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Unerwartet

8059
von

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Vergangen und doch gegenwärtig

„Das tut mir leid.“

Hayato hatte Takeshi nie nach seiner Mutter gefragt. Er hatte es immer einfach hingenommen, dass der Baseball-Fan mit seinem Vater alleine lebte. Nie war es ihm in den Sinn gekommen, den anderen auf diesen Umstand anzusprechen.

„Das wusste ich nicht.“

Doch Takeshi schüttelte den Kopf leicht.

„Wie hättest du es wissen sollen. Es weiß keiner außer mir und meinen Vater.“

„Ah ja. Wie?“

Der Schwarzhaarige presste die Lippen aufeinander.

Augenblicklich hatte Hayato das Gefühl einen Schritt zu weit gegangen zu sein.

Dieses Gesicht, das sein Gegenüber zog, hatte er schon einmal gesehen. Vor langer Zeit in einer anderen Zukunft.

Er wollte schon den Mund öffnen, um sich zu entschuldigen, doch Takeshi war schneller. Scheinbar wusste er ganz genau, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war.

„Schon gut. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich mal mit jemanden anderen darüber sprechen als meinem Vater.“

Kurzzeitig huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht, als die Gedanken des Japaners in die Vergangenheit huschten. Es wirkte geradezu liebevoll.

„Ihr Tod ist 18 Jahre her.“

Takeshi nahm einen Schluck Kaffee zu sich und wandte dann seinen Blick zum Fenster.

Hayato erwiderte nichts. Er konnte es dem anderen ansehen, dass diesem das Gespräch sehr schwer fiel. Er behielt den Regenwächter im Auge und ließ ihm die Zeit, die er brauchte.

„Mein Mutter ist ...“

Takeshi hielt inne. Seine Augen hatten einen schmerzvollen Ausdruck angenommen, während er seine Lippen aufeinander presste.

„Sie ist überfahren worden. Der Fahrer war betrunken.“

Die Stimme schwankte und wurde gegen Ende immer leiser.

Hayato hielt die Luft an.

Nun verstand er, warum der Schwarzhaarige den Alkohol mied wie die Pest.

Doch zugleich stiegen in ihm alte Erinnerungen wieder hoch. Unangenehme Erinnerungen, die er selbst verschlossen hatte.

Langsam führte der Silberhaarige die Tasse an seine Lippen und nahm einen Schluck des Kaffees. Seine Augen waren jedoch weiterhin auf Takeshi fixiert, der scheinbar nach den richtigen Worten suchte und nach dem Mut diese auszusprechen. Es fiel ihm sichtbar schwer, darüber zu sprechen.

„Sie hätte gerettet werden können, wenn sie sofort Hilfe bekommen hätte. Doch der Typ ist einfach weitergefahren und hat sie liegen gelassen.“

Hayato stockte. Das war einfach scheußlich. Wie konnte man nur so unmenschlich sein.

Takeshi fing an seine Hände zu kneten, was darauf schließen ließ, dass er innerlich vollkommen aufgewühlt war. Der Unfalltod seiner Mutter nahm ihn trotz der Jahre immer noch sehr mit.

„Als die Sanitäter dann endlich vor Ort waren, hatte meine Mutter keine Chance mehr. Sie starb noch an der Unfallstelle.“

„Das tut mir leid.“

Der andere sah ihn an und schmunzelte leicht.

„Schon gut.“

Takeshis Schmunzeln verschwand und er senkte seinen Blick wieder.

„Es hat lange gedauert, damit fertig zu werden. Es war nicht einfach für mich und für meinen Vater auch nicht. Das Schlimmste war die Verhandlung vor Gericht. Ich selber war nicht dabei, aber mein Vater.“

Der junge Japaner schwieg und knetete weiterhin seine Hände ineinander.

Hayato runzelte die Stirn. War das wirklich nur wegen der Vergangenheit, oder steckte mehr dahinter? Immerhin hatte Takeshi doch gesagt, er sei damit fertig geworden. Was wühlte diesen nur so auf?

„Man hat den Unfallfahrer geschnappt?“

Takeshi nickte. Er zögerte einen Moment, bevor wieder sprach.

