All you need is Love von caramel-bonbon (OS-Sammlung) ================================================================================ Der Gehängte ------------ Leise vor sich hin fluchend sammelte Rei die Scherben auf. Sie verstreuen sich über den ganzen hellen Boden seiner Küche. Darauf bedacht, dass ja kein Splitter sich in seine Handflächen bohrten, kroch er auf Händen und Knien, um auch wirklich nichts zu übersehen. Für die kleineren holte er den Handstaubsauger. Er hatte sich aber auch wirklich ungeschickt angestellt. Das lag eigentlich überhaupt nicht in seinem Naturell und doch konnte er es sich nicht verübeln. In letzter Zeit fand er sich immer wieder selbst absolut abwesend und tief in Gedanken versunken in seinem Appartement vor, mitten im Raum stehend und ins Leere starrend. Er war in Gedanken versunken und doch gelang es ihm nicht, einen zu fassen. Er drehte sich im Kreis, er kam nicht weiter, steckte fest. Und das nur wegen dieser einen kleinen Aktion. Es war selbstverständlich für ihn, einen Freund noch mit in seine Wohnung zu nehmen, ihm etwas zu Trinken anzubieten, umso überraschter war er gewesen, dass Yuriy abgelehnt hatte. Es war das erste Mal, dass er nicht mitkommen wollte und Rei musterte ihn aufmerksam. Er hatte ihn schon oft angesehen, doch noch nie zuvor so aufmerksam und was er sah, stimmte ihn nachdenklich. Yuriys Blick war matt und zwischen seinen Augenbrauen bohrten sich Grübchen in die Stirn. „Hey, alles in Ordnung?“, frage er vorsichtig, er kannte ihn, er wusste, dass er nicht gerne redete, besonders nicht über Gefühle. Doch Yuriy wich seinem Blick aus. Da wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte. Abrt wie lange ging das schon so? Yuriy war noch nie ein Mensch gewesen, der über seine Sorgen sprach, doch wenn ihm etwas nicht passte, schreckte er nicht davor zurück, es seinem Gegenüber brutal an den Kopf zu werfen. Aber so, so hatte er ihn noch nie gesehen. Er hatte zwar noch nie so etwas wie Lebensfreude ausgestrahlt, doch seit Rei ihn kennengelernt hatte, hatte er noch nie einen solchen Ausdruck in seinen Augen gesehen. Ehrlich besorgt hob er eine Hand und legte sie ihm auf die Schulter, sah ihn abwartend an. Mit Fragen würde er Yuriy nur noch weiter vertreiben. Ihn noch tiefer in seine Höhle zurückscheuchen. Doch Yuriy drehte sich unter seiner Berührung weg, schüttelte seine Hand ab. „Es ist nichts.“ ‚Blödsinn’, wollte Rei entgegnen, er konnte daraus doch deutlich hören, dass da etwas war, es deutlich sehen. Doch wieso erst jetzt? Er fühlte sich plötzlich schuldig, er nannte sich sein Freund, doch er hatte nicht gesehen, dass der andere litt, dass ihn etwas bedrückte. Er biss sich auf die Unterlippe. Was sollte er denn tun? Yuriy hatte sich noch nie so vehement dagegen gesträubt, ihm etwas zu erzählen, denn wenn es etwas gab, das ihn beschäftigte, war das mit zwei kurzen Sätzen abgehackt gewesen. Aber jetzt, jetzt kam es ihm so vor, als wäre er der Quell seines Übels, es war die einzige Erklärung, wieso Yuriy nicht mit ihm redete. „Yuriy, was immer es ist, du kennt mich“, versuchte er, ihn doch noch zu überzeugen. Vielleicht, wenn er nur stur genug blieb, konnte er seinen Widerstand brechen. Rei hatte immer von sich gedacht, ein unglaublich toleranter Mensch zu sein, er hatte sich immer gegen die vorherrschenden Vorurteile gesträubt, auch damals, als man ihm gesagt hatte, dass ein Umgang mit Yuriy ihm nicht gut täte, immer, immer wollte er sich seine eigene Meinung bilden können. Diesen Prinzipien war er immer treu gewesen. Doch er hatte sich selbst betrogen. Er machte sich Vorwürfe deswegen. Es hatte den einzigen Menschen, der ihn ihm Moment mehr brauchte als alles andere, im Stich gelassen. Es machte ihn fertig. Er konnte nicht mehr denken, seine Gedanken kreisten nur um das, was er getan hatte. Doch er wusste noch immer nicht, wie er es hätte besser machen können, nur, dass er es hätte besser machen sollen, doch in diesem Moment war einfach alles über ihm zusammengestürzt, er war verwirrt gewesen, etwas abgeschreckt, zugegeben, aber das Schlimmste war, dass er sich selbst irgendwie nicht mehr gespürt hatte. Er hätte sich anders verhalten müssen. Yuriy war ihm immer wichtig gewesen, wieso also hatte er ihm das angetan? In Yuriys eisblauen Augen blitzte irgendetwas auf. Rei konnte nicht sagen, was es war, doch es gefiel ihm nicht. Es machte ihn nervös. Wann genau war das passiert, wann genau hatten sie sich so sehr voneinander entfernt? Ein trockenes, sarkastisches Lachen ließ ihn verwundert aufhorchen. Yuriy hatte sich an die Stirn gefasst und die Augen geschlossen. Rei verstand es nicht, was bedeutete dieser Ausdruck auf seinem Gesicht? Plötzlich schweifte sein Blick zurück zu ihm und seine Augen blitzten auf, eine unausgesprochene Frage lag darin. Rei schluckte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, weswegen er einfach seinem Instinkt folgte. Noch selten hatte er damit falsch gelegen. Mit einem kurzen Schritt stand er genau vor ihm, schlang die Arme um den etwas in sich eingesackten Körper, schloss ihn in eine Umarmung. Doch Yuriy zuckte zusammen. „Was... tust du da?“, fragte er und seine Stimme klang irritiert und heiser. „Dich umarmen“, entgegnete Rei schlicht. „Warum?“ Was war das in seiner Stimme? Dieser kleine Funken? „Weil ich es für richtig halte.“ Yuriy schluckte. Er war noch nie umarmt worden. Einfach so. Doch es fühlte sich so gut an, so warm, so zart. Seine Lider fielen zu und er konnte Rei riechen, beinahe auf der Zunge schmecken, er fühlte die Wärme, die er ausstrahlte. Sein Herz flatterte. „Du sagst, ich kenne dich?“, flüsterte er. Er war nervös, seine Handflächen schwitzten, seine Finger zitterten, in seinem Bauch zog sich alles zusammen. Rei schob ihn von sich und blickte ihn an. „Das tust du“, war er sich sicher. Rei krallte sich die Hände an den Kopf, in die Haare, presste sich die Daumen an die Schläfen. Er war sich sicher gewesen. Doch offensichtlich war es umgekehrt überhaupt nicht so. Es war das Letzte gewesen, was er von ihm erwartet hätte, und doch kam er sich schlecht vor, weil er so reagiert hatte, so gegen seine Natur, so überhaupt nicht wie er selbst. Er hätte es besser machen müssen, egal wie, einfach anders, besser, nicht für sich selbst, für Yuriy. Rei stöhnte frustriert auf, er kam einfach nicht weiter. Er brauchte eine Lösung. Sollte er etwa zu Yuriy gehen? Doch was, wenn dieser ihm einfach die Türe vor der Nase wieder zuschlug? Genauso war Yuriy. Und er hatte sich nicht wie jemand aufgeführt, der es verdient hätte, von ihm hineingebeten zu werden. Anrufen kam nicht infrage, einen Anruf würde er gekonnt ignorieren. Und wenn er einfach wartete? Schließlich würden sie sich zwangsläufig wieder sehen. Aber nein, das war unfair. Und Rei hatte sich seiner Meinung nach schon unfair genug verhalten. Aber was, was sollte er denn tun? Noch nie war er in so einer Situation gewesen, noch nie hatte er sich so machtlos gefühlt, so von Unwissen und Zweifel gefesselt. So schwach. Es kam völlig überraschend, als Yuriy ihn plötzlich an den Schultern packte und ihm seinen Mund aufdrängte. Einen Moment wusste Rei nicht, wie er darauf reagieren sollte, doch sein Körper war schneller, reflexartig schubste er Yuriy weg. Sein Kopf wurde überflutet von Fragen. Was? Warum? Wieso? Seit wann? Doch was sich am prägendsten in sein Gedächtnis brannte, war Yuriys Blick. Zurückgestoßen, abgewiesen, verletzt, gespickt mit dem Wissen, dass es genauso hatte kommen müssen. Rei starrte ihn sprachlos an. Wartete, hoffte, dass Yuriy irgendetwas sagen würde. Eine Erklärung, eine Entschuldigung wenn es nötig war, einfach irgendwas, was diese plötzliche Distanz zwischen ihnen überbrücken würde. Doch es kam nichts. Yuriy drehte sich einfach um und ging. Und Rei blieb wie angewurzelt stehen und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sein Verstand schrie, dass er ihm hinterher rennen sollte, doch seine Füße bewegten sich keinen Millimeter. Wie konnte er nur so dumm gewesen sein. Er hatte Yuriy gehen lassen. Und doch hatte er sich zuerst selbst damit abfinden müssen, sich im Klaren darüber werden, wie er darüber dachte. Über eine Woche grübelte er schon darüber nach. Doch gebracht hatte es nichts. Er drehte sich lediglich in einem Kreis aus Selbstvorwürfen, Zweifel und Unwissen. Kurz war sogar der Gedanke aufgeflackert, den Kontakt zu Yuriy komplett abzubrechen, aber er hatte ihn sofort wieder verworfen. Schließlich mochte er den Russen, auch wenn seine Art manchmal etwas dreist und praktisch immer ungehobelt und direkt war. Und schließlich war er immer ehrlich zu ihm gewesen, er hatte ihn gefragt und Yuriy hatte ihm die Wahrheit Preis gegeben. Doch fühlte er genauso, wie Yuriy es tat? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er sich Sorgen um ihn machte, sich fragte, wie es ihm ging, auch wenn er sich sicher war, dass er es bereits verdrängt hatte und es überspielen würde, wenn sie sich das nächste Mal sähen. So war Yuriy eben. Andererseits hatte er auch immer für das gekämpft, was er wollte, wenn er es denn wirklich wollte. Es klingelte schrill an der Tür und Rei schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er erwartete niemanden, außerdem war es bereits Abend. Als er die Tür öffnete, war es ihm, als ob es eigentlich gar niemand anderes hätte sein können als er. Yuriy stand vor der Tür, an den Türrahmen abgestützt und seine eisblauen Augen sahen ihn intensiv durch die ungemachten Haare, die ihm ins Gesicht fielen, an. Rei öffnete den Mund, wollte irgendwas sagen, doch Yuriy hob die Hand, würgte ihn ab, bevor überhaupt ein Laut seine Lippen hätte verlassen können. „Vergiss, was ich getan habe. Es war ein Fehler. Mir ist bewusst, dass ich dadurch unsere Freundschaft zerstört habe, also fühl dich nicht gezwungen, dich weiterhin mit mir abzugeben.“ Die Worte tröpfelten langsam in Reis Verstand. Viel zu langsam. Denn bevor er das letzte Wort überhaupt richtig aufnehmen konnte, drehte sich Yuriy um und ging. Schon wieder. Doch diesmal wusste er es besser. Mit wenigen großen Schritten hatte er ihn eingeholt und hielt ihn am Ärmel fest. „Warte!“ Unzufrieden blickte Yuriy ihn an. Er hatte alles gesagt, was er sagen wollte und hatte keine Lust, unnötig mehr Zeit mit ihm zu verbringen. „Bitte“, sagte Rei mit zitterndem Nachdruck. Er blieb stehen und blickte ihn mit einem Ausdruck an, der an eisiger Härte kaum zu überbieten war. Rei schluckte. „Was?“, fragte Yuriy und seine Stimme ließ Rei vor Kälte erschaudern. Er wusste noch immer nicht, was er sagen sollte, stattdessen zog er ihn mit in die Wohnung und mit sich auf das Sofa. Er wusste zwar nicht, wie er es anstellen musste, doch er wollte ihn nicht verlieren. Yuriy war ihm wichtig. Er blickte ihn an, musterte Yuriys Gesicht, die gerade Nase, die eleganten hohen Wangenknochen, die langen Wimpern. Das feuerrote Haar, das ihm bis zu den Schultern, ihm vorwitzig ins Gesicht fiel. Natürlich blieben Reis Blicke nicht von Yuriy unbemerkt. Er schluckte, als er fühlte, wie sein geistiger Widerstand langsam unter dem aufmerksam musternden Blick des anderen anfing zu bröckeln, er hatte sie einfach zu wenig gut aufgebaut, die Mauer, in die er sich eingesperrt hatte. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass er hier enden würde. Hier, in dieser Situation, die alles zunichte machte, was er sich überlegt hatte. Sein Plan war nicht aufgegangen. „Was denkst du?“, fragte er schließlich. „Ich... weiß es nicht. Ich kann nicht mehr denken. Es ist alles so...“ Frustriert seufzend brach Rei ab und endlich traute sich Yuriy, ihn anzusehen. Er drehte den Kopf und traf genau auf Reis Augen, in deren Bernstein sich Zweifel widerspiegelten und er fühlte sich plötzlich unglaublich schwach in dessen Gegenwart. Keine unangenehme, körperliche Schwäche, sondern eine sanfte Haltlosigkeit, seinen Gefühlen einfach nachzugeben, ihn zu berühren. Er drehte sich auf dem Sofa gänzlich zu ihm, zog ein Bein auf das Polster und legte den Kopf schräg in die Hand, mit dessen Arm er sich auf der Rückenlehne abstützte und blickte ihn einfach nur an. Reden war noch nie seine Stärke gewesen. Zuhören zwar auch nicht, aber da Rei gerade ohnehin nicht fähig war, viel zu sagen, war das kein Problem. Rei schluckte, als Yuriy ihn so offensiv ansah und blickte unsicher zurück. „Ich-“, begann Rei unsicher, wurde jedoch von Yuriy unterbrochen, ehe er ein weiteres Wort herausbrachte. „Hör endlich auf nachzudenken“, sagte er und es klang etwas vorwurfsvoll, „ich bin wohl in der beschisseneren Lage als du!“ „Was erwartest du denn von mir, Yuriy? Was?“ Rei sah ihn an, nicht wütend oder genervt, sondern ehrlich verzweifelt. „Schalt einfach mal deinen Kopf aus“, seufzte der Rotschopf und ließ sich etwas mehr gegen die Rückenlehne des lindgrünen Sofas sinken. In Reis Kopf rotierte es. Den Kopf ausschalten? Nicht mehr denken? Einfach handeln und damit das Risiko eingehen, den anderen womöglich damit zu verletzen? Rei setzte sich kerzengerade auf und blickte auf Yuriy hinunter. Es gab da etwas, was ihn nicht mehr losließ. Etwas, was so flüchtig gewesen war wie die Berührung eines Schmetterlingsflügels, so leicht wie eine Frühlingsbrise, doch so bedeutungsschwer wie ein Hurricane. Er hatte nicht aufhören können an die Lippen zu denken, die seine berührt hatten. So kurz, so anders. Der Kuss. Der kurze, versuchende Kuss, eine stumme Liebeserklärung. „Ich soll... Einfach tun, ohne zu denken?“, fragte er zäh, vorsichtig, mit trockenem Hals. Ein bestätigendes Nicken, wenn auch nur ein kleines und Rei beugte sich etwas weiter vor. „Dann... Dann küss mich nochmal.“ Es war nicht Yuriy, der sich seinem Gesicht näherte und die Distanz zwischen ihnen überbrückte. Es war auch nicht Yuriy, der seine Lippen zaghaft auf die anderen legte. Und es war nicht Yuriy, der leicht aufseufzte, als sich ihre Lippen berührten. Yuriy saß einfach nur da und rührte sich nicht. Es war ihm egal, ob es eigennützig von ihm war, dass er Rei die Führung überließ, er hatte diese Lippen einfach schon zu lange spüren wollen, als dass er jetzt irgendetwas tat, was den anderen womöglich zurückschrecken ließ. Er wollte, dass Rei es war, der sich selbst bis zum Äußersten jagte, sich ihm hingab. Rei wusste gar nicht, wie ihm geschah. Natürlich hatte er schon Erfahrung mit küssen, aber noch nie fühlte er sich während eines so zaghaften Kusses so schwindelig. Es kribbelte in seinem Bauch und es schnürte ihm die Luft ab. Vorsichtig, tastend bewegte er die Lippen gegen Yuriys, öffnete sie ganz leicht, um an seiner Unterlippe zu ziehen. Es fiel Yuriy immer wie schwerer, sich zurückzuhalten. Dieser Kuss war so unschuldig, so süß, wie noch kein anderer es jemals gewesen war, doch gerade jetzt durfte er sich keinen falschen Schritt erlauben, zu nah stand er am Rand des Abgrunds. Ganz sachte, als könnten sie beide daran zerbrechen, löste sich Rei von Yuris Lippen. Er traute sich nicht, die Augen zu öffnen, die ihm zugefallen waren, kaum dass sie sich berührt hatten, traute sich nicht, weil er womöglich etwas sehen würde, was ihn panisch reagieren ließ. Er hatte seinen Freund geküsst, er hatte dessen Gefühle ausgenutzt, hatte ihn benutzt. Doch der berauschende Nachgeschmack des Kusses hallte in seinem ganzen Körper nach und verdrängte diese Gedanken. „Wow“, hauchte er, die Augen noch immer geschlossen, ganz nah an Yuriys Gesicht und sein warmer Atem streifte seine Wange. Warum sagte er nichts? Ganz langsam, nervös wegen dem, was er womöglich sehen würde, öffnete er die Augen und als er in diese eisblauen Iride blickte, die so viel Wärme und Zuneigung ausstrahlten, wie er es noch nie bei ihm gesehen hatte, da überkam ihn eine Welle voller erschaudernder Glut. Warum nur hatte er so lange gewartet? Wieso hatte er so lange versucht zu widerstehen, wo ihm doch jetzt so klar wurde, wie nutzlos jeglicher Widerstand war. Rei fühlte eine kühle Hand im Nacken, die ihn bestimmt nach vorne zog und ein Paar warmer Lippen, die Besitz von ihm ergriffen. Und ja, ja er wollte sich fallen lassen, er wollte versuchen, sich daran zu gewöhnen, es schön zu finden, es zu vermissen. Er wollte versuchen, sich auf eine Beziehung einzulassen. Mit allem, was kommen würde. Der Mond -------- Mit gekräuselten Lippen piekte sich Ming-Ming in den Bauch. Sie hatte zugenommen. Ausgerechnet sie, die immer so pingelig auf ihre perfekte Figur geachtet hatte. Ausgerechnet sie hatte aus Frust reihenweise Schokolade gegessen, hier ein Muffin, da ein Keks, dort eine Tüte Gummibärchen. Nur das normale Essen, das ihr regelmäßig auf den schlichten weißen Porzellantellern vor die Nase gestellt wurde, konnte sie nicht mehr anrühren. Ihr schnürte es die Kehle zu, ihr Magen drehte sich beim bloßen Anblick einer Mahlzeit um. Sie fühlte sich elend und schuldig, dass sie trotzdem Süßkram in sich hineinstopfte. Aber Schokolade vertrieb ihren Unmut, ihre Verzweiflung und die zuckrigen und kunstvoll verzierten Cupcakes zauberten ihr ein kleines Lächeln auf die Lippen. Sie spendeten ihr Trost, vertrieben ihre Frustration und ihre Selbstzweifel für eine Weile. Wenn auch nur für eine kurze Weile. Seufzend zog sie sich ihr Nachthemdchen über den Bauch und der kleine Fettansatz verschwand hinter dem luftigen Stoff. Es war ein Albtraum, doch sie war selbst schuld. Sie hätte mit jemandem darüber reden können, mit Garland zum Beispiel, ihrem besten Freund und Mitbewohner, doch nein, nicht einmal ihm getraute sie es anzuvertrauen. Zu groß war ihre Angst, wie er darauf reagieren würde, mit Abneigung, mit Ekel, vielleicht sogar mit Ablehnung. Sie hatte Angst, dass sie ihre Freunde verlieren würde, wenn das ans Licht käme, was die anderen über sie denken würden, wenn sie davon wüssten. Sie gab sich immer selbstbewusst und stark, doch sie fühlte sich einfach nur elend schwach und unsicher, ahnungslos trieb sie in ihrem Zweifel und der Frustration. Sie hatte es sie nie eingestehen wollen, doch sie war angewiesen auf