Promise von YourBucky ================================================================================ Kapitel 3: Dritte Erinnerung - Das Vermächtnis ~ Legacy -------------------------------------------------------- Dritte Erinnerung - Das Vermächtnis ~ Legacy Unglaublich, aber wahr... ^^ Das neue Promise-Kapitel ist fertig. Ich habe eigentlich nicht mehr dran geglaubt und ich weiß gar nicht, was mich jetzt zum weiterschreiben bewegt hat, aaaaber... ab jetzt wird es ganz bestimmt viel schneller weitergehen! Ich hatte ganz vergessen, wie viel Spaß diese Fanfic macht!!! *Promise knuddel* Bitte lest trotzdem weiter und vergebt mir! Schließlich haben Lalit, Kieran und co. noch eine ganze Menge vor sich... ^_^ Allen viel, viel Spaß (?) beim Lesen und 1000000000 Grüße an meinen FF-Autor Chris und an meine Lieblingsverrückten namens Tía, Marron und Picco! *knuddl* Und an dich! ^.^ Lalit bewegte sich wie in Trance. Seine Schritte fanden fast automatisch den Weg auf das Schlosstor zu. Die Diener zu seinen Seiten beachtete er gar nicht. War das nur ein böser Traum? Er wollte nicht zurück. Nicht in dieses prunkvolle Gefängnis, nicht zu den Menschen, die sich seine Eltern nannten und schon gar nicht zu jenem alten, bärtigen Mann, der ihn mehr als alles andere in der Welt hasste und verabscheute. Es sollte nicht alles erneut beginnen! Der Weißhaarige war beinahe erschrocken, als er plötzlich vor der prachtvollen hölzernen Türe des Thronsaales stand. Am liebsten wäre er davongelaufen. Er hatte Angst davor, einzutreten. Angst vor den goldenen Augen seiner Mutter... Oh bitte, ihr Götter, schoss es Lalit durch den Kopf, macht, dass ER jetzt nicht dort ist! Das alles war auch so schon schlimm genug... Einer der Diener öffnete die Türe. Hätte er das nicht selber machen sollen? Oder hatte er gar nicht den Mut dazu? Langsam und zögerlich trat Lalit in den ihm nur allzu bekannten Raum mit dem dunkelroten Teppichboden. "Mu... Mutter?" Im ersten Augenblick war der junge Weißhaarige geschockt. Die schöne schwarzhaarige Königin war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ein eigentümlicher Schleier von Kummer und tiefster Sorge hatte sich über ihr Gesicht gelegt. Ihre Augenringe erzählten von durchwachten Nächten, in ihrem Blick lag eine schmerzhafte Mischung aus Trauer, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Mit einem Mal tat sie ihm leid. "Lalit!" War das etwa... Erleichterung? Freude? Der junge Thronfolger blieb wie angewurzelt am Eingang stehen, als die Königin den beiden Dienern deutete, das Zimmer zu verlassen. "Lalit, wie konntest du nur? Wie konntest du mir nur solche Sorgen bereiten?" Sie lief auf den Weißhaarigen zu und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Dann schloss ihn in ihre Arme. Lalit rührte sich nicht. "Sorgen?" flüsterte er. "Natürlich!" Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Wir wussten nicht, wo du bist, ob du überhaupt noch lebst... und dann ist auch noch dein Vater erkrankt und ich war ganz auf mich allein gestellt! Es war fürchterlich! Wie konntest du nur so egoistisch sein?" "Egoistisch?" Lalit hätte am liebsten geschrieen, aber seine Stimme und sein Gesicht blieben kalt und emotionslos wie immer. Sein Blick war starr ins Nichts gerichtet. "Mag sein. Aber seid ihr das nicht auch? Wäre ich nicht der einzige Thronfolger, hättet ihr euch niemals Sorgen um mich gemacht!" "So einen Unsinn möchte ich nicht hören!" Die Schwarzhaarige schüttelte energisch den Kopf. "Du bist mein Kind, ich wäre halb umgekommen vor Sorge um dich!" "Du liebst mich doch gar nicht..." "Was redest du da?" keuchte die junge Königin. Heuchlerin, dachte Lalit wütend. Aber sie brauchte sich gar keine Mühe zu geben! Jetzt war es zu spät für mütterliche Gefühle. "Natürlich... natürlich liebe ich dich!" Mit einer zärtlichen Bewegung zog sie den Kopf ihres deutlich größeren Sohnes auf ihre Schulter herab. Lalit zuckte zusammen und begann unweigerlich, ein wenig zu zittern. Was tat sie denn da? "Mutter, ihr..." "Nein..." Die schöne Frau strich ihm behutsam durch sein langes Haar. "Lass doch diese höfliche Anrede... bitte... Ich bin doch deine Mutter, Lalit. Es tut mir leid, dass... dass... ich weiß, ich war... nie wirklich für dich da... es tut mir so leid..." War das ein Traum? Lalit konnte nicht fassen, was diese scheinbar so Fremde da gerade eben gesagt hatte. Für einen Augenblick war er überwältigt von der Sehnsucht nach einer Liebe, die ihm seine Eltern niemals gegeben hatten. Er hatte nicht die Kraft, sich zu wehren. Sein einsamer Wunsch war stärker als die Wut in ihm. "Mutter, bitte, lasst... lasst das..." "Sag so etwas nicht... ich liebe dich doch..." Sie lächelte sanft. "Genauso, wie ich deinen Vater liebe." Das war zuviel. Lalit stieß die junge Königin ruckartig von sich und wich einen Schritt zurück. Seine kühlen, ausdruckslosen Gesichtszüge bebten mit einem Mal vor Zorn. Seine goldenen Augen funkelten hasserfüllt. "So ist das also!" stieß er wütend hervor. "Jetzt verstehe ich!" "Aber ich verstehe überhaupt nichts!" Die Schwarzhaarige starrte ihren Sohn fassungslos an. "Was machst du denn da? Habe ich etwas Falsches getan?" "Oh ja, und zwar schon dein ganzes verdammtes Leben lang!" Er schrie nun beinahe. "Du hast immer nur nach seiner Pfeife getanzt, nicht? Ich war Schuld, dass dein liebster Gatte wütend auf dich war... und deshalb hast du mich immer behandelt wie den letzten Dreck! Ihr habt euch nie um mich gekümmert! Weißt du, was ich mir als Kind immer gewünscht habe, auf all diesen Geburtstagsfesten... wofür ich alle meine tollen, teuren Geschenke weggeschmissen hätte? Wenn ihr mich nur ein einziges Mal in den Arm genommen hättet, begreifst du das? Aber du hast es nicht getan! Und jetzt, wo dein Mann schon halb im Grab liegt, da bin ich wieder gut genug! Da kann man sich ja wieder um die kleine Fehlgeburt kümmern, ja?" "Halt den Mund!" Die Königin verpasste ihrem Sohn eine wütende Ohrfeige. "Ja, so kenne ich euch schon eher!" Lalit stieß ein verächtliches, nahezu hysterisch klingendes Lachen aus. "Aber du brauchst nicht glauben, dass ich bei deinem Spielchen mitmache! Das hättest du dir früher überlegen müssen! Ich bin doch kein Hund, der immer wieder zu seinem Herrchen angekrochen kommt. Ich habe auch Gefühle, weißt du? Und jetzt möchte ich meine Ruhe haben!" Der Weißhaarige fuhr herum und lief aus dem Thronsaal. Die Königin starrte ihm mit offenem Mund hinterher. Sie war verwirrt und verletzt, aber gleichzeitig drängte sich ein quälendes schlechtes Gewissen in diese Emotionen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie bei ihrem Sohn einen derartigen Gefühlsausbruch erlebt. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, was für eine tiefe Verletztheit hinter der kalten Fassade des Weißhaarigen verborgen war. Plötzlich hatte sie Angst vor der Antwort, warum er eigentlich weggelaufen war. Lalit sah sich nicht um. Er kannte dieses Schloss, er kannte jeden einzelnen Gang. Nichts hatte sich verändert. Auch sein Zimmer nicht. Eigentlich hätte es ihn gar nicht gewundert, wenn er diesen Raum vollkommen leer geräumt vorgefunden hätte. Wenn er im Geiste schon längst gestorben und begraben wäre. Aber halt, dachte er bitter, er war ja der Thronfolger und vielleicht auch bald... der König des Landes. Sie brauchten ihn. Jetzt plötzlich... Der Weißhaarige warf die Türe hinter sich ins Schloss und verriegelte sie. Er wollte nicht gestört werden, er wollte niemanden sehen, am allerwenigsten seine Mutter. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, er wusste nicht mehr, was er jetzt fühlen sollte. Er war nicht glücklich, nicht erleichtert... aber auch nicht traurig oder verzweifelt... Lalit ließ sich auf sein Bett fallen, schlüpfte aus seinen Stiefeln und vergrub seinen Kopf in seinem Kissen. Wie ungewohnt weich diese Matratze doch war! Er hasste dieses Gefühl. Er hasste alles in diesem Schloss! Aber... aus irgendeinem Grund konnte er nicht wirklich wütend sein. Da waren zu viele andere Gefühle... und eigentlich fühlte er gar nichts wirklich... Nichts, außer einem tiefen, hilflosen Schmerz. Sanfte Lichtstrahlen schlichen sich beinahe ängstlich in das Zimmer des jungen Thronfolgers. Er schlug langsam und unwillig seine Augen auf und stellte fest, dass er in einem viel zu großen weichen Bett mit kostbarer tiefroter Bettwäsche lag. Alle Möbel in seinem Zimmer waren aus dunklem, edlen Holz aus den Wäldern Belicias gefertigt. Die luftigen weißen Vorhänge vor seinem Fenster waren nicht zugezogen. Heiteres Vogelgezwitscher drang zu ihm herein. Er fühlte sich wie aus einem langen, wunderschönen Traum erwacht. War das alles wirklich geschehen? Vielleicht hatte er ja in einer Woche Geburtstag, vielleicht war er nach seinem letzten Training nur erschöpft zusammengebrochen... vielleicht war auch das gar nie passiert und sein Vater war nicht todkrank und seine Mutter keine gebrochene Frau. Vielleicht hatte ihm seine einsame, traurige Fantasie nur einen nächtlichen Wunsch vorgesponnen... vielleicht... Ob die Wachen Tahir mitgenommen hatten? Bestimmt! Sie konnten sein Pferd ja nicht einfach so zurücklassen! Nein, nein, es war alles nie passiert. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Dies war seine Realität. Dies war sein Schicksal, sein Vermächtnis, sein Gefängnis... Er musste mit diesem Unsinn aufhören! Lalit stand ruckartig auf, zog sich seine zerknitterte Kleidung aus und schlüpfte in eines der einfacheren und trotzdem immer noch unvorstellbar edlen Gewänder: ein knielanges, kimonoartiges Gewand aus schwarzem Stoff, verziert mit Goldstickereien und einem dunkelroten Rand. Dazu trug er eine weiße Hose und schwarze Stiefel. Sein langes weißes Haar kämmte er sich über die Schulter und flocht nur einen kurzen Teil davon, den Rest lies er offen herabhängen. Er seufzte, wandte sich von seinem wunderschönen Spiegelbild ab und schlenderte durch die unzähligen Schlossgänge zum Thronsaal. Er trat ohne anzuklopfen ein. Seine Mutter stand am Fenster und starrte auf die verschneite Märchenlandschaft herab. Sie sah traurig aus, unendlich traurig und Lalit erkannte an ihren Augen, dass sie die letzte Nacht hindurch geweint hatte. Als sie das Geräusch der sich öffnenden Türe hörte, warf sie nur einen flüchtigen Blick in diese Richtung. "Lalit? Guten Morgen, ich hoffe, du hattest eine angenehme Nacht", sprach sie mit tonloser Stimme. "Sicher. Und ihr, Mutter?" Spontan schien die Stimmung in dem prächtigen Raum noch eisiger zu werden als ohnehin schon. Lalit erschauderte unweigerlich über den Klang seiner eigenen Stimme. "Ich habe sehr gut geschlafen, und danke der Nachfrage." Du lügst, hätte Lalit am liebsten geschrieen, genauso wie ich gelogen habe. Zum Teufel mit dieser ganzen geheuchelten Höflichkeit!!! "Das freut mich..." murmelte er, ganz einfach deshalb, weil ihm nichts Besseres einfiel. "Ach ja, dein Großvater möchte dich sprechen..." Die Königin sah den jungen Weißhaarigen nicht an und sie merkte auch nicht, dass sich für den Bruchteil einer Sekunde ein Ausdruck von Panik auf seine Gesichtszüge legte. Schon im nächsten Moment hatte er sich jedoch wieder gefangen. "Soso, möchte er das..." "Ja, er wartet im kleinen Garten auf dich. Er trinkt dort seinen Tee. Und deinem Vater solltest du auch einen Besuch abstatten. Er liegt in seinem Bett... auf unserem Zimmer... ein Heiler ist stets bei ihm..." "Das werde ich danach machen..." sagte Lalit kalt. Und den Heiler kann ich dann wahrscheinlich gleich selber brauchen, fügte er in Gedanken hinzu. "Es lohnt sich nicht mehr, noch ein Frühstück zu mir zu nehmen... ich werde euch dann wohl erst beim Mittagessen wiedersehen..." Ohne eine weitere Verabschiedung verließ Lalit den Saal. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Hände zitterten. Der alte Mann saß auf einer schmiedeeisernen, mit kostbaren Ornamenten verzierten Bank. Zwei mit Rosen bestickte Seidenkissen sorgten für die nötige Bequemlichkeit. Der kleine Garten war von Wänden eingekreist, an denen sich zarte Rosen emporrankten, in einem kleinen Teich plätscherte eine Wässerfontäne. Glitzernde Fischchen kreisten in dem kristallklaren Nass umher. Trauerweiden säumten den Weg zu der kleinen Terrasse, auf der nun der alte Adelige seinen Tee einnahm. Mit seinem weisen Gesicht, dem langen Bart und dem fließenden roten Gewand war er auf eine seltsame Art und Weise wunderschön. Lalit trat schweigend neben die entspannt dasitzende Gestalt. Es dauerte eine Weile, bis sein Großvater seine Gegenwart bemerkte und aufblickte. "Lalit..." Der Weißhaarige zuckte beim Klang seines Namen unweigerlich zusammen. In den violetten Augen des alten Mannes flackerte ein Ausdruck von blankem, unverhohlenem Hass auf. Wie ein lauerndes Tier erhob sich der Bärtige und näherte sich seinem Enkel. Dann holte er mit einer blitzartigen Bewegung aus und schlug ein paar mal auf den jungen Weißhaarigen ein. "Seid mir gegrüßt, Großvater..." murmelte der und legte eine Hand auf seine schmerzende Wange. "Wie ich sehe, habt ihr euch kein bisschen verändert..." "Halt den Mund!" zischte der Alte. "Du weißt doch gar nicht, was du deiner Familie angetan hast! Deine Mutter hast du in tiefe Trauer gestürzt, deinen Vater jagst du in den Tod... was muss noch geschehen, damit du endlich zufrieden bist?" "Euer... Herz... bräuchte nur nicht mehr schlagen, Großvater, glaubt mir... dann wäre ich glücklich!" In den goldenen Augen des jungen Thronfolgers blitzte es. "Du..." Der immer noch unheimlich kräftige alte Mann verpasste dem Weißhaarigen einige weitere Faustschläge, bis diesem irgendwann die Beine nachgaben und er keuchend auf die Knie brach. "Sag, wie fühlt... ihr euch jetzt?" stieß Lalit hervor. Von seiner Lippe tropfte Blut und hinterließ rote Spuren auf seiner bleichen Haut. "Seht ihr es nicht? Ich bin längst ein erwachsener Mann, und ihr verprügelt mich wie einen Hund! Ihr seid so erbärmlich, Großvater..." "Wage es nicht, so mit mir zu reden!" Die Furchen im Gesicht des Alten bebten wie Felsklüfte bei einem Erdbeben. In seinen Augen stand bloße Abscheu. "Erwartet ihr... Respekt?" Der Weißhaarige stieß ein abfälliges Lachen aus. Schon im nächsten Augenblick fühlte er sich jedoch bei den Schulten gepackt und auf den Boden gedrückt. Der Bärtige setzte sich mit einer schnellen Bewegung auf seine Brust und hielt seine Arme fest auf die kalten Steinplatten gepresst. Lalit spürte mit einem Mal, wie ein lähmendes Gefühl von Panik seinen Körper befiel. Er war nicht mehr in der Lage, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen oder einen einzigen Ton über seine Lippen zu bringen. Er bemerkte gar nicht mehr, wie er unweigerlich zu zittern begann. "Respekt?" Der Alte lachte zufrieden. "Nein, Respekt verlange ich nicht von dir... ich bezweifle, dass du überhaupt, weißt, was das ist... so ein arroganter, selbstverliebter kleiner Mistkerl wie du es bist, Lalit... aber... wozu denn auch? Ich sehe... etwas viel Besseres... Angst! Du hast Angst vor mir, nicht wahr? Du wehrst dich nicht, weil du es nicht kannst... und weißt du was? Du wirst... dem Wunsch deines Vaters nachkommen, oder willst du etwa noch einmal davonlaufen?" Langsam erhob er sich, seine Lippen immer noch zu einem selbstgefälligen, boshaften Grinsen verzogen. "Jetzt sage mir, Lalit, wer von uns beiden... ist erbärmlich?" Mit nahezu gemächlicher Gelassenheit schlenderte der Bärtige den Steinpfad zurück zum Schlosseingang entlang. Ein fröhliches Pfeifen begleitete ihn. Lalit blieb regungslos auf der Steinterrasse zurück und schnappte nach Luft. Sein Blick war starr in den stahlblauen Himmel gerichtet. Kein Wölkchen trübte das Licht der strahlenden Wintersonne. Ein paar Vögel zwitscherten munter in den Bäumen. In den Ohren des Weißhaarigen klang ihr Lied wie das höhnische Echo seines pfeifenden Großvater. "Verdammt!" Lalit schlug mit der Faust auf den harten Boden und rappelte sich dann auf. Für einige Augenblick stand er keuchend und mit geschlossenen Augen da, dann schüttelte er den Kopf und betrachtete seine Hand. Seine Fingerknöchel waren aufgeplatzt, über seinen Finger rann warmes Blut. Der Weißhaarige zuckte mit den Schultern. Und wenn schon? Eine Verletzung mehr oder weniger machte jetzt auch keinen Unterschied mehr! Sein Vater würde ja ohnehin nicht danach fragen, selbst wenn er halb tot vor ihn kriechen würde... er wollte ihn nicht sehen. Er wollte nur noch raus aus diesem Schloss, weg von allen Menschen hier, von den entzückenden Gärten und der Pracht, der heuchlerischen Etikette und den Dienern, die es nicht wagten, ihn anzusehen, wenn er grün und blau geschlagen durch die Gänge lief. Der Wunsch seines Vaters... Er wollte nicht wissen, was sie nun wieder von ihm verlangen würden. Er hatte doch ohnehin keine Wahl. Und doch wusste er, sein Großvater hatte recht. Er konnte nicht schon wieder weglaufen. Er musste