Requiem von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Flügellahm. ---------------------- Mit schnellen Schritten durchmaß Raphael die sonnendurchflutete Eingangshalle der Zuflucht. Vor wenigen Stunden hatte ihn die Nachricht von Aodhans Rückkehr erreicht und der Erzengel von New York war unverzüglich aufgebrochen. Keir, der Mediziner der Engel, erwartete ihn bereits am Zugang zu den Krankenlagern. Unter seinen erstaunlichen Augen lag ein leichter Schatten und die haselnussbraunen Haare lagen ungeordnet um das scheinbar zeitlos schöne Gesicht. „Wie geht es ihm?“, fragte Raphael unverzüglich und neigte zur Begrüßung sein rabenschwarzes Haupt. „Den Umständen entsprechend. Sein linker Arm ist nahezu bewegungsunfähig und die vielen oberflächlichen Verletzungen werden den Heilungsprozess deutlich verlangsamen.“ „Seine Flügel?“, fragte Der Erzengel voll böser Vorahnung. „Sieh selbst.“, antwortete Keir ernst und trat als Erster durch die hohe Tür zum Krankenzimmer. Nassir und Aodhan hatten, in Raphaels Auftrag, die Feierlichkeiten eines weiblichen Erzengels im Uralgebirge besucht und einige Nachforschungen bezüglich in New York stattgefundener Attentate auf slawische Vampire und Engel angestellt. Die junge Valeria galt als äußerst rachsüchtig und nachtragend und Aodhan hatte sich angeboten, den seltsamen Vorgängen innerhalb ihrer Grenzen nachzugehen. Scharf sog Raphael die Luft ein als er Aodhan in den weißen Kissen erblickte. Die Haut, sonst weiß und rein wie frisch gefallener Schnee, war mit unzähligen Kratzern und Blutergüssen übersät. Die langen, nahezu durchsichtigen Haare waren verfilzt und unter den dunklen Lidern bewegten sich die Augen des Engels unruhig hin und her. „Verdammt.“, fluchte Raphael leise als er sich die Flügel seines Untergebenen anschaute. Die großen, blendendweißen Schwingen waren an vielen Stellen gebrochen und wirkten unnatürlich verrenkt und bizarr. Die feinen, weichen Federn schienen unter der Wucht des Angriffs abgeknickt und ließen den Engel heruntergekommen und zerlumpt wirken. „Wie lange?“, fragte der Erzengel knapp und riss seinen Blick mit großer Mühe von dem verletzten Mitglied seiner Sieben ab. „Fünf bis sechs Monate mindestens.“, antwortete Keir und prüfte einige Werte des schlafenden Engels. Mitleid lag in seinem Blick und er wirkte angespannt. „Er wird alle Zeit bekommen, die er braucht sich wieder zu erholen.“ Raphaels Ton war streng und duldete keinerlei Widerspruch. „Wenn es nötig ist, lass ihn in dein Refugium transportieren, andernfalls wünsche ich, dass du Aodhan bis auf Weiteres täglich besuchst.“ Raphaels Lippen waren zu einem schmalen Strich geworden und er schien ernsthaft um den schweigsamen, scheuen Aodhan besorgt. Ein begütigendes Lächeln trat auf Keirs Gesicht und er überging den herrischen Tonfall des Erzengels. „Er wird die beste Behandlung bekommen Raphael.“, antwortete er und legte seinem Freund die Hand auf die breite Schulter. „Ruhe und Zeit, das ist es was Aodhan jetzt braucht, alles andere kommt von ganz allein. Er kann hier in der Zuflucht bleiben und ich rechne spätestens in einer Woche mit seinem Erwachen.“ Mit einem Stirnrunzeln nickte der Erzengel und seufzte auf. Er wusste, dass Keir alles für die Genesung seiner Patienten tat und er selbst hatte mit Aodhans Ausfall alle Hände voll zu tun. „Ist Nassir schon hier?“, fragte Raphael und schaute prüfend in das gleißende Sonnenlicht vor dem Fenster. „Er erwartet dich im Salon.