die Meinung anderer. Schon immer war sie darauf bedacht, es anderen recht zu machen, sie wollte immer allen gefallen und tat deswegen viel, was sie normalerweise unterlassen hätte und tat noch mehr nicht, auf das ihr Naturell unglaubliche Lust gehabt hätte. Noch nie hatte sie etwas getan, was andere abgeschreckt hätte. Doch in letzter Zeit hatte sich etwas in ihren Kopf geschlichen, das sich einfach nicht mehr abschütteln ließ, dessen sie nicht gelang zu ignorieren. Und sie hatte Angst, wie die anderen reagieren würden, nicht nur ihr bester Freund, nein, einfach alle. Garland hatte sie einmal darauf angesprochen, es musste bereits drei Wochen her sein, hatte sie gefragt, was sie denn bedrücke, doch sie hatte nur abgewinkt und mit einem gezwungenen süßen Lächeln den Kopf geschüttelt. Wie hätte sie es ihm sagen sollen, wenn sie selbst doch nicht im klaren darüber war, was sie fühlte? Sie hatte nur gewusst, dass es da etwas gab, das nicht sein sollte. Doch jetzt, jetzt wusste sie genau, was es war. Und trotz der Angst wollte sie sich fallen lassen, wollte sie sich ihrer Sehnsucht hingeben, alleine in der Nacht, die andere Person im Unwissen lassend, was sie fühlte, was sie dachte, dass sie sich nach ihr verzehrte, und nur in Anwesenheit des Mondes, der ihrer verbotenen Lust einziger Zeuge war. Sie schämte sich beinahe, als sie unter der Decke ihr Hemdchen hochschob, sich selbst zart über die Brust streichelte, ihre Brustwarzen sanft umkreiste und sich vorstellte, dass es nicht ihre eigenen Hände waren, die sie begehrend berührten, die sich unter ihr Höschen schoben. Leicht öffnete sich ihr roter Mund, als sie die warmen Hände spürte, die sie zärtlich streichelten, die schmalen Finger, die über ihre prallen Brüste fuhren, die weichen Lippen, die sich ihren Hals entlang küssten, das Schlüsselbein, die nasse Zunge, die ihre Brustwarzen reizten. Sie gab sich hin, seufzte wohlig, spreizte die Beine, als sie spürte, wie die Hände danach verlangten und keuchte auf, als eine vorwitzige Zunge sie in Ekstase zu bringen begann, sie langsam auf den Gipfel ihrer Lust trieb. Unterdrückt stöhnend krallte sie ihre Hände in das pinke Haar ihrer Gespielin, kniff die Augen fest zusammen, das Gesicht ins Kissen gedreht, das ihre Laute einfing. „Mao“, keuchte sie, als das Mädchen sie über die Klippe getrieben hatte und sie mit ihren gelben Mandelaugen triumphierend anlächelte, sich über die Lippen leckte. „Oh Mao.“ Es war nichts weiter als ein verzweifeltes Seufzen, das durch den Raum drang, nichts weiter als ein Ausdruck ihrer Einsamkeit und ihrer Sehnsucht, dessen Tränen im Kissen erstickten. Sie hätte nicht sagen können, wann sie schließlich eingeschlafen war, doch als sie am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich elend. Unausgeschlafen und beschämt und schmutzig. Mao war eine Freundin von ihr, ein Mädchen, wie konnte sie das also tun, was sie immer wieder, Nacht für Nacht, tat? Ungläubig fasste sie sich an den Kopf und fuhr heftig zusammen, als ihr Handy auf dem Holz ihres Nachttischs laut vibrierte. Als sie sich von ihrem Schreck zusammengerissen hatte, langte sie nach dem Mobiltelefon und hielt es sich über das Gesicht. ‚Mao’ stand da, hinter ihrem Namen ein Herzchen und auf dem Bildschirm das Foto, das sie von ihr gemacht hatte, als sie einmal einen Tag am Strand verbracht hatten, ihre Augen funkelten in der Sonne und ihr Haar leuchtete in sattem Pink, ein freches Grinsen auf den vollen Lippen und die Brüste von ihrem Bikini zusammengedrückt. Ihr Herz setzte einen Moment aus und sie vergaß beinahe zu atmen, als sie dieses Bild betrachtete und um Himmels Willen, sie konnte nicht verhindern, dass sich schon wieder erotische Szenen vor ihrem inneren Auge abspielten. Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf das Handy, unfähig, sich zu rühren. Erst, als es aufhörte zu vibrieren, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Sie seufzte und tippte auf Rückruf. „Ming-Ming!“, hörte sich gleich darauf auf der anderen Seite der Leitung. „Entschuldige, dass ich nicht abgenommen habe, ich bin erst gerade aufgewacht“, rechtfertigte sie sich sogleich. „Wie, jetzt erst?“, hörte sie die ungläubige Stimme ihrer Freundin, was sie dazu bewegte, auf ihren Wecker zu schauen. Er zeigte bereits nach ein Uhr an. „Warst du etwa doch noch alleine aus, gestern?“ „Nein, nein, ich habe mich wohl nur etwas zu tief in mein Buch vertieft, da ist es halt ziemlich spät geworden“, log sie. „Hm, ach so, okay, na dann scheinst du es aber dringend gebraucht zu haben. Das Ausschlafen mein ich.“ „Kann sein.“ „Hast du trotzdem Lust, etwas zu unternehmen? Wir gehen nachher noch auf den Rummelplatz, komm doch mit, ist schließlich Sonntag!“ „Hm, ich weiß nicht“, überlegte Ming-Ming laut. Sie hatte keine große Lust auf Rummel und schon gar nicht auf Maos Freunde. Und sie fühlte ein kleines Ziehen in ihrer Brust, eine kleine Angst, ihr unter die Augen zu treten. „Ach komm schon, das macht bestimmt Spaß!“, versuchte Mao sie trotzdem zu überreden. „Ich überleg es mir. Aber sei mir nicht böse, wenn ich nicht komme“, gab Ming-Ming schließlich ihrem Betteln mehr oder weniger nach, doch eigentlich war es für sie beschlossene Sache, dass sie unter keinen Umständen dorthin gehen würde. Dachte sie, als sie planlos durch die Straßen lief, ihr Weg sie aber genau in eben diese Richtung führte. Sie wusste selbst nicht, wieso sie schließlich doch noch aufgestanden war und sich angezogen hatte, obwohl sie eigentlich lieber den ganzen Tag im Bett herumgelümmelt wäre und sich Filme angesehen hätte. Und jetzt führten sie ihre Füße genau an den Ort, den sie um alles in der Welt hätte meiden wollen. Dort wo Mao war. Sie wollte nicht. Aber sie wusste in letzter Zeit sowieso nicht, was sie wollte. Sie war hin und her gerissen gewesen zwischen Mao sehen und Mao meiden. Die Furcht hatte sie schließlich dazu getrieben, ihr und auch ihren anderen Freunden aus dem Weg zu gehen. Warum ihr Unterbewusstsein also ausgerechnet jetzt entschieden hatte, ihre Meinung zu ignorieren, war ihr ein Rätsel. Sie fühlte sich schließlich kaum mehr wie sich selbst. Sie hatte sich nicht einmal geschminkt. Und um Himmels Willen, das letzte Mal, als sie die Wohnung ungeschminkt verlassen hatte, war sie vierzehn gewesen! Aber sie hatte einfach keine Lust gehabt. Eben so wenig, wie sie das Bedürfnis verspürt hatte, sich die Haare ordentlich zu kämmen. Stattdessen hatte sie sie einfach zu zwei unordentlichen Dutts gebunden, aus denen einige gelockte Strähnen fielen. Das einzige, was an ihrem Erscheinungsbild noch typisch für Ming-Ming war, waren ihre hohen Keilsandalen. Aber sie hatte keine flachen Schuhe, in die sie einfach hätte reinschlüpfen können. Außer ihre Turnschuhe, doch die hasste sie wie die Pest. Auch ihre Kleidchen hatte sie durch eine Jeansshorts und ein Babydoll ersetzt, jedoch wohlüberlegt, da schließlich die Möglichkeit bestand, dass sie doch noch auf den Rummelplatz gehen würde. Und da war sie nun, lustlos schlenderte sie durch das Haupttor, das Gekreische und der Jubel, die von den Bahnen zu ihr dröhnten, prallten an ihrer Rüstung aus Ignoranz ab. Orientierungslos ließ sie sich von der Masse in eine Richtung treiben, wo sie sich eine Tüte gebrannte Mandeln schnappte, nur um sich dann weiter im Fluss des Menschentrubels umherschubsen zu lassen. Ohne darauf zu achten, wohin ihre Füße sie trugen, fand sie sich in einer kleinen Nische wider, kaum Leute waren hier, vor ihr ein kleines Zelt, verhangen mit bestickten Tüchern. Es war das Zelt einer Wahrsagerin, wie sie am schwungvoll beschrifteten Schild erkennen konnte. Trocken lachte sie auf. Sie glaubte nicht an Wahrsagung. Und doch, aus einem ihr unbekannten Grund, vielleicht war es ihre Verzweiflung, weil sie nicht mehr weiter wusste, schob sie die Tücher beiseite und betrat das niedrige Zelt. Erstaunt betrachtete sie die glitzernden Kissen, die orientalischen, bunten Decken und Teppiche, all der spirituelle Firlefanz, der von der Zeltdecke herunterging oder herumstand. In der Mitte stand eine Glaskugel und am liebsten hätte sie laut aufgelacht, hätte sie sich nicht ihrem Respekt gegenüber anderen Menschen und deren Beschäftigungen und Vorlieben besonnen. Hinter der Kugel saß eine Frau im Schneidersitz. Sie konnte ihre Augen nicht sehen, sie waren von einem Schleier verborgen, was ihr unheimlich erschien. Trotzdem nahm sie kniend Platz, als die Wahrsagerin sie mit einer Geste darum bat. „Ich habe bereits geahnt, dass du heute deinen Weg zu mir finden wirst“, begann sie sogleich zu sprechen und ihre Stimme war leise und rau. Ming-Ming verdrehte innerlich die Augen. Natürlich, dachte sie und schnaubte. „Gib mir deine Hand, Liebes“, forderte die Wahrsagerin sie auf. Nun, was hatte sie schon zu verlieren? Ihr Widerstand gab langsam nach und so hob sie ihre rechte Hand, streckte sie der Frau entgegen. „Die linke, du Dummerchen, die Hand, die näher am Herzen liegt.