Engelstanz der Dunkelheit von abgemeldet ("If people had wings...they'd be monsters") ================================================================================ Kapitel 1: Zwölf Nächte ----------------------- Engelstanz der Dunkelheit _________________________ Z w ö l f . N ä c h t e Er trat unruhig auf der Stelle, sein flacher Atem bildete wabbrigen Nebel, der sich genauso schnell im Nichts auflöste, wie er entstanden war. Die Luft war eisig, schien seine Haut mit jeder Bewegung, die er voran tat, zu zerschneiden. Ein unsichtbares Messer, geführt von einer eiskalten Hand, die sich mit der Kraft des Windes vereinte, ja eine neue Energie bildete und nun mit einer Gewalt auf ihn einwirkte, die ihm einen Schauer über den Rücken jagen ließ. Aber er rührte sich nicht. Sein Blick war gen Himmel gerichtet, seine Augen hielt er geschlossen – Er hatte Verspätung! Wenn er eines hasste, dann waren es Menschen, die kein Zeitgefühl besaßen. „Er wird dich nicht etwa vergessen haben?!“, keckerte eine Stimme hinter ihm vergnügt, „Wäre schließlich nicht das erste Mal.“ „Hat die Klappe, Mochi!“, fauchte der Junge bösartig, er öffnete seine Augen schlagartig und fixierte den Kürbisgeist, der vor ihm auf und ab tänzelte. Dann sauste der Kürbis um seinen Meister herum und schwebte eine handbreit vor dessen Gesicht vorbei, die Mundwinkel zu einem breiten Grinsen verzogen. „Chef, deine Augen glühen schon wieder rot, bist du sauer?!“, fragte er süßlich. Er liebte es seinen Meister in Rage zu versetzen. Doch als der angesprochene Junge nicht antwortete, einfach an ihm vorbei lief, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen und mit seinem Fuß gegen einen alten, verwitterten Grabstein trat, als ob er seine Frage nicht einmal gehört hatte, wurde der Kürbis von einer Wut gepackt, die ihn aufschäumen ließ. Er hasste es ignoriert zu werden! Die Augenhöhlen leuchten scharlachrot auf, seine Gesichtszüge hatten sich zu einer Angst einflößenden Fratze verzehrt, sein gesamter Körper war in ein loderndes Meer aus Flammen gehüllt, er leuchtete in die Nacht hinein – Ein Farbenspiel aus Rot und Gold erstreckte sich über dem Friedhof. „Mochi, lass den Scheiß, möchtest du uns verraten?!“, zischte der rothaarige Junge gereizt, „Wenn Ren nicht langsam auftaucht, haben wir ein Problem. Der Totenrichter hat mit Sicherheit längst seine Lakaien losgeschickt, um nach uns zu suchen.“ „Aber Cay...“, murmelte der Kürbis leise, er wusste, dass er seinen Herren verärgert hatte. Denn sollte jemand auf sie aufmerksam werden, schlug nicht nur ihre Mission fehl, nein, dieses waghalsige Unterfangen konnte sie womöglich einen weitaus teureren Tribut kosten, der nicht nur sein Leben, sondern, das der gesamten Gruppe forderte. »Wie kurz das Leben, wie schnell kommt der Tod«, er las die Inschrift, die mit feiner Hand auf einen Grabstein gemeißelt war – Wie wahr! Alles Leben war unweigerlich dem Tod unterlegen, er bildete die Endstation jeder menschlichen Existenz, gleichsam, wie sehr der Verstand sich gegen das unabwendbare zu wehren versuchte, der Körper starb und mit ihm seine Seele. Die kostbare Seele. Er leckte sich über die trockenen Lippen. Er zog die kalte Nachtluft tief in seine Lunge, sie stank nach Tod und Verwesung. Doch er hatte sich längst an diesen Geruch gewöhnt, er gehörte zu seinem Leben, seit er sich in jener Nacht im sogenannten dritten Himmel wiedergefunden hatte – Die Heimat aller Seelen, die ihrer Identität beraubt worden waren. Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit und ließ ihn schlagartig herumwirbeln, er zog aus der Gürtelschnalle einen Dolch – Die Klinge blitzte rot und dämonisch in der Dunkelheit auf. „Mach dich bereit, Mochi“, raunte Cay leise und deutete in die Schwärze der Nacht, „Sie kommen!