Spirit of Silence von YourBucky ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Spirit of Silence I Tataaaaa! Ja, unser Baby, endlich ist es fertig!!! *freu* Ihr müsst nämlich wissen, diese Story ist etwas ganz, ganz besonderes. Sie ist nämlich von meinem lieben FF-Autor Son-Goku Daimao und mir zusammen geschrieben, und nicht nur das, der gesamte kranke Plot ist in unseren beiden Köpfen entstanden (Hee, warum laufen denn jetzt alle schreiend weg?!?)... Zur Info: Dimi ist Son-Goku Daimaos Chara und Sorraiah gehört mir. ^_~ Natürlich widme ich alles, was ich geschrieben habe, ganz allein dir, Chrissi, es gibt einfach niemanden, der mich mehr inspiriert!!! Und allen anderen danke ich inständig für's lesen und bitte mit riesigen Hundeaugen um einen Haufen Comments für einen von uns (wir hams natürlich beide hochgeladen!)!!! Danke und... enjoy! Ein stilles, hohles Dröhnen. Die flüchtige Berührung von Schwärze, nicht tiefe Schwärze, eher ein irritierendes Flackern, wie das Flimmern der Bildröhre eines alten Fernsehers. Oder, als ob man mit ungeschützten Augen direkt in die Sonne gesehen hätte. Dann veränderten sich die Konturen der Umgebung. Sie verschwammen, nur ganz leicht, aber stark genug, um im Gehirn ein Gefühl von Schwindel auszulösen. Es folgte kein Zusammenbruch, die Welt drehte sich nicht einmal, es war mehr so, als würden plötzlich schwache, wellenförmige Bewegungen durch den Boden laufen, ein bisschen so wie auf einem Schiff. Der Boden bestand aus Pixeln, kleinen, unscharfen Pixeln, und wenn man die Augen schloss, wurde das Schwindelgefühl stärker. Dann war es wieder vorbei. Sorraiah blickte auf. Seine Finger spielten mit fahrigen Bewegungen mit einem dunkelblauen Plastikkugelschreiber, auf dem in großen gelben Buchstaben das Logo "ITP" leuchtete. Die schwarze Mine des Stiftes hatte einen zittrigen, kurzen Strich auf dem kleinbedruckten Papier hinterlassen. Fluchend ließ Sorraiah das überaus hässliche Ding auf seinen Schreibtisch fallen und tastete nach der halb zerdrückten Zigarettenschachtel in seiner Hosentasche. Seine Finger zitterten immer noch ein wenig, dafür hatte sich sein Blick wieder vollständig geklärt. Er stieß einen weiteren leisen Fluch aus und beugte sich dann wieder über das Chaos seiner Unterlagen. Seit Tagen überfiel Sorraiah immer wieder dieses seltsame, leere Gefühl im Kopf. Kurze Schwindelanfälle, die ebenso plötzlich wie unvorhersehbar kamen und wieder gingen, unschuldig, als wären sie gar nicht da gewesen. Es musste dieser Fall sein, dachte Sorraiah missmutig und strich sich eine Strähne seines pechschwarzen Haares aus dem Gesicht. Der Fall machte ihm zu schaffen, dabei war es an und für sich reine Routine, nicht besonders spektakulär und schon so gut wie gewonnen. Eine ängstliche, verzweifelte Ehefrau klagte ihren brutalen Mann an. Die Geschichte war so klischeebeladen, dass sie genauso gut aus jeder mehr oder weniger pädagogisch wertvollen Vorabendsoap entstammen hätte können. Er, der klassische Verlierer. Guter Job - eine leitende Position an irgendeiner angesehenen Hochschule - und alle Chancen auf eine schöne Zukunft auf irgendeinem Ferienplaneten. Weißes Häuschen, weißer Gartenzaun, weißes Garagentor und ein paar wohlgeratene Kinder, die auf dem künstlich gezüchteten, sommergrünen Rasen tobten. Dann der Abstieg. Ein gemütlicher Abend mit seinen Stammtischbrüdern in irgendeiner der kleinen, verrauchten Großstadtkneipen, vielleicht einmal, vielleicht zweimal die Woche. Irgendwann jeden Abend. Der Stress war nicht leicht wegzustecken, auch nicht für so einen gestandenen Mann. Wahrscheinlich hatte er selbst als letztes bemerkt, dass die kurzen Realitätsfluchten sich langsam, schleichend vermehrten. Na und? Ein paar Drinks hatten noch niemandem geschadet. Wie sich der gute Lehrer über die ersten Schulstunden des Tages gerettet hatte, wusste Sorraiah nicht, wahrscheinlich hatten ihm ein paar Tablettenfreunde geholfen und den bösen, hungrigen Kater vertrieben, der einen ehrlichen Bürger in einen Zombie verwandelt hatte, eine wandelnde Leiche mit Augenringen und Schnapsfahne. Wann er seine Frau wohl zum ersten Mal geschlagen hatte? Vielleicht an jenem Tag, als er seinen Job, sein Leben verloren hatte. Mit Sicherheit war ihm in diesem Augenblick zum ersten Mal aufgegangen, dass er verdammt noch mal ein Problem hatte. Ein wenig zu spät, sicherlich, die Kündigung hielt er schon in der Hand und dann erwartete ihn zu Hause seine Frau. Sie war geboren, um ein Opfer zu sein. Blassblonde Haare, fahle Haut, schwarze Ringe unter den Augen. Der Blick einer Maus, durch und durch hilflos, leidend in jeder Sekunde ihres unglücklichen Lebens. Oder hatte er sie im Laufe der Zeit dazu gemacht? Jahrelang hatte er sie geprügelt, wahrscheinlich, weil sie gejammert hatte. Vielleicht hatte er ihre Unterwürfigkeit nicht ertragen. Vielleicht hatte er genau diese ausgenutzt, um wenigstens noch irgendjemanden unter sich zu haben. Irgendwann hatte er dann auch Hand an die Kinder gelegt und dann war sie aufgewacht. Hatte Hilfe gesucht. "Er hat sich doch jedes Mal entschuldigt! Aber die Kinder..." Mein Gott, wer hat von dir verlangt, dass du dich rechtfertigst? "Ich habe auch Fehler gemacht, das ist mir klar... ich..." die zittrige, blasse Stimme versagte und sie sank kraftlos wie eine Stoffpuppe in sich zusammen. "Ich werde ihnen helfen, vertrauen sie mir. Es ist gut, dass sie endlich gekommen sind." "Ich habe das doch nicht gewollt..." Ein Schluchzen. Nicht gewollt, nicht gewollt, das sagst du jedes Mal, du kleine Ratte. Es tut mir leid! Ich habe dir ausdrücklich verboten, an den Schrank zu gehen. Gestern war da noch ein Brötchen und heute ist es nicht mehr da. Ihr Plagen bringt uns noch auf die Straße! Ich hatte solchen Hunger, es tut mir leid! Halt endlich dein dummes Maul! Oh bitte, Sakamoto, hör auf, ihn zu schlagen! Er ist doch noch ein Kind. Eines Tages wirst du ihn noch totprügeln. Einer mehr oder weniger, was soll's? Und misch dich nicht ein. Du bist betrunken, du bist schon wieder betrunken. Er ist doch dein Sohn... Sie können's gar nicht früh genug lernen! Ist das Essen fertig? Mit was soll ich denn Kochen? Sakamoto, lass ihn los. Lass ihn doch endlich los. Koch jetzt oder bück dich, Honey! Ich... mache die Reste von gestern warm. In einer halben Stunde gibt es Essen. Sorraiah hob ruckartig den Kopf. Sein Atem ging keuchend, so als wäre er zu schnell gerannt. Seine Finger hatten wieder zu zittern begonnen. Seufzend zündete er sich eine weitere Zigarette an, stand auf und trat an eines der geöffneten Fenster. Die Nacht war nicht dunkel. Milliarden kleiner Lichter, Neonreklamen und Gleiterscheinwerfer funkelten wie ein Meer künstlicher Sterne. Der Mond hing als blasse, halbrunde Scheibe am graublauen Nachthimmel. Eine dünne, neblige Wolkendecke hatte sich wie ein Schleier vor das silbrig blaue Licht des Himmelskörpers gelegt, doch das ließ die schlaflose Großstadt nur umso heller erstrahlen. Attraya war kein sehr großer Planet. Im Grunde genommen gab es dort nur zwei Städte - diese bedeckten jedoch seine gesamte Oberfläche. Auf der einen Hälfte Attrayas lag Litonia, auf der anderen Hälfte Illythia, und dort lebte auch Sorraiah. Ganz oben auf einem der gigantischen Hochhausbauten mitten in der Innenstadt lag seine Penthousewohnung. Von hier aus konnte er einen großen Teil der pulsierenden Metropole überblicken. Den Vergnügungspark am Atalic Lake, die grell funkelnden Werbeschilder des Glücksspielerviertels und die drei gläsernen Hochhaustürme des INFERIA Hauptgebäudes, die mit einem Netz von ebenfalls in Glas gefassten, freischwebenden Gängen miteinander verbunden waren. Helle Scheinwerfer tauchten das gewaltige Gebäude in gleißendes Licht, wie ein Mahnmal überragte es die gesamte ruhelose Stadt. In einem dieser Glastürme lag die Anwaltskanzlei von ITP, INFERIA Trust & Partner, sein Arbeitsplatz - und der Sponsor seiner hässlichen Kugelschreiber. Es war an und für sich nichts Ungewöhnliches, für INFERIA zu arbeiten - eigentlich war jeder zweite Berufstätige mittlerweile bei ebendieser Organisation beschäftigt. Politiker, Soldaten, Sicherheitskräfte, Forscher, Techniker, Architekten, Professoren, Fabrikarbeiter - und Anwälte. Manchen Menschen war die Übermacht der Organisation unheimlich, es gab üble Gerüchte über illegale Forschungsprojekte und andere schmutzige Geschäfte, aber das war Sorraiah mehr oder weniger egal. Er hatte mit seinem Job wirklich Glück gehabt und er verdiente außerordentlich gut. Die Nacht brachte einen kühlen Wind mit sich. Sorraiah fröstelte in der eher dünnen schwarzen Hose seines Anzuges. Er wandte seinen Blick vom nächtlichen Illythia ab und trat vom Fenster weg. Er hatte heute Nacht noch einiges zu erledigen. Verdammt, er musste diesen Fall endlich zu Ende bringen, sonst würde er endgültig den Verstand verlieren! Mit einer lässigen, nahezu beiläufigen Bewegung hob er seine Hand in Richtung Fenster. Im nächsten Augenblick fiel es mit einem lauten Knall zu. Ein kalter Windstoß fegte in die Wohnung und drückte gegen den metallenen Griff des Fensters. Er drehte sich langsam und lautlos in der Fassung herum. Sorraiah lächelte zufrieden. Der junge Schwarzhaarige trällerte leise ein melancholisches Liedchen vor sich hin und trat vor den Spiegel. Der Blick eines goldbraunen Auges traf ihn. Trotz der warmen Farbe lag darin ein kühler, beinahe herablassender und gleichzeitig auf seltsame Art und Weise desillusioniert wirkender Ausdruck. Sorraiah verzog seine Lippen zu einem Lächeln, ein Lächeln, dass er jahrelang geübt und mittlerweile perfektioniert hatte. Ich bin ihr Anwalt, vertrauen sie mir. Das pechschwarze Haar fiel ihm lang bis auf die Schultern hinab und verdeckte fast seine gesamte linke Gesichtshälfte. Was man jedoch von seinen Gesichtszügen erkennen konnte war schön, auffallend schön und in seiner blassen, gebrechlich wirkenden Perfektion eiskalt. Sorraiah knöpfte sein schneeweißes Hemd bis oben hin zu, band sich eine schwarze Krawatte um und schlüpfte in eines seiner ebenfalls schwarzen Jacketts. Er holte tief Luft. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hatte er es nicht ertragen können, sein eigenes Bild im Spiegel zu sehen. Der fremdartige Blick aus dem einen, goldenen Auge. Das halb versteckte Kunstwerk seines bleichen Gesichtes. Ein schwacher Ausdruck von Abscheu spielte um seinen Mund. Er wandte sich ab. Er hasste diese Momente und genau aus diesem Grund hasste er auch Spiegel so sehr. Diese abartigen, durch und durch boshaften Dinger, deren einzige Aufgabe es war, einem die schonungslose, schmerzhafte Wahrheit vor Gesicht zu halten. Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Geh sofort aus meinem Gesichtsfeld, du halb blinder, nikotinsüchtiger kleiner Krüppel! Oh mein Gott, dachte Sorraiah, wie gerne würde ich dir ein bisschen Feuer unter deinem gläsernen Hintern machen. Arschloch. Überhaupt, was hatte ihn denn schon die Meinung eines... Spiegels zu kümmern? Er besaß so ziemlich alles, was man sich für Geld kaufen konnte. Und noch etwas viel Wertvolleres, eine unbezahlbare Gabe, ein Geschenk, dem er einen großen Teil seines Erfolges verdankte. Charisma. Er war der Anwalt des Vertrauens, der unerbittliche Ankläger, er konnte Kleinkriminelle lebenslang hinter Gitter bringen und Serientäter aus der Todeszelle holen. Recht? Wen kümmerte Recht? Es war eine grausame Welt, in der ging es allein um die besseren Argumente, nicht was man vertrat, sondern wie man es vertrat. Und zur Not, dachte er lächelnd, ließ sich bei jedem Fall ein wenig nachhelfen. Bei allen Göttern, Sorraiah war reich, er war schön, er war erfolgreich. Er war INFERIAs 21-jähriger Staranwalt auf dem Gipfel seines Erfolges. Und, verdammt, er hing immer noch an diesem verfluchten Fall fest. Sorraiah begann wieder zu singen und schlenderte auf seinen Schreibtisch zu. Dort steckte er eine neue Schachtel Zigaretten und eines seiner unzähligen Blätter ein. Namen von wichtigen Zeugen und sonst irgendwie in den Fall verwickelten Personen. Hinter einigen waren Zeichen und Buchstabenkürzel auf das Papier gekritzelt, andere Namen waren durchgestrichen oder mit leuchtender Farbe markiert. Ein flüchtiger Blick. Er hatte noch einiges zu tun in dieser Nacht, aber die Nacht war noch jung und Illythia schlief nicht. Ein kühler Wind strich einsam und verloren durch die Straßen der gigantischen Stadt. Was für ein Glück! Die perfekte Nacht für einen kleinen Ausflug. Der Schwarzhaarige löschte das Licht in seiner schnuckeligen kleinen Penthousewohnung und ließ den Raum in schwachem bläulichem Leuchten zurück. Die Lichtquelle war sein Aquarium, das zwar nur etwa zehn Zentimeter dünn war, dafür aber eine gesamte Wand einnahm. Die restlichen Wände in dem unteren Stockwerk bestanden fast ausschließlich aus Fenstern. Er liebte den Ausblick über die Stadt wirklich. Irgendein Lied kam ihm in den Sinn, er wusste nicht einmal, wie es hieß oder woher er es kannte. Pale moon's rising over city's lights Make me shine Make me cry Let stars sparkle over dark, cold night Time to leave For my last ride Sorraiah lächelte und fuhr mit dem Fahrstuhl hinab zur Erde, hinab in das ruhelose Neonmeer. Die Party konnte beginnen. "Anwalt Masayume?" Die Stimme des Mannes klang vollkommen ausdruckslos, weder fröhlich noch wütend noch dankbar noch traurig. Doch dann, ganz plötzlich, verzogen sich seine Lippen zu einem stolzen, väterlichen Lächeln. "Sorraiah, ich muss dir gratulieren. Ich weiß nicht, wie du das machst, aber du bist immer noch der Einzige, der einen unglücklichen Säufer wie den Staatsfeind Nummer eins darstellen kann." "Ich denke, sie wissen genau, wie ich das mache!" Sorraiah lächelte und zwinkerte dem grauhaarigen Mann in dem braunen Anzug verschwörerisch zu. "Die andere Hälfte sind hieb- und stichfeste Recherchen, der richtige Kontakt mit den Zeugen und ein überzeugendes Auftreten." "Ach, jetzt untertreibst du!" Er klopfte dem Schwarzhaarigen auf den Rücken und ließ seine Hand dann etwas tiefer als nötig an ebendieser Stelle ruhen. "Komm doch noch mit in mein Büro, ich muss mich mit dir unterhalten." "Ein neuer Fall?" "Das besprechen wir dort." Die Beiden schlenderten durch die riesige Vorhalle des INFERIA-Hauptgebäudes. Der Boden war mit schachbrettartig angeordneten Fließen bedeckt, etliche künstliche Pflanzen standen in den Ecken des Raumes und hingen von der Decke hinab. Es herrschte geschäftiges Treiben, alle möglichen Arbeiter gingen ein und aus. Manche von ihnen trugen weiße Kittel, andere waren in maßgeschneiderten Anzügen und mit schwarzen Aktentaschen unterwegs. Hinter den Empfangsschaltern saßen etliche junge Frauen an einer Vielzahl von Bildschirmen und elektronischen Geräten. Mit einem seichten Dreiklang kündete sich einer der großen Aufzüge an, über die man in alle möglichen Abteilungen der gläsernen Festung gelangen konnte. Sorraiah und sein Begleiter - kein Geringerer als sein direkter Vorsitzender und Chef der ITP-Anwaltskanzlei, Franklin Haddock - fuhren in eine der obersten Etagen. Nach wenigen Sekunden ertönte wieder der Dreiklang. Sie stiegen aus, bogen ab und durchquerten einen der Gänge, die zu einem anderen Glasturm führte. Auf dem Boden war eine Art Fließband, das einen bequem und schnell in das etwa hundert Meter entfernte Gebäude brachte. Dank dieser Skywalks konnte man - vor allem in den oberen Stockwerken - für einige Augenblicke entspannen und die Aussicht über die Stadt genießen, doch Haddock hatte ganz offensichtlich vor, möglichst schnell in seinem Büro anzukommen und schritt eilig in Fahrtrichtung aus. Schon wenige Minuten später traten die beiden in einen großen, hellen Raum, der größtenteils von einem riesigen Schreibtisch ausgefüllt war. Dahinter stand ein gepolsterter schwarzer Bürostuhl, in dessen Rücken eine Glaswand einen ebenso schönen Ausblick über Illythias Häusermeer gewährte. Haddock nahm nicht auf seinem Chefsessel Platz, sondern auf einem der beiden weitaus weniger bequemen Stühle, die vor seinem Schreibtischungetüm standen. Sorraiah setzte sich auf den noch freien Platz. Mit einer scheinbar beiläufigen, fast unbewusst scheinenden Bewegung platzierte Haddock eine seiner Hände auf dem Oberschenkel des jungen Anwaltes, was dieser jedoch nicht weiter beachtete. "Also, worum geht es?" fragte er und konnte sich ein herzhaftes Gähnen nicht verkneifen. Immerhin hatte er in der letzten Nacht herzlich wenig geschlafen und an diesem Vormittag schon eine reichlich anstrengende Gerichtsverhandlung hinter sich. Er lächelte entschuldigend und fixierte Haddocks Gesicht mit seinem goldbraunen Auge. "Wie du dir schon gedacht hast - ein Fall, um den du dich kümmern sollst. Offen gesagt, die Akte... liest sich etwas merkwürdig. Ich fürchte auch, es wird keine leichte Aufgabe sein, also möchte ich sie dir anvertrauen. Du weißt, du bist mein bester Anwalt..." "Merkwürdig?" Sorraiah horchte auf. Sein Interesse war geweckt. Nachdem er sich mit seinem letzten Fall richtiggehend gequält hatte, war ein etwas ungewöhnlicher Auftrag genau das, was er jetzt gebrauchen konnte. Vielleicht ein ritueller Mord, vielleicht irgendein schizophrener Irrer, der sich für einen Vampir oder die Reinkarnation des leibhaftigen Bösen hielt. Wahnsinnige Zeugen, bluttriefende Tatorte und ein dicht versponnenes Netz tragischer Schicksalsfäden, genau das waren die Stoffe, aus denen ein entspannender Fall zu bestehen hatte. Er seufzte unhörbar und verzog seine Lippen zu einem verzückten Lächeln. "In der Tat. Es geht um einen... nein, lies es dir am besten selber durch. Die Liste der Zeugen und alle weiteren bisherigen Hintergrundinformationen liegen bei." Haddock zauberte eine graue Mappe unter seinem schneeweißen Berg von Schreibtischunterlagen und pedantisch geordneter Zettelwirtschaft hervor. Er drückte sie Sorraiah mit wichtigtuerischer Miene in die Hand und nickte ihm verschwörerisch zu. "Ich bin froh, dass du den Fall annimmst." "Sie wissen doch, ich hab ein Faible für... merkwürdige Fälle..." Er betonte das Wort genau so, wie sein Vorgesetzter es getan hatte und ließ die Mappe mit einem höchst zufriedenen Gesichtsausdruck in seiner schwarz glänzenden Aktentasche verschwinden. Erst jetzt wurde ihm richtig bewusst, dass er es kaum erwarten konnte, die Unterlagen durchzusehen. An dem höflichen Schweigen im Raum bemerkte er, dass sein wichtiges Gespräch ganz offensichtlich beendet war. Er stützte sich mit beiden Armen auf den Stuhllehnen ab und erhob sich. Genauer gesagt wollte er es tun. Denn noch im Aufstehen durchzuckte urplötzlich ein heftiger Schmerz seinen Kopf. Es war wie ein greller Blitzschlag, der nur den Bruchteil einer Sekunde andauerte, aber ein weißes Flackern zurückließ, ein flimmerndes Chaos aus tanzenden Lichtpunkten. Sorraiahs ganzer Körper fühlte sich mit einem Schlag vollkommen leer an, als ob sich seine Knochen in Nichts aufgelöst hätten. Seine Beine gaben ihm nach und er musste sich auf der Stuhllehne abstützen. Noch im selben Augenblick begriff er, dass dies eine schlechte Idee gewesen war, denn auch sein Arm schien sein Gewicht mit einem Mal nicht mehr tragen zu können. Mit einer absurden Verzögerung sah er durch das Flimmern hindurch, wie er zur Seite kippte und wohl auf dem Boden gelandet wäre, hätten ihn nicht zwei kräftige Hände bei den Schultern gepackt und ruckartig aufgerichtet. "...raiah! Sorraiah!" Der junge Anwalt blinzelte Haddock für einen Moment orientierungslos an, dann klärte sich das Bild vor seinen Augen ebenso schlagartig, wie es sich in ein sinnloses Durcheinander von schwarzen und weißen Pünktchen verwandelt hatte. Sorraiah blinzelte. Er spürte, wie sein Chef ihn wieder in den unbequemen Bürostuhl setzte. "Sorraiah, verdammt, was ist los?" "Ich... ist schon wieder in Ordnung, keine Ahnung..." Tatsächlich war das Schwindelgefühl in seinem Kopf vollständig verschwunden, allerdings schien jeder einzelne Muskel in seinem Körper zu zittern. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. "Wahrscheinlich bin ich einfach nur ein wenig überarbeitet!" "Hm..." murmelte Haddock. "Willst du vielleicht etwas trinken?" "Nein, wie gesagt, es ist schon OK." Wie zum Beweis seiner Worte stand Sorraiah auf und zuckte mit den Schultern. Er fühlte sich zwar noch ein wenig wackelig auf den Beinen, ansonsten erinnerte aber nichts mehr daran, dass er vor einigen Minuten einen Schwächeanfall gehabt haben sollte. Er holte noch einmal tief Luft, griff nach seiner Aktentasche und ging dann zur Türe. "Wenn so etwas öfter passiert, solltest du dich vielleicht untersuchen lassen." Auf Haddocks Gesicht lag wieder sein durch und durch väterliches Lächeln. "Ansonsten, melde dich, wenn du mit dem Fall vorangekommen bist." "Alles klar!" Sorraiah hob zum Abschied die Hand und trat dann aus Haddocks Büro auf den Gang hinaus. Er schlenderte über den dunkelroten Teppichboden und trat dann auf das Fließband des Skywalks. Er hatte es nicht eilig. Sein Blick ruhte wie versunken aus der bizarren Landschaft gläserner und steinerner Türme, zwischen denen sich ein lebendiger Fluss hektischer Menschenmassen hindurchschlängelte. Die Straßenschluchten wurden durch eine langsam marschierende Kolonne von Gleitern geteilt. Am Horizont reckte das Riesenrad des Atalic Lake Vergnügungsparks sein stählernes Skelett dem graublauen Mittagshimmel entgegen. Sorraiah kramte eine Zigarette aus der Tasche hervor und steckte sie sich hinter das Ohr. Holy Jesus, fuhr es ihm durch den Kopf. Ich glaube, ich kann wirklich ein bisschen Erholung gebrauchen... Seiya? Bist du das? Seiya? Sag doch was! Bist du es, Seiya? Erneut fand er sich auf dem Boden wieder. Mitten auf einer alten, verrotteten, schimmeligen Matratze, die nach Abfall, Dreck und Schweiß stank, dass einem schlecht wurde. Das ursprüngliche Weiß der Laken war grau geworden und überall tauchten große und kleine braune Flecken auf, die sich jeden Tag zu verdoppeln schienen. Der Junge machte seine Augen auf und schaute verängstigt und fragend durch den Raum. Alles war wie immer. Die Glühbirne, die an einem halb durchgeschnittenen Kabel aus der Decke ragte, war aus, sodass das Zimmer in totaler Finsternis versank. Doch selbst wenn das Licht an gewesen wäre, man hätte nicht viel erkennen können. Außer den vier kargen und leeren Wänden, mit den vielen Rissen und mehreren Schichten von Tapeten, die alle mit Blumen und tanzenden Bärchen in pinken Ballettröckchen beschmückt waren gab es hier nichts. Die Matratze mal ausgenommen. Ein Schaudern lief durch den zerbrechlichen und geschundenen Körper, als ein leiser Windhauch durch das heruntergelassene, aber durch viele Löcher zum Sieb umfunktionierte Rollo hereindrang und den ungeschützten, halbnackten Körper traf, der hier verzweifelt versuchte, sich aufzuwärmen. Das Kind hatte sich zusammengerollt und die Arme um sich selbst geschlungen. Doch außer einer zerrissenen Jeans und seinem Atem gab es hier nichts, mit dem er sich hätte helfen können. Er schniefte und hustete, ein paar Nebelschwaden bildeten sich vor seinem Mund, vor den aufgeplatzten und blutig gebissenen Lippen, die vor Angst und Kälte bibberten. Er drehte sich etwas zur Seite und hob seinen Kopf ein wenig an. Schmerzen durchzuckten seinen ganzen Körper. In den Schnittwunden an seinen Armen brannte und pochte es, als bekämen die vielen tiefen und zum Teil entzündeten Wunden einen eigenen Herzschlag. In seiner Lunge machte sich ein zerreißendes Ziehen breit, dass ihm fast den Hals zuschnürte. Seine Brust drückte ihn zurück in die Laken, so viele blaue, grüne, graue und gelbe Flecken hatte er auf seinem jungen und gebrochenen Körper, er konnte sie schon gar nicht mehr zählen. Er biss die Zähne zusammen und schloss seine Augen, er wollte jetzt einfach nur wieder schlafen, einfach für einen kurzen Moment alles vergessen. All der Schmerz, die Angst, die Sorge, den Hass, den Ekel und die Scham, einfach alles wollte er runterschlucken und verdrängen. Wenn es doch nur so einfach wäre. Der rettende Schlaf kam nicht. Lange wand sich das Bündel Mensch hin und her, keuchte jedes Mal unter den Prellungen und Blutergüssen auf, die man ihm im Verlauf von unzähligen Stunden der Folter angetan hatte, und wünschte sich ohne Hoffnung auf Erfolg, dass ihm die Lieder zu fallen und er im Reich der Träume versinken möge. Da raschelte etwas direkt hinter ihm. Jemand hatte sich auf die Matratze gesetzt. Das Gewicht des Unbekannten hätte den Junge fast dazu gebracht, sich auf den Rücken zu rollen. Panik stand nun in den weit aufgerissenen und zu Eis erstarrten Augen. Wer war da? "S-seiya?" Seine Stimme drang schüchtern und flüsternd hervor. Man verstand ihn kaum. Keine Antwort. Der Körper des Jungen zuckte zusammen, als er spürte wie ein Arm um ihn gelegt wurde. Behutsam und fast fürsorglich legte sich die dazugehörige Hand auf seinen kalten Bauch. Sie war angenehm warm. Fast im selben Augenblick drängte sich ein anderer Körper, nicht viel kleiner als der des Jungen an seinen Rücken. Wohlige Schauer von Hitze durchfluteten das frierende Kind. Ein Paar vertrauter Lippen setzte sich auf seine Schulter, sanft, fast nur gehaucht. Der Junge löste sich aus seiner Starre und lächelte leicht. Die Angst entschwand ins Nichts. Er war wieder bei ihm. "Seiya!" Erneut küsste ihn jemand in den Nacken, wieder nur ganz leicht und liebevoll. "Entschuldige, dass ich dich geweckt habe. Schlaf weiter." Seine Stimme klang so beruhigend, so beschützend. Man fühlte sich sofort sicher und geborgen. Jetzt kam auch die bleierne Müdigkeit, die vorhin so lange auf sich warten ließ. Der Junge kuschelte sich näher an seinen Freund heran, genoss die Wärme seiner Haut, die ebenso nackt auf seine eigene traf. Er lauschte dem Herzschlag des einzigen Menschen auf der Welt, dem er vertraute und auf einmal waren all die schlimmen Gedanken wie weggewischt. Er riecht nach Schweiß. Mr. Shikaido muss ihn ziemlich hart rangenommen haben. Wie von selbst streichelte der Junge den schützenden Arm, der um seine Hüfte lag und begann leise zu summen. Seiya mochte es, wenn sein Freund ihm etwas vor summte. Er konnte dann leichter einschlafen. "Danke" Hallte es an das Ohr des Jüngeren. Und wieder berührten ihn diese weichen Lippen unendlich zärtlich auf seiner Schulter. "Ashiteru, Seiya" Der Jüngere konnte das Lächeln auf dem Gesicht des anderen spüren. "Ashiteru Dimi." Das Bild riss ab. Der kleine, dunkle Raum mit der Matratze wich einem großen Zimmer mit vielen Fenstern und einem dunkelblauen Teppich, der so glatt dalag, wie der Ozean in ruhigen Nächten. An den etwas helleren, aber ebenfalls blauen Wänden hingen ein paar Bilder. Eines zeigte einen großen, Gold leuchtenden , riesigen Wal, der halb aus dem Wasser gesprungen war und nun in einem Wirbel aus Gischt, Wassertropfen und Licht wieder in seine Heimat entschwand. Dimi mochte dieses Bild. Es erinnerte ihn an seine eigene Heimat, an sein Zu Hause, viele viele Galaxien entfernt im Alpha-Quadranten auf dem Saturn. Lange war es nun schon her, dass er sich von dort aufgemacht hatte, heimlich als blinder Passagier auf einem Transportgleiter, der extra gezüchtete, weiße Elefanten zum Mars bringen sollte, da Prinzessin Anjanka nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter den Dienst als Königin des Feuerreiches antreten musste. Die seltenen Tiere sollten die feierliche Parade anführen. Er erinnerte sich noch genau an den Geruch dieser gewaltigen und doch sanftmütigen, ja, fast trägen Lebewesen, Es hatte nach Heu, nach den ureigenen Duftstoffen eines jeden Tieres und nach Krankenhaus gerochen. Vermutlich, so hatte Dimi sich damals zwischen den Säulen artigen Füßen dieser Kolosse gedacht, waren sie vorher noch in einem Genlabor zur Untersuchung gewesen. Und dann war er einfach so aus seiner Heimat entschwunden. Nur, dass er, nicht wie der leuchtende Wal, den er schon einmal lebendig gesehen hatte, nie wieder zurückgekommen war. Der Junge seufzte. Er hatte sich an eines der Fenster gestellt, die den Blick auf das unendliche Universum freigaben. Obwohl es draußen dunkler war, als manche Nächte sein konnte, war es im Zimmer selbst hell und leuchtend warm. Viele kleine, weit entfernte Sonnen, Planeten und Rücklichter von Raumgleitern verschiedenster Art stachen ihm in die Augen. Er verlagerte sein Gewicht gedankenverloren von einem Bein aufs andere, der weiche und flauschige Teppich hätte eigentlich seine Fußsohle kitzeln müssen, da er weder Schuhe noch Socken trug, doch er spürte nichts. Wenn ich doch nur wüßte, was mit dir passiert ist, Seiya. Wieder seufzte er und fuhr sich durch seine kurzen, sehr dunklen schwarzblauen Haare, die ihm schwer in die Stirn fielen und es einem so schwer machten, seine Augen zu erkennen. Vage spiegelt sich sein Gesicht in der Scheibe, an der nun ein großer Transportgleiter von INFERIA vorbei gedonnert kam. Lustigerweise hörte man ihn nicht. Kein lautes Dröhnen, kein Rauschen und Knistern von Antriebsmotoren oder das Knallen und Zischen der verdrängten Luft, stumm, fast geisterhaft flog das Ungetüm aus Metall, Drähten und Lichtern an Dimi vorbei. Hm......INFERIA.........Ich frage mich, ob mein Anwalt auch für INFERIA arbeitet. Möglich wäre es, immerhin hat die Firma auf Attraya die meisten Hochhäuserbauten weit und breit. Der große, graue Planet, der bis vor kurzem noch schüchtern im Hintergrund des geschäftigen Treibens von Gleitern, Raumschiffen und umher schwebenden Felsbrocken geblieben war, tauchte nun fast erschreckend groß in der Schwärze des Alls auf. Das war Attraya, das Ziel von Dimis Reise und wohl möglich der letzte Ort, den er als freier Mensch betreten würde. Er wußte nicht wirklich viel über die dortigen Sitte und Gebräuche. Das einzige, was er aus ein paar Prospekten herausgefunden hatte, war die Tatsache dass Attraya in zwei Großstädte eingeteilt war. Die genauen Namen hatte er nicht mehr im Kopf, aber die, in die Dimi wollte, fing mit einem I an. Doch wußte Dimi auch, dass ihn dort unten drei gigantische Glastürme, die INFERIA-Türme erwarten würden. Immerhin würde er dort in wenigen Stunden ein Konzert geben und danach, ja, danach würde er dann den Menschen treffen, der ihn vor einer grauenvollen Zukunft im sichersten und schlimmsten Gefängnis auf dem Merkur bewahren sollte. Der junge Mann schloss kurz seine Augen und schaute sich dann genau in sein eigenes Spiegelbild. Er lächelte schief. War es denn wirklich so schwer, ihm in die Augen zu gucken? Warum gelang es den meisten Leuten nicht? Fast jeder, dem er in die Augen sah, schaute weg, lief rot an, oder starrte zurück, als sei Dimi ein Alien, ausgestellt in einem gigantischen Zoo. Lag es wirklich nur an der andersartigen Farbe seiner Pupillen? War es nur diese kleine äußerliche Abnormalität? Von Geburt an hatte Dimi immer starke, strahlende blaue Augen gehabt. Fast schon zu blau, doch dann war der Regen gekommen und hatte das Blau weggewischt, wie den falsch aufgetragenen Lack eines alten Gleiters. Und zurückgeblieben waren zwei eiserne, kalte und silbern glänzende Kugeln, die Dimi schon ein wenig das Aussehen eines Cyborgs verliehen. Da klopfte es an der Tür. Dimi drehte seinen Kopf zur Seite und bat seinen Manager herein. Godjira Tai Ling war ein Mann, der immer gepflegt aussah, egal, in welcher Lebenslage. Sein etwas übergewichtiger Körper war in einen hellbraunen Anzug verpackt, garniert mit einer rotgrau-karierten Krawatte und zwei schwarzen Lackschuhen, die er gerade neu gekauft haben musste, denn gleich als er reinkam, rutschte er auf der glatten Sohle fast aus du fing sich im letzten Moment. Sein blondiertes Haar war glatt gekämmt und seine Brille mit den viereckigen Gläsern, die nur deswegen viereckig waren, weil laut Umfrage, Menschen mit runden Brillengläsern oft für dümmer eingeschätzt wurden, als Leute mit eckigen Gläsern, verlieh seinem an sich sehr netten und freundlichen Gesicht eine gewisse Härte und Stränge, die nun gar nicht zu seinem Lächeln passte. "Hallo Godjira. Was gibt es?", fragte Dimi tonlos und ging durch den Raum zu einem großen Glastisch, auf dem ein hölzerner Kasten lag. "Hallo Dimi. Ich wollte nur noch mal fragen, ob du auch fertig bist, für den Auftritt meine ich. Du musst sie umhauen heute Abend." Herr Tai Ling folgte seinem Schützling, der fast einen ganzen Kopf großer und viele Kilos leichter war. "Wieso? Ist jemand Besonderes im Publikum?" Dimi öffnete vorsichtig den Deckel des geformten Kastens und betrachtete mit einem Lächeln seine Violine. Sie lag da, eingebettet in ein rotes Samttuch. Sie war aus schwarzem Holz, die Seiten waren silber und mit einem goldenen Schriftzug in verschnörkelter Schrift stand Dimis Künstlername unten am Rand. "Spirit of Silence" "So könnte man es sagen. In der Tat. Es sind jede Menge Leute von INFERIA da und ich meine nicht, einfach nur irgendwelche Arbeiter..." "Wohl kaum. Statistisch gesehen ist jeder zweite Arbeiter im gesamten Universum Mitglied der großen INFERIAfamilie und demnach dürfte jeder zweite Besucher meiner Konzerte dort arbeiten.", unterbrach ihn Dimi. Godjira schüttelte verständnislos den Kopf und fuhr fort. "Wie dem auch sei. Heute sind ne ganze Menge Vertreter aus dem Vorstand, der obersten Etage im Publikum. Und dein Anwalt ist auch dabei. Zumindest habe ich ihm eine Eintrittskarte geschickt, ob er kommt, weiß ich nicht, aber andererseits, wer will dich nicht hören?" Er lachte laut, als hätte er einen verdammt guten Witz gerissen und tätschelte Dimis Schulter. "Wer ist den dieser Anwalt? Ich kenne ihn gar nicht." Er strich behutsam über die Inschrift und machte den Deckel dann wieder zu. "Du wirst Augen machen. Es ist kein geringerer als Sorraiah Masayume, den ich für dich an Land gezogen habe. Was sagst du dazu?" Tai Ling sah Dimi erwartungsvoll an, ein Leuchten lag in seinen Augen. "Und? Ich hab den Namen noch nie gehört? Ist was mit dem nicht in Ordnung, oder wie?" "Was!? Du kennst Sorraiah Masayume nicht. Den jüngsten und erfolgreichsten Staranwalt der ersten zehn Quadranten. Meine Herren, du hast die Allgemeinbildung eines Sechstklässlers." "Promiwissen." Dimi sagte es tonlos und schritt zurück zum Fenster. "Was?" "Du meinst, mein Promiwissen ist das eines Sechstklässlers, nicht Allgemeinbildung." Godjira stand verwirrt im Raum. "Was meinst du damit?" "Allgemeinbildung ist, wenn du in vielen Bereichen zwar über kein komplettes, aber ein Teilwissen verfügst. In Bereichen wie Physik, Mathematik, Astronomie oder Medizin. Was du meinst, bezeichnet man im Allgemeinen als Promiwissen oder meinetwegen auch Boulevardbildung. Damit ist gemeint, dass man so gut wie alles über berühmte Persönlichkeiten, wie Fimstars, Musiker oder eben Staranwälte weiß. Du hast das bloß vertauscht." Noch immer klang in Dimis Stimme kein Gefühl mit. Er stand wieder am Fenster und schaute das näherkommende Attraya an. "Wie du meinst. Aber denk dran, das Konzert beginnt um acht. Das Meeting mit Sorraiah ist um zehn." "Ist klar." Damit war der dickliche Mann auch schon wieder im Flur verschwunden und Dimi blieb allein zurück. Ich bin wirklich gespannt, ob dieser Sorraiah auf dem Konzert sein wird Kapitel 2: SOS Kapitel 2 ------------------------ Spirit of Silence II "Ich hasse mein Leben!!!!" Sorraiah schob seine Unterlippe nach vorne und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein goldbraunes Auge funkelte. "Sorraiah, du bist verrückt! Absolut verrückt!" Der grauhaarige Mann konnte nichts anderes mehr tun, als verständnislos den Kopf zu schütteln. "Danke, das weiß ich selber! Aber... aber... Haddock, das ist nicht fair! Ich meine, ich bin Anwalt. Mein Job ist es, einen teuren Anzug zu tragen und wichtig auszusehen. Ich habe wirklich Besseres zu tun, als dem Rumgehopse irgendeines Möchtegernsängers zuzusehen und mich von einer Horde wildgewordener Teenager zertrampeln zu lassen!" "Also erst einmal nennt man das Bühnenshow, und um eines klarzustellen, dein Job ist es immer noch, Menschen vor Gericht zu verteidigen. Und wenn einer dieser Menschen nun mal ein berühmter Sänger ist, kann es dir doch nur recht sein, wenn du auch noch eine kostenlose Eintrittskarte zur Verfügung gestellt kriegst!" "Ich komme fast um vor Glück!" Sorraiahs Blick schweifte zu der riesigen Glasscheibe ab, die eine gesamte Wand von dem Büro seines Vorgesetzten bedeckte. Der Himmel war mit dicken Wolken verhangen. Bei seinem Glück würde es an diesem verfluchten Abend bestimmt auch noch anfangen zu regnen. "Andere Leute - meine Wenigkeit, ganz nebenbei bemerkt, auch eingeschlossen - würden für diese Karte morden!" Haddock vergrub das Gesicht in den Händen. "Sorraiah, warum hast du diesen Fall überhaupt angenommen?" "Ich war jung und brauchte das Geld!" Der junge Anwalt zauberte ein schiefes Grinsen auf sein Gesicht. "Warum gehen sie denn nicht hin, wenn sie für dieses ach-so-tolle Konzert sogar in Kauf nehmen würden, dass meine Wenigkeit sie wieder aus dem Knast raushauen müsste?" "Wenn ich könnte! Leider ließ sich beim besten Willen nur noch eine Karte besorgen, und das war schon schwer genug... und die ist leider auf deinen Namen ausgestellt..." "Ich leih ihnen meine ID-Card..." Sorraiah strich sich durch sein pechschwarzes Haar und stieß ein tiefes Seufzen aus. "Ich meine... ich... ich bin ja gar nicht so. Ich würde doch hingehen. Ich würd's mir ja anhören, aber... aber... muss das ausgerechnet heute Abend sein???" "Wir können ja gerne mal beim Management anrufen, ob sie das Konzert verschieben können, unser Staranwalt hat gerade seine Allüren..." "Von wegen Allüren!" Der Schwarzhaarige machte ein beleidigtes Gesicht. "Ich... ich habe meine Gründe!" "Deine Gründe? Ach so!" Haddocks Stimme klang inzwischen deutlich genervt. Dicke Schweißtropfen rannen seine zerfurchte Stirn herab. "Wenn Sir Masayume vielleicht die Güte hätte, dem unbedeutenden Wurm von Chef mitzuteilen, was denn selbige Gründe wären???" "Es... es sind gute Gründe!" Sorraiah begann, verlegen mit seinen Fingern zu spielen. "Sie wissen doch, dass sie mir vertrauen können, Boss?" "Im Moment weiß ich nur, dass ich in Kürze wegen einem Herzinfarkt in Frührente gehen kann!" Der Grauhaarige seufzte tief. "Bitte, Sorraiah, so rede doch mit mir!!!" "Das mache ich die ganze Zeit! Ich meine..." Der junge Anwalt senkte seinen Kopf ein wenig und blinzelte seinen Chef schüchtern an, als er in dessen Augen las, dass er unnachgiebig auf einer Antwort beharren würde. "Also, es ist so... ich... ich weiß nicht, wie ich das sagen soll..." Er holte tief Luft. "OK! Heute Abend kommt die letzte Folge von ,Just Complex' im IV und ich... ich meine... es ist nicht einfach nur irgendeine Vorabend-Animeserie, ich habe mein ganzes Leben lang keine einzige Folge verpasst und ich leide doch so schrecklich mit den Hauptcharakteren, ich meine, ich muss doch wissen, ob Kane und Asari zusammenkommen, oder ob diese Tussi sie auseinanderbringt und Asari, ich meine, seine Eltern wissen doch gar nicht, dass er sich noch mit einem Jungen trifft und, hey, im Alpha-Quadrant, wo die letzte Staffel schon lief, wird diese Folge als absoluter Höhepunkt gehandelt und obwohl ich an ihrem Gesichtsausdruck jetzt ganz deutlich sehe, dass sie dieses Problem für absolut lächerlich halten und mich am liebsten übers Knie legen würden, sie müssen sich mal vorstellen, dies ist das Ende, Schluss, aus, danach kommt nichts mehr und ich..." "SORRAIAH!!!!!" Haddocks Schreibtisch erbebte, als der grauhaarige Mann mit der geballten Faust reichlich unsanft auf das lederbezogene Metall schlug. "Ich fasse es nicht! Ich... ich kann das einfach nicht glauben!" "Sehen sie? Ich wusste, sie würden meine Gefühle nicht verstehen! Darum habe ich es ihnen ja auch nicht gesagt." "Sorraiah!" Der Mann in dem dunkelbraunen Anzug wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Um seine Mundwinkel zuckte es. "Ich arbeite nun schon länger in dieser Kanzlei, als du überhaupt auf der Welt bist. Aber in all den Jahren ist mir noch nicht so etwas... Unglaubliches vorgekommen wie... wie das hier... ganz ehrlich, wenn du nicht mein bester Mann wärst, würde ich dich auf der Stelle feuern!" "Aber Haddock!" Der Schwarzhaarige zog die Schultern ein und legte den unschuldigsten Gesichtsausdruck auf, den er nur irgendwie finden konnte. "Wie können sie so etwas sagen?" "Wie kannst du so auf