sich mit seinem Schicksal abfinden. Sein schöner Traum war endgültig vorbei, und je eher er jetzt aufwachte, desto schneller würde es aufhören zu schmerzen. Der Mann auf dem Bett sah unendlich alt aus. Beinahe kraftlos lag er in einem Berg aus edlen Decken und seidenen Kissen vergraben, seine Augen blickten müde hinaus aus dem großen Fenster. Er war zu einem stillen Beobachter geworden, nichts erinnerte mehr an den stolzen, schönen König vergangener Tage. Als Lalit die Türe zu dem prächtigen Schlafgemach öffnete, regte der Herrscher sich nicht einmal. "Vater... ich bin zurück", sagte der junge Weißhaarige leise. Der Blick seines Vater wandte sich langsam in seine Richtung. Das eingefallene Gesicht des Mannes blieb erschöpft und ausdruckslos. "Lalit... ihr seid zurückgekehrt..." In dem Tonfall seiner Stimme lies sich weder Hass noch Freude erkennen. Jedes Wort schien den sterbenden König unendliche Anstrengung zu kosten. "Ihr seht nicht gut aus, was ist geschehen?" Lalit wusste nicht, was er in dieser Situation sagen sollte. Was sollte er beim Anblick dieses todkranken Mannes denn auch empfinden? An jenem Tag, als er aus dem Schloss davongelaufen war, hatte er seinen Vater aus tiefstem Herzen gehasst und verachtet. In seiner ganzen Kindheit war ihr Verhältnis von Feindseligkeit und gegenseitiger tiefer Abneigung geprägt gewesen. Doch wenn er nun die bleiche Gestalt im Bett betrachtete, brachte er keine dieser Emotionen mehr zustande. Eine seltsame, herablassende Art von Mitleid stieg in ihm auf. "Ihre Majestät hatte schon immer ein schwaches Herz, Sir Lalit", mischte sich nun der grauhaarige Heiler ein, der auf einem Stuhl neben dem Bett saß. "Eine Grippe hat ihm außerdem schwer zugesetzt, aber ich versichere euch, wir alle tun unser Bestes!" "Dessen bin ich mir sicher... aber ich komme aus anderen Gründen, Vater. Ihr wolltet mich sprechen, nicht wahr?" "Ja... ich wünsche, mich mit euch... allein... zu unterhalten..." Er hob langsam einen Arm und deutete auf die Türe. Die Bewegung schien ihn große Anstrengung zu kosten, trotzdem erhob sich der Heiler sofort und eilte aus dem prachtvollen Zimmer. Lalit nahm an seiner Stelle auf dem Stuhl platz und blickte seinen Vater von oben herab an. "Ich höre?" "Seht mich nicht so an... ihr... wisst, mit eurem Verschwinden habt ihr... große Aufregung verursacht... es war... unverantwortlich..." Er hustete. "Ich kann euer Handeln nicht... gutheißen, vor allem eurer Mutter habt... ihr Unvorstellbares angetan... aber ich bin bereit, das Geschehene zu... zu vergessen..." "Wie gnädig!" Lalit warf seine Haare zurück. "Aber lassen wir doch diese... höflichen Floskeln, Vater, außer uns hört niemand dieses Gespräch und wir wissen beide, warum ich den Hof verließ. Wozu sollten wir Gefühle vortäuschen, wo keine existieren? Ihr wollt etwas von mir, also schleicht bitte nicht um das eigentliche Thema herum wie eine feige Katze... das ist verschwendete Zeit, die... in eurem Falle vielleicht kostbar sein könnte, meint ihr nicht?" "Rede nicht... so mit mir..." stieß der König in müdem Tonfall hervor. Lalit zog eine Augenbraue nach oben und verzog seine Lippen zu einem kalten Lächeln. "Es... scheint dich... glücklich zu machen, mich in... in diesem Zustand zu sehen... ja, das passt zu dir, Lalit..." Er schüttelte träge den Kopf. "Und doch muss... ich akzeptieren, dass du... den Thron dieses Landes besteigen wirst. Dazu brauchst du... eine Königin an deiner Seite... und es liegt an mir, diese Frau zu bestimmen..." "Heiraten, ja?" Der junge Weißhaarige starrte auf die Lichtbahnen, die durch die großen Fenster in das weinrote Zimmer fielen. Tanzende Staubkörnchen zauberten wirbelnde Muster in die weißen Strahlen der Wintersonne. "Ich soll den Frieden des Landes sichern, nicht wahr? Ja, euer Vater hat mir bereits davon erzählt... aber... ich... ich... vielleicht hätte ich ihm zustimmen sollen, mir scheint, es bleibt mir am Ende, doch keine Wahl... Welch Ironie des Schicksals!" "Was... redest du?" Der todkranke Herrscher hob seinen Kopf ein wenig. "Aber... du... du warst dir ja noch nie über deine Pflichten... im Klaren... wann wirst du wohl endlich begreifen, dass du... den Thron dieses Landes besteigen wirst? Du bist so... egoistisch..." Er stieß ein kurzes, abgehacktes Lachen aus. "In jedem Fall wirst du... Prinzessin Dalia Joanna Magnifica von Fuyubi zu deiner Frau nehmen... zum Glück herrscht auf beiden Seiten freudiges Einverständnis über diese Hochzeit..." "Oh ja, welch Freude!" Lalit stand auf. "Damit wäre alles geklärt... ich werde mich nun wieder zurückziehen, falls ihr es mir gestattet... möge es euch bald wieder... besser gehen." Der Weißhaarige wandte sich ab und verließ das Krankenzimmer, ohne seinem Vater einen weiteren Blick zu schenken. Er ließ die Ebenholztüre hinter sich ins Schloss fallen und atmete tief durch. Erst jetzt bemerkt er die große, hagere Gestalt des Heilers, der im Vorzimmer gewartet hatte. "Ich sehe, euer Gespräch ist beendet!" merkte der Mann trocken an. "So könnte man es sagen, ja..." Lalit blickte dem Grauhaarigen tief in die Augen und sah, wie dieser unter seinem eiskalten Blick erschauderte. "Solltet ihr euch nicht um ihre ehrenwerte Majestät kümmern? Er könnte zu Tode kommen, während ihr abwesend seid... wäre das nicht schrecklich?" "Sir Lalit!" Der Heiler starrte den jungen Thronfolger kopfschüttelnd an und suchte vergeblich nach einer Gefühlsregung in den unbewegten, unfassbar schönen Gesichtszügen des Weißhaarigen. "Blickt mich nicht so feindselig an!" Auf die Lippen des Kronprinzen legte sich ein kühles Lächeln. "Ich weiß, ihr mögt mich nicht, aber denkt bitte daran, wer bald dieses Land regieren wird! Ihr seid ein schlechter Heiler..." Lalit schüttelte den Kopf und stieß ein geringschätziges Lachen aus. "Hättet ihr sonst nicht schon längst bemerkt, dass ich verletzt bin? Und nun geht und pflegt den Sterbenden..." Er warf seine weißen Haare über die Schulter und schlenderte dann langsam den Gang zum Speisesaal hinab. Die Zeit lief ungerührt weiter und ließ die Tage im Schloss wieder zum gewohnten Alltag werden. Langsam fand Lalit in seinen gewohnten Rhythmus zurück. Er studierte die Geschicke des Landes, trainierte, ritt, kämpfte und betrachtete seine Umgebung mit unveränderlicher Gleichgültigkeit. Er lachte nicht, er weinte nicht, er rastete nicht aus. Sein wunderschönes Gesicht blieb stets kalt und emotionslos, nur manchmal stahl sich ein kühles, grausames Lächeln auf seine Lippen. Das Leben ging weiter, ohne große und erwähnenswerte Neuerungen mit sich zu bringen. Bis zu jenem regnerischen Frühlingstag. Zwei Gestalten waren in der Küche des Schlosses zusammengekommen. Sie trugen die einfachen Gewänder der Bediensteten, doch während einer der beiden Jungen den Kopf beschämt gesenkt hielt, stolzierte der andere stets mit einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen durch das Leben. "Wie... wie ist er... denn so?" fragte der Schüchterne vorsichtig. "Aaaach..." Der junge Diener zog eine Augenbraue nach oben. "Stell dir vor, du hast ein Stück Eis und das bekommt Arme und Beine, ja, das trifft's dann ungefähr..." "Oh nein..." "Nun kuck nicht so! Er wird dich schon nicht umbringen! Sei bloß froh, dass sie dich nicht zu seinem Vater geschickt haben!" "Wieso? Ist der etwa noch schlimmer?" "Sagen wir mal so: Sir Lalit kann ich nicht leiden, der König ist eine halbe Leiche... aber der ehemalige König... ach, der stiert einen immer so gierig an und manchmal versucht er, die Diener zu begrapschen... zumindest solche Hübschen, wie wir zwei es nun mal sind, du verstehst... aber das darf man sich einfach nicht gefallen lassen... Halb so schlimm!" "Ach, Rashid... Ich weiß nicht, ob ich das alles kann... ich bin noch so... verwirrt..." "Das... kann ich mir denken..." Auf Rashids Gesicht trat ein warmer, mitfühlender Ausdruck. Er blickte den neuen Diener mit seinen dunklen Augen sanft an. "Aber hab mal keine Angst, du packst das schon! Und wenn du Probleme hast... du kannst jederzeit zu mir kommen, OK?" "OK... Danke..." Mit traurigem, zu Boden gerichtetem Blick ging der Junge langsam von dannen. Er hatte keine Wahl. Er musste sich seinem neuen Herren vorstellen. Lalit schlenderte gedankenverloren durch die Gänge des Schlosses. Sein Blick war ins Nichts gerichtet, er achtete nicht auf seinen Weg und hatte auch gar keinen Grund dazu. Er strebte kein bestimmtes Ziel an, seine Füße