Don't die in front of the Idiots von Bleeding_Rose ================================================================================ Prolog: *~Prolog~* ------------------ Wieso mache ich das eigentlich? Ich stehe jede Nacht auf und gehe auf die Straße hinaus. Ich denke, ich suche nach etwas, aber ich weiß nicht wonach… Ich irre dann in dieser belebten Stadt herum. Selbst in der Nacht schläft sie nicht. Auf der Hauptautobahn, die durch das Zentrum führt, rasen die Autos auf und ab. Nur die Parks sind dunkle Flecken in der beleuchteten Umgebung. Selbst wenn viele Menschen in ihren Betten schlummern, pulsiert das Leben auf den Straßen. Nachtclubs und Bars werben mit bunten Neonlichtern um die Aufmerksamkeit der Nachtschwärmer. Jedoch gibt es auch ein anderes Extrem. Weiter vom Zentrum entfernt befinden sich ruhigere Wohngebiete. Dort ist es immer wie in einer Geisterstadt sobald die Dämmerung hereinbricht. Ich bevorzuge für meine Ausflüge die Zone, die dazwischen liegt. Sie ist genau richtig für mein Vorhaben. Dort finde ich immer etwas das mein Können beansprucht. Oh, und da haben wir ja ein unaufmerksames Individuum. Er biegt gerade in diese dunkle Gasse da ab. Ich beobachte ihn nun schon seit ein paar Stunden. Er war in einigen Restaurants, die auch um diese Uhrzeit noch warmes Essen anbieten. Er hat sich wahrscheinlich den Bauch vollgeschlagen. Dabei wirkt er auf mich schlank, selbst in diesem dicken Mantel und mit dem Schal. Er ist der Jahreszeit entsprechend angezogen. Ich vermute dass er ein Student ist. Seine ganze Erscheinung lässt darauf schließen. Er trägt eine Brille mit runden Gläsern und eine Umhängetasche, vollgestopft mit Büchern. Sein braunblondes, kurzes Haar, das ein wenig gelockt ist, hängt gerade so über seine Ohren. Ich fixiere seine tief blauen Augen, die mir keine Beachtung schenken. Die Wangen darunter sind leicht gerötet. Er ist wohl ein wenig angetrunken, denn er taumelt leicht. Ich folge ihm unauffällig, wie ein Schatten an der Wand. In diese kleine Nebenstraße dringt kein einziger kleiner Lichtstrahl vor. Gut für mich, und schlecht für den Studenten. Ich muss grinsen. Soll ich ihm eine kleine Chance geben? Ja, ich denke er hat eine verdient. Ich liebe es zu jagen. Es ist wie ein innerer Drang, ein berauschendes Gefühl. Am lustigsten ist es wenn sie kreischend davon rennen. Ich löse, so geräuschvoll es geht, meine Beretta 92 von dem Strumpfband unter meinem Rock. Eine hübsche Waffe. Der Student hat mich bemerkt. Er dreht sich um. Ich muss schon wieder grinsen, als er versucht vor mir davon zu laufen. Sie laufen immer davon, dabei bringt das doch gar nichts! Ich kriege sie immer. Mit einem Lächeln feuere ich den ersten Schuss ab. Mist! Verfehlt. Aber ich lasse mir nicht anmerken, dass mich das ärgert. Es hat ja auch einen guten Effekt, da der Student nun um sein Leben rennt. Peng. Der zweite Schuss hat gesessen! Ein Schwachpunkt der Menschen ist die Achillessehne, die ich getroffen habe. Jetzt ist er gezwungen zu humpeln. Ich folge ihm. Es ist ein Leichtes ihn einzuholen. Der letzte Schuss. Der Student fällt nach vorn. Seine Brille zerbricht, als er auf den Boden aufschlägt. Die Beretta ist wieder auf ihrem Platzt. Meine Süße hat ihre Sache gut gemacht. Nun ist das Katana an der Reihe. Der Student ist noch nicht ganz tot. Ich höre ihn noch wimmern. Um ganz sicher zu gehen, dass mein Opfer wirklich das Zeitliche segnet, setze ich dieses Schwert ein. Erst wenn ich es in sein Herz gerammt habe kann ich wieder gut schlafen. Aber irgendwie ist es schon eine Sauerei. Überall das Blut… Zum Glück bin ich sehr kreativ. Ich lehne ihn an eine Wand und schreibe mit seinem Blut ein kleines Gedicht für alle die ihn finden: Set fire With just a little spark, That´s how it goes When you´re moving in the dark. Als ich fertig bin, fängt es an zu schneien. Das kommt wie gerufen. Ich sammle noch schnell die Patronen ein. Dann mache ich mich auf den Weg nach Hause. Kapitel 1: Wieder eine erfolgreiche Nacht ----------------------------------------- Huwaaah. Hm? Wo bin ich? Wuaaaaa…! Aua! Oh, ich bin wohl schon wieder halb aus dem Bett hängend geschlafen. Au, mein Kopf tut weh. Hach… Ich würde gerne wissen wie ich das immer anstelle? Und dann falle ich jedes Mal auf den Boden. Was? Mann! Ich komme zu spät, wenn ich weiter trödele. Ich gehe in meinem pinken Hello-Kitty-Pyjama ins Bad um meine Zähne zu putzen. Ich stehe am Spiegel, den Mund voll von Zahnpasta-Schaum. Sieht aus als hätte ich die Tollwut. Mein normales Gesicht blickt mich verschlafen an. Hach, meine dummen braunen Haare sind schon wieder verwuschelt, ich hasse das. Das einzige was ich wirklich an mir mag sind meine Augen. Sie sind etwas Besonderes: um die Pupille braun, dann in der Mitte grün und außen blau. Regenbogen Augen, oder so. Während ich meine Zähne säubere, gehe ich gerne durchs Apartment. Es ist klein, aber hell. Es besteht aus einer Küche, einem Badezimmer und einem Wohn-Ess-Schlafzimmer. Jenes besitzt eine ganze Wand aus Glas. Ich beobachte von dort aus die Passanten. Wie spät ist es? Ich blicke auf meinen roten Wecker. 8.24 Uhr morgens. Um neun fängt die Schule an. Ich schalte im Vorbeigehen den Fernseher ein, der in einer Ecke des Schlafzimmers steht. Während ich mich im Bad fertig mache, laufen die Nachrichten. Ich gehe wieder raus, an dem Apparat vorbei, öffne meinen Kleiderschrank. Diese Schuluniform ist so langweilig. Schon allein dieses verwaschene Blau ist zum kotzen. Aber was sein muss, dass muss sein. Schulvorschrift! Hä? Habe ich da richtig gehört? Ich drehe mich zum Fernseher und schalte den Bericht lauter. Ich schmunzle. Der Reporter sagt, dass schon wieder ein schrecklicher Mord passier ist. Eine reiche Anwältin wurde letzte Nacht gegen 2:00 Uhr brutalst zur Strecke gebracht. Sie wurde offenbar mit einem Schwert oder einer ähnlichen Klinge in zwei geteilt. Ihre Leiche wurde diesen Morgen in einer Nebenstraße von Passanten gefunden. Es wurde eine Nachricht hinterlassen... Man konnte noch keine Spuren finden die zum Täter führen. Alles ist sehr rätselhaft. Die Polizei tappt im Dunklen. Es wird vermutet, dass es sich hier um eine Mordserie handelt. Diverse frühere Morde wurden wahrscheinlich mit der gleichen Waffe begangen und lassen auf den gleichen Täter schließen, so die Polizei. Ich schalte den Fernseher ab, da sie jetzt noch von früheren Morden berichten. Wie langweilig… Meine Schultasche ist in zwischen gepackt. Jetzt muss ich mich wirklich beeilen, sonst verpasse ich noch die U-Bahn. Und ich will ja nicht zu spät kommen, sonst wird meine Lehrerin wieder zur Furie. Ich verlasse die Wohnung im ersten Stock und eile zur U-Bahnstation, ein paar Straßen weiter. Heute ist ein seltsamer Tag. Obwohl die Straßen belebt sind, und das Gerücht des Serienkillers wohl schon die Runde macht, wirken die Leute um mich friedlich. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil heute so schönes Wetter ist. Ein herrlicher Frühsommertag. Die Menschen um mich wirken alle ausgelassen und glücklich. Sie streunen einfach umher und besuchen die Cafés um mit Freunden zu plaudern. Es wirkt ganz so, als ob ich mich mitten in Paris befinde. Dass passt eigentlich gar nicht zu dieser Großstadt die sonst nur von Fortschritt bestimmt ist, in der die Menschen wie fleißige Bienchen ihre Arbeit verrichten. Aber heute ist sie komplett… Moment Mal. Auf dieser Uhr ist es doch schon… Mist! Mist! Mist! So ein…! Ich renne die nächsten Straßen entlang ohne auf Passanten, Rote Ampeln oder anderes zu achten. Die Treppe zur Untergrundbahn hinunter. Wehe dieser blöde Zug ist schon losgefahren! Ich bleibe erst gar nicht stehen um mich umzuschauen, sondern laufe einfach weiter. Nein! Nicht! Ich erreiche noch in der letzten Sekunde mein Ziel. Jetzt kommt der Endspurt. Nur um Haaresbreite komme ich noch durch die sich schließende Tür. Ich werde von allen angestarrt, als ich schnaufend im Zug stehe. Doch die meisten konzentrieren sich schnell wieder auf sich selbst. Solche Aktionen sind sie schon gewohnt. Die Bahn fährt ab. Ich glaube ich habe ein paar Leute um gestoßen, auf meinem Weg. Aber das ist jetzt auch vorbei. Jetzt kann ich mich auf die Schule freuen. Ha! Eigentlich ist es nur Zufall, dass ich mir so einen Luxus leisten kann. Wenn einem im Leben mal was Gutes passiert, dann wird es dir im nächsten Augenblick wieder weggenommen. Eine Sache die ich lernen musste. Ach, die zwei waren schon klasse… Aber ich sollte mir von diesem sentimentalen Kram nicht die Stimmung verhageln lassen. Shika wartet sicherlich bereits mit irgendeinem neuen Skandal auf mich. Diese oberflächliche Göre ist meine beste Freundin. Manchmal ist sie dumm wie Stroh. Aber an guten Tagen kann man mit ihr über alles reden. Wenn sie doch nur nicht immer so übertreiben würde… Ich muss aussteigen. Ich bin mir sicher die Furie findet wieder etwas, das sie an mir kritisieren kann. Und so kommt es auch. In Mathe. Eigentlich bin ich ganz gut darin, doch wir haben letzte Woche neuen Stoff gelernt. Und der verwirrt mich einfach nur. Jetzt gibt es nicht mal jemandem mehr der mir diesen Dreck erklären kann. Mein früherer Lehrer ist nämlich in Pension gegangen, und lebt jetzt auf den Fidschi-Inseln, in der Nähe von Australien. Er hat mir immer geholfen wenn ich etwas nicht verstanden habe. Aber dann bekamen wir die Furie und aus war das Verständnis für die Zahlen. Schon allein wie sie meinen Namen ruft. Daran schon erkennt man wie sehr sie mich verabscheut. Ich soll an der Tafel rechnen. Ich hasse das, aber mache es trotzdem. Wenn ich mich weigern würde, hätte sie nur einen Grund zu meckern. Draußen bleibe ich dann stehen. Ich gehe alles durch aber kapiere es einfach nicht. Wahrscheinlich hat sie extra eine schwere Aufgabe niedergeschrieben. Nach zehn Minuten mault sie, dass ich nur vorgeben würde schlau zu sein und ähnliches… Doch auch diese Schikanen sind irgendwann überstanden. Die Stunden ziehen an mir vorbei, und bald ist die Aufräumstunde gekommen. Nach der dürfen wir endlich nach Hause. Das Beste ist, dass wir unbeaufsichtigt sind. Natürlich laufen einige Lehrkräfte in den Gängen herum, aber Großteils sind wir allein. Ich sitze verträumt da, obwohl ich eigentlich Tafelschwämme ausklopfen soll. Da kommt ein Mädchen mit langem braunem Haar auf mich zu. Sie ist gertenschlank und blickt ernst drein. „Solltest du nicht Schwämme ausklopfen!“ Doch dann lacht sie. Tja, so ist Shika. „Hey, Sayuri ich muss dir unbedingt etwas erzählen.“ Sie gluckst vor sich hin. Dann flüstert sie mir zu: „Du kennst doch den großen Blonden aus der Klasse über uns?“ Ich nicke, er ist immerhin sehr beliebt unter den Schülern. Basketballteam. Spricht für sich selbst. „Ich habe von Hotaru erfahren, dass er angeblich auf dich steht.“ Hach… Mit so was werde ich ungefähr jeden Tag konfrontiert. Oder damit welchen Jungen sie süß findet, und welcher Junge sie süß findet. Diese ganzen zwischenmenschlichen Dinge eben. „Ja, und. Soll ich jetzt ein Dreieck springen, weil er ´angeblich` auf mich steht.“ „Ach komm schon verdirb mir doch nicht den Spaß!“, sagte sie halb beleidigt. „Frag ihn mal ob er mit dir ausgeht! Ich habe da auch jemanden den ich fragen könnte. Dann wäre es ein Doppel-Date. Na?“ Jetzt rückt sie mir ganz schön auf die Pelle. „Äh… Tut mir leid Shika, vielleicht ein anders Mal. Heute passt es gar nicht. Und außerdem ist er gar nicht mein Typ.“, beharrte ich. „Was soll ich nur mit dir anfangen…“ Es wird still. Anscheinend bewegen sich die Zahnräder in ihrem Kopf. Ich starrte wieder verträumt dahin. „Ich weiß, wir könnten doch am Wochenende Shoppen gehen! Ich brauche unbedingt wieder neue Klamotten. Und Schuhe. Auf jeden Fall Schuhe!“ Ach, Shika und ihre Schuhverrücktheit. Sie hatte unzählbar viele: Ballerinas, Stiefeletten, Pumps, Sandalen, … Erstaunlich ist allerdings, dass sie immer weiß wie viele und welche sie hat. Sie veranstaltet sogar jährlich eine Party, bei der sie ihre Alten verkauft, damit sie wieder Platz hat. So was wie ein getarnter Schuh-Flohmarkt! Das sollte ich ihr besser nicht sagen. Sie kann nämlich sehr wütend werden… Sie plappert weiter und ich tue so als ob ich ihr aufmerksam zuhöre. Der so sehr erhoffte Moment rückt immer näher. Ich blicke gebannt auf die Uhr und beginne von zehn runter zu zählen. Dann, endlich, ist es so weit. Die Schulglocke läutet und alle machen sich auf um zu ihren jeweiligen Anschlüssen zu kommen. Shika fährt mit meiner U-Bahn nach Hause. Also quatschen wir weiter. Ich versuche immer die vielen unwichtigen Informationen zu vergessen und nur die notwendigsten beizubehalten. Es ist schon später Nachmittag. Wir fahren immer gemeinsam ins Stadtzentrum und essen bei unserem Lieblingsnudelsuppenrestaurant. Das hört sich jetzt wie Werbung an, aber dort gibt es wirklich die beste Nudelsuppe der ganzen Stadt, wenn nicht sogar im ganzen Land. Hmm! Wie das schon riecht! Ich nehme nie die gleiche, aber Shika ist einfach ein Gewohnheitsmensch. Naives kleines Ding! Sie hat es eben noch nicht begriffen. Sie hat es nicht miterlebt… Lecker! Heute hat sich Ren selbst übertroffen. Ach… Die guten alten Zeiten. Bei mir sind es eher die schlechten Zeiten. Das Wort gut kenne ich erst seit ich 10 war. Daisuke und Aki haben es mir beigebracht. Sie waren für mich meine wahren Eltern. Ohne sie wäre ich noch mehr verkorkst, als ich es eh schon bin. Dort habe ich zum zweiten Mal nach vielen schrecklichen Jahren die Liebe der Eltern für ihr Kind erfahren. Doch die Krankheit macht keinen Unterschied zwischen Lebewesen, ob gut oder böse. Sie bekamen die Diagnose Krebs, beide. Es ging rapide bergab. Und dann, dann war ich wieder alleine… Sie waren zumindest so nett mir ihr ganzes Geld zu überschreiben, und nur wegen ihnen gehe ich jeden Tag zu dieser Furie von Lehrerin. Weil sie wollten, dass aus mir mal was wird. Heiß, aber gut! Genau richtig gewürzt. Einfach köstlich! Ren´s Nudelsuppe. Kann ich nur weiter empfehlen. Kapitel 2: Jemand, den ich zu hassen angefangen hatte ----------------------------------------------------- Erst mal das Licht wieder anschalten. Aber nur die kleine Nachttischlampe. Ich will schließlich nicht die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf mich lenken. So, jetzt hole ich den schwarzen, schmalen Koffer unter meinem Bett heraus. In ihm befindet sich mein Katana. Dieses traditionelle Samurai-Schwert hat mir Daisuke geschenkt. Er wollte es eigentlich seinem erstgeborenen Sohn vermachen. Aber er und Aki konnten keine Kinder bekommen. Deshalb hatten sie mich ja adoptiert. So jetzt muss ich nur noch die Beretta holen. Meine kleine Süße! Ich drapiere sie an ihrem Stammplatz und gehe hinaus. Es ist nicht kalt, aber auch nicht besonders warm. Empfindliche Menschen würden wahrscheinlich fast ´erfrieren`. Shika gehört zu der Sorte. Für mich ist es ganz erträglich. Ich schlendere durch die Straßen. Heute haben wir einen sternenklaren Himmel, nur schade dass man ihn bei den vielen Lichtern hier nicht sieht… Irgendwie entwickeln meine Füße ein Eigenleben und ich finde mich in den Außenbezirken wieder. In den ruhig da liegenden Einfamilienhäusern, mit ihren kleinen Gärten, sind die Lichter bereits seit Stunden aus. Nur noch die Laternen beleuchten die Straßen. Hier hat man einen guten Blick auf die Sterne. Da ist Orion, dort die Fische, der große Wagen, der kleine Bär… „Ha Ha Ha! Ja, bis morgen dann.