“, nickte Keir und überprüfte routiniert den Puls des Schlafenden. Er legte dafür die Hand an die Schläfenader des Engels und lauschte in dessen ruhenden Körper hinein. Fasziniert betrachtete Raphael den Vorgang, dann wandte er sich mit einer angedeuteten Verbeugung ab. „Bitte informiere mich sofort, sollte sich an Aodhans Zustand etwas verändern Keir.“ Der Heiler lächelte. „Ich werde es nicht vergessen.“ Rapahel durchquerte den langen Flur zum Salon mit ausgreifenden Schritten. Nassir, ein weiteres Mitglied seiner Sieben und Aodhans Begleiter in der zurückliegenden Mission, wurde bei dem offenbar stattgefundenen Kampf nicht annähernd so schwer verletzt wie der Engel und würde sicherlich ein wenig Klarheit bezüglich der Ereignisse schaffen können. Der Erzengel war eben an der reichverzierten Salontür angelangt, als er eine wohlvertraute Stimme aus den Gärten heraufwehen hörte. Neugierig beugte sich Raphael über die Brüstung, stützte sich tief über den sonnenwarmen Stein und entdeckte Illium, von lärmenden Engelskindern umgeben, auf einem der vielen Springbrunnen thronend. Seine Flügel, noch vor wenigen Monaten blutend und ihrer Federn beraubt, schimmerten nun blau und geheimnisvoll im in der strahlenden Sonne. Indigo, aquamarin und mitternachtsblau wechselten sich in fließender Schönheit ab und jede Feder war ein kleines Kunstwerk, von silbernen Spitzen gekrönt. Der um so vieles jüngere Engel spielte lachend mit einem kleinen Mädchen, ließ sie auf seinem Rücken reiten und warf sie so hoch, dass sie den Wind unter ihren kleinen Schwingen spüren konnte. Ein paar undeutlich Gedichtverse drangen an Raphaels Ohr und mit einer geschmeidigen Bewegung öffnete Illium seine erstaunlichen Flügel zu voller Größe. „Nicht schlecht.“, murmelte der Erzengel anerkennend, als er feststellen musste, dass nur noch vereinzelte Stellen kahl und ohne den schützenden Flaum der schillernden Federn waren. Schon in ein, zwei Wochen würde der junge Engel erste Flugversuche wagen und wieder in die Dienste seines Herren zurückkehren können. Mit leisem Bedauern wandte sich Raphael ab und folgte dem Weg in den schlichten Salon. Nassir stand mit einer geschmeidige Bewegung auf und empfing seinen Herren mit einer angemessenen Verbeugung. „Wie geht es dir?“, fragte der Erzengel ohne auf Formalitäten zu achten und maß sein Gegenüber mit einem prüfenden Blick. „Gut.“ Nassir nickte und setzte sich ohne Anzeichen von Schmerz oder Verletzung auf einen der weichen Stühle. „Aodhan hat fast alles abgefangen, er hat mir gar keine Chance gelassen, mich zu verteidigen.“ Raphael runzelte die Stirn und bedeutete seinem Untergebenen fortzufahren. „Wir waren schon wieder auf dem Rückweg, als uns eine dieser grobschlächtigen Wachen aufgehalten hat. Dieser Nichtsnutz meinte, wir sollen warten, es wären wohl Dinge im Schloss verschwunden und ehe der Diebstahl geklärt sei könne niemand die Räumlichkeiten verlassen.“ Nassir schnaubte unwillig und seine hellen Augen sprühten vor Zorn. „Trotz der offensichtlichen Falle und der unverschämten Demütigung, die davon ausging, leisteten Aodhan und ich der Aufforderung Folge und mischten uns wieder unter die restlichen Gäste.“ „War irgendjemand dabei, den du kanntest?“, warf Raphael ein und lief unruhig auf und ab. „Nein, niemand. Aodhan kannte wohl einen der jüngeren Engel, dessen Name war ihm allerdings entfallen.