trugen ihn wie von selbst an den großen, prachtvollen Wandgemälden vorbei, während draußen der fallende Regen ein sanftes, melancholisches Lied zu singen schien. Eigentlich war dies ein Tag wie jeder andere. Lalit hasste diese Frühlingsmonate. Obwohl er den Regen liebte, drückte der unstete, unentschlossene Wechsel von halbwarmer Sonne, nasser, ungemütlicher Kälte und schwüler Gewitterhitze auf sein Gemüt und ließ ihn stets in ein zielloses Grübeln verfallen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, während die ersten Pflanzenkeime in matschigem, braunem Schnee erstickt wurden. Plötzlich hörte der Weißhaarige ein Geräusch am Ende des Ganges. Er wusste selber nicht, warum er aufblickte. Eigentlich interessierte es ihn gar nicht, wer sich ihm da näherte... es war ja mit Sicherheit doch nur irgendein Diener oder einer dieser Heiler, die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Trotzdem sah er auf, nur für einen einzigen, flüchtigen Moment. Er erstarrte. Vor ihm stand ein Junge in der Kleidung eines gewöhnlichen Dieners. Er hielt seinen Kopf gesenkt, so dass ihm sein schulterlanges, pechschwarzes Haar wie ein Schutzschild vor sein hübsches Gesicht fiel. Das Auffälligste an seiner Erscheinung waren wohl seine Augen. Sie funkelten in einem so intensiven Türkisblau, wie man es sonst nur bei dem Eismeer an einem besonders sonnigen Tag sah. Lalit spürte, wie seine Hände zu zittern begannen und sein Herz anfing, wie wild zu schlagen. Das war doch nicht möglich! Fantasierte er jetzt etwa schon am helllichten Tag? Der Weißhaarige schloss seine goldenen Augen und zählte langsam bis zehn. Dann rannte er los und warf sich Kieran um den Hals. "Was hast du dir nur dabei gedacht?" Die Stimme des jungen Thronfolgers zitterte. "Warum bist du hier, du verdammter Idiot? Das... ist doch... Wahnsinn..." Er schloss seine Augen und presste seinen Kopf fest an den Hals seines Geliebten. In diesem Augenblick hatte er nur einen einzigen Wunsch, dass er dieses wundervolle Gefühl von Wärme und Nähe nie, niemals wieder hergeben müsste. "Oh ihr Götter... ich habe dich... so vermisst..." "Ich... ich..." Die Stimme des Schwarzhaarigen klang hilflos. "Ich verstehe nicht ganz..." "Was redest du da, du Dummchen?" Lalit lächelte und für einen Augenblick trat in seine Augen ein warmer Ausdruck. "Ich... ich liebe dich! Ich liebe dich so sehr! Jetzt... wird alles gut, mein Kieran..." Wieder drückte er den Körper des Jungen fest an sich und genoss das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Lalit war so versunken im Rausch der Wiedersehensfreude, dass ihm in diesem Augenblick noch gar nicht auffiel, dass der Schwarzhaarige wie angewurzelt dastand und es nicht wagte, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. "Ihr... ihr seid doch Sir... Lalit, nicht wahr?" wagte er es endlich, mit zittriger Stimme zu sprechen. "Bitte verzeiht, aber... ihr müsst mich verwechseln... ihr... aber wieso kennt ihr meinen Namen? Ich verstehe das einfach nicht!" Er begann, leicht und nahezu unmerklich zu zittern. "Kieran?" Lalit löste sich von dem jungen Schwarzhaarigen und sah ihm tief in die Augen. "Kieran, was redest du da? Wenn... wenn das ein Witz sein soll, dann kann ich nicht darüber lachen!" "Aber eure Majestät!!!" Kieran klang unendlich verzweifelt. In seinem Blick lag eine Mischung aus Verwirrung und Angst. "Kieran, wieso nennst du mich so? Wie redest du mit mir?" Der Weißhaarige schüttelte den Kopf. "Was ist hier überhaupt los? Wieso bist du hier, und... verdammt, was ist mit dir?" "Ich... ich..." Der Junge verbeugte sich tief. "Bitte verzeiht, eure Majestät, aber... ich bin erst seit heute hier! Ich soll euer Diener werden, da ihr... ihr ja bald König sein werdet und... es tut mir leid... ich weiß... ich weiß gar nichts mehr, ich..." "Was soll das heißen?!?" Lalit schrie nun beinahe. "Verdammt, wir lieben uns! Du hast mir versprochen, wir sehen uns wieder, du wartest auf mich, hast du das schon vergessen?!?" "Ich... ich habe alles... vergessen..." Er hob seinen Kopf nicht. "Als ich... vor etwa einem Monat erwachte... lag ich im Schnee und blutete aus einer Wunde am Kopf. Ich weiß, dass ich aus Silvania komme, aber nicht, warum ich hier bin und... ich... es tut mir leid, eure Majestät! Ich kann mich nicht daran erinnern, euch jemals zuvor gesehen zu haben!" "Eure Majestät! Eure Majestät, so blickt mich doch an, ich bitte euch!" Die Stimme des Heilers klang besorgt. Vergeblich bemühte er sich, die Aufmerksamkeit seines Patienten zu gewinnen. Langsam verzweifelte er an dieser Aufgabe. Seit Stunden saß der junge Thronfolger nun schon auf seinem Stuhl am Fenster und starrte hinaus auf den sanften Frühlingsregen. Die Bäume waren kahl und glänzten in einem nassen Schwarz, auf dem matschigen Boden hatte sich eine graue Brühe aus Schnee, Schlamm und Wasser gebildet. Ein paar einsame Krähen flatterten durch den grauen Schleier der Abenddämmerung. "Eure Majestät! Sir Lalit!" Der Mann seufzte und ließ seinen Kopf sinken. Dann drehte er sich herum und verließ den Raum. Mit einer Hand strich er sich durch seinen langen grauen Bart. Nur zögerlich trat er zu der schwarzhaarigen Königin, die an einem Fenster im Gang wartete und kopfschüttelnd die triste Szenerie betrachtete, die ihr die Natur an diesem Frühlingsabend zu bieten hatte. Erst als der Heiler sich leise räusperte, blickte sie auf. "Nun... wie... wie geht es ihm?" In ihrem Blick lag Verzweiflung. "Was hat er denn nur?" "Ich... ich muss gestehen, dass ich das nicht weiß, eure Hoheit..." Er blickte betreten zu Boden. "Ihre Majestät. Sir Lalit, scheint überhaupt nicht auf seine Umgebung zu reagieren... er scheint jedoch kein Fieber zu haben, im Gegenteil. Ich befürchte, dass er... aus irgendeinem Grund unter Schock steht. Daher... diese Apathie..." "Ein Schock? Das... das verstehe ich nicht!" "Ich weiß nicht, woher dieser Zustand kommt. Bei meinem Eintreten blickte Sir Lalit jedoch kurz auf und... murmelte irgendeinen Namen. So, als hätte er an meiner Stelle einen anderen erwartet." "Einen Namen? Was war das für ein Name?" "Ich glaube... Kira... oder Kieran... ich bin mir nicht ganz sicher..." "Kieran?" Die Königin legte den Kopf schräg. "Das ist seltsam... ich glaube mich zu erinnern, dass Sir Lalits neuer Kammerdiener diesen Namen trägt... aber wieso..." "Verzeiht, aber diese Frage kann ich nicht beantworten." "Was könnt ihr für ihn tun?" "Ich kann nichts für ihn tun, eure Majestät. Aber ihr solltet zu ihm gehen und versuchen, ihn zu beruhigen. Ich sage es noch einmal, er steht unter Schock. Er braucht jetzt jemanden, der ihn in den Arm nimmt." "Und ich soll... nein, das kann ich nicht!" "Eure Majestät, er ist euer Sohn!" "Ich kann das trotzdem nicht! Er wird... sich gewiss wieder beruhigen... ich bin mir sicher, er würde mich jetzt nicht sehen wollen!" "Vielleicht solltet ihr nach diesem Kieran schicken lassen..." "Ja, ja, das werde ich tun... vielleicht könnt ihr ihn holen gehen, ich... ich werde hier warten! Und beeilt euch!" "Selbstverständlich, eure Majestät!" Der Heiler verneigte sich und ließ die schöne Schwarzhaarige dann alleine auf dem Flur zurück. Sie seufzte tief und sah dann wieder aus dem Fenster. Und so kam es, dass ein vollkommen verwirrter Kieran nur kurze Zeit später vor der Herrscherin des Landes Belicia stand. Er verbeugte sich tief und wagte es nicht, zu der goldäugigen Frau hinaufzublicken. "Was wünscht ihr, eure Majestät?" Auch seine Stimme hielt der Junge gesenkt. "Dem Kronprinzen, Sir Lalit, geht es nicht gut." Sie sah weiterhin aus dem Fenster. "Eu... eurem Sohn? Das tut mir leid, eure Majestät!" "Weißt du vielleicht... etwas davon?" "Nein, eure Majestät!" Der Schwarzhaarige ballte seine Hände zu Fäusten. Nur zu gut war ihm das eigentümliche Verhalten des jungen Thronfolgers in Erinnerung geblieben, aber er wagte es nicht, der Königin etwas davon zu erzählen. "Der Heiler erzählte mir, Sir Lalit hätte deinen Namen gerufen. Was hast du dazu zu sagen?" "Ich..." Er biss sich auf die Lippe. "Ich weiß doch auch nicht, was das zu bedeuten hat, eure Majestät! Es... tut mir leid. Ich habe Sir Lalit heute schon einmal getroffen und ich glaube, nein... er glaubt wohl, mich zu kennen. Ich verstehe das nicht! Verzeiht, eure Majestät! Ich hoffe aus... aus tiefstem Herzen, ihre Majestät, Sir Lalit... ist nicht wegen mir... in einem schlechten Zustand... ich..." "Kennen? Woher?" Die goldenen Augen