“ Eine Mädchenstimme. Ich höre das Auto wegfahren. Nicht gerade langsam. Sie kichert und gluckst vor sich hin. Anscheinend ist sie betrunken. Klick, klack, klick, klack, höre ich ihre High Heels, wie sich dann herausstellt, als sie in meine Straße einbiegt. Sie bleibt 2 Meter vor mir stehen, denn sie hat mich erst jetzt bemerkt, und starrt mich verwundert an. Oh mein Gott! Sie sieht aus wie er. Diese Haare… Schwarz mit einem unverkennbaren Blau-Ton. Sie hat sie zwar zu einem Zopf geflochten, der über ihre Schulter hängt, und sie sind nicht so lang, aber es könnten seine sein. Er… Ihn habe ich nur einmal gesehen. Und hoffe, ihm nie wieder unter die Augen zu treten. Ich weiß nichts mehr aus der Zeit bevor ich fünf war. Ich kann mich nicht mal an die Gesichter meiner Eltern erinnern… Aber an ihn. Er hat nämlich meine ganze Welt auf den Kopf gestellt. Damals lebte ich in einem Provinz-Nest. Ich hatte bei einer Freundin übernachtet. Wir spielten noch vor dem Schlafengehen mit unsern Teddybären, als ein junger Mann hereingestürmt kam und allen mitteilte, dass mein Haus brannte. Ich war aufgesprungen und losgerannt. Unser Schloss - so nannte ich es, glaube ich zumindest - brannte. Es war ein großes Anwesen, und als Kind würde man es sicher so nennen. Ich bin erst davor stehen geblieben, vollkommen erschöpft vom laufen. Und dann sah ich ihn. Er stand auf einem Pfosten der gigantischen Brücke - der einzige Zugang zum Haus. Die dunkle Gestalt hob sich von dem glühenden Hintergrund ab. Seine fast bodenlangen Haare flatterten um ihn, wegen der erhitzten Luft. Er stand da… wie ein alles vernichtender Todesengel. Ein Todesengel dessen Herz aus Eis besteht… Es war ein Inferno in der schwarzen Nacht. Die Flammen züngelten um die alten Mauern. Sie fauchten und schrien, zischten und knisterten, als sie alles was ich hatte in Asche verwandelten. Da stand ich nun, ein kleines, unschuldiges Mädchen mit ihrem Teddy in den Händen, das ihren ganzen Lebensinhalt verlor. Ich kann nicht beschreiben was ich damals gefühlt hatte. Jedenfalls sah ich ihn an. Aber ich hatte Angst ihm in die Augen zu sehen, also schaute ich auf sein Schwert, ein Wakizashi. Von ihm tropfte Blut. Das Blut meiner Eltern. Er hatte sie umgebracht und das Haus angezündet! Ein ehrenwerter Samurai! (Das erkannte man gleich an seinem Gewand und dem Wakizashi. Ich wusste es damals, weil mein Vater sich für solche Dinge interessierte…) Ich konnte es damals nicht fassen, und heute auch nicht. Aber ich glaube nun seine Gründe ansatzweise zu verstehen. Denn damals habe ich ihm dann doch noch einmal in sein Gesicht gesehen. Ich prägte es mir ein und kann es noch immer nicht ganz vergessen. Das Gesicht eines Mörders. Etwas in seinen Augen lässt mich vermuten, dass er ein Unschuldiger war. Er wurde nur auf diesen Weg gelenkt. Durch seine eigenen Entscheidungen. Er hat wahrscheinlich jemanden verraten den er sehr gemocht hatte, vielleicht sogar geliebt. Er wirkte traurig. Und eiskalt. Als wollte er sagen: „Tja mein Kind, so spielt das Leben. Deine Eltern hatten es nicht anders verdient.“ Dieser schmutzige Verräter! Eine Schande für alle Samurai und für sich selbst! Wenn ich ihn in die Finger bekomme wird er dran glauben müssen, ´weil das Leben so spielt`. Peng. Peng. Peng. Peng. Peng. Peng. Peng. Ich hasse ihn! Peng. Peng. Peng. Peng. Peng. Das werde ich ihm heimzahlen. Peng. Peng. Peng. Ich drücke noch immer den Abzug meiner Waffe, obwohl sich schon längst keine Kugeln mehr in ihr befinden. Dann gebe ich auf und stecke sie wieder weg. Der Kopf des Mädchens ist jetzt durchlöchert und sie sackt vor mir auf den Boden. Ich habe ihr den dämlichen Zopf weggeschossen und das hübsche Gesicht auch noch dazu. Jetzt wird sie nie wieder lächeln können. Und ihm wird es auch so ergehen. Ich lasse das Opfer diesmal ohne eine Message zurück. Hab keinen Bock darauf, mir was auszudenken. Ihr den Rücken zuwendend mache ich mich davon. Aber, da war ein Geräusch. Vier Laternen weiter steht jemand. Tut mir leid, aber du bist jetzt der Nächste. Kapitel 3: Ihr Auftritt, Inspektor Rayven! ------------------------------------------ Ah, der Kaffee ist heute aber heiß! Und nach Kaffee schmeckt diese Pisse auch nicht, da hilft kein Zucker der Welt. So, wo sind denn nun wieder meine Akten? Ich hatte sie hier gestern noch hingelegt. Das Zeug kann doch nicht einfach so verschwinden! Da sind sie ja! Puh, zum Glück. Das sind alle Morde die diese Woche passiert sind. Mal schauen ob es hier Zusammenhänge gibt. Ja, dieser Fall und der da. Also noch mal alles durchsuchen. Oh, Mann. Dieser Killer ist echt ´ne harte Nuss. Wenn meine Kollegen wüssten, das in fast jeder Nacht ein neuer Mord passiert, und wie viele in den letzten Monaten wirklich geschehen sind… Aber der Befehl von ganz oben war klar und deutlich: ´Lassen sie nichts an die Öffentlichkeit geraten. Wir brauchen zurzeit keine Massenpanik. ` Aber das sagt sich so leicht, wenn man mit den Akten einen ganzen Raum füllen könnte. Also dieser ist erst vor vier Tagen passiert. Ein gewöhnlicher Verkäufer. Sein ganzes Leben lang unauffällig. Keine polizeilichen Aufzeichnungen, gar nichts. Ihm wurde ins Herz geschossen. Glatter Durchschuss. Sofortiger Tod. Keine Patronen, keine Rückstände, keine DNA des Täters. Nichts. Gar nichts. Und das ist bei allen Fällen gleich. Dieser Typ ist eine Herausforderung. Und endlich mal eine Abwechslung. Sonst finde ich die Täter immer in einem Zeitraum von maximal einer Woche. Deswegen bin ich ja auch im ganzen Land berühmt. Aber dieser Kerl ist etwas Besonderes. Hach, wegen ihm sitze ich hier in diesem winzigen Büro sicher noch bis Mitternacht und bin wieder der letzte der nach Hause geht. Überstunden zu machen ist echt mies. Kein eigenes Privatleben mehr. Nur mehr Arbeit, Tag und Nacht. Ich denke sogar im Schlaf daran… Die Sonne geht schon unter. Ich gönn mir mal eine kleine Pause und gehe eine rauchen. Das Dumme ist nur, wenn man in einem Hochhaus arbeitet, irgendwo in der Mitte, dauerte es ewig bis man vor der Tür oder auf dem Dach ist. Grr, Raucherverbot im ganzen Gebäude. Manchmal wünschte ich, ich hätte doch die politische Laufbahn eingeschlagen. Es klopft an meiner Tür, dann schaut Reiko herein. Eine junge Polizistin, mit schönem Körperbau, grünen Augen und kurzen braunen Haaren. Heute trägt sie ein weinrotes, figurbetontes Kostüm. „Ja?“ „Entschuldigung. Kann ich heute früher gehen, Herr Inspektor?“ „Von mir aus gern. Warten sie ich komme mit nach unten, wollte sowieso gerade eine Zigarette rauchen gehen.“ „Das ist eine sehr schlechte Angewohnheit von ihnen. Sie sollten damit aufhören. Mein Onkel ist deswegen gestorben.“ „Dann sollte ich wohl wirklich damit aufhören.“, antworte ich ihr ohne jegliche Ernsthaftigkeit. Ich will nur nicht, dass sie mir während der ganzen Zeit im Aufzug ein Schlechtes Gewissen einredet. Ich kann in zwischen ihre Predigt auswendig aufsagen. Sie gibt sich mit dieser Antwort sichtlich nicht zufrieden, aber lässt es gut sein. So wie ich es mir erhofft hatte. Wir gehen in den kleinen Raum, der nun nach unten fährt. Ich muss gähnen. Ich weiß gar nicht mehr wann ich das letzte Mal richtig ausgeschlafen war. Dieser Fall beherrscht jetzt mein ganzes Leben. „Geht es ihnen gut? Sie wirken auf mich, als ob sie Urlaub gebrauchen könnten.“ „Mir geht es gut, sie brauchen sich da keine Sorgen zu machen.“, versichere ich ihr. Sie gehört zu der Sorte Menschen die nicht lange fackeln, sondern sofort handeln. Aber sie überstürzt nichts. Das kann ihr in ihrem Job noch das Leben retten. Tja, mein Mentor war da anders. ´Nicht denken, machen! ` Das war sein Motto. Und dann hat es ihn erwischt. Bei einer unsere verdeckten Ermittlungen. Ändern kann ich das Vergangene nicht mehr. Aber selbst wenn er noch leben würde, er wäre immer noch ein Stuhr-Kopf. Reiko starrt mich an. Ich sehe zu ihr. Jetzt wird sie rot und schaut verlegen auf die geschlossenen Aufzugtüren vor ihr. Ping! Endlich sind wir unten. Wir treten aus dem Klaustrophobie erzeugenden Raum. Ich spüre den kühlen Wind auf meinen Armen, aber das macht mir nichts aus. Warm, kalt, da gibt es keinen Unterschied für mich. „So, dann gehe ich mal. Schönen Tag noch und nehmen sie sich mal frei!