„Ja. Eine Überwachungskamera von einem der umliegenden Häuser hatte den Unfall aufgenommen. Dadurch konnte man den Fahrer schnell finden. Im Laufe der Untersuchung kam heraus, dass er betrunken war.“

Die Stimme des Erzählenden schwankte wieder, doch diesmal nicht wegen der Trauer und dem Schmerz, sondern vor Wut. Der Bombenschütze zog die Augenbrauen zusammen. Es war selten, dass Takeshi seiner Wut so freien Lauf ließ. Er war eigentlich der Wächter, der seine Gefühle meist bestens unter Kontrolle hatte.

Es war egal ob er traurig, zornig, verwundert oder belustigt war, er lächelte jedes Mal. Es war eine Eigenschaft, die sein Gegenüber bereits als Jugendlicher besessen hatte und in den letzten Jahren perfektioniert hatte. Nur selten konnte man erkennen, ob er wirklich lächelte oder nur so tat. Das Lächeln war seine Maske geworden.

Doch diese fiel gerade zu Boden, was nur zu deutlich für Takeshis innere Unruhe sprach.

„Ich habe den Kerl gestern wiedergetroffen.“

Hayato stockte. Der Dunkelhaarige hatte aufgehört seine Hände zu kneten. Stattdessen verschränkte er seine Finger ineinander.

„Es tut ihm nicht leid – kein Stück. “

Takeshi sprang auf und lief unruhig durch die Wohnung. Sein Gesicht war vor Zorn und Wut verzehrt. So hatte Hayato den anderen noch nie erlebt. Noch nie hatte er seiner Wut und seinem Zorn solchen freien Lauf gelassen.

Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter und seine Bewegungen wirkten fahrig und hektisch.

„Er hat meine Mutter beschimpft und sie ein dummes Miststück genannt. Sie wäre schuld gewesen, dass es überhaupt zu diesem Unfall gekommen wäre. Er gab ihr die Schuld, dass er ins Gefängnis musste.“

Er ballte die Hände zu Fäusten und Hayato erkannte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Takeshi vollkommen ausflippte.

Der Silberhaarige erhob sich ebenfalls und legte dem Regenwächter eine Hand auf die Schulter.

„Takeshi.“

Jener erstarrte in seiner Bewegung. Nur leicht drehte er den Kopf zu Hayato herum. Noch immer waren Zorn und Wut in seinen Augen, aber auch Trauer und ein geringer Teil Erschrecken. Erschrecken über sein momentanes Verhalten.
 

Hayato stand am Fenster und betrachtete den Himmel.

Irgendwie fand er einfach keine Ruhe und tigerte seit Stunde durch seine Wohnung, nachdem er Takeshi in sein Bett geschickt hatte. Noch konnte er es selber kaum glauben, dass er den Japaner überredet hatte in seiner Wohnung zu bleiben.

Doch in einem war er sich sicher: so wie der andere im Moment drauf war, konnte er ihn nicht gehen lassen. Takeshis Gemütszustand machte ihm Sorgen, da in diesem im Moment zu viele Gefühle aufeinanderprallten. Um ehrlich zu sein, machte es dem Silberhaarigen am meisten Sorgen, dass der Regenwächter in diesem Zustand noch irgendeinen Mist anstellte und hinterher bereute.

Doch über noch mehr machte er sich Gedanken. Dieser Vorfall hatte in Takeshi die Trauer um seine Mutter wieder hervorgeholt, von der er eigentlich gedacht hatte, sie hinter sich gelassen zu haben. Dieser Schmerz und die Bedrückung trübten sein Einschätzungsvermögen und seinen Verstand. Allein die Situation am Nachmittag hatte ihm mehr oder weniger gezeigt, wie es um die Beherrschung seines Kameraden stand und zwar nicht gerade zum Besten.

Er würde am nächsten Morgen nochmal mit ihm reden müssen. Denn es gab da noch einige Dinge, die dem Italiener Fragen aufgaben. Wann genau Takeshi den Typ getroffen hatte? Warum der Alkohol? Und warum war der andere zu ihm ins Bett gekommen?

Hayato seufzte und wandte sich vom Fenster ab.

Langsam bewegte er sich auf das Sofa zu und ließ sich auf dieses fallen. Uri, die bereits da drauf lag, gab ein ärgerliches Maunzen von sich, doch als Hayato ihr die Ohren kraulte, beruhigte sie sich wieder.

