Delilah – Die Liebe einer Wölfin von Darklover ================================================================================ Kapitel 15: 15. Kapitel ----------------------- Sein nackter Oberkörper glänzte bereits vor Schweiß in der Morgensonne, obwohl diese gerade erst an Kraft zulegte und es für diese Jahreszeit sogar noch empfindlich kühl war. Das Spiel der Muskeln auf seinem Rücken wäre faszinierend gewesen, hätten die leuchtendroten Krallenspuren nicht davon abgelenkt. Auch die blaugrüne Färbung an einigen Stellen war ein echter Hingucker. Delilah konnte immer noch nicht glauben, dass James‘ Erscheinungsbild zu den grässlichen Lauten aus ihrem Alptraum passen sollte. Gerade weil sie sich wünschte, es wäre anders. Denn allein der Gedanke daran, er und sein Bruder könnten sich absichtlich gegenseitig so verletz haben, bereitete ihr Übelkeit. „James?“ Sie kam ein paar Schritte näher, blieb dann aber stehen, als er kurz in der Ausholbewegung inne hielt. „Delilah.“, begrüßte er sie tonlos. Die Axt in seinen Händen sirrte auf das nächste Holzstück nieder und spaltete es mühelos entzwei. James machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu ihr herum zu drehen, stattdessen arbeitete er einfach weiter. Es war nicht zu übersehen, dass er sauer war. Selbst sein sonst so angenehmer Geruch enthielt den beißenden Unterton von Wut und brannte ihr leicht in der Nase. Er wusste es also. Doch das Schlimmste daran war, dass es ihm etwas auszumachen schien. Verdammt! Delilah wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Dean sofort über jedes intime Detail vor seinem Bruder auspacken würde, aber noch weniger damit, dass James deswegen sauer sein könnte. Immerhin waren sie weder zusammen, noch hatten sie sonst irgendein Anrecht aufeinander. Wenn man es einmal ganz objektiv betrachtete, so konnte Delilah im Grunde genommen wählen, wen sie wollte und es wäre ihre alleinige Entscheidung. Warum nur fühlte sie sich dann schuldig wegen James? Vielleicht weil er es war, der ihr das Kochen beibringen wollte. Oder weil er ihr als Erster seine Schulter zum Ausheulen geliehen und sie zum Dableiben bewegt hatte. Zudem war er es gewesen, der sie nach ihrem Befinden gefragt hatte, ob sie darüber reden wollte oder nicht, es schien ihn zu kümmern, wie es ihr ging. Dean war da anders gewesen. Er hatte sie nicht auf ihre Sorgen angesprochen, sondern völlig davon abgelenkt. Was sie davon halten sollte, wusste sie nicht. Im Moment war es auch nicht wirklich wichtig. Es war James, der vor ihr stand und nicht sein Bruder. „Danke übrigens für das Frühstück gestern. Vor allem der Fruchtsalat war sehr lecker.“, versuchte sie noch einmal seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Wieder hielt er kurz inne, sagte dieses Mal jedoch überhaupt nichts, sondern ließ stattdessen einfach die Axt – wenn das überhaupt noch möglich war – mit noch größerer Kraft niedersausen. Das Holz flog in einem weiten Bogen zur Seite und landete irgendwo im hohen Gras. In aller Ruhe schnappte er sich das nächste Holzstück, stellte es auf den Holzblock und zerhackte es, ganz so als stünde sie nicht hinter ihm und versuchte mit ihm zu reden. Er ignorierte sie. Delilah hätte jetzt natürlich einfach gehen und ihn ausspinnen lassen können, aber sie wollte nicht noch länger diese seltsame Stimmung in der Luft ertragen müssen und zugleich hätte sie gerne gewusst, ob die beiden Brüder sich tatsächlich wegen ihr geprügelt hatten. Also wartete sie ab, bis James die Axt nicht gerade bedrohlich in den Händen schwang, schlüpfte an ihm vorbei und stellte sich auf der anderen Seite wohlweißlich aus der Schussbahn. Mit einem noch größeren Knoten im Magen nahm sie zur Kenntnis, dass James einen blutigen Riss an seiner rechten Augenbraue hatte. Nicht tief genug, um am Ende so eine Narbe wie bei seinem Vater zu hinterlassen, aber dennoch ein weiteres Indiz darauf, dass ein Kampf stattgefunden haben musste. „Ich habe Dean schon gefragt, ob er sich morgens gerne einmal einen Kampf gönnt. Wie sieht’s denn da bei dir so aus?