“, ruft mir Reiko zu während sie sich davon macht. Als sie außer Sichtweite ist zünde ich mir einen Glimmstängel an. Sie ist noch so jung. Das Küken im Hauptquartier. Gerade mal 19, das sind nur vier Jahre Unterschied zwischen uns. Sie hat noch ihr ganzes Leben vor sich und wirft es einfach so in dem gefährlichsten Job den ich kenne weg. Ts. Ich muss gerade reden, dabei habe keine bessere Wahl getroffen als sie. Ich weiß nicht ob es Zufall oder Schicksal ist, aber nun bin nur noch ich übrig. Fast alle meine früheren Partner liegen jetzt unter der Erde. Hoffentlich geht es ihr nicht aus so… Ich werfe meinen Zigarettenstummel auf den Boden und trete ihn aus. Jetzt geht es wieder nach oben in den 39. Stock, zurück zu meinen Akten und der vermutlich kalten Pisse. Als ich wieder am meinem Schreibtisch sitze und in dem Papierkram wühle, bekomme ich zufällig meinen ersten Fall von dem Serienmörder in die Hände. Ich kann mich noch an diesen Tag erinnern… Es war Winter und es schneite bereits seit Stunden. Eine Hausfrau wollte in der Früh Müll nach draußen bringen und hatte dabei die Leiche in dieser kleinen Gasse entdeckt. Ich bin dort erst gegen Mittag eingetroffen. Das erste was ich an einem Tatort immer mache ist mir eine Zigarette anzuzünden. Dann schaue ich mir die Umgebung an, danach erst die Leiche selbst. Die Gasse war perfekt für den Mörder, denn sie war sehr abgelegen, so dass niemandem etwas aufgefallen war. Zumindest nicht während der Tatzeit. Der Pathologe wollte mich schon über die näheren Umstände aufklären, doch ich winkte ab. „Ich würde sagen der Tod ist vor ungefähr 24 Stunden eingetreten. Liege ich richtig?“ Daraufhin konnte er nur verwundert nicken. „Zwei Einschüsse.“ Ich hockte mich hin um sie besser zu sehen. „Einmal in den Rücken und einmal in den Fuß. Und dann noch ein Stich, mitten ins Herz.“ Ich stand wieder auf und sah mich um. „Er wurde dort ermordet und danach hier hingesetzt. Mit dem Blut wurde dann dieser Text hier geschrieben.“ Erst zu diesem Zeitpunkt konnte ich den Text genauer lesen. Alle um mich warteten gespannt darauf, dass der junge Grünschnabel von Inspektor endlich wieder Worte fand. Ich hatte sie absichtlich extra lange warten lassen. „Die Worte lassen darauf schließen, dass noch weitere Morde passieren werden. Es ist erst der Anfang.“ Und damit war das Schicksal meiner Freizeit besiegelt. Und kein Ende ist in Sicht. Schon seit gut einem halben Jahr hocke ich auf diesem Fall. Und mir ist sein Motiv noch immer nicht klar! Und auch die Vorgehensweise ist jedes Mal eine andere. Es sind zwar immer die gleichen Waffen, doch ihm gehen die Ideen einfach nicht aus. Was verblüffend ist, denn es gab schon Vorfälle bevor ich hierher versetzt wurde. Vielleicht sollte ich Reiko´s Rat befolgen und mir Urlaub nehmen. Aber vorher muss ich noch die neuen Fälle abarbeiten. Der Gestrige liegt dort neben dem Becher mit dem ´Kaffee`. Eine Anwältin. Es gibt böse Zungen die ihr Affären und anders Zeug nachsagen. Aber egal ob gut oder böse, Mord ist Mord. Ich nehme noch einen Schluck von dem deliziösen Kaffee und mache den Papierkram fertig. Als ich dann gehe, bemerke ich wie spät es ist. Niemand ist mehr hier. Das sonst so volle Polizeipräsidium ist leer. Ich bin schon wieder der Letzte. Ich bin immer der Letzte… Mit dem Aufzug nach unten. Und natürlich glüht schon wieder eine Zigarette in meinem Mundwinkel. Es ist inzwischen Nacht geworden. Ich gehe zur nächsten Bushaltestelle. Es wird Zeit das mein Bett mich wieder sieht. Ich lebe jetzt in einem kleinen Haus in den Außenbezirken. Ist aber nicht weiter schlimm, denn ich bin ein wenig kleinkrämerisch. Mir ist so was lieber als jede protzige Villa. Ich gehe rein, aber ich bin zu müde jetzt das Licht anzuschalten. Das Sofa sieht so einladend aus, und mein Bett ist so weit entfernt. Ich lege mich also darauf. Und gerade als ich es mir richtig bequem gemacht habe, höre ich ein Geräusch. War das eine Waffe? Ich bin wieder hell wach und mache mich auf die Suche. Kapitel 4: Advent wird auf die Bühne gebeten! --------------------------------------------- Ich versuche mich anzuschleichen so gut es geht. Er steht zum Glück mit dem Rücken zu mir. Vielleicht hat er es gar nicht gesehen? Das wäre gut für ihn. …aber ich kann das Risiko nicht eingehen auch nur einen vermutlichen Zeugen laufen zu lassen. Ich lege schon mal die rechte Hand um den Griff meines Katanas, das ich - praktischer weise - auf dem Rücken trage. Ich gehe langsam Schritt für Schritt auf ihn zu. Er scheint mich nicht zu bemerken. Ich traue diesem Schein aber nicht. Nun liegen nur noch zwei Laternen zwischen uns. Er macht offenbar etwas, aber ich kann nicht erkennen was es ist. Ich bereite mich schon darauf vor unter Beschuss zu stehen und spanne meine Muskeln an. Ich nähere mich ihm noch weiter. Was macht er da? Es sieht sehr suspekt aus, von hinten. Nun trennen uns nur noch ein paar Meter. Mein Griff verstärkt sich. Dann dreht er sich um. Ich zücke reflexartig mein Schwert. Ich halte den Griff mit beiden Händen, die Spitze ist zirka 25 Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Ich habe einen festen Stand um jeder Zeit nach vorn zu springen und es ihm in den Oberkörper zu rammen. Doch er grinst nur. Was er in den Händen hält sind ein Zeichenblock und ein Stift. Dann sagt er, noch immer grinsend und mit Charisma: „Du hast wirklich schöne Augen.“ Er lacht leise. „Macht es dir was aus wenn ich sie Zeichne?“ Dabei legt er den Kopf etwas schief. Sein schulterlanges, rabenschwarzes Haar fällt leicht zur Seite. Seine grünen Augen sehen mich fragend an. Und das während ihm ein Schwert vor die Nase gehalten wird?! „Ich heiße Advent.“ Ich bin so überrascht, weil er mit mir redet, dass ich einfach antworte. „Was ist das denn für ein Name!?“ „Das ist Latein und bedeutet Ankunft. Ist das nicht hübsch?“ Er schmunzelt noch immer. Der Drang ihm den Kopf abzuschlagen verstärkt sich, nur um dieses dämliche Grinsen nicht mehr sehen zu müssen. „So, ich bin fertig. Gefällt es dir?“ Ich hab gar nicht mit bekommen, dass er mich gezeichnet hat. Doch ich muss zugeben, er hat ein gutes Händchen dafür. Jetzt kommt mir ein Gedanke. „Wieso bist du um diese Uhrzeit noch hier, mit diesem Zeug da?“ Sehr verdächtig… „Ich bin Künstler und habe nach einer neuen Muse gesucht. Und die hab ich nun auch gefunden. Darf ich nach deinem Namen fragen?“ Ist das sein ernst? Wir haben uns nicht von der Stelle gerührt. Ist der Kerl größenwahnsinnig? Ich könnte ihn mit einem Schlag außer Gefecht setzten, und dass obwohl er trainiert aussieht. Vielleicht ein bisschen dünn, aber trotzdem muskulös. Er lächelt mich noch immer an. Inzwischen ist es schon richtig gruselig. Peng! Die Kungel fliegt direkt neben meinem Gesicht vorbei und verfehlt auch das von diesem Künstler-Typen. Jedoch streift sie seine Haare. Jetzt kommt es ihm zugute, dass er seinen Kopf schief hält. „Polizei! Drehen sie sich um und legen sie die Waffe nieder!“, höre ich jemandes in der Ferne aus der Richtung des gesichtslosen, toten Mädchens rufen. „Mist!“, zische ich. Der nächste ´Warnschuss` folgt, prallt irgendwo ab und zerstört die Laterne neben uns. Ihr Licht erlischt. „Schnell, in die Seitenstraße dort. Ich kenne eine Abkürzung zur nächsten U-Bahn.“, sagt mir dieser… dieser… Hey! Er hat mich einfach am Handgelenk gepackt und schleift mich jetzt hinter sich her. Der Polizist hat sich in Bewegung gesetzt und schießt ununterbrochen auf uns. Hoffentlich hat er mein Gesicht nicht gesehen! Während ich, aus unerklärlichen Gründen, diesem ´Hippie´ nachlaufe, stecke ich mein Katana wieder weg. „Hier lang!