meinen armen Nerven herumtrampeln?" Er schüttelte den Kopf und nahm hastig die Augen von Sorraiahs herzerweichendem Blick. "Bitte, wenn du ein Herz hast, geh zu diesem verfluchten Konzert und nehm diese Folge auf!" "Das ist nicht dasselbe!" Sorraiahs Miene wurde noch ein bisschen flehender und trauriger. "Kane und Asari finden vielleicht endlich ihr gemeinsames Glück und ich... ich... muss mir das Gekrächze von irgendeinem Pseudo-Sänger anhören!!! Wo ist da die Gerechtigkeit?" "Pseudo-Sänger?" Haddock zog eine Augenbraue nach oben. "Du trällerst doch auch ständig seine Lieder vor dich hin! Ich meine, es ist ja schon mal ein Wunder, wenn du nicht bei der Arbeit am Singen - oder Rauchen - bist, aber in letzter Zeit höre ich ständig Sachen von ihm..." "Häh?" Der junge Anwalt blinzelte seinen Chef verwirrt an. "Ich glaube, da müssen sie irgendwas verwechseln!!!" "Frag mich nicht!" Der Grauhaarige stieß einen tiefen Seufzer aus. "Ich bin doch eh ganz durch den Wind! Ich meine, ich habe heute wahrscheinlich den einzigen Menschen des gesamten Universums kennengelernt, der bei klarem Verstand eine Freikarte zu einem Spirit of Silence-Konzert ausschlägt!" Für einen Augenblick herrschte völlige Stille in dem kleinen Raum, nur vom Gang her drangen noch gedämpfte Stimmen und Schritte herein. Dann stürzte Sorraiah mit einem Schrei auf seinen Vorgesetzten zu und rüttelte ihn am Arm. "WAS?!? Eine... eine... eine... Freikarte? Für... für Spirit of Silence? Warum zum Teufel haben sie das nicht gleich gesagt???" "Ich habe es vorhin etwa hundertmal versucht, aber du hast mich ja nicht ausreden lassen! Und jetzt... hör auf damit, oder willst du mir das Genick brechen?" "Ja! Ich... ich meine, nein, natürlich nicht! Aber... aber..." Der junge Staranwalt schnappte nach Luft. "Ganz ruhig, Sorraiah! Aber sag mal, wie kann es sein, dass du das nicht wusstest?" "Hätte ich ahnen können, dass dieser Typ namens Dimi Aino, ich meine... dass... Spirit of Silence... oh my God!" Er atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand durch sein schulterlanges schwarzes Haar. "Aber, Haddock, sag mir... wie hast du das gemacht? Die Karten sind seit Monaten ausverkauft!" "Das lass mal meine Sorge sein!" Der grauhaarige Mann grinste. "Oh Sorraiah, wie langweilig wäre mein Leben, wenn du nicht bei mir arbeiten würdest." "Unerträglich!" Sorraiah schüttelte lachend den Kopf. "Sorry, ich kann's immer noch nicht glauben... das ist... der Hammer. Ganz ehrlich! Chef? Ich... ich liebe sie!" "Ich dich auch, Sorraiah! Das weißt du doch!" Haddock strich dem jungen Anwalt mit einer zärtlichen Geste über seine bleiche Wange. Der Schwarzhaarige zuckte leicht zusammen, das Lächeln auf seinem Gesicht jedoch blieb. "Und jetzt mach, dass du wegkommst! Oder willst du etwa zu dem großen Auftritt zu spät kommen?" "Lieber sterbe ich!!!" Sorraiah angelte nach seinem Jackett, das er kurzerhand über der Lehne seines Drehstuhls abgelegt hatte, schlüpfte hinein und lief dann mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht auf die Türe zu. Dort blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu seinem Vorgesetzten um. "Ähm, Haddock?" "Was ist denn?" "Was mache ich, wenn ich ihm gegenüberstehe und vor lauter Aufregung kein Wort mehr herausbekomme?" "Hey, das wird schon nicht passieren! Immerhin bist du ein Profi!" Der Grauhaarige lachte. "Und wehe dir, wenn ich morgen früh in den News sehen muss, dass irgendein verrückter Groupie im Anzug von den Sicherheitskräften in Verwahrung genommen werden musste!" "Ich werde sie garantiert grüßen, wenn ich bei der Festnahme gefilmt werde!" "Ich verlass mich auf dich, Sorraiah!" "Habe ich sie jemals enttäuscht?" Der junge Anwalt schenkte seinem Chef sein bezauberndstes Lächeln. "Gott, ich liebe diesen Job! Spirit of Silence - ich komme!!!" In der großen Halle, die sich im mittleren und größten der drei INFERIA-Türme befand, war es mucksmäuschenstill. Die großen Lampen, die an der Decke und den Wänden befestigt waren und die bis vor wenigen Minuten noch alles in einen strahlenden Glanz getaucht hatten um den Abend wirklich als etwas Besonderes zu präsentieren, waren aus und nun umhüllte die Finsternis alles. Eine geladene Spannung herrschte nun zwischen all den vielen Menschen, die sich vor der aufgebauten, gigantischen Bühne versammelt hatten und den wohl berühmtesten Musiker des Zeitalters sehen wollten. Es hatte kaum drei Stunden gedauert, nachdem man die Plakate, die verkündeten das "Spirit of Silence" einen Auftritt hatte, aufgehängt hatte, als alle Karten ausverkauft gewesen waren. Man hatte sich fast geprügelt um die letzten Tickets und tatsächlich waren drei Leute mit leichten Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Und jetzt wartete alle auf ihn, auf den Jungen mit der Stimme des Eises - wie man ihn immer nannte. Doch sie warteten nun schon fünf Minuten. Leises Flüstern begann und die ersten Kinder zupften an den Kleidern und Röcken ihrer Mamis und fragten, wann es denn endlich losginge. Auch die Jugendlichen, die in großen Fangemeinden hergekommen waren, wurden laut, wollten ihren Star sehen. Doch da hallte ein titanisches Grollen durch die Menge und alles verstummte. Seltsam trübe Lichter erhellten die Bühne nur mühsam und schleppend. Leichte Hintergrundgeräusche setzten sein. Das Tröpfeln von Wasser, ...das Zirpen einer Grille, ....rascheln von Blättern, ....Vögelschreie. Es klang, als wäre man tatsächlich in einem Regenwald. Das grüne und gelbe Licht wurde ein wenig heller und man konnte die ersten Umrisse von etwas Großem erkennen. Etwas Braunem, eckigen. Ein Blitzschlag fegte durch die Halle. Die Leute hielten sich die Hände vors Gesicht und staunten, als sie sie wieder wegnahmen. Die Bühne war taghell erleuchtet und doch schien sie in mystisches Licht getaucht zu sein. Die Leute sahen einen riesigen Berg aus dunklem Gestein, der sich fast bis zur Decke heraufzog. Aus einem Spalt in seiner Mitte ergoss sich ein Wasserfall tosend in einen See, der sich am Boden ausstreckte. Die Urwaldgeräusche wurden lauter, es klang jetzt nicht mehr nach Zufall, wann ein Tukan schrie, ein Busch raschelte oder ein Affe brüllte, es klang, als würde sich daraus eine Art Rhythmus bilden...aufbauen, ganz langsam, aber hörbar. Die Lichtkegel der Scheinwerfer bewegten sich nun auch, drehten sich, kreuzten sich im Takt. Fast unbemerkt schlichen sich leichte Elektrobeats und Trommeln dazu, erst langsam, dann schneller, bauten eine Geräuschkulisse auf, die einem keine Wahl ließ. Man musste seine Beine und Hüften dazu bewegen. Eine Frauenstimme startete zu singen. Verhalten, zart, fast wie eine Fee besang sie jemanden oder etwas in einer unbekannten Sprache, deren Worte so schön und so geheimnisvoll klangen, dass man von ihnen verzaubert wurde. Die Augen der Besucher glänzten und alle starrten mit einem verklärten Blick zu dem kleinen Plateau auf, das sich mitten aus dem Wasserfall streckte und einige Meter über dem aufgewühlten See befand. Doch dann brach plötzlich alles ab, die Frauenstimme verschwand, die Tiere und der Dschungel verstummten, die Beats und dir Trommeln hörten auf und alle Scheinwerfer gingen aus bis auf einen, der nun das Plateau anstrahlte. Die Spannung war gebannt. Was würde als Nächstes passieren? Eine feste und markante Stimme zerschnitt die Luft. Sie flutete durch die Masse und ließ einem eine Gänsehaut über die Arme fahren. Doch wo kam sie her? Von oben? Vom Plateau? Von unten? Aus dem See? "I know, that you're a little bit shy..." Die Stimme gehörte klar einem Mann, sie klang hart, stark und auch verführerisch. Als hätte er es mit einem Hintergedanken gesagt. "..but you know, when you want me to fall in love with you, you have to tell me, because.." Schon wieder dieser anzügliche Ton. Und noch immer keine Spur von seinem Eigentümer. "..even when I'm called Spirit of Silence by everyone, I just want to say now, what I feel for you..." Jetzt begann ein lauter Jubel durch die Leute zu gleiten. Endlich war er d, ihr Star, ihr Held, ihr Angebeteter, auch, wenn sie ihn noch nicht sahen, so hörten sie ihn doch. Die ersten Mädchen fielen schon in Ohnmacht und die Sanitäter hatten alle Mühe sich einen Weg zu ihnen zu bahnen. "..so shut up, sit down and just listen..." Mit einem gigantischen Knall war wieder alles beleuchtet, Flammensäulen schossen an den Seiten der Bühne in die Höhe und nun setzte wieder ein absolut heiß klingender Beat ein, der irgendwie aus Elektrogitarren, Trommeln und undefinierbaren Geräuschen zusammengesetzt war. Und auch der Star zeigte sich schließlich. Wie aus dem Nichts durchbrach er plötzlich die Wand des Wasserfalls und blieb dort stehen. Den Zuschauern - besonders den weiblichen - stockte der Atem. Spirit of Silence stand da nur in tief hängenden Jeans, die überall Schnittstellen und Ketten hängen hatten und in einem schwarzen Unterhemd, dass nun vom Wasser durchtränkt an seinem athletischen Körper klebte. Seine Haare, die in schwarz und blau erstrahlten hingen ihm nass und fransig ins Gesicht und seine Hüfte kreiste einmal ganz langsam, während er das Wasser an seinem Körper entlang rieseln ließ. Sein ganzer rechter Arm war mit einem Tattoo versehen. Man konnte es zwar nur aus den ersten Reihen erkennen, aber es war ein Drache, ein schwarzer Drache, der sich, umringt von Flammen und Blitzen, bis auf seinen Handrücken hinzog. Sein Mikrofon trug er als Headset. Und als er nun anfing sich zu dem Beat zu bewegen, unter den fallenden Wassermassen und seine Stimme erneut erklang, waren alle am tanzen. "Baby, all I want is you." "I'm serious with that" "And if somebody tries to steel you." "I will smash his head." Jetzt kam er tanzend zum Rand des Plateaus, wo er zeigte, dass er auch als Bauchtänzer gut aussah. "Cause I love you so damn babe." "That I really have to say," "That if you walk out of my life" "I'd kill myself, so stay" Nun schossen zu beiden Seiten des Plateaus Flammen empor und umrahmten den jungen Mann mit den silbernen Augen und dem blassem Körper. "I would die for you." "Just say you want it, you don't have to repeat it." "I would die for you" "I'd really do it, don't you want to ckeck it, baby?" Der Beat zog sich wieder zurück, die Flammen verschwanden, Dimi verstummte und erstarrte in der Bewegung. Leise begann eine kleine Trommel eine Art Trommelwirbel zu starten. Langsam...schneller...schneller...lauter....noch schneller...noch lauter...WUSCH Dimi sprang mit einem Köpper vom Plateau und tauchte in den kühlen See zu seinen Füßen ab. Das Publikum bekam einen Schreck, fielen riefen in Panik nach seinem Künstlernamen, denn niemand hier wußte, wie er wirklich hieß. Doch da kam plötzlich wieder etwas aus dem Wasser hervor, durchbrach die Oberfläche und erntete die ganze Aufmerksamkeit der Menge. Erst war es nur ein Haarschopf der auftauchte, doch dann wurden es immer mehr. Zuletzt zählte man zehn Stück. Wie sich zeigte waren es Dimi und neun Tänzer und Tänzerinnen, die nun, stehend aus dem Wasser glitten, als würden sie schweben. Kaum, dass die ganz draußen waren und es aussah, als würden sie au dem See stehen, setzte der Beat wieder ein und alle Zehn fingen an zu tanzen. Die Flammen schossen, begleitet von gewaltigen Explosionen wieder zur Decke und die Masse tobte. "I know you hear that every day." "there're many guys, who like you too." "But no one can kiss as climed as me." "So babe, what will you do?" "You know, my hipps can make you scream." "My lipps can drive you mad" "I still feel your teeth in my neck." "Last night I wasn't bad." Verschwörerisch umringten ihn nun die neun Tänzer und Tänzerinnen und kreisten ihn ein, umschlossen ihn immer enger, bis sie einem die Sicht auf ihn nahmen. Nach einer weitere Explosion stoben sie wieder auseinander und blieben wie tot am Boden liegen. Dimi stand mitten auf der Bühne und hatte eine waschechte Python um den Hals. Ihr kleiner, eckiger Kopf ruhte auf seiner linken Schulter, während sich ihr länglicher Körper über seine rechte Schulter um seine Hüften schlängelte und ihre Schwanzspitze sein linkes Bein umklammerte. Vielen Besuchern klappte der Mund auf, die eingeschworenen Fans feuerten ihren Held heftig an. "Baby." "I am ready" "For your nasty." "And dirty body moves." "So,baby." "come and take me" "hard and slowly" "and then let me come loose." Zeitgleich knallte es wieder, alles schien in Flammen aufzugehn und die Lichter wurden schwarz. Alle waren begeistert du klatschten, jubelten, schrien und kreischten. Das war der Spirit of Silence, den sie kannten. Seine Shows waren einfach bombastisch. Doch diese hier hatte gerade erst angefangen und keiner konnte ahnen, was noch kommen würde. Alles war möglich. Alles! Und da gingen die Lichter auch schon wieder an. Dimi stand allein vor dem Wasserfall, diesmal hatte er jedoch eine schwarze Hose und ein dunkelblaues Hemd an, das locker über dem Hosenbund hing. Seine Haare waren noch nass, doch sein Gesicht wieder trocken, aber auch.....abwesend. Es schien, als sei er bei anderen Gedanken, bei Sachen, die nur er kannte, die nur er kennen durfte. Und doch setzte er die schwarze Violine mit den silbernen Seiten und der goldenen Gravur an seine Schulter und begann zu spielen. Anstatt der üblichen Töne kamen jedoch elektronisch verzerrte Töne, die jedoch nicht weniger schön klangen, im Gegenteil. Sie klangen beruhigend, beschützend, klein und niedlich, liebevoll und zärtlich. Als käme ein kleines Mädchen zu einem, das ein süße, wunderschönes rotes Kleidchen trug, zwei weiße Schleifen in ihrem golden glänzenden Haar hatte und einen anlächelte, während sie einem die Hand hinhielt und die Augen freundlich zukniff. Man nahm einfach ihre Hand, ohne zu wissen, was sie wollte...wohin sie wollte, man vertraute ihr, ohne sie zu kennen, denn man kannte sie schon ewig, obwohl man sie das erste Mal traf. Man kannte nicht ihren Namen, ihre Heimat oder gar ihre Lieblingsfarbe, doch man kannte sie, man kannte sie besser, als sich selbst. Und sie nahm einen mit au eine wunderschöne, nie endende Reise in die eignen Träume, in die eigenen Phantasien, in eine eigene Welt, nur für einen allein und seine kleine Freunde mit dem roten Kleidchen und den beiden lustigen weißen Schleifen. Man war glücklich, hatte keine Sorgen, das kleine Mädchen nahm sie alle auf sich und gab einem einmal im Leben die Chance, nur glücklich zu sein, nur zu genießen, wie die Sonne einen belacht, wie das Gras duftet und wie die Blumen blühen. An Dimi dachte in dem Moment keiner mehr. Weder an ihn, an seine Geige, an diese ganze Show, noch an INFERIA, Attraya oder überhaupt an das Universum. Sie schwelgten alle in ihren Erinnerungen und durchlebten eine Zeit des Friedens. Das war seine Gabe, sein Talent und auch sein einziger Zweck. Er war dazu in der Lage, mit seinem Gesang und seiner Musik Menschen zu verzaubern, ihnen zu helfen und Glück zu bringen. Doch sich selbst konnte er kein Glück bringen. Das konnte niemand. Der einzige, der das je konnte, war verschwunden, und Dimi war sich sicher, ihn nie wieder zu sehen. Er war allein. Auch, wenn es hier Hunderte gab, die ihn feierten, er war allein. Sie alle feierten nicht Dimi Aino, den Jungen aus Ankaratra vom Saturn, der seine Mutter im Alter von neun Jahren verloren hatte und von seinem eigenen Vater misshandelt wurde, dann von zu Hause floh und bis zu seinem neunzehnten Lebensjahr durch das Universum tigerte, ohne zu wissen, wohin, bis ihn schließlich Godjira Tai Ling fand und zum Star aufbaute, der ihm half, sein großes Geheimnis zu verdecken. Sie alle feierten Spirit of Silence, den Sänger aus dem ewigen Eis, der eine Stimme hatte, die Granit zersprängen konnte und Eis zum schmelzen brachte. Sie feierten Den, der gerade hier auf den Bühne mit einer Schlange getanzt hatte, doch das war nicht Dimi. Der, der jetzt auf der Bühne stand, alleine für sich Violine spielte und einen traurigen Ausdruck in den Augen hatte und von keinem beachtet wurde, das war Dimi. Doch er hatte sich dran gewöhnt, dass ihn niemand wirklich kannte. Wie auch, außer Seiya hatte ihn nie wirklich jemand gekannt. Seine Eltern nicht, sein Bruder nicht, seine ehemaligen Manager und Peiniger nicht und auch Godjira nicht. Er war allein und unbekannt...im Grunde gab es ihn nicht einmal. Die Menschenmenge tobte. Lautes Geschrei erfüllte die gigantische Halle, zerriss die Dunkelheit in tausend Fetzen. Jeder einzelne der Konzertbesucher bebte vor Spannung auf den nächsten Auftritt, auf eine neue atemberaubende Performance ihres einzigartigen Helden, der in unerreichbarer Ferne auf der überdimensionalen Bühne stand. Die Scheinwerfer hüllten die ekstatischen Fans in erbarmungslose Finsternis. Als die Lichter endlich wieder aufflammten, brachen die Massen in ein ohrenbetäubendes Jubeln und Kreischen aus. Beinahe schien es so, als könnte keine Musik, auch nicht mit dem besten Verstärker und den größten Boxen, die tausendfachen Schreie der Menge durchdringen, doch kaum hatte der Spirit of Silence den Bogen an sein schwarzes Instrument gesetzt, kehrte mit einem Schlag vollkommene Stille ein. Die Zuschauer hielten den Atem an. Was würde sie jetzt erwarten? Als die sanfte, zärtliche, niedliche Melodie erklang, mit der wohl keiner im Saal gerechnet hatte, ging eine Veränderung mit den zahllosen Fans vor sich. Ihre Gedanken flogen davon, zurück in weit entfernte Erinnerungen. Scharen junger Mädchen träumten andächtig neben Großmüttern mit ihren Enkeln, neben ansonsten so gestressten Geschäftsmännern und in inniger Zweisamkeit versunkenen Liebespaaren. Sie standen ganz ruhig in vollkommener Einigkeit nebeneinander, doch gleichzeitig waren sie im Geiste Welten voneinander entfernt, während sie einem gemeinsamen süßen Traum folgten. Sorraiah war viel zu spät auf das Konzert gekommen, um noch einen guten Platz ergattern zu können. Eingeschlossen inmitten fremder, jubelnder Personen, hatte er von dem ersten überwältigenden Auftritt weitaus weniger mitbekommen, als ihm lieb gewesen war - zumal er, sehr zu seinem Ärger, nicht unbedingt zu den größeren Personen in dem völlig überfüllten Saal gehörte. Als die Musik verklungen war und Sorraiah beinahe von einem kreischenden Mädchen erschlagen wurde, dass ihn trotz ihrer höchstens fünfzehn Lebensjahre um fast einen halben Kopf überragte, fasste er kurzerhand den Entschluss, sich mit allen Mitteln nach vorne durchzuschlagen. Verdammt, er war doch nicht nur hier, um seinen Star auf einer der gigantischen Leinwände zu verfolgen. Er wollte ihn sehen. Während die Lichter schliefen und die Menge ihre erwartungsvolle Begeisterung der Bühne entgegenschrie, drängelte sich der junge Anwalt in wahrer Rekordgeschwindigkeit und ohne Rücksicht auf Verluste, empörte Aufschreie, Beschimpfungen oder Fußtritte der Bühne entgegen. Er war glücklicherweise recht geschickt und vor allem unglaublich routiniert darin, sich durch große Menschenmassen zu bewegen, sodass er förmlich spüren konnte, wie nahe er seinem Ziel schon gekommen war, auch wenn er natürlich noch nichts davon sehen konnte. Erst als die zarten Klänge der Musik wieder einsetzten, erstarrte er. Tatsächlich hatte Sorraiah jetzt einen ziemlich freien Blick direkt auf das wichtige Geschehen vor ihm. Die Halle war ein architektonisches Meisterwerk, in dem die Zuschauer schon der Mitte aus problemlos die Handlungen auf der Bühne verfolgen konnten, auch wenn größere Menschen vor ihnen standen. Vor dem jungen Schwarzhaarigen befand sich in diesem Augenblick allerdings eine Gruppe von Freundinnen im Grundschulalter, was dieses Phänomen der Baukunst noch zusätzlich begünstigte und ihm eine wahrhaft fantastische Aussicht gewährte. Sorraiah bemerkte allerdings nichts mehr von diesen Dingen. Seine gesamte Umgebung schien sich von einer Sekunde auf die andere schlicht und einfach aufzulösen. Der Blick seiner weit aufgerissenen Augen ruhte starr auf der einsamen Gestalt, die im Licht der Scheinwerfer stand und auf seiner nachtfarbenen Violine spielte. Die ruhigen Töne durchzuckten Sorraiah wie ein Blitz und raubten ihm eine Sekunde lang den Atem. Jeder einzelne seiner Herzschläge brachte seinen gesamten Körper zum