fixierten das hübsche Gesicht des Jungen, der unter dem prüfenden Tonfall der Königin unweigerlich zusammenzuckte. "Ich weiß es nicht, eure Majestät! Der Heiler sagte, ich... ich leide unter Amnesie... ich kann mich nicht erinnern, aber Sir Lalit meinte, dass er mich... dass wir... verzeiht, eure Hoheit!" Er fiel erneut in eine tiefe Verbeugung. "Erhebe dich, Kieran! Wo warst du, als man dich gefunden hat?" "Es war nur ein kleines Dorf... ich glaube, es hieß... Cecaya, eure Majestät!" "Cecaya? Dann..." Ein nachdenklicher Ausdruck trat auf ihr schönes Gesicht. "Ein Soldat hat mir von einem Jungen erzählt, der bei Sir Lalit gewesen ist, als... man ihn in ebendiesem Dorf gefunden hat. Anscheinend bist du... das gewesen." "Das mag sein, eure Majestät... aber ich weiß nichts mehr davon..." "Es... ist wohl besser so!" Sie holte tief Luft und wandte sich dann ab. Als sie ihren Kopf drehte und zu dem Jungen zurückblickte, hatte dieser seinen Blick immer noch nicht erhoben. "Seid so gut und seht nach Sir Lalit. Mag sein, dass er auf eure Anwesenheit nicht reagieren wird... wenn doch, sagt ihm, er soll sich ausruhen und teilt mir dies dann mit." "Selbstverständlich, eure Majestät!" Kieran verneigte sich noch ein wenig tiefer und wartete, bis die schlanke Gestalt der jungen Königin hinter einer Biegung des Ganges verschwunden war. Dann holte er tief Luft und wandte sich dem Zimmer des Kronprinzen zu. Das Herz des Dieners schlug ihm bis zum Hals, am liebsten wäre er auf der Stelle davongelaufen. Schlimm genug, dass ihm ein Teil seines Gedächtnisses, so viele kostbare Erinnerungen geraubt worden waren... jetzt wurde er auch noch in so eine heikle Angelegenheit mit hineingezogen! Ausgerechnet der Thronfolger Belicias war davon überzeugt, dass sie sich geliebt hatten... er und solch ein Adeliger, wie konnte das denn überhaupt sein? Er kannte diesen wunderschönen jungen Mann doch gar nicht! Was sollte er denn jetzt nur tun? Er fühlte sich furchtbar hilflos und von der ganzen Situation einfach überfordert. Warum nur musste das alles ihm passieren? Ängstlich und zögernd öffnete er die dunkle Ebenholztüre zu dem Zimmer des Kronprinzen. Der Raum war in bedrückende Dunkelheit getaucht, nur vom Fenster fiel ein schwaches, graues Licht herein und warf bleiche, verschwommene Schatten auf den edlen Fußboden und die weißen Wände. Inmitten dieses Halbdunkels ruhte eine unbewegt dasitzende Gestalt auf einem Stuhl aus pechschwarzem Holz und starrte hinaus in den warmen Regen. "Eure... Majestät?" Kieran flüsterte beinahe. Seine Hand lag noch auf dem schmiedeeisernen Türgriff. Er hielt den Atem an. "Ki... Kieran?" Unendlich langsam, nahezu wie in Zeitlupentempo, wandte Lalit seinen Kopf und sah den Schwarzhaarigen an. Sofort senkte dieser seinen Blick. "Eure... eure Mutter hat mich zu euch geschickt... wie fühlt ihr euch, eure Majestät?" "Du... du bist gekommen..." In die gebrochenen Augen des jungen Thronfolgers trat ein schwaches Leuchten. "Kieran, warum siehst du mich denn nicht an?" "Verzeiht, eure Majestät..." Kieran fühlte sich zunehmend unwohler. Die graue Dunkelheit in dem prachtvollen Zimmer bedrückte ihn auf eine seltsame Art und Weise, die er nicht beschreiben konnte. Und vor allem machte ihm das Verhalten Sir Lalits Angst. "Kann ich irgendetwas für euch tun?" "Kieran... warum?" "Eure Majestät..." "Nein! Schweig, sofort!" Mit einem Mal trat ein Ausdruck von Wut auf das Gesicht des Weißhaarigen. Sein Atem ging schneller. Kieran wich unweigerlich einen Schritt zurück. "Warum nennst du mich so? Warum wagst du es nicht, mich anzublicken? Ich habe mich doch nicht verändert, siehst du das denn nicht? Du redest, als wärst du nur ein einfacher Untertan... und... und ich dein grausamer Herrscher! Warum tust du das?" "Ich bitte euch, eure Majestät... ich bin... ich bin nur ein einfacher Diener, nicht mehr!" "Sag so etwas nie wieder! Wenn... wenn du so mit mir reden möchtest, dann... geh!" "Aber..." "Geh! Lass mich endlich alleine!" "Wie ihr wünscht, eure Majestät..." Verängstigt und eingeschüchtert eilte der Junge aus dem finsteren Zimmer hinaus auf den Gang. Er wusste nicht, was er der Königin jetzt sagen sollte. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte. In Gedanken verfluchte er den Tag, an dem er an den Königshof gekommen war. Doch jetzt war es zu spät, um noch davonzulaufen. "Willkommen am Hofe!" Der Regen hatte längst schon wieder aufgehört. Der strahlend blaue Mittagshimmel hing wie ein leuchtendes Seidentuch über den verschneiten Ebenen Belicias. Die Sonne ließ all jene Stellen, die noch mit einer weißen kalten Decke überzogen waren, glitzern wie tausend Splitter gesprungenen Glases. Mitten in dieser märchenhaften Landschaft stand ein weißes Schloss, das seine unzähligen Türmchen dem wolkenlosen Himmel entgegenstreckte. Und auf den Hof dieses wie verzaubert wirkenden Palastes fuhr langsam eine prächtige Kutsche ein. Der Anblick des Gefährtes war nahezu atemberaubend. Das Holz war weiß gestrichen und an jeder nur erdenklichen Stelle mit einer Vielzahl von funkelnden Juwelen besetzt. Die Speichen der Räder blitzten bei jeder Umdrehung hundertfach auf, das Dach war aus kostbarer, rotvioletter Seide gefertigt. Gezogen wurde dieses beinahe unwirklich scheinende Gefährt von zwei feingliedrigen Schimmeln, deren zierliche Hufe rhythmisch auf dem steinernen Weg klapperten. Der Kutscher zügelte die schönen Tiere und die Märchenkutsche hielt an. Eilig lief ein Diener herbei und öffnete eine der diamantenbesetzten Türen. Zunächst stieg eine Bedienstete aus, deren helle Wangen vor Aufregung gerötet waren. Sie war kein sonderlich hübsches Mädchen, hatte ein eher grob geschnittenes Gesicht, aber auch einen absolut ehrlichen und aufrichtigen Blick. Sie mochte nicht besonders intelligent sein, auf jeden Fall aber loyal und treu untergeben. Hastig streckte sie eine Hand in das Innere der Kutsche aus und half einem jungen Mädchen heraus. Ihr schlanker Körper war in ein kostbares Gewand gehüllt, der tiefe Ausschnitt des samtenen Oberteils mit Juwelen besetzt. Ihre Taille wurde durch ein enges Mieder zusammengeschnürt, darunter breitete sich ein weiter, schneeweißer Rock mit einem transparenten Überwurf bis weit auf den Boden hinab aus. In ihrer noch freien Hand hielt sie einen Fächer. Ihr Haar hatte die Farbe von hellem Blond, was sie zu einer sehr exotischen Schönheit machte, ihre Augen glitzerten in einem hellen Blau. Beim Anblick des Schlosses wirkte sie weder überwältigt noch erstaunt. Ihre rosafarbenen Lippen verzogen sich zu einem höchst zufriedenen Lächeln und sie wandte sich hoch erhobenen Hauptes der bereitstehenden Dienerschaft zu. "Welch entzückender Anblick!" Ihr reizendes Stimmchen klang hell und rein wie das Leuten eines kleinen Glöckchens. "Es ist uns eine besondere Freude, euch am Hofe willkommen zu heißen, Prinzessin Dalia Magnifica von Fuyubi!" "Die Freude ist ganz und gar meinerseits!" "Selbstverständlich werdet ihr auf der Stelle zu ihrer Majestät, Königin Amaya und ihrem Sohn, ihrer Majestät, Sir Lalit gebracht werden!" "Es ist mir ein Vergnügen!" Sie ließ ein zuckersüßes Lachen erklingen und warf den Kopf zurück. "Ich bin höchst erfreut darüber, den Palast von innen zu betrachten. Schließlich werde ich in nicht allzu ferner Zukunft hier leben und dieses Land regieren... aber was rede ich? Komm, Carlynne, gehen wir!" Der ganze Hof war in Aufruhr. Endlich, nach so langer Zeit des Wartens, war jener bedeutende Abend gekommen, an dem das Willkommensfest der zukünftigen Königin Belicias stattfinden sollte. In allen Sälen brannten die diamantgeschmückten Kronleuchter, überall hingen die Banner von Belicia und Fuyubi, in der großen Halle des Schlosses hatten sich zahllose Menschen eingefunden, zu einem großen Teil natürlich Adelige, aber auch Scharen von Dienern, die alle Gäste nach Leibeskräften bedienten und bewirteten. Ein kleines Orchester spielte vergnügte, leichtfüßige Tanzmusik, ein nahezu gigantisches Buffet lud zum Essen und Trinken ein. Im Mittelpunkt der Feier stand selbstverständlich ein junges Paar, das von allen Seiten beglückwünscht und bewundert wurde. Beide waren sie unbestritten wunderschön, zusammen konnte man die beiden Königskinder nur noch als atemberaubend beschreiben. Er, der Kronprinz mit dem kalten, aber dennoch engelsgleichen Gesicht und den langen weißen Haaren, sie, ein durch und durch bezauberndes, puppenhaftes Geschöpf