Eine Weile saß er da und starrte in die Dunkelheit, während er die Katze kraulte, bis sein Telefon hell vor ihm aufleuchtete. Ein kurzer Blick drauf ließ ihn erkennen, dass es Tsuna war. Verwunderung huschte über sein Gesicht. Der Silberhaarige hatte nicht erwartet, dass sein Boss um solch eine Zeit noch wach war. Immerhin war es schon nach Mitternacht.

„Ja?“

„Hayato, tut mir leid, falls ich dich geweckt habe.“

Er lächelte leicht.

„Nein ich bin noch wach. Ich konnte noch nicht schlafen.“

„Takeshi?“

„Ja.“

Hayato seufzte. Tsunas Intuition irrte sich selten und auch diesmal lag er damit vollkommen richtig. Doch es war nicht nur Takeshi, der ihn am Schlafen hinderte.

„Hat er dir gesagt, was los ist?“

Der Sturmwächter biss sich auf die Lippe. Wie viel konnte und durfte er sagen?

„Ja, hat er.“

„Verstehe.“

Hayato fühlte sich schlecht, denn eigentlich hatten weder Tsuna noch er selbst voreinander Geheimnisse. Doch dies war etwas anderes. Es war etwas Persönliches, was Takeshi dem Vongola-Boss selber erzählen sollte, wenn er sich dafür bereit fühlte.

„Ich werde mich darum kümmern, Boss.“

„Wirst du damit klarkommen, Hayato?“

Ob er damit klarkommen würde? Keine Ahnung. Denn Takeshis Geschichte hatte auch in ihm eine alte Erinnerung wachgerüttelt. Jedoch hatte es ihn noch lange nicht so heftig getroffen, wie den Regenwächter. Es gab die eine oder andere Gemeinsamkeit, weshalb er Takeshis Gefühle gut nachvollziehen konnte.

„Ja, ich komme damit klar. Keine Sorge.“

„Gut. Wenn was ist, ruf an. Okay, Hayato?“

„Ja.“

„Dann noch eine gute Nacht.“

Damit legte sein Boss auf und auch der Silberhaarige legte das Telefon beiseite.

Es war typisch Tsuna. Selbst nach Takeshis Anruf am Nachmittag machte er sich noch immer Sorgen um diesen. Scheinbar merkte der andere deutlich, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch trotz der Sorgen, die das Familienoberhaupt zu haben schien, fragte er Hayato nicht weiter aus. Hätte es noch was zu sagen gegeben, dann hätte seine rechte Hand es nicht verschwiegen und wäre zugleich mit der ganzen Wahrheit herausgeplatzt.

Doch da Hayato schwieg, hatte Tsuna es hingenommen und erkannt, dass er im Moment nichts weiter ausrichten konnte. Er überließ es dem Silberhaarigen und vertraute darauf, dass dieser die richtigen Entscheidungen traf.

Ein Lächeln schlich sich auf dessen Gesicht.

Tsuna blieb Tsuna. Es war egal, um wen es sich handelte – das junge Familienoberhaupt kümmerte sich immer das Wohlergehen der Leute um ihn herum. Dabei war es nebensächlich ob dieser Jemand hunderte von Kilometer entfernt war oder sich in direkter Nähe zu ihm befand. Außerdem machte er da keinerlei Unterschied zwischen den Menschen. Jeder konnte zu ihm kommen und der Vongola-Boss würde immer eine helfende Hand reichen. Egal ob es einer seiner Wächter, die Varia oder seine Familie war, der kam, Tsuna war zur Stelle.

Manch einer mochte das als Schwäche ansehen, doch Hayato musste zugeben, dass der Braunhaarige in den letzten vier Jahren mit dieser Strategie gut gefahren war und dass die Zeiten wesentlich ruhiger geworden waren. Selbst zur Varia schaffte er es allmählich Kontakt aufzubauen, wobei das bei diesen Volldeppen nicht gerade einfach war.

Jeder einzelne von denen gehörte nach der Meinung des Sturmwächters in die Klapse. Doch wenn der Juudaime meinte, dass sie eine Chance verdienten, was sollte er da noch groß widersprechen? Er konnte seinem Boss einfach keinen Wunsch abschlagen.