“ Schluss mit den höflichen Floskeln. Delilah ging auf Angriff über, obwohl sie nicht wusste, ob das bei einem gereizten Werwolf eine so gute Idee war. Sie würde es wohl herausfinden müssen. James sah nicht einmal hoch, sondern arbeitete einfach weiter, wobei man sich ohnehin fragen könnte, für was er das hier tat. An der ganzen Hauswand entlang waren bereits Unmengen von zerkleinertem Holz gestapelt, das locker für einen ganzen Winter reichen würde. Es war also nicht so, als müsste er jetzt dringend damit fertig werden. Noch dazu hatten sie Sommer. „Also?“ Delilah verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn finster an, so dass ihr sein flüchtiger Blick keinesfalls entgehen konnte. Für einen Moment fröstelte es sie. Das Karamellbraun seiner Augen schien jede Wärme verloren zu haben. Vielleicht hatte sie sich das aber auch nur eingebildet. James‘ Blick war wirklich nur sehr flüchtig gewesen. „Es war ein Unfall.“ Zack. Das nächste Holzstück musste dran glauben. „Ja, natürlich und ich bin in Wahrheit ein Fünf-Sterne-Koch der sich aus reinem Spaß immer wieder in die Finger schneidet. Sag mal, für wie blöd haltet ihr mich eigentlich?“ Der Blick, den er ihr daraufhin zuwarf, war alles andere als nett. Delilah musste sich stark zusammen nehmen, um sich nicht von James‘ finsterer Stimmung mitreißen zu lassen. Eine Weile sagte niemand etwas und das war auch besser so. Ihr wären ohnehin nur unschöne Worte über die Lippen gekommen und dabei war sie sich sehr wohl bewusst, dass das James gegenüber kein bisschen fair war. Er hatte schließlich nichts getan. Sie war hier die Schuldige, darum schluckte sie ihren Stolz hinunter und ließ ihn erst einmal in Ruhe weiter arbeiten, während ihr Blick über die weiten Wiesen bis hin zur weit entfernten Bergkette hinüber glitt. Immer mehr verfluchte sie sich für ihr Verhalten am vergangenen Tag. Früher wäre ihr das völlig am Arsch vorbei gegangen. Sie hätte den Quickie genossen und wäre weiter gezogen, aber das konnte sie nun nicht mehr, schließlich betraf es sie nicht mehr alleine. Ihre Hand wanderte langsam zu ihrem flachen Bauch, während sie sich gegen das bereits gestapelte Holz lehnte und immer weiter ihre Gedanken schweifen ließ. Hier draußen, wo sie zum ersten Mal den Eindruck von richtiger Freiheit gewann, kam sie sich sogar noch kleiner vor als ohnehin schon. Aber zugleich schienen mit ihr auch ihre Sorgen etwas geschrumpft zu sein. Vielleicht lag es aber auch mehr an der Gesellschaft als an der Landschaft. Sie war sich einfach nicht sicher. „Es tut mir leid, James.“ Ihre Stimme war leise und von ehrlicher Reue erfüllt. Sie konnte ihn noch nicht einmal ansehen. „Ich habe Dean schon gesagt, dass es ein Fehler war, der nicht wieder vorkommen wird. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los war.“ Vielleicht aber doch, allerdings konnte sie nicht alles was sie tat, auf ihre Hormone schieben, so gerne sie das wollte. „Das ist natürlich trotzdem keine Entschuldigung.