah und ihn nach Strich und Faden benutzte? Und jener Mensch, den er all die Jahre gehasst und für alles Unglück in seinem Leben verantwortlich gemacht hatte, war in Wirklichkeit kein Feind sondern jemand, der ihn beschützen wollte? „Du elender Mistkerl“, rief nun Fear und riss Beyond wieder aus seinen Gedanken. „Du hast meine geliebte Anne bedroht und wolltest mich umbringen! Dabei habe ich all die Jahre alles für dich getan. Alles, was du von mir verlangt hast, habe ich für dich getan und habe mir alles gefallen lassen. Aber dass du Anne, meine geliebte Anne bedrohst und erpresst, ist das Letzte.“ „Dieses dreckige Miststück lügt doch wie gedruckt“, entgegnete Andrew und verlor nun endgültig seine Beherrschung. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze und er ließ sich nicht im geringsten von Tararas Pistole einschüchtern. „Die ist doch bloß eifersüchtig!“ „Ganz und gar nicht. Anne würde mich niemals belügen. Mithilfe meines Auges habe ich die Erinnerungen in ihrem Unterbewusstsein gelesen und gesehen, dass sie die Wahrheit sagt. Und überhaupt: Ich habe nicht den geringsten Grund, Annes Worte überhaupt anzuzweifeln. Ihr vertraue ich blind und als ich erkannt habe, was für ein mieses Spiel du hier eigentlich spielst, habe ich beschlossen, den Spieß einfach umzudrehen. Als du mich nämlich beauftragt hast, mich um Oliver und L „zu kümmern“, hab ich ihre Erinnerungen gar nicht manipuliert, sondern sie lediglich erst mal schlafen geschickt und ihnen Instruktionen gegeben, was sie zu tun haben. Sie haben also lediglich so getan, als könnten sie sich an nichts mehr erinnern, um dich so ins offene Messer laufen zu lassen. So wie es aussieht, haben wir dich in deinem eigenen Spiel geschlagen.“ „Nein“, knurrte Andrew mit zusammengepressten Zähnen und funkelte seinen ehemaligen Verbündeten hasserfüllt an. „Ich lasse mich niemals in meinem eigenen Spiel schlagen. Weder von dir noch von irgendjemand anderem.“ Und damit warf er ein kleines Röhrchen zu Boden aus dem explosionsartig beißender gelblicher Qualm hervorkam und alles einnebelte. Es brannte in den Augen und alle mussten husten. In diesem Moment waren sie alle Andrew schutzlos ausgeliefert. Watari rief irgendetwas, stieß dann aber einen schmerzerfüllten Schrei aus und Beyond hörte, wie er zu Boden fiel. „Sofort raus aus der Rauchwolke!“ rief Hester und laut klapperten ihre Absatzschuhe. Als Beyond dieses markante Geräusch hörte, wusste er, dass sie die Nächste sein würde. Sofort sprintete er los in Richtung der Geräuschquelle und sah nur undeutlich durch seine tränenden Augen, wie irgendjemand ein Messer zog. In dem Moment zog er seine Pistole und richtete sie auf den Bewaffneten. Doch er drückte nicht ab. Irgendetwas in ihm hielt ihn einfach davon ab. Wie konnte er den Menschen erschießen, den er wie einen Bruder geliebt hatte? Auch wenn Andrew ihn nach Strich und Faden benutzt, belogen und betrogen hatte, konnte er ihn nicht so einfach hassen. Er hörte einen weiteren schmerzerfüllten Aufschrei und fühlte sich schrecklich. Seinetwegen war Hester jetzt tot. Dabei hatte er nie etwas gegen sie gehabt. Doch als er weiterhin das Geräusch von Absätzen hörte, wurde ihm klar, dass es gar nicht Hester war. Langsam verflog der Rauch und als Beyond wieder klar sehen konnte, war es Andrew, der auf dem Boden lag. Er versuchte aufzustehen, konnte aber nicht laufen, da Anne ihm mit ihrem Schwert die Achillessehnen durchgeschnitten hatte, um ihn an der Flucht zu hindern. Tarara holte ihre Handschellen hervor und legte sie Andrew an, dann zerrte sie ihn hoch. „Andrew Asylum, Sie sind hiermit wegen Mordes, versuchten Mordes, Anstiftung zum Mord, Anstiftung zur Freiheitsberaubung und Körperverletzung sowie Dokumentenfälschung und zahlreicher weiterer Delikte verhaftet. Alles, was Sie jetzt sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, wenn Sie keinen haben, wird Ihnen von der Strafverteidigung einer gestellt.“ Völlig hilflos sah Beyond mit an, wie sein bester Freund aus Kindertagen an Handschellen abgeführt und von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, sank er zu Boden und starrte ins Leere. Er konnte es einfach nicht glauben. Andrew war ein krimineller Soziopath, der ihn all die Jahre nur belogen und manipuliert hatte? Nur weil er geglaubt hatte, Andrew sei das Opfer einer Verschwörung geworden, hatte er Wammys House verlassen und diese BB-Mordserie begangen. Seinetwegen war er zum Verbrecher geworden. Und jetzt wurde er so enttäuscht. Alles, woran er bis jetzt geglaubt hatte, erwies sich als eine große Lüge. Wem konnte er denn jetzt noch glauben? Was sollte er jetzt glauben? „Du glaubst, du hättest den wichtigsten Menschen verloren, nicht wahr?“ Beyond sah auf und bemerkte erst jetzt, dass Anne vor ihm stand. Sie, die das Schlimmste verhindern und die Wahrheit offenbaren konnte, stand jetzt direkt vor ihm und sah ihm mit ihrem typisch kühlen Gesichtsausdruck an. Und doch konnte Beyond so etwas wie eine Spur Mitleid in ihren wunderschönen Augen erkennen. „Es ist sicher ein Schock für dich, die Wahrheit auf diese Weise zu erfahren.“ „Natürlich. Ich erfahre, dass mein bester Freund, der für mich immer wie ein Bruder war und für den ich alles getan habe, in Wahrheit ein selbstsüchtiger und skrupelloser Lügner und Mörder ist. Ich hab echt das Gefühl, eine Welt bricht über mir zusammen.“ „Aber du weißt jetzt, wem du wirklich vertrauen kannst. Und solange du einen Menschen in deinem Leben hast, der dir alles bedeutet und für den du alles tun würdest und der das Gleiche auch für dich jederzeit tun würde, hast du auch einen Ort, zu dem du zurückkehren kannst.“ Als Anne das sagte, dachte Beyond an Rumiko. Ja, sie hatte ihn niemals benutzt und betrogen. Sie hatte ihn immer vor seinem gewalttätigen Vater beschützt und ihm oft genug das Leben gerettet. Dank ihr konnte er das Gefängnis als freier Mann verlassen und ohne zu zögern hatte sie ihm ihre Unterstützung im Kampf gegen Jeff und dem Slenderman zugesagt. Er hatte tatsächlich einen Ort, wo er hingehörte und wo er zuhause war. Die Farm, die sie aus ihrem Wunsch nach Freiheit und Abgeschiedenheit aufgebaut hatten. Und L und Watari, die er all die Jahre für seine Todfeinde gehalten hatte, hatten versucht, ihn vor Andrews Einfluss zu schützen… Sie waren jetzt Freunde. „Was wird jetzt aus Andrew und Fear?“ „Wenn Andrew verurteilt ist, wird er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen und von der Außenwelt komplett isoliert werden. Er wird nie wieder das Tageslicht sehen, keinen anderen Menschen als seinen Pfleger zu Gesicht bekommen und nie wieder Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können. Fear und ich werden verschwinden. Indem wir die Wahrheit offenbart haben, haben wir auch gleichzeitig gestanden, dass wir Menschen entführt und getötet haben. Wir haben den Deal mit T abgeschlossen, dass wir in einem unbemerkten Moment entkommen können. Jetzt, da Andrew weg ist, besteht weder für mich noch für Fear der Grund, jemals wieder einen Menschen aus niederen Beweggründen zu töten.“ Und mit einem perfekten Knicks verabschiedete sich Anne und schritt davon. Beyond wurde von Oliver und L ins Hotel gebracht und sie hielten lange Gespräche über das, was passiert war, was Andrew alles eingefädelt hatte und welche Absichten er verfolgte. Er erfuhr, dass Anne schon seit Anbeginn dieses „Spiels“ das Ziel verfolgte, Andrew das Handwerk zu legen und hatte Watari kurz nach seiner Gefangennahme in ihren Plan mit einbezogen. Dieser habe ihr angeraten, Hester zu kontaktieren und sie zu bitten, mit ihrer alten Freundin T zu sprechen, die beim FBI arbeitete. Da aber noch nicht ganz klar war, worauf Andrew hinaus wollte und wie er das Finale geplant hatte, konnten weder Watari noch Anne etwas unternehmen. Und da Anne ja von Andrew erpresst wurde, konnte sie sich nicht seinen Befehlen widersetzen. Doch die Sorge um Fear war größer und so hatte sie sich ihm kurz nach ihrem Gespräch mit Andrew, der im Hotel als Ben Lake als Aushilfskraft gearbeitet hatte, anvertraut. Sie bot sogar an, dass Fear ihre Erinnerungen lesen könnte, wenn er ihre Worte anzweifelte. Und als klar war, dass Andrew nicht mehr zu trauen war, besprachen sich Fear und Anne, was zu tun war. Anne befestigte heimlich eine Wanze an L’s Kleidung, um das Gespräch aufzeichnen zu können. Und als Andrew davon sprach, dass er eine Rochade durchführen wollte, war Anne sofort klar, dass Andrew Fear aus dem Weg räumen wollte und klärte ihren „Herrn“ darüber auf. Als er L und Oliver das Gedächtnis löschen sollte, hatte er sie stattdessen nur schlafen geschickt, sie aber vorher noch ermahnt, so zu tun, als wüssten sie von nichts. Alles andere sollten sie ihm und Anne überlassen. Und während Andrew sich voll und ganz dem Höhepunkt des Spiels widmete, nahm Anne erneut Kontakt zu Hester auf, bestellte sie zur Arroway Psychiatrie und befreite Watari. Sie alle wollten Andrew in einem Überraschungsmoment erwischen, damit die Situation nicht eskalierte. „Hätte er das Weite gesucht, dann hätte das FBI ihn draußen abgefangen. Das gesamte Gebäude war bereits umstellt und ein Krankenwagen für den Ernstfall hatte auch bereit gestanden.“ Beyond nickte schweigend und starrte mit trübem Blick ins Leere. „Ich kann einfach nicht fassen, dass ich mich so sehr in Andrew getäuscht habe. Ich habe ihm blind vertraut und er hat mich dermaßen verarscht. Ich komm mir wie der letzte Idiot vor.“ „Ich weiß, es ist hart“, sagte Oliver und legte ihm aufmunternd einen Arm um die Schulter. „Aber du kannst wirklich nichts dafür. Wenigstens haben wir diesen Wahnsinnigen aufhalten können, bevor er dich noch zu irgendetwas gebracht hätte, was du später bereuen könntest. Ehrlich gesagt, hatte ich echt Sorge, dass du auf einen von uns losgehst.“ „Ich stand auch kurz davor. Es hätte wirklich nicht viel gefehlt. Oh Mann, ich fasse es einfach nicht. Weil ich dachte, Andrew sei ermordet worden, habe ich Menschen umgebracht! Scheiße… ich bin so ein Vollidiot. Das alles tut mir so Leid. Ich habe dir wirklich Unrecht getan, L und auch den anderen.“ „Schon okay, ich weiß ja, dass es nicht deine Schuld war. Vergessen wir die alten Feindseligkeiten einfach und machen einen Neuanfang.“ „Danke L. Hört mal, ich fühl mich echt nicht gut. Ich brauch ein wenig Zeit für mich selbst… um über alles nachzudenken.“ Beyond blieb den ganzen Tag über weg und als er den dritten Tag nicht auftauchte, begannen L und Oliver nach ihm zu suchen. Sie erfuhren, dass Beyond den nächsten Flieger nach Finnland genommen hatte und nun zusammen mit Rumiko, Madeline und Faith auf der Farm lebte. Zwar hatte er mit L und Watari Frieden geschlossen, doch er wollte nie wieder mit den Leuten aus Wammys House Kontakt aufnehmen. Dieses Kapitel war für ihn abgeschlossen und er wollte sich auch nicht mehr damit beschäftigen. Die Sache mit Andrew war einfach zu viel für ihn gewesen und er würde lange Zeit brauchen, um über diesen Schock hinwegzukommen. Fear und Anne verschwanden inzwischen vollkommen von der Bildfläche und trotz polizeilicher Suche konnte man sie nicht finden. Fears Haus, die Nightmare Mansion, fiel einer Gasexplosion zum Opfer und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Weder Beyond noch L hörten jemals wieder etwas von ihnen und wussten auch nicht, wo er sich aufhalten könnte. Gerüchten zufolge sollte sich aber in einer prachtvollen Villa in Thailand ein aristokratisch aussehender grauhaariger junger Mann mit Augenklappe und ein Dienstmädchen mit bernsteinfarbenen Augen niedergelassen haben. Aber das waren nur Gerüchte. Ob dem wirklich so war, musste die Polizei herausfinden. Andrews Verurteilung zog sich über zwei Monate hinweg und verschiedene psychologische Gutachten wurden ausgestellt, die sich sehr widersprachen. Schließlich aber wurde er für voll zurechnungsfähig erklärt und kam in die Hochsicherheitsverwahrung. Als er dort aber einen manischen Anfall bekam und das halbe Gefängnis abbrannte, verlegte man ihn in die Woodley Nervenheilanstalt für gefährliche Straftäter. Dort endete er schließlich in der Gummizelle, ohne Aussicht darauf, jemals wieder das Tageslicht zu sehen. Und doch… L erhielt knapp ein paar Monate später die Nachricht, dass sich in besagter Nervenheilanstalt ein furchtbares Massaker zugetragen hatte. Mehrere Patienten und Pfleger wurden brutal niedergemetzelt und mehrere gefährliche Patienten konnten entkommen. Darunter befanden sich die „Mörderprinzessin“ Molly Stone, der Chirurg Dr. Yugure Heian, der Familienkiller Steven Red und niemand anderes als Andrew Asylum. Letzterer hatte eine blutige Nachricht hinterlassen, die offensichtlich an L gerichtet war. „Ready for the next Game?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)