Ein Seufzen entwich seinen Lippen, während sein Blick zu Uri wanderte. Sie schien die großzügige Krauleinheit offensichtlich zu genießen.

„Wir sollten auch endlich schlafen gehen, Uri.“
 

Brummelnd begrüßte Hayato Takeshi am nächsten Morgen. Er war kein Morgenmensch und brauchte seine Stunde am Morgen, um einiger Massen in die Gänge zu kommen. Doch dieser Morgen war für den Sturmwächter einfach nur grauenhaft. Er fühlte sich wie gerädert und geschlafen hatte er auch nicht wirklich. Die Couch war einfach zu unbequem, um darauf zu schlafen.

Sein Gast war allerdings auch nicht gerade in Redelaune. Seit Takeshi den Raum betreten hatte, schwieg er, wenn man mal von der knappen Begrüßung absah. Er hatte es noch nicht einmal fertig gebracht, seinem Gegenüber in die Augen zu sehen. Ein Umstand, der den Italiener tierisch sauer machte. Mit jeder Minute die verging und das Schweigen anhielt, wurde Hayato immer wütender und die Grenze, die unweigerlich zu einer Explosion führen würde, kam immer näher.

Was zum Teufel sollte dieser Affenaufstand?

„Yamamoto, hättest du die Freundlichkeit mich aufzuklären, was los ist?“

Verwundert blickte Takeshi auf und betrachtete sein Gegenüber. Ein Moment der Stille hing zwischen ihnen, bis der Regenwächter seinen Mund zu einem Lächeln verzog.

„Was soll denn sein?“

Eine Augenbraue Hayatos schellte in die Höhe.

„Yamamoto?“

„Mhm?“

Die zweite Augenbraue folgte.

„Willst du mich verarschen?“

„Nein.“

Jetzt war es aus.

Beiden war durchaus bewusst, dass das Lächeln des Regenwächters eine Lüge war genau wie seine vorgespielte Gelassenheit und Heiterkeit. Offensichtlich wollte der Dunkelhaarige nicht darüber reden, doch das würde Hayato nicht so einfach hinnehmen.

„Warum kannst du mir nicht in die Augen sehen.“

Seine Stimme klang genauso gereizt, wie er war. Seine Hände bebten und die Augen strahlten regelrechten Zorn aus.

Takeshis Augen hingegen wirkten verschlossen, als wolle er seine Gefühle und Gedanken vor der Außenwelt verschließen. Doch soweit würde der Sturmwächter es nicht kommen lassen, diesmal nicht.

Er packte seinen Kameraden über den Tisch hinweg am Kragen und zog ihn näher zu sich heran.

„Glaubst du allen Ernstes, dass ich mich einem falschen Lächeln und eine scheinheiligen Antwort zufrieden gebe, du Baseball-Hirni?“

Eine Moment sahen sie sich beide in die Auge, bevor der Bombenschütze seinen Griff lockerte.

„Und jetzt wirst du mir meine Fragen beantworten.“

Der Silberhaarige ließ von dem Japaner ab und setzte sich ganz normal wieder an den Tisch. Seine Augen fixierten jedoch weiterhin den Schwarzhaarigen.

„Also. Wann hast du den Typen getroffen?“

„Auf der Hochzeit von Tsuna und Kyoko.“

„WAS?“

Das saß.

Geschockt starrte Hayato Takeshi an und war nicht in der Lage einen vernünftigen Satz hervor zu bringen. Währenddessen biss sich der Dunkelhaarige auf die Lippe. Es fiel ihm sichtbar schwer über diese Begegnung zu reden, die ihm doch mehr zu schaffen machte, als er zugeben wollte.

„Als ich raus bin, um ein wenig frische Luft zu schnappen, stand er plötzlich vor mir. Durch Berichte und Artikel aus diversen Zeitungen hatte er mich ausfindig machen können.“

Mehr als ein Nicken war von Seiten Hayatos nicht drin.

Selbst wenn die Familie der Vongola nie in den Vordergrund trat, waren doch einige ihrer Mitglieder für unterschiedliche Tätigkeiten bekannt. Takeshi und auch Ryohei hatte sich im sportlichen Bereich einen Namen gemacht, während Spanner und Irie mehrmals in den Naturwissenschaftlichen und technischen Teil zu finden waren.