Beben. Irgendetwas in ihm erwachte. Für den winzigen Bruchteil eines Momentes riss etwas an seinen Gedanken, schien sie mit sich fortreißen zu wollen in eine süße, wunderschöne Traumwelt. Dann breitete sich ein stechender, alles verzehrender Schmerz in seinem Inneren aus. Das schier unerträgliche Gefühl war nicht greifbar, es war überall und nirgends, doch obwohl der tiefste, tödlichste Messerstich nicht schlimmer sein konnte, war nichts an der rasenden Empfindung böse oder schlecht. Das Geigenspiel legte sich wie ein hellblaues Licht auf den Schmerz, jedoch ohne ihn fortzunehmen. Es war nicht wie eine Heilung, mehr wie eine Hand, die Sorraiah sanft durch sein schulterlanges Haar strich, flüchtig und doch unvorstellbar zärtlich seine Wange berührte. Es öffnete ihm vorsichtig die Augen und gab den Blick auf die unendlich weit entfernte und doch in unmittelbarer Nähe liegende Bühne frei. Der junge Anwalt starrte auf das Gesicht des Spielenden, der ganz alleine inmitten der viel zu großen künstlichen Märchenlandschaft stand. Er hatte mit einem Mal das absurde Gefühl, als einziger Mensch in der riesenhaften Halle zu stehen, in völliger Einsamkeit mit diesen unendlich traurigen Augen. Die unfassbar schöne Musik war wie ein unsichtbares Band zwischen ihnen gesponnen, und jeder einzelne Ton schien sich wie Feuer in Sorraiahs Herz zu graben. Er merkte weder, wie seine Hände zu zittern begannen, noch wie eine einzige, einsame Träne über seine bleiche Wange hinabrollte. In diesem Augenblick begriff Sorraiah, dass er zum ersten Mal in seinem Leben fühlte. Dimi spielte tapfer weiter und ließ seine Gedanken wandern. Zurück in seine Heimat, wo tatsächlich das ewige Eis herrschte. Er erinnerte sich an die hohen Berge, so weiß und rein, wie sie glitzerten, wenn die Sonne sie traf, an den frischen, kalten Wind, der ihm durch die Haare fuhr und ihn trotz der Kälte schützend an der Wange streichelte, an die Herden der leuchtenden Wale, von denen er jetzt nur noch Bilder hatte, wie sie gemächlich durch die Meere schwommen und ihre Lieder sangen, du wie er mit Seiya oft am Ufer des großen Ozeans gesessen hatte und sie sich gegenseitig im Arm gehalten hatten, weil sie nur sich hatten. Das Bild riss plötzlich ab und machte einer tobenden Menge Platz. Es war jedoch nicht die Menge im mittleren der drei INFERIA-Glastürme auf Attraya, sondern die Menge, die er auf seinem letzten Konzert hatte. Es war auf einem Privatgleiter gewesen und es waren nur hundert Gäste da, einer zuviel. Dimi hatte ihn damals sofort erkannt. Er hatte dieses fiese, dreckige Gesicht nie vergessen können. Natürlich hatte er sich nicht anmerken lassen, seinen ehemaligen Manager erkannt zu haben. Den Menschen, der ihm mehr als jeder andere weh getan hatte, der ihn fast zerstört und getötet hätte, obwohl er Letzteres im Endeffekt doch erreicht hatte. Dimi war fast schlecht geworden, wie er diesen ekeligen Schleimer lachen gesehen hatte. All der Schmerz und die tobende Wut war wieder hochgekommen. All der Zorn, der Hass, das war nicht mehr zu kontrollieren gewesen. Und so hatte Dimi seinen Plan in die Tat umgesetzt. Am Ende des Konzerts war sein Ex-Manager tot gewesen und ihn hatte man wegen Mordes angeklagt. Deswegen war er nun hier und würde gleich ein Treffen mit seinem Anwalt haben. Doch da erwachte Dimi wieder aus seiner Trance und brachte sein Violinensolo zu Ende. Wieder klatschten alle und wieder gingen die Lichter aus. Als es erneut hell wurde, war Dimi wieder zum Spirit of Silence geworden und versprühte Tatendrang und Stärke. Und so bekam anscheinend niemand mit, welch Schmerz tief in ihm ruhte, als er das nächste Lied ansetzte "Babe, I really have one, only one question on my mind. When, please tell me, when...will you kiss me?" "When rabbits speak french?" "Or snakes eat fog?" "When antz drive an airplane?" "Or a pig marries a frog?" "When trees turn silver?" "Or Eve becomes a chick?" "When Adam wears high heels?" "Or officials start working quick?" "When will you finally see, that I'm the place, you have to be?" "When will you kiss me?".......... Seiya....Ich vermisse dich so.............. Der Abend war wie im Flug vergangen. Die Bühnenshow war wie nicht anders zu erwarten genauso überraschend und grandios weitergegangen, wie sie begonnen hatte und am Ende der berauschenden Nacht gab es wohl kaum einen Zuschauer, der nicht vollkommen heiser und erschöpft, aber ebenso glücklich und durch und durch zufrieden die gigantische Halle des INFERIA-Towers verlassen hatte. Als Sorraiah in seinem Büro unter dem Dach des Westturmes saß und auf den funkelnden und glitzernden Ozean aus riesenhaften Hochhäusern, ruhelosen Gleitern und grellen Neonreklamen hinabblickte, erschienen ihm die vergangen Stunden wie ein unglaublich schöner Traum. Wenn er trotz aller Begeisterung für den unbestreitbar einmaligen Spirit of Silence doch nie ganz verstanden hatte, wie manche Menschen ihr halbes Vermögen ausgeben konnten, um noch eine letzte Karte auf dem Schwarzmarkt zu ergattern, oder schon zwei Wochen im voraus lediglich mit einem Schlafsack bewaffnet in eisiger Kälte vor der Konzerthalle campierten, nur um sich auch ganz bestimmt einen Platz in der ersten Reihe zu sichern, so waren spätestens nach diesem unglaublichen Ereignis auch jene letzten Zweifel verschwunden. "Baby all I want is you..." Sorraiahs Blick folgte den blinkenden Lichtern eines interplanetaren Passagierraumschiffes, das sich langsam in den sternenklaren Nachthimmel erhob, während das leise Singen des jungen Anwaltes die Stille der Nacht durchdrang. Trotz der späten Stunde und dem äußert mangelhaften Schlaf der vergangenen Tage war er nicht einmal ein kleines bisschen müde. "... that if you walk out of my life, I'd kill myself so stay..." Das weit entfernte Blinken in dem endlosen, silbern gesprenkelten Tuch des Himmels verblasste zunehmend, bis es irgendwann in das Meer der glitzernden Sterne eintauchte. Sorraiah prüfte kurz in der Glasscheibe, ob sein Anzug und seine Krawatte auch noch richtig saßen und ob seine pechschwarz glänzenden Haare auch wirklich noch die linke Hälfte seines Gesichts verdeckten. In dem grellen Neonlicht schien der Kontrast zwischen den nachtfarbenen Strähnen, die ihm über sein verhasstes rechtes Auge fielen, und der blassen Farbe seiner Haut noch größer als sonst. "I would die for you..." Sorraiah wandte sich hastig von seinem schönen Spiegelbild ab und konzentrierte sich wieder auf die schlaflose Stadt zu seinen Füßen. Gerade war sein umherschweifender Blick bei den wirbelnden Leuchtkreisen und dem riesigen, alles überragenden Lichterrund des Riesenrades auf dem Atalic Lake Vergnügungspark angelangt, als er plötzlich meinte, Geräusche auf dem Gang zu hören. "I'd really do it..." Er griff nach der zerdrückten Pappschachtel in seiner Hosentasche, zog eine Zigarette hervor und zündete sie sich an. "... don't you want to check it, baby?" An der Türe in seinem Rücken ertönte ein Klopfen. Fortsetzung folgt!!! Kapitel 3: ----------- Spirit of Silence III Dieses Kapitel ist etwas ganz, ganz besonderes... Wie ihr sehen werdet, treffen sich unsere Charaktere das erste Mal, soll heißen: dieses Kapitel haben wir wirklich zusammen geschrieben. Ja, dafür haben wir jetzt ein RPG aufgemacht! Es ist einfach toll, zu schreiben und nie zu wissen, was der andere als nächstes tun wird, und ich bin wahnsinnig stolz auf das Ergebnis. ^_^ Ich hoffe, es gefällt euch auch! Achso, und jeder, der sagen kann, wer von uns was geschrieben hat, bekommt einen Preis!!! Viel Spaß beim Lesen und 1000000 Grüße an den besten Co-Autor seit Anbeginn der Zeiten! Dimi wanderte ein wenig hilflos durch die vielen gläsernen Gänge des hohen Turms und suchte mit leichter Panik nach dem Büro seines zukünftigen Anwalts. Warum mussten auch außer ihm noch dreitausend andere Leute ihr Büro hier haben? Leicht sauer ging er um eine Ecke und begutachtete dabei kurz sein eigenes Spiegelbild. Da war er wieder. Dimi, der Superstar. Enge, dunkle Jeans, ein schwarzes Shirt mit seinem Logo drauf und ein lange silberne Kette mit einem Pentagramm als Anhänger. Seine Fans würden ihn vergöttern. Verächtlich stieß er die Luft zwischen seinen Zähnen aus und blieb dann abrupt vor einer dunklen Tür stehen. Prüfend überflog er den Namen und atmete dann kurz ein und wieder aus, ehe er etwas zu energisch anklopfte. Sorraiah fuhr unwillkürlich zusammen, als er das Klopfen an der Türe hörte. Sein Herz begann spontan, mit doppelter Geschwindigkeit zu schlagen, seine Handflächen klebten auf der kalten Metalloberfläche seines Schreibtisches. Er holte tief Luft, strich sich die Haare zurecht, setzte noch ein paar letzte Griffe an Hemd und Krawatte an und drehte sich dann mit betont lässigen Bewegungen um. "Ja, wer ist da?" Etwas unentschlossen umkreiste Dimi den Türknauf mit seinem Daumen, streichelte ihn wie um ihn zu beruhigen, ehe er seinen Kopf schüttelte, sich durch die dunkelblauen Haare fuhr und energisch die Tür aufmachte. "Guten Abend! Ich bim Dimi Aino. Wir hatten für heute eine Verabredung, oder hat ihnen mein Manager nichts erzählt?" "Verabredung?" Der junge Anwalt legte sein ehrlichstes Lächeln auf, ein Lächeln, das augenblicklich wie ein Flutlichtscheinwerfer eine Welle von Vertrauen in das Dunkel der Nacht schickte. Sorraiah wusste, wie er einem Klienten begegnen musste, und auch wenn ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief, war jede kleinste Geste, jedes Detail seiner Mimik so perfekt wie bei jedem anderen Mandanten auch. "Aber natürlich! Darf ich mich vorstellen? Ich bin Sorraiah Masayume, ihr Anwalt!" Er unterdrückte das leichte Zittern in seinen Fingern und streckte dem Neuankömmling die Hand hin. Dimi fühlte sich sofort unwohl. Er wusste nicht wieso, aber er hatte irgendwie das ungute Gefühl, ausgeliefert zu sein, als säße er an einem großen dunklen Tisch und spielte Poker. Nur das jeder seine Karten sehen konnte, während die der anderen alle verdeckt waren. Erneut warf er die Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln weg und trat unsicher auf den jungen Mann vor ihm zu und erwiderte die Begrüßungsgeste. "Freit mich, Sie kennen zu lernen, Herr Masayume!" Sorraiah drückte die Hand genau so fest, um Sicherheit zu vermitteln, ohne seinem zukünftigen Geldgeber die Finger zu zerdrücken, und wies ihn dann auf einen recht großen und unheimlich bequem aussehenden Lederstuhl hin. Er selber ging um den Schreibtisch herum, lehnte sich an die deckenhohe Fensterscheibe und musterte Dimi mit seinem durch und durch offenen, vertrauenswürdigen Lächeln. "Nun, dann erzählen sie mir doch erstmal von ihrem Problem!" Dimi wunderte sich, wie warm die Hände des Anwalts waren. Fast hätte sich daraufhin ein winziges Lächeln auf seine leicht bläulichen Lippen gestohlen. Doch es kam nicht dazu, dazu war es schon seit Ewigkeiten nicht mehr gekommen und, so glaubte der junge Mann, der sich mit einer geschmeidigen Bewegung in den ihm dargebotenen Sessel niederließ, würde es auch nie weder geschehen. Sein Lächeln war eingefroren, für immer. "Hat man Ihnen den Fall denn noch nicht geschildert?" Er schlug ein Bein übers andere und stützte seinen schweren Kopf auf der rechten Faust ab, musterte den nur noch schemenhaft erkennbaren Mann mit einem argwöhnischen Blick. Warum hatte er sich nicht erschreckt, als sie sich die Hand gegeben hatten? Er musste doch gefühlt haben, wie eiskalt die des Sängers gewesen war. Sorraiah ließ sich langsam, ohne den Blick von dem Gesicht seines Klienten zu nehmen, auf seinen eigenen, pechschwarzen Lederstuhl niedergleiten. Er strich mit einem Finger unablässig über die Linien seiner Hand, an denen immer noch ein Hauch von Kälte haften zu schien. "Sicher. Aber ich möchte alles aus ihrer Sicht hören. Wie hat sich alles ereignet? Und die zentrale Frage..." Er beugte sich ein Stück weit vor. Sein goldbraunes Auge fixierte genau den Blick seines Gegenübers. "Warum hat es sich alles so ereignet?" Dimi brach den Augenkontakt nicht ab, im Gegenteil, er fixierte das goldene Glitzern des für ihn sichtbaren Auges genauso fesselnd, wie der ihn fixierte. Er hatte selten so schöne Augen gesehen. "Nun, okay, wenn sie es aus meiner Perspektive hören wollen. Bitte. Aber ich rede nicht sehr gern darüber, also erwarten Sie keine Details." Er seufzte etwas und hielt sich die Stirn, senkte den Kopf kurz und spürte, wie ihm ein paar Haarsträhnen ins Gesicht fielen. /Warum muss man mich immer wieder damit konfrontieren? Warum lassen sie mich nicht einfach in Ruhe, verdammt?/ Als er wieder aufsah, war seine Haut sehr blass, auch wenn man sie so oder so als schneeweiß bezeichnen konnte. "Alles fing an, als mir mein Manager mitteilte, dass ich ein Privatkonzert geben sollte. Irgendein berühmter Moderator aus dem Fernsehen oder so hatte eine kleine Feier geplant, weil seine neue Show so ein Erfolg war. Es waren ungefähr hundert Leute da und ich sollte für etwas Unterhaltung sorgen." Kurz bekam er keine Luft mehr, als er sich an die stickige Luft erinnerte, an den Geruch nach Qualm Schweiß und Cocktails...und an dieses fiese und dreckige Grinsen in dem Meer aus Gesichtern unter ihm. Er hustete und zitterte etwas, fing sich aber wieder und schloss seine Augen um wieder klar denken zu können. Sorraiah war jedoch schon hastig aufgestanden und lief nun um den Schreibtisch herum, auf dessen Oberfläche sich das kalte Licht der Sterne mit den tausend erhellten Fenstern und Neonreklamen der schlaflosen Stadt mischte. Der junge Anwalt ließ sich auf einem zweiten Besucherstuhl nieder und legte Dimi eilig eine Hand auf die Schulter. Spontan lief ein erneuter Schauer über seinen Körper, und für den Bruchteil einer Sekunde fiel die lächelnde Maske von Sorraiahs bleichem Gesicht. Was war das für ein Gefühl, das ihn seit dem Konzert verfolgte? Warum ließ es ihn in seinem gut temperierten Büro frieren? Er holte tief Luft, um seinen Atem zu beruhigen und setzte eine hilfsbereit-besorgte Miene auf. "Geht es ihnen nicht gut?" fragte er in einem Tonfall, der es beinahe unmöglich machte, nicht Augenblicklich sein Vertrauen an den Schwarzhaarigen auszuliefern. "Lassen sie sich Zeit..." "Nein, nein, es geht schon...Ich habe mich nur verschluckt. Passiert mir öfters. Ich bin wohl die Luft hier nicht so gewöhnt.", entgegnete Dimi und schenkte seinem Gegenüber ein beruhigendes Lächeln, ohne es zu merken. Erst danach riss er etwas schockiert die Augen auf und stockte innerlich. /Ich habe gerade wirklich gelächelt? ...das...das kann nicht sein. Ich kann doch gar nicht lächeln!/ Anscheinend konnte er es doch, denn er hatte es ja gerade mehr als deutlich bewiesen. Das Gesicht des Anwalts klarte sich im Nu auf und er nahm seine Hand wieder von Dimis Schulter, deren Druck ihm irgendwie ein leichtes Gefühl von Sicherheit gegeben hatte. "Also, wo war ich? ...Genau. Ich sollte dort also ein paar Lieder spielen, vielleicht noch kurz auf einen Drink dableiben und mich mit ein paar Kindern fotografieren lassen und dann wieder abschwirren. Aber mir ist da blöderweise etwas zwischen gekommen. Es war beim dritten Lied, glaube ich ...Es war "I would die for you". Kennen Sie das? ...Ach, was frag ich sie überhaupt, das ist doch total unwichtig, außerdem glaube ich kaum, dass sie sich meine Musik anhören, immerhin haben Sie mich ja vorhin nicht mal erkannt." Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und senkte entschuldigend den Blick. "Wahrscheinlich ist mir der ganze Ruhm schon etwas zu Kopf gestiegen. Wie dem auch sei, ich sang also gerade meinen dritten Song und auf einmal fängt eine junge Frau mitten im Publikum an zu schreien. Sofort sind alle auseinander gefahren und man konnte sehen, dass ein etwas älterer Mann scheinbar bewusstlos am Boden lag. Die Frau kniete neben ihm und rüttelte an seinem Hemdkragen und schrie wie am Spieß. Irgendwer hat dann den Arzt gerufen und der konnte nur noch feststellen, dass der Typ hinüber war, oder, um es korrekter auszudrücken, er hatte den Löffel abgegeben. Bei einer Obduktion wurde dann festgestellt, dass er an einer Blutung in seinem Gehirn gestorben ist. Irgendeine Ader ist geplatzt und - Bum! - schon konnten sich alle Sargfabrikanten die Hände reiben. Da die Ader aber nur dann platzen konnte, wenn sie einem sehr starken Druck ausgesetzt wird, nahm der Arzt an, dass die Musik oder besser gesagt, die Boxen zu laut waren und die Schallwellen dann zu der inneren Blutung geführt hätten. Deswegen hat mich die Frau von dem Kerl jetzt wegen Mordes oder absichtlicher Körperverletzung oder so angezeigt. Ich kenne mich mit dem ganzen Justizvokabular nicht sonderlich gut aus, aber dafür habe ich ja Sie, nicht wahr, Herr Masayume?" "Genau!" Auf Sorraiahs Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. "Und zum Ersten: Natürlich kenne ich sie. Ich war ebenfalls auf dem Konzert und es war... es war..." Er suchte für einen Moment nach den passenden Worten. "Es war schlicht und einfach grandios! Nun, ich bin zwar Anwalt, aber auch nur ein Mensch, und selbst ich kenne mich ein wenig in der Musikszene aus!" Nur für eine einzige Sekunde lang schien sich etwas an dem Lächeln des jungen Anwalts zu verändern. Wie ein kurzer Funke legte sich plötzlich eine Wärme auf seine schönen Gesichtszüge, und erst jetzt fiel überhaupt auf, dass diese Wärme jemals gefehlt hatte. Doch schon im nächsten Augenblick war sein mühevoll antrainiertes Berufslächeln zurückgekehrt und er machte sich an einigen Akten zu schaffen. "Hmm... mich wundert das... es muss doch ein konkreter Verdacht auf Mord bestehen... kannten sie den Toten etwa? Oder die Frau?" Dimi wusste nicht, welches Gefühl heftiger war. Die Verlegenheit, die er gespürt hatte, als der Anwalt ihn als "grandios" bezeichnet hatte, das leichte Glücksgefühl bei dem darauf folgenden Lächeln des jungen Mannes oder die Furcht und der Zorn, der sich jetzt in seiner Kehle sammelte. Und ob er dieses Schwein kannte! Gekonnt lenkte der die Wut durch seine zu geballten Fäusten verkrampften Hände in das Leder des Stuhls ab und räusperte sich etwas. "Sie finden mich also grandios? Nun.......danke, so hat mich noch nie jemand genannt. Und..." /Hoffentlich merkt er nicht, dass ich ihn anlüge./ "...den Mann kannte ich nicht. Er war zwar auch Manager von Musikern und hatte sogar seine eigene Plattenfirma. G&B-Musiks, wenn ich mich recht entsinne." Wieder diese elende Wut, dieser Hass und gleichzeitig die Angst und die Schmerzen. "Aber persönlich kannte ich weder ihn noch die Frau." Sorraiah legte den Kopf schräg und sah Dimi so prüfend an, als könnte er in seinem Kopf, in jeder einzelnen Emotion von ihm so lesen wie in einem offenen Buch. Dann jedoch nickte er, strich sich mit der Hand durch sein pechschwarzes Haar und lächelte zufrieden. "Eine leichte Übung!" Der junge Anwalt zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich ein Racheakt, sagen wir, weil die Firma weniger erfolgreich war und sie als Star mal ein Angebot abgelehnt haben und bla bla bla... kein Problem. Ich besorge die nötigen Entlastungszeugen und sie... oder gibt es schon irgendwelche Zeugen in dem Fall?" Mit einem Mal schien ein Schatten über Sorraiahs Lächeln zu huschen. "Vielleicht sogar... belastende Aussagen? Und meinen sie... die Frau... könnte gefährlich werden?" "Wissen Sie, um die Frau mache ich mir keine so großen Gedanken. Wie schon gesagt, ich kenne sie nicht und daher kann sie mich auch wohl kaum belasten, aber es gibt da zwei Leute, die mich in der Tat belasten könnten." Dimi stand auf und ging leicht träumend durch das Büro, rieb seinen linken Arm, als sei ihm irgendwie kalt und schaute sich interessiert die Einrichtung an. "Zeugen gibt es eigentlich keine. Die meisten haben nicht auf ihn geachtet, sondern getanzt oder geredet. Nur die Frau hat wohl mitbekommen wie er zusammen gebrochen ist. Allerdings kennt diese Frau zwei Männer, oder besser gesagt, der Tote kannte sie und die beiden behaupten, mich von früher zu kennen. Sie sagen sogar, dass ich früher mal bei G&B-Musiks gearbeitet hätte und den Verstorbenen kannte. Das Schlimme ist, dass laut ihren Aussagen, ich irgendwann einen heftigen