Finera - Dawn of the Dark von Kalliope ================================================================================ Kapitel 39: Hoch Yvonne ----------------------- 25. November - Rain - Es war ein ruhiger Arbeitstag im Labor und Rain wartete sehnsüchtig auf den Feierabend, um vor dem Abendessen noch ein oder zwei Stunden mit ihren Pokémon außerhalb von Illumina City trainieren zu können. Sobald Glumanda sich entwickelt hatte, würde sie sich in den Gassen der Stadt ein paar Trainer suchen, gegen die sie kämpfen konnte, denn das war weitaus effektiver als der ewige Kampf gegen die schwächeren Pokémon auf den Routen, die manchmal einfach davonliefen. Kurz vor Feierabend hörte sie das leise Piepen des ComDex, den sie ausnahmsweise in ihren Laborkittel geschmuggelt hatte. Erschrocken zuckte sie zusammen, drehte den anderen Forschern dann den Rücken zu und holte den ComDex heraus. Eine Nachricht von Camille, na endlich! Können uns heute zum Abendessen im Café Bataille treffen. Bin um 19 Uhr da. Gut, das klang wirklich ziemlich reserviert, aber immerhin hatte Camille ihr Schweigen gebrochen und wollte sich wieder mit Rain treffen, was diese zufrieden zur Kenntnis nahm. Schnell tippte sie ein Alles klar, bis 19 Uhr. und widmete sich wieder den Reagenzgläsern. Den ganzen Tag hatte sie aufgeräumt, Oberflächen abgewischt und war nun damit beschäftigt die verschiedenen Lösungen auf ihren pH-Gehalt zu testen. Noch immer banden die anderen Forscher sie nicht in die richtigen Experimente und Aufgaben mit ein, aber man grüßte sie höflich, wenn sie zur Arbeit kam und wieder ging, was wohl ein Fortschritt war. Milena hatte sie in den letzten Tagen nicht zu Gesicht bekommen, aber sie hatte mitbekommen, dass diese die Präsentation der neuen Heilmaschinen vorbereitete und daher sehr beschäftigt war. Eine gefühlte Ewigkeit später begann sich das Labor zu leeren, bis nur noch Rain und zwei leitende Laboranten anwesend waren. Die beiden nickten ihr zu und schickten sie in den Feierabend, woraufhin sie in ihr Appartement eilte, sich umzog, den Trainergürtel anlegte und mit dem Aufzug nach unten fuhr. Draußen nieselte es zwar, aber der Sintflutregen hatte aufgehört. Vielleicht klarte es in den nächsten Tagen komplett auf? Sie musste unbedingt den nächsten Wetterbericht sehen. Da das Hochhaus von Mai Technologies in der Weststadt nahe des Übergangs von Nordring zu Südring lag, hatte sie es nicht weit. Rain investierte einen Teil ihres Gehalts in ein Taxi, um noch pünktlich zu kommen, und fand sich nur eine Viertelstunde später vor dem Café mit der türkisfarbenen Fassade wieder. Camille saß ziemlich weit hinten, winkte Rain aber zu, als sie sie erblickte. 19:07 Uhr. „Tut mir leid für die Verspätung, ich konnte nicht früher aus dem Labor weg.“ „Schon okay.“ Camille hatte, wie so gut wie immer, eine dampfende Tasse Kakao zwischen den Händen und nahm einen Schluck. „Ich … also …“, begann Rain zögerlich, zog Jacke und Schal aus und schnappte sich die Speisekarte. Die meisten Cafés boten zwar warme Snacks und Fingerfood an, aber nicht die Auswahl, die es in einem richtigen Restaurant gab. „Ich hatte dir gestern schon geschrieben.“ „Jupp.“ Camille grinste schief. „War … der Akku von deinem ComDex leer?“ „Nope.“ Einige Sekunden hielt Camille das Spielchen noch durch, dann war sie wieder ganz die Alte. „Ich war sauer auf dich, weil du dich so auf Milena Mai eingeschossen hast – also dass sie jetzt zu den Guten gehört und so. Ist auch egal, jetzt ist wieder alles gut.“ Sie nahm sich ebenfalls eine der Speisekarten und blätterte darin herum, obwohl Rain vermutete, dass sie dies bereits in der Wartezeit getan hatte. „Weißt du schon, was du nimmst?“ Rain ließ ihren Blick flüchtig über den Abschnitt über Fingerfood und kleine, warme Gerichte gleiten. „Ich denke, ich nehme einen Salat mit warmen Beeren und gebackenem Käse. Und du?“ „Überbackene Käsenachos und ein Stück Schokoladenkuchen.“ „Kuchen? Ich dachte, wir wollten Abendessen.