“ Sie seufzte schwer, ehe sie tief die herrlich frische Luft und den Geruch nach frisch geschnittenem Holz in ihre Lungen einsog. Delilah schloss die Augen und genoss für einen Moment die angenehmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht, während ihr James‘ Duft in der Nase kitzelte und langsam die Wut daraus verflog. „Sei ehrlich, habt ihr euch wegen mir geprügelt?“, versuchte sie es noch einmal vorsichtig, war sich aber sicher, keine Antwort darauf zu bekommen. Umso erschrockener riss sie die Augen wieder auf, als James plötzlich vor ihr stand und einen großen Schatten auf sie warf. „Nein. Ich sagte doch schon. Es war ein Unfall.“ Er kam so nahe, dass die Landschaft völlig hinter seinen breiten Schultern verschwand und als er seine Arme hob, suchte sie für einen Moment fast panisch nach der Axt in seinen Händen, doch das Werkzeug hatte er zum Glück in den Holzblock gerammt und seine Hände waren leer, als sie sich neben ihrem Gesicht abstützten. Irgendwie nahm ihm das trotzdem nichts an der Bedrohlichkeit die er heute Morgen regelrecht herausschwitzte. Delilahs Herz schlug ihr bis zum Hals und Adrenalin jagte ihr in Wellen durch die Venen. James hingegen wirkte plötzlich sehr ruhig, während er eingehend ihr Gesicht studierte und sie dabei mit seinem Körper zwischen sich und dem Holz in ihrem Rücken gefangen hielt. Plötzlich war das Flattern in ihrem Bauch wieder da. Kein Wunder. James war das Ebenbild von Dean. Da konnte es schon mal vorkommen, dass ihr Gehirn bei dem ganzen emotionalen Stress in letzter Zeit etwas verwechselte. Noch dazu, wenn James‘ Blick ebenso einnehmend sein konnte, wie der seines Bruders. Aber sein Geruch war vollkommen anders. Delilah schloss nicht nur deshalb die Augen, um James‘ intensiven Blick zu entgehen, sie wollte sich dadurch auch deutlicher bewusst machen, dass er es war, der da vor ihr stand und tatsächlich könnte sie die beiden Brüder anhand ihrer Gerüche auf keinen Fall verwechseln. Es war James der da gerade ungeniert an ihrem Haar schnupperte, eine Strähne zwischen seine Finger nahm und wieder los ließ, so dass die Spitze ihre Wange kitzelte. „Du hast Recht. Das ist keine Entschuldigung für dein Verhalten.“ Was? Wie kam er denn jetzt auf- Warme, weiche Lippen legten sich auf ihren Mund. Überrascht riss Delilah die Augen auf und wollte schon dagegen protestieren, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm und ihr vollends den Atem raubte. Er drängte sich gegen ihren Körper, küsste sie mit einer derart intensiven Leidenschaft und Dominanz, bis sie nur noch ihn wahrnehmen und an sonst nichts anderes mehr denken konnte. Seinen Geschmack, seinen Geruch, seine harten Brustmuskeln, die sich gegen ihre Handflächen pressten. Er war einfach überall! Doch so schnell wie es begonnen hatte, endete es auch wieder. James ließ sie so unvermittelt los, dass sie nach vorne taumelte und sich am Holzstoß in ihrem Rücken festhalten musste, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren. Fassungslos starrte sie ihr Gegenüber an. Sein Atem ging ebenso schwer wie der ihre, doch es lag etwas in seinem Blick, das sie absolut nicht deuten konnte. Und um ehrlich zu sein, im Moment wollte sie das auch gar nicht. Delilah hatte schon genug damit zu tun, sich von dem Überfall zu erholen, doch eigentlich war es nicht James‘ dreistes Vorgehen, das sie so aus der Fassung brachte, sondern viel mehr das, was er dadurch in ihr ausgelöst hatte. Zur Hölle mit ihm, sie zitterte am ganzen Körper! Delilah reagierte schneller, als ihr Verstand mitkommen konnte. In der einen Sekunde war sie noch halb gegen das Holz in ihrem Rücken gesunken, in der nächsten richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und holte aus. Der flammend rote Handabdruck