Den Baseball-Freak ausfindig zu machen, war nun wirklich nicht schwierig gewesen.

„Er hat mir alles an den Kopf geworfen, was er loswerden wollte und ist dann einfach verschwunden.“

„Und dann?“

„Ich bin wieder in den Saal. Irgendwer von den Kellnern hatte mir ein Glas Sekt in die Hand gedrückt. In diesem Moment hab ich nicht nachgedacht und das Glas einfach ausgetrunken.“

Das der Regenwächter diese Entscheidung bereute, konnte man ihm nur allzu deutlich ansehen. Die Reue stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

„Danach bin ich zurück an den Tisch gekommen. Lambo und Ryohei hatten so gute Laune, dass sie mir einfach nachgeschenkt hatten. Sie haben mir irgendwas erzählt, doch ich hab gar nicht zugehört. Nach einer Weile hörte ich Ryohei nur Prost sagen. Ich folgte einfach der Aufforderung und hab das Glas noch einmal ausgetrunken. Irgendwann muss ich dann eingeschlafen sein.“

Vorsichtig lächelte Takeshi Hayato an, der das nur mit einem Schnauben quittierte.

Jedoch hatte er so langsam eine vernünftige Erklärung für das Verhalten von seinem Kameraden und wenn er ehrlich war, konnte er es sehr gut nachvollziehen. Er wüsste nicht, wie er sich in solch einer Situation verhalten hätte.

Wahrscheinlich hätte er dem Typen eine reingehauen und ihn anschließend umgebracht, bevor er sich wohl die Kante gegeben hätte.

Demnach war es wohl ganz gut, dass der Regenwächter eindeutig ein vollkommen anderes Gemüt hatte als er. Sonst hätten sie nun ein paar Schwierigkeiten und Probleme mehr zu bewältigen.

Ein Seufzen entfloh den Lippen des Sturmwächters.

„Verstehe.“

So langsam ergaben die Teile ein Ganzes. Doch nur eine Sache passte nicht so ganz ins Bild. Jedenfalls bisher nicht.

„Warum bist du in mein Bett gekommen und hast dich an..“

Hayato stoppte. Seine Wangen glühten und irgendwie schämte er sich dafür, die letzten Worte des Satzes auszusprechen. Es war ihm schlichtweg peinlich.

Es war das erste Mal an dem Morgen, dass er den Augenkontakt zu seinem Kameraden vermied.

Diesem ging es scheinbar nicht besser, denn auch Takeshi hatte einen roten Schimmer auf den Wangen bekommen, bevor den Kopf senkte.

„Ich weiß es nicht so genau, aber...“

Er stockte wie wenige Augenblicke zuvor Hayato. Kurz konnte der Italiener das tiefe Luftholen seitens des Regenwächters vernehmen, bevor seine Stimme dann wieder den Raum erfüllte.

„In der Zeit nach dem Tod meiner Mutter hab ich mich sehr einsam gefühlt. Mein Vater versuchte für mich da zu sein, doch durch die Verhandlung und das Restaurant habe ich ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Ich war ziemlich auf mich allein gestellt. Auch nachdem die Verhandlung vorbei war, musste mein Vater mehr Zeit in das Restaurant investieren. Unsere gemeinsame Zeit wurde dadurch immer weniger. Ich hab es ihm nie übelgenommen. Schließlich konnte ich ihn ja verstehen. Dennoch blieb die Einsamkeit.“

Vorsichtig wagte es Hayato Takeshi einen Seitenblick zu zuwerfen. Er kannte dieses Gefühl gut genug. Nachdem er die Wahrheit über seine Mutter herausgefunden hatte, war er einfach von Zuhause abgehauen. Zu einem wollte er mit seiner Familie nichts mehr zu tun haben, doch auf der anderen Seite war er schrecklich einsam gewesen. Es hatte niemanden gegeben, dem er sich hätte anvertrauen können. Niemand, der mit ihm Freud und Leide, Glück und Trauer teilte.

Es war einsam gewesen und schrecklich kalt.