Streit mit ihm hatte und dann gegangen bin und jetzt wollen sie das ganze als Rache darstellen, auch wenn das ziemlich bescheuert klingt, finden Sie nicht? Ein Mord, ausgeübt mit ein paar elektronischen Beats, das ist doch lächerlich. Aber mein Manager hat Angst, dass der Richter das vielleicht anders sieht." Er warf einen fragenden und leicht Hilfe suchenden Blick zu dem Anwalt hinüber, fasste sich dann wieder und lehnte sich etwas verschüchtert an die Wand, fuhr mit den Fingerspitzen behutsam über die Unebenheiten der Tapete. Sorraiah ließ seinen Blick hinaus auf das glitzernde Häusermeer der Stadt gleiten. Der Anblick beruhigte ihn, gleichzeitig ließ er ein Gefühl von Scham in dem Schwarzhaarigen hochsteigen. Seit wann ließ er sich von irgendwelchen anderen Menschen nervös machen? Immerhin lag das gesamte Schicksal seines Klienten in seinen Händen. Sicher, die letzte Entscheidung lag beim Richter, aber es war seine Aufgabe, dieses Risiko auf ein Mindestmaß zu senken. "Nun, ich kann nicht wissen, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht, aber offen gestanden macht das auch nicht den geringsten Unterschied. Könnten sie mir bitte Namen und Aufenthaltsort dieser Männer mitteilen? Oder zumindest eines von beiden? Und den Namen es Arztes, der den Toten untersucht hat!" In Sorraiahs Augen trat ein beinahe kindlich wirkendes Funkeln, während er hastig einen Zettel unter dem Gebirge aus Schreibtischunterlagen hervorkramte. Dann zog er einen Stift aus seiner Tasche hervor und sah Dimi erwartungsvoll an. Der junge Sänger erwachte wie aus einem Traum und blickte erst etwas verwirrt in den Raum, erinnerte dich dann wohl wieder, wo und weshalb er hier war und drückte sich dann von der Wand ab, ging zum Schreibtisch und hob sein rechtes Bein so weit an, dass er es ohne Probleme ausgestreckt auf den Rand des dunklen Holzvierecks parallel zur Längsseite des Tisches legen konnte. Dann erwiderte er den Blickkontakt und überlegte etwas. "Der Arzt hieß Dr. Charité, das weiß ich noch und er hat keine feste Praxis, sondern einen Krankengleiter. Die beiden Männer kommen, so sagte mir Godjira - mein Manager - aus Sysex City auf dem Uranus. Namentlich kenne ich nur einen. Er heißt Dorian Watergate und ist ebenfalls Musikproduzent. Den anderen kenne ich nicht." Er machte eine kurze Pause, schaute seinem Gegenüber tief in die Augen und beugte sich so weit vor, dass man meinen müsste, sein Hüftgelenk würde zerspringen. "Sagen Sie, Herr Masayume. Glauben Sie, dass ich unschuldig bin oder sagen sie das nur, weil ich Ihnen als Klient zugeteilt worden bin? ...und lassen die Tatsache, dass ich ein "Star" bin, dabei mal völlig außer Acht." Für einen Augenblick hatte Sorraiah das Gefühl, unter diesem Blick den Boden unter den Füßen zu verlieren und in ein tiefes, wirbelndes Loch zu stürzen. Er suchte unweigerlich an der Lehne seines Stuhles Halt, und während sein Herzschlag das Blut mit doppelter Geschwindigkeit durch seinen Körper jagte, blieb sein Gesicht so ungerührt und undurchschaubar wir eh und je. "Nun, Herr Aino, ich will ehrlich zu ihnen sein. Es ist mir vollkommen egal, ob sie schuldig sind oder nicht. Es geht vor Gericht einzig und allein um die besseren Argumente, und glauben sie mir, ich bekomme sie da raus. Spielen sie einfach mit, in Ordnung? Wenn der Arzt zu ihren Gunsten aussagt, oder Zeugen auftreten, die sie nie zuvor gesehen haben... spielen sie mit. Dafür schenke ich ihnen die Freiheit. Ist das in Ordnung so?" "Wenn ich ehrlich sein soll, ist das für mich nicht in Ordnung." Er nahm sein Bein wieder vom Tisch und ging ein paar Schritte auf die Tür zu, ehe er sich nochmals umdrehte und seine Hände in die Hosentaschen seiner dunklen Jeans steckte. "Ich habe nichts dagegen, wie Sie Ihren Job machen, Herr Masayume, aber ich bin nicht daran interessiert zu gewinnen, weil ich die Besseren Argumente habe, sondern schlicht und ergreifend, weil ich im Recht bin und nichts getan habe, verstehen Sie. Ich weiß, dass das in der heutigen Zeit abgedroschen und naiv klingt, aber ich denke so und wenn Sie nicht hundertprozentig von meiner Unschuld überzeugt sind, tut es mir leid, Ihre wertvolle Zeit in Anspruch genommen zu haben. Ich danke Ihnen für Ihre Mühen, aber ich denke, ich werde mir doch einen anderen Anwalt nehmen. Einen schönen Abend noch." Er winkte freundlich und schlenderte zur Tür, öffnete sie und war schon mit einem Bein im Flur, als er plötzlich mit einem derart heftigen Ruck in das Zimmer zurückgerissen wurde, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren und Bekanntschaft mit dem dunkelroten Teppichboden gemacht hätte. Noch ehe er ganz begreifen konnte, was überhaupt vor sich gegangen war, hatte sich schon eine kleine Gestalt in einem schwarzen Anzug zwischen ihn und die Türe gestellt. "Ich habe nie behauptet, dass ich ihnen nicht glaube!" Sorraiahs Brust hob und senkte sich schneller als zuvor. Er wusste selber nicht, was ihn zu der ganz und gar wahnwitzigen Aktion verleitet hatte, und er sah im Geiste schon das zornesrote Gesicht seines Chefs vor sich, während er - wenigstens sicher vor den Ausbrüchen seines Vorgesetzten - auf der Angeklagtenbank in dem großen Gerichtssaal saß und sich selbst in einem Prozess wegen Nötigung verteidigen musste. Und trotzdem hatte er mit einem Mal das Gefühl, den Sänger nicht einfach wieder gehen lassen zu dürfen. Er wusste, dass er ihm helfen musste. "Ich glaube ihnen, ja! Aber sie müssen mir auch vertrauen, hören sie???" Dimi war so überrascht, dass es etwas dauerte bis er begriff, was soeben geschehen war. Ungläubig starrte er den Anwalt an, der jetzt mit einem leicht erröteten Gesicht, einer sich heftig hebenden und senkenden Brust und einem starken Glanz in den goldenen Augen vor ihm stand und ihm die Tür versperrte. "Herr Masayume, was ist denn in Sie gefahren?", fragte er noch immer kaum fähig zu denken und strich sich durch die blauen Haare, spürte wie sich etwas Schweiß in sie gemischt hatte. Und dann, in einem kaum vorhandenen Moment, sah der junge Sänger dieses stumme Flehen, zumindest glaubte er, es zu sehen. Ein unausgesprochenes Bitten, dass er nicht ging, dass er nicht durch diese Tür wieder in die Dunkelheit verschwand. /Warum?/ Leicht benommen räusperte er sich. "Hören Sie zu! Wenn Sie mir ernsthaft helfen wollen und wirklich an meine Unschuld glauben, werde ich Ihnen trauen, einverstanden?" /Trauen ja, aber vertrauen? Wer bin ich denn? Man kann niemandem vertrauen. Ich habe es einmal gemacht und was hat es genützt? Nichts, es hat mir nur wehgetan. Vertrauen ist scheiße!/ Dann ging er vorsichtig auf den Anwalt zu und legte ihm eine Hand an die Wange, zwang ihn in seine hellen, silbernen Augen zu sehen und wartete auf eine Antwort. Sorraiah öffnete den Mund, brachte aber im ersten Augenblick keinen Ton über die Lippen. Es kostete ihn so viel Mühe, das Beben in seinem Körper zu unterdrücken, dass er den leisen, nur sehr langsam wachsenden Schmerz in seiner Seite zunächst noch gar nicht wirklich wahrnahm. "Ich... werde ihnen helfen!" Aus irgendeinem Grund war es ihm unmöglich, seinen Blick von Dimis Augen zu nehmen, und er verfluchte sich mit einem Mal dafür, ihn nicht vollständig sehen zu können. Von einer Sekunde auf die nächste brach eine Welle von Hass über ihn herein, tiefen Hass auf sein begrenztes Sichtfeld, auf alle Menschen, die er jemals in seinem ganzen Leben getroffen hatte... auf sich selbst... doch gleich darauf wurden all diese Gefühle erstickt von einer heißen, brennenden Explosion mitten in seinem Brustkorb. Sorraiah stieß einen Schrei aus, brach auf die Knie und krallte seine Hände in seine Arme, die krampfhaft seinen Oberkörper umschlangen. Sein Blick war starr auf den blutfarbenen Teppich gerichtet, von einer Sekunde auf die andere existierte nur noch eine dumpfe, konturenlose Welt aus Schmerzen. Hätte Dimi ihn nicht rechtzeitig aufgefangen, wäre Sorraiah wohl bäuchlings auf den Boden gefallen. Beruhigend strich er ihm über den Rücken und wunderte sich, warum er es tat. Warum ihm dieser Mensch plötzlich wichtig war, dass er ihm half. Doch ihm blieb kaum genug Zeit, den Faden von Gedanken neu aufzunehmen, da ihn das andauernde hin und her Wiegen des Anwalts ganz in Anspruch nahm. Wie eine aufgezogene Puppe wippte der junge Mann mit den dunklen Haaren vor und zurück, krallte noch immer seine Fingernägel in den Stoff seines teuren Anzugs und biss sich so stark auf die Unterlippe, dass es zu bluten angefangen hatte. Beim Anblick der roten Flüssigkeit brach über Dimi kurz wieder ein Schwall von Erinnerungen herein, die er aber dank jahrelangem Üben sofort wieder verdrängte. "Hey, ist ja gut. Was haben Sie denn, Herr Masayume? Haben Sie Schmerzen? Tut Ihnen irgendetwas weh?" Immer noch kreiste seine Hand beschützend über seinen Rücken. Der Sänger nahm den zitternden Körper schließlich ganz in seine Arme und kniete sich neben ihn, stützte sein Kinn auf dessen Kopf ab und sprach mit gelassener Stimme, schloss nebenbei die Tür, da er ihnen beiden ungewollten Besucheransturm ersparen wollte. /Was ist das nur für ein Anwalt? Erst bespringt er mich fast, weil ich nicht gehen soll und jetzt hat er einen Krampfanfall. Wenn es nicht bald besser wird, werd ich einen Arzt herholen müssen./ Dimi spürte, wie sich der Schwarzhaarige näher an ihn drängte und sich sein Atem ganz langsam wieder beruhigte. Als er aufblickte, sah Sorraiah plötzlich um Jahre jünger aus, beinahe wie ein verängstigtes, einsames Kind. Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen kehrte dann jedoch ganz langsam der selbstbeherrschte, allerdings doch noch ein wenig mitgenommen dreinblickende Staranwalt zurück und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. "Was... oh nein... nicht schon wieder..." Sorraiah holte tief Luft, dann verzogen sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen. "Es tut mir wirklich leid, wenn ich ihnen einen Schrecken eingejagt habe... manchmal... haben Fälle seltsame Nebenwirkungen, und mein letzter Fall war wirklich anstrengend..." Erst einen weiteren Augenblick später begriff der junge Anwalt die Situation, in der er sich gerade eben befand. Spontan färbten sich seine bleichen Wangen in ein zartes Rot und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde schlagartig sehr verlegen. "Öhm... danke... für die Hilfe!" "Keine Ursache." Dimi stand ruckartig auf und zwang sich relaxt auszusehen, fuhr sich abermals durch die Haare und musterte den Anwalt kurz. Anscheinend ging es ihm wirklich wieder besser. Zwar war sein Gesicht noch etwas rötlich und sein Blick noch immer etwas verschwommen, doch ansonsten war es wieder der selbstbewusste junge Mann, der ihm vor wenigen Minuten die Hand gegeben hatte. War das wirklich erst so kurz her? Egal, prüfend strich er sein schwarzes Shirt glatt und richtete die silberne Kette, die um seinen Hals hing. "Und es geht Ihnen auch wirklich gut? Ich meine, ich kann einen Art holen oder Sie auch ins Krankenhaus bringen. Ist kein Problem." Sorraiah hob abwehrend die Hand und schüttelte lachend den Kopf. "Nein... das ist wirklich nicht nötig! Mir geht es..." Erst jetzt bemerkte der junge Anwalt, dass ihm warme Flüssigkeit von der Lippe tropfte. Er fuhr sich mit den Fingern über das Kinn und sah, dass auf seiner bleichen Haut rote Flecken zurückgeblieben war. "Mir geht es gut!" brachte Sorraiah den Satz zu Ende, während er kurz eine Hand auf den Mund legte und die Augen schloss. Als er seine Hand wieder sinken ließ, war die blutende Wunde verschwunden. Er lächelte. "Ich denke, somit wären die wichtigsten Dinge geklärt. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, sind sie beinahe schon wieder ein ganz freier Mann!" Dimi wunderte sich, warum die Unterlippe wieder so heil aussah, wo er doch vorhin genau gesehen hatte, dass ein kleiner Riss darin war, doch er verwarf die Zweifel und ging an dem jungen Mann vorbei zur Tür, um sich zu verabschieden. Der Tag war gewiss schon verrückt genug gewesen. "Na, das will ich doch hoffen. Aber....wo Sie gerade unser nächstes Treffen erwähnen. Wissen Sie, ich gebe hier in der Stadt noch ein paar weitere Konzerte. Das nächste findet gleich morgen statt. Wenn Sie wollen können Sie zu den Proben kommen und später dann die Show ansehen. Karten besorge ich, keine Panik, immerhin bin ich ja der Star. Und wenn Sie sonst nichts vorhaben, würde ich Sie danach gern auf ein kleines Essen in meinen Raumgleiter einladen. Eigentlich war das ja eine Idee meines Managers, aber jetzt, nachdem ich Sie kennen gelernt habe, würde ich mich wirklich freuen, wenn Sie zusage würden. Also, werden Sie kommen? Die Karten wären für die erste Reihe, direkt vor der Bühne. Dann können Sie ich die Sache mit dem "grandios" noch einmal überdenken." Hoffnungsvoll sah er den Anwalt an und merkte gar nicht, wie er dabei nervös mit den Fingern am Türknauf rumspielte. "Was?" Sorraiah riss sein Auge weit auf und konnte für einen Augenblick noch nicht wirklich glauben, was er da eben gehört hatte. Dann jedoch wurde sein Gesicht von einem strahlenden Lächeln erhellt. "Ja! Ja, und ob! Ist das eine Frage? Ich freue mich wirklich unglaublich darauf! Holy Jesus... so viel Glück kann ein Mensch doch gar nicht haben!!!" Der junge Anwalt zog hastig eine Visitenkarte aus einer der Taschen seines Jacketts und reichte sie Dimi. "Hier. Damit sie mich erreichen können. Wow... habe ich schon mal gesagt, dass ich mich freue? Nun, dann... sehen wir uns ja sogar in gar nicht so weiter Ferne!" Er streckte dem Sänger zum Abschied seine Hand hin. "Wie sag ich jetzt am besten? Bis bald!" Dimi lächelte kurz und diesmal schockierte es ihn nicht. Irgendwie hatte er es nicht aufhalten können. Als er diese kindliche Freude gesehen hatte, war es einfach geschehen. Und es war nicht schlimm, gestand er sich ein. "Toll! Ich freue mich schon sehr darauf, Sie mal persönlich kennen zu lernen. Also, wie sagten Sie? Bis bald!" Er gab dem jungen Anwalt die Hand und ging dann gemächlich den Flur entlang, und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit, freute er sich auf den nächsten Tag. Sorraiah blickte ihm noch lange hinterher. Dann schlenderte er langsam zum Fenster hin, ließ sich auf seinen Drehstuhl fallen und blickte versunken auf die nächtliche Stadt hinaus. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, und aus irgendeinem Grund wandte er sich nicht von der riesigen Scheibe ab, als er sein Spiegelbild sah, wie es ihm mit einem leuchtenden Auge entgegenblickte. Er blieb noch lange in seinem Büro sitzen und sah dem lebenden Sternenmeer tief unten in der Dunkelheit der Nacht zu. Aber erst, als er die Türe seines kleinen Reiches hinter sich verschlossen hatte und leise singend die endlosen Flure des gläsernen Turmes hinabschlenderte, begriff Sorraiah, dass er noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen war wie in dieser schlaflosen Nacht. Die Sonne stand senkrecht über der endlosen Stadt und brachte das graue Pflaster unten in den tiefen Häuserschluchten zum Glühen. Wie versilberte Perlenketten reihten sich die Gleiter aneinander, beinahe stehend zwischen den Glas-, Chrom- und Betonfassaden der Hochhausriesen. Und obwohl sie sich vollkommen lautlos auf den Magnetbahnen unter der flirrenden Straßenoberfläche bewegten, war die stickige Luft erfüllt vom Hupen und den wütenden Schreien der Fahrer. Deren Nerven lagen blank, ihre Hände krampften sich um die schmerzend heißen Lenkräder, während irgendwo am anderen Ende der Stadt ein wichtiger Geschäftstermin auf sie wartete, vielleicht auch ein Kind, das von der Schule abgeholt werden wollte oder ein Raumtransporter - mit dem Unterschied, dass dieser keineswegs wirklich wartete, sondern ohne Rücksicht auf irgendwelche Staus oder am Rande des Nervenzusammenbruchs stehende Gleiterfahrer zu einem fernen Planeten aufbrechen würde. Sorraiah betrachtete die hektische, oder besser gesagt, unfreiwillig ruhende Situation mit gelassener Gleichgültigkeit. Seine Laune war ebenso ungetrübt wie der wolkenlos blaue Himmel, der sich in unerreichbar weiter Ferne über ihm erstreckte. Er hatte die Stereoanlage seines Cabrios auf volle Lautstärke aufgedreht und sang nicht weniger lautstark mit. Es kümmerte ihn herzlich wenig, dass ihm seine Vorder- und Hintermänner dabei reichlich seltsame Blicke zuwarfen - er hatte seine Spirit of Silence-CDs, er hatte die höchsten Temperaturen seit mindestens zwei Wochen und er war glücklich. Nichts und niemand sollte ihm diese gute Laune jetzt noch verderben können, und schon gar nicht ein Stau auf dem Saint Rayleigh Highway. An Tagen wie diesen war Sorraiah jedes Mal unglaublich froh, dass er einen Privatparkplatz in unmittelbarer Nähe der INFERIA-Tower besaß. Es war leichter, sich mit gefesselten Händen und verbundenen Augen in den Zentralcomputer der Regierung einzuhacken, und ganz nebenbei auch noch einen Schwergewichtsweltmeister und einen Amok laufenden Elefanten zu überwältigen, als zur Rush Hour einen Parkplatz in Illythias Innenstadt zu finden. Sorraiah wusste das aus Erfahrung nur allzu gut, und so hatte er sich das teure Vergnügen eines privaten Stellplatzes geleistet. Was für ein Glück, schoss es ihm durch den Kopf, dass er sich über finanzielle Dinge nun wirklich keine Sorgen mehr machen musste. Sein Job erlaubte es ihm, sich all seine Träume erfüllen zu können, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Er hatte seine Penthousewohnung, er hatte sein wandhohes Aquarium, sein überdimensionales IV-Gerät, seinen Gleiter, sein Wasserbett... er besaß einfach alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte, und das nur, weil sich ein hübsches Sümmchen von Credits auf seinem Konto schlafen gelegt hatte. Es war schon faszinierend, wie schnell einem die Welt zu Füßen lag, wenn man die Taschen gefüllt hatte, und wie sehr sie einem in den Rücken fiel, sollte das nicht der Fall sein. Dies war allerdings nun wirklich nicht mehr sein Problem. Er hatte seine große Liebe gefunden - und wollte ihr sein Leben lang treu bleiben. Geld war etwas so unglaublich Schönes, und dabei so unscheinbar, dass viele Menschen seinen Wert glatt verkannten. Wie sagten sie oft so leicht dahin? Geld allein macht nicht glücklich! Sorraiah konnte über diesen Spruch nur lächeln. Natürlich machte Geld glücklich! Geld war eine wundervolle, süße Droge ohne jegliche Nebenwirkungen, und er hatte noch nie in seinem Leben bereut, ihr erlegen zu sein. Der Blick des jungen Anwalts streifte die drei überdimensionalen Türme, in denen irgendwo, ganz klein und unscheinbar sein Büro verborgen lag. Er liebte den Anblick dieser architektonischen Meisterleistung! Die strahlende Sonne brachte die gläsernen Wände zum Funkeln und Glitzern, der Himmel tauchte sie in intensives, kalt glänzendes Hellblau. Wieder einmal wurde Sorraiah bewusst, was für ein unglaubliches Glück dieser Arbeitsplatz doch war. War es nicht ein verschwindend kleines Übel, für all dieses Glück ein unscheinbares, kaum nennenswertes Opfer bringen zu müssen? Sorraiah schüttelte den Kopf und durchquerte die Schachbretthalle und ließ sich von einem der Aufzüge hinauf auf sein Stockwerk tragen. Er wich dem Blick seines Spiegelbildes in den chromblitzenden Aufzugtüren aus, während er im Rücken die glatte, kalte Front des wirklichen Spiegels fühlte. Warum zum Henker musste man eigentlich überall von diesen verfluchten Dingern umgeben sein? Der junge Anwalt seufzte. Er hatte beinahe schon vergessen, wie sehr er Spiegel hasste. Glücklich zu sein war verdammt gefährlich. Er seufzte leise, zuckte dann mit den Schultern und drückte auf dem leuchtenden Zahlenfeld neben der Türe eine weitere Kombination. Warum sollte er sich denn jetzt schon in sein Büro vergraben und verzweifelt die Stunden zählen, bis endlich die grelle Sonnenscheibe vom Himmel fliehen und der wundervollen blauen Nacht Platz machen würde? Verdammt, er hatte einen guten Job erledigt und es gab keinen Grund, warum er diesen Erfolg verstecken sollte. Auf der Landkarte in Sorraiahs Kopf wurde spontan eine Routenänderung eingetragen, die ihm einen kurzen Umweg über das Büro seines Chefs bescheren würde. Es