auf James‘ Wange schenkte ihr nicht die Befriedigung, die sie sich erhofft hatte. Ganz im Gegenteil, im nächsten Augenblick tat es ihr bereits leid, ihn geschlagen zu haben. Aber da war sie auch schon um die nächste Hausecke gelaufen und kurze Zeit später im Wald hinter der Wiese verschwunden. Delilah kämpfte mit den Tränen, während sie ungeschickt durchs Unterholz brach, immer wieder an Büschen und Zweigen hängen blieb und schließlich völlig den Halt verlor. Sie fiel der Länge nach hin und ein Schmerz durchzuckte ihre Hüfte, als sie sich den Knochen an einer Wurzel anstieß. Das war der Moment in dem der Damm endgültig brach. Delilah kam nicht einmal mehr dazu, sich ihre Kleider auszuziehen, stattdessen zerriss es sie einfach und mit ihr zusammen den Stoff, der sie umhüllte. Kurz blieb sie stehen, um sich die Fetzen abzuschütteln, doch dann preschte sie auf allen Vieren los, als hinge ihr Leben davon ab. In ihrer Brust tobte eine Bestie. Sie wollte schreien, um sich schlagen, weinen. Doch nichts davon konnte sie tun. Ihr blieb nichts anderes übrig, als immer weiter zu laufen. Wieso hatte er das getan? Wieso hatte er sie geküsst, obwohl er doch das von Dean und ihr wusste? Sie hatte doch gesagt, dass es ein Fehler gewesen war, der nie wieder vorkommen würde! Ein tiefes Grollen drang aus ihrer schmerzenden Brust und sie beschleunigte ihr Tempo noch mehr. Versuchte den heftigen Gefühlen in sich drin davon zu laufen. Es gelang ihr nicht. Verflucht noch mal, mit seiner Wut hätte sie irgendwie umgehen können, aber nicht damit! Oh Gott, sie hatte ihn auch noch dafür geschlagen. Aber er hatte doch… Er hatte sie… Delilah kam schlitternd zum Stehen. Verdammt, JAMES! Ein langgezogenes Heulen drang lautstark aus ihrer Kehle und hallte weit durch den Wald. Vögel stoben erschrocken auf; selbst der Wind schien den Atem anzuhalten, während das Heulen andauerte, sich immer weiter in die Länge zog und schließlich verstummte. Kraftlos und schwer keuchend ließ sich Delilah auf einem Sonnenfleckchen zu Boden fallen, um sich erst einmal wieder zu beruhigen. Das Heulen hatte gut getan, was sie nie erwartet hätte, aber sie hatte es bisher auch noch nie versucht. Ihr Atem ging immer noch keuchend, als sie den Antwortruf eines anderen Wolfes vernahm. Nun nicht direkt den eines gewöhnlichen Wolfes. Selbst hinter diesem Heulen schien mehr zu stecken, als ein einfaches Tier, aber es war trotzdem unverkennbar. Delilahs Nackenfell sträubte sich widerwillig als Reaktion darauf und eigentlich sollte sie sich aufraffen, um die Stelle zu verlassen, die sie mit ihrem Heulen markiert hatte, doch ihre Beine schmerzten immer noch von der ungewohnten Belastung. Außerdem war sie bereits einmal weggelaufen. Sie würde es nicht wieder tun. Also wartete sie. Es dauerte nicht lange und ein riesiger Schatten näherte sich beinahe lautlos und gegen den Wind, so dass ihre feine Nase ihn nicht wittern konnte. Delilah war sich trotzdem sicher, dass es James war, der sie verfolgt hatte. Unwillkürlich drang ein grollendes Knurren aus ihrer Kehle und sie hob leicht die Lefzen. Gott, es war ja nicht so, dass ihr der Kuss nicht gefallen hätte! Ganz im Gegenteil, wie bei Dean schien er etwas in ihr ausgelöst zu haben, nur mit der geballten Wucht von James‘ Gefühlen und damit konnte sie im Augenblick überhaupt nicht gut umgehen. James näherte sich ihr langsam mit gesenktem Kopf. Ihr Knurren wurde lauter und er hielt in der Bewegung inne. Seine goldenen Augen lagen unergründlich auf ihr, war es doch in dieser Form noch schwieriger, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Er