mit dem Benehmen einer wahren Prinzessin. Gemeinsam bildeten sie ein Paar, so unglaublich schön, dass keiner der Gäste müde wurde, es anzublicken. "Es ist ein solch wundervolles Fest!" lachte Dalia mit ihrem Kinderstimmchen, als die beiden zukünftigen Herrscher sich für einen kurzen Augenblick von dem Trubel zurückziehen konnten. "Mag sein..." Lalit zuckte mit den Schultern. "Ich frage mich nur, ob es denn einen Grund gibt, zu feiern..." "Aber..." für einen Augenblick wirkte die Blonde irritiert. "Selbstverständlich gibt es den! Solch ein zauberhaftes Kennenlernen muss doch auch gefeiert werden, oder meint ihr nicht?" "Sicher..." Der Blick des Thronfolgers war eiskalt. "Ein überaus wichtiger Augenblick für unsere Länder und all unsere Untertanen." "Oh, aber Sir Lalit! Ihr redet, als ob dieses Glück nicht auch euer eigenes Empfinden wäre!" Die Bewegungen ihres Fächers wurden hastiger, fahriger und wirkten mit einem Mal nervös. Ihre zarten Lippen öffneten sich leicht, ihre großen hellblauen Augen blinzelten unentwegt. Dieser Anblick gespielter, überzogener Ratlosigkeit ließ für einen Augenblick das Gefühl von Hass in dem jungen Weißhaarigen aufsteigen. Er wandte seinen Blick von ihr ab. "Ich denke, ihr habt mich verstanden, Lady Dalia. Aber denkt nicht darüber nach. Selbstverständlich ist heute ein zauberhafter Abend. Genießt ihn, ich bitte euch. Ihr werdet an diesem Schloss regieren... ihr werdet hier leben... so nutzt die Zeit, euch an diesen Ort zu gewöhnen!" "Das ist mit Sicherheit nicht nötig!" Dalia lächelte. "Es ist ein wunderschönes Schloss. Aber nun... lasst uns tanzen! Die Gäste warten auf uns!" Der Abend verlief weiterhin genauso prächtig und ausgelassen, wie er begonnen hatte. Irgendwann jedoch hatte auch diese Feier ein Ende und so verließen die entzückten Gäste das Schloss, die Dienerschaft machte sich ans Abräumen und das junge Prinzenpaar zog sich erschöpft auf ihre Zimmer zurück. Doch trotz seiner Müdigkeit lag Lalit in dieser Nacht noch lange wach und blickte aus seinem Fenster hinaus in den sternenklaren Nachthimmel. Der Mond hing wie eine riesige, silbrig glänzende Sichel in dem Meer aus winzigen Leuchtpunkten und tauchte die Nacht in ein sanftes, unwirkliches Licht. Dies war also die Frau, mit der er den Rest seines Lebens verbringen würde. Dalia war unbestritten eine Schönheit. Sie war höflich, wusste sich zu benehmen. Sie... sie war ein Püppchen. Eine zuckersüße Marionette, eine Prinzessin wie sie im Buche stand. Eines jener märchenhaften Geschöpfe, wie kleine Mädchen sie sich erträumten, sie beneideten. Es war klar: Er würde regieren, sie würde repräsentieren. Aber dennoch, sie war eine Traumfrau, sie war perfekt, ach, es würde an ein Wunder grenzen, wenn auch nur irgendjemand irgendeinen winzigen Fehler an ihr entdecken könnte. Er hasste dieses Mädchen. Lalit konnte nicht einmal wirklich sagen, warum, aber der Gedanke, mit dieser Kindfrau zusammenleben, das Land beherrschen... irgendwann auch Kinder kriegen zu müssen, erschien ihm unerträglich. Oder war es nur, weil er sie einfach nicht liebte und auch niemals lieben könnte? Er wusste es nicht. Und eigentlich war es auch egal. All seine Gedanken, all seine Grübeleien waren überflüssig. Er würde sie heiraten. Es war keine Frage, es war eine Tatsache und alles war bereits fest und endgültig beschlossen und festgelegt. Und je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, warum sein Vater ausgerechnet sie ausgewählt hatte. "Eure Majestät, geht es euch nicht gut?" Lalit zuckte zusammen und blickte auf. Für einen Augenblick umfing eine tiefe Wärme seine trüben Gedanken und zauberte nur für den Bruchteil einer Sekunde ein Lächeln auf sein emotionsloses Gesicht. Vor ihm stand ein ihm nur allzu gut bekannter Diener mit schulterlangem, pechschwarzem Haar und funkelnden türkisfarbenen Augen, die jedoch wie immer demütig zu Boden gerichtet waren. "Mir... natürlich geht es mir gut, Kieran", erwiderte Lalit sanft. "Wie sollte es anders sein?" "Oh... verzeiht... heute ist ja eure Hochzeit, eure Majestät." "Genau..." Lalits Blick schweifte wieder gen Fenster. Der Frühling hatte außergewöhnlich warme Temperaturen mit sich gebracht. In den königlichen Gärten blühten Kirschbäume, die Erde war mit einem zartrosafarbenen Blütenteppich bedeckt. "Ihr... habt mich rufen lassen, eure Majestät?" "Ja, du sollst mir beim Anlegen der Festgewänder behilflich sein." "Selbstverständlich!" Kieran verneigte sich leicht und machte sich augenblicklich ans Werk. Das war allerdings leichter gesagt als getan - Lalits Hochzeitsgewand war ebenso prächtig wie aufwändig, und so hatte der junge Diener seine liebe Mühe, all die Schnallen und Verschlüsse an der kunstvollen Rüstung genau an der richtigen Stelle zu verschließen und anzubringen. Über das tiefblaue Hemd des jungen Thronfolgers zog er einen blitzenden Brustharnisch aus reinem Silber, er legte ihm kriegerisch anmutende, jedoch über und über mit prächtigen Ornamenten verzierte Armschienen an und streifte ihm ebenfalls reich mit Silberschmuck verzierte, hohe schwarze Stiefel über die schneeweiße Hose. Das kimonoartige, etwa knielange Oberteil aus dunklem petrolfarbenen Samt hielt er mit einer Vielzahl kostbarer Gürtel zusammen. Zuletzt legte er Lalit einen langen - und wie er schnell feststellen musste auch ziemlich schweren - weißen Umhang um die Schultern und verschloss ihn mit einer prächtigen Silberschnalle. "Mein Haar werde ich für diesen Anlass offen tragen," ordnete Lalit mit sanfter Stimme an. Seine Augen waren gefangen von dem in tiefer Konzentration versunkenen Gesichtsausdruck seines jungen Dieners. "Natürlich, eure Majestät!" Kieran trat hinter den zukünftigen Bräutigam und begann vorsichtig, Strähne um Strähne seines schneeweißen Haares zu kämmen, bis es ihm wie ein seidiger Vorhang bis weit über die Hüften hinab den Rücken bedeckte. Dann machte er sich schüchtern daran, das schulterlang geschnittene Haar, das Lalits schönes Gesicht einrahmte, noch ungleich vorsichtiger mit den silbernen Zinken des Kammes zu durchfahren. "Kieran?" Lalit Stimme klang ein wenig abwesend. Er blickte den schwarzhaarigen Jungen nicht mehr an. Seine Augen fixierten die zarten Wolkenkolonnen, die sich träge durch das azurblaue Meer des Frühlingshimmels zogen. "Was habt ihr, eure Majestät?" "Heute ist doch meine Hochzeit..." Der Weißhaarige legte den Kopf schräg. "Ja, aber... aber natürlich! Stimmt etwas nicht, eure Majestät?" "Das sollst du mir sagen, Kieran." "Ich?!?" Der junge Diener blinzelte irritiert. Auf seine Wangen trat ein Hauch von Röte. Er wagte es nicht, den Blick auch nur um einen einzigen Millimeter zu heben. "Ver... verzeiht! Ich meine... wie... wie meint ihr das, eure Majestät?" "Nun, wenn heute meine Hochzeit ist... müsste ich dann nicht glücklich sein? Oder wenigstens ein klein wenig aufgeregt?" Lalit legte eine Hand an Kierans Kinn und hob vorsichtig seinen Kopf ein kleines Stück an. Der Schwarzhaarige stieß ein leises, erschrockenes Keuchen aus. Sein Blick entfloh den kalten goldenen Augen des jungen Kronprinzen. "Ich... ich weiß nicht... seid... seid ihr das etwa nicht?" Das Herz des Dieners schlug ihm bis zum Hals. Er hasste diese Momente, in denen er sich so schrecklich hilflos fühlte und einfach nicht wusste, was er sagen sollte. Warum tat Sir Lalit immer solche Dinge, und das ausgerechnet an diesem unheimlich wichtigen Tag? Er wusste doch nicht, welche gemeinsamen Erinnerungen sie irgendwann einmal verbunden hatten. Jetzt war er nicht mehr als ein einfacher Bediensteter und Sir Lalit stand kurz vor der Hochzeit, die ihn endgültig zum Thronerben machen würde. "Ich fühle mich ganz so wie immer. Ist das nicht seltsam?" Lalit spürte, wie Kieran unter seinen Fingern leicht zu zittern begann. Er zog seine Hand zurück und erhob sich. "Wahrscheinlich wird sich das noch ändern. Sehe ich dem Anlass angemessen aus?" "Aber selbstverständlich!!!" Kieran sprang hastig auf die Füße und trat vor den jungen Kronprinzen hin. Er musterte ihn scheu von Kopf bis Fuß, dann nickte er eifrig. Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. "Ihr seid wunderschön, eure Majestät!" "Wirklich?" Lalit trat langsam auf den zierlichen Jungen zu. "Du findest mich schön?" "Natürlich, eure Majes..." Weiter kam Kieran nicht, denn im nächsten Augenblick hatte der Weißhaarige ihn an sich gezogen. Der Junge riss seine türkisfarbenen Augen weit auf und starrte an die kahle weiße Wand vor ihm, deren Farbe beinahe der bleichen Haut des jungen Thronfolgers glich. "Eure... eure Majestät... bitte... ihr tut mir weh..." "Das... das tut mir leid, Kieran, ich..." Der Griff des schönen Kronprinzen lockerte sich ein wenig. Dafür ließ er nun seinen Kopf auf die Schulter des Kleineren hinabsinken und verharrte regungslos in der unerwiderten Umarmung. "Eure Majestät, ihr solltet... ich meine, die Zeremonie... man erwartet euch..." "Ich weiß." Lalit vergrub seinen Kopf zwischen dem pechschwarzen Haar des jungen Bediensteten. "Ich möchte sterben..." "Eure Majestät..." "Ist gut!" Sanft löste sich der Weißhaarige von dem bebenden Körper des Jungens. Auf seinen Lippen lag ein schwaches Lächeln, dass jedoch von dem tieftraurigen Ausdruck in den goldenen Augen Lügen gestraft wurde. "Ich werde erwartet. Natürlich." Der junge Thronfolger wandte sich ab. Als er die Ebenholztüre durchschritt, war die emotionslose Kälte auf sein Gesicht zurückgekehrt. Der Schlosshof hatte lange kein solches Fest mehr gesehen. Alle Bäume trugen neben der natürliche Zierde ihrer zartrosafarbenen Kirschblüten unzählige glitzernde Girlanden und kostbare Schmuckstücke, die das Sonnenlicht tausendfach reflektierten und jeden noch so kleinen Ast wie ein unvorstellbar wertvolles Edelsteingebilde aussehen ließen. Ein tiefroter, mit silbernen Ornamenten geschmückter Teppich führte vom Ebenholztor des Schlosses bis in den Park hinein. An seinem Ende war ein Podest errichtet, auf dem ein silberner Altar noch heller strahlte und funkelte als das Licht der Sonne und aller Bäume zusammen. Vier scharlachrote Kerzen brannten auf seinen vier Ecken und weinten dicke Tropfen aus Kerzenwachs auf die reich verzierten Silbertäfelungen der geweihten Kostbarkeit. Auch viele der anwesenden Gäste vergossen Tränen - allerdings lag das vielmehr an der Rührung über das ganz offensichtlich perfekte Glück des zukünftigen Königspaares. Die Menschenmassen, die den Weg zum Altar hin säumten, waren an und für sich schon eine Augenweide, so prachtvoll hatten sich vor allem die Damen für das große Ereignis herausgeputzt. Ein Kleid war kostbarer als das andere, Wasserfälle von Samt und Seide ergossen sich auf den rosafarbenen Blütenteppich. Hier und dort verschaffte ein reich bestickter Fächer Kühlung vor der Mittagshitze. Auch die stattlichsten Herren ergriffen die Hände ihrer Angetrauten, bewegt von den Erinnerungen an die eigene Hochzeit, die neben dem einmaligen Schauspiel dieses warmen Frühlingstages beinahe verblasste. Doch all der Schmuck konnte nicht mit der unglaublichen Schönheit des jungen Hochzeitspaares konkurrieren. Während der junge Prinz in unvorstellbar kostbare und prächtige Gewänder gehüllt war, trug die exotisch anmutende Prinzessin lediglich ein Hauch von Nichts auf ihrer porzellanfarbenen Haut. Der transparente Stoff, der nahezu jeden makellosen Zentimeter ihres perfekten Körpers zeigten, ließ trotz des eher schlichten Schnittes selbst die aufwändigsten Prunkkleider jedes noch so schönen weiblichen Gastes schlichtweg verblassen. Nur die nötigsten Stellen wurden von schneeweißem Stoff bedeckt, und dennoch wirkte die blonde Schönheit mit ihrem endlos langen Schleier so unschuldig und rein wie kein anderes Wesen es jemals sein könnte. Ihre Lippen trugen die Farbe der Kirschblüten, ein sanftes, gütiges Lächeln ließ ihr Gesicht engelsgleich wirken. Die Miene des Prinzen war unbewegt, so kalt, dass er beinahe wie eine unfassbar schöne Statue einer jungen Göttin wirkte. Sein schneefarbenes Haar schimmerte in der Sonne wie der kostbarste alle Stoffe. Er hielt die Hand seiner zukünftigen Gemahlin in seiner eigenen. Mit langsamen, andächtigen Schritten gingen sie auf den Altar zu. Die königliche Würde schien sie wie eine greifbare Aura zu umgeben. Ein Alter Mann mit langem, schneeweißem Bart und einem über und über mit Silberfäden und blauen Juwelen bestickten Priestergewand empfing das Paar am Ende des samtenen Teppichs. Er sprach die heiligen Worte der Hochzeitszeremonie in leisem, andächtigem Tonfall, trotzdem konnte auch der letzte Gast sie noch verstehen. Die Menge hielt den Atem an. "Unter dem Segen der Liebesgöttin Estellah, reicht mir eure Hände und empfangt das heilige Band der Ehe. Möge das silberne Licht des Mondes bis ans Ende eurer Tage über euch wachen, dass dieses Band niemals zerreißen möge." Lalit und Dalia streckten ihre ineinander gelegten Hände nach vorne, als der Priester der Liebes- und Mondgöttin seine lange Rede mit jenen bedeutsamen Worten schloss, die das junge Paar für immer aneinander binden sollten. Der alte Mann nickte bedächtig, dann wandte er sich dem silbernen Altar zu und hob ein breites Stoffband auf, auf dessen glatter Oberfläche das Sonnenlicht ein Farbspiel von tiefem Dunkelblau zu intensivem Türkis zauberte. Ineinander verschlungene Ornamente neben langen Zeilen längst vergessener Runen zierten den glänzenden Stoff. Der Priester schlang das Band um die Hände des unfassbar schönen Prinzenpaares. Seine Finger zitterten leicht. In seinen Augen lag ein ehrfürchtiges Leuchten. "Ihr seid nun Mann und Frau, verbunden im Leben und im Tode." Für einen Moment herrschte vollkommene Stille auf dem riesigen Festplatz. Selbst die Vögelchen in den Bäumen, das Rauschen des kaum spürbaren Windes in den reich geschmückten Ästen schien in dieser Sekunde zu verstummen, so als hielte die Zeit den Atem an. Dann brach das tosende Gejubel los. Die Menge war kaum noch zu halten, sie schrie dem frisch vermählten Paar aus vollem Halse ihren einstimmigen Glückwunsch entgegen, während die beiden vom heiligsten aller Bünde verbundenen Engel einen vorsichtigen Kuss austauschten. In diesem Augenblick waren auch die kältesten Gemüter bewegt, so unwirklich schön war der Anblick dieser durch und durch perfekt scheinenden Menschen, die schon bald den Thron des Landes Belicia besteigen würden. Wem sollte es da noch auffallen, dass in den Blicken des Paares nicht ein Hauch von Liebe lag? Die Nacht war spät hereingebrochen über dem weißen Palast von Lanthaya. Ein ausgelassenes Fest hatte die finstere Stille mit Lachen, Schwatzen und heiterer Musik erfüllt. Tausende von Lampions hatten den Garten erhellt und die glitzernden Bäume in ein kirschblütenfarbenes Sternenmeer verwandelt. Der Strom der begeisterten und zutiefst gerührten Gratulanten hatte nicht enden wollen, ebenso wenig wie die zahllosen Speisen und Getränke auf den langen, in Tiefblau und Silber gehaltenen Festtafeln. Lalit war der Abend endlos erschienen. Als sich dann jedoch endlich die letzten Gäste auf ihre Zimmer im Schloss oder in ihre Häuser und Herbergen unten in der Stadt zurückgezogen hatten und nur noch rastlose Dienerscharen zwischen den blühenden Bäumen umherzogen, um wieder für Ordnung zu sorgen, fühlte er sich wie aus einem langen Traum erwacht. Erst jetzt, als er müde und erschöpft durch die Gänge des Schlosses zu dem gemeinsamen Zimmer für diese besondere Nacht trottete, wurde ihm deutlich bewusst, dass er den ganzen Tag neben sich gestanden hatte. War das alles wirklich passiert? Die prunkvolle Hochzeit, die jubelnde Menge... das meeresfarbene Band der Liebe, dass ihn an den zarten Arm dieses wundervollen Porzellanpüppchens kettete... Er schüttelte den Kopf und blickte an sich hinunter. Hatte ihm denn tatsächlich schon ein Diener beim Ablegen seiner schrecklich schweren Festgewänder geholfen? Er konnte sich kaum noch daran erinnern. Das ganze unerträgliche Fest und alles, was danach noch passiert war, schien hinter einer dichten Nebelschicht verborgen zu sein. Der Weißhaarige seufzte tief. Warum konnte diese Nacht nicht einfach schon vorbei sein? Er wusste, was ihn jetzt erwartete. Er wusste es auch schon, bevor er die Türe des Brautzimmers durchschritt und die feingliedrige Schönheit auf dem mit weißen Samt überzogenen Bett sitzen sah. "Lalit?" Ihre Stimme klang mit einem Mal erwachsener als sonst. Jede ihrer Bewegungen wirkte beinahe schon aufgesetzt lasziv, ihr Körper war nur noch von einem durchsichtigen kurzen Spitzenhemdchen bedeckt. Lalit sah ihr nicht in die Augen, als er die Türe hinter sich verschloss und sich dann langsam auf dem Bett niederließ. "Leg dich hin, Dalia," murmelte er und starrte auf den rosafarbenen Teppich zu seinen Füßen. Seine Farbe glich der zarten Schicht der gefallenen Kirschblüten unten im Schlosspark. "Du kannst es wohl gar nicht mehr erwarten, Schatz!" Dalia