Irgendwann hatte er angefangen seine Gefühle und Gedanken zu verstecken, niemand sollte ihn sehen. Denn in der Welt, in der er gelebt hatte, waren sie ein Zeichen der Schwäche gewesen. So war zu dem geworden, den Tsuna erst später in der Mittelschule kennengelernt hatte.

Erst durch das Kennenlernen seines Boss hatte er angefangen nach und nach die Welt mit anderen Augen zu sehen und auch zu erleben. Ganz langsam hatte der Silberhaarige das Gefühl von Verständnis, Akzeptanz und Geborgenheit zurückgewonnen, was ihm sein Boss und die anderen entgegen gebracht hatten.

Er war ein Teil der Familie geworden und für jeden aus dieser Familie würde er inzwischen durchs Feuer gehen, wenn man von ganz gewissen Personen mal absah.

„Erst als ich mich mit Tsuna angefreundet hatte und auch wir beide immer mehr in Kontakt kamen, wurde es wieder besser. Plötzlich war es einfach anders. Lustiger und auch irgendwie wärmer. Da waren plötzlich Menschen, die mich mochten um meiner selbst willen und nicht wegen meines Können als Baseball-Spieler oder meines Aussehens.“

Auch dies konnte Hayato mehr als gut nachvollziehen, was ihn überraschte. Scheinbar hatte er und Takeshi mehr Gemeinsamkeiten, als er bisher angenommen hatte.

„Irgendwie wurde ich in die ganze Sache mit hineingezogen und ich hatte auch nichts dagegen. Es hat mich vielmehr gefreut, denn ich hatte das Gefühl endlich wieder ein Teil einer Gruppe zu sein, einfach dazuzugehören. Mit der Zeit wurden meine Freunde mehr und mehr meine Familie, denen ich mein Vertrauen entgegenbringen konnte. Ich konnte mir sicher sein, wenn etwas wäre, würde meine Familie da sein.“

Das stimmte. Die Vongola-Familie schützte und stützte sich gegenseitig und vor allem wurde darauf geachtet, dass keiner auf der Strecke blieb. So merkwürdig es auch klang, selbst Mukuro, Hibari und die Varia trugen ihren Teil dazu bei.

„Und dann die vorletzte Nacht war für mich … eine Achterbahnfahrt gewesen. Ich kann gar nicht beschreiben, was mir alles durch den Kopf ging und was ich fühlte. Nur in einem bin ich mir absolut sicher, dass da dieser Trauer um meine Mutter wieder da gewesen ist und auch die Erinnerung an die Einsamkeit. Ich denke, ich wollte nicht einsam und alleine sein und bin deshalb zu dir...“

An dieser Stelle unterbrach Takeshi seine Erklärung mit hochrotem Kopf.

Doch auch seinem Kameraden ging es nicht anders. Doch ein leicht wütender Blick mischte sich unter seine Verlegenheit.

„Mit anderen Worten, nur wenn du dich allein fühlst, dann steigst du zu anderen Leuten ins Bett.“

„Nein.“

Betroffenheit und etwas Verletztes schwankten in der Stimme Takeshis mit.

„Nur bei Leute, denen ich vollkommen vertraue.“

„Und woher willst du das wissen? Du kannst dich doch an die vorletzte Nacht noch nicht einmal erinnern.“

„Ich weiß es einfach.“

„Das ist keine Antwort.“

Was machte er da eigentlich? Es konnte ihm doch vollkommen egal sein, zu wem dieser Baseball-Depp ins Bett stieg. Warum zum Teufel war er dann aber so wütend? Es war doch völlig egal, doch warum tat es dann so weh und ließ diesen Zorn in ihm aufsteigen.

„Ich weiß es aber nicht besser, außer dass ich es weiß.“

„Weißt du, wie bescheuert das klingt?“

„Ist mir doch egal. Was ich mit Sicherheit weiß, ist dass ich vorher noch nie bei einem anderen im Bett aufgewacht bin.“

Stille.

Erstaunt und vollkommen überrascht blickten sich die beiden an. Keiner von ihnen wusste, was er noch sagen sollte.

Leichte Erleichterung machte sich in Hayato breit, während er sich zu gleich fragte, woher diese Erleichterung stammen mochte.