kam noch näher, begann sie immer weiter mit seiner schieren Masse zu überragen, obwohl er immer noch außer Reichweite ihrer Reißzähne wäre. Delilah erhob sich rasch auf ihre Pfoten, stand steif mit aufgerichteten Ohren und Rute da und sträubte zusätzlich noch mehr ihr Nackenfell, aber natürlich war das ein kläglicher Versuch, größer erscheinen zu wollen. Im Vergleich zu dem Werwolf vor sich war sie nur ein winizges Appetithäppchen das ihm zu imponieren versuchte. Es war gut, dass sie in dieser Form nicht auf menschliche Art und Weise kommunizieren konnten. Delilah hätte ihm am Ende verbal den Kopf abgerissen, obwohl sie es zugleich bedauern würde. Aber was fiel ihm auch ein, sie so aufzuwühlen, nachdem sie damit abgeschlossen hatte, keinem der Brüder mehr zu nahe zu kommen? Glaubte er denn, sie tat das mit Leichtigkeit und aus purem Vergnügen? Nein, es war ganz und gar kein Vergnügen für sie, sich zwei Männern zu entziehen, die sie körperlich anzogen und bei denen sie endlich einmal das Gefühl hatte, sicher zu sein. Und dann küsste James sie auch noch. Als würde ihr Körper nicht schon von alleine genug durchdrehen. Er wagte es noch einen Schritt näher zu kommen, woraufhin ihre Drohgebärden noch weiter zunahmen. Es überraschte Delilah selbst, wie gut es ihr gelang, wölfisches Verhalten zu zeigen, war sie doch für gewöhnlich nicht so vertraut mit ihrer pelzigen Seite. Aber sie hatte es im Blut und spürte es in jeder Faser ihres Körpers. Sie musste nicht einmal darüber nachdenken. Das war wirklich erstaunlich. Genauso wie die Tatsache, dass James bei ihrer lächerlichen Drohung nicht schon längst einen Lachanfall gehabt hatte. Er war so verdammt riesig! Gerade diese Herausforderung reizte sie noch mehr, weshalb Delilah mit wildem Knurren auf ihn zukam, um zu sehen, wie er reagierte. Überraschenderweise am Ende vollkommen anders, als sie erwartet hätte. James legte die Ohren an, senkte den Kopf weiter herab und ließ seinen Schwanz so weit zu Boden sinken, dass er ihn sich gerade noch nicht zwischen die Beine klemmte. Von dieser Geste ermutigt, kam sie noch näher und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass sie immer weiter zu ihm aufsehen musste. Dabei starrten sie sich unverwandt gegenseitig in die Augen. Für einen Moment zögerte er noch, doch dann ließ sich James langsam zu Boden und zur Seite fallen, so dass er ihr seinen entblößten Hals entgegen streckte und sich ihr völlig ergab. Ruhig und zugleich angespannt lag er da, während er ihre Reaktionen beobachtete, als würde er darauf warten, was nun als Nächstes kam. Doch da war sie selbst überfragt. Delilah hatte nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt etwas bei diesem Riesen bewirken konnte. Aber zumindest ließ das Chaos in ihr langsam nach und was zurück blieb war nur noch frustrierende Unentschlossenheit. Delilah hatte einfach keine Ahnung, was sie tun, wie sie reagieren sollte. Denn eigentlich hatte sie die Brüder aufgesucht, um ihnen die Nachricht ihrer Schwangerschaft mitzuteilen und sie darum zu bitten, wenigstens solange bei ihnen bleiben zu können, bis es überstanden war. Sie hatte sich ausgemalt, dass sie während der nächsten Monate genügend Zeit haben würde, sich eine Lösung für ihr Problem auszudenken. Vielleicht kannten die Brüder jemanden, der ein Gestaltwandlerkind adoptieren würde. In dieser Hinsicht hätte sie weniger Bedenken gehabt, da diese Leute wissen würden, was es mit dem Kind auf sich hatte. Ganz anders als bei ihren eigenen Pflegeeltern, vor denen sie ihr wahres Wesen immer hatte verstecken müssen, seit sie vier war. Delilah nahm nicht an, dass die Brüder das Kind selbst großziehen würden und sie selbst wäre einfach nicht in der Lage dazu. Sie konnte sich selbst kaum am Leben erhalten, wie sollte sie sich da um etwas so Hilfloses wie einem Baby kümmern können? Nein, sie würde das niemals schaffen. Doch all ihre bisher geschmiedeten Pläne fielen ins Wasser, wenn sie sich über ihre Schwangerschaft weiter ausschwieg. Sie hätte es den Brüdern schon am ersten Tag sagen sollen. Oder wenigstens dem Tag darauf, doch je länger sie wartete, umso komplizierter wurden die Dinge und als sie jetzt in James‘ Augen blickte, seine unterwürfige Art betrachtete, wurde ihr klar, dass sie es nicht konnte. Die Brüder waren so verdammt ahnungslos. Was würde es für sie bedeuten, zu hören, dass einer von ihnen Vater wurde? Gott, sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken. Sie würde ihnen ihr unbekümmertes Leben ruinieren. Die Lebendigkeit ihrer Jugend und des Leichtsinns, dem sie noch nicht entwachsen waren. Sie … konnte das einfach nicht… Delilah ließ ihre Haltung fallen und den Kopf hängen. Sie konnte James nicht länger in die Augen sehen. Würde sie an Wunder glauben, sie würde um eines beten. Aber so… Sie zog sich immer weiter vor James zurück, der sich inzwischen aufrecht hingelegt hatte und verkroch sich im Schutze einiger ausladender Farnwedel, um sich dort zusammen zu rollen. Vielleicht ließ er sie ja in Ruhe in Selbstmitleid baden, wenn sie ihn nur lange genug ignorierte. Tatsächlich kam er näher, wagte es aber nicht, zu nahe zu kommen. Er fiebte fragend, doch das einzige, das ihm antwortete, war ihr knurrender Magen. Eine Weile stand er noch unschlüssig da, bis er sich offensichtlich endlich entschieden hatte und schließlich davon lief, um sie alleine zu lassen. Delilah war zum Heulen zu Mute, doch weder gab sie einen Laut von sich, noch konnte sie in dieser Form richtig weinen, also ertrug sie das Gefühl der Einsamkeit und versuchte an nichts mehr zu denken. Das war das Beste, was sie im Moment tun konnte, feige wie sie war. Sie musste eingenickt sein, denn sie bemerkte seine Anwesenheit erst, als er schon dicht hinter ihr hockte. Delilah fuhr hoch und war überrascht einen nackten Mann, statt eines riesigen Werwolfes vor sich zu sehen. „Bist du bereit, dich heute an einem Hasenbraten zu versuchen?“ James hielt zwei tote Hasen in die Höhe und das winzige Lächeln, das seine Lippen umspielte, war so zögerlich, wie sie es bei ihm noch nicht gesehen hatte. Er war zwar nicht gut darin, das Thema zu wechseln, jedoch immer noch besser als sie. Außerdem bot er ihr damit die Chance, über den Kuss und die darauffolgende Ohrfeige hinweg zu sehen und in der Normalität weiter zu machen. Delilah erhob sich langsam, musterte noch einmal sein zerzaustes Erscheinungsbild – die Verletzungen waren schon in ihrem Heilungsprozess weiter voran geschritten - und vermied es dabei, weiter als bis zu seinem Bauchnabel hinab zu wandern. Er hatte überhaupt keine Scheu vorm Nacktsein und seit dem Tag mit Dean, wusste sie auch warum. Es war einfach vollkommen natürlich. Delilah verwandelte sich direkt vor James zurück und zupfte ihm anschließend einen kleinen Zweig aus den Haaren, ehe sie ihm wieder in die Augen blickte. „Wenn du die Zwiebeln schneidest, dann ja.“ Sein Lächeln wurde breiter. Das Flattern in ihrem Bauch kehrte zurück und dieses Mal war sie sich sicher, dass es nicht an seinem Äußeren lag, das dem seines Bruders so sehr glich. „Abgemacht.“ Und damit drückte er ihr einen der beiden toten Hasen in die Hand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)