Atemzug von TommyGunArts (Grey Mr. Grey) ================================================================================ Granti zog immer eine mürrische Schnute. Die Mundwinkel runter, Augenbrauen zusammen. Hinzu kamen die harten Gesichtszüge, die ihr übriges taten. Doch jetzt war er richtig angesäuert, was sich besonders durch die kleine Ader an seiner Stirn zeigte, die unaufhörlich pochte. Er hatte die Nase gestrichen voll! Genervt sah er auf den Ritter der Königsgarde hinab, den er soeben mit blanker Faust bewusstlos geschlagen hatte. Wäre dieser Trottel nicht gewesen, dann hätten sie ihre Arbeit ohne Probleme machen können. Aber nein! Man musste sich ja unbedingt in ihre Angelegenheiten einmischen. »Steh auf!«, knurrte Granti dem anderen Idioten entgegen, der zu allem Überfluss nicht nur sein Partner, sondern auch sein Zwillingsbruder war und der gerade versuchte sich gleichzeitig Hals und Bein zu halten. Der Ritter hatte, als er in sich zusammengefallen war, mit der Dolchscheide den Hals des dämlichen Rotschopfs gestreift. Das bisschen Blut brachte diesen völlig aus der Fassung, sodass er jetzt jammerte, wie ein kleines Kind. Deshalb rollte Granti genervt mit den Augen, zerriss den weißen Umhang des Ritters und legte seinem Bruder die Fetzen auf die Wunde. »Stehst du jetzt auf?«, drängelte er, weil er bemerkte, wie der Ritter allmählich zu sich kam. Sein Bruder schüttelte den Kopf und wischte sich eine Träne von der Wange. »Du bist so ein Schwachkopf, Mumpitz! Wenn du jammern willst, dann bleib doch das nächste Mal Zuhause in deinem Bettchen!« Er packte den Verletzten unter den Armen und warf ihn sich dann wie einen nassen Sack über die Schulter. Mit einem kurzen Blick sondierte er die Lage. Sie befanden sich zwischen im kleinen Hofgarten, genau wie sie es geplant hatten – wenn man bedachte, dass eigentlich nichts wie geplant verlaufen war. Kaum zehn Fuß vor ihnen stand die Tür. Sie war sonnengelb und anderthalb Mann hoch. Und sie befand sich mitten auf dem Rasen. Granti begriff bis heute nicht, warum diese nicht gerade dezente Tür niemandem auffiel. Sein Bruder beteuerte zwar immer, dass das Nutzen und Sehen der Türen nur bestimmten Personen vorbehalten war, aber so ganz wollte er sich mit dieser Erklärung nicht abfinden. »Wenn du nicht weißt, dass es sie gibt und du auch gar nicht danach suchst, dann bleiben sie unsichtbar für dich«, hatte Mumpitz einst gesagt und seither bekam Granti diese Worte nicht mehr aus dem Kopf. Sie ergaben einfach keinen Sinn. Wieso soll man etwas nicht sehen können, nur weil man noch nie davon gehört hat? Doch mit seinem Bruder darüber zu streiten war unsinnig. Dabei trafen nur zwei Sturköpfe aufeinander und es endete immer damit, dass Granti »Nein!« schrie und Mumpitz »Doch!« Der Griesgram schritt auf die gelbleuchtende Tür zu. Als er direkt davor stand tippte er seinen Bruder an und meinte: »Konzentrier dich, es geht los!« Dann atmeten beide tief ein und hielten die Luft an. Innerlich zählte Granti bis drei, schloss die Augen und öffnete die Tür mit der freien Hand.  Er stellte sich den Zielort vor, rekonstruierte das Bild, das ihm im Gedächtnis geblieben war und fokussierte all sein Denken darauf. Auch wenn er es schon mehrere hundert Mal gemacht hatte, so musste er sich doch jedes Mal aufs Neue überwinden, mit geschlossenen Augen durch die Tür zu gehen. Denn letztendlich konnte er überall landen. Eine winzige Ablenkung würde reichen, um ihn an einen völlig anderen Ort zu bringen. Er stellte sich manchmal vor, hindurch zu gehen und den Fuß ins Leere zu setzen. Und zu fallen. Aber nicht jetzt. Jetzt gehörte seine ganze Aufmerksamkeit dem Zielort. Er packte seinen Bruder fester, um ihn nicht zu verlieren und atmete aus. Dann trat er über die Schwelle.   *** Sir Yall, der gerade zu sich gekommen war, traute seinen Augen nicht. Verwundert starrte er auf die Stelle, an der eben noch die beiden Männer gestanden hatten. Er hatte bloß geblinzelt. Konnten zwei Menschen innerhalb eines Wimpernschlags verschwinden? Oder war er erneut in Ohnmacht gefallen und hatte den Moment des Verschwindens schlicht und einfach verschlafen? Der Ritter rieb sich die pochenden Schläfen. Der Schlag des Anderen hatte gesessen. Eines war klar: Er hatte gewusst, wo er treffen musste, um eine Bewusstlosigkeit zu erzielen. Yall rappelte sich auf. Noch immer tanzten ihm dunkle Wolken vor den Augen, die sich dann und wann verdichteten und wieder lichteten. Der weiße Umhang des Ritters war mit Schlamm bedeckt und zerrissen. Er fühlte sich wie ein Bettler, der nicht genug Scolt besaß, um sich vernünftig einzukleiden. Und er verabscheute dieses Gefühl zutiefst. Er sah zu Boden. Dort, wo der Rotschopf gelegen hatte, fanden sich nun vereinzelte Blutstropfen wider. Mit einem Blick auf seinen Dolch stellte er fest, dass er den Burschen erwischt haben musste, als der Andere ihm den entscheidenden Schlag versetzt hatte. Das änderte zwar nichts daran, dass sie ihm entwischt waren, aber nun trug der Bursche wenigstens Yalls Andenken bei sich. Das wiederum erheiterte ihn ein bisschen. »Alles in Ordnung, Sir? Seid Ihr verletzt, Sir?«, kam es plötzlich von direkt hinter ihm. Wäre Yall ein schreckhafter Mann gewesen, dann wäre er jetzt zusammengezuckt, als er den heißen Atem in seinem Nacken spürte und die dazugehörige tiefe Stimme Ohns vernahm. Wie um alles in der Welt hatte es der Hüne geschafft sich derart an ihn heranzupirschen? »Nimm deinen Schädel aus meinem Nacken!«, giftete Yall, dem Ohns deutlich zu nah gekommen war. »Alles in Ordnung, Sir?«, wiederholte Ohns, nachdem er einen Schritt zurückgetreten war. Yall dachte gar nicht daran, dem Hünen zu antworten und besah sich stattdessen noch einmal den Dolch und die Umgebung. »Die Achtzehn der Königsgarde werden sich aufteilen«, beschloss er und sah Ohns eindringlich an. »Diejenigen, die beim König, dem Prinzen und den Prinzessinnen sind, die bleiben dort. Der Rest durchkämmt jeden Winkel der Burg, verstanden?« Ohns sah den Kommandanten ungläubig und etwas dümmlich an. »Ich habe nicht die Befugnis, Befehle zu erteilen, Sir.« »Ich habe sie dir soeben erteilt!«, zischte Yall, der seinen Dolch am zerrissenen Umhang säuberte. »Anschließend wirst du dir Männer suchen, ganz egal woher. Nimm dir die Stadtwache oder sonst wen und tu was nötig ist, damit zuerst die Burg und dann ganz Geek abgeriegelt wird.« Das Schlimmste für Yall war die innerliche Blamage. Er fühlte sich zutiefst in seiner Ehre verletzt, weil es ihm nicht gelungen war, die beiden Blender in seine Gewalt zu bringen. Deshalb war sein Tonfall besonders fordernd, als er sagte: »Niemand kommt rein oder raus, bis wir gefunden haben, was wir suchen!« Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er zu einem solchen Schritt gezwungen war. Es war noch nicht lange her, gerademal ein paar Tage. Und es war ebenfalls mitten in der Nacht gewesen: Der Tag an dem Stix Grey aus dem Verließ entkommen war. Und genau wie heute war er nicht sonderlich zuversichtlich, dass die Schließung der Tore den gewünschten Effekt erzielen würde. Aber das würde sich zeigen. Ohns tippelte unsicher mit den Füßen. Es wirkte ein bisschen so, als müsste er sich dringend erleichtern. Dann ergriff er etwas kleinlaut das Wort und meinte: »Ich will Euch nicht infrage stellen, Sir, aber es wird niemand von mir Befehle entgegennehmen. Ich kann meinen eigenen Zug befehligen, ja, und eventuell auch die Stadtwache, aber die anderen Ritter der Königsgarde werden mir keinerlei Beachtung schenken, Sir.« Yall ließ in seinem Kopf einige Flüche explodieren, musste aber zugeben, dass der Hüne Recht hatte. Und das ärgerte ihn noch mehr. Dennoch blieb er erstaunlich ruhig, als er antwortete: »Gut, dann werde ich die Burg abriegeln lassen und du kümmerst dich um die Stadt.« Ohns nickte und wollte sich schon abwenden, als Yall ihn zurückhielt. »Wenn du das erledigt hast, dann versuchst du herauszufinden, wer alles mit den Betrügern in Kontakt stand.« Wieder nickte Ohns und verschwand dann schnellen Schrittes in der Dunkelheit. Sir Yall blickte nach oben zu dem offenen Fenster, aus dem mattes Kerzenlicht schien. Was um alles in der Welt hatten die beiden Männer dort oben, im Schlafgemach des Königs gewollt? Er selbst wusste, dass es in dieser Kammer nichts Wertvolles zu holen gab, abgesehen von ein paar vergoldeten Broschen und prunkvoller Kleidung, die man aber in einem Adelshaus viel einfacher hätte ergattern können. Der Ritter kratzte sich am Hinterkopf. Das alles war ihm ein Rätsel. Ein Rätsel, das er noch lösen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)