“ „Hey, Kuchen geht immer, besonders mit Schokolade“, antwortete Camille feixend und erntete dafür einen neidischen Blick. Obwohl sie Schokolade zu ihren Grundnahrungsmitteln zählte, war sie schlank. Ob das daran lag, dass sie als angehende Archäologin ständig auf den Beinen war? Die beiden bestellten und erhielten schon wenige Minuten später ihre Gerichte. Camille zupfte einzelne Nachos aus dem großen Käseklumpen, wobei sich lange Fäden bildeten. Rain piekte die warmen Beeren mit der Gabel auf, schnitt sich dazu ein Stück Käse ab und vermischte alles mit den klein geschnittenen Salatblättern. Eine Weile schwiegen sie, dann kam das Gespräch wieder in Gang. „Wie läuft es mit Ninja?“ „Es wird von Tag zu Tag, an dem wir trainieren, besser. Noch macht es nicht, was ich sage, aber es ignoriert mich nicht mehr und starrt mich auch nicht mehr so vorwurfsvoll an. Ich glaube, es kommt langsam besser mit seinem entwickelten Körper klar.“ Camille nickte. „Wenn du einen Kampf willst, sagst Bescheid. Wolli hat das Kämpfen nicht nötig, aber ich muss Marino und Flix beschäftigen.“ „Wie lange bleiben die beiden bei dir?“ Nachdenklich zuckte Camille mit den Schultern. „Mindestens ein halbes Jahr. Die Aufzucht von Fossilpokémon erfordert Zeit und Geduld, die mein Vater und seine Kollegen nicht haben. Danach schauen wir dann, ob wir sie an einen verantwortungsvollen Trainer abgeben oder sie bei mir bleiben – ich hoffe natürlich auf letzteres, aber die Entscheidung liegt nicht bei mir.“ Es musste ein komisches Gefühl sein, wenn man seine Pokémon nur auf Zeit hatte. Sie plauderten während des Essens noch über dieses und jenes, aber als der Wetterbericht im Fernsehen kam, verstummten beide und schauten zu dem Bildschirm in der Ecke des Cafés. „Wohlig-warme Wintertage stehen uns bevor“, trällerte die stets gut gelaunte Wettermoderatorin. „Hoch Yvonne vertreibt die letzten Ausläufer von Tief Engelbert aus Kalos weg und bringt warme Meeresluft aus dem Süden mit sich. Bis Ende des Monats ist mit Temperaturen um die zwanzig Grad zu rechnen. Doch die Freude währt nicht lange, verehrte Zuschauer. Hoch Zamantha rückt bereits aus dem kühlen Nordosten an und drückt dabei eine Kaltluftfront vor sich her. Die Ankunft von Zamantha wird für den 1. Dezember erwartet. Ab diesem Zeitpunkt ist durch das Aufeinanderprallen von Zamantha und Yvonne mit Unwettern und eventuell Minusgraden zu rechnen. Genießen Sie die sonnigen Tage, wappnen Sie sich gegen die Kälte und freuen Sie sich gemeinsam mit mir auf die Weih-nachts-zeit!“ Das letzte Wort stieß die Frau im Singsang aus und strahlte dabei mit ihren schneeweißen Zähnen in die Kamera. „Verrückt“, murmelte Camille und zog dabei die Augenbrauen hoch. „Erst kriegen wir Ende November zwanzig Grad und dann soll es sich innerhalb von ein bis zwei Tagen auf unter null abkühlen? Zum Glück bin ich nicht wetterfühlig.“ „Das Wetter ist wirklich unberechenbar. Vielleicht ist das in Kalos normal.“ „Eigentlich nicht.“ Sie verzog das Gesicht. „Wer weiß, was da vor sich geht.“ Neugierig blickte Rain sie an. „Wie meinst du das denn?“ „Na ja“, begann Camille gedehnt, fuhr dann aber unbeirrt fort. „Sagt man den Legendären Pokémon nicht nach, dass ihre Kräfte das Wetter beeinflussen können?“ Rain nickte leicht. „Schon, aber doch nicht hier in Kalos. Weder Xerneas noch Yveltal oder Zygarde haben diese Macht.“ „Seltsam ist es aber schon, dass ausgerechnet in Kalos ständig irgendwelche Wetterfronten aufeinanderstoßen und dann gleich diese Wetterextreme verursachen.“ Nach kurzer Pause musste Camille schmunzeln. „Ich sag’s dir, wir liegen Weihnachten am Strand und nächsten Sommer schneit es.“ Daraufhin mussten beide lachen, bezahlten ihr Essen und gingen nach draußen, wo zwischenzeitlich auch der Nieselregen aufgehört hatte. Gemeinsam schlenderten sie über den Nordring, der bereits an vielen Ecken weihnachtlich dekoriert war. Rain dachte an ihre Eltern in Finera. Die beiden erwarteten mit Sicherheit, dass Summer und sie über die Feiertage nach Hause kamen. „Ich würde dein Angebot für einen Trainingskampf gerne annehmen“, sagte Rain nach einer Weile. „Glumanda steht kurz vor seiner Entwicklung, das würde ich gerne bald erledigt haben.“ „Passt es dir morgen?