“ Nassir zuckte die Schultern. „Nachdem wir ein gute Stunde gewartet hatten ließ sich Valeria endlich wieder blicken, einen toten Vampir hinter sich herziehend. Sie meinte, sie hätte den Dieb gefunden und nun müsse sie nur noch herausfinden, wer mit ihm unter einer Decke stecke.“ „Und daraufhin gab es Unruhen.“, stellte Rapahel fest. „Richtig. Wir beschlossen im Gedränge unterzutauchen, unsere Mission war erfolgreich zu Ende gebracht und wir wollten noch in dieser Nacht nach Europa zurückkehren. Im Hof allerdings, erwarteten uns Scharen von Engeln und Vampiren. Die meisten von ihnen trugen Waffen und Fackeln und sie griffen unverzüglich an.“ Nassir sank ein Stück in sich zusammen ehe er weitererzählte und seine Stimme wurde dunkel vor Zorn und Bitterkeit. „Aodhan schaffte es nicht in die Luft, von wo aus er alle Chancen gehabt hätte. Sie zerrten ihn mit Netzen zu Boden und zwei der Vampire stürzten sich auf ihn. Hinter uns drängten nun auch die anderen Gäste aus dem Portal und im Nu war die Luft von Schreien und Kampfgebrüll erfüllt.“ „Wie viele fielen?“, durchschnitt Rapahels Stimme messerscharf die Erzählung und in seinen Augen loderte blanke Wut. „Etwa zehn Engel und unzählige Vampire.“, antwortete Nassir wahrheitsgemäß und schauderte. „Valerias Truppen fielen wie Tiere über uns her und nur durch ihre mangelnde Disziplin und Koordination konnten wir fliehen.“ Raphael nickte und er schien einen Moment zu überlegen. Dann wandte er sich wieder an seinen Untergebenen. „Das reicht für's Erste. Ich muss noch heute nach New York zurückkehren, bist du reisetüchtig?“ Der Engel nickte und stand wie zur Bekräftigung schwungvoll auf. „Meine wenigen Verletzungen hat Keir bereits versorgt.“ „Dann bitte ich dich mich spätestens morgen im Turm aufzusuchen, ich habe dann sicherlich noch einige Fragen an dich.“, antwortete Raphael in geschäftsmäßigem Ton und er legte dem Mitglied seiner Sieben die Hand auf die Schulter. „Ich werde da sein.“, antwortete Nassir entschlossen und ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließen die beiden Verbündeten den Salon. Bereits vier Tage später schlug Aodhan die Augen auf. Mit einem leisen Stöhnen erwachte er, prüfte die Umgebung und lauschte tief in seinen schmerzenden Körper hinein. Die Erinnerungen an den Hinterhalt und den Kampf waren noch immer lebendig, hatte ihn im Traum verfolgt und fast in den Wahnsinn getrieben. Gefesselt an den Boden, die Flügel von so vielen schmutzigen Fingern in den Dreck gedrückt, hatte er sich fast übergeben müssen. Unzählige Füße und Hände hatten auf ihn eingetreten, eingeprügelt und es hatte nicht lange gedauert, ehe er den rechten seiner Flügel hatte brechen hören. Erst mit Nassirs Hilfe hatte er sich aufrappeln und fliehen können, war seinem Gefährten stolpernd und stöhnend gefolgt und schließlich in das tiefe, schwarze Reich der Bewusstlosigkeit gesunken. „Willkommen zurück.“, begrüßte ihn Keir leise und trat durch die hohe Tür in das dämmrige Krankenzimmer. Die Sonne verschwand eben hinter den gezackten Felsklüften des Gebirges und lange Schatten zuckten unruhig über die weißgetünchten Wände. Aodhan nickte dem Heiler schweigend zu und beobachtete, wie sich Keir mit flinken Fingern an seinen Verbänden zu schaffen machte. Übelkeit, zäh und lähmend, überkam den weißen Engel, als er die Hände des Heilers auf seiner bloßen Haut spürte und er musste sich zwingen, nicht aufzuspringen. Nähe und Berührungen, niemals würde er sich an diese überflüssigen, menschlichen Dinge gewöhnen können. „Deine Werte sind soweit stabil, die Wunden sehen gut aus.