gefiel ihm, wenn Haddock stolz auf ihn war, wenn er ihn lobte. Besonders natürlich dann, wenn dieser Stolz sich in einer kleinen, aber durchaus nicht unangenehmen Gehaltserhöhung äußerte. Sorraiah lächelte zufrieden, während er leise pfeifend durch das gläserne Labyrinth des zweiten INFERIA-Towers schlenderte. Wie immer ließ er seinen Blick über die unendlichen Weiten der Stadt schweifen, während ihn das Fließband des Skywalks seinem Ziel Stück um Stück näher brachte. Aus irgendeinem Grund kam ihm das Blau des Himmels an diesem Tag noch ein wenig strahlender vor als sonst, die Oberfläche des Atalic Lake glitzerte ungleich schöner und prächtiger und überhaupt war jedes einzelne Hochhaus einfach wundervoll. Er hatte keine Ahnung, woran das lag oder ob er es sich ganz einfach nur einbildete, aber egal wohin er blickte, am liebsten hätte er schlicht und einfach gesungen. Natürlich tat er das nicht, sondern klopfte stattdessen an der Türe, die durch ein silbern blitzendes Namensschild als Haddocks Büro ausgewiesen wurde. Er wartete, bis sein Vorgesetzter ein diffuses Geräusch von sich gab, dann schob er die Tür auf und steckte den Kopf in den hellen Raum. "Störe ich?" grinste er seinen Chef an, und erkannte noch im selben Augenblick an dessen gerunzelter Stirn, dass ihm irgendetwas Unzufriedenheit bereitete. "Du störst immer, Sorraiah. Also kannst du auch gleich reinkommen." "Ich fühle mich geschmeichelt!" Der junge Anwalt trat kopfschüttelnd ein und bemühte sich vergeblich um einen ernsten Gesichtsausdruck. Was auch immer seinem Vorgesetzten bedrückte, es war offensichtlich nicht schwerwiegend genug, um ihm auch seinen Humor zu verderben. Diese Tatsache freute Sorraiah nicht nur in Anbetracht einer eventuellen Gehaltserhöhung, sondern auch ganz einfach deswegen, weil er Haddock mochte und ihm vor allem unendlich dankbar war. Er hatte nicht vergessen, was der Vorsitzende von ITP für ihn getan hatte. Genau genommen verdankte er ihm alles. Und nicht nur das - für Sorraiah war sein Chef immer ein bisschen wie ein Vater gewesen und er war vielleicht der einzige Mensch in dem unendlichen Universum, dem er wirklich und uneingeschränkt vertraute. Manchmal zumindest. Diese Tatsache hielt ihn aber natürlich nicht davon ab, Haddock ab und zu den an den Rand des Wahnsinns oder sogar noch ein bisschen darüber hinaus zu treiben. Er wusste, dass sein Vorgesetzter ihm niemals wirklich böse sein konnte. Das lag allerdings vielleicht auch ein ganz klein wenig daran, dass Sorraiah sein bester Anwalt war - und nun wieder einmal für einen neuen und vor allem überaus gut situierten Klienten gesorgt hatte. Der Schwarzhaarige lächelte. Wenn das keine aufmunternde Nachricht war, was dann? "Nun, Sorraiah, was gibt es?" In Haddocks Tonfall lag ein Hauch von Enttäuschung. Sorraiahs Besuch schien seine Laune nicht sonderlich aufzuhellen. "Was es gibt?" Der junge Anwalt grinste und strich sich einige Haarsträhnen hinter das Ohr. "Melde gehorsamst: gute Neuigkeiten, Sir! Auftrag erledigt! Die Konzertkarten haben sich gelohnt - ich hab den Klienten. Dimi Aino höchstpersönlich vertraut ab sofort den kompetenten Anwälten von ITP. Besser noch, wir haben schon ein... weiteres Treffen ausgemacht, bei dem wir alles weitere besprechen wollen. Na, bin ich gut?" Haddock antwortete nicht sofort. Die Falten auf seiner Stirn wurden noch ein kleines bisschen tiefer, während sich seine Augenbrauen um einige Millimeter nach oben verschoben. Sein Blick ruhte durchdringend auf Sorraiahs einem, golden funkelnden Auge. "Was soll ich sagen? Reiche Klienten zu gewinnen ist unser Geschäft und Überlebenselixier. Aber leider haben wir viel eher einen wichtigen Klienten verloren..." "Haben wir das?" Sorraiah zuckte mit den Schultern. "Aber hey, das kommt doch mal vor! Wir erreichen ja nun wirklich nichts, indem wir einem ehemaligen Kunden nachtrauern. Kopf hoch, Chef. Solche Dinge sind nicht schön, aber sie passieren nun mal." "Du hast ja Recht. Allerdings hätte ich dir ein kleines Geschäftsessen wirklich mal wieder gegönnt... nun ja... wie du sagtest - solche Dinge passieren und lassen sich nicht ändern." "Ja aber... wieso... ich verstehe nicht ganz..." Der junge Anwalt stieß ein verständnisloses Lachen aus und warf seinem Chef einen reichlich hilflosen Blick zu. "Wieso kann ich deshalb mein Treffen nicht wahrnehmen? Es war doch wohl nicht ein so dermaßen wichtiger Kunde, dass wir deshalb am Rande des Ruins stehen und uns ab jetzt nur noch Wasser und Brot leisten können - auch wenn wir Anwälte das vielleicht verdient hätten." "Hmm..." Haddocks Blick wurde noch ein wenig prüfender. "Scheinbar hat man dich noch nicht informiert. Du verstehst mich nicht ganz richtig." Er legte eine kurze Sprechpause ein und beugte sich ein Stück weit über seinen Schreibtisch nach vorne. "Der Grund, dass dein Candle Light Diner platzt, ist ganz einfach der, dass du keinen Fall mehr hast. Ja, du hast mich ganz richtig verstanden. Es tut mir leid, Sorraiah, aber der Fall von Dimi Aino ist dir aberkannt worden. Du bist nicht mehr länger sein Anwalt." Fortsetzung folgt!!! Kapitel 4: SOS IV ----------------- Spirit of Silence IV So, endlich kommt auch Yu-chan mal dazu, ein neues SOS-Chapter hochzuladen... ^^;;; Gomen, es hat wirklich ewig gedauert! Diesmal wird es als Entschädigung aber ganz besonders fies! Moment mal... warum kuckt ihr so? Freut ihr euch nicht?!? *schluck* Naja, es tritt ein neuer Charakter auf... *räusper* aber mehr wird nicht verraten. Hehe. Hehehehehehe. *räusper* Viele viele viele an den besten Co-Autor des gesamten Alls inklusive Atrraya natürlich, Son-Goku Daimao alias Fünkchen (nicht hauen!!! ^^) und an Van17, weil sie sich sooo viel Mühe beim wer-hat-was-geschrieben-raten gegeben hat!!! Und... bitte, denkt daran: Wenn ihr mich jetzt umbringt, erfahrt ihr nie, wie's weitergeht... ^^; Die Worte des Mannes schlugen wie ein Blitz in Sorraiahs strahlende Laune ein und hinterließen ein seltsam hohles, dröhnendes Gefühl von Leere, begleitet von einem zunächst kaum wahrnehmbaren dumpfen Schmerz. Über all diesen diffusen Empfindungen lag jedoch ein weißer, feucht-klebriger Schleier der Fassungslosigkeit, noch dichter und undurchdringlicher als die morgendlichen Nebelschwaden über dem türkisblauen Wasser des Atalic Lake. "Wa-was soll das heißen?" Sorraiah stieß ein kurzes, hilfloses Lachen aus. Er hatte mit einem Mal das Gefühl, als würde ihm jemand mit grässlicher Langsamkeit den dunkelroten Teppich unter den Füßen wegziehen. Seine Beine begannen zu zittern und er ließ sich hastig auf Haddocks schwarzem Besucherstuhl nieder. "Es heißt genau das, was ich dir gerade eben gesagt habe, Sorraiah." Der grauhaarige Mann stand auf, ging um seinen Schreibtisch herum und ließ sich auf dem noch freien Platz neben dem jungen Anwalt nieder, dessen goldenes Auge starr auf einen nicht existierenden Punkt irgendwo im Zimmer oder auch am anderen Ende der Stadt gerichtet war. Er legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter und strich mit dem Daumen leicht über den glatten schwarzen Stoff von Sorraiahs teurem Anzug. "Ja aber... ich verstehe das nicht!" Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf und sah seinen Vorgesetzten mit dem flehenden Blick eines Kindes an, das entgegen allen Regeln und Paragraphen der Logik unbedingt von seinen Eltern hören will, dass sein kleines Hündchen den Zusammenstoß mit einem Gleiter bei Tempo 130 vollkommen unbeschadet überstanden hat. "Haddock... ich... er hat mir doch gesagt, dass er... ich meine, er hat mich ja sogar zu einem Essen eingeladen! Was sollte denn bitteschön die ganze Show, wenn er sich jetzt so plötzlich von heute auf morgen für einen anderen Anwalt entscheidet?!?" "So einfach ist das leider nicht!" Haddock ließ einen tiefen Seufzer aus seiner Brust entfliehen, während sich seine Mundwinkel um einige Millimeter nach unten zogen. "Wenn ich das richtig verstanden habe, ging der Wunsch nach einem anderen Verteidiger vom Management aus. Ob dir dieser Sänger nur etwas vorgemacht hat, oder ob es ganz einfach nicht besser wusste, frag mich das bitte nicht." "Vom Management? Aber das ergibt doch keinen Sinn!" Das stumme Flehen in Sorraiahs schönem Auge wurde noch ein wenig eindringlicher. Bitte, Dad. Er ist nicht tot, oder? Buster steht gleich wieder auf und dann geht er mit mir spielen, oder Dad? Wir gehen alle zusammen in den Park, ja, Dad? Haddock wich dem Blick des jungen Anwalts aus. Eine tiefe Falte legte sich auf seine ohnehin schon nicht mehr jugendlich glatte Stirn, die im Laufe seiner Zeit als Vorsitzender von ITP mehr Furchen und Krater gebildet hatte, als sämtliche Botox-Spritzen des Planeten wieder lahm legen konnten. "Ich kann nur noch einmal sagen, wie leid es mir tut, aber ändern kann ich es nicht. Ist denn... während eurem Vorstellungsgespräch irgendetwas passiert, was deinen Klienten in irgendeiner Art und Weise... befremden hätte können?" Sorraiah wandte seinen Kopf ruckartig dem Fenster zu, das ihm mit einem Mal unglaublich interessant erschien und schluckte einen überaus dicken und vor allem sehr zähen Kloß hinunter, der es sich mit Chips und Popcorn mitten in seinem Hals bequem gemacht hatte. Vor seinem inneren Auge spielte sich ein in dezenten Schwarzweißtönen gehaltenes, der Atmosphäre wegen leicht ruckelndes Kopfkino ab. Sorraiah und Dimi - das erste Gespräch. Ein Drama in vier Akten. Szene Eins: Sorraiah bringt seinen Mandanten durch unüberlegte Äußerungen beinahe dazu, sich postwendend wieder zu verabschieden. Szene zwei: Sorraiah nötigt seinen Mandanten mittels Handgreiflichkeiten dazu, genau dies nicht zu tun, und hält ihn in seinem Büro fest (was die Tat somit zu einer vollendeten Nötigung macht, wie der junge Anwalt in Gedanken hinzufügte). Szene drei: Sorraiah bekommt vor seinem Mandanten einen Anfall. Szene vier: Sorraiah führt sich auf wie ein Kind am Tag seiner Einschulung auf Extasy... Der Schwarzhaarige schüttelte die sich immer und immer wieder im Kreis drehenden Bilder ab und wagte es, schüchtern und sehr zögerlich, Haddocks Blick wieder aufzunehmen. Seine Finger krallten sich noch ein wenig fester um die schwarzen Lehnen des Bürostuhls. Kleine Rinnsale bildeten sich unter der feuchten Haut und ließen den jungen Anwalt mit einem Mal ernsthaft daran zweifeln, ob er seine Hände jemals wieder von dem aufgehitzten Plastik würde lösen können. "Eigentlich... nicht, dass ich wüsste." Sorraiah zuckte mit den Schultern und bemühte sich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. "Nun ja... sie wissen, dass es mir in letzter Zeit manchmal nicht gut ging, aber... ich glaube nicht, dass er deshalb..." "Jetzt sag mir nicht, du bist vor deinem Klienten umgekippt!" "Also... wissen sie..." "Sorraiah!" Haddock schüttelte den Kopf und verbarg das Gesicht in seinen Händen. Erneut fand ein müder, niedergeschlagener Seufzer den Weg über seine Lippen und kroch mit einiger Mühe zwischen den Fingern des Mannes hervor. "Jetzt wundert mich ehrlich gesagt gar nichts mehr. Warum kannst du auch nicht einmal in deinem Leben auf dein Wohlbefinden achten?" "Darf ich eine rauchen?" Sorraiahs Finger spielten nervös mit den schweißverklebten Armlehnen, während Haddocks Kopfschütteln noch ein klein wenig fassungsloser wurde. "Weißt du jetzt, was ich meine?" "Ach Chef... sie wissen genau, dass diese Anfälle nicht von meinen kleinen Freunden hier stammen, OK? Ich weiß ja auch... dass ich zum Teil selber Schuld daran bin, aber... der letzte Fall war einfach so anstrengend, und dann hatte ich auch nicht mehr die Zeit dazu, noch..." "Ja! Ja, ist schon gut!" Der Mann, dessen Haare auf mysteriöse Art und Weise noch ein klein wenig grauer erschienen als vor wenigen Minuten, ließ sich mit einem resignierenden Brummeln in den Stuhl zurücksinken. "Aber bitte geh zum Fenster." "Geht klar... danke..." Das Aufstehen bereitete Sorraiah mehr Mühen, als er ohnehin schon befürchtet hatte. Aus seinen Beinen schien jegliches Gefühl gewichen zu sein. Besser gesagt fühlte sich sein gesamter Körper an, als wäre er gerade eben von einem Schwerlastengleiter als Parkplatz missbraucht worden - oder anders ausgedrückt, wie tot. Er stützte sich sicherheitshalber mit einer Hand an Haddocks breitem Schreibtisch ab, während er zu der Fensterfront schlich und mit zittrigen Fingern eines der gläsernen Vierecke öffnete. In den obersten Stockwerken der INFERIA-Tower, fernab der Straßenschluchten und Gleiterbahnen, der Millarden Einwohner der endlosen Stadt mitsamt ihren Restaurants und Zigaretten und hitzebedingten Körperausdünstungen, war die Luft noch angenehm kühl und vergleichsweise rein. Unten zwischen den Häusern staute sich die Sommerluft auf wie in einem Kessel, wurde so dick und schwer, dass man ab und an Gefahr lief, mit dem Gleiter dagegen zu prallen und in tausend Stücke zu zerspringen, oder auch schlicht und einfach daran zu erstickten. Sorraiah ließ mit einer fahrigen Handbewegung eine leichte, aber angenehme Bewegung in den trägen Luftstrom fahren, kramte seine wie immer reichlich zerdrückte Zigarettenpackung aus der Hosentasche und schaffte es nach einigen Versuchen sogar, den kleinen Stängel mithilfe seines silbern in der Sonne blitzenden Feuerzeuges in Brand zu stecken. Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung ließ er den angeblich dank modernster Wissenschaft so gut wie schadstofffreien Rauch in seine Lungen strömen und blickte versunken auf die in Schweiß gebadete Stadt hinab. So unerträglich die Sommer in Illythias Häusermeer auch sein mochten, so unglaublich schön war dessen Anblick aus der Vogelperspektive gesehen. Chrom und Glas blitzten und funkelten wie ein riesiger Teppich aus Diamanten, der Himmel spiegelte sich in jedem einzelnen Fenster und ließ das Grau der Stadt zu einem zarten, bewegten Blau werden. Hier, wo man das Hupen der Gleiter, das Fluchen und Stöhnen der entnervten und am Rande des Hitzschlages stehenden Menschen nicht mehr hören konnte, strahlte die gigantische Metropole eine unbeschreibliche Mischung aus Bewegung und Ruhe aus, eine einzigartige Atmosphäre, wie eben nur eine Großstadt im Sommer sie ausstrahlen konnte. Sorraiah spürte, wie sich sein inneres Chaos langsam aber sicher ein wenig legte und sich zumindest sein Körper wieder in die reale Welt zurückversetzt fand. Er nahm noch einen letzten, tiefen Atemzug von der erlösend frischen Luft, dann hob er seine Hand, um das Fenster wieder zu schließen. Ein plötzliches Gefühl von Leere zwischen seinen Fingern ließ ihn wenige Sekunden zu spät begreifen, dass er dabei etwas entscheidendes vergessen hatte - und im nächsten Augenblick musste der Schwarzhaarige hilflos dabei zusehen, wie das kleine, silberne Feuerzeug, das ihm so viele Jahre lang treue Dienste geleistet hatte, wie ein toter Feuerwerkskörper der Straße entgegen stürzte. Es blitzte noch ein letztes Mal im grellen Sonnenlicht auf, klapperte, als es auf ein Fensterbrett oder einen der Glasgänge aufprallte und verlor sich dann in der Schwindel erregenden Tiefe. Sorraiah sah ihm noch einige Sekunden lang mit offenem Mund nach, dann schloss er geräuschvoll das Fenster und stapfte zu dem schwarzen Bürostuhl zurück. Heute war verdammt noch mal wirklich nicht sein Tag. "Du siehst nicht gerade so aus, als würdest du dich jetzt besser fühlen", stellte Haddock trocken fest und faltete seine Hände. "Das täuscht!" knurrte der junge Anwalt und ließ sich auf das klebrig warme Leder fallen. "Bitte... mach dir nicht allzu viele Gedanken wegen dem Fall... es ist nicht deine Schuld, dass er dir entzogen wurde, hörst du? Zumindest liegt es nicht an deinen Fähigkeiten, denn die sind ohne Zweifel einzigartig! Weißt du, was ich mich frage?" "Nein, aber ich nehme an, sie werden es mir gleich sagen, Chef." Sorraiah ließ seinen Blick langsam über die nachdenklich angespannten Gesichtszüge seines Vorgesetzten gleiten. Aus irgendeinem Grund war er regelrecht erleichtert darüber, dass Haddock der Verlust dieses Falles ganz offensichtlich ebenfalls zu schaffen machte. Und noch viel mehr beruhigte es ihn, dass er genauso wenig wie er zu wissen schien, warum das Management seines ehemaligen Klienten diese plötzliche Entscheidung getroffen hatte. "Du durchschaust mich einfach immer, Sorraiah!" Haddock stieß einen gespielten Seufzer der Verzweiflung aus, wurde dann jedoch augenblicklich wieder ernst. "Du sagtest doch, du hattest einen Anfall, Sorraiah. Und ich nehme nicht an, dass dieser Sänger nur unbewegt daneben stand und dabei zugesehen hat, wie du dich schreiend auf dem Boden herumgeworfen hast." "Man kann es auch dramatisch ausdrücken!" grummelte der Schwarzhaarige und wandte sich hastig ab, bevor Haddock die zarte Rotfärbung bemerken konnte, die sich auf seine bleichen Wangen gelegt hatte. "Nein, natürlich hat er nicht nur dabei zugesehen." "Nun, aber wenn er sich dabei um dich gekümmert hat... vielleicht... hat er dabei ja etwas gesehen..." Der Grauhaarige streckte langsam eine Hand nach Sorraiahs linker Gesichtshälfte aus und strich seine Haare ein Stück weit zur Seite. "Etwas, dass er nicht hätte sehen sollen?" "Hören sie auf!" Gegen seinen Willen hatte Sorraiah die letzten Worte geschrieen. Er schlug die Hand seines Vorgesetzten zur Seite und sprang so heftig auf, dass der schwarze Drehstuhl das Gleichgewicht verlor und mit einem erschrockenen Klappern zu Boden fiel. Seine staubig grauen Räder drehten sich hilflos in der Luft, während der junge Anwalt zurückwich, bis er die erstaunlich kalte Wand in seinem Rücken spüren konnte. Sein Körper begann erneut zu zittern, diesmal allerdings weitaus heftiger als zuvor. Sein Atem ging keuchend, und mit jedem Luftzug bohrte sich ein stechender Schmerz in Sorraiahs Brustkorb, der ihm beinahe den Verstand raubte. "Aber... Sorraiah..." In Haddocks Augen stand ein Ausdruck von Fassungslosigkeit. Seine Finger strichen wie mechanisch über seine leicht gerötete rechte Handfläche. "Das ist nicht wahr! Er hat es nicht gesehen! Er... er..." Sorraiah schüttelte heftig den Kopf und krallte die Finger in seine Haare. Er spürte kaum noch, wie ihm seine Beine nun endgültig den Dienst versagten und er sich langsam, wie ein Erschossener an der rauen Bürowand hinabgleiten ließ. Mit einem Mal begriff der junge Anwalt, dass es ihm vollkommen egal war, dass er einen Fall verloren hatte. Es mochte tausendmal ein äußerst lukrativer Fall sein - auch von denen gab es auf einem Planeten, der beinahe bis zum letzten Millimeter von Menschen bewohnt und ausgebeutet wurde, weitaus mehr, als er in seinem jungen Leben bislang zu Gesicht bekommen hatte und wahrscheinlich auch noch jemals auf den Schreibtisch gelegt bekommen würde. Was kümmerte ihn der Fall? Was kümmerte ihn irgendeine mehr oder minder nachvollziehbare Entscheidung irgendeines mehr oder minder logisch denkenden Managements? Vielleicht waren all diese Erklärungen ja nur Lügen, gottverdammte Lügen um etwas zu verbergen, das kein Vorsitzender und kein Gericht der Welt als hinreichende Erklärung für den Wechsel zu einem anderen Anwalt akzeptieren würde. Sein Mandant... nein... Dimi hatte etwas gesehen, dass ihn erschreckt, vielleicht sogar schockiert hatte. Und dieses Etwas war er, Sorraiah. Es ging doch gar nicht um irgendwelche Anfälle oder mangelnde Fähigkeiten oder was man sonst eben noch als Gründe angeben könnte, einem Anwalt seinen Fall zu entziehen. Im Grunde genommen ging es wahrscheinlich nicht einmal um irgendwelche beruflichen Dinge, sondern einzig und allein darum, dass Dimi ihn nicht mehr sehen wollte, ihn vielleicht auch nicht mehr so sehen konnte wie zuvor. Und damit hatte er nicht den großen, berühmten Anwalt Masayume in seinem zugegebenermaßen nicht gerade tief gesetzten beruflichen Stolz gekränkt. Er hatte Sorraiah eine giftige Kugel in die Brust gejagt, er hatte ihn einfach von sich gestoßen, und dieser Gedanke war mehr, als der junge Schwarzhaarige ertragen konnte. Aber warum hatte er ihn dann noch angelogen? "Sorraiah, es tut mir leid." Haddocks Stimme klang seltsam verzerrt, so als würde er über eine defekte Telefonleitung zu ihm sprechen. "Was ich gesagt habe, war... vielleicht