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Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2)

Crimsons eigene Serie, yay!
von

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Prophezeiung aus dem Tee

Und rückblickend?

Rückblickend bereue ich es nicht, mich mit Vindictus verbunden zu haben. Es mag dumm erscheinen, zumal es vielleicht schlauer gewesen wäre, ihn schlicht und einfach rauszuschmeißen. Das wäre mir schon irgendwie gelungen, nachdem ich wusste, nach wem ich suchen muss. Aber das hätte meine Schuld nicht getilgt und seinen Rachedurst nicht gestillt.

Vielleicht wird mein Leben wirklich verkürzt, weil ich es mit jemandem teile. Aber so wie ich das sehe, sind das alles Gerüchte, in die Welt gesetzt von Leuten, die es nie ausprobiert haben. Was ist denn das Leben? Ein Fluss von Energie, in dem wir uns alle befinden. Kann man einen Fluss, einen Strom oder das Meer vorhersagen? Kann man genau wissen, wie die Gezeiten sich verhalten werden? Eben. Und deshalb werde ich am Ende meines Lebens auch nicht wissen, ob es länger gewesen wäre, wenn ich Vindictus nicht erlaubt hätte, aus ihm zu schöpfen.

Ganz davon abgesehen kommt es ja auch weniger darauf an, wie lange man lebt, sondern nur darauf, wie man seine Zeit nutzt. Jemand kann sein ganzes langes Leben verschwenden oder ein kurzes voll auskosten. Indem ich Verantwortung für meine Fehler als junger Bursche übernahm, hatte ich das Gefühl, etwas richtig zu machen.

Und ich sah mich jeden Tag bestätigt, wenn ich beobachtete, dass es dem alten Mann besser ging und auch er wieder Freude am Leben hatte. Wir wurden so etwas wie Freunde, und das bedeutete mir viel. Es war schon eine seltsame Freundschaft, aber ich möchte sie nicht mehr missen.
 

Zwei Wochen nach der Ernennung meines Stellvertreters ereignete sich die folgende Szene.

Ich grübelte über dem neuen Stundenplan im Zusammenhang mit zwei weiteren Lehrkräften, die eingestellt werden sollten, als es an der Bürotür klopfte und gleich darauf Vindictus eintrat, ohne auf meine Antwort zu warten. Er strahlte mich an, aber ich fand, dass seinem Gesichtsausdruck eine gewisse Ironie innewohnte an diesem Tag.

„Ich möchte dir jemanden vorstellen, Jungchen.“

Hinter ihm trat ein weiterer Mann ein, ebenfalls ein älteres Semester und vielleicht einen Kopf kleiner als ich, aber dazu ziemlich dünn, so dass er groß wirkte. Er trug eine schlichte, rotbraune Robe und einen ordentlichen, grauen Vollbart. Der hohe Haaransatz betonte die dunklen Augen und den strengen Blick. Ich musste mir unwillkürlich vorstellen, dass er ein Mitglied in irgendeinem altehrwürdigen Magierrat war. Ich erhob mich von meinem Stuhl, um ihn angemessen zu begrüßen.

„Das ist mein Sohn Ujat,“ sagte Vindictus.

Oha. Also rang er sich wohl letztendlich doch dazu durch, mit mir zu reden. „Ähm... freut mich.“ Ich reichte ihm nicht die Hand, denn er hielt seine beiden demonstrativ in den weiten Ärmeln seiner Robe zusammen. Auch gut.

Ujat neigte höflich das Haupt. „Ich bewerbe mich auf Empfehlung meines Vaters um eine Anstellung als Lehrer für Wahrsagerei, Siegelmagie und Runenlehre. Er meinte, Ihr bräuchtet noch kompetente Mitarbeiter.

„Oh... Ach so, ja, das stimmt.“ Ich war nicht davon überzeugt, ob ich die Idee mögen sollte, aber die Schule ging vor meine privaten Belange. „Also heißt das, Ihr könnt hellsehen?“

Ujat seufzte, als hätte er diese Frage heute schon oft gehört. „Hellsehen ist so ein primitiver Begriff. Was Ihr meint, Direktor, ist, ob ich Visionen oder Träume habe, ob Gegenstände zu mir sprechen, die vor kurzem jemand berührt hat, oder ob ich einfach Dinge weiß, nur weil ich mit einer Person die gleiche Luft atme. Nicht wahr?“

„Ähm, ja,“ musste ich zugeben, wobei in meinen Gedanken prompt ein Bild von Ray auftauchte, der aber eher eine schwache Gabe besaß. Wollte ich jemanden um mich haben, der in diesen Dingen stark war?

„Visionen und Träume sind zu unzuverlässig und lassen zahlreiche falsche Deutungen zu,“ erklärte Ujat in belehrendem Tonfall. „Auch Handlesen ist... fragwürdig, aber es liefert manchmal gute Antworten. Jedoch verändern sich Handlinien nicht oft, daher kann man aus Händen bestenfalls das grobe Schicksal einer Person lesen. Ich hingegen befasse mich beispielsweise mit Sichtungen in der Kristallkugel, Pendelbefragungen und Kartenlegen – also handfesten Dingen, mit denen ich arbeite, um die gewünschte Information zu erhalten. Auch lese ich aus Teesätzen, aber diese bringen meistens zufällige Dinge ans Licht.“

Ich nickte mal, fand es aber seine Methoden nicht viel glaubhafter als irgendeine Vision, die jemand im Schlaf bekam. „Könnt Ihr mir ein Beispiel vorführen? Hier... oh, meine Tasse ist noch halb voll. Aber die dort hat Sorc vorhin hier stehen lassen.“

Er zögerte, das Gefäß von mir entgegen zu nehmen. „Eigentlich sollte der Betreffende vorher gefragt werden, bevor ich möglicherweise vertrauliche Sachen herausfinde.“

„Das geht schon in Ordnung,“ versicherte ich.

Ujat wirkte nicht überzeugt, vertiefte sich aber in die leere Tasse. Inzwischen trank ich meine aus, dann konnte er sich vielleicht anschließend mit ihr befassen. Neugierig war ich ja schon.

Vindictus arbeitete sich inzwischen auf einen der Besucherstühle. Vielleicht sollte ich extra für ihn an allen Sitzmöbeln eine Sprosse anbringen lassen, die ihm half, aber ich wollte auch nicht, dass er sich veralbert fühlte.

Sein Sohn runzelte die Stirn. Mir schwebten zwei Gründe dafür vor: Erstens, er konnte nicht wirklich etwas in den nassen Teekrümeln erkennen. Zweitens, er sah gerade etwas Besorgniserregendes.

Schließlich stellte er die Tasse zurück auf meinen Schreibtisch und schwieg für einige Sekunden. „Manchmal denke ich, dass ich nicht preisgeben sollte, was ich sehe, obwohl die Person vorbereitet sein sollte... allerdings führt gerade das Wissen um eine Gefahr manchmal dazu, dass etwas geschieht. Das ist das typische Dilemma des Wahrsagers.“ Er seufzte. „Nun denn. Dem Benutzer dieser Tasse steht ein Schicksalsschlag bevor, ein schwerer Einschnitt in sein Leben.“

Oh, wie überraschend. Sagten diese Leute das nicht immer? Dennoch wagte ich es nicht, meine Zweifel offen zu zeigen. „Stirbt jemand aus seiner Familie?“

„Uhm... nun... nein, es betrifft ihn selbst,“ druckste Ujat herum, sagte anscheinend nicht alles. „Darf ich Eure Tasse sehen? Es ist jemand, der Euch nahesteht, nicht wahr, also vielleicht kann ich darin etwas Passendes erkennen.“

Ich schob sie ihm hin und beobachtete, wir er sie in den Händen drehte und wendete.

„Ah... auch auf Euch kommt eine harte Prüfung zu, also hängen beide Ereignisse möglicherweise zusammen,“ stellte Ujat fest.

Ich hob eine Augenbraue. „Welche Art von Prüfung? Ein Kampf zwischen Magiern?“ Das lag ja gerade hinter uns, aber der unbekannte Feind meldete sich vielleicht zurück.

Ujat schüttelte den Kopf. „Nein, nicht diese Art. Ich will das mal mit einer Schmiede vergleichen, in der Schwerter hergestellt werden. Manchmal repariert ein Schmied ein Schwert, das beschädigt wurde, aber nicht immer gelingt es – denkt an eine abgebrochene Klinge. Manchmal kann aus dem Metall etwas Neues werden, und manchmal wird es komplett unbrauchbar. Euer Freund ist das Schwert. Er muss durch ein Feuer gehen, um in anderer Form daraus hervor zu gehen. Ihr, Crimson, müsst ihm dabei helfen, ihn mit Eurer Kraft formen. Ihr seid der Schmied.“

„Das... wird mir ein wenig zu kryptisch,“ rutschte es mir heraus. Ich, aus Sorc etwas Neues schmieden? Eher konnte ich mir die Rollenverteilung anders herum vorstellen.

Der alte Mann lächelte nachsichtig. „Das höre ich oft. Ich hätte mich nicht auf dieses Experiment einlassen sollen, aber ich dachte, es ist ganz harmlos. Naja. Ihr seht: Ich bin Wahrsager, kein Hellseher. Es gibt einen Unterschied.“

„Verstehe.“ Und das war nicht einmal gelogen.

„Nun ja, unterhalten wir uns lieber über die anderen Fächer, die ich anbiete. Meiner Meinung nach gehört eine solide Grundausbildung in Runenlehre, auch bekannt als Runologie, zu jedem Magier, der nicht nur Feuerbälle werfen will. Oder... gerade zu einem, der Feuerbälle werfen will.“ Er lächelte geheimnisvoll und setzte sich auf den freien Besucherstuhl.

Mir fiel auf, dass ich auch noch stand, und nahm wieder auf meinem Chefsessel Platz.

„Die Runologie ist ein weites Feld,“ begann Ujat. „Runen braucht Ihr für wirksame Siegel, welche ich in meinem anderen Fach unterrichte, der Siegelmagie. Beides hängt eng zusammen. Sicherlich kann jeder einfach ein Siegel auswendig lernen und dennoch wirkungsvoll einsetzen, aber ich vermittle ihm das tiefere Verständnis dafür und verbessere seine Flexibilität. Wer die Runen beherrscht, erstellt seine eigenen Siegel oder verändert ein gelerntes nach seine Bedürfnissen. Ich erkläre die Unterschiede zwischen Runen, die scheinbar identische Bedeutungen haben, vermittle Feinheiten in diversen Kombinationsmöglichkeiten, und nicht zuletzt werden viele Zauberbücher auch heute noch in Runen geschrieben, um sie vor neugierigen Augen zu schützen.“

Das leuchtete ein. „Ja, das werden wir sicherlich gebrauchen können. Würdet Ihr mir einen Entwurf machen, wie Ihr Euch die Aufteilung des Unterrichts vorstellt?“

„Aber gern. Ich betrachte mich damit als engagiert.“

„Ähm... ja, sicher. Wollt Ihr einen Arbeitsvertrag?“

„Ach was, für mich zählt noch das Wort eines Mannes.“

„Ah, ja. Bitte schaut Euch im Schloss um und besprecht Eure Unterbringungswünsche mit dem Schlossherz und meinem Vertreter Sorc. Er wird sich darum kümmern, dass Ihr alles Nötige erhaltet.“

Ujat nickte, erhob sich und warf noch einen Blick auf die Teetassen, bevor er ging.
 

Später am Tag besprach ich mit Sorc, wie und wo er Ujat untergebracht hatte, und erzählte ihm dann etwas zögerlich von dessen Wahrsagungen.

Mein Stellvertreter lachte nur. „Wenn er nichts Genaueres verraten will, wird es schon nicht so dramatisch sein, Wahrsager übertreiben ja gerne mal, und davon abgesehen... wenn du der Schmied bist, befinde ich mich ja in guten Händen.“

„Machst du dir gar keine Sorgen?“

„Nein, wozu? Zeitverschwendung. Mir ist klar, dass das Leben nicht immer nur gut ist. Aber jeder weiß doch, dass Prophezeiungen erst recht wahr werden, wenn derjenige dagegen ankämpft.“

„Oh... das hat auch Ujat angedeutet.“

„Na siehst du. Was auch immer passiert, wird gut ausgehen. Daran zweifle ich nicht.“

Und damit schob er auch meine Sorgen zur Seite. So ist er, mein Chaoshexer, und das ist nur einer der Gründe, weshalb ich ihn schätzen gelernt habe. Insgeheim beschloss ich, von jetzt an meine Teetassen immer gleich auszuwaschen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dies ist das Ende.
Nach dem Epilog kommt eben nichts mehr, außer dem Nachwort vielleicht. Ach ja... und ein neuer Teil der Geschichte. ;)

Danke liebe Leser, besonders an die fleißigen Kommentatoren, und damit meine ich vor allem Hikari-Yumi und jyorie. Ihr motiviert mich immer sehr mit eurer Begeisterung, daher hoffe ich auch für die Zukunft auf gute "Zusammenarbeit". Als Autor bin ich ja ziemlich aufgeschmissen, wenn mir keiner seine Meinung sagt!

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Hikari-Yumi
2014-07-14T21:39:14+00:00 14.07.2014 23:39
Huhu :)
Tut mir schrecklich leid, dass ich erst so spät kommentiere. Ich weiß grade nicht wo mir der Kopf steht...

Die letzten zeit Kapitel sind ein wunderschöner Abschluss....
Er ließt sich wie leicht schmelzendes Vanilleeis in der Sonne. Süß und kühlend.
Es freut mich das sorg Stellvertreter ist, das Macht absprachen auch einfacher...
Sonst müssten ja schlossherz, schlossseele, Schlossherr und Co schlossher alles besprechen. So haben sie ja eh eine mentale Verbindung.

Ölvins Sohn ist für mich noch etwas abseits, er passt noch nicht ganz in die Gruppe, aber das wird sich bestimmt noch ändern...
Übrigens der Epilog ist eine wunderbare Andeutung auf 3, und die Reaktionen sind einsame spitze!
Schade das die "Menschen" wieder zurückkehren! ich hab sie lieb und würde sie gerne noch mal in Teil 3 lesen...

Wie auch immer, ein gelungenes Ende.
Glg Kari
Von:  jyorie
2014-07-14T14:35:51+00:00 14.07.2014 16:35
Hey ⚽ \ ( ˘▽˘)っ♨

XD als Olvins Sohn begonnen hat, zu erzählen, was da noch
auf Sorc zukommt, ist mir auch das eingefallen, was Ray geträumt
hat, war diese Situation schon eingetreten, oder hängt das auch noch
mit dem zusammen, was er jetzt im Tee gelesen hat?

Die Fächer die er anbietet hören sich auch interessant an, vorallem
wie ruhig er das beschreibt. Aber irgendetwas hat er an sich, das ihn
noch nicht so ganz sympatisch macht, auch wüßte ich gern, was er
für ein Problem mit Crimson hat, das er ihm nicht die Hand reicht, oder
das er am Anfang garnicht mit ihm sprechen wollte.

Mir hat FW2 gut gefallen und ich bin begeistert das mit deiner Saga
noch nicht das Ende erreicht ist, sondern es weiter geht. Bin gerne
wieder mit dabei :D

CuCu, Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
14.07.2014 22:10
Hallo mal wieder,

ja, stimmt, das spielt beides darauf an. :)

Naja, was wird Ujat für ein Problem mit Crimson haben? Er macht ihn doch dafür verantwortlich, dass er und sein Vater zehn Jahre lang nicht miteinander gesprochen haben.
Sympatisch muss er demnach auch nicht sein. Warum er Crimson nicht die Hand reicht, musst du dir jetzt selber zusammen reimen. ;) Es könnte ja sein, dass er generell niemandem die Hand reicht, oder er mag halt Crimson nicht... das wird man wohl erst in der Zukunft genau sagen können.

Dann hoffe ich mal, dass dir der nächste Epos auch gefällt.

~PM


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