“, ruft er mir über die Schulter zu. Ich höre die Schritte des Polizisten, der uns im Nacken sitzt. „Wir müssen ihn abhängen! Wann fährt der nächste Zug?“ „In drei Minuten, wenn ich den Fahrplan noch richtig in Erinnerung habe.“ Es wundert mich, dass er noch nicht außer Atem ist? Wir sind wohl beide Ausdauerläufer. Der Polizist fängt wieder zu schießen an. Die Querschläger fliegen umher und er wird scheinbar schneller. Mist! Ich hatte mir geschworen, mich nie von Emotionen beeinflussen zu lassen. Damit handelt man sich immer Ärger ein. Aber rückgängig machen kann man eh nichts im Leben. Also wo ist die Saftpresse? Jetzt mache ich Zitronensaft par moi! Wir biegen links, rechts, links und dann noch mal links ab, dann sehen wir schon das beleuchtete Schild, welches den Eingang zur Untergrundbahn markiert. Ich bin mir nicht sicher ob der Mann uns noch folgt. Wir rennen die Treppe runter, gleich in den nächsten Zug, nur weg von hier. Der Wagon ist leer, so wie die meisten um diese Zeit. Ich lasse mich auf einem Sitz niederplumpsen. „Du scheinst dir einen netten Verehrer geangelt zu haben“, meint diese Witzfigur, die sich neben mich setzt. Ich starre aus dem Fenster und gebe ihm keine Antwort. Er hat schon wieder seinen Stift in der Hand und malt. Es scheint wirklich seine Passion zu sein. Ich gehe das Geschehene noch mal durch… Es ergibt keinen Sinn. „Weshalb bist du nicht weggerannt, oder zumindest ausgeflippt? Warum hast du nicht geschrien, wie jeder andere es getan hätte?“ „Ich bin halt anders, als jeder andere“, sagt er während er ganz vertieft weiter zeichnet. Ich weiß nicht, wie dieser Typ drauf ist. Das kann zu einem Problem werden. Ich sollte ihn wirklich umlegen! Es ist immer besser nichts zu riskieren. Aber vielleicht würde ich mir da eine Chance durch die Lappen gehen lassen… All diese Gedanken, und noch einige mehr, gehen mir jetzt durch den Kopf. Er zeichnet unbeirrt weiter. Advent… „Weißt du, jeder von uns hat doch seine Geschichte zu erzählen…“, beginnt er mit einer monotonen Stimme. „Ich zum Beispiel habe nie meinen Vater kennengelernt. Er ist nach meiner Geburt verschwunden und hat meine Mutter auf einem Schuldenberg sitzen lassen.“ Ich sehe ihn an. Er konzentriert sich auf seine Zeichnung. „Und dann, als sie endlich alles abbezahlen konnte, ist sie schwer erkrankt. Sie hat 3 Jahre im Krankenhaus verbracht, bis sie letztlich starb.“ Ich weiß nicht was ich jetzt sagen oder welchen Gesichtsausdruck ich machen soll. Ich nehme mein Standartmodell: unbekümmert. „Sie hatte eine sehr herzliche Persönlichkeit… Aber“, er lächelte mich mit geschlossenen Augen an, „das alles ist vergangen. Hier, wie findest du es?“ Ich betrachte schon wieder ein Porträt von mir. Was bildet er sich ein? Wenn das jemand sieht bin ich dran! Ich zerknülle es und sage gleichzeitig: „Es ist wunderschön. Kann ich das andere auch haben?“ Und ohne mich um ihn zu scheren nehme ich es auch noch und mache das gleiche wie mit dem vorherigen. Ich stecke beide in die Taschen des Blazers den ich an habe. (Hihi! Ich bin ausgefuchst, denn ich habe mir eine Uniform von einer anderen Schule besorgt. Sie ist schwarz. Das passt perfekt!) Ich werde sie später verbrennen. „Ich freue mich, dass sie dir gefallen.“ Dieser Typ ist echt anders…Ich beschließe ihm aus diesem Grund zu vertrauen, aber ich behalte immer meine Skepsis im Hinterkopf. „Ich heiße Say…“ Ich werde von lautem Gebrüll unterbrochen: „NEIN! Lass mich los! Hilf…“ Wir springen auf und sehen durch das Fenster in der Tür, durch die man in den nächsten Wagon kommt, eine Frau mit einen schäbig aussehenden Mann stehen. Er hält eine Damenhandtasche in einer Hand, mit der anderen verschließt er den Mund der Frau. Ich kann den Angreifer hören: „Na, na, meine Leibe. Wer wird denn gleich so laut herum Schreien.“ Er lächelt sie an. Jetzt wirft er die Tasche weg und packt sie fester. Er drückt sie gegen die U-Bahn-Wand. Nun packt die Hand, die ihr zuvor noch den Mund verschloss, ihr Gesicht. Die andere… Ich will es nicht wissen. „Komm schon mein Herzchen, lass uns ein bisschen Spaß haben!“ Er lacht leise. In den weit aufgerissenen Augen der Frau kann man ihr Fassungslosigkeit und Angst sehen. Ehe ich darüber einen Gedanken verliere, ziehe ich meine Beretta 92 hervor und schieße auf diesen perversen, dreckigen Abschaum. Der Schuss geht durch das Glas und trifft ihn an der richtigen Stelle. Der Mann fällt zu Boden, das Blut spritz. Dabei lässt er endlich die Frau los, die zusammensackt. Verdammte …! Jetzt ist es wieder geschehen. Ich beginne mich langsam zu hassen! In zwischen hat der Zug die nächste Station erreicht. Sobald diese blöden Türen aufgehen hechte ich hinaus, es sind wie erwartet keine Menschen dort. „Jetzt warte doch mal!“ Oh, ja sicher dieser Aufforderung komme ich sofort nach! Ich bin zu verwirrt heute, um mich noch mit diesem verrückten Künstler abzumühen. Ich beschließe, nach dem ich wieder an der Oberfläche bin und mich orientiert habe, loszurennen und zwar bis zu mir nach Hause. Ich habe das Gefühl, dass ich das gerade brauche, um einen klaren Kopf zu bekommen. Der U-Bahnzugang ist schon verschwunden, aber ich glaube die ärgerlich Stimme von Advent zu hören, der ruft: „Hey, Say!“ Kapitel 5: Der Vergangenheit im Theater begegnen ------------------------------------------------ Ich stehe am nächsten Samstag, an meiner gewöhnlichen U-Bahn Haltestelle und warte auf Shika. Wir wollen schließlich Shoppen gehen. Man mag es kaum glauben, aber ich liebe Shoppen. Nicht so sehr wie Shika, aber dennoch. Es sind nun schon einige Tage vergangen, in denen ich weder schlafen noch herumstreunen konnte. Folglich gibt es keine Morde, und keine guten schulischen Leistungen. Ich weiß nicht was bei mir falsch läuft… Heute habe ich schon drei Tassen Kaffee intus. Ich denke ich werde noch eine vierte brauchen und schaue auf den leeren Becherboden. „Sayuri! Hallooo!“ Das ist Shika. Ich weiß es sogar ohne mich umzudrehen. Ihre nervige Stimme würde ich überall wieder erkennen. „Hi. Weißt du schon was gestern am Nachmittag noch passiert ist?“ Eine weitere langweilige und oberflächliche Geschichte die mich nicht im Geringsten interessiert. „Hey, hörst du mir überhaupt zu?“ „Ja, natürlich!“ Sie sieht mich mit einem Nein-machst-du-nicht-Blick an. Dann wechselt sie das Thema. So ist sie nun mal. „Wie wäre es wenn wir nächste Woche Shoppen gehen und dafür heute zum Theater?“ „Theater?“, fragte ich unwillig dorthin zu gehen. „Ja, sie führen so ein neues Stück auf. Dafür werden die neuesten technischen Tricks verwendet! Außerdem ist die Story bezaubernd. Oh, eine Romanze die in Tod, Lügen und Tragödie aufgeht, ist das nicht…“ Bäh, elende Schwärmerei. „Ich will aber lieber Shoppen gehen, als in irgend so ein doofes Theater. Ich schlaf dort bestimmt ein vor Langeweile.“ Das wäre eigentlich gar nicht so schlecht… „Jetzt sei doch nicht so! Ich hab extra vier Karten besorgt.“ Sie zwinkert mir zu. „Du kannst ja jemanden einladen mitzukommen!“ Das hättest du wohl gerne, was? „Warum vier? Willst du denn wen mit nehmen?“ „Och, hab ich eigentlich schon vorgehabt. Aber der ist krank. Wie kann man nur bei so schönem Wetter krank sein?“ Wahrscheinlich wollte er dich nur nicht Stunden lang ertragen müssen, du Quasseltante! „Also heißt das, dass du mit kommst?“ „Na gut.“ Ich gebe mich geschlagen. Das macht der Schlafentzug… „Und wen willst du jetzt fragen?“ Jetzt bereue ich es schon. „Hallo, Say.“, kommt es plötzlich von hinten. Ich bekomme eine Gänsehaut und lasse den Becher fallen. Dann drehe ich mich um. Ein Jugendlicher mit glattem, rabenschwarzem Haar steht dort. Er hält Zeichenblock und Stift in einer Hand. Heute trägt er außerdem noch einen Rucksack, der mich eher an eine Umhängetasche erinnert. Er lacht, wahrscheinlich über das Gesicht das ich mache. Shika neben mir ist genauso überrascht. Aber sie fängt sich schneller als ich. „Hallo, ich bin Shika. Bist du ein Freund von Sayuri?“, lächelt sie ihn an. Man sieht ihr sofort an, dass sie ihn attraktiv findet. Und dieser Heuchler lächelt mit seinem Charme zurück: „Ja, das bin ich tatsächlich. Ich heiße Advent und bin Künstler.“ Ich kann an ihrem Gesichtsausdruck ablesen, dass sie sich denkt: ´was für ein Verrückter`. „Habt ihr was vor?“ Ich reagiere und öffne den Mund, bin aber nicht schnell genug um Shika daran zu hindern, mir ins Wort zu fallen. „Ja, wir gehen in ein Theater. Das Stück heißt ´Forever you are mine`.“ „Davon hab ich schon gehört. Es soll großartig sein. Ich wollte dort eigentlich hin habe aber keine Karten mehr bekommen.“ In seiner Stimme schwingt ein trauriger Ton mit und Shika wird erstaunlicher Weise weich. Sie hat wohl einen Hintergedanken dabei… „Komm doch mit uns mit, wir haben noch eine übrig.“ „Das wäre sehr nett von euch.“ Die zwei grinsen sich an. Mir ist zum kotzen. Ob das jetzt an dem Kaffee oder an den Zweien liegt? Naja, mich jetzt aufzuregen kann ich mir sparen. Wir drei fahren schweigend zum Theater. Im Foyer sagt Advent dann: „Shika, würdest du schon mal unsere Plätze suche, ich würde nur noch gerne etwas mit Say besprechen.“ Sie sieht uns noch lange nach, bis sie dann im Saal verschwindet. Er geht in einen ruhigeren Bereich und erwartet dass ich ihm folge, was ich bedauerlicher Weise auch tue. Dann sagt er: „Warum bist du weggelaufen, Say?“ „Im Übrigen, ich heiße Sayuri.“ „Gut. Also warum?“ „Wenn du einen Perversen erschossen hättest, wärst du dann nicht auch auf und davon. Allein schon, damit niemand dein Gesicht sieht? Denn selbst wenn du etwas Gutes getan hast die Polizei wird dich trotzdem verhaften.“, flüsterte ich ihm entnervt zu. „Du hättest doch auch mit zu mir kommen können. Das wäre näher gewesen. Oder mir zumindest deine Telefonnummer geben können.“ Was soll ich jetzt antworten? Hach, der Kaffee hilft nicht wirklich. Ich muss Gähnen. „Ich hab seit Tagen nicht geschlafen. Lass uns reingehen. Vielleicht finde ich dort endlich die Zeit dazu.“ Weil ich im ausweiche macht er ein verblüfftes Gesicht. Ich drehe mich auf dem Absatz um und gehe einfach rein. Er kommt mir nach und ich wette er grinst schon wieder. Der bereits vollgestopfte Saal ist noch beleuchtet. Aber als wir endlich Shika ausfindig gemacht haben, verdunkelt er sich. Wir setzen uns schnell auf die freigehaltenen Plätze. Endlich mal entspannen und schlafen. Aber, und es gibt immer ein aber, ich komme nicht dazu, denn das Stück gefällt mir. Es ist komplett neu aufgearbeitet. Die Themen sind noch immer gleich: Liebe, Verrat, Rache und noch ein paar mehr. Doch die Art und Weise wie es vorgetragen wird ist der heutigen Zeit gemäß. Die Szene die jetzt kommt fasziniert mich sehr. Der eine Typ ist gerade gestorben und wird zu einem Geist. Natürlich hat er richtig langes blondes Haar und eine elfenbeinweiße Haut, ist gut gebaut und mit saphirblauen Augen versehen. (Ansonsten würde doch keiner zuschauen.) Nach einer gewissen Zeit des Auf-der-Erde-Wandelns, wird er zum Engel berufen. Und das haben sie wirklich gut gemacht. Mit automatisierten Flügeln die sich von selbst öffnen, durch Nebelmaschinen erzeugter Dunst auf dem Boden und grellen Scheinwerfern die auf sein schimmerndes Gewand gerichtet sind während er von Schnüren nach oben gezogen wird. Ich höre wie Advent zu meiner Linken etwas auf seinen Block kritzelt. Ich schaue hin. Er ist ganz vertieft darin ein gutes Bild von dem Engel zu malen. Shika auf meiner anderen Seite ist eingeschlafen. Ja, ganz genau, sie ist eingeschlafen! Ts… ! Mein Blick findet jedoch seinen Weg zurück zur Bühne. Der Mann dort, mit diesen Haaren, dem Gewand, den Flügeln… Der Engel. Das kommt mir so bekannt vor… So bekannt… Was…? Was ist das? Ist das… eine Erinnerung? Das ist der Engel, genau wie auf der Bühne. Nur, er ist klein, gar winzig und steht in einer Ecke auf einem Sideboard. Ein einfacher Raum. Weiße Wände die von Schimmel befallen sind. In der Ecke unter dem Sideboard steht eine Eckbank mit einem Esstisch. An der gegenüberliegenden Wand befindet sich ein größerer Schrank. Eine Matratze liegt auf dem Boden. Das Zimmer hat nur ein Fenster, durch das trübes Licht eindringt. Der Teppichboden auf dem ich knie ist seit vielen Jahren nicht mehr gereinigt worden. Alles ist schäbig und verdreckt, und riecht nicht besonders gut. Ich würde diese Einrichtung auf den Müll werfen und das komplette Haus abreisen. Aber ich bestimme nicht darüber. Ich sehe verschwommen, mit dem Blick auf den Boden. Da ist ein Blutfleck. Ich huste. Noch einer. Dann spüre ich einen gewaltigen Schlag auf mein Gesicht und den nachfolgenden Schmerz. Ich lande auf meiner Seite und versuche mich wieder aufzurichten. Mein Arm tut weh. Ist er gebrochen? Ich glaube schon. Es gelingt mir nicht. Ich bleibe liegen. Eine lallende Stimme dringt zu meinem Ohr: „Du Miststück! Was fällt dir eigentlich ein?! Jetzt hast du deine Strafe bekommen!“ Dann lacht die Männerstimme und er verschwindet durch die Tür hinter mir. Nun liege ich da, huste noch immer. Ein leises Wimmern kommt irgendwo aus dem Zimmer. Es wird lauter und nun weint jemand. Ich versuche meinen Blick zu klären und erkenne das Mädchen. Sie sitzt an die Wand gelehnt auf der Matratze. Sie ist von diesem Typen vergewaltigt und geschlagen worden. Ich wollte ihr nur helfen… Während sie in ihrem Leid weiter weint verliere ich langsam das Bewusstsein. Das letzte was ich sehe ist diese Miniaturstatue von dem Engel. Warum hat er ihr nicht geholfen, frage ich mich, bevor alles schwarz wird. Ich starre den Schauspieler an. Engel? Er sollte sich nicht Engel nennen. „Hey, Sayuri ist alles in Ordnung mit dir?“, flüstert mir Advent besorgt zu. „Ich weiß nicht. Ich…“ „Was ist denn los?“, unterbricht mich Shika verschlafen. Es war nur eine Erinnerung. Sie ist nicht real und schon lange vorbei. Ich raffe mich wieder zusammen. „Du hast das Beste verpasst!“, motze ich sie im Spaß an. „Waas? Ich bin eingenickt? Nein!?“ „Tja, du hast noch vier Minuten.“ Ich grinse sie an, denn ich weiß wie sehr sie es hasst etwas zu verpassen. Advent neben mir wirkt noch immer besorgt. Sieht so aus als ob er später noch mit mir reden will… Das muss ich unbedingt unterbinden. Aber zuerst sehen wir uns noch die Show zu Ende an. Der Schluss ist irgendwie komisch, aber auch passend: Alle sterben. Die Lichter gehen an und wir wandern mit der Masse aus dem Theater. Die meisten hätten sich ein Happyend gewünscht, andere ein dramatisches Ende, was ich so von den Gesprächen mitbekomme. Ich finde es gelungen, denn irgendwann ergeht es uns allen so. Manchen sogar früher als ihnen lieb ist. Und ich denke dieser Schauspieler gehört auch dazu. Mir ist der Gedanke eigentlich schon gekommen als ich ihn zum ersten Mal sah. Jetzt habe ich sogar einen Grund dafür gefunden. Also echt, einen Grund? Habe ich je einen triftigen Grund gehabt? Wenn es so weiter geht werde ich noch berechenbar… Hach, alles ist zurzeit ziemlich verwirrend in meinem Kopf. Aber mein Entschluss steht fest. Dieser Engel wir fallen, und zwar schon bald. Kapitel 6: Wie konnte mir das nur passieren ------------------------------------------- „Es ist ärgerlich! Wirklich ärgerlich!“ Jetzt rede ich schon mit mir selbst, wegen diesem Vorfall. Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Dieses Mädchen geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwoher kenne ich sie… Ach, das ist doch zum Haare aus reißen! Und es hält mich von meiner Arbeit ab. Wie konnte ich sie nur aus den Augen verlieren! Was mir aber wirklich zu schaffen macht ist dieser Kerl. Er wurde offenbar von ihr mit einer Waffe bedroht und half ihr dann zu entkommen. Verwirrend ist auch die Leiche. Hat einer von denen sie umgebracht? Warum hat derjenige ihr das Gesicht weggeschossen? Diese und noch mehr Fragen jagen in meinen Gedanken umher. Ich habe heute noch nicht mal eine Akte aufgemacht. Ich sitze hier seit sechs Stunden und denke nur nach. Ich bräuchte eine Beschäftigung, etwas das mich ablenkt. Da klopft es an der Tür. Ich bitte die Person herein. Es ist wie sooft Reiko. „Herr Inspektor, wir haben eben einen Auftrag herein bekommen. Es geht um den Schauspieler Ryoichi Matsumoto. Er ersucht Geleitschutz wegen einem Drohbrief, in dem steht, dass der Absender ihn umbringen will.“ Sie ist sichtlich aufgebracht. Es ist wohl ihr erster Fall dieser Art. Für mich ist es die ersehnte Ablenkung. „Ich übernehme das. Sie stellen ein Team zusammen. Wir treffen uns in Fünf Minuten unten an der Bushaltestelle. Wo befindet dieser Ryoichi Matsumoto sich derzeit?“ „Im Sei-Izuyama-Theater.“ „Das ist nicht weit von hier.“ Na dann mal los. Ich schnappe mir alles was ich brauche und warte unten an der Haltestelle. Da kommen sie schon. Reiko ist auch mit dabei. Das Theater ist bald erreicht. Ein leicht zu überwachendes Gebäude. „Sie, sie und sie bewachen die Saaleingänge. Sie und Sie die Hintereingänge. Zwei von den Übrigen werden sich im Publikum platzieren. Der Rest kommt mit mir in die Garderobe. Wir werden den Schauspieler direkt bewachen.“ Alle nicken. Ich liebe es herumzukommandieren! (Reiko kommt natürlich mit mir mit.) Nun aber genug, es geht hier schließlich um das Leben eines Menschen. Da fällt mir ein, während wir in alle Richtungen davon stürmen, dass es in den letzten Tagen gar keine Todesopfer gegeben hat. Sehr merkwürdig… Wir treffen bereits im Flur auf den Schauspieler. Von nun an folgen wir ihm auf Schritt und Tritt. Ach, da hab ich mir was eingebrockt! Dieser ´Superstar` schwafelt die ganze Zeit über sein ach so dramatisches Leben. Wie anstrengend es doch sei auf der Bühne zu stehen, und das nur als Nebenpart des Hauptdarstellers. Und rund um die Welt zu reisen (und dabei Geld zu scheffeln.) Ja, wirklich anstrengend denke ich mir. Er sollte mal als Kellner in einem Drogenviertel arbeiten. Das ist sogar noch schlimmer als ein Polizist zu sein. Man muss damit rechnen jeden Tag abgemurkst zu werden. Ja, ja, die guten alten Zeiten. Damit hab ich mir mein Studium finanziert. Ob es die Bar wohl noch gibt? „Was meinen sie, weshalb ihn jemand umbringen will?“, fragt mich Reiko leise. „Ich schätze mal es geht um eine Familienangelegenheit.“ „So, wie kommen sie darauf?“ Man konnte es sich eigentlich sofort zusammen reimen. Neben dem üppigen Blumenstrauß (von einem Fan) stehen liebevoll eingerahmte Bilder. Auf ihnen erkennt man immer die gleiche Frau. Ein paar andere Leute sind zwar auch darauf, aber sie steht im Mittelpunkt. „Die Bilder dort. Ich denke mal es gab da so einen Vorfall.“ Das ist bei den meisten Schauspielern so. Entweder Mutter tot, oder Vater tot, oder Bruder tot… Irgendwer ist immer tot. In diesem Fall wahrscheinlich die Mutter oder Schwester. „Vermutlich konnte seine Familie noch dazu nicht akzeptieren, dass er diesen Job gewählt hat. Vielleicht, nur mal so in den Raum gestellt, ist seinem Vater eine Sicherung durchgebrannt.“ Ich kann das nachfühlen. Ich wurde auch verstoßen, weil ich mit Vierzehn nicht mehr der Folgsame war, der zu allem Amen gesagt hatte. Zu der Zeit hat mich keiner verstanden, weshalb ich dann auch abgehauen bin. „Aber das sind nur Vermutungen. Es könnte auch ganz anders sein…“ Das heißt: weitersuchen und alles in Betracht ziehen. „Ich würde mich gerne für die Generalprobe fertigmachen. Wenn sie so freundlich wären und mich alleine lassen würden.“, sagt Matsumoto. „Ich bin sicher nicht darauf aus sie in Unterwäsche zu sehen. Sie hoffentlich auch nicht Frau Polizistin?“, wende ich mich an Reiko. Sie macht ein entgeistertes Gesicht und ist peinlich berührt. (Glaubst du ich hätte das nicht bemerkt?) Ich lass das jetzt einfach so im Raum stehen und entferne mich schmunzelnd, mit einer Kippe im Mund. Jetzt hat mich die Erinnerung an mein früheres Leben ein wenig zum Zyniker gemacht. Ich gehe in den Saal, wo bereits Kulissen aufgebaut werden und Proben stattfinden. Dieser Raum gefällt mir. Obwohl er nicht viel anders als anderer Theatersäle ist: Wände und Boden sind mit rotem Samt ausgekleidet. Dieser schluckt nicht gewünschte Hintergrundgeräusche. Außerdem wenn das Licht aus ist, wird die rote Farbe zu einem einheitlichen, tiefen Schwarz. Wenn ich so was zu Hause hätte, würde ich wahrscheinlich nie wieder aus meinem Bett kommen. Ich schmunzle. Dornröschen, mal ganz anders. Bis zur Aufführung habe ich ein halbes Päckchen Zigaretten verbraucht. Ich sollte sparsamer damit um gehen. Ich stehe jetzt hinter der Bühne und rauche, ganz heimlich, die vorsätzlich Letzte für heute. Komplett damit aufhören (womit mich Reiko immer nervt) könnte ich gar nicht mehr. Wenn man früh damit anfängt ist es fast unmöglich. Man schafft es nur dann, wenn man einen starken Willen hat. Ich will damit nicht sagen, ich hätte diesen nicht! Es ist einfach eine Marotte von mir, die ich mir zugelegt habe um meinem Vater eins auszuwischen. Dieser Kontrollfreak… Der Ansager verkündet den Beginn der Show. Jetzt aber schnell. Am Seiteneingang steht nämlich Reiko. Nachdem ich die Kippe unauffällig verschwinden lasse, geselle ich mich zu ihr. „Hallo, Herr Inspektor“, sagt sie und schaut dann den Leuten auf der Bühne zu. Ihr ist wohl die Sache von vorhin noch immer peinlich. Jetzt komme ich mir dumm vor, aber ich finde es irgendwie amüsierend. „Sie wissen, dass das vorher nicht ernst gemeint war?“ „Hm?“ Sie lacht. „Das weiß ich doch. Machen sie sich darum keinen Kopf.“ Sie sieht wieder auf die Bühne „Wie finden sie das Stück?“ „Was? Ich…ähm…“ „Ich verstehe. Hach. Kulturbanause.“, murmelt sie neben mir. Nun bin ich an der Reihe zu lachen. „Meinen sie? Ich würde sagen diese Neufassung des Stücks ist gut gelungen. Mal sehen wie es weiter geht.“ Es geht weiter. Ich glaube wir sind jetzt bei dem dritten Akt. Für mich ist es schon der Zehnte. „Und?“, fragt mich Reiko schon wieder. „Diese Sache mit dem Engel ist ein wenig übertrieben, meinen sie nicht?“ Als ob es nicht schon reicht, dass der blonde Hauptdarsteller als Geist herumläuft. „Nein, das macht alles irgendwie abgerundet.“ Sie schmunzelt mich an. Nach ein paar unerträglich langen Minuten findet dieses Stück ein Ende. Die Leute klatschen, sind begeistert. Nichts ist passiert. Kein Überfall, kein Mord, keine Toten. So könnte ich mir meinen Job gut vorstellen… Aber um auf Nummer sicher zu gehen werde ich Matsumoto für heute noch beschatten lassen. Die Schauspieler verlassen die Bühne. Ich beschließe mir von dort noch einmal die sich davon machende Menge anzusehen. Vielleicht finde ich doch einen Verdächtigen. Ich stehe ganz außen an der Seite, gerade so dass ich was sehen kann. Mein Blick schweift umher. Alles sieht normal aus. Keine Auffälligkeiten. Dann bleibt mein Blick an jemanden haften. Das kann doch nicht… Ist das nicht… dieser Typ von letztens. Ich könnte schwören, er ist es. Ich bin mir nur nicht ganz sicher. Er geht aus dem Saaleingang. Jetzt verliere ich ihn. ´Nicht denken, machen! ´, hallt das Motto meines alten Partners in meinem Kopf. Also mache ich. Ich springe von der Bühne und dränge mich durch die Menschenmasse. Im Foyer blicke ich mich um. Ich habe ihn verloren, wieder. Das lasse ich nicht auf mir sitzen! Ich spurte nach draußen. Doch auch dort finde ich ihn nach langem Umsehen nicht. Schritte nähern sich. „Was ist los? Haben sie einen Verdächtigen entdeckt?“ Die meisten der Truppe sind mir nach gelaufen. (Wie kleine Hunde…) „Nein, es war nur eine Bekanntschaft von mir. Aber sie ist schon weg.“ Ich sehe die Enttäuschung in ihren Gesichtern. Wir gehen wieder rein und machen unsere Arbeit, wie sonst auch. (Knochenjob…) Kapitel 7: Ein seltsamer Brief ------------------------------ Mit der U-Bahn zu fahren ist für mich inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Gleich kommt die Station wo wir drei aussteigen. Hm… Irgendwie macht Advent einen sehr entschlossenen Eindruck. Ghuwaaah… Ich muss gähnen. Schlafen, ist das einzige an das ich im Moment denke. „Der Zug hält schon Sayuri“, sagt Shika, selbst ein bisschen müde. Wir steigen aus. Dann lässt sie uns noch ein ´Gute Nacht` zukommen, bevor sie sich davon macht. Ich winke ihr noch nach. „Ich begleite dich ein Stück, wenn es dir recht ist.“ Er setzt ein falsches und charmantes Lächeln auf. Ich nicke ihm unauffällig zu und gehe einfach. Still spazieren wir nebeneinander durch die Straßen. Wenn er weiter so langsam dahin schleicht, falle ich noch an Ort und Stelle in ein Schlaf-Koma. „Eine Schnecke ist gegen dich ein Ferrari.“ Schmunzeln. Nun wird er ernst. Nein, bitte nicht! „Ich kenne da eine hervorragende Bar nicht weit von hier. Die bieten jetzt noch warme Suppen an.“ Tja, verwunderlich ist das nicht gerade. Von 8 bis 11 Uhr ist bei denen Hauptbetreib. Grummel. Mein Magen meldet sich. Habe ich heute schon was gegessen? Außerdem, Suppe hört sich jetzt genau richtig an. Hach… „Na gut. Ich hoffe du schleppst mich nicht zum hiesigen Alkoholiker-Treff, oder was schlimmeren!?“ „Wirst du schon sehen.“ Es freut ihn sichtlich, Erfolg zu haben. Wir schlendern weiter und kommen schließlich zu der besagten Bar. Diese ist anders als die Lokale die ich sonst aufsuche wenn mein Magen leer ist. Sie schreit schon fast ´Kneipenschlägerei`. Aber es sind nur drei Gäste hier, die eigentlich seriös aussehen: ein bleicher, dürrer Büroangestellter der seine gigantische Zeitung liest, ein dunkelhäutiger, muskulöser Bauarbeiter, mit Drei-Tages-Bart, und ein unbeholfenes Mädchen, mit Milchglasbrille. Sie haben wirklich nichts in einer so dusteren Bar zu suchen. Die Wände sind alle mit, ich würde sagen, Taek-Holz verkleidet. Es gibt im hinteren Teil eine Art Bühne, auf der eine freizügige Dame zu Smooth-Jazz singt. Und der Barmann macht auch kein Vertrauen erweckendes Bild. Er hat eine Glatze und viele Tattoos, macht ein grimmiges Gesicht und besitzt den Körperbau eines Profi-Wrestlers. Ich glaube sogar ein Gangtattoo auf seinem Hals zu erkennen. Er zieht mich gerade mit den Augen aus. Wo hat mich Advent nur hingebracht? Ihn scheint das alles nicht zu stören und er geht weiter. Ich laufe ihm wie so ein kleines Entenküken hinterher. In einer Nische nehmen wir Platz. Von hier aus kann uns keiner sehen. Eine Kellnerin kommt vorbei und wir bestellen uns beide was. Keine Ahnung welches Gebräu Advent genommen hat, ich jeden falls nehme nur Wasser. Der Verdacht, dass jemand unauffällig ein paar Schlafpillen in unsere Getränke mischt, geht mir nicht aus dem Kopf. Und an eine heiße Suppe ist jetzt auch nicht mehr zu denken. Advent macht nun ein ernstes und besorgtes Gesicht. „Was war vorhin im Theater los?“ „Meinst du, dass hier die passende Kulisse für so ein Gespräch ist?“ Nur um sicher zu gehen, dass wir uns hier im richtigen Lokal befinden. Er lächelt mich an. „Hier wissen die Leute was ein Geheimnis ist, und scheren sich nicht um anderer Leute Angelegenheiten.“ Aha, dann haben sie also Dreck am Stecken. Das bestätigt meinen Verdacht. Aber das würde heißen, dass… „Ich mache mir echt Sorgen, Say.“ „Und dieser Hundewelpen-Blick soll mich zum Reden bringen, oder was?“ „Hach. Ich hab´s zumindest versucht.“ Er macht eine theatralische Geste. Ich muss lachen. Am liebsten würde ich ein Foto von ihm schießen, denn dann hab ich nämlich länger was zum Schmunzeln. „Jetzt mal ernsthaft. Ich hab dir schon meine Geschichte erzählt. Nun bist du dran.“ Was bleibt mir anderes übrig? Aber ich bin noch immer skeptisch. „Naja…“, beginne ich leise mein Leben nachzuerzählen. „Als ich fünf war habe ich meine Eltern verloren. Besser gesagt sie wurden ermordet, und ihre Leichen dann mit unserem Haus verbrannt. Danach wurde ich in ein Waisenheim gesteckt und immer mal wieder adoptiert. Aus dieser Zeit habe ich vieles verdrängt…“ Ich halte inne. Der Engel ist noch irgendwann fällig. „Schließlich haben mich dann Daisuke und Aki gefunden. Bei ihnen hatte ich es gut. Und dann sind auch sie gestorben. Sie haben mir ihr gesamtes Geld vermacht. Nur deswegen sitze ich jetzt vor dir.“ Die ganze Zeit über macht er ein ernstes Gesicht. Jetzt holt er seinen Zeichenblock und malt schon wieder etwas. Eine lange, beinahe peinlich berührte Pause folgt. „Das ist wirklich eine traurige Geschichte. Aber damit bist du nicht allein auf der Welt.“ Er hält mir den Block hin als er fertig ist. Er hat schon wieder was gemalt: Das ist mein Auge aus dem eine Träne rinnt. „Es ist wirklich hübsch. Hast du schon eine Ausstellung gemacht?“ „Ich würde gerne, aber mir fehlen die finanziellen Mittel dazu.“ Er lächelt. Die Getränke, die die Kellnerin vorhin gebracht hat, wurden noch nicht einmal angerührt. Ich belasse es auch dabei. Irgendwie habe ich, trotz allem was Advent gesagt hat, das Gefühl belauscht zu werden. „Hast du ein Atelier?“, frage ich ganz scheinheilig. Nur nicht anmerken lassen, dass ich hier weg will. „Ja. Es befindet sich in einer alten Fabrik. Zugegeben das hört sich nicht sehr ästhetisch an, aber ich finde ich habe das ganz gut hingekriegt.“ „So? Ich würde es mir gerne ansehen. Dann erfahre ich, wem du noch nachgeschlichen bist.“, füge ich noch scherzhaft hinzu. Wir gehen, und bezahlen natürlich, obwohl wir nicht einen Schluck zu uns genommen haben. Der Typ an der Bar starrt genüsslich auf meinen Hintern (perverser Lüstling), als wir die Spelunke verlassen. Mit dem Bus braucht man nur 13 Minute bis zu Fabrik. Dort ist alles herabgekommen, aber das machen die Kunstwerke von Advent wieder wett. Ich frage mich warum seine Bilder nicht im Louvre ausgestellt werden. Nach einer langen Führung, denn er hat zu jedem Bild eine Geschichte zu erzählen, gehen wir beide nach Hause. An einer Kreuzung trennen wir uns und winken zum Abschied noch einmal. Jetzt kann ich die ganzen Gedanken des morgigen Tages darauf richten mir zu überlegen wie ich diesen Engel ermorden werde. Ich suche schon früh am Morgen und finde seine derzeitige Adresse heraus. Ich spioniere ihm bis zum Abend nach. Erst als ich glaube, dass er für mich Großteils vorhersehbar ist gehe ich schlafen. Montag. Ich hasse diesen Tag. Das Aufstehen ist schwer, die Schule anstrengend. (Die Furie hackt wieder mal auf mir herum.) Es dauert eine Ewigkeit bis die Glocke läutet. Dann gehen ich und Shika zu unseren Spinten. „Wie ist es noch so gelaufen am Samstag? Wart ihr aus? Oh, vielleicht fragt er dich bald ob du seine Freundin sein willst!“ „Jetzt halt mal die Luft an. Da ist nichts zwischen uns. Zumindest keine Liebe.“ Sie hört nicht auf damit zu glucksen. Seit Schulbeginn nervt sie mich mit diesem Dreck. Ich öffne meinen Spint und etwas fällt heraus. Es ist ein Brief. Ich hebe ihn verwundert auf. Darauf steht ´I know everything about you` und auf der Rückseite Umeko. „Was ist das? Ein Liebesbrief vielleicht?“ „Keine Ahnung.“ Ich öffne ihn. Zum Vorschein kommen Fotos. Fotos von mir. Ich starre darauf während ich sie durchsehe. Auf einem gehe ich aus der Schule, auf einem anderen lese ich ein Buch in der U-Bahn. Das eine zeigt mich sogar bei einer nächtlichen Tat. Ich bekomme eine Gänsehaut. Jemand beobachtet mich. Die ganze Zeit. Tag und Nacht. Immer, ohne dass ich es bemerkt habe. Was soll ich jetzt machen? „Und, was ist es denn nun?“ Ich knülle alles schnell zusammen und stopfe es in meine Schultasche. „Nichts.“ Mein Spint wird zugeknallt. Heute kann Shika allein nach Hause fahren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)