“, sagte Keir in ruhigem Ton und trat nach der kurzen Untersuchung einen Schritt zurück. Verständnis und Wissen lagen in seinem Blick und er lächelte kurz. „Du bist zäh, Aodhan.“ Angesprochener nickte und betrachtete seine bandagierten Finger und Arme, die mit Mull umwickelte Brust und die unzähligen Kratzer auf der darunterliegenden Haut. Dicke Schichten von hellgrauen Bandagen stützten seine ramponierten Flügel und bei dem Gedanken, dass er dort angefasst worden war, drehte sich Aodhan erneut der Magen um. „Wie geht es Nassir?“, fragte er, wohl eher um sich selbst abzulenken als aus Sorge um seinen Partner. Er wusste, dass der dunkelhäutige Mann weitestgehend unverletzt geblieben war. „Er ist bereits wieder in New York und arbeitet für Raphael.“, antwortete Keir und trug die Ergebnisse seiner Untersuchung in Aodhans Akte ein. „Wie lange muss ich noch hier bleiben?“, fragte der weiße Engel nach einem Moment der Stille und für einen winzigen Augenblick wirkte er gerade zu trotzig. „Vier bis fünf Wochen mindestens noch.“, antwortete Keir verblüfft und hätte schwören können Ärger in Aodhans feinem Gesicht zu lesen. Doch der erwartete Protest blieb aus und der verletzte Mann fügte sich klaglos seinem auferlegten Schicksal. „Darf ich in meine Gemächer?“, begehrte er lediglich auf und seine Stimme klang leidenschaftslos. „Bleib bitte noch bis morgen früh, damit ich die Werte dann noch einmal überprüfen kann.“, sagte Keir und die Art wie er es sagte, machte deutlich, dass es keine Bitte war. Der Heiler war ein sanfter, aber strenger Erzengel, der eifrig über jene wachte, die ihm anvertraut waren. Nie und nimmer würde er das Leben eines seiner Patienten riskieren und die Angewohnheit, immer wieder auf Nummer sicher zu gehen, hatte ihn zum besten Arzt unter den Engeln und Erzengeln werden lassen. „Calinca kommt in einer halben Stunde und bringt dir etwas zu Essen, wir sehen uns dann morgen wieder.“, verabschiedete sich Keir lächelnd und dann war Aodhan wieder allein. Einen Moment noch blieb er regungslos in dem weichen Bett liegen, dann schlug er die Decke zurück und betrachtete seinen zerschlagenen Körper einen Moment. Kratzer, Schnitte und Blessuren zeugten von Berührungen, die er nicht gewollt, nicht zugelassen hatte und für einen Moment loderte weißglühender Hass in ihm hoch. Dann atmete der weiße Engel tief ein, schloss seine Augen einen Moment und beruhigte die tobende Wut in sich. Schwungvoll richtete er sich auf und berührte mit den nackten Füßen den kalten Marmorboden. Ein Schauder fuhr ihm über den Rücken als er an das ausladende Fenster trat und sein Blick über die mittlerweile nahezu pechschwarzen Felsabhänge gleiten ließ. Dies hier war sein Zuhause, die Zuflucht, der Rückzugsort aller Engel – und doch fühlte er sich seit Wochen nicht mehr wohl. Das Gefühl, fortzustreben, Neues zu sehen und zu suchen, was das leere Gefühl in seiner Brust besänftigen könnte, war so übermächtig, dass es ihn fast überwältigte. In den letzten Monaten war er immer wieder nachts erwacht, ruhelos in seinem Zimmer auf und abgegangen und hatte versucht die schweren Gedanken, die ihn so rastlos machten, zu vertreiben. Selbst im tiefen Schlaf der Genesung, ja selbst in der Ohnmacht, war er unruhig und voller Zweifel gewesen. Ein leises Geräusch ließ Aodhan auffahren und er wandte sich um. „Euer Essen.