“ Kaum hatte Ming-Ming ihr die Linke gereicht, drehte die Frau sie um, öffnete sie, so dass die Handinnenfläche flach nach oben zeigte. Murmelnd beugte sie sich über sie, während Ming-Ming ihr skeptisch zusah, wie sie mit einem ihrer dürren Finger ihre Handlinien nachfuhr. „Du glaubst nicht an diesen Hokuspokus“, sagte die Wahrsagerin und es war mehr Feststellung als Frage. „Nein“, meinte Ming-Ming wahrheitsgetreu und schüttelte den Kopf. Die Spirituelle nickte und langte nach einem Stapel Karten, der neben ihr am Boden lag. „Zieh eine“, forderte sie sie auf und hielt die Karten aufgefächert in die Höhe. Sie tat wie geheißen und suchte sich ohne lange zu Überlegen eine Karte aus, auf die sie mit dem Finger zeigte. Die Mundwinkel der Wahrsagerin zuckten kurz, dann wurde sie plötzlich ganz ernst und legte ihr eine Hand auf die Schulter, zog sie etwas näher und steckte ihren Kopf mit ihrem eigenen zusammen. Ming-Ming roch den würzigen Duft, der von ihr ausging, aber sie glaubte auch, süßlichen Tabak auszumachen und ihr war nicht wohl, dass die Fremde ihr so nah kam. Normalerweise ließ sie niemanden näher an sich ran als eine halbe Armlänge. „Vertraue dir selbst, Liebes, höre auf deine Intuition“, flüsterte die Wahrsagerin nahe an ihrem Ohr und sie wollte bereits protestieren, als sie weiterfuhr. „Ich sehe viel Leiden, aber ich sehe auch viel Mut.“ Sie lehnte sich wieder zurück und lächelte sie an. Ming-Ming war sprachlos. Empörung machte sich in ihr breit. Was die gesagt hatte, hätte sie geradezu jedem Menschen sagen können, so unwillkürlich und unspezifisch waren ihre Worte. Abrupt stand sie auf, versucht, die Verärgerung aus ihrem Gesicht zu bannen und drehte sich zum Ausgang des Zeltes hin, als sie die leise Stimme der alten Frau noch einmal hörte. „Geh zu ihr, jetzt gleich“, sagte sie und lächelte sie aufmunternd an. Ming-Ming sagte nichts und verließ stattdessen das Zelt. Dass die Wahrsagerin gesagt hatte, sie solle zu ‚ihr’ gehen und nicht zu ‚ihm’, hatte sie aufhorchen lassen. Und doch konnte sie nur den Kopf schütteln. Blindlings kramte sie in ihrer Tasche nach der Tüte mit den gebrannten Mandeln, doch anstelle der Süßigkeit bekam sie ihr Handy zu fassen. Sie hatte eine Nachricht. Von Mao. ‚Süße, ich hab dich schon so lange nicht mehr gesehen, bitte komm! xoxo’. Ming-Ming seufzte und wählte schließlich Maos Nummer. Keine zehn Minuten später traf sie am Fuße des Riesenrads auf die Gruppe mit Mao und ihren Freunden. Sie hätte kotzen können, als sie sah, dass auch Rei dabei war. Rei und Mao hatten immer rigendwie den Eindruck vermittelt, dass sie ein Paar waren, auch wenn man sie nie Händchen halten oder sich küssen sah. Zögernd trat sie näher und Mao war die erste, die sie erblickte. Sie rief ihren Namen und winkte auffällig nach ihr. All ihren Unwillen verdrängend schritt sie auf die Gruppe zu und Mao stürzte sich sogleich auf sie, fiel ihr stürmisch um den Hals und umarmte sie. Ming-Ming schluckte, als sich ihre Brüste gegen ihre drängten und sie die weiche Haut ihrer Arme auf ihrer spürte. Ihr pinkes Haar kitzelt sie an der Wange und es duftete nach Pfirsich. Gezwungen freundlich lächelte sie den anderen der Gruppe zu, als Mao sie länger umarmte als nötig gewesen wäre, und wünschte sich, dass die anderen verschwinden würden. Sie wusste nicht wann und wie, doch Mao hatte es irgendwie geschafft, sich mit ihr vom Rest der Gruppe loszueisen und so saßen sie nun in einem der Gondeln auf dem Riesenrad. Alleine. Ming-Ming konnte Maos Blicke deutlich auf sich spüren, doch sie tat so, als würde sie die Aussicht genießen. Sie konnte einfach gerade nicht mit ihr sprechen, du groß war der Kloss in ihrem Hals, zu groß die Angst, sich zu verraten. Doch Mao wäre nicht Mao, wenn sie das auf sich sitzen lassen würde. Mit beiden Händen zwang sie sie dazu, ihr in die Augen zu sehen. „Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?“ Sie schien nicht wütend zu sein, mehr war es die Verzweiflung, die Sorge um eine Freundin, die aus ihr sprachen. „Nichts, wieso meinst du?“, log Ming-Ming und versuchte, ihrem Blick auszuweichen. „Natürlich ist da was, du meidest mich! Nicht nur mich, alle! Wir haben dich seit über einem Monat nicht mehr zu Gesicht bekommen und auch Garland kann uns nicht sagen wieso. Ich mache mir Sorgen, ich... du bist mein beste Freundin, Ming-Ming“, flüsterte sie die letzten Worte erstickt, als sie ihr um den Hals gefallen war und sich an sie drückte. Ming-Ming fühlte den Kloss in ihrem Hals, wie er grösser und ekliger wurde. Genau diese Worte waren es, die sie nicht hören wollte. Vor denen sie Angst gehabt hatte. Sie wollte nicht einfach nur ihre beste Freundin sein, nein, sie wollte so viel mehr für sie sein. Sie wollte sie küssen können, abends neben ihrem warmen Körper einschlafen und ihr morgens in die verschlafenen, honiggelben Augen sehen können. Ihre Brust schnürte sich zu, als ihr bewusst wurde, dass sie das niemals würde haben können. Eine beste Freundin küsste man nicht. Mit einer besten Freundin schlief man vielleicht im gleichen Bett, aber man berührte sich nicht. Zitternd hob sie die Hände und legte sie um Maos Schultern, fing eine Haarsträhne ein und ließ sie durch die Finger gleiten. „Du bist doch auch meine... beste Freundin“, zwang sie sich zu sagen und sie spürte in diesem Moment, wie sie ihr Mut nun endgültig verließ. Nein, sie würde es ihr niemals sagen können. Sie wollte nicht ihre beste Freundin verlieren. Und das würde sie zwangsläufig, würde sie ihr ihre Liebe gestehen. Sie würde damit leben können, sie würde am Tag ihre beste Freundin sein und in der Nacht ihre heimliche Geliebte. Sie würde immer für sie da sein und sich alleine ihren Illusionen hingeben. Auch wenn sich dadurch nichts ändern würde, so hatte sie doch noch immer ihre Träume und ihre Fantasie. Und die Gefahr, dass sie dadurch verloren ging, dass sie sich selbst verlieren würde, würde sie annehmen, denn in ihren Träumen, da konnte sie alles sein, was sie wollte, da konnte sie mit Mao zusammen sein. In ihren Träumen brauchte sie keine Angst zu haben. Protège Moi ----------- Wann?, fragte er sich, während er die kantigen Gesichtszüge seines Kommandeurs betrachtete. Dieser hatte sich über den Tisch gebeugt und studierte die darauf ausgebreitete Landkarte. Wann genau ist das geschehen? Er ließ den Blick über die Finger gleiten, die an sein Kinn tippten. Der Kommandeur runzelte die Stirn und zog die Brauen tief hinunter, während er sich konzentrierte. Er ließ seinen Blick weiter wandern, über den muskulösen Unterarm, den Oberarm wieder hinauf. Wann nur? Sie kannten sich schon so lange. Er war mit ihm aufgewachsen. Seine Anwesenheit war ihm immer selbstverständlich gewesen. Und es war noch ihm nie aufgefallen, dass die Zeit solch prägnante Veränderungen mit sich bringen konnte. Seit wann ist das so? „Soren?“ Der Magier zuckte zusammen, er hatte gar nicht zugehört. „Entschuldige, was hast du gesagt?“ Sein Kommandeur seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die blauen Haare, während er sich aufrichtete. „Soren, ist alles in Ordnung mit dir?“ „Ja, natürlich“, entgegnete Soren steif und schluckte den Kloss hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Er tat so, als würde er sich auf die Karte vor sich konzentrieren, um ihm nicht in die Augen blicken zu müssen. Er konnte nicht. Er hatte das Gefühl, sich zu verraten. Zu lange schon kannte er seinen Kommandeur, als dass er seine Gefühlsstimmung vor ihm verstecken konnte. Noch immer hatte dieser erkennen können, wenn ihn etwas beschäftigte. „Soren, sieh mich an“, befahl sein Kommandeur, doch seine Stimme war nicht barsch, es klang viel mehr nach einem Kommandeur, der besorgt war um einen guten Strategen, um einen Freund aus Kindertagen. Der Magier biss sich kurz auf die Zunge und zwang sich dann, ihm direkt in die blauen Augen zu sehen. Die Worte kamen über seine Lippen, noch bevor er über sie nachgedacht hatte. Es waren seine Standardworte, wenn ihn jemand nach seinem Wohlbefinden fragte. „Es geht mir gut.“ Wann hat sein Blick sich so verändert? Der Kommandeur stöhnte leise und stützte sich mit den Armen auf dem Tisch auf, verdeckte mit seinen Händen genau den Teil der Karte, den Soren gerade betrachtete. „Soren, werde ich jemals den Tag erleben, an dem du mir freiwillig erzählst, was dich bedrückt?“, fragte er ihn und leichter Ärger, aber auch Belustigung schwang in seiner Stimme mit, nur zu oft hatten sie in ebensolchen Situationen gesteckt. Doch Soren hielt seine Gedankengänge mit eiserner Faust vor ihm verborgen. Er konnte dennoch nicht verhindern, dass seine Mundwinkel leicht zuckten. Wenigsten das ist gleich geblieben. „Kümmere dich um die Strategie unseres morgigen Kampfes. Was nützt es dir zu wissen, was in meinem Kopf vor sich geht, wenn dir der deine abgeschlagen wird?“ Der blauhaarige Kommandeur legte den Kopf in den Nacken, während er laut loslachte. Soren war nicht zu lachen zumute. Sein Blick war an Ikes Adamsapfel hängen geblieben, der auf und ab hüpfte, bis sich der Kommandeur beruhigt hatte. „Nun denn, was schlägst unser bester Taktiker denn vor?