Very Little Talks von Tricksy ================================================================================ Kapitel 4: 4 ------------ Wie man sieht, ist es noch pünktlich im November fertig geworden! (HUSTKEUCHKRÄCHZHUST) Unglaublich, dass mich ein so kurzes Kapitel solange aufhalten konnte. Ich könnte jetzt hier das Sprichwort mit der Kunst und dem Pupsen ablassen aber... nein. Viel Spaß! Die Erkältung stellte sich nur zwei Tage später ein. Innerlich verfluchte ich mich halbherzig dafür, dass ich mir für diese Aktion keinen Taucheranzug gekauft hatte. Wahrscheinlich wäre dann das Aufeinandertreffen mit Karyu schlicht und ergreifend peinlich geworden. Aber ich würde dann auch nicht mit gefühlten zwanzigtausend benutzten Taschentüchern neben mir auf meiner Couch vor mich hin leiden. Ich wischte mir übers Gesicht, zog hoch und tastete blind nach einer neuen Packung. Immerhin war ich nicht der Einzige, den es erwischt hatte. Dass Karyu die totale Breitseite abbekommen hatte, war mir allerdings der einzige Trost. Hey, hatte er mir gestern geschrieben. Ich würde ja anrufen, aber dann hättest du vermutlich gedacht, ein Hahn auf Crack hat mir das Handy geklaut und so lange drauf rumgehackt, bis er versehentlich deine Nummer gewählt hat. Naja. Ich nehme an, dich hats auch erwischt. Gute Besserung. Ich hatte mich sofort gefragt, wie ein Hahn bitte an Crack kommen sollte. Natürlich war das nicht das einzige gewesen, woran ich gedacht hatte. Seine Nachricht hatte mich schlagartig zurück in sein Auto versetzt, indem wir uns mehr oder weniger füreinander ausgesprochen hatten, wenn man es gelinde sagte. Eigentlich hatten wir es jetzt schwarz auf weiß – wir liebten uns, verdammte Scheiße. Wir waren beide ein bisschen zu dumm gewesen um den perfekten Moment für dieses Statement abzupassen, aber jetzt war es raus. Seitdem hatte ich durchgängig ein inneres Hochgefühl, das ich lange nicht mehr gespürt hatte. Wir hatten nach den paar Anmerkungen, die Karyu und seine Frau betrafen, das Thema nicht weiter fortgeführt. Wir hatten im Nachhinein generell nicht mehr viel geredet. Das Einzige, was mich deswegen nicht hatte nervös werden lassen, war, dass er meine Hand währenddessen nicht losgelassen hatte. Und als sich das Wetter beruhigt hatte, war jeder wieder seines Weges gegangen. Mit den Worten, es wäre besser, alles erst einmal sacken zu lassen. Als wir das gesagt hatten, war mir das noch äußerst logisch vorgekommen. Jetzt fragte ich mich allerdings, ob zehn verdammte Jahre sacken lassen nicht schon genug gewesen war, auch wenn sich das nicht direkt vergleichen ließ. Machte ich mich vielleicht verrückt? Ich warf das nächste Taschentuch auf den Haufen und befühlte meine wunde Nase. Meine Gedanken schweiften wild umher. Was machte Karyu? Wo war er gerade? Wo war seine Frau gerade? Ich seufzte frustriert, zog meine Beine aufs Sofa und legte mich hin. Meine Augen hefteten sich an die Decke, die nach einer Weile auf mich zuzukommen schien. Karyus Frau. Wusste sie schon davon? Hatte er es fürs Erste für sich behalten? Ich konnte nicht sagen, ob ich es wissen wollte oder nicht. Ich wollte nicht einmal an sie denken. Je mehr ich es tat, desto stärker wurde meine Angst vor ihr, und ich konnte nicht einmal genau benennen, worin sie begründet lag. Vielleicht aber darin, dass sie der einzige Mensch auf der Erde war, der mich jetzt noch von meinem Glück trennte. Als mir das bewusst wurde, zog sich mein Magen zusammen. Ich hatte unbewusst angenommen, dass sie das alles einfach hinnehmen würde. Aber wieso sollte sie, wenn sie doch bis jetzt mit der Gewissheit über Karyus Gefühle gelebt hatte ohne irgendwie nachgiebig zu werden? Übelkeit stieg in mir auf und mir wurde schwindelig, und ich konnte nicht sagen ob es an meiner Erkältung oder an der Erkenntnis lag, dass es nicht ausreichend war, halbnackt und bei gefühlten minus zwanzig Grad im Meer zu baden, um alles gut werden zu lassen. Es war ein erster Schritt. Wir packen das. Später an diesem Tag hatte ich mich erfolgreich in die Küche gekämpft, einen Kaffee gekocht und ihn direkt weggekippt, als ich in die Tasse gesehen hatte. Stattdessen saß ich jetzt mit einem Glas Wasser am Tisch und regte mich innerlich allmählich darüber auf, was für abgefahren-apokalyptisch-philosophische Gedankengänge ich hatte. Ich brauchte keine Angst mehr zu haben. Wovor auch? Zu einer Beziehung gehörten schließlich zwei, und Karyus Frau konnte ihn schlecht im Keller festketten und einsperren, ohne dass es irgendwann jemand merken würde. Herrgott, ich würde der Frau die Tür eintreten! Mit einer viel zu wüsten Bewegung griff ich nach meinem Handy, kickte es damit vom Tisch und sog die Luft scharf ein, als es auf dem Boden auftraf. Ich bückte mich stöhnend und hatte das dringende Bedürfnis mir mit einer Hand den schweren Kopf zu halten, als ich es aufklaubte. Ich hasste es, krank zu sein. Etwas grobmotorisch legte ich es wieder vor mich, stützte meinen Kopf nun wirklich ab und suchte schniefend und mit halb geschlossenen Augen nach Karyus Nachrichtenverlauf. 'Hey, dir auch gute besssreung. Chi woltle mich nur mla melnd... wie gehts vroan?' 17:25, 29 Sep. Ich fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht und massierte mir die Schläfen, zuckte schließlich zusammen, als mein Handy beinahe sofort vibrierte. 'Gesundheit.' 17:25, 29 Sep. 'Was?' 17:26, 29 Sep. 'Ich dachte du hättest beim tippen vielleicht geniest. Sah jedenfalls so aus. Oder du hast bei einem handstand mit deiner nase geschrieben.' 17:27, 29 Sep. Mit müden Augen überflog ich noch einmal meine erste Nachricht und seufzte. 'Hab kaum hingsehen.' 17:28, 29 Sep. 'Bist du betrunken?' 17:28, 29 Sep. 'Ich bin krank. Reden wri?' 17:29, 29 Sep. 'Ich auch. Und ich schaffe es noch hinzusehen, wenn ich tippe.' 17:30, 29 Sep. 'Reden wir denn? 17:31, 29 Sep. Es folgte eine Weile keine Antwort. Dann: 'Meinst du, dein zartes gemüt packt das? Solltest du dich nicht lieber gesund schlafen, oder sowas?' 17:35, 29 Sep. 'Ich bekomm bestimmt kein auge zu.' 17:36, 29 Sep. 'Du wirst kein wort von mir verstehen.' 17:37, 29 Sep. 'Ich könnt schnell einen gebärdensprachencrashkurs belegen.' 17:38, 29 Sep. Ich wartete einen Moment und fügte dann hinzu: 'Ich kann vorbeikommen.' 17:40, 29 Sep. 'Nein.' 17:40, 29 Sep. Das kam beinahe sofort zurück. Dann: 'Ich meinte... nein, lieber nicht. Ich komm vorbei.' 17:40, 29 Sep. „Du siehst beschissen aus.“ Karyu bedachte mich mit einem ironischen Blick und nickte dankend. Um seinen Hals schlang sich ein dicker Schal, hinter dem noch sein halbes Gesicht verschwand. Und dieses Mal reichten seine Augenringe wirklich zur Südhalbkugel. Er zog einmal hoch und sah in den Tee hinab, an dem er sich die Hände wärmte. Ab und an kniff er die Augen zusammen, wenn die Rauchschwaden bis in sie hinein stiegen. Er hatte mir nicht mehr gesagt, wieso er es für besser befand, wenn ich nicht bei ihm auftauchte, sondern umgekehrt. Im Grunde konnte ich mir verschiedene Begründungen dafür denken, doch ich wagte es nicht mich näher damit zu beschäftigen. Wie ich mich kannte, würden simple Erklärungen ohnehin wieder in Horrorvorstellungen münden. „Du kannst von Glück reden, dass ich nicht vor Schreck die Flucht ergriffen habe, als du mir aufgemacht hast“, schnarrte er zurück. Eine Beschreibung meines Aussehens ersparte er mir Gott sei Dank. Seine Stimme klang nicht ganz so nach 'Hahn auf Crack', wie er mir versichert hatte. Das ungute Gefühl, dass er damit Zeit schinden hatte wollen, überkam mich jäh, und beinahe genauso jäh verdrängte ich diesen dämlichen Gedanken wieder. „Ich fühl mich nicht gut“, sagte er irgendwann. Ich hob nach einigem Zögern eine Augenbraue. „Du bist auch-“ Ich unterbrach mich selbst, als mir klar wurde, was er meinte. „Oh.“ Karyu rührte eine Weile mit seinem Löffel im Tee herum, und das monotone Klingeln erfüllte einen Moment lang die Stille. „Ich weiß, dass es klar ist, dass man sich erst einmal- keine Ahnung. Umgewöhnen muss, schätze ich.“ „Und eingewöhnen“, ergänzte ich und kam mir sofort dämlich vor. „Und eingewöhnen“, wiederholte er gedehnt. Er schob die Tasse hin und her und ich konnte dabei zusehen, wie er nach den richtigen Worten suchte. „Vielleicht hattest du recht.“ „Womit?“ „Mit... allem, eigentlich.“ „Oh.“ Ich sah auf mein leeres Wasserglas hinab, mit dem ich noch zuvor eine Tablette hinuntergespült hatte. Das erste Mal dachte ich wirklich darüber nach, was ich alles gesagt hatte und fragte mich einen Moment, ob ich davon auch wirklich überzeugt gewesen war oder ob ich ihn nur zum Reden hatte bringen wollen. „Wahrscheinlich bin ich wirklich davon besessen, sowas wie der Erste zu sein.“ Seine eigenen Worte schienen ihm noch einmal im Kopf nachzuhallen, und er zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. „Okay, eigentlich... mit ziemlicher Sicherheit.“ Ich habe es gesagt, dachte ich. Aber ich hielt mich davon ab, es auch auszusprechen. Am besten rührte ich mich so weit es ging gar nicht, bevor Karyu noch vor Schreck aufsprang und die Flucht ergriff. Er schob die Teetasse an ihrem Henkel hin und her und schien den Faden zu verlieren. Schließlich seufzte er einmal leise und fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht, das auf einmal viel bleicher als vorher war. „In D'espairsRay hat viel Arbeit gesteckt“, sagte er dann langsam und schaute dabei so, als müsse er jedes Wort konzentriert in einen sinnvollen Satz einfügen. Mein Magen fühlte sich auf einmal hohl an. Ich nickte nur. Aber er schien es gut zu heißen, dass ich nichts weiter tat. „Ich meine, wir haben alles mehr oder weniger aus dem Boden gestampft. Mit nichts. Und es war teilweise so scheiße schwer, du willst gar nicht wissen, wie oft ich ans Hinschmeißen gedacht habe.“ „Wir alle“, warf ich knapp ein, schenkte ihm aber einen verständnisvollen Blick. „Mhm“, machte er. Erst setzte er dazu an fortzufahren, doch er blieb still und musterte mich. Ich sog langsam die Luft ein und betrachtete mich in seinen Augen, die bekümmert glänzten. „Weißt du noch, wie du mich unter den Tisch getrunken hast?“, fragte er dann leise. Ein wenig überrascht brauchte ich einen Moment, um mir bewusst darüber zu werden, was er da gesagt hatte. Während ich ihn betrachtete dachte ich an unsere erste Begegnung zurück, daran wie er sich Bier für Bier bestellt, während ich noch an meinem ersten getrunken hatte. „Du hast dich selbst unter den Tisch getrunken“, entgegnete ich genauso leise. Er lächelte flüchtig und fuhr sich noch einmal über die Augen. „Egal“, raunte er dann. Er schien sich an irgendetwas zu erinnern, denn er begann damit durch mich hindurchzusehen. Erst als ich mich zurückhaltend bemerkbar machte, blinzelte er. „Uns wurde der Boden unter den Füßen weggerissen. Könntest du das bestreiten?“ „Nein“, sagte ich. Dann: „Aber irgendwie hatte es sich angedeutet.“ „Er wurde uns Stück für Stück weggerissen“, verbesserte er sich missmutig. „Und dann mit einem Ruck.“ Karyu schien das erste Mal mit dem Gedanken zu spielen, sich an seinem Tee zu verköstigen. Mit skeptischem Blick beugte er sich tief über die Tasse, roch daran, bis er schließlich einen kleinen Schluck zu sich nahm. „Ich weiß gar nicht, wie ich das alles sagen soll“, gestand er schließlich. Sein Blick hob sich und richtete sich auf mich, ganz so, als erhoffte er sich irgendeine Hilfe von mir. „Was ich da gedacht habe, meine ich. Oder wie ich mich gefühlt hab. Vielleicht hatte ich da die drei Flaschen Tequila und einen Schlag in die Fresse.“ Ich verzieh es ihm, dass er wie der einzige Leidtragende klang. Am Ende hatte er schließlich überhaupt dafür gesorgt, dass es D'espairsRay gegeben hatte. „Ich hatte Angst, dass es nie wieder bergauf geht“, sagte er dann. Mit kreisenden Bewegungen schwenkte er seinen Tee wild herum, bis eine kleine Pfütze auf dem Tisch landete. Wir starrten beide so auf sie hinab, als ob wir erwarteten, dass sie unsere Probleme lösen könnte. „Ich habe mir gesagt: Das wars jetzt. Zwölf Jahre, das ist eine lange Zeit, und es kam mir wie mein ganzes Leben vor.“ Karyu hob eine Hand, gestikulierte schwach und fuhr sich schließlich mit ihr einmal durchs Gesicht. „Ganz kurz dachte ich wohl auch, ich könnte mir genauso gut die Kugel geben.“ Mein Körper spannte sich an, als er das sagte. Ohne mich dagegen wehren zu können stellte ich mir wieder diesen surrealen Backstagebereich vor, und anstatt dieses unvergesslichen Satzes sagte Karyu nichts, saß nur da, kippte auf einmal zur Seite um und blieb regungslos am Boden liegen. Mehrere Schauer flossen durch meinen Körper, klatschten in meiner Magengegend aufeinander und verursachten Übelkeit. „Aber...“, sagte er. Dann schwieg er sich lange aus und sein Blick flog über mich hinweg. Seine Augen kamen mir mit einem Mal viel wärmer vor. Auch wenn mir immer noch danach war, das wenige Essen, das ich heute zu mir genommen hatte, wieder loszuwerden, ebbte das Gefühl nach und nach ab. Wo zur Hölle waren wir, wenn wir schon übers sterben reden mussten? Dem Aber fügte er nichts mehr hinzu. Und je länger er mich so eingehend betrachtete, desto sicherer war ich mir zu wissen, was er mir damit sagen wollte. Meine Lunge füllte sich langsam mit Luft, während ich zurück schaute und mein Mundwinkel nach oben zuckte. „Ich hoffe, das war nicht der einzige Grund, der dich abgehalten hat.“ Ich hatte so leise gesprochen, dass mir die Stimme beinahe versagt hatte, und was einen aufbauenden Ton haben sollte, endete in einem kränklichen Krächzen. Jetzt stellte sich auch noch Heiserkeit ein. „Seh ich suizidgefährdet aus?“, fragte er ein wenig überrascht. „Willst du eine ehrliche Antwort?“ Ehe ich mich versah, hatte er sich zu mir über den Tisch gebeugt und unsere Köpfe prallten in einer eher unsanften Kopfnuss aufeinander. Ich meinte sogar ein flüchtiges Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen, als ich aufstöhnte und mich mir die Stirn reibend zurücklehnte. „Warum machst du sowas?“ „Weil ichs kann.“ Ich hasste seine Totschlag-Argumente. „Ich musste etwas machen, um nicht durchzudrehen“, fuhr er vollkommen unvermittelt fort. „Ich musste mich irgendwie... naja. Nützlich fühlen. Da kam mir Angelo genau richtig. Ich gebe zu, ich habe nicht wirklich über das nachgedacht, was ich gemacht habe. Ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt irgendwie gedacht habe. Aber ich fühle mich jetzt nicht, als hätte ich die schlimmste Entscheidung meines Lebens getroffen. Es ist... irgendwie schon gut so. Verstehst du, was ich meine?“ Natürlich verstand ich, was er meinte. Er hatte jetzt etwas zu tun, hatte vor lauter Arbeit kaum Zeit, sich lange mit dem Disbanding zu beschäftigen. Das war genau das, was er gewollt hatte. „Aber es ist trotzdem erschütternd.“ Sein Mund verzog sich und ich beobachtete, wie er mit einer ungeheuerlichen Konzentration seinen Zeigefinger immer wieder in den Tee tauchte und wieder hinauszog. „Ich fange von vorne an. Das ist ein bisschen... als müsste ich wieder laufen lernen. Und als wäre ich ein Adoptivkind.“ Adoptivkind. Das traf es irgendwie. In mir zog es sich für einen Augenblick zusammen, als ich an den Moment zurückdachte, in dem wir unsere Trennung beschlossen hatten. Als hätte ich meine Familie ins Grab getragen. Mir war aber genauso klar, dass es nicht so war. Für Tsukasa und mich wohl ohnehin nicht, da wir das Vergnügen hatten, weiterhin miteinander unter einer Decke zu stecken. Karyu schien auch zu wissen, dass das, was er da dachte, zum Teil für Außenstehende wie ein Weltuntergang klang. Aber so war das eben, wenn man sich von dem trennen musste, was man liebte. „Erst einmal“, setzte ich nach einer zähen Stille an, „der Tee hat auch Gefühle. Du musst ihn nicht nonstop aufspießen und zu Tode rühren.“ Karyu hielt in seiner Bewegung inne und schien erst jetzt zu realisieren, was er bis eben getan hatte. Er blinzelte und sah schließlich zu mir auf. „Und zweitens: Du musst gar nicht laufen lernen. Du sprintest so schnell, dass du schon wieder hinter den anderen raus kommst.“ Er glotzte mich an und ich winkte einmal ab. „Lass mich philosophisch reden! Ich glaube, das macht die Erkältung. Jedenfalls habe ich dir ja schon nicht selten vermittelt, dass du der Beste bist. Jetzt fang endlich damit an, es auch selbst zu glauben.“ Sein Mund öffnete und schloss sich wieder, der Finger steckte noch immer tief in seiner Tasse. Als ich ihn so ansah, entkam mir unwillkürlich ein schnaufendes Lachen. „Und ja, ich verstehe was du meinst“, fuhr ich dann wieder todernst fort. „Du darfst den Finger übrigens rausnehmen.“ Er zögerte einen Moment, tat dann wie ihm geheißen. Völlig unvermittelt schnipste er mir die Flüssigkeit ins Gesicht. „Warum-“ „Weil ichs-“ „Ich weiß.