“, flüsterte die junge Frau heiser und stolperte fast auf dem Weg zum Nachttisch. Der Blick ihrer silbernen Augen hing ununterbrochen an Aodhans muskulöser Brust, ihre Unterlippe zitterte vor Aufregung. „Danke Calinca.“, antwortete der weiße Engel höflich und versuchte, nicht allzu desinteressiert zu klingen. Er hatte nie verstanden, wieso das Zusammensein mit anderen Engeln, Menschen oder Vampiren erstrebenswert sein sollte, wo doch alle Antworten auch in der Stille der Einsamkeit zu finden gewesen waren. Oder? „Keine Ursache.“, hauchte die junge Frau, die unter der Nennung ihres Namens erschauderte. Ihre Augen schwammen vor Ehrfurcht und sie wartete einen Moment auf eine erneute Erwiderung des Verletzten. Peinliches Schweigen entstand, erinnerte Aodhan daran, warum er es so schätzte allein zu sein, ehe sich die junge Frau mit einem Kopfnicken verabschiedete. Das Essen war lecker und reichlich und während der große Engel den ersten Bissen schluckte wurde ihm bewusst, wie hungrig er war. Genüsslich griff er zu, biss herzhaft in Brot und Obst, aß Gemüse und gönnte sich zum Abschluss einen Schluck Rosenwein. Doch kaum war die Beschäftigung vorüber, stellte sich die Unruhe wieder ein. Rastlosigkeit kehrte in Aodhans nunmehr schmerzenden Körper zurück und er fluchte leise. Wieder trat er an das Fenster, betrachtete die kalte, glänzende Mondoberfläche und versuchte seine trudelnden Gedanken in den Griff zu bekommen. Seit er für Raphael arbeitete und Teil seiner Sieben geworden war, hatte sich die Unruhe in ihm stets gesteigert. Ungezähmt und voll wilder Macht war sie manche Nacht durch Aodhans sonst so gefühllosen Körper gerast und hatte ihn um Schlaf und Verstand gebracht. Jedes Zusammentreffen mit anderen Engeln oder Vampiren hatte stets dasselbe Ergebnis gebracht: Seine sonst sorgsam unter Eis versteckten Gefühlen waren hervorgebrochen und hatten ihr Recht auf Existenz und Anerkennung eingefordert. Die darauffolgenden Nächte und Wochen in der Zuflucht hatte Aodhan gebraucht um seine sorgsam gepflegte Fassade aufrecht zu erhalten. Lautlos öffnete der große Engel einen der Fensterflügel und ließ einen Stoß der kalten Nachtluft in das kleine Krankenzimmer fließen. Mit einem tiefen Seufzer sog er den klaren Wind in seine Lungen und genoss die Gänsehaut, die ihm über den Körper lief. Leise flüsternd bewegte sich Aodhans langes Haar und kitzelte auf dessen nackten Schultern. „Schöner Vollmond, nicht wahr?“ Der weiße Engel zuckte zusammen. Niemals. Unmöglich. Niemand konnte sich an ihn heranschleichen. Mit einer herrischen Bewegung drehte er sich um und ging instinktiv in Kampfhaltung. Seine Muskeln protestierten schmerzhaft gegen die plötzliche Anspannung, aber Aodhan wich keinen Millimeter zurück. Einen Moment war er wie erstarrt, dann erkannte er den später Besucher und er zog eine Augenbraue nach oben: „Illium?“, fragte er ungläubig und ein weiterer Schauer jagte über seinen Körper. „Ich dachte ich komme dich mal besuchen und frage wie du dich fühlst. Keir hat mit erzählt, dass du endlich wach bist.“, sagte Illium lächelnd und lehnte sich betont lässig gegen Türrahmen. Mit einem tiefen Seufzer zwang sich Aodhan, seine Muskeln wieder zu entkrampfen und er richtete sich wieder auf. „Es geht mir gut, danke.