“ „Ja, da habe ich Frühschicht. Wir könnten uns so gegen fünfzehn Uhr auf Route 14 treffen.“ „Okay, dann machen wir das so. Keine Sorge, ich nehme dich auch nicht zu hart ran.“ „Hey!“ Gespielt empört boxte Rain ihrer Freundin gegen den Oberarm. Als die Menschenmassen dichter wurden, wichen sie auf die schmalen, aber dafür leeren Gassen aus. Es roch nach Müll und die dreckigen Rückwände der Häuser passten so gar nicht zu dem Bild der strahlenden Metropole, das Illumina City für die Touristen bot. „Weißt du, wo wir jetzt sind?“ „Nicht genau“, gab Camille zu und lugte um diverse Ecke, als sie an einer Kreuzung der Gassen ankamen. „Ich denke, wir müssten noch immer parallel zum Nordring sein.“ Dann schnupperte sie in die Luft. „Riechst du das? Fett und Gebratenes. Wir könnten in der Nähe vom Pokémoncenter sein, da müsste jetzt das Abendbuffet serviert werden.“ „Stimmt, das kommt hin. Hier lang?“ Camille zuckte mit den Schultern. „Folgen wir dem Geruch.“ Rain ging voraus, dicht gefolgt von Camille. Sie bogen um einige Ecken und erreichten dann einen nahezu quadratischen Hinterhof, der tatsächlich zum Pokémoncenter gehörte. Aus der Lüftung an der Rückwand kamen die Gerüche aus der Küche. Ihnen gegenüber parkte ein dunkler Kleintransporter. „Mist, hier kommen wir nicht weiter. Der versperrt die komplette Gasse.“ „Aber parken kann er“, stellte Camille anerkennend fest. „Das sind doch höchstens zehn Zentimeter, die zu jeder Seite noch Platz sind.“ Aus dem Inneren des Pokémoncenters drang ein Rumpeln nach draußen, dann rieselte feines Puder durch die Lüftung nach draußen. „Was zum …“ Rain reagierte instinktiv und zog Camille hinter einen der beiden großen Müllcontainer. Keine fünf Sekunden später war ein Lichtblitz zu sehen, dem folgte ein dumpfer Knall und die Tür zum Hinterhof wurde aus den Angeln gerissen. Eine riesige Staubwolke legte sich über den gesamten Hinterhof. Camille und Rain husteten beide unterdrückt in ihre Schals. Vorsichtig lugten sie um die Ecke und entdeckten eine in Schwarz gekleidete Gestalt mit Skimaske. Ein roter Lichtstrahl – ein Pokémon? Dann ging eine warme, pulsierende Welle von den schemenhaften Gestalten aus. Zwei rote Lichtblitze wurden zurück in Pokébälle gezogen. Die Gestalt eilte zum Kleintransporter, riss die Heckklappe auf und verschwand im Inneren. Gleichzeitig ging der schrille Alarm des Pokémoncenters los. „Der hat da eingebrochen!“, quiekte Camille erschrocken. „Was sollen wir tun?“ „Hinterher.“ „Was?“ Erschrocken riss Camille die Augen auf. „Nein, Rain! Das ist viel zu gefährlich!“ Der Motor wurde gestartet. „Schnell, der ist gleich weg und die Heckklappe ist nicht verschlossen. In Illumina City findet man den Einbrecher doch niemals wieder!“ Rain rannte herüber zu dem Fahrzeug, eine Hand am Trainergürtel, die andere am Verschluss der Tür zum Laderaum. Sie öffnete die Tür in genau dem Moment, in dem sich der Wagen ruckelnd in Bewegung setzte. Rain sprang ins Innere, stieß dabei gegen eine Metallkiste und winkte Camille panisch zu sich. Sie sah das ängstliche Zögern in Camilles Augen, dann war auch sie im Inneren. Vom Laderaum aus ging eine Luke zum Fahrerbereich, die nun aber geschlossen war. Der Einbrecher musste durch die Luke nach vorne geklettert sein, um den Wagen zu starten. „Und was jetzt?“, flüsterte Camille und klammerte sich an Rain fest. „Du nimmst Elfun, ich Glumanda und dann zerlegen wir den Wagen von hier drinnen in seine Einzelteile. Wir sind zu zweit, der Einbrecher alleine.“ „Ich glaube nicht, dass jemand so etwas alleine durchzieht.“ Rain musste ihr gedanklich zustimmen, doch sie hatten keine Zeit. Die Explosion. Ein Heilpokémon. Irgendwo tief in ihr schrillten die Alarmglocken. „Wenn es doch nur nicht so verdammt dunkel hier drinnen wäre!“, fluchte sie. Schräg hinter ihnen rumpelte etwas. Ein Feuerzeug ging an. „Licht gefällig?“ Noch bevor eine von ihnen schreien oder etwas machen konnte, stieg ihnen ein schwerer, kribbelnder Geruch in die Nase. Feines Puder legte sich über ihre Gesichter. Rain hustete, atmete schwer, sank zu Boden. Dann kam die Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)