Takeshi hingegen waren seine Worte mehr als unangenehm. Er biss sich leicht auf die Lippe und wandte zum wiederholten Male den Blick von seinem Teamkameraden ab. Die Rötung seiner Wange blieb weiterhin bestehen und schien gar nicht mehr verschwinden zu wollen.

Ihr Schweigen zog sich hin und keiner traute sich den jeweiligen anderen anzusehen. Noch immer hingen Takeshis Wort in der Luft und kreisten durch ihre Gedanken.

Scham und Verwunderung mischten sich ineinander.
 

„Tut mir leid.“

Schwer schluckte Hayato und wagte es, einen Blick auf Takeshi zu werfen. Dieser erwiderte diesen zurückhaltend, schon fast ein wenig scheu.

Gefühlschaos schien auch ihn gefangen zu halten – Verwirrung, Verzweiflung und Angst spiegelten sich in den braunen Augen des Regenwächters. Doch warum Angst und Verzweiflung? Was fürchtete er? Woher kam diese Angst?

Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in seiner Brust aus. Es gefiel ihm nicht, denn in einem war sich der Silberhaarige sicher - diese Angst und Verzweiflung, die galt ihm. Ihm allein.

Doch warum? Warum fürchtete der Japaner sich vor ihm und warum missfiel ihm dies so? Woher kamen dieses unangenehme Ziehen und diese Gewissensbisse?

„Was tust du?“

„Hayato?“

Doch der Sturmwächter schüttelte nur den Kopf. Er wollte Antworten und es gab nur einen, der ihm diese geben konnte.

„Was tust du mit mir?“

Ein gequältes Lächeln trat auf das Gesicht des Schwarzhaarigen.

„Die gleiche Frage, die auch ich dir stellen wollte?“

Die gleiche Frage und doch keine Antwort.

Was taten sie sich nur einander an und warum?

„Ich weiß es nicht.“

„Mhm.“

Wieder schwiegen sie und hingen ihre Gedanken nach.

Nur das Ticken der Uhr durchdrang die Stille der Küche, während sie sich einfach nur ansahen. Kein Wort verließ ihre Münder und doch konnte sie die Augen nicht abwenden. Da war etwas, zwischen ihn und doch konnten sie nicht erkennen was. Was war es?
 

Es war Uri, die ihr Beisammensein zerstörte. Lautstark machte sie Hayato darauf aufmerksam, dass es an der Zeit war, endlich ihre Napf und damit auch ihren Magen zu füllen. Da jedoch ihr Herrchen nicht sogleich reagierte und die Katze nicht unbedingt die Geduldigste war, blieb der Einsatz ihrer Krallen Hayato nicht erspart.

Vollkommen überrascht sprang dieser auf und warf dabei den Tisch mitsamt Inhalt um, während Takeshi gerade nur noch seine Kaffeetasse retten konnte.

„URIIII.“

Als Antwort bekam er nur ein wildes und erzürntes Fauchen. Ein helles Lachen übertönte dies jedoch.

Kurz funkelte Hayato seine Katze an, bevor er sein Blickfeld seinem Gast zuwandte. Diesmal war er sich sicher – das Lachen, das Lächeln, dieses Mal war es nicht vorgespielt. Es war echt und es tat unheimlich gut es zu hören. Irgendwie kam es ihm vor, als hätte er es viel zu lange nicht mehr gehört.
 

Sie sprachen nicht mehr darüber, was in der Küche geschehen war, doch vergessen hatten sie es auch nicht. Irgendetwas war da gewesen und es bestand noch immer. Irgendwie veränderte sich dadurch etwas, selbst wenn man es nicht sehen konnte.

Ein Seufzen entwich Hayatos Lippen, während er einen weiteren Zug von seiner Zigarette nahm.

„Du rauchst zu viel.“

Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Zu oft hatte man ihm das schon gesagt.

„Erzähl mir mal was Neues.“

„Du hörst doch eh nicht auf mich.“

„Das wäre dann mal was Neues.“

Ein leises Kichern ertönte, bevor die Stille wieder eintrat. Doch diesmal war es keine unangenehme Stille. Es war vielmehr ein kostbarer Augenblick, den sie beide genossen. Jeder auf seine Weise.