“, erwiderte der weiße Engel höflich und fühlte sich plötzlich seltsam entblößt und unwohl in seiner Haut. Seine nackte Brust, nur notdürftig von Bandagen verdeckt, hob und senkte sich regelmäßig und es kam ihm seltsam falsch vor, sie derartig zur Schau zu stellen. Nicht so Illium. Wann immer der Blaugeflügelte die Möglichkeit hatte, ging er ohne Oberteil und stellte seine beeindruckend breite Brust zur Schau. Aodhan hatte schon mehr als einmal einen bewunderndern Blick über die honigfarbene Haut gleiten lassen und auch an diesem Abend fiel es ihm unerhört schwer, sich von den geschmeidigen Muskeln loszureißen. „Stimmt es was Keir gesagt hat – ihr wurdet angegriffen?“, fragte Illium und trat ohne Umschweife ein. Er ließ sich mit unterschlagenen Beinen auf den weißen Laken des Krankenbettes nieder und sah sich aufmerksam in dem schmucklosen Raum um. Sein goldenen Augen waren animalisch und glänzten im Mondlicht wie zwei lebendige Fackeln. „Ja. In Valerias Palast. Es war eine Falle.“, antwortete Aodhan und war für einen Moment über seine eigene Offenheit erstaunt. Normalerweise hätte er jeden Neugierigen an Raphael verwiesen, mit dem Hinweis, dass es nur ihn und seine Sieben etwas anginge – nicht so bei Illium. Der junge Engel schien das suchende, alles erstickende Tier in Aodhan zu besänftigen und die so verzweifelt aufrecht erhaltene Fassade zu zerbröseln. Aodhan holte zitternd Luft. „Diese falsche Schlange.“, fauchte Illium und fuhr sich durch das dichte, blauschwarze Haar. Die widerspenstigen Strähnen fanden ihren Weg zurück in sein schönes, männliches Gesicht und legten sich verspielt in auf Stirn und Wangen. „Wie geht es deinen Flügeln?“, hörte sich Aodhan fragen noch ehe er seinen Mund unter Kontrolle gebracht hatte und er verfluchte sich lautlos für seine unerhörte Nachfrage. Ein Anflug von Scham und Schmerz flackerte über Illiums Züge, dann lächelte er verschmitzt und seine Goldaugen sprühten vor Tatendrang: „Besser als erwartet, ich kann bald schon wieder fliegen. Sieh nur.“ Und mit einer überschwänglichen Geste breitete er seine beeindruckenden Flügel aus. Die Spitzen berührten links und rechts die Wände des engen Zimmers und jede Feder schillerte wie ein Stück lebendiger Tiefsee. Azurblau und verheißungsvoll lockte der weiche Flaum und Aodhan betrachtete die einzigartigen Kunstwerke mit wachsendem Interesse. „Ihre Farbe hat sich verändert.“, murmelte er ehrfürchtig und kämpfte gegen den Drang, die Hände nach dieser saphirblauen Versuchung auszustrecken. „Ja, überraschenderweise.“, stimmte Illium zu, betrachtete voller Stolz seine außergewöhnlichen Flügel und dann die Aodhans. „Tut es sehr weh?“ Der weiße Engel zuckte abwesend die Schultern, was sofort mit einem stechenden Schmerz quittiert wurde und riss sich mit aller Macht von dem betörenden Anblick des Jüngeren los. „Es wird heilen.“, sagte er dann abwehrend und wich bis zur Fensterbank zurück. Er wollte nicht fasziniert sein, wollte nicht reden und sich verraten, wollte nicht Gefahr laufen Illium oder irgendjemanden sonst auf der Welt zu mögen. Wollte nicht wieder vertrauen und daran zerbrechen. „Ja, ich weiß.“, seufzte Illium, faltete seine Flügel wieder dicht an den Körper und strich sich erneut die Haare aus dem Gesicht. „Ich werde mal wieder gehen, du solltest sicherlich längst schlafen.“, lachte er dann und stand auf. Er machte ein höfliche Geste und ließ seine goldenen Augen noch einen Moment auf Aodhan ruhen, ehe er mit einem vergnügten Winken genauso schnell verschwand, wie er gekommen war. „Jungspund.“, murmelte Aodhan verwirrt, starrte noch eine Weile in die gähnend leere Türöffnung, schloss dann das Fenster und legte sich mit einem tiefen Seufzer wieder auf das weiche Bett. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)