ein wenig taktlos. Und es war bestimmt nicht der Grund... es war dumm von mir, das überhaupt anzusprechen." Sorraiah spürte, wie sich ihm eine Hand auf die Schulter legte, kurz dort verweilte und ihm dann vorsichtig über den Kopf strich. Er wehrte sich nicht mehr dagegen. Irgendwie war es seltsam: Kaum hatte Haddock den Gedanken ausgesprochen, dass die Entscheidung von Dimis Management vielleicht ja doch mehr mit ihm selbst zu tun hatte, als ihm lieb war, war ihm die These binnen Sekunden wie eine vollkommen logische, unumstößliche Tatsache erschienen. Und auch jetzt, als der Mann seine Vermutung mit einer solchen Selbstverständlichkeit abtat, als habe er Sorraiah soeben offenbart, dass Attraya doch eigentlich eine Scheibe war, erschien ihm auch nur der bloße Verdacht in dieser Richtung als vollkommen unbegründet. Nichtsdestotrotz blieb ein leises, schmerzhaftes Stechen wie ein letzter Zweifel zurück, so wie die Angst vor einem dunklen Keller in beinahe jedem Kind zurückblieb, und wenn seine liebenden Eltern ihm tausendmal versicherten, dass dort unten kein böses Monster darauf wartete, es zu verschlingen. Der junge Anwalt schluckte ein paar Mal, dann ordnete er mit einem verlegenen Seitenblick auf Haddocks rechte Hand seine pechschwarzen Haarsträhnen, die ihm mittlerweile reichlich wirr ins Gesicht hingen. "Tut mir leid..." murmelte er und klang dabei ein wenig so wie ein verlegener Schuljunge, der sich bei seiner strengen Lehrerin entschuldigen musste. Haddock lächelte "Ist schon gut. Wie gesagt, ich war ja auch wirklich nicht gerade sensibel. Jetzt setz dich erstmal wieder, dann kann ich gleich mal nachsehen, ob ich einen neuen Fall für dich vorliegen habe." "Hm..." Sorraiah ließ sich von seinem Vorgesetzten auf die Beine ziehen und folgte ihm brav zu dem mittlerweile wieder aufgerichteten Bürostuhl. Wenn der Schwarzhaarige es nicht besser gewusst hätte, dann hätte er ohne zu zögern seinen besten Anzug darauf verwettet, dass das leicht mitgenommen aussehende Möbelstück ihn ebenso vorwurfsvoll wie beleidigt anblickte, als er sich darauf sinken ließ. Er tätschelte ihm kurz die Plastikarmlehne, bevor er sich wieder seinem Chef zuwandte. "Mord... was haben wir denn da gerade alles auf Lager... ich weiß ja, dass du solche Fälle am liebsten magst." "Ja, schon..." Sorraiah war wenig begeistert von dem Gedanken, augenblicklich einen neuen Fall anzunehmen, alles, was in den vergangenen Stunden geschehen war, einfach unter einem dicken Haufen Erde zu begraben und mehr oder weniger feierlich auf den Friedhof des Vergessens zu befördern. Allein die Vorstellung davon, jetzt augenblicklich wieder zur Tagesordnung überzugehen, ließ ein Gefühl der Leere in ihm zurück. "Oder möchtest du vielleicht erst einmal eine Woche Urlaub nehmen? Du weißt, du kannst es dir leisten, und verdient hättest du es dir sowieso." "Vielleicht." Der junge Anwalt zuckte mit den Schultern und ließ seinen Blick lustlos über Haddocks Telefone gleiten. Eines davon war schwarz und verfügte über einen Projektor, mit dem man den Anrufer automatisch als leidlich originalgetreues Hologrammabbild im Raum stehen sah. Dieses benutzte er aber nicht sonderlich gerne, da Haddock vor allem bei unliebsamen Geschäften die Angewohnheit hatte, nur allzu oft die Stirn zu runzeln, und dabei nicht gerne beobachtet wurde - schon gar nicht von seinem Geschäftspartner. Das zweite Telefon war weiß und für die kostenlosen hausinternen Telefonate zuständig. Die anderen drei trugen verschiedene Blautöne und waren für die sonstigen Anrufe in absteigender Wichtigkeit von Rechts nach Links angeordnet. "Oh. Hier ist etwas über einen scheinbaren Ritualmord an einem Firmenbesitzer. Du solltest die Witwe vertreten... wäre das nicht genau das Richtige für dich?" "Haddock?" Sorraiah zog mit einem Finger gewundene Linien über die Lehne des beleidigten Bürostuhls. "Was gibt es?" "Was... ist jetzt eigentlich mit Di... ich meine, mit diesem Aino... er wird sich ja wohl nicht selbst vor Gericht vertreten, oder?" "Natürlich nicht!" Einer von Haddocks Mundwinkeln zog sich angespannt nach unten, während sich wieder einmal ein Gebirge aus tiefen Kratern auf seiner Stirn bildete. "Nun, ihm wurde ein nachfolgender Pflichtverteidiger von INFERIA zugewiesen. Mich ärgert das natürlich, da meiner Meinung nach niemand anderes auch nur annähernd an deine Qualitäten herankommt... aber gut... es muss deshalb natürlich auch noch andere Anwälte gehen, sonst wärst du recht bald ein wenig überarbeitet." "Ein Pflichtverteidiger?" Sorraiah hob eine Augenbraue an und verzichtete darauf, den abfälligen Tonfall seiner Stimme zurückzuhalten. "Und wer bitte sollte das sein?" "Die INFERIA-Leitung war der Meinung, dass er ein ebenso guter Anwalt ist wie du, allerdings war er einige Jahre lang auf einem anderen Planeten, um sich ganz auf seine Fähigkeiten als Verteidiger zu konzentrieren. Es gibt ja immer noch einige Planeten, auf denen man sich entscheiden muss, ob man nun Staats- oder Rechtsanwalt werden will." "Die meisten Anwälte studieren ja auch noch!" fügte Sorraiah hinzu und musste grinsen. "Also haben wir es hier mit einem zu tun, der sich im Geiste zu den ewigen Guten zählt, was?" "Ach, ich glaube, du kennst ihn sogar..." Haddock strich sich durch sein graues Haar und legte seine Stirn einmal mehr in Falten, die jedoch diesmal nachdenklicher Natur zu sein schienen. "Ja, ihr hattet vor einiger Zeit mal miteinander zu tun. Vielleicht erinnerst du dich ja noch an ihn. Sein Name ist Jean-Pierre Dufréne." Sorraiah war mit einem Mal sehr froh, dass er sich wieder gesetzt hatte. Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte er das Gefühl, dass sich eine Kugel in seine Brust bohrte. Diesmal allerdings wünschte er es sich. Der neue Morgen brach mit brutalen und grellen Strahlen durch das Fenster in Dimis Schlafzimmer und riss ihn aus seinem wirren und unruhigen Schlaf, in dem sich ein monströser, verstörender und grotesker Alptraum dem anderen angeschlossen hatte. Wie eine endlose Geisterbahnfahrt auf dem alljährlichen Jahrmarkt des Grauens - Kommen Sie, Kommen Sie! Wir haben wunderbare Attraktionen! Trolle! Vampire! Das gute alte Ungeheuer unter dem Bett und das beharrte Monster aus dem dunklem Keller! Lassen Sie sich entführen in eine Welt des Terrors und der Angst! Sie werden nirgendwo etwas Schlimmeres finden! Der Eintritt ist heute um 20 Prozent billiger, weil Eröffnung ist und Kinder zahlen nur die Hälfte. Kommen Sie, Kommen Sie! Dimi besuchte diesen Kirmes jede Nacht und obwohl er wußte, dass der letzte Looping der Achterbahn zu steil und kurz war, so dass der grell grüne Wagen mit dem Clownsgesicht auf der Seite immer entgleiste, obwohl er genau wußte, dass der große, buckelige Mann mit den schiefen Zähnen und dem verrotteten Zylinder kein Schauspieler mit Verkleidung und Gummigebiß war, obwohl der letzte Fall auf dem großen, stählernen Turm nicht im letzten Moment abgebremst wurde, sondern direkt in die Tiefen der Erde sauste, wo die Dunkelheit regiert, wo Wesen leben, die man nur aus gruseligen Strandgeschichten kennt, bezahlte er doch jedes Mal den Eintritt und ging mit einem hoffnungsvollen Kribbeln im Bauch hinein. Nur um dann letzten Endes immer zu schreien, wenn er fiel. Um mit einem nackten Entsetzen zu sehen wie sich die Räder aus den Gleisen lösten und er in hohem Bogen auf den Asphalt zu flog, anstatt einmal über Kopf zu gehen. In diesen Träumen war er immer wieder dort, wo er nie wieder hinwollte. In diesem kleinen und engen Raum mit den vielen Schichten von abgekratzter Tapeten mit tanzenden Bärchen in pinken Ballettröckchen. Wo eine einzelne Glühbirne an einem losen Kabel von der Decke hing, die immer erst dreimal flackerte, bevor sie anging. Er lag immer wieder auf der alten, vergammelten Matratze, die vor Urzeiten einmal strahlend weiß, jetzt aber dreckig gelb und grau war. Mit verkrusteten Flecken von Blut und Zigarettenbrandflecken, hier und da auch einem geätzten Lock, dass ein kleiner Tropfen Säure hinterlassen hatte, nachdem er aus Versehen nicht auf die nackte Haut, sondern daneben gegangen war. Und da waren noch viel schlimmere Flecken, von Flüssigkeiten, vor denen Dimi sich ekelte und vor denen er richtig gehend Angst und Panik hatte. Und dann dieser Geruch, der in dieser viereckigen Kammer wie ein Sklave gefangen gehalten wurde, weil er lebenslänglich bekommen hatte. Es roch immer nach Schweiß, nach billigem Rasierwasser und nach geradezu Brechreiz erzeugend süßem Parfüm. Dazu war da immer ein unterschwelliger Duft nach Schmerzen, Qualen, Angst und sogar Tod. Und in Dimis Träumen war es immer der Tod mit seiner Totenmaske und den rubinrot leuchtenden Augen, der in der Finsternis jenseits des kleinen und erbärmlichen Lichtkreises der Dreimal-Flackern-Lampe auf ihn wartete und ihn begierig anstarrte. Hin und wieder tastend seine knochige Hand nach ihm ausstreckte und ihn leicht am Bein berührte. Und Dimi wußte, irgendwann würde die Lampe dreimal flackern, vielleicht auch viermal und dann endgültig ausgehen, und dann, dann würde er hervor kriechen, und seine ganze Gestalt zeigen. Seine Pranken und Krallen, die ledrige Haut und das buschige Fell, die durchlöcherten und Spinnweben verhangenen Flügel und vor allem das schiefe, grinsen Gesicht mit den roten Augen und einem Mund voller Messer, das zu einem irren Lachen verzogen war. Und wenn er lachen würde, dann würde er mit der Stimme dieses Bastards lachen. Mit dieser verkratzten und brüchigen Stimme, die sich immer angehört hatte, als rede der Mann durch einen Lautsprecher zu einem. Genau da wachte Dimi, geblendet durch die vorwitzigen Boten , eines in ferner Zukunft sterbenden Sterns, mit einem stummen Schrei und Tränen in den silbernen Augen auf. Verwirrt richtete er sich auf und sah sich mit einem Blick um, der dem eines arglosen Stadtbewohners ähnelte, der sich gerade seine Lieblingsgameshow im Fernsehen ansah und nur in die Küche gegangen war um sich ein Bier zu holen, nur um dann plötzlich dem dunklen und entsetzlich nahen Lauf eines Revolvers entgegen zu blicken, den der Einbrecher in seinem Hosenbund versteckt hatte. Seine Haare standen klebrig vom Angstschweiß ab und er zitterte am ganzen Körper. Vorsichtig klärten sich seine Augen und er begriff, dass er wieder auf dem Jahrmarkt des Grauens gewesen war... und diesmal eine Extra Runde in der Geisterbahn gedreht hatte. Ungläubig wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und sah dann aus dem großen Fenster zu seiner Linken. Unter ihm war die Stadt längst zu neuem Leben erwacht und wuselte, hupte und schrie vor sich hin. Gleiter flogen in wilden Zick-Zack-Bahnen durch die Luft, wichen sich gegenseitig mit unheimlicher Präzision aus und ihr Lack glänzte im Schein des Tages wie das Papier eines geschmolzenen Bonbons. Er gähnte laut und stand auf. Der silberne Anhänger seiner Kette - jetzt war es ein Ankh, dass er bei einem Staatsbesuch auf dem Königreich des Mars bekommen hatte - fiel ihm kalt auf die nackte Brust, doch er spürte es nicht. Genauso gut hätte ihm ein Eisblock oder eine heiße Kochplatte dort berühren können, die Wirkung wäre die gleiche gewesen. Mit schlurfenden Schritten ging er ins Badezimmer und schüttelte die letzten grausamen Ranken des Alptraums von sich, die versuchten ihn einzuwickeln und ihm die Luft abzudrehen. >Welche Luft denn?<, dachte er und lachte bei dem Gedanken kurz und hektisch auf. Völlig abwesend zog er sich aus und stellte sich unter die Dusche. Das schwarze Gestein aus Emaille, dass den Boden ausmachte und aus denen auch die Wände der Kabine bestanden, war zwar ebenso kalt wie rutschig, aber auch das entging Dimi total, als wären die Rezeptoren an seinen Füßen völlig abgestumpft und könnten die Information nicht mehr bis ins Hirn tragen. Mit trübem Blick drehte er das warme Wasser auf und ließ sich das Nass über den Kopf laufen. Hätte er nicht die dünnen Fäden von Tropfen aus den Augenwinkeln gesehen, die wie ein kleiner Wasserfall von seiner Stirn herunter lief, wäre ihm gar nicht bewußt gewesen, dass er duschte. Das blaue Haar wurde dunkel und schwer, der leicht glänzende Schweißfilm verschwand und das beklemmende Gefühl der Furcht wurde ebenso abgespült und in den Abguß gezogen wie das Shampoo und das Duschgel, dass weiße Muster auf die schwarzen Fliesen malte. >So, was steht denn heute alles an? Heute Nachmittag sind die Proben für das Konzert, danach der Sound-check. Um acht dann das Konzert und danach das Essen mit dem Anwalt.< Jeder, der eine längere Zeit mit Dimi zusammen gearbeitet oder gelebt hatte und ihn jetzt gesehen hätte, wäre vor Schreck taumelnd nach hinten getorkelt und mit den Hand vor dem Mund in die Badewanne gefallen, doch es war niemand da und so sah nur das schweigende Wasser, wie der Sänger mit der Stimme des Universums leicht und vage lächelte. Nach der Dusche zog sich Dimi lockere Jeans und ein helles Shirt über, ging barfuß durch die vielen Gänge und Räume seines privaten Gleiters und wandelte hin und wieder in seinem Kopf durch die endlosen Weiten der Eiswüsten seiner Heimat, wo die Sonne manchmal monatelang verschwand und nur das flüsternde Gleißen des Mondes einen beobachtete. An einem der runden Fenster in einem der vielen Gänge blieb er stehen und sah hinaus auf das Dächerwirrwarr und die endlosen Schlangen von Gleitern. Es mußte heiß da draußen sein und vermutlich brüllten die Fahrer sich mit wüsten Beschimpfungen und handelsüblichen Flüchen an. Verträumt glitt seine linke Hand über sein Spiegelbild und berührte dort den mittleren der drei INFERIA-Türme, die fast das ganze Fenster einnahmen. Behutsam streichelten seine Finger das Bauwerk auf dem Glas und suchten die vielen, winzigen Fenster nach dem eines berühmten Staranwalts ab. Plötzlich stockte er und seine Augen richteten sich auf diesen kleinen, schwarzen Flecken, der selbst mit einem Elektronenmikroskop nicht als das zu erkennen war, was er laut Dimi ganz eindeutig war. Ein junger Mann stand da am Fenster und sah genauso wie er auf die Stadt hinunter. Vielleicht war es ein Mann, der lange schwarze Haare hatte. Der gerade eine Zigarette rauchte und dabei alles unter ihm mit seinem golden glänzenden Auge musterte. Dimi war sich fast sicher. >Ob er weiß, dass ich ihn gerade sehe? Ob er weiß, dass ich genau in diesem Moment an ihn denke? Ob er überhaupt noch weiß, wer ich bin?< Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die dickliche und gestriegelte Gestalt von Godjira Tai Ling zu ihm gesellte. Hastig zog er seine Hand zurück und drehte sich zu ihm um. "Dimi! Da bist du ja endlich! Meine Güte, ich such dich schon den ganzen Morgen. Wo zum Teufel warst du denn? Ich dachte schon, du wärst in die Stadt gefahren oder entführt worden." Godjira blieb neben ihm stehen und sah mit einem breiten Lächeln zu ihm auf. Seine weißen, teuer gekauften Zähne blitzten wie das Fell eines Saturnbären und seine im Solarium gebräunte Haut bildete dagegen den heftigsten Kontrast, den man sich vorstellen konnte. Er hatte seine breiten und ausladenden Hüften in eine hellgraue, maßgeschneiderte Hose gesteckt und dazu gleich den passenden Anzug gekauft. Wie immer trug er darunter ein weißes Hemd, dass schon nachtschwarze Schweißränder unter den Ärmeln hatte - die man aber dank des grauen Anzugs ja nicht sehen konnte - und eine rot, weiß gestreifte Krawatte. Seine Brille war inzwischen nicht mehr eckig, sondern hatte runde Gläser, was größtenteils daran lag, dass die selbe Zeitung, die erst vor wenigen Tagen schrieb, dass Männer mit eckigen Brillengläsern intelligenter waren als Männer mit runden Brillengläsern, nun geschrieben hatte, dass Männer mit runden Brillengläsern um einiges besser bei jungen Frauen ankamen als Männer mit eckigen Brillen. Dimi schüttelte nur den Kopf und warf ihm einen leicht entzückten Blick zu. "Ich war die ganze Zeit über im Gleiter. Ich habe bloß ein wenig verschlafen, vermutlich habe ich den Wecker nicht gehört oder sogar vergessen, ihn zu stellen. Und Gedanken über eine Entführung brauchst du dir nicht zu machen. Du siehst zu viele Gespenster!", entgegnete er und sah nochmals kurz aus dem Fenster zu den drei Türmen, die in all ihrer Pracht ein wenig aussahen wie der Dreizack des Gottes Neptun...oder der Höllenforke des Teufels. Godjira sah ihn ernst an und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Dimi, lass mich dir eines sagen.", seine Stimme war seltsam fest und rau "Diese Welt da draußen ist nichts weiter als der Vorhof zur Hölle, das kannst du mir glauben. Ich bin in meinem Leben bereits fünfmal überfallen, zweimal angeschossen und einmal mit einem Briefbombenattentat bedacht worden, also sag mir nicht, ich sehe Gespenster. Und du solltest auch auf dich aufpassen. Da draußen laufen Hunderte von Bankräubern, Erpressern, Mördern, Killern, Geisteskranken, Psychopaten, Sklavenhändlern und Perversen rum. Ganz zu schweigen von den vielen Robotern und Cyborgs, die jederzeit eine Fehlfunktion haben können. Und immerhin bist du ein Star, eine Berühmtheit. Da gibt es dann noch mal die ganzen besessenen Fans, die Stalker, die eifersüchtigen und neidischen Musiker und Produzenten und Anti-Fans, die dir gefährlich werden können. Ich weiß, ich sag es dir ziemlich oft und vielleicht nervt es dich, aber das Musikbusiness ist das wohl dreckigste, schmutzigste und übelste überhaupt, auch, wenn du und ich uns damit unser Geld verdienen. Kannst du das verstehen?" Er warf seinem Schützling einen fragenden Blick zu und drückte leicht seine Schulter. Dimi nickte. "Ja, ich verstehe das und es ist nett, dass du dir so viele Sorgen machst, aber wir beide wissen, dass mir ein Killer oder ein kranker Fan genauso viel anhaben kann, wie eine leichte Erkältung, wenn nicht, noch weniger, also mach dir darum keinen Kopf und sag mir lieber, was du von mir willst." Sein Manager lächelte zustimmend und nahm seine Hand wieder weg, steckte sie automatisch in die Taschen seiner grauen Hose - grau war ja laut der In/Out-Spalte der "Kosmos Today" DIE Trendfarbe des Monats - und sah kurz auf den Boden. Irgendwie ging seine Stimmung innerhalb der nächsten paar Augenblicke sichtlich einen reißenden Bach runter. >Was ist denn los? Ist jemand gestorben?