Deep Six von RIMFIRE ================================================================================ Kapitel 1: Hang-up ------------------ Byou war 23 Jahre alt. Gute fünf Jahre älter als er. Die Frage war, wie viel dieser Unterschied wirklich ausmachte. So wie es gerade doch sehr viel, da er sich ehrlich gesagt nicht wirklich traute auch nur ein Wort an den Älteren zu richten. Obwohl nein, das lag wohl eher nicht an diesen fünf Jahren. Oder zumindest nicht nur. Ein dafür eher bedeutender Punkt war sicherlich auch das optische Erscheinungsbild. Der Ältere war blond. Aber so richtig blond. Wobei er sich zugegebenermaßen eigentlich gar nicht auskannte bei diesen vielen Tönen, die es angeblich gab. Von Strohblond über Weißblond bis Goldblond. Einen wirklichen Unterschied sah er da nicht wirklich. Wie sollte er diese Farbe einfach beschreiben? Byou war einfach nur verdammt blond. Die hellen Haare waren auch das erste, was einem ins Auge stach, zusammen mit dem leichten Gelbstich. Wortwörtlich ins Auge stechen. Schlimm wurde es sicherlich dann, wenn Licht darauf fiel. Spätestens dann würden sie noch mehr blenden, als sowieso schon. Das Haar allein war jedoch nicht das einzige, was den Älteren irgendwie kühl wirken ließ. Verstärkt wurde diese Ausstrahlung von den hellen Kontaktlinsen. Er war nicht sonderlich gut mit Farben. Dafür schien ihm einfach die Liebe zu fehlen, weshalb es ihm auch schwer fiel, hier wieder etwas einzuordnen. Irgendwie gräulich Blau. Oder bläulich Grau. Da lag doch genauso wenig Differenz wie zwischen Blond und Blond. Vielleicht war er auch einfach zu realistisch, um sich diesen ganzen Träumereien hinzugeben. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass er zu phantasielos wäre. Aber irgendwie klang das alles zusammen nicht besonders schmeichelhaft. Aber wann war die Wahrheit schon schön? Er konnte auch gar nicht wirklich sagen, was er sich vorgestellt hatte, als er das erste Mal von seiner Starthilfe gehört hatte. Wohl aber etwas anderes, als das, was er hier serviert bekam. Und das noch auf dem Silbertablett mit Fingernägeln, die aussahen, als hätte er diese nur schnell und notdürftig mit Nagellackentferner bearbeitet. Und so jemand sollte neben seinen Job als Starthilfe, Sohn eines Politikers sein. Eines Politikers, der mit seinem Vater befreundet, sogar gut befreundet war. Und dennoch traute er sich tatsächlich so auf die Straße zu gehen? Byou war, um es in einem so schmeichelhaften Wort, wie es ihm möglich war, auszudrücken, komisch. Wobei er gar nicht behaupten wollte, dass er seltsam war. Auch wenn diese beiden Ausdrücke irgendwie zuzutreffen schienen, erschien es ihm unhöflich auch nur in die Richtung zu denken. Schließlich war es der Blonde, der inmitten des Chaos saß und sein Bett zusammenschraubte, während er ihm nur stets die Schrauben reichte, die der Ältere gerade brauchte. Das hieß, sie versuchen vielmehr den Kampf gegen das widerspenstige Möbelstück zu gewinnen. Auch wenn Manabu seiner sogenannten Starthilfe versichert hatte, dass es ihm nichts ausmachte auch eine Nacht mit der Matratze auf dem Boden zu schlafen. Es entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, erschien ihm aber irgendwie trotzdem die bessere Lösung. Aber wahrscheinlich würde er so oder so nicht, um das Fluchen des Blonden herumkommen. Das war so eine Sache, in die der Ältere wirklich gut war. Angefangen hatte es schon, als sie gemeinsam seine sieben Luftverpackungen vom Gang kurzerhand in die kleine Küche, oder vielmehr eine Kochhöhle, geschafft hatten, wo sie noch immer standen. Der Auslöser dürfte einer der fünf Kartons, ein Teil seines Lebens, gewesen sein, auf dem groß mit schwarzen Edding „BÜCHER“ geschrieben stand, der ihm, nachdem er sich geweigert hatte, sich von Manabu dabei helfen zu lassen, auf den Fuß gefallen war. Doch was sollte man machen? Wer nicht hören wollte, musste schließlich