„Du Hayato?“

„Mhm?“

Takeshis Stimmlage war ernst. Die Leichtigkeit, die kurz zuvor noch zwischen ihnen geherrscht hatte, war mit einem Schlag verschwunden.

Etwas belastete den Regenwächter.

„Sag, wann hört es auf?“

„Was?“

„Die Trauer.“

Er nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette und starrte vor sich hin.

Wann hörte es auf, dieses Gefühl? Diese Gedanken?

„Ich weiß es nicht.“

„Verstehe.“

Irgendwann würde es ein Ende haben, wenn er stark genug war. Wenn er entschlossen genug war, dann würde er es noch einmal schaffen, da war sich Hayato sicher.

„Takeshi.“

„Mhm.“

„Nimm dir die Zeit, die du brauchst und lebe.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Chibi-Neko-Chan
2013-07-20T02:19:02+00:00 20.07.2013 04:19
Hm.. du setzt also genau da an, wo du aufgehört hast? Finde ich zum Einen gut und zum Anderen schade. Manchmal ist es auch cool, wenn man einen richtigen Hänger einbaut und erst mal ganz woanders weiter schreibt. ;) Aber erst mal schauen, was du nun aus der Erkenntnis mit dem Todestag der Mutter gemacht hast.
Boooah..mies..ich hasse so was. Also..so einen Tod. Betrunkener überfährt Frau. Am besten noch Fahrerflucht. >.> Ja ja..ich weiß schon, warum ich niemals Alkohol anrühre. =u= tze... Davon halte ich einfach nichts.
Hm..Takeshis Verhalten ist wirklich ungewöhnlich. Dass er mal so richtig sauer ist... wow. .___. Aber in diesem Moment mehr als verständlich. Ich hätte den Kerl vermutlich angefallen..oder gekillt oder so. xX" Wie konnte er da so ruhig bleiben?
Uriiii kommt endlich wieder vor!! x3 Ich finde es gut, dass Hayato sich endlich mal etwas kümmert...auch wenn es mehr als ungewöhnlich für ihn ist *hust*.
Dass Tsuna anruft, verwundert mich nicht. Eher, dass Hayato sich so viele Gedanken macht, dass es schon Mitternacht ist, Takeshi in SEINEM Bett schlafen darf und er wach bleibt. *wegrofl* xD
Dass Tsuna sich solche Sorgen macht, finde ich toll. *___* Und dass er so eine gute Auffassung hat auch. Ich hoffe ja mal, dass Hayato damit klar kommt. Bin gespannt, woran er die ganze Zeit denkt. Was war wohl in seiner Vergangenheit? Offene Fragen, die hoffentlich noch geklärt werden? >____<
Hayato du bist mal wieder so richtig schön ohne Grund sauer. xX Lass Takeshi doch die Zeit, die er braucht. Sei lieber froh, dass er sich überhaupt etwas geöffnet hat...
Vor allem bei so einem schwierigen Thema.
OMG! Ich wäre wie Hayato. xD haha Ich könnte da nicht so ruhig bleiben..nur würde ich mir danach nicht die Kante geben. Macht es ja auch nicht besser. ;P
Hm.. Langsam tauen die beiden ja auf. Ich finde es schön, dass endlich mehr von der Vergangenheit an die Gegenwart kommt und man mehr erfährt. Zudem scheint es Takeshi ja immer noch verdammt mitzunehmen. Mitfühlend geschrieben.
Ich finde es schön, dass Takeshi zugibt, wie er sich fühlt und wie er sich gefühlt hat. Das wird doch mal so langsam mit den beiden. Schön schön. :)
Ulala~ Sie können also ihre Blicke nicht mehr abwenden? Gut so. xD hahaha Bin gespannt, was nun passiert~
Uriiii xD *wegrofl* XD Diese Katze kann einen echt irre machen. ;D lol Die armen..
Da kommt das erste mal die Verwendung des Zitates vor, habe ich das Gefühl. Aber dafür gut verwendet (habe es schließlich sofort bemerkt). Ich mag den Wortwechsel am Ende, das hast du gut gemacht. An sich war auch das Kapitel wieder spannend!

Und hier erneut: Lass eine/n Beta-Leser/in noch einmal drüber sehen ;)

Liebe Grüße :3


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