“ Irgendwo, ein gutes Stück weit entfernt, aber näher kommend, war ein schleifendes Geräusch zu hören. Es arbeitete sich durch das Dickicht und erzeugte durch die Intervalle seines Atems einen grauenvollen Rhythmus, der ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagen ließ. Dann eine Pause. Nichts rührte sich, er war bis zum Zerreißen gespannt, jede Faser in seinem Körper hatte sich auf einen bevorstehenden Kampf vorbereitet. Es gab eine Ruhe vor dem Sturm, begriff Cay, zwar konnte er dessen Ausmaß nicht einschätzen, aber dennoch kam es mit tödlicher Gewissheit. Er konzentrierte sich einen Moment lang auf die Dunkelheit, eine schwarze Materie, die ihn kaum einen halben Meter weit sehen ließ. Sein Blick glitt über den Friedhof, vorbei an den Gedenksteinen, an den Trauerweiden, deren Äste wie Tentakeln über sie hinweg ragten - Mit dem Wind vor und zurück gewiegt wurden – Klauen des Bösen. Dann blieben seinen Augen für einen Sekundenbruchteil auf die Büste eines Engels haften, der erhaben und würdevoll den Frieden auf dem Kirchhof bewachte. Wenn Engel eines nicht waren, dann würdevoll! Ein ohrenbetäubendes Jaulen ließ ihn zusammenfahren, sie entkam einer Kehle einer monströsen Kreatur, die irgendwo da draußen auf sie lauerte. „Cay, lauf!“, donnerte eine Stimme aus der Dunkelheit hervor, die er sofort als die seines Partners, Ren erkannte, „Lauf! Sie haben uns entdeckt!“ Schlagartig stürmte er los, wartete nicht darauf, dass sein Partner in Sichtweite kam, denn jede Sekunde, die er unüberlegt vergeudete, konnte ihn einen Augenblick näher an seinen bevorstehenden Tod bringen. Nein, Engel waren weiß Gott nicht gnädig. Diese Erfahrung hatte er schon früh machen müssen. Dann, für eine endlos, schreckliche Sekunde stand die Zeit still. Das Monstrum, das sich im Schutze der Dunkelheit verborgen hatte, war aus seinem Versteck gesprungen, es hatte die Jagt eröffnet und wollte seinen Blutdurst an ihnen stillen. Ein klaffender Schlund, mit rasiermesserscharfen Zähnen, spitz und tödlich wie viele kleine gelbe Dolche, die schief und krumm aus seinem Kiefer ragten. Ein gigantischer Wolfshund, riesig, schwarz und breitschulterig mit grauenerregenden Krallen, die sich gierig nach ihnen ausstreckten - sein gesamter Körper war eine todbringende Waffe, geschult und eingesetzt von dem Totenrichter und seinen Schergen. Er spuckte auf den Boden. Die Kreatur wollte nichts mehr, als sie packen, ihre zerbrechlichen Körper in Stücke zu zerreißen und die Zähne in ihre Kehlen zu rammen, in dessen Venen das köstlich, warme Blut pulsierte. Das Tier stellte sich auf seine Hinterläufe, wuchs auf das doppelte seiner Größe an und sprang auf Cay zu, der Geifer lief an seinen Lefzen herunter. Hastig hechtete er zur Seite, konnte den Pranken der Kreatur nur haarscharf entkommen und erkannte dabei aus den Augenwinkeln ein Licht, das auf sie zuströmte. Es vermischte sich mit dem feinen Nebel, quoll über jeden Winkel des Friedhofs und erhellte ihn mit einem künstlichen-sterilen Licht. „Ren, du wirst doch nicht etwa?!“, hauchte Cay leise und richtete sich langsam aus der Hocke auf. Ein morbid-schöner Anblick voller Ästhetik bot sich ihm: Bewegung und Licht verschwammen, wurden zu einem neuen Dasein und verströmten eine explodierende Gefahr, die ihren Tribut fordern würde. Erst als das Licht auch auf seinen Körper einwirkte, unter seine Haut zu kriechen versuchte, wusste er, dass er in lebensbedrohlicher Gefahr war. „Mochi, zurück! Wir überlassen Ren das Feld!“, zischte Cay und winkte seinen Diener zu sich herbei. „Aber Chef, willst du ihm wirklich den ganzen Spaß alleine gönnen?!“, fragte der Kürbis fast schon beleidigt, „Ich hätte nichts gegen ein bisschen Action einzuwenden!“ „Wo denkst du hin?“, lachte Cay vergnügt auf und leckte sich mit der Zunge über die Lippen und beobachtete Ren, der nun ebenfalls ins Licht getreten war. Seine roten Augen funkelten unheilvoll, sein gesamtes Gesicht lag verborgen unter einer roten Kapuze, die in eine lange Robe mündete. Lediglich seine schwarzen, klauen-ähnlichen Hände, ragten unter dem Gewand hervor. Mit ihnen lenkte er das Licht auf die Kreatur zu, es fraß sich asymmetrisch durch die Kulisse, sammelte sich zu einem mächtigen Strom und fesselte das Wesen. Es rührte sich nicht mehr, stieß aber einen letzten erstickten Schrei aus, ehe es völlig von dem Lichtkegel verschluckt wurde. Gleichsam was die Kreatur nun tat, sie hatte bereits ab dem Zeitpunkt verloren, als Ren den Bannkreis aus Licht gezogen hatte. Denn alles, was sich nun ihrer Mitte befand, würde hoffnungslos mit jenem Licht untergehen, das ihnen einst immer eine verlockende Zuflucht versprochen hatte und sie in eine völlig neue Dimension schleudern. Die Lichtsplitter bohrten sich wie feine Nadeln unter die Haut des Tieres, lähmten seine Gedanken völlig und ließen etwas Neues in ihnen einstehen. Es war als ob das Licht ein klaffendes Loch in die Wirklichkeit gerissen und nun die Denkweise der Kreatur verzehrt hätte, ja sich zu etwas Bösem und Unheilvollem wandelten. „Was geschieht mit ihm?!“, fragte Mochi leise und beobachtete die Veränderungen, die das Tier zeigte – Die Pupillen der Wolfsbestie hatten sich gewandelt, schimmerten nun grell-rot. „Er ist besessen“, entgegnete Cay, „Besessen von den bösen Gedanken, die Ren ihm einflüstert. Jetzt kann er mit ihm alles machen, was er will – Und ich auch!“ Cay fixierte die Kreatur, seine Augen hatten sich ebenfalls verändert, leuchteten nun dämonisch rot auf, spiegelten die Hölle wieder, die er erlebt hatte – ein Orkan aus Hass, Gewalt und Bosheit. Dann ertönte ein Schrei, ein scheußlicher an der Hörgrenze vibrierender Laut, der sein Trommelfell zu zersprengen drohte. Das Tier taumelte einige Meter voran, blieb dann abrupt stehen und sackte in sich zusammen. Cays Hände waren mit Blut getränkt, die Klinge seines Messers, das er mit derselben Präzision und Routine eines Chirurgen führte, blitze rot. Das Blut tropfte von der Klinge auf den Untergrund, färbte ihn in ein dreckiges Kaminrot, eine ekelhafte Lache aus waberndem Blut, in dessen Mitte ein regungsloser Körper lag – Die Wolfsbestie war tot. „Meister, du warst einfach fantastisch. Ich hatte aber auch nichts anderes von einem Dämon, wir dir, erwartet“, kam es strahlend von Mochi, flog dabei auf den rothaarigen Jungen zu, tänzelte vergnügt vor sich hin und ergänzte dann, „Aber du warst auch nicht schlecht, Ren!“ Ren verzog abfällig die Lippen: „Vielen Dank, Mochi!“ Er lief langsam, sich mühselig auf den Beinen haltend, auf die Gruppe zu. Wie es schien, hatten der Kampf und die vorherige Flucht stark an seinen Kräften gezehrt. „Du erinnerst dich vielleicht noch daran was Myras gesagt hat“, sagte Ren schließlich, musste sich jedoch setzten, bevor er seinen Satz beenden konnte, „Sollten sich Menschen auf einem Kirchhof verirren, der von Friedhofsgeistern bewacht wird, ist seine Seele des Todes. Du hast sicherlich schon von den Hantu-Gespenstern gehört?!“ Dann zog sich der junge Mann die Kapuze herunter, das weiß-silberne Haar fiel ihm ins Gesicht, doch anders, als man hätte zuerst vermuten können, fehlte es seinen Zügen an der gewissen Härte, die nötig gewesen wäre, um einen Gegner einzuschüchtern. Denn obwohl sein Gesicht regungslos blieb, keine Emotion darin zu lesen war, wirkte es unvollkommen, vielleicht sogar kindlich – Cay konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. „Was für eine dumme Frage!“, erwidertet Cay gelangweilt, „Jedes Kind, das im dritten Himmel aufgewachsen ist, kennt diese Spukgestalten. Ich frage mich, warum du mich mit solch unnötigen Fragen langweilst?!“ Er fuhr herum. Für einen kurzen Augenblick schien seine Maske aus Selbstsicherheit, hinter der sich nur all zu gerne versteckte, zu bröckeln, doch dann fügte er mit monotoner Stimme hinzu: „Ich frage mich, wo sie heute sind.“ „Du willst doch nicht etwa?!“, entkam es Ren, seine Pupillen weiteten sich schlagartig. „Warst nicht du es, der uns auf diesen verfluchten Friedhof bestellt hat und uns dort über eine Stunde warten ließ“, Cay trat mit so einer heftigen Bewegung auf die Anderen zu, dass er beinahe bedrohlich wirkte, „Was wäre passiert, wenn uns die Friedhofsgeister erwischt hätten, noch bevor du uns hättest warnen können?! Denkst du eigentlich über die Konsequenzen deines Handelns nach, Ren?!“ „Wie schon gesagt – Jedes Kind kennt diese Kreaturen – Das hast du selbst gesagt“, unterbrach ihn Ren und lachte ihn bösartig an, „Und seit wann hat ein Dämon Angst vor ein paar Geistern, die jaulen und toben?!“ „Wer hat gesagt, dass ich Angst habe – Ich hasse es zu warten, das ist alles“, antwortete Cay ausweichend und ging voraus. „Das klang aber gerade noch ganz anders“, murmelte Mochi leise und schwebte hinter seinem Meister hinterher. Je weiter sie sich dem Zentrum des Friedhofs näherten, umso mehr schien sich der Nebel zu verdichten. Sie konnten kaum noch eine handbreit weit sehen und doch schien Cay nicht im Traum daran zu denken umzukehren. Wie ferngesteuert lief er auf einen Punkt zu, der sich irgendwo im Nebel verbarg. „Weißt du überhaupt, wo wir sind?!“, fragte Mochi und drängte sich nah an den rothaarigen Dämon, um nicht Gefahr laufen zu müssen, von der Gruppe getrennt zu werden, „Können wir nicht umkehren – Bitte Chef.“ Ein Paar stechend gelbe Augen blitzten in der Dunkelheit auf, ließen ihn für einen kurzen Moment zusammenschrecken, doch als er blinzelte, waren sie erloschen. Und Cay begriff, dass diese satanischen Augen lediglich in seiner Phantasie existierten und nichts mit der Wirklichkeit gemein hatten. Jedenfalls wollte er dies glauben. „Chef, Chef, Chef, lass uns zurückgehen“, wimmerte Mochi plötzlich und presste sich mit seinem gesamten Gewicht gegen den Rücken Cays. „Mochi, bleib ruhig, wir sind gleich da. Was soll der Aufstand?!“, er hatte diese Frage gestellt, obwohl er die Antwort bereits kannte. Mochi empfand jenes Unbehagen, das sich auch durch seinen Verstand zu fressen drohte. Ob es Angst war, konnte er nicht sagen – Er wollte sich auch nicht länger als nötig mit so etwas Belanglosem wie menschlichen Emotionen beschäftigen. Er war ein Dämon und verneinte somit jede Ähnlichkeit zu den schwachen und jämmerlichen Kreaturen, die sich Menschen nannten und sich von ihren Empfindungen knechten ließen. Sie waren nichts weiter als Abhängige! Sie gaben sich ihren Gefühlen hin, verliebten sich, nur um schlussendlich begreifen zu müssen, dass jede Liebe nach der anfänglichen Manie starb, zum gewöhnlichen Alltag wurde und unweigerlich Schmerz und Leid zur Konsequenz hatte. Warum verliebten sich also die Menschen?! Wurden sie so sehr von ihrem masochistischen Denken manipuliert und dem Bestreben nach Liebe und Anerkennung gelenkt, dass sie blind für die Wahrheit waren?! Plötzlich schien das Rauschen des Windes anzuschwellen, wurde zu einem Orkan, eine unsichtbare Gewalt, die über ihre Glieder fuhr und sie beinahe in die Knie zwang. Sein Herz schlug hart gegen seine Brust – Er wusste, dass sie ihrem Ziel unbegreiflich nah sein mussten. Zwar bereitete es den Hantus Freude verwirrte Seelen zu quälen, die sich versehentlich auf ihrem Kirchhof verlaufen hatten, dennoch griffen sie niemals ohne Grund an. Sie mussten sich allein durch ihre Präsenz bedroht fühlen. Eine körperlose Stimme, vermischte sich mit dem Strom des Windes, säuselte süßlich, verlockende Worte, die fast vollkommen von dem tosenden Geräusch der Luftmassen verschluckt wurden. „Die Friedhofsgeister scheinen verärgert zu sein!“, sagte Ren, „Denkst du wirklich, dass das eine kluge Idee ist, Cay?!“ Doch statt auf die warnenden Worte seines Partners zu hören, die ihn von seinem törichten Weg abzubringen versuchten, ging der Dämon ungerührt weiter. Für einen kurzen Augenblick, der nicht länger andauerte als ein Lichtblitz, stand Cay still und lauschte dem Flüstern des Windes – und er bemerkte, dass die Worte an Deutlichkeit gewonnen hatten, ja beinahe verständlich wurden. Das bösartige Raunen und Zischeln wandelte sich zu todbringenden Warnungen, die mit Fingern aus purem Eis in seinen Verstand fuhren und sich dort festkrallten – Ja, sich an seiner Angst labten, die er zeigen würde, wenn sie es nur geschickt genug anstellten. Bis jetzt war noch keine Seele ihren Fängen entkommen, der Wahnsinn war in ihren Verstand gesickert, war zu einer dickflüssigen Essenz des Grauens geworden und kroch durch die Venen des Opfers, bis es schlussendlich das pulsierende Herz erreichte, um dort im Einklang mit seiner Manie schlagen zu können. Das vergiftete Herz kannte von nun an nur noch eine Motivation: Es wollte jagen, zerfetzen, töten, und den bittersüßen Geschmack kosten, wenn die letzte Hoffnung in den angsterfüllten Augen seines Opfers starb – Zu einer grässlichen Gewissheit wurde, dass nur noch der Tod Erlösung versprach. Ja, sie sollten so sterben, wie seine Seele einst gestorben war. „Das ist unser Kirchhof, Unwissender!“, murmelte die körperlose Stimme süßlich, „Es war ein großer Fehler unsere Warnungen zu ignorieren – Ein verdammt großer.“ Sobald die Stimme ihren Satz beendet hatte, wandelte sich der Friedhof. Der tosende Wind wich der Stille, die Dunkelheit wurde weniger dicht und der Nebel türmte sich auf und bildete eine schmale Straße – Ein Leitfaden in die Hölle. „Bewaffnet euch, aber greift nicht eher an, ehe ich es euch erlaube“, zischte Cay mit ruhiger Stimme und schritt voran. „Wenn wir hier lebend herauskommen, bring ich dich um!“, sagte Mochi gereizt, „Und ich werde Myras um meine Versetzung bitten. Der gefährdet nicht nur meine Ausbildung, sondern auch noch mein Leben!“ „Und am Ende bleibst du doch, genau wie jedes Mal“, lachte Ren leise auf und warf einen Seitenblick auf den Kürbisgeist. „Pah“, entkam es Mochi protestierend, dann plusterte er sich auf die doppelte Größe auf und flog hinter seinem Meister her. Er würde seine Worte wahr machen, sie würden es schon sehen. Sobald sie der Nebelstraße folgten, spürten sie, dass sie den ebenen Untergrund unter ihren Füßen verloren und auf eine Wölbung traten, die sie ins Schwanken geraten ließ. Fast schon springend mussten sie sich von Kuppel zu Kuppel vorarbeiten – Zuerst hatte er gedachte, dass er auf Steine trat, doch als das Gewölbe mit einem berstenden Geräusch in sich zusammenbrach, wusste er, dass er sich geirrt hatte. „Was zum Henker ist das?!“, keifte Cay und versuchte dabei seinen Fuß aus dem Loch zu ziehen. „Die Schädeldecken der sterblichen Überreste, die auf diesem Friedhof vergraben wurden. Es sieht so aus, als ob die Hantu-Geister die Totenruhe gestört und die Leichen aus ihren Gräbern befohlen hätten, nur um uns zu quälen oder aber zum Rückzug zu zwingen“, sagte Ren scharf, „Symbolisch gesehen bilden sie unsere Straße in den Tod.“ „Als ob ich dich gefragt hätte, Besserwisser! Und wie immer neigst du zu maßlosen Übertreibungen.“ „Und wie immer unterschätzt du die Lage“, entgegnete Ren wütend, kletterte an Cay vorbei und stieg über die Totenschädel empor – höher und höher. Der Rothaarige fixierte Ren, jeden Schritt, den er machte, er sah jede kleine Winzigkeit, die er tat, die unruhigen und nervösen Bewegungen seiner Beine auf der rutschigen Oberfläche und dann das Rucken, das seinen Körper abrupt nach vorne kippen ließ. Wie eine Marionette dessen Spielmeister die Fäden seiner Puppe losgelassen hatte, stand der junge Mann regungslos da, sein Kopf war nach vorne geneigt, seine Arme hingen schlaff zu beiden Seiten herunter – Die Waffe war ihm aus den kraftlosen Fingern geglitten und fiel klirrend zu Boden. Wie in den Bann geschlagen, hypnotisiert von unsichtbaren Augen, die er zwar nicht sehen, aber sehr wohl spüren konnte, starrte Cay die Nebelwand an. Der Nebel wog stärker, bildete bizarre Formen, Grimassen, vielfingerige Hände und Klauen, die aus der Wand hervorzutreten und nach ihm zu greifen schienen. Dann – nach ein paar Sekunden, Stunden oder Tagen, es blieb gleich, die Zeit hatte ihre Bedeutung verloren – waren sie erloschen und die Geisterhand, die ihn gepackt hatte, war verschwunden. Ein tonloses Lachen erschwoll über dem Kirchhof, wand sich von den Dämonen ab und trieb davon. Auch Ren war aus seiner Starre erwacht, richtete sich langsam wieder auf, schien aber nicht recht zu realisieren, was gerade geschehen war. Nur Mochi stand das Grauen ins Gesicht geschrieben, er schrie grellend auf und flog über die Leichenteile davon. „Verflucht, Mochi!“, schrie Cay und hastete dem Geisterwesen hinterher, doch als er den Kürbis endlich eingeholt und dieser zum Stehen gekommen war, fanden sie sich am Wegesrand wieder. Am Ende des Pfades stand ein bizarr in die Länge wie auch in die Breite verzehrter Tisch, auf dem ein blutrotes, von Motten zerfressenes Tuch lag. Leere Schüsseln, Tassen und Tellern beluden die Tischplatte, eine Kerze war entzündet worden und flackerte in die Nacht hinein. Zwölf Holzstühle standen um den Tisch herum, waren an ihre Plätze gezogen worden und erweckten den Eindruck, dass jemand auf ihnen sitzen würde. Cay starrte einige Sekunden lang auf den gedeckten Tisch, ließ dann seinen Blick über die leeren Stühle schweifen und verzog sein Gesicht zu einer gehässigen Grimasse. „Nun kommt endlich raus!“, rief Cay in die Dunkelheit hinein und lief um den Tisch herum, „Ich weiß, dass ihr hier seid, ihr braucht euch nicht länger zu verstecken!“ Und dann waren sie plötzlich da. Mochis Augen hatten sich vor Schrecken geweitet, er fuhr zusammen, konnte aber seinen Blick nicht abwenden – Wie in Trance stierte er die Geistergestalten an, die auf den Stühlen platz genommen hatten. Zwölf an der Zahl. Rauchige Gestalten, die kaum einen Meter groß waren, mit gelb schimmernden Schlitzen statt Augen, tasteten mit ihren durchsichtigen Hände nach den Teetassen, hoben sie an, ließen aber die Gruppe dabei keine Sekunde aus den Augen. „Wollt ihr nicht zum Tee bleiben“, fragte einer der Friedhofsgeister träumerisch. „Liebend gern“, mehr antwortete Cay nicht. Wie von Geisterhand beschworen, erschienen drei Stühle aus dem Nichts und bewegten sich von selbst an den Tisch. Teller und Tassen flogen durch die Luft, wurden durch die Nacht getrieben, taumelten für einen Augenblick auf der Stelle und vielen dann klirrend auf die Tischplatte. „Nehmt doch Platz, eure Henkersmahlzeit wartet auf euch“, zischelte der Hantu, der Cay am Nächsten saß – Etwas Hungriges lag in seinen Augen, er versuchte nicht einmal seine Gier zu unterdrücken. Er schien bereits die Kontrolle über sich verloren zu haben, „Ihr hattet euer Todesurteil bereits ab dem Zeitpunkt unterschrieben, als ihr einwilligtet unserer Runde Gesellschaft zu leisten.“ Dann lachte der Hantu bösartig auf. „CAAAAAAY!“ schrie Ren erstickt auf, sein Atem stockte, sein Mund fühlte sich so unbeschreiblich trocken an, dass ihm die Stimme versagte. „Zwölf Tage und zwölf Nächte sollen euch bleiben, genug Zeit um euch mit euren Angehörigen auszusöhnen und Frieden zu finden. In der zwölften Nacht werdet ihr sterben!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)