“ „Okay.“ Mit einer fahrigen Bewegung wischte ich mir über Augen und Wangen. „Glaubst du das wirklich?“, fragte er irgendwann. „Was?“ „Dass ich der Beste bin.“ „Yoshitaka, wie oft muss ich es noch sagen? Du warst schon der Beste, als wir uns das erste Mal gesehen haben, und du wirst es immer bleiben.“ Seine Augen weiteten sich einen Moment und sie flogen wild über mich hinweg. Je länger ich ihm dabei zusah, desto eigenartiger kam ich mir vor. Und dann brach er in Tränen aus. Ich starrte ihn stutzig an und wusste nicht, was ich tun sollte. Meine Hand zuckte kurz, als sie sich nach ihm ausstrecken wollte, doch ich war mit einem Mal wie festgefroren. Während ich ihm hilflos zusah, merkte ich, wie meine Augen ebenfalls feucht wurden. „Yoshitaka-... das-... also... muss das-...“ Ich brach ab und verbarg mein Gesicht in den Händen. Die nächsten Minuten zogen ins Land, und wir hockten erkältet vor einander und heulten uns die Seele aus dem Leib. Vielleicht waren aus den Minuten auch Stunden geworden. So im Nachhinein konnte ich das nicht ganz genau sagen. Was ich noch wusste war, dass wir uns irgendwann mit abgehackten Sätzen darauf geeinigt hatten ins Wohnzimmer umzuziehen. Auf Dauer wurde ein Küche für so etwas zu unwirtlich. Und jetzt saßen wir da, dicht aneinander gedrängt. Unsere Blicke lagen auf den Fenstern, hinter denen es bereits dunkel wurde. Es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht, dass so alles angefangen hatte. „Kommt mir bekannt vor“, sagte Karyu irgendwann und zog hoch. Ich warf ihm einen Blick von der Seite zu und fragte mich, ob meine Augen auch so gerötet waren. „Mhm.“ Es raschelte, als wir beinahe gleichzeitig unsere Beine aufs Sofa zogen. Ich merkte, dass wir beide flüchtig darüber schmunzelten. „Es geht weiter.“ Karyu wandte mir seinen Kopf zu, und nach einigem Zögern tat ich es ihm gleich. Er sah irgendwie ernüchtert aus, vielleicht sogar ein wenig resigniert. Aber nicht mehr so elend wie zuvor. „Kommen wir zurück? Wenn es irgendwann funktioniert?“ Ich öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder. Wer konnte schon sagen, wann das soweit war. „Yoshitaka ich- wir können nichts versprechen, oder? Das einzige was ich sicher sagen kann ist, dass ich jetzt wohl alles dafür stehen und liegen lassen würde. Aber wir beide wissen nicht, wie wir darüber in ein paar Jahren denken.“ Seine Augen wurden trüb, während er darüber nachdachte und sich wieder von mir abwandte. Mit einem flauen Gefühl legte ich ihm eine Hand auf den Arm. „Ich will nur nicht etwas versprechen, was ich vielleicht nicht-“ „Ich weiß schon“, unterbrach er mich. „Ich weiß.“ Zögernd zog ich meine Hand wieder zurück und es wurde still. Nach einer halben Ewigkeit seufzte er gedehnt. „Nehmen wir an, die Möglichkeit fällt jetzt einfach vom Himmel. Wärst du jetzt wirklich dabei?“ „Ja.“ „Ganz? Also, so voll und ganz?“ „Voll und ganz. So voll und ganz, dass ich dir sogar beim Schreiben helfen würde.“ „Gut.“ Er musterte mich wieder und sein ernstes Gesicht hellte sich ein wenig auf. „Das reicht mir für den Moment.“ Wir musterten uns, bis ich in stiller Übereinkunft näher an ihn heran rückte und er mir einen Arm um die Schultern legte. „Dafür haben wir uns“, sagte ich leise und mir wurde erst im Nachhinein klar, was ich da redete. Mein Blick hob sich zu seinem Gesicht, als er eine Weile nicht reagierte. Ein Knoten drohte sich wieder in mir zu bilden. „Ich meine... also... wir haben uns doch, oder?“ Er schwieg weiter und schaute gedankenverloren hinaus. Es war unvorstellbar was ich gegeben hätte, um ihm jetzt in den Kopf zu schauen. Irgendwann sah er zögernd zu mir hinab. „Ja“, sagte er dann. Ja „Wenn du wüsstest, wie viel Geschirr ich dafür ausgewichen bin.“ Meine Augen weiteten sich ungläubig. „Sie wollte sogar die Katze werfen, aber damit waren weder ich noch Ryuutarou einverstanden.“ „Die Katze- also...“ „Michiya, das war ein Scherz.“ „Ja... ja, ich weiß.“ Mit einem zweifelnden Blick lehnte er sich nach vorne um nach seinem inzwischen frische Tee zu greifen, doch er hielt inne. „Sie ist seit gestern bei ihrer Mutter. Über den ganzen offiziellen Kram will ich gar nicht nachdenken. Und... Michiya? Es tut mir leid.“ „Was tut dir leid?“, fragte ich verwirrt. „Alles.“ Er sah mich über die Schulter hinweg an, ließ sich schließlich tassenlos wieder zu mir sinken. Seine Augen schnellten von links nach rechts und zurück und schienen mich nur schwer erfassen zu können. Ich konnte in ihnen mein Spiegelbild sehen, so dunkel waren sie. Karyu hatte seine Stirn faltig gezogen, den Mund leicht geöffnet und schien nach Worten zu suchen. Ich hielt den Atem an. „Ich wollte dich nie verletzen.“ Seine Stimme hallte in mir nach und ich musterte ihn ruhig. Ich dachte zurück, ich dachte an all die Jahre die wir uns jetzt kannten. Daran, wie alles in Tokyo seinen Anfang genommen hatte. Daran, mit wie viel Herzblut wir uns um die Band gekümmert hatten, wie unser Traum in Erfüllung gegangen war. Und all die Tage und Wochen und Monate, in denen ich ihn still und heimlich vor mich hin geliebt hatte, waren diesen Moment hier wert gewesen. Es war im Grunde nie mehr als ein Warten auf das Richtige, und alle Wut und Trauer und was er mir sonst noch unbemerkt bereitet hatte, fielen von mir ab, als wären sie nie dagewesen. Ich verzieh ihm, dass er ein Idiot war. Ich verzieh ihm, dass er nie nachdachte. Ich verzieh ihm mit einem Mal alles. „Yoshitaka.“ Ich griff nach einer seiner Hände und umschloss sie mit den meinen. Seine Augen weiteten sich nervös, doch ich schaffte es das erste Mal seit Tagen aufrichtig zu lächeln. „Du kannst mich nicht verletzen.“ Es schien eine Weile zu dauern, bis das Maß dieser Aussage zu ihm durchgedrungen war. Seine Augen begannen zu funkeln und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, es hatte sich nie etwas zwischen uns verändert. Stillschweigend zog er mich in seine Arme und ich vergrub meine Hände in seinen Haaren. Es war ganz anders dabei nicht im arktisch kalten Meer zu stehen und sich später darüber bewusst zu werden, dass es irgendwie ein Fehler war. Aber das hier war kein Fehler. Wir hatten uns endlich wieder, auch wenn wir uns nie wirklich verloren hatten. Als wir uns voneinander lösten schwebten unsere Lippen so dicht voreinander, dass ich jeden noch so kleinen Luftzug spüren konnte, der aus ihnen austrat. Wie gebannt starrten wir uns an. „Musst du heute noch die Katze füttern?“, fragte ich. Etwas schelmisches trat in seinen Blick und sein Mund verzog sich. Er grinste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)