kicherte. Der junge Thronfolger konnte am Rascheln der Bettwäsche erkennen, dass seine Frau sich tatsächlich hingelegt haben musste. Langsam öffnete er das türkisfarbene Band seines knielangen Kimonos und ließ sich den nachtblauen Stoff von den Schultern gleiten. "Warum lässt du dir dann so viel Zeit, mein Liebster?" "Spar dir diese lächerlichen Namen!" Lalit blickte sich immer noch nicht um. Stattdessen spürte er, wie ihm langsam eine Hand durch sein langes Haar fuhr und dann über den Rücken hinabglitt. Gegen seinen Willen begann er leicht zu zittern. "Was ist denn los?" Dalia richtete sich mit einem unwilligen Seufzen wieder auf. Im nächsten Augenblick jedoch klang ihre Stimme wieder so verführerisch und sanft wie zuvor. "Hast du etwa Angst?" "Ich habe keine Angst, verdammt noch mal!" Die Stimme des jungen Thronfolgers klang herrischer, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Die Bewegung von Dalias Fingern brach ab. Lalit wandte seinen Blick über die Schulter dem Bett zu. Er sah, dass die blonde Prinzessin ihre Hand zurückgezogen hatte und sich auf die weiche Matzratze zurückfallen ließ. Sie räkelte ihren zarten Körper und blickte Lalit aus halb geschlossenen Augen an. "Du liebst mich nicht!" Ihre Stimme glich der eines beleidigten Kindes. "Du weißt doch genauso gut wie ich, dass wir nicht aus freien Stücken geheiratet haben!" Lalits Finger zeichnete zusammenhangslose Linien auf die glänzende Oberfläche der schneefarbenen Bettdecke. "Wir sind Königskinder. Wir haben nicht das Privileg, aus Liebe heiraten zu dürfen." "Denkst du, ich weiß das nicht?" Dalia richtete sich mit einem Ruck auf. In ihre hellblauen Augen trat ein wütendes Funkeln. "Du bist der Thronerbe, ich bin nur die Zweitgeborene, ein Mädchen. Mein Schicksal ist es, einen zukünftigen König zu heiraten, um das Land meiner Eltern politisch zu stärken. Und dein Schicksal ist es, eine Prinzessin zur Frau zu nehmen und einen Thronfolger zu zeugen!" "Vielen Dank für die Belehrung!" Lalits Lippen verzogen sich zu einen kalten Lächeln. "Wie mir scheint, hätte mein Vater lieber seinen besten Zuchthengst auf den Thron gesetzt. Der hätte sich wenigstens nicht beschwert..." "Warum sagst du solche Dinge?" Die Prinzessin packte Lalit von hinten bei den Schultern. Ihre Unterlippe hatte zu zittern begonnen. "Du bist so kalt zu mir..." "Bin ich das? Verzeih!" Der junge Weißhaarige wandte seinen Blick von ihr ab. "Du hast es vielleicht nicht begriffen, aber mein Vater wählte dich nicht nur aus, um das unsichere politische Verhältnis zwischen Belicia und Fuyubi zu sichern - dann hätte er mich eher mit der Prinzessin von Phoenicia verheiraten müssen. Nein, du..." Er drehte sich ruckartig zu dem zierlichen Mädchen um und strich ihr mit einer Hand durch das hellblonde Haar. "Du bist meine Frau geworden, weil dein Haar und deine Augen so hell sind. Deine Eltern haben beide blondes Haar, ist es nicht so? Man weiß jedoch, dass sich dieses Aussehen in den seltensten Fällen vererbt... mein Vater möchte ganz sichergehen, weißt du? Nicht, dass es noch einmal so eine Missgeburt im Stammbaum der Isaiah-Familie gibt, wie ich es bin!" "Lalit..." "Halt den Mund!" Jedes einzelne Wort aus dem Mund des weißhaarigen Kronprinzen traf seine frisch vermählte Frau wie ein eisiger Pfeil. "Ist das nicht ein großartiges Gefühl, meine liebste Dalia? Du wurdest ausgewählt wie ein Pferd auf dem Viehmarkt!" "Hör auf damit!" Dalia schnappte nach Luft und verpasste dem jungen Thronfolger eine schallende Ohrfeige. Ihre Hand bebte. "Wie leicht du es dir machst! Lässt deine ganze Wut an mir aus! Schön, wir sind verheiratet, aber du gibst dir ja nicht einmal Mühe, ein kleines bisschen nett zu mir zu sein! Was bezweckst du damit? Diese Verbindung wird nicht wieder aufgelöst werden..." "Wie zärtlich du bist..." "Spar dir diese Sprüche!" Auf das puppenhafte Gesicht der schönen Prinzessin hatte sich ein Schatten von Hass gelegt. Ihre Lippen verzogen sich zu einem boshaften Lächeln. "Du hältst mich anscheinend für vollkommen dumm und blind, aber das bin ich nicht! Sag, Lalit, würdest du mich liebevoller behandeln, wenn ich schwarzes Haar hätte und mich als Diener vor dir auf den Boden würfe?" "Was redest du da?" Lalit spürte, wie sich ihm eine eiskalte Hand in den Nacken legte. Er packte Dalia am Arm und zog sie ein bisschen näher zu sich hin. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihre Gesichter. Die hasserfüllte Feindseligkeit in ihren Blicken lag wie etwas Greifbares zwischen ihnen im Raum. "Soll ich jetzt Angst kriegen? Ich denke doch, du weißt nur allzu gut, wovon, oder besser gesagt, von wem ich rede. Meinst du etwa, mir ist nicht aufgefallen, was zwischen dir und deinem Hündchen vor sich geht?" "Wage es nicht, so von ihm zu reden!" Der Weißhaarige verstärkte seinen Griff. Dalia zuckte merklich zusammen, aber das Lächeln auf ihrem Gesicht blieb. "Zwischen Kieran und mir läuft überhaupt nichts! Und überhaupt, woher willst du das wissen?" "Meine treue Carlynne hat mir so einiges erzählt. Halte mich nicht zum Narren! Du liebst den Jungen, auch wenn er diese Gefühle offensichtlich nicht erwidert - aber wie auch? Würde irgendjemand einen herzlosen Eisberg wie dich lieben?" "Du weißt nicht, wovon du sprichst!" "Es interessiert mich auch nicht!" Dalia löste sich aus Lalits Griff und schlang ihm die Arme um den Hals. Ihre Lippen hauchten einen zarten Kuss auf die des jungen Thronfolgers. "Du bist mein Mann, verstehst du das? Ob es dir passt oder nicht, wir sind jetzt vereint durch das Band der Liebe und schon bald..." In ihre Stimme trat ein sanfter Ausdruck, der nicht zu dem boshaften Funkeln in ihren Augen passte. "Bald wird die Frucht unserer Liebe in mir heranwachsen. Du wirst diesen schrecklichen Jungen nicht mehr sehen!" "Ach nein?" Lalit packte seine Frau mit einer plötzlichen Bewegung an den Schultern und presste sie auf die weiche Matratze ihres Bettes. Er beugte sich mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen über sie, bis er ihren Atem in seinem Gesicht spüren konnte. "Und wie bitte möchtest du das verhindern?" "Wie ich es verhindern möchte?" Ihre zarten Lippen begannen zu zucken. Im nächsten Augenblick stieß sie ein beinahe hysterisch klingendes Kichern aus. "Aber Sir Lalit, ich sehe, ihr überschätzt euch! Ich kann es nicht glauben. Wisst ihr, was in mir vorging, als ich euch das erste Mal sah? Ich war das glücklichste Mädchen des ganzen Planeten, weil ihr alle meine Erwartungen bei weitem übertraft. Ihr seid der schönste Mensch, den ich jemals gesehen habe, das denke ich auch jetzt noch. Aber inzwischen weiß ich, dass ihr gleichermaßen auch der herzloseste seid..." "Ich weiß immer noch nicht, was du mir mit diesen Worten sagen willst." "Nun, ich ahnte schon vor unserer Hochzeit, wie ihr euch verhalten würdet. Deshalb habe ich vorgesorgt und bereits alles mit eurer Mutter und ihrer geschätzten Majestät, dem ehemaligen König, abgesprochen. Wir werden dieses Schloss verlassen!" "Du beliebst zu scherzen!" Lalit stieß ein humorloses, überhebliches Lachen aus. "Warum sollten wir dieses Schloss denn bitteschön verlassen? Dies ist deine zukünftige Heimat und wir werden in Kürze hier regieren." "Ja, das werden wir!" Ihr Kichern wurde noch ein wenig schriller, dann verstummte sie und legte eine Hand in Lalits Nacken. "Aber bis dahin, Sir Lalit, werden wir uns auf dem Schloss meiner Familie aufhalten. Und zwar so lange, bis ich unseren Nachfolger unter dem Herzen tragen werde. Nun, was sagt ihr dazu? Die Kutsche steht schon bereit. Wir können jederzeit aufbrechen." "Warum weiß ich nichts davon? Das... das kann doch nicht sein! Hör auf, dich über mich lustig zu machen!" "Aber Sir Lalit, sehe ich da etwa einen Anflug von Entsetzen auf eurem Gesicht? Ich fühle mich geehrt. Dies ist die erste Gefühlsregung, die ihr mir gegenüber jemals gezeigt habt! Wie es scheint, mache ich Fortschritte!" "Warum tust du das, Dalia? Erwartest du etwa, dass ich dich auf diese Art und Weise lieben werde?" "Nein, Lalit, das erwarte ich nicht! Wir haben ein ganzes Leben lang Zeit, uns zu verlieben, hörst du? Du bist jetzt mein!" Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Sanft befreite sie sich aus Lalits erstarrtem Griff und zog seinen Kopf auf ihre Brust herab. "Sagte ich es nicht, mein Liebster? Du wirst diesen Jungen nie, nie mehr wiedersehen!!!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)