“ Soren schlief nicht gut. Die ganze Nacht zwang er sich einzuschlafen, doch stattdessen wälzte er sich auf seinem Lager hin und her und hatte stets das Bild seines Kommandeurs vor Augen. Er hatte sich so verändert. Doch wann? Und warum war es ihm bis vor kurzem nie wirklich aufgefallen? Die verwirrenden Gedanken von sich stoßend, stand er noch früher auf, als er es normalerweise tat und begann, alles Notwendige für den Kampf vorzubereiten, versuchte, sich darauf zu konzentrieren und alles andere weit zurück in eine kleine Ecke seines Kopfes zu drängen. Ein Kampf stand an. Er konnte es sich nicht erlauben, an etwas anderes zu denken, wenn er nicht selbst derjenige sein wollte, dem der Kopf abgeschlagen würde. Doch das Adrenalin, das in seine Blutbahnen gepumpt wurde, kaum dass er den Feinden gegenüberstand, ließ ihn den Schlafmangel vergessen und er stürzte sich auf seine Gegner, in der Hoffnung, Ablenkung zu finden. Alles lief nach Plan. Sie kämpften sich eine blutige Schneise durch das feindliche Heer. Sein Kommandeur kämpfte an vorderster Front, so wie er es immer tat und schwang sein Schwert treffsicher wie eh und je. Soren, als Magier eigentlich mehr für den Fernkampf geeignet, hatte sich auf der anderen Seite ebenfalls einen Platz weit vorne sichern können und vertraute darauf, dass er schnell genug war, um zweimal hintereinander angreifen zu können und den Feind aus den Stahlstiefeln zu hauen, ohne ihm die Chance für einen Angriff zu lassen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Ike in sein Blickfeld treten würde. Wann genau hat er sich so verändert? Er sah die kraftvollen, die selbstsicheren Angriffe. Wann ist er so erwachsen geworden? Er sah die von Blut überströmten Arme, die großen Hände, die zielsicher das Schwert führten. Wann ist er so groß geworden? Er sah die Muskeln, die sich unter der Haut anspannten und wölbten, bei jeder kraftvollen Bewegung, die er tat. Wann ist er so stark geworden? Er sah die Blutspritzer auf seiner Wange, der Schweiß, der ihm über die Schläfe und den Hals hinunter tropfte. Wann ist er so männlich geworden? Er sah, wie seine nachtblauen Augen aufblitzten, als er sich auf einen Gegner stürzte. Wann ist er so gutaussehend geworden? Soren hatte zu lange dagestanden. Gerade so konnte er dem ersten Axtkämpfer ausweichen, der sich blutlechzend auf ihn stürzte und konterte mit einer eher schlecht gezielten Windattacke. Doch ein Zweiter griff ihn von hinten an und bohrte die Stahllanze tief in seine Schulter. Sein Atem stockte und er ließ seine Bücher fallen. Mit der anderen Hand hielt er sich die verletzte Schulter, während er langsam zu Boden sank. Das Blut strömte aus der offenen Wunde und durchtränkte seinen Umhang. Das schrille Lachen eines Verrückten drang an seine Ohren, als der Hellebardier erneut seine tödlich aufblitzende Waffe hob. Soren konnte nicht mehr richtig denken, der Schmerz ließ ihn beinahe erblinden und das Rauschen in den Ohren machte ihn taub. Doch er gab nicht auf. Er grabschte nach dem erstbesten Buch und hob den unversehrten Arm in die Richtung des Hellebardiers. Der Elfenwind war stark genug, um ihn aufzuhalten, doch nicht stark genug, um ihn zu töten. Erschöpft sank er in sich zusammen und erwartete mit zusammengepressten Augen den durchbohrenden Schmerz einer Lanze. Da drang weit entfernt ein schriller Schrei an seine Ohren und wie durch Watte erkannte er Nephenees erschrockene Stimme. „Ike!“, schrie sie. Wie durch einen Schleier sah Soren, wie ihr Kommandeur sich zu ihr umdrehte und dann in die Richtung blickte, in die sie zeigte. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als er den in sich zusammengesunkenen, blutüberströmten Magier erblickte. Hastig suchte er das Schlachtfeld nach der schnellst möglichen Rettung ab. „Jill!“, brüllte er, als er die Wyvernreiterin ganz in der Nähe gerade einen Krieger mit Bogen erschlagen sah. Mit ernstem Gesicht wandte sie sich zu ihrem Kommandeur. „Soren!“, brüllte er ihr zu, während er einen Angriff abblockte und fuchtelte mit seinem freien Arm in dessen Richtung. Sie verstand sofort und ohne zu zögern lenkte sie ihren Wyvern über die Köpfe der Kämpfenden hinweg. Um den Hellebardier konnte sie sich später kümmern, das wichtigste war, erst Soren zu retten. Doch der Lanzenträger dachte offenbar anders. Kaum hatte sie den schwerverwundeten Magier auf ihren Wyvern gezogen, bohrte sich die Stahllanze in ihren Schenkel. Tapfer biss sie die Zähne zusammen und hob ihre Axt zum endgültigen Angriff. Eingehüllt in eine alles verstummende Wolke aus Schmerz, ließ Soren sich in die hintersten Reihen in Sicherheit bringen, wo sich Alja gerade um Boyd gekümmert hatte. Er hörte, wie Ikes kleine Schwester scharf die Luft einsog, sah, wie sie entsetzt die Hand vor den Mund schlug, bevor sie von ihrem Pferd hinuntersprang und sich zu ihm hinunterbeugte. Doch alles war so weit weg, so unwirklich, und alles um ihn herum wurde taub, als er Aljas beruhigende Worte hörte, die heilende Wirkung des Pflegestabs in sich spürte. Als er erwachte, war es noch sehr früh. Sein ganzer Körper schmerzte und sträubte sich, seinen Befehlen zur Bewegung zu gehorchen. Also starrte er an die Decke. Die Sonne war sowieso erst gerade aufgegangen, wie er an dem orangen Licht erkennen konnte, das sich durch einen Spalt im Zelt stahl. Der gestrige Kampf war für ihn gerade mal noch gut ausgegangen. Alja hatte ihn zwar wieder zusammenflicken können, doch sie war so wütend über seine Unachtsamkeit gewesen, Dummheit, wie sie es nannte, dass sie ihm schwor, ihrem Bruder zu drohen, ihn in die nächsten Kämpfe nicht mehr mitzunehmen, sollte er sich für den Rest dieses Kampfes nicht in den hinteren Reihen halten und nur aus sicherer Distanz angreifen. Er hatte nur nicken können. Alja war diesbezüglich genauso bedingungslos stur wie Ike. Soren biss sich auf die Unterlippe, als er sich diesen Moment auf dem Schlachtfeld zurück in Erinnerung rief. Er musste sich einfach wieder besser auf das Wesentliche konzentrieren, er durfte sich nicht mehr ablenken lassen. Er hat sich verändert und ich kann damit umgehen, redete er sich ein. Er musste sich selbst davon überzeugen, dass es in Ordnung war, dass der schusselige, übermütige, kleine Ike zu einem überlegten, starken, gut aussehenden jungen Mann herangewachsen war, der in der Lage war, Greils Platz, seines Vaters Platz, einzunehmen und sie zu führen. Und er, Soren, war jetzt verpflichtet, ihm loyal zur Seite zu stehen, nicht mehr als Aufpasser, sondern als sein Stratege, so, wie er es von Greil gelernt hatte. Und er würde seinen Pflichten nachgehen. Seine jammernden Glieder ignorierend, erhob er sich von seinem Lager. Er fand Ike in dem Zelt, in dem sie immer ihr Vorgehen für den nächsten Tag besprachen. Er hatte seinen Rücken dem Eingang zugewandt und sich bereits wieder über die Karte gebeugt. Soren wusste, dass er überlegte, wo sie als nächstes hingehen würden. „Ike“, sprach er ihn an und fuhr sogleich weiter, „ich würde dir gerne den Bericht über unseren letzten Kampf geben . Es gab keine Verluste und keine Schwerverletzten. Jeder hat sich hervorragend geschlagen.“ Er ratterte seinen Text hinunter, den er bereits so sehr internalisiert hatte, dass er nicht einmal stockte, als er bemerkte, dass er sich selbst wiedersprach. Schließlich war er selbst nur um Haaresbreite dem Tod entkommen. Und da bemerkte er Ikes Blick. Wütend war gar kein Ausdruck, seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt und spien tobende Funken, die Soren erstarren ließen. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“, brüllte Ike ihn an und packte sein Handgelenk, um ihn am Zurückweichen zu hindern. Soren wusste, dass er es verdient hatte und so wehrte er sich nicht. Beschämt stierte er gen Boden. „Es tut mir leid“, meinte er etwas kleinlaut, doch Ike fand nur Trotz in seiner Stimme. „Es tut dir leid? Es tut dir leid, Soren?“ Ikes Stimme bohrte sich tief in das Gewissen des Magiers, hinterließ ein Gefühl purer Schuld. Mit der anderen Hand hob er Sorens Kinn an, so dass er ihm in die Augen sehen musste. „Du bist beinahe gestorben, verdammte Scheiße!“ Soren hatte ihn noch nie so außer sich erlebt. Allerdings hatte es auch noch nie jemand gewagt, beinahe unter seinen Augen wegzusterben. Seine Ohren dröhnten und sein Kinn begann schon zu schmerzen. „Lass mich los“, zischte er und wand sein Gesicht aus Ikes festem Griff, entriss ihm das Handgelenk, was den Kommandeur jedoch nur noch wütender dreinschauen ließ. „Es kommt nicht wieder vor“, versprach er trocken und setzte sich zum Abwenden an. „Ich bin noch nicht fertig“, knurrte Ike jedoch und riss ihn herum, packte ihn fest an den Schultern, es war ihm egal, dass Soren nicht gerne berührt wurde. Überrumpelt von Ikes Grobheit ließ Soren seinen Bericht fallen und die losen Pergamentblätter segelten zu Boden. „Von jetzt an wirst du nur noch in den hinteren Reihen kämpfen, bis du wieder zu Verstand gekommen bist und wann das sein wird, werde ich entscheiden, hast du das verstanden?“ Ike hatte sich dicht zu ihm gebeugt, schüttelte ihn zur Bekräftigung seiner Aussage und wiederholte die letzten Worte. „Hast du das verstanden?“ „Ja, ich habe es verstanden. Jetzt lass mich los“, forderte er missmutig zischend und verlieh seinem Wunsch Nachdruck, indem er sich in Ikes eisernem Griff wand. „Sieh mich an, Soren“, ignorierte Ike ihn und beugte sich noch ein Stück näher zu ihm, um seinen Blick einzufangen. Sorens Wille flackerte, als er etwas anderes als die pure Wut in Ikes Stimme vernahm und drehte sein Gesicht ihm zu, blickte ihm direkt in die Augen. Und auch da fand er es. Ein kleines, aber unübersehbares Glitzern. „Ich hatte Angst, Soren“, gestand Ike mit heiserer Stimme und er schüttelte ihn nochmal in seiner aufsteigenden Verzweiflung, „ich hatte solche Angst, dich zu verlieren!“ Der Magier wusste nicht, was er tun, wie er reagieren sollte. Mit geweiteten Augen starrte er ihn nur an. „Es... tut mir leid“, konnte er lediglich wiederholen und diesmal, diesmal meinte er es wirklich. Ike seufzte und seine Hände, die noch immer auf Sorens Schultern lagen, glitten über die Schulterblätter zur Mitte seines Rückens, bis er sich umschlungen widerfand in diesen muskulösen Armen. Er wurde mitgezogen, als Ike sich nach hinten an den Tisch lehnte und ihn an sich drückte. Er war ihm so nah. Näher als jemals jemandem zuvor. Und er spürte durch den Stoff hindurch, wie Ikes Brustkorb sich bei jedem Atemzug hob. Und er spürte sein eigenes Herz, das aufgeregt gegen seine Rippen schlug. „Versprich mir“, flüsterte Ike heiser, ganz nah an seinem Ohr, was ihn erschaudern ließ, „dass du nie wieder so unvorsichtig bist.“ Soren schluckte. Sein Mund war ganz trocken und hinter seinen Augen fühlte er ein leichtes Brennen, was ihn überraschte. „Ich kann nichts versprechen“, sagte er zögernd und biss sich auf die Unterlippe. „Soren, bitte“, raunte Ike bitter und dem Magier stockte der Atem, als er eine Hand in seinen Haaren fühlte, die seinen Kopf noch ein Stück näher an die Brust seines Kommandeurs drückte. Er wusste nicht, was er tun sollte, wie er sich verhalten sollte. Er stand einfach da, stocksteif und starrte in den blauen Stoff von Ikes Hemd. Er fühlte sich gefangen, seine Lunge hatte sich zusammengeschnürt, sein Herz schlug hart und schmerzte bei dem Versuch, beinahe zu zerspringen. Alle hier wussten, dass er es hasste, berührt zu werden, dass er es nicht mochte, wenn man ihm zu nahe kam. Auch Ike hatte dies immer respektiert. Seit wann ist das anders? „Ich...“, versuchte er etwas zu sagen, doch seine Stimme wollte ihm nicht so recht gehorchen. Ihm war schwindelig. Er spürte Ikes warmen Atem am Hals, hörte den verzweifelten Seufzer direkt neben dem Ohr und plötzlich überkam seinen Körper eine hitzige Welle unkontrollierbarer Gefühle, die er nicht definieren konnte, die seine Gedanken blockierten, sein Hirn einfach ausschalteten. Alles, was er in diesem Moment wahrnehmen konnte, waren Ikes Körper, den er mit seinem eigenen deutlich spüren konnte, und die Wärme, die von ihm ausging und auf ihn überzugehen schien. Da war nur noch Ike. Warum ist es bei ihm anders? Er schluckte den Kloss herunter und ließ es zu, dass seine Augenlider sich schlossen, einfach, um den Moment zu genießen. Doch die Situation drängte sich in seinen Gedanken nach vorne. Ike hatte Angst um ihn gehabt. Angst, ihn zu verlieren. Und er versuchte gerade verzweifelt, ihn daran zu hindern, sich noch einmal in eine solch prekäre Lage zu bringen. Als er die Augen wieder öffnete, erfüllt von dieser Erkenntnis, die er zuvor versucht hatte zu verdrängen, löste sich eine einzelne Träne aus seinem Augenwinkel. „Ich kann es dir nicht versprechen“, wiederholte er sich leise, flüsternd, zögerlich, „aber ich werde es versuchen.“ Er fühlte, wie ein Teil der Anspannung von Ike abfiel und er konnte beinahe sehen, wie sich sein Mund zu einem gezwungenen schiefen Grinsen verzog. „Mehr kann ich nicht verlangen“, seufzte er und presste Soren noch näher an sich, strich ihm durch das rabenschwarze, glänzende Haar, „danke.“ Etwas schnürte Soren die Luft ab. Er fühlte sich zittrig und die Hitze stieg in ihm auf, eine Ohnmacht übermannte ihn, er hatte keine Kontrolle mehr. Und als er dann seinen Namen hörte, in sein Ohr geraunt, so nah, dass Ikes Lippen seine Ohrmuschel beinahe berührten, konnte er nicht verhindern, dass ihm ein leiser Seufzer entwischte. Und das reichte, dass Ike den Kopf senkte und die Lippen gegen Sorens Hals drückte. Soren wusste nicht, wie ihm geschah. Die Hitze, die vorhin aufgestiegen war, explodierte in seinem Körper und dort, wo Ike ihn berührte, schien seine Haut in Flammen aufzugehen. Der Boden schien ihm unter den Füssen weggerissen zu werden und er hob die Hände, um sie in den Stoff von Ikes Hemd zu krallen, um den Halt nicht zu verlieren. Den Kopf jedoch ließ er impulsiv in den Nacken fallen. Beinahe gedankenlos stürzte sich Ike auf die freigelegte Stelle, die eine Hand in seine Haare vergraben, mit der anderen strich er ihm die Wirbelsäule entlang. Die Hand im Kreuz, presste er ihn an sich, dass Soren den Rücken durchbog, und küsste ihn an einer Stelle unter dem Ohr, was ihm die Knie einknicken ließ. Die Lippen einen Spalt breit geöffnet, atmete er zitternd aus. Was passiert hier gerade? Er schmolz dahin unter Ikes Berührungen, er fühlte sich wie Wachs in seinen Händen. Er schloss die Augen und gab sich einfach diesem atemberaubenden Gefühl hin, ließ sich fallen, voller Vertrauen. Und es fühlte sich gut an. Noch nie hatte er so etwas zugelassen, doch bei Ike fühlte es sich so gut an. So vertrauenswürdig. Bei ihm hatte er das Gefühl, dass er sich fallen lassen konnte, dass er ihn stützen würde. Ein Knie drängte sich zwischen seine und der Kontakt zwischen ihnen intensivierte sich so sehr, dass Soren schwindelig wurde. Ike zog an seinen Haaren und seinen Kopf etwas nach hinten, und eine Welle fiebrigen Begehrens durchflutete seinen Körper, als er Ikes Lippen nach seinen tasten spürte. Sanft, zurückhaltend. War er schon immer so? Doch so unerwartet es gekommen war, so schnell endete es. Als Ike ihm in die Augen sah, schreckte er zurück. Das bin nicht ich! Augenblicklich hob er die Hände und schob sich von Ike weg, welcher ihn auch sofort freigab. Ein weiterer verschreckter Blick, bevor Soren sich abwandte. „Wenn du mich bitte entschuldigen würdest“, sagte er mit versucht stabiler Stimme und floh berauscht aus dem Zelt. Er hatte lange überlegt, war aber zu keinem Schluss gekommen. Was’, Wies, Warums schwirrten in seinem Kopf herum, doch er fand keine Antworten. Ikes Anblick war dabei nicht besonders hilfreich, doch er konnte ihm nicht einfach aus dem Weg gehen, schließlich kämpften sie Seite an Seite, aßen am gleichen Tisch, teilten ihre Gedanken bezüglich eines Kampfes. Ihm aus dem Weg zu gehen war gleich bedeutend, wie Greils Söldner zu verlassen. Es war unvorstellbar. Und so konnte er es nicht verhindern, dass sie sich am selben Abend zum Abendessen wiedersahen. Ike musterte ihn beinahe durchgehend und Soren fühlte sich, als würde er auf glühenden Kohlen sitzen. Einerseits wollte er selbst zu ihm hinüberschauen, wollte dieses Gefühl wieder spüren, wollte ihm nahe sein, doch andererseits widersprach dies seinem Naturell. Also floh er gleich nach dem letzten Bissen in das Lager, wo unter Anderem auch seine Bücher aufbewahrt wurden. Bücher würden ihn beruhigen, würden ihn ablenken. Da konnte er eintauchen in den Inhalt, seinen Gedanken freien Lauf lassen, abschalten. Erschrocken fuhr er zusammen, als er eine Hand durch seine Haare streichen spürte und eine Stimme über sich hörte. „Wusste ich doch, dass ich dich hier finden würde.“ Soren wandte sich um und schaute hoch, erblickte Ikes Gesicht, wie er ernst und gleichzeitig verträumt zusah, wie Sorens schwarzes Haar ihm durch die Finger glitt. Für einen Schlag stolperte sein Herz. Als Ike zu sprechen weiterfuhr, schaute er ihn noch immer nicht direkt an. „Weißt du noch, als wir uns das erste Mal begegneten?“, fragte er leise. Melancholie schwang in seiner Stimme mit. „Natürlich, wie könnte ich das jemals vergessen?“, entgegnete Soren und schaute Ike unverwandt ins Gesicht. „Ich bin damals durch die Straßen geirrt und fast verhungert. Du hast mir zu Essen gegeben.“ „Als du ein paar Tage später vor unserer Tür standst, war ich überglücklich zu sehen, dass es dir gut ging.“ Ein leichtes Lächeln verzog seine Mundwinkel und vorsichtig schob er eine Haarsträhne aus Sorens Gesicht. „An jenem Tag habe ich mir geschworen, dich zu beschützen.“ Soren wusste nicht wieso, aber sein Herz klopfte heftiger als normal in seiner Brust und in seinem Bauch fühlte er ein heftiges Kribbeln. „Du bist so stark geworden. Doch als ich dich so sah“, fuhr Ike fort, „bekam ich solche Angst, ich könne dich verlieren, Angst, versagt zu haben.“ Ich bin kein kleines Kind mehr, wollte Soren sagen, doch alles, was aus seinem Mund kam, war sein Name. „Ike“, sagte er mit heiserer Stimme. „Ich werde dich beschützen“, raunte Ike und küsste die Haarsträhnen, die er in seiner Hand hielt. Es kostete Soren viel Überwindung, eine Hand zu heben und sie Ike auf die Wange zu legen und sein Gesicht sich zuzuwenden, bis sie sich in die Augen sahen. Die Wiesos und Warums schwirrten wieder in seinem Kopf herum und er hatte keine Ahnung, was und vor allem wieso er hier eigentlich tat, was er tat. Er konnte einfach fühlen, dass es das Richtige war. Seufzend lehnte er sich nach vorne und vergrub sein Gesicht in Ikes Hemd. Er atmete seinen Duft ein und schloss die Augen, um ihn in sich aufnehmen zu können. Seine Hand ruhte auf Ikes Brust. Eine Weile verharrten sie so, bis Ike auf die Knie sank und Soren von unten herauf anschaute, seine Hände fest haltend. „Ich werde dich beschützen, Soren.“ Es war ein Schwur. Und Sorens Herz schlug aufgeregt gegen den Brustkorb. Er konnte nicht anders, als ihm eine Hand zu entziehen und sie ihm auf die Wange zu legen. „Danke“, flüsterte er und beugte sich etwas nach vorne, um ihm einen zarten Kuss auf die andere Wange zu hauchen. Doch stattdessen wurde er von Ike im Nacken gepackt und zu sich gezogen und seine Lippen fanden sich auf Ikes wider. Er wollte protestieren, doch sein Körper schien sich zu weigern. Er spürte die Hitze, wie sie ihn in heftigen Wellen überkam. Erschaudernd ließ er zu, dass Ike seine Beine auseinander schob und sich dazwischen drängte, um ihm näher zu sein. Seine Hände schoben sich unter sein Hemd, brannten sich in seine Haut und das Kribbeln, das er zuvor in seinem Bauch spürte, breitete sich aus, die Wirbelsäule hoch, über die Kopfhaut und hinunter bis in seine Finger- und Zehenspitzen. Sein Atem stockte. Seine Finger krallten sich in seine Schultern. „Ike, was tust du?“, fragte der Magier mit bebender Stimme. Ike blickte hoch. „Ich bestätige mein Versprechen mit einer Zeremonie.“ Soren wollte gerade etwas entgegnen, doch er schnappte nach Luft, als er spürte, wie Ikes Lippen sich mit seiner bloßen Haut beschäftigte, die er vorhin freigelegt hatte. Seine Finger nestelten an seinem Gürtel. Und der Mund wanderte tiefer. „Ike! Nicht, ich“, wollte Soren einwenden, doch sein Kommandeur ließ sich nicht beirren. „Ich will dich“, raunte er und beugte sich über Sorens Schoss, „ich wollte dich schon immer.“ Soren krümmte sich über Ikes Kopf, biss sich auf die Unterlippe und versuchte, sich unter Kontrolle zu halten, doch je näher Ike ihn auf den Gipfel der Lust zutrieb, desto schwerer fiel es ihm, regelmäßig zu atmen, geschweige denn, irgendetwas zu denken, und elektrisierende Hitze durchzuckte seinen Körper. Ike zog ihn an den Hüften an den Stuhlrand und Soren kippte gegen die Lehne. Mit einem befreiten Stöhnen fiel sein Kopf nach hinten und sein Kreuz bog sich zuckend durch. Keuchend schlug er sich die Hände über das Gesicht. Er wollte Ike jetzt nicht anschauen müssen. Es war ihm irgendwie peinlich. Es war das erste Mal, dass jemand so Hand an ihn legte. Doch es sah nicht so aus, als ob Ike hier aufhören wollte. Im Gegenteil, er schob beide Hände unter Sorens Hintern und hob ihn hoch, während er aufstand. Um nicht nach hinten zu fallen, schlang Soren die Arme um seinen Kopf. Er fühlte sich merkwürdig schwach und energiegeladen zugleich. Mit verschleierten Augen schaute er Ike an. „Was tust du mit mir?“, fragte er mit heiserer Stimme und vergrub seinen Kopf an Ikes Hals. „Soren, vertraust du mir?“ Ike setzte ihn auf dem Tisch ab und schaute ihm in die Augen. Soren nickte. „Ja, das tu ich.“ „Dann lass mich dir zeigen, was ich für dich empfinde“, raunte Ike und eroberte seinen Mund. Sorens Sinne waren noch immer vernebelt und so ließ er protestlos zu, dass Ike ihm die Kleidung abstreifte und auch sein eigenes Hemd auszog. Völlig nackt saß er vor ihm, den Blicken seines Kommandeurs ausgeliefert und das Blut schoss ihm in die Wangen, einerseits, weil er sich peinlich berührt fühlte, andererseits, weil Ike mit seinem muskulösen Körper direkt vor ihm stand. Stöhnend ließ er sich nach hinten auf die Tischplatte sinken und versuchte, diesen Gedanken aus seinem Kopf zu verdrängen. Doch Ike beugte sich über ihn, ein leichtes Grinsen auf den Lippen und tauchte in seinem Blickfeld auf. „Genau so habe ich dich in meinen Träumen immer vor mir gesehen“, meinte Ike, „fehlt nur noch...“ Seine Hand glitt nach unten und Soren keuchte auf. Soren konnte sich nicht erklären, wieso er zuließ, was Ike mit ihm anstellte. Doch er fühlte den Sturm in sich toben und seine Gefühle wirbelten in seinem Herzen, bis sie ihn komplett erfüllten. Es war, als ob er auf einer Wolke der Lust davongetragen wurde und gleichzeitig einem eisernen Griff ausgeliefert war. Ike war überall. Um ihn. In ihm. Sein Körper, sein Atem, seine Hitze. Seine Hände. Er trieb ihn in einen ekstatischen Strudel, der ihn mitriss, dem er nicht zu entfliehen vermochte. Doch er ließ sich mitreißen, während lustvolle Laute seinen Mund verließen. „Ike“, flüsterte er bebend und schlang die Arme um dessen Nacken, „beschütze mich.“ Ike stöhnte und vergrub eine Hand in Sorens Haare, zog daran, sodass sein Kopf nach hinten fiel und er ihm in die Augen blicken konnte, die ihn verschleiert anblinzelten. „Ich werde dich immer beschützen.“ Von Glück erfüllt, eroberte er erneut Sorens Mund. Und das Buch, das er mit der Hand vom Tisch fegte, sodass er sich aufstützen konnte, landete verkehrtherum auf dem Boden. Trockenes Blut klebte am Umschlag und erinnerte daran, welch starke Gefühle diesen Raum erfüllten. Angst, Verzweiflung. Und Liebe. * Intermezzo Ardente ------------------ Tief in Gedanken versunken saßen sich Rei und Kai gegenüber. Zwischen ihnen stapelten sich Bücher über Bücher, über lose handgeschriebene Zusammenfassungen, über ausgedruckte Skripte. Bunte Markierstifte lagen verstreut dazwischen und am Rand stand eine große Flasche Wasser. Neben dem Papierkorb lag ein zerknülltes Snickers-Papier. „Haaaah.“ Die Arme über den Kopf werfend, um sich ausgiebig zu strecken und die Wirbeln knacken zu lassen, lehnte sich Kai zurück gegen die Stuhllehne. Rei bedachte ihn mit einem knappen Blick, dann wandte er sich wieder seinen Unterlagen zu. „Ich brauche eine Pause“, grummelte der Grauhaarige und fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. „Du hattest doch vor einer halben Stunde bereits eine“, erwiderte Rei, nachdem er den Abschnitt fertig gelesen hatte und setzte die schwarze Kappe auf den leuchtend gelben Stift. „Ich bin halt müde. Rat mal, wessen Schuld das ist“, stichelte Kai und sein Mund verzog sich zu einem dreckigen Grinsen. „Na hör mal, ich hab gar nichts gemacht!“, zischte Rei und ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. Doch Kai lud sämtliche Schuld stur auf Rei. „Du hast mich eingeladen.“ „Um heute mit mir zu lernen! Ich habe dir gesagt, dass ich den Wecker auf sieben Uhr stelle, dann musst du nicht...“, brauste Rei auf und funkelte seinen Freund über den Tisch hinweg anschuldigend an. Doch dieser lehnte sich nach vorne und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch auf, um ihn schelmisch anzugrinsen. „Muss ich nicht was?“, fragte er stichelnd. „Egal, lern weiter.“ Kai ignorierte den leicht angesäuerten Ausdruck auf Reis Gesicht. Es machte ihm Spaß zu sehen, wie dieser peinlich berührt versuchte, seine volle Konzentration auf den Inhalt des Stoffs zu lenken. „Darf ich meinen Fuß auf deinen Stuhl legen?“ „Nein“, erwiderte Rei trocken, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Rei hätte wissen müssen, dass es nichts brachte, nein zu sagen. Nicht bei Kai. Denn einen Atemzug später spürte er, wie sich ein Fuß sein Bein entlang nach oben stahl. Mit hochgezogener Augenbraue und tödlich gelangweiltem Gesichtsausdruck blickte er von seinem Buch auf. Kais Fuß währenddessen näherte sich seinem Schritt. Provokativ stupste er mit seinen Zehen dagegen. Doch Rei ließ sich nichts anmerken. Er verharrte in genau derselben Position und starrte Kai mit kalten Augen an, der den Kopf auf die Hände gestützt hatte und ihn aufmerksam beobachtete. Er wusste, würde auch nur ein Muskel in seinem Körper zucken, Kai bemerkte alles. Amüsiert und gleichzeitig dreckig grinsend hielt Kai den Augenkontakt. Er wusste, dass seine Provokationen über kurz oder lang ihre Wirkungen zeigen würden. Auch wenn Rei manchmal verdammt schwierig zu knacken war. Doch das machte es nur umso spannender, da er, hatte er es denn geschafft, mit entzückenden Aussichten belohnt würde. Doch heute war Rei offensichtlich überhaupt nicht gewillt, ihm nachzugeben. Und obwohl Kai merkte, wie sein Unterleib bereits auf ihn reagierte, so blieb Reis Wille äußerst standhaft. Dass er Kais Fuß aber nicht einfach wegschob, spornte ihn nur noch mehr an. Lasziv strich er mit seinem Fuß über die leichte Beule. Rei zwang sich, seinen Atem unter Kontrolle zu halten. Schließlich war es nicht so, dass Kais Provokationen keinerlei Auswirkungen auf ihn gehabt hätten, nur mochte er es ihm gerade überhaupt nicht gönnen. Also kratzte er seine ganze Willensstärke zusammen, um der langsam aufsteigenden Hitze in seinem Körper entgegenzuwirken. Nur fiel es ihm zunehmend schwerer, an etwas anderes zu denken, während er den intensiven Blickkontakt zu Kai aufrecht halten wollte. „Ich werde dich so richtig rannehmen, Rei“, raunte Kai plötzlich. Rei wurde sofort aus seiner Konzentration gerissen und ein Keuchen verließ seinen Mund, als er Kais Fuß gegen seinen Schritt drücken spürte. Seine Hände klammerten sich um den Fuß und er versuchte, ihn nun doch endlich wegzuschieben. Doch er scheiterte. Stattdessen wurde er nur weiter provoziert. „Verdammt“, knurrte Rei und biss sich auf die Unterlippe. „Das war unfair.“ „Hast du etwas Anderes erwartet?“, fragte Kai feixend, worauf Rei schnaubte. Die Röte war auf seine Wangen zurückgekehrt und seine Augen starrten ihn nun nicht mehr kalt an, sondern glitzerten vielversprechend. „Weißt du, ich habe gerade große Lust, bei letzter Nacht weiterzumachen“, raunte Kai und drückte seinen Fuß erneut gegen die mittlerweile etwas härter gewordene Beule. „Und ich verspüre gerade große Lust, dir den Fuß abzureißen“, fauchte Rei und schob Kais Fuß endgültig von seinem Schritt weg. „Lern jetzt weiter!“ Ziemlich überrascht über Reis abrupten Abbruch ihres kleinen Spiels, wehrte er sich nicht. Missmutig lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wollte sehen, wie Rei das schaffte, sich jetzt so einfach wieder auf den Stoff zu konzentrieren. Er schaffte es. Zumindest, bis er jäh nach vorne und mit dem Gesicht nach unten auf sein Buch kippte. Kai grinste. „Hat dich wohl doch nicht so kalt gelassen, hm?“ „Arschloch“, grummelte Rei ins Buch. Triumphierend blickte Kai auf Rei hinunter, bis dieser sich ohne Vorwarnung erhob und mit vom Hocken steifen Gliedern in die Küche ging. „Ich brauch Kaffee.“ Hastig lief Kai um den Tisch herum und ihm hinterher. Doch kaum hatte er einen Fuß auf den Küchenboden gesetzt, wurde er von Rei angekeift. „Raus.“ Überrascht blickte er ihn an. „Was? Wieso?“ „Weil du mich wahnsinnig machst!“ Angepisst drückte er auf den Knopf der Kaffeemaschine. „Ich will doch nur spielen“, erwiderte Kai und grinste fies. „Dann spiel mit dir alleine.“ „Das macht aber keinen Spaß,“ maulte Kai und folgte Rei, der mit dem Kaffee in der Hand wieder zurück ins Wohnzimmer ging, um den Kaffee auf den Tisch zu stellen. Kai ignorierend, gönnte sich Rei einen ausgiebigen Schluck der heißen Brühe. Sein Freund stand daneben. Rei zeigte es nicht, aber solche Spiele mochte er manchmal besonders gerne. Wenn sie sich stritten, war der Versöhnungssex danach einfach unvergleichlich. Ein bisschen zu keifen konnte diese Wirkung in der Regel auch ziemlich gut hervorrufen. Also ignorierte er Kai weiter, während er den Kaffee austrank und erneut aufstand, um sich in der Küche einen Schluck Wasser zu genehmigen. Als er zurückkam, stand Kai noch immer an der gleichen Stelle und starrte ihn an. Seine Blicke sprachen Bände. Rei kannte ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, was in seinem Kopf vor sich ging. Anstatt sich wieder hinzusetzen, blieb er neben Kai stehen. Auch er schaute ihn intensiv an, während er sich eine Vorstellung in seinem Kopfkino gönnte. Da waren er und Kai, und er konnte sie beide sehen, wo in dieser Wohnung sie schon überall Sex gehabt hatten. Lustvolles Gestöhne drang vom Sofa, von der Küche, von der Wand im Durchgang, von der Eingangstür zu ihm herüber. Er sah sie im Augenwinkel, spürte sie im Nacken. Nur allzu deutlich konnte er sich vorstellen, wie Kais Hände gierig über seinen Körper fuhren, seinen Hintern packten und er seinen Mund und seinen Körper eroberte. Hitze stieg in ihm auf. Sein Leib begann zu kribbeln. Unter seinen Fingern konnte er heißes, verschwitztes Fleisch spüren, Muskeln, die sich wölbten und wieder entspannten, etwas Hartes, das gegen seinen Unterleib drückte. Er hörte Kais kehliges Stöhnen. Dass er leicht seinen Mund öffnete, verriet ihn sofort. Er wurde von Kai am Shirt gepackt und beinahe grob an sich gezogen, um ihm stürmisch seinen Mund aufzudrängen. Ohne abzuwarten, drang er mit der Zunge in seinen Mund ein und forderte Reis Zunge zu einem heißen Kampf auf. Rei keuchte und krallte eine Hand in Kais Haare, während er mit der anderen an seinem Gürtel zog. Kai hingegen schob seine Hände sogleich in Reis Hose und umfasste mit beiden fest seinen Hintern. „Du hast keine Unterhose an“, stellte Kai raunend fest und biss ihm neckend in den Hals. „Ich weiß“, keuchte Rei lachend und zog den Reißverschluss seiner Jeans runter. „Du versauter“, wollte Kai grinsend sagen, doch Rei verschloss stürmisch seinen Mund und drängte sich ihm entgegen, worauf das fehlende Wort in einem lustvollen Laut unterging. Ihre pochenden Glieder trafen aufeinander. Sie waren mittlerweile so erregt, dass sie leise aufstöhnten. Rei legte beide Hände darum, während Kai mit seinen Händen Reis Pobacken auseinander zog und mit dem Mittelfinger über Reis Anus strich, bevor er mit ihm in ihn eindrang. Rei keuchte auf. Sein Kopf fiel in den Nacken. Kai stürzte sich sofort auf Reis freigelegten Hals und saugte sich küssend und knabbernd daran fest. Doch plötzlich wurde er an den Haaren zurückgezogen. Lustverhangene hellbraune Augen blickten ihn an. „Hast du nicht gesagt, dass du mich so richtig rannehmen willst?“, fragte Rei etwas außer Atem. „Dann tu’s!“ Rei brauchte dies nicht zweimal sagen. Kaum hatte er fertiggesprochen, hatte Kai seinen Finger zurückgezogen und er wurde mit einer Hand an die Tischplatte genagelt, während er ihm mit der anderen die Hose runterriss. Dann sank er auf die Knie, um Reis Eingang mit der Zunge zu bearbeiten. Rei keuchte auf, als die warme, nasse Zunge seine Öffnung umkreiste und in ihn eintauchte. Beinahe dies reichte, um ihn jeglichen rationalen Gedankens zu berauben. Als Kai der Meinung war, dass es nun genug feucht wäre, um Rei keine allzu großen Schmerzen zu bereiten, erhob er sich und hielt Reis Beine in den Ellbogen fest. Dann drang er ohne weitere Vorbereitung in ihn ein. Langsam. Und Rei bog sich unter ihm, drängte sich ihm entgegen. Ihm wurde leicht schwindelig und er schlug sich die Hände auf das Gesicht, während Kai anfing, sich langsam in ihm zu bewegen. „Oh Shit. So eng“, keuchte Kai. Reis Herz schlug heftig gegen seine Rippen und Hitze verbrannte ihn von Innen. Er packte Kai im Nacken und zog ihn zu sich, über sich, verwickelte ihn in einen feuchten Kuss. Kai wurde noch tiefer in die heiße Enge gedrückt und sie stöhnten in den Kuss hinein. Es war zu viel. Küssen ging nicht mehr, sie mussten sich zu sehr darauf konzentrieren, nicht gleich zu kommen. „Wurzel aus neunundvierzig“, keuchte Rei. „Was?“ „Wurzel aus neunundvierzig“, wiederholte er sich schwer atmend. „Sieben“, antwortete Kai und stieß tief in ihn hinein. „Nh. Definition von Testreliabilität.“ „Äh, ein Test ist dann reliabel, wenn er das Merkmal, das er misst, exakt, das heißt, ohne Messfehler, misst“, erinnerte er sich stockend an eben Gelerntes und versenkte sich erneut hart in Rei. Dieser musste sich stark zusammenreißen, eine weitere Aufgabe zu finden, während Kai mittlerweile wieder einen etwas kühleren Kopf zu haben schien und mit seiner Zunge Reis Brustwarze triezte. Er begann, sich wieder schneller in Rei zu bewegen. „Ah! Pi.“ „3.14... ah, verdammt!“, versuchte Kai aufzuzählen, denn normalerweise kannte er die darauffolgenden zehn Kommastellen auch noch. Doch die Hitze war erneut heftig in ihm hochgestiegen und er rammte sich in Rei, der leise aufschrie und sich an seinem Rücken festkrallte. Sofort hatte das überwältigende Gefühl der Ekstase sie wieder übermannt und Rei drängte sich gegen ihn, während Kai sich über ihm bewegte. Bis er plötzlich stöhnend den Rücken durchbog. Kai hatte seine Prostata gefunden. Angeturnt von Reis lasziv räkelndem Körper und seinem Stöhnen gleich neben seinem Ohr, traf Kai den Punkt immer und immer wieder, bis Rei sich in Kais Hand ergoss, die er zuvor um sein Glied gelegt hatte. Sein Inneres zog sich zuckend zusammen. Gleich darauf entlud sich auch Kai. Erschöpft und heftig atmend sanken sie auf den Tisch. Bücher und Blätter waren zur Seite geschoben worden oder gar vom Tisch gefallen. Doch es interessierte sie nicht. Sie mussten sich erst einmal wieder fassen. „Es heißt doch, dass man sich besser konzentrieren kann, wenn man Sex gehabt hat.“ Kai hob den Kopf und blickte Rei mit hochgezogener Augenbraue an. „Ich habe alles wieder vergessen“, sagte er heiser und ließ den Kopf wieder auf Reis Brustkorb sinken. „Dann konnten wir diese Hypothese wohl falsifizieren“, mutmaßte Rei und lachte. Doch Kai stöhnte lediglich ob des Themas. Wenn er jetzt noch einen anständigen Gedanken fassen müsste, war er sich sicher, dass sein Kopf explodieren würde. Und diese Hypothese wollte er lieber nicht testen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)