< Wieder musste er fast lachen, auch wenn es ein sehr sarkastisches und zynisches Lachen geworden wäre "Nun, Dimi, ähm, ich habe schlechte Nachrichten für dich, naja, oder sagen wir so, es sind nicht unbedingt die tollsten, die wir diese Woche hatten.....Es geht um diesen Anwalt....." Godjira spielte in seiner Hosentasche mit einem Feuerzeug herum und vermied es, Dimi in die Augen zu sehen. Der Sänger war ein wenig erschrocken. Plötzlich war ihm das Lachen über seinen Witz im Halse stecken geblieben. "Was ist mit ihm? Ist ihm etwas passiert? Ist er krank?" "Nein, nein, so gravierend ist es nicht, es ist nur.....dass....." Man merkte wie er herum druckste und dabei fast das Feuerzeug anmachte um seine neue Hose nebenbei anzuzünden. Langsam wurde Dimi ungeduldig. Wenn er nicht krank, verletzt oder gar tot war, was gab es dann bitte noch für nicht so tolle Nachrichten? "dass was? Godjira, jetzt sag schon! Was ist mit ihm?" Mit einem Mal war dem Blauhaarigen dann recht mulmig zumute "Ist es wegen dem Fall? Hat er Zeugen gefunden, die mich belasten können? Wohlmöglich jemanden, der mich einwandfrei in Verbindung mit dem Toten bringen kann?" Godjira lachte kurz laut auf und wiegelte mit der Hand ab. "Oh, das nicht! Da haben sich keine Zeugen gemeldet, weder für noch gegen dich. Und wer sollte auch? Wir beide wissen doch, dass du es nicht warst" , die Stimme des Älteren wurde merkwürdig gespielt und überfreundlich, als erzähle er einem kleinen Kind gerade, dass der Osterhase tatsächlich Eier legen konnte. Dimi hörte nur halb zu. Einerseits war er sehr erleichtert, andererseits gärte in ihm immer noch das nervende WAS DANN? Er wollte gerade mit etwas böserem Unterton nochmals nachfragen, als sich sein Manager von alleine zu ihm wandte und ihm in die Augen sah. "Nun, Dimi, es ist folgendes. Ich habe vorhin einen Anruf erhalten, von irgend so einer Zentrale oder Behörde, was weiß ich. Nun, und die sagten mir, dass dein Fall nicht mehr länger im Zuständigkeitsbereich von Sorraiah Masayume liegt. Er ist nicht länger dein Anwalt." Hätte Dimi nicht gewußt, dass es in seinem Gleiter eine eigene Apparatur dafür gab, dass es immer und überall eine Gravitation wie auf Attraya herrschte, wäre er dem Irrglauben verfallen, hinterrücks empor zu schweben und sich kopfüber durch die Luft zu drehen in einem ewigen Strudel aus Fassungslosigkeit und Erstaunen. Sein Mund öffnete sich, doch außer ein paar Grunzlauten und einem heiseren Stöhnen kam nichts heraus, dass man annähernd als zu einer Sprache hinzu gehörig bezeichnen konnte. Sein Verstand setzte kurze Zeit aus und das Silber in seinen Augen wankte kurz, als wären sie zwei große Eisgletscher, die durch ein Erdbeben dazu verdammt wurden, abzubrechen und in das Meer zu rutschen. Endlos zu fallen und mit Gischt und Geröll in eisigen Fluten zu ertrinken. Das konnte doch nicht wahr sein! Er hatte doch gestern überhaupt erst mit ihm Kontakt aufgenommen und mit ihm alles geklärt! Wie konnte es dann am nächsten Tag heißen, sein Fall läge nicht mehr in Sorraiahs Zuständigkeitsbereich. In diesen paar Sekunden, in denen seine Augen verzweifelt nach einem Ort suchten, den sie fixieren konnten und in dem sich sein Hals so trocken anfühlte als habe er ihn voll Sand, in dem ein paar Klapperschlangen zischten, war er von zwei Gefühlen rückhaltlos gefangen. Zum Eines war da das schlichte und undankbare WARUM?. Er konnte es einfach nicht begreifen. Irgendwie machte es ihn zwar auch ein bißchen wütend und er fühlte sich auch ein wenig eingeschnappt und beleidigt, aber das, was im Vordergrund stand war einfach nur Neugier, gemischt mit verletztem Stolz, wenn man das so nennen konnte. Gewiss war Stolz noch nie etwas, was Dimi sonderlich interessiert hatte, aber es war ein kleiner Stich irgendwo in ihn drinnen, als er für sich klar machte, dass man ihn abgewiesen hatte, und obendrein noch nicht einmal den Anstand es ihm persönlich zu sagen. Doch da war auch noch etwas anderes. Es war Unglauben. Nicht darüber, dass er nicht länger der Mandant von Sorraiah Masayume war, sondern darüber, dass er überhaupt etwas fühlte. Wie lange war es her, dass er irgend etwas gefühlt hatte? Zorn, Wut, Haß, Glück, egal was, es war Ewigkeiten her! All diese Gefühle und Emotionen waren mit dem ursprünglichen Blau seiner Augen weggewischt worden, auf nimmer wiedersehen in die Unendlichkeit des Nichts, hinfort an einen Ort, den Dimi nicht kannte und auch nie finden würde. Und jetzt wurde er gerade von einem ganzen Schwall diese verloren geglaubten Dinge überschwemmt, förmlich ausgefüllt. Er konnte und wollte es nicht glauben. Wenn es aber dennoch tatsächlich stimmte und er zum ersten Mal seit langer langer Zeit wieder etwas fühlte, dann konnte es doch vielleicht sein, dass.... "Dimi? Geht es dir auch gut? Soll ich dir ein Glas Wasser holen?" Godjira wedelte prüfend und mit leicht besorgter Miene vor dem Gesicht des jungen Mannes herum, bis sich dessen Blick auf ihn richtete und er mit immer noch leicht verhangenen Augen leicht nickte. "Nein, nein, es geht schon....Das war nur ein bißchen......überraschend.....sonst nichts......." Wieder drängten sich die INFERIA-Tower in sein Blickfeld und diesmal sahen sie aus wie drei Harpyen, die auf einem großen Fels hockten und darauf warteten, ihre Flügel zu spannen und auf den wehrlosen kleinen Jungen herab zu stürzen, der unten mit seinem kleinen Hund Stöckchen holen spielte. Dann sah er wieder zu seinem Manager und sah ihn durchdringend an. Und auch jetzt geschah etwas Neues. Zum ersten Mal seit Godjira Tai Ling ihn bei sich aufgenommen und zum Superstar aufgebaut hatte, interessierte er sich für die Angelegenheiten und Entscheidungen von jemand anders, als sich selbst. "Warum?" Mehr konnte er nicht sagen. Er war nicht fähig, auch nur annähernd mehr dazu zu äußern, aber es reichte. Godjira machte ein leicht ratloses Gesicht und kratzte sich am Kinn, eine Angewohnheit, die er schon seit seiner Jugend an sich hatte. "Naja, das ist es ja gerade. Ich weiß nicht, warum. Die haben einfach heute morgen angerufen und gesagt, dass Sorraiah Masayume nicht mehr länger dein Anwalt ist und das war's. Ich meine, vermutlich liegt es daran, dass Herr Masayume noch andere, wichtigere Fälle zu erledigen hat, immerhin ist er DER Staranwalt schlecht hin. Du bist zwar auch kein Niemand, aber es gibt immer noch genügend Politiker und Industriemagnaten, die dich was Geld und Macht angeht, überbieten wie einen Anfänger. Oder aber er fand deinen Fall zu einfach, oder er ist wirklich krank, hat Urlaub oder sonst was. Ist denn bei eurem Treffen wirklich nichts passiert, was diese plötzliche Änderung erklären könnte?" Dimi überlegte. Gewiss, das erste Treffen mit seinem Anwalt war nun nicht das, was die Allgemeinheit unter einem Geschäftsmeeting verstehen würde. Zuerst war er ja sogar fast selbst von dannen gezogen, aber dann.....Ja, dann war dieser Sorraiah vor ihm in die Tür gesprungen und hatte ihn fast angefleht, wenn auch stumm, zu bleiben. Das war doch merkwürdig und auch nicht richtig. Warum sollte er ihn mit Ketten und Bandagen festhalten um ihn dann am nächsten Tag vor die Tür zu setzen? Danach hatten sie sich dann wieder geeinigt und immerhin ein Abendessen ausgemacht, also was sollte dieser ganze Zirkus? "Also, wenn ich es so überlege, da war rein gar nichts.....naja, bis auf diesen kleinen Anfall, den er hatte........und...." "Anfall?", rief Godjira lauter als es für diesen hallenden Gang gut war. Dimi zog kurz den Kopf ein und wedelte mit der Hand als müsse er eine lästige Mücke erschlagen. "Ja, mein Gott, er ist kurz umgekippt, war wohl so eine Art Schwächeanfall oder Energiemangel, vielleicht auch einfach ein Eisen- oder Magnesiumdefizit. Himmel, ich bin kein Arzt. Naja und da hab ich ihm aufgeholfen. Und er meinte dazu, dass er diese Anfälle häufiger hätte, zwar nicht sporadisch, aber hin und wieder. Liegt wohl daran, dass er in letzter Zeit recht schwierige Fälle bearbeiten musste." Godjira legte seine fettige Stirn in Falten und schaute misstrauisch zu ihm hoch: "Und du bist dir auch sicher, dass das nicht ein Vorbote eines akkuten Ohnmachtsanfall oder eines Schädelbasisbruches waren?" Dimi blickte etwas gereizt zurück. "Natürlich nicht! Warum sollten die Leute von INFERIA einen Anwalt mit Schädelbasisbruch zur Arbeit schicken? Da könnten sie gleich die Aussage eines Taubstummen als nur auf Hörensagen beruhend verwenden. Ich bitte dich, es war wirklich nicht schlimm." Die Falten in der ölig schimmernden und mit einer roten Vorladung zu einem Sonnenbrand gezeichneten Stirn wurden tiefer und in den dunklen, braunen Augen des dicken Mannes schien es mit einem Mal recht schockiert zu brennen. "Wenn du es so sagst, okay, aber was sollte Sie dann dazu bringen, dir einen anderen Anwalt zu geben? Doch wohl nicht die Tatsache, dass dieser Masayume, nun, ja........ach, das ist Blödsinn!" Er schüttelte energisch den Kopf und drehte sich um, wobei er laut pfiff. Doch Dimi hielt ihn fest. Seine Finger gruben sich wie ein Schraubstock um das Schlüsselbein seines Managers. "Was ist bloß Blödsinn?" Zuerst schien es, als wolle Godjira nicht näher darauf eingehen, doch dann gab er schließlich nach und nahm Dimis kalte Hand in seine. "Nun, ich weiß, es ist so wahrscheinlich wie eine Sonnen- und eine Mondfinsternis an ein und demselben Tag, aber es könnte doch sein, dass dein Anwalt.....naja.....hinter dein kleines Geheimnis gekommen ist und dich deswegen nicht mehr vertreten wollte.........aber das ist Schwachsinn, wie schon gesagt, ich glaub es ja selbst nicht!" Dafür tat Dimi es um so mehr! Warum war er nicht selbst darauf gekommen? War er etwa so blind gewesen, weil er zum ersten Mal wieder etwas fühlte? Hatte ihn das alles so high werden lassen, dass er die harte und verständlichste Sache verdrängt hatte: Die Wahrheit? Natürlich! Wenn man es erst einmal bedachte, dann war diese ach so abwegige Lösung tatsächlich die, nach der die alte Sphinx immer fragte, die, die das Rätsel letzten Endes lösen würde. Die Wahrheit. Es konnte doch sein, dass Sorraiah sich nach dem Treffen über seinen Mandanten informiert hatte, wie das alle Anwälte im Allgemeinen machen und dann war er vielleicht zufällig auf ein ganz spezielles Krankenhaus auf dem Neptun aufmerksam geworden und hatte seine Krankenakte gelesen, oder aber er hatte sich über G&B-Musics erkundigt und herausgefunden, dass die beiden angeblich rachsüchtigen Freunde des Opfers doch nicht ganz so gelogen hatten, wie Dimi es erzählt hatte. Und wenn das der Fall war, und das war er, da war sich Dimi sicher, dann war es klar, dass er sich von ihm abwendete. Wer wollte schon mit so jemandem wie ihm zusammen sein oder arbeiten, wenn er erst einmal wußte, was der Sänger überhaupt war, was für eine Laune der Natur. Und obwohl es nicht das erste und bei weitem nicht das gemeinste Mal war, dass man ihn so vor den Kopf stieß, tat es diesmal weh. Nicht in seinem Herzen, nicht in seinem Kopf, sondern tief in seinem Innern, hinter seinem Verstand und dem, was man Gewissen nennt. Tief da drinnen tat es sehr weh. "Und es geht dir wirklich gut? Du siehst ein wenig blaß aus, Dimi! Willst du die Proben nicht lieber sausen lassen. Es wissen eh alle, dass du die gar nicht nötig hast." Der untersetzte Mann stand immer noch neben Dimi und sah ihn besorgt an.. "Was?......oh, nein, es ist wirklich alles in Ordnung......ich war nur ein wenig......lassen wir das.........aber, wenn ich jetzt nicht mehr Sorr......ich meine, Herrn Masayume als Anwalt habe, wen denn dann?" Da grinste Godjira breit und klopfte ihm auf die Schulter. "Ach, mach dir keine Sorgen. Der Typ ist von INFERIA höchstpersönlich empfohlen worden. Er soll genauso gut sein wie dieser Masayume und ich kann das nur bestätigen!" Dimi schaute verdutzt hinab und vergass kurz den Schmerz in ihm drinnen, der eh dabei war, wieder abzuschwellen. "Du kennst ihn?" "Und ob! Er hat mich schon zweimal verteidigt. Einmal war es wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, da bin ich ein wenig zu schnell gefahren und dann einmal wegen Übler Nachrede. Als ob das ein Verbrechen wäre!! Naja, er hat beide Fälle gewonnen und ist wirklich äußerst professionell. Er heißt Jean-Pierre Dufréne. Ich werde mal sehen, wann ich euch einander vorstellen kann........" , er sah kurz auf seine Armbanduhr, "Oh, es ist schon spät, ich muss los. Also, wir sehen uns nachher bei den Proben, bis dann!" Winkend machte er sich auf den Weg zu ließ den leicht deprimierten Sänger allein zurück. Dimi stand noch eine Weile so da, sah dann wieder aus dem Fenster und warf den drei Türmen einen vorwurfsvollen Blick zu, ehe er sich umdrehte und entschloss in seinem Fitneßraum ein wenig auf dem Laufband zu trainieren....... Wieder war er umgeben von einem Wirrwarr aus Gläsern und Spiegelbildern. Seine dunklen und silbernen Augen blickten ihn von allen Seiten an. Von den Wänden, der Decke, fast schien es, als belauerten sie ihn und warteten darauf, dass sie ihn anspringen und wie ein Beutetier reißen konnten. >Na, toll, jetzt kann ich schon wieder ein Büro unter tausenden suchen.....prima......< Er war noch immer ein wenig sauer, wegen der Sache mit Sorraiah. Er war wütend darüber, dass dieser nette junge Mann ihn wegen dieser einer kleinen Abweichung an seinem Körper einfach fallen ließ. So wäre er auch vor lauter Gedanken fast an der Tür zum Büro seines neuen Anwalts vorbei gelaufen. Verhalten fuhr er sich durch sein Haar und klopfte kraftvoll an. Einige Sekunden lang drang kein einziger Laut aus dem Raum hervor. Die Türe, die sich wie geklont zwischen ihre unzähligen, in gleichen Abständen zueinander stehenden Brüder und Schwestern einfügte, ruhte schweigend in der staubig heißen Helligkeit des Korridors. Dimi wollte gerade seine Hand heben, um noch einmal anzuklopfen, als plötzlich ein leises Zischen ertönte, beinahe so wie der wütende Laut einer angreifenden Schlange - vorausgesetzt, es hätte in Attrayas Hochhausdschungel noch irgendwelche echten Tiere gegeben, von einer gigantischen Rattenarmee einmal abgesehen. Dem Zischen folgte ein Rollen, dann wieder ein kurzes Schweigen, bis schließlich eine warme, leicht näselnde Stimme aus dem Nichts hinter der geklonten Türe hervordrang: "-allo? Wer ist-e da?" Dimi fühlte sich sofort unwohl, auf eine schleimige, unterbewusste und sehr eindringliche Art und Weise. Irgendwie schien eine Schlange in diesem Büro noch das Kleinste aller Übel zu sein, verglichen mit dem, was in seinem Kopf vorging. Vorsichtig trat er ein und erschrak leicht, als die Tür mit einem fast schnurrlosen Zischen wieder zu glitt. Sofort wurde das beunruhigende Gefühl stärker. Er fühlte sich gefangen, gefangen in einem Raum mit qietschgrünem Teppich und leicht hautfarbenen Wänden, an denen überall gemalte Bilder von nackten Männerkörpern hingen, die meistens in einer sehr obszönen Pose hinter dem Glas hervor lächelten. Vor ihm erhob sich ein dunkler Schreibtisch, hinter dem wiederum ein Mann saß, den Dimi auf der Straße sowohl gemieden als auch zur Not mit einer Handfeuerwaffe auf Abstand gehalten hätte. "Hallo. Mein Name ist Dimi Aino, bin ich hier richtig?" fragte er schüchtern und hielt seine Hände ineinander verhakt unwillkürlich vor seinen Schritt. "Ah! Monsieur Ainó! Welsch eine Ehré!" Da Dimi im Augenblick leider weder Feuerwaffe noch Messer noch Kampfflugzeug parat hatte, stand der Mann hinter dem Schreibtisch ungehindert auf und ergriff Dimis Hand. Er trug einen leicht schimmernden Anzug in einem sehr hellen Perlmutton, unter dem ein zartrosafarbenes Hemd hervorblitzte. Noch heller als sein Anzug strahlten jedoch die perfekt ebenmäßigen, schneeweißen Zahnreihen in dem zu einem breiten Grinsen geöffneten Mund, der im Licht der einfallenden Sonne leicht roséfarben zu glänzen schien. Auch das leicht wellige, sonnenblonde Haar des Anwalts glänzte, was allerdings eher von einer übermäßigen Menge an ganz zweifellos umweltschädigenden Stylingprodukten lag. Es bildete einen krassen Kontrast zu seiner dunkel gebräunten Haut, deren kleine Fältchen dezent auf die Dauerkarte für das nahe gelegene Solarium hinwiesen, die in der Geldbörse des Mannes lauerte. Eine Wolke süßlichen Geruchs umfing Dimi, als der Anwalt sich ihm näherte. Dimi hätte fast losgehustet, als sich diese Wolke aus Parfüm einfach seine Hand krallte und erbarmungslos zusammen drückte, als habe er vor, sie um drei Nummern zu verkleinern. Wie konnte ein einzelner Mensch nur so dermaßen aufdringlich riechen? Am liebsten hätte Dimi das Seuchenschutzkomande der Navy gerufen. Auf jeden Fall würde er sich demnächst einen Dekonterminationsanzug auf seinem Gleiter einbauen lassen und alle Klamotten, die er in Anwesenheit dieses Giftmüllbehälters getragen hatte, augenblicklich verbrennen. Mühsam zwang er sich die Hand nicht ruckartig wegzuziehen und war unheimlich dankbar, als er endlich aus der Klemme befreit wurde. Der Mann mit dem glänzendem Haar, den glänzenden Zähnen und dem glänzenden Anzug umrundete seinen Tisch, auf dem neben einem goldenen Adonis, der einen dunkelgrünen Lampenschirm mit roten Herzen darauf trug, einem silbernen Briefbeschwörer in Form eines Nashorns und einem kitschigen Aschenbecher aus gewelltem, rosafarbenen Glas auch eine schwarze Akte lag. "Man sagte mir, Sie seien mein neuer Anwalt." Dimis Stimme klang noch immer recht brüchig und rau. "Oui, oui, das bin isch!" Der Mann ließ sich auf einen mit weißem Plüsch bezogenen Bürostuhl nieder und wieß dem Sänger mit einer flüssigen Bewegung ein etwas kleineres Exemplar dieser doch eher geschmacklosen Sitzgelegenheit zu. "Isch darf mich-e vorstellén? Jean-Pierre Dufréne, ihr neuer Anwalt-e. Freut misch." Während der braungebrannte, dafür aber umso blondere Mann einige Blätter aus der schwarzen Akte hervorzauberte, entdeckte Dimi die Quelle des betäubenden Duftschleiers, der beinahe schon als schillernder Nebel zwischen den quietschgrünen Wänden umherzuschweben schien. Auf einem weißen Plastikkamin, hinter dessen goldgerahmter Buntglasscheibe ein dreidimensional animiertes Feuer flackerte, standen lange Reihen kleiner Fläschchen in allen nur erdenklichen Formen und Farben. Neben kristallenen Sternen mit leuchtend blauem Inhalt reihten sich wie nackte Frauenkörper geschliffene Flakons, in denen eine pinkfarbene, von goldenem Flitter durchsetzte Flüssigkeit im Licht der Abendsonne flimmerte. Eingerahmt wurde diese Armee des Duftes von zwei in zarten Pastelltönen gehaltenen Porzellanfiguren, die mit all ihren Kindchen und Schäfchen und Engelchen wie die unvergleichlich kitschigen Zeugen aus einer längst vergangenen, besseren Zeit wirkten. >Was ist das für ein Irrer?< Dimi bemerkte den weichen Plüsch unter sich gar nicht. Und hätte er es getan, hätte er geglaubt auf einem toten Kaninchen zu liegen, oder irgendetwas anderem, das ein Fell hat und schon seit mehreren Millenien vor sich hin verwest. Nachdem er die Reihe schillernder und glitzernden Flaschen und Tuben durchgesehen und den Kopf nahezu panisch wegdreht hatte, entdeckte er noch etwas, das geradezu perfekt in diese Welt aus Flowerpower, Freie Liebe und Tigermusterteppichen passte. Einen kleinen hellbraunen Hundekorb, der mit einem weißen Tuch ausgelegt war und in dem neben einem rotem Plastikknochen und einer schon sehr zerrissenen Aufziehmaus ein kleines unscheinbares Bündel lag, dass zu leben schien. "Freut mich auch. Mein Manager meinte, sie wären genauso gut wie mein Vorgänger.......wissen Sie zufällig, warum man nun Ihnen den Fall gegeben hat?" Er schaffte es nicht, trotz eisernem Willen, nicht immer wieder zu dem Ding zu schielen, das zwar nicht tot, aber auch nicht sehr lebendig aussah. "Oh, die Bürokratie! Welsch komplexé Angelegen-eit!" Der Anwalt schüttelte den Kopf und warf einen liebevollen Blick über seine perlmuttglänzende Schulter. In seine hellblauen Augen trat ein mütterlicher Glanz. "Isch sehe, sie -aben Virgin bemerkt? Is sie nischt allerliebst? Komm, Virgin, begrüße unseren-e Mandantén!" Dufréne hob seine mit etlichen goldenen Ringen bestückte Hand, woraufhin sich ein magerer, von exakt beschnittenen Locken gezierter Kopf aus dem weißen Fellbündel hob und ein hysterisches, atemloses Kläffen von sich gab, das ein wenig so wie die letzten, verzweifelten Atemversuche eines sterbenden Asthmatikers klang. Der Anwalt applaudierte und stieß ein unangenehm lautes Lachen aus. "Oh, oui, die Geschäfté! Ist es nicht-e verblüffénd, wie schnell die Zeit verstreischt?" Er beugte sich über seinen Schreibtisch hinweg und sah Dimi tief in die Augen. "Sie -aben ihren Anwalt also nischt freiwillig-e gewechsélt? Das ist... äh... unüblisch. Sagen sie, wer-e war denn meine... Vorgänger?" Im ersten Moment war Dimi felsenfest überzeugt davon, dass dieses kleine Monstrum da unten in diesem geradezu schreiend kitschigen Korb eine Mutation aus einem Bündel weißer Socken, einem an Bulimie leidenden Schwein und einer Polizeisirene war, wobei man alles zusammen in einen Trockner geschmissen und gewartet hatte, bis das Ding explodierte. Der schrille Ton des Kläffens schnitt ihm durch seine Gehörgänge wie ein Steakmesser und Dimi verzog kurz das Gesicht. "Das ist ein überaus... niedlicher Hund..." Fast wäre ihm statt niedlich, nackt aus dem Mund geflogen. Dann wurden seine Hirnwindungen wieder zu seinem Ex-Anwalt gelenkt und seine Miene wurde finster. "Ihr Vorgänger? Das war Sorraiah Masayume. Kennen Sie ihn?" Noch bevor Dimi zuende gesprochen hatte, ging mit Dufrénes aalglattem Gesicht eine Wandlung vor. Durch seine Stirn lief ein Zucken, so als versuche die von zahlreichen Nervengift-Parties gelähmte Haut mit aller Macht der Verzweiflung, sich ein letztes Mal in ihrem Leben zwischen Botox und Solarium in Falten zu legen. Die hellblauen Augen verängten sich leicht, während das Grinsen auf den leicht nach Erdbeerlipgloss riechenden Lippen unverändert blieb. Trotzdem - oder gerade deshalb - wirkte das Gesicht des Anwaltes nur für den Bruchteil einer Sekunde lang wie eine entsetzliche Grimasse blanken Hasses. Dