Was im Schatten folgt ... von whitePhobia (*KaRe*) ================================================================================ Kapitel 2: Wie Angst schmeckt ----------------------------- Ray presste die Zähne fest aufeinander und versuchte ein Wimmern zu unterdrücken. Er wusste nicht ob es ihm gelang. Die Dunkelheit presste sich wie ein dickes Tuch auf Mund und Nase und raubte ihm den Atem. Panisch kämpfte er gegen die aufwallende Angst in ihm an, die die plötzliche Finsternis verursachte. Seine kalten Finger krallten sich in die Lehne des Sofas. Das abgestumpfte Trommeln des Regens dröhnte in seinen Ohren. „Es gibt keinen Grund zur Panik!“, redete er sich ein. Doch die Schwärze wallte wie eine brodelnde Wasseroberfläche vor ihm auf und griff nach ihm. Da waren sie wieder. Die Augen in der Dunkelheit, die ihn beobachteten und nur darauf warteten, dass er langsam den Verstand verlor. Gestalten in den Schatten, die er nie greifen konnte, doch er spürte ihre Blicke, wusste dass sie da waren, ihn verhöhnten. Er war nur ein kleiner Junge. Was sollte er ihnen entgegen stellen, wie sollte er sich gegen diese Augen wehren, wenn sie ihn angriffen? Er war allein. Er musste fliehen. Außerhalb seines Gefängnisses regnete es. Noch spürte er den Regen nicht, doch es war nur eine Frage der Zeit bis das Wasser in sein Gefängnis dringen würde. Würde der Regen die Zisterne wieder fluten? Würden die Augen beobachten, wie er in seinem Gefängnis langsam ertrank? Er musste fliehen. Er musste hier raus. Er musste … Tysons Fluchen holte Ray in die Gegenwart zurück. Der unsichtbare Knebel, der ihm die Luft zum Atmen genommen hatte war von einer Sekunde auf die andere verschwunden. Der Japaner hatte sich anscheinend in der Dunkelheit am Holztisch gestoßen. Ray bemerkte, dass er die Beine an sich herangezogen hatte und sich tief in die Polster des Sofas drückte. Sein Körper war derart angespannt, dass er zitterte. Holz klapperte duzendfach auf Holz. Diesmal waren die Figuren des Schachspiels umgestoßen worden. Und diesmal war es Max, der mit Verwünschungen um sich warf. Einen Augenblick später wurde er Raum von einem schwachen bläulichen Lichtschein erhellt. Kenny hatte seinen Laptop eingeschaltet und somit für eine notdürftige Beleuchtung gesorgt. Ray sah die schwach beleuchteten Gestalten seiner Freunde und entspannt sich etwas. Er war nicht allein. Er war auch nirgendwo gefangen. Das eben war nur eine … Halluzination gewesen. Seine Muskeln entkrampften sich wieder und Ray zwang sich dazu sich wieder normal hinzusetzen. „Gute Idee Kenny. Wenigstens einer, der erst nachdenkt, ehe er sich wie ein blinder Elefant im Porzellanladen verhält.“, sagte Kai anerkennend und sah böse in Tysons und Max Richtung. „Was hattet ihr überhaupt vor. Wolltet ihr euch in der Dunkelheit durch das ganze Haus tasten?“ Die beiden waren in ihren Bewegungen erstarrt, als das schwache Licht des Laptopbildschirms die Umgebung erhellt hatte. Weit waren sie wirklich nichtgekommen. Tyson stand Kamin und sah aus, als hätte er den Sims nach Streichhölzern abtasten wollen und Max hatte sich erst halb erhoben und hielt ein paar Schachfiguren in der Hand, die er schnell zurück auf das Spielbrett stellte. Kai sah kurz zu Ray, um zu überprüfen, ob er sich auch zu irgendeiner Torheit hatte hinreißen lassen. Konnte aber nichts dergleichen feststellen. „Wir sollten …“, begann Kai und hatte wie selbstverständlich die Entscheidungshoheit über diese Situation an sich gerissen, doch in diesem Moment betrat Gustav mit einer Taschenlampe das Zimmer. Das helle Licht belendete Ray, als der Lichtkegel der Taschenlampe über ihn glitt. „Ist bei ihnen alles in Ordnung?“, fragte der Butler und alle nickten. Gustav stellte die Taschenlampe auf einem Tisch ab, sodass ihr kreisrunder Strahl an die Decke geleuchtet wurde, dann zog er ein Feuerzeug aus der Hosentasche und zündete einige Kerzen an. „Sie müssen den Stromausfall entschuldigen. Das kommt seit einigen Wochen öfters vor. Vor einiger Zeit wurde unweit des Dorfes eine neue Papierfabrik an das Stromnetz angeschlossen, seitdem kann es vorkommen, dass zu Stoßzeiten der Strom für einige Minuten ausfällt. Ich hatte gehofft der Netzbetreiber hätte das Problem vielleicht inzwischen behoben, weil es seit einigen Tagen nicht mehr aufgetreten ist.“ Irgendwie kam es Ray vor, als würde Gustav diesen Stromausfall für sein persönliches Versagen halten, obwohl er nichts dafür konnte. Das Flackern der Kerzen und das Licht der Taschenlampe drängten Rays Dämonen in die Ecken des Zimmers zurück. *** Zwanzig Minuten später war der Strom wieder da und mit ihm kam auch Robert zurück. Der Schlossherr berichtete, dass durch den Stromausfall ärgerlicherweise auch sein Telefongespräch unterbrochen worden war und er selbst eine Weile im Dunkeln gesessen hatte, bevor er eine Taschenlampe gefunden hatte. Das nachfolgende Abendessen verlief recht ausgelassen. Vor allem da Max und Tyson Robert zu der blutigen Vergangenheit seiner Familie befragten und das Erzählte dann zu eigenen Geistergeschichten weiter spannen. Niemand schien so recht zu bemerken, wie Ray nach und nach der Appetit verließ, je mehr sich Max und Tyson in ihren Gruselgeschichten zu übertrumpfen zu versuchten. Ray schob sein Essen lustlos über den Teller und legte schließlich sein Besteck zur Seite. Er brachte sowieso keinen Bissen mehr hinunter. *** Ray lag in seinem Bett und starrte auf den dunkelblauen Baldachin über ihm. Bis auf seine Nachttischlampe hatte er alle Lichter im Zimmer ausgeschaltet. Anstatt einzuschlafen, wurde er von Minute zu Minute wacher. Sobald er die Augen schloss, befiel ihn wieder das Gefühl nicht allein im Zimmer zu sein. Er nahm die Geräusche des jahrhundertealten Hause fiel bewusster wahr. Dielen knarrten. Etwas raschelte im Abzug des Kamins. Bei jedem neuen ungeklärten Geräusch schlug Ray die Augen auf und sah sich panisch um. Jedes Mal mit pochendem Herzen, jedes Mal weiter vom ersehnten Schlaf entfernt. Ray konnte sich noch so oft einreden, dass es da nichts gab, vor dem er sich fürchten musste, er schaffte es einfach nicht sich zu entspannen. Erneut schloss Ray die Augen. Er brauchte den Schlaf, das wusste er. Wenn er am nächsten Tag übermüdet war, würde es seinem Verstand nur umso leichter fallen ihm Dinge vorzugaukeln die gar nicht existierten. Vielleicht musste er sich nur vorstellen woanders zu sein. Zu Hause zum Beispiel. Ray konnte sich nicht daran erinnern, wann es bei ihm zuhause das letzte Mal einen Stromausfall gegeben hatte. Er war auf jeden Fall noch sehr viel jünger gewesen. Doch hier im Schloss schien das eine Alltäglichkeit zu sein. Erschreckenderweise. Was wenn das Licht jetzt erneut ausfiel und er in tiefer Dunkelheit saß. Mit klopfendem Herzen riss Ray die Augen auf um zu überprüfen, ob das Licht seiner Nachttischlampe noch brannte. Natürlich tat sie es. Ray seufzte erleichtert und setzte sich auf. Hellwach wie er war würde er in der nächsten Stunde bestimmt kein Auge mehr zu tun. Vielleicht würde einer seiner Freunde noch wach sein. Dann konnte er sich mit ihm die Zeit vertreiben. Und zumindest eine Weile seine Ängste vergessen. *** Ray hatte die Hand schon halb erhoben, als er in der Bewegung innehielt. Max und Tyson hatten schon geschlafen und bei ihnen hätte es Ray auch nicht großartig gestört sie noch einmal geweckt zu haben. Aber bei Kai war das immer so eine Sache. Der konnte das Gedächtnis eines Elefanten haben, wenn es darum ging sich zu merken, wer ihm wann und wie auf die Füße getreten war. Ray zögerte, sein Bedürfnis nach Gesellschaft überwog die Befürchtungen Kai zu verärgern. Er atmete tief durch hob die Hand und …. Das Licht der Lampen in dem Gang flackerte einmal und dann war es plötzlich dunkel um ihn herum. Ray erstarrte. Panik überrollte so schlagartig, wie die Finsternis sich über ihn gesenkt hatte. Erschrocken riss er die Augen weit auf in der Hoffnung in der Dunkelheit etwas erkennen zu können. Er wirbelte herum und presste sich mit dem Rücken an die Tür und tastete hektisch nach der Klinke, fand aber nur glattes Gestein und lackiertes Holz unter seinen Fingern. Die Dunkelheit vor ihm schien sich zu bewegen. War da ein federleichtes Tappen von Fußsohlen auf dem Steinboden? Ein erstickter Schrei entwich Rays Kehle und er taste noch hektischer nach der Türklinke. Die Kälte aus den Steinwänden kroch in Rays Glieder und auf einmal war er wieder in dem alten Schacht in der Festungsruine, war wieder sieben Jahre alt und wusste nicht, ob er jemals seinem Gefängnis entkommen konnte. Die Tür hinter ihm schwang plötzlich auf und Ray kippte nach hinten. Nur mit Mühe fand er im Türrahmen Halt und verhinderte so einen Sturz. Er wandte sich um und sah Kai direkt in die Augen, der ihm mit einem Kerzenhalter in den Händen verblüffte Blicke zu warf. Ray war noch nie so froh gewesen Kai zu sehen. „Alles okay?“, fragte Kai und hielt den Leuchter etwas in die Höhe um in dessen Lichtkegel in den Flur zu spähen. Statt einer Antwort, schlang Ray einfach seine Arme um Kai und drückte sich an ihn. Es war angenehm einen anderen Geruch, als dem nach kaltem Stein in der Nase zu haben und Kai war warm. Nicht dass es hier drin wirklich kalt gewesen wäre, die dicken Wände verhinderten die Hitze und Kälte nach innen drangen, dennoch war diese Wärme ein Zeichen der Sicherheit. Kai löste sich mit sanfter Gewalt aus der Umarmung und sah Ray stirnrunzelnd an. Dieser errötete, als er bemerkte, dass er Kai wie ein hilfesuchendes Kind sein Stofftier festhielt, umarmt hatte. Erneut ermahnte sich Ray daran, dass er nicht mehr sieben Jahre alt war, sondern sich wie ein Erwachsener verhalten sollte. „´Tschuldige.“, nuschelte er verlegen und trat einen Schritt von Kai zurück und sofort schien es als rückten die Schatten wieder ein wenig näher. Ray versuchte aus den Augenwinkeln alle dunklen Ecken gleichzeitig in Auge zu behalten. „Ray, was ist heute mit dir los?“, fragte Kai und Ray musste sich zusammen reißen um nicht zusammen zu zucken. Er hatte fast schon wieder vergessen, dass Kai vor ihm stand. „Ich weiß auch nicht. Ich denke ich bin nur ein wenig nervös. Ist ja auch ziemlich gruselig hier.“, sagte Ray und brachte ein halbherziges Grinsen zustande, von dem er hoffte, dass der Russe es nicht sofort durchschaute. Doch Kais Stirnrunzeln verschwand nicht. „Komm rein.“, sagte er nach einer kurzen Pause, zog Ray komplett in sein Zimmer hinein und schloss die Tür hinter ihnen. Ray entspannte sich augenblicklich. Nicht mehr allein in völliger Dunkelheit zu sein ließ seine Panik verschwinden. Er dachte besser nicht daran, dass er da gleich wieder raus musste um zu seinem Zimmer zu kommen. „Setz dich.“, murmelte Kai und ging zum Kaminsims hinüber um einen weiteren Kerzenleuchter anzuzünden. Ray ließ sich in einem der Sessel vor dem kalten Kamin fallen. Auf dem Rost waren zwar ein paar Holzscheite aufgestapelt doch Ray bezweifelte, dass er geschickt genug war sie in Brand setzen zu können. Es war auch noch gar nicht nötig ein Feuer im Kamin zu entfachen. „Was hast du da draußen gemacht?“, fragte Kai ihn nachdem er den zweiten Kerzenständen auf seinem Nachttisch abgestellt hatte. Das gelbe Licht der Kerzen tauchte das Zimmer in einen flackernden Lichtschein und der Kerzenhalter auf dem Nachttisch sorgte dafür, das Kais scharf geschnittenes Profil neben ihm an die Wand geworfen wurde, nachdem er sich in den zweiten Sessel gesetzt hatte. „Ich …“, begann er und geriet sofort ich ins Stocken. Ray seufzte und sah Kai in die Augen. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte Kai ihnen allen nicht vertraut, vor ihnen so viele Dinge zurück gehalten und nun saß er selbst hier und bekam den Mund nicht auf. „Ich wollte nicht allein sein.“, sagte er dann und auf einmal sprudelte alles aus ihm heraus. Er erzählte Kai von seinem Kindheitserlebnis. Wie er geglaubt hatte seine Angst davon besiegt zu haben und davon, dass sie zurück gekehrt war seit sie hier waren. Von den sich bewegenden Schatten und den Augen, die ihn aus der Dunkelheit heraus verfolgten. Ray war von sich selbst überrascht, wie leicht es ihm fiel darüber zu reden, nachdem er einmal davon angefangen hatte. Er fühlte sich zwar nicht wirklich von seiner Last befreit, nachdem er Kai das alles gesagt hatte. Doch es hatte irgendwie geholfen mit jemanden darüber zu reden. „Was willst du jetzt machen?“, fragte Kai nachdem Ray einige Minuten nichts mehr gesagt hatte. „Ich weiß nicht.“, sagte Ray schulterzuckend. Er wusste dass es eigentlich nur zwei Möglichkeiten gab. Sich seiner Angst zu stellen, oder abzureisen. Er wollte eigentlich weder das eine noch das andere. Es klopfte leise an der Tür und Kai und Ray drehten ihre Köpfe. „Herein!“, forderte Kai den Besucher auf und einen Moment später öffnete Gustav, der Butler, die Tür. „Master Robert entschuldigt sich für den erneuten Stromausfall und lässt fragen, ob bei ihnen auch alles in Ordnung ist.“, sagte der Butler höflich und stellte einen schmalen Kasten, in dem sich noch weitere Kerzen befanden auf den Kaminsims. „Alles Bestens.“, sagte Ray und Kai nickte nur zur Zustimmung, bevor der Butler sich leicht verbeugte und das Zimmer wieder verließ. „Kenny wird noch die Krise kriegen.“, sagte Ray, nachdem die Tür wieder ins Schloss gefallen war. „Wenn er nicht rund um die Uhr eine Lademöglichkeit für seinen Laptop in der Nähe hat, ist er doch nur ein halber Mensch.“ Ray grinste Kai an, doch der reagierte gar nicht auf seinen Scherz und so sagte er: „ Ich gehe mal besser in mein Bett. Es ist schon spät.“ „Du kannst hier bleiben, bis der Strom wieder da ist.“, schlug Kai vor und Ray nickte erleichtert. „Ich geh nur kurz ins Bad. Bin gleich wieder da.“ Der Russe zündete sich eine der neuen Kerzen aus dem Kästchen auf dem Kamin an und steckte sie in einen einzelnen Halter, bevor er mit seiner behelfsmäßigen Lichtquelle das Zimmer verließ. Ray versank tiefer in dem Sessel und seufzte. Obwohl er nun wieder allein war, schien ihm seine Umgebung weniger bedrohlich. Die einfache Tatsache, dass er nicht lange allein bleiben würde, sondern, dass Kai bald zurück sein würde half bereits. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er sich bereits seine Angst von der Seele geredet hatte. Ray beobachtete die Flammen und das Schattenspiel, das sie an die Wände warfen. Er gähnte und rollte sich so gemütlich wie möglich auf dem Sessel zusammen. *** Er schreckte hoch. Eben hatte er noch die tanzenden Schatten beobachtet und dann waren ihm seine Augen zugefallen. Er blinzelte und stellte erschreckt fest, dass es draußen bereits hell war. Immer noch lag er zusammen gerollt in dem Sessel in Kais Zimmer. Langsam richtete er sich auf und griff geistesgegenwärtig nach dem Decke, die über ihm lag, bevor sie zu Boden gleiten konnte. Kai musste sie aus Rays Zimmer geholt haben und ihn damit zugedeckt haben während er schlief. Rays Blick glitt zu Kais Bett, in dem der Russe seelenruhig schlief. Gähnend stand er auf und streckte sich. Trotzdem er nicht in einem Bett geschlafen hatte fühlte Ray sich ausgeruhter, als in der Nacht zuvor. Keine Träume voller Kindheitserinnerungen hatten ihn heimgesucht. Ray ging zum Fenster und sah hinaus in den Garten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)