fühlen. Die Folge war nur, dass der Ältere nun mehr oder weniger und sowieso nur irgendwie schmollend auf dem Boden hin und her rutschte und nur noch lauter vor sich hin grummelte, wenn er dann aufstehen musste, um irgendein Teil 35A mit einem Teil 22D zu verschrauben. Und sein Pech war, dass er keine Hilfe zu sein schien. Vielmehr fühlte er sich im Weg. Das war er wahrscheinlich auch. Es war nun mal auch so, dass er nicht in der Lage war einen Plan zu lesen. Nur fliehen konnte er von diesen Geschehen auch nicht, Eigentlich wäre es ja doch seine Aufgabe gewesen, seine eigenen Möbel zusammenzubauen. Doch seine schon erwähnte Unfähigkeit im Lesen von Plänen hinderte ihn dabei recht deutlich. Byou schien damit keine Probleme zu haben. Ehrlich gesagt, sah es bei ihm fast wie Routine aus. Vom den gehäuften Kraftausdrücken mal abgesehen. Wobei die sicherlich zu seiner Routine gehörten, auch wenn das wirklich nicht zu empfehlen war. Zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Oder vielmehr: Ganz besonders nicht da. Außer man wollte schief von der Seite angesehen werden. Aber das wurde der Ältere sicherlich auch so schon. Natürlich hatte er Zuhause auch genug Frauen gesehen, die mit aufgehellten Haarprachten herumgelaufen waren. Jedoch niemals so hell. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass die wenigen weiblichen Geschöpfe mit denen er zu tun hatte einfache Schulmädchen gewesen waren. Und Haarefärben war in den meisten Schulen wirklich nicht erwünscht, weshalb man auch immer sehr genau hinsehen musste. Blind, wie er aber war, war das leichter gesagt als getan. „Hey, Kleiner.“ Man wollte gar nicht erst glauben, wie unglaublich lange es doch dauerte, bis Manabu sich rührte. Bis er kapierte, dass er angesprochen wurde. Wenn man berücksichtigte, dass nur sie beide in der kleinen Wohnung standen, waren diese exakt zehn Sekunden, in denen er den Älteren nur ansah, wirklich übertrieben lang. So oder so, waren sie überflüssig, wobei er sie trotzdem nutzen musste, um eine Erwiderung zu suchen. Jedoch war diese Suche nicht vom Erfolg gekrönt. Das schien Byou auch gar nicht zu stören. „Am Ende der Straße ist ein Konbini.“ Schon dieser Satz reichte vollkommen aus, um ihn verstehen zu lassen, was der Ältere wollte. Ihn loswerden, oder so ähnlich. Nur etwas schöner ausgedrückt. „Hol mir doch ein Bier.“, bat der Blonde mit einem schiefen Grinsen. Man sollte meinen, das wäre alles überhaupt kein Problem. Eigentlich war es für Manabu auch überhaupt kein Problem. Lieber spielte er Laufbursche, als sich hier Schimpfwörter anzuhören, bis ihm die Ohren schlackerten. Zudem war es vielleicht sogar besser, wenn Byou sein gewünschtes Bier bekam. Vielleicht wurde er dann etwas ruhiger und gnädiger im Umgang mit seinem neuen Bett, dessen Gestalt ganz allein vom dem Blonden abhing. Ja, wo war also das Problem? Ganz einfach. „Aber ich bin erst 18.“, nuschelte er beinahe unverständlich in seinen nicht vorhandenen Bart. Doch auch das schien Byou herzlich wenig zu begeistern. „Sag einfach, dass es für mich ist, dann lassen die das schon durchgehen.“ Gut. Das war nicht sonderlich überzeugend. Eigentlich gar nicht. Wieso auch sollten die Angestellten einem Minderjährigen irgendeine Form von Alkohol verkaufen, nur weil er sagte, dass er geschickt worden war. Aber das käme dann wohl wirklich auf einem Versuch. Dabei gehörte er doch gar nicht zu den experimentierfreudigen. Was jedoch sollte ihm auch anderes übrigbleiben, als sich mit einem leisen „Okay…“ Geld in die Hand drücken zu lassen, und sich sofort zu verabschieden und beinahe schon fluchtartig die Wohnung zu verlassen. So wirklich gewohnt war er es nicht so viel Unterhaltung zu führen. Viel war schon ein sehr relatives Wort, wenn man seine drei Sätze bedacht, die er während seiner Anwesenheit gesprochen hatte. Lieber stand er still daneben und hörte zu. Nur ging das schlecht, wenn man nur zu zweit war. Und einfach ignorieren konnte er es auch nicht. Dazu war er dann doch viel zu gut erzogen. Vielleicht hätte ihm das aber auch von Zeit zu Zeit einigen Ärger erspart. Und während er so darüber nachdachte, was er in den letzten 18 Jahren vielleicht hätte besser machen können, lief er die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Dem Aufzug traute er ehrlich gesagt nicht. Das lag nicht daran, dass er nicht stabil genug aussah. Mehr daran, dass er solche engen Orte wirklich nicht mochte. Da wurde er stets sehr angespannt. Konnte natürlich auch sein, dass er sich das nur einbildete. Dennoch spürte er schon eine gewisse Erleichterung als er aus dem Eingang hinaus in den riesigen Ameisenhaufen namens Tokyo trat. Die Stadt in der er sich wohl seinen Lebtag nicht auskennen würde. Wie gut, dass es Ende der Straße geheißen hatte. Wie dumm jedoch, dass eine solche zwei Enden hatte, mit noch mehr Menschen, die hier liefen, jeder mit seinen ganz eigenen Ziel. Sollte er es als sein Glück ansehen, dass ihm das große 7-Eleven sofort ins Auge sprang. Nein, er hatte nie sonderliches Glück gehabt in seinem Leben. Zwar auch kein sonderliches Pech, aber definitiv kein Glück. Das mit dem Pech jedoch überlegte er sich lieber nochmal, nachdem er sofort mit dem nächstbesten der vielen Körper, sie hier unterwegs waren, zusammenstieß. Nein, er war nie ein Kind des Glücks gewesen. Jedoch hatte er auch nie gedacht, dass es ihn so schnell verlassen würde, passte er einmal nicht auf. Selbst fiel er beinahe nach hinten, konnte aber gerade noch so das Gleichgewicht halten. Auch sein Hindernis wankte kurz, blieb aber standhaft. Nur der Kaffeebecher fiel auf dem Boden und beinahe schon geschockt sah er ihm hinterher, wie dieser in Richtung der Straße rollte, ehe er von einem der vielen Füße der Passanten, die sich um sie spalteten und ihnen kurze Blicke zuwarfen, bevor sie sich dem Strom wieder anschlossen, weitergetragen wurde, bis er schließlich aus seinem Sichtfeld verschwand. „Na, toll, das war das einzige saubere Hemd, das ich noch hatte.“ Aus der Starre befreit schnellte sein Blick von dem Boden nach oben zu seinem Opfer, das sein ehemals weißes Hemd von oben herab betrachtete, die Hände halb erhoben. Beinahe sofort kniete Manabu fast schon vor diesen Fremden und entschuldigte sich gefühlte tausende Male für seine Unachtsamkeit. Er bot sogar an es zu waschen, was eine ziemlich dumme Idee war, da er weder eine Waschmaschine besaß, noch dass es wahrscheinlich wäre, würde er diesen Kerl jemals wieder sehen. Zumindest die Kosten konnte man doch übernehmen. Nicht dass es wirklich am Geld scheitern würde. Davon bekam er doch genug. Und während seine Nase so wirklich fast den Boden berührte und er neben den vielen Seitenblicken noch einen mehr als verdutzten auf dich spüren konnte, wurde ihm diese ganze Sache immer peinlicher. Sollte er das als schlechtes Omen auffassen. Konnte doch nicht sein, dass seine ersten Schritte, die er in dieser Stadt alleine machte, gleich in die Hose gingen. Oder als Kaffee auf das eigentlich schneeweiße Hemd irgendeines Wildfremden. Ganz wie man es nahm. „Sch…schon gut.“, waren dann schlussendlich die verdatterten Worte, die ihm einen kleinen Stern vom Herzen fallen ließen. Aber wirklich nur einen sehr kleinen. Auch hielt es ihn nicht davon ab sich munter weiter zu entschuldigen und weiterhin immer wieder tief zu verbeugen, während er sich wie vorhin schon fast fluchtartig weiterbewegte. Erst als ihn der Menschenstrom wieder verschluckte, richtete er sich wieder zu seiner vollen, mageren Größe auf, um schnell vom Ort des Geschehens zu verschwinden. Sein Ziel war nicht der 7-Eleven auf der anderen Straßenseite. Nicht mehr zumindest. Viel lieber verzog er sich in die leere Seitengasse, die sich plötzlich neben ihm auftat. Der Menge entkommen lehnte er sich mit einem Seufzen gegen die raue Häuserwand. „Wieso war mir das so klar?“, fragte er sich leise über den Lärm von draußen hinweg. Wieso war es ihm so klar, dass gleich am ersten Tag irgendetwas schief gehen würde. Und sein es nur ein absolut ungewollter Fehltritt, ein völlig unbedeutender Zwischenfall, gegen irgendeinen Fremden. Das hieß doch nicht, dass es so bleiben würde. Kannte er doch schon. Hatte er auch schon alles hinter sich. Man sollte ja meinen, dass man sich in einer neuen Stadt besser einfinden konnte, wenn man von vorne anfangen durfte. Denkste. Sein nicht vorhandenes Glück holte ihn sogar hier noch ein. Vielleicht war er auch einfach ein Schwarzseher. Jedoch ein Schwarzseher, der schon jetzt eine kurze Verschnaufpause brauchte. Und das am ersten Tag. Am ersten halben Tag. So lange war er schließlich noch gar nicht hier. Das einzig Gute war, dass ihn niemand vermissen würde, wenn er mal eben etwas länger weg war. Auch wenn das sehr einsam klang. Und irgendwie alles andere als gut. Wie lange er dann schlussendlich hier einfach nur gestanden und Löcher in den Boden gestarrt hatte, konnte er gar nicht sagen. Es war kaum merklich etwas dunkler geworden und auch die Menschen hatten sich etwas verteilt, wie ihm ein Blick zur Seite offenbarte. Doch dieser kurze Blick zeigte ihm gleich noch mehr. Allen voran ein blonder Haarschopf, der sich von der anderen Straßenseite aus auf ihn zubewegte, eine Dose, vermutlich Bier, in der Hand. Gerade dieses Bild ließ ihn sich daran erinnern, was er genau nochmal hätte wollen sollen. Und was er nicht gemacht hatte. Der erwartete Ärger jedoch blieb aus. Der Ältere war ja auch nicht sein Vater. „Hab schon gedacht, du hast dich verlaufen.“, hörte er Byou schon von Weiten. Aber darauf regierte er erst gar nicht. „Warst ziemlich lange weg. So lange, dass das Bett schon steht. Hab mir schon fast Sorgen gemacht. Wasn los?“, fragte der Blonde und als Manabu ihm in die Augen sah, bemerkte er, dass sich diese kalten Farben mittlerweile aus ihnen verabschiedet hatten. Und irgendwie erleichterte ihn auch das. Ließ den Älteren menschlicher wirken. Und trotzdem zuckte Manabu nur höchst hilflos mit den Schultern. Was sollte denn schon los sein, wenn er mutterseelenallein in irgendeiner dunklen Seitengasse an der Wand lehnte, statt eine Erfrischung für den Erbauer seines Bettes zu besorgen. Eines Bett, das aufgebaut worden war, in der langen Zeit in der er einfach nur hier gestanden und Löcher in die Luft gestarrt hatte. Nur, dass das Byou nicht wirklich zu beeindrucken schien. „Dann eben nicht.“, brummte der Ältere mit einem Kopfschütteln. Als würde er sich fragen worauf er sich da überhaupt eingelassen hatte. „Alles, was ich mache, ist falsch.“, platze es dann doch aus ihm heraus. Und der Blonde sah ihn einfach nur eine Weile an, ehe er hörbar genervt seufzte und sich mit einer fließenden Bewegung die Haare aus dem Gesicht strich, die ihm bei der vorangegangenen Bewegung ins Gesicht gefallen waren.. „Ich weiß ja nicht, was du bis jetzt großartig gemacht hast, damit du das sagen kannst.“ Wenn er damit sagen sollte, wie ach, nutzlos er doch war, dann dankte er vielmals. Aber das war ihm doch sowieso klar, die extra Betonung hätte es also wirklich nicht gebraucht. Sein Blick schien auch genau das auszusagen, dem Blick, dem Byou ihn zuwarf nach zu urteilen. Ohne die Kontaktlinsen wirkte es gleich viel wärmer. „Besonders viel Selbstvertrauen scheinst du ja nicht zu haben. Aber egal, das prügeln wir dir schon ein, wirst sehen. Jetzt komm erstmal wieder mit.“, grinste der Ältere schließlich mit einem fast unheilvollen Grinsen, legte einen Arm um seine Schulter und führte ihn dann langsam wieder zurück zu dem Eingang des Treppenhauses. Unterwegs musste Manabu sich allerdings fragen, ob das denn wirklich so eine gute Idee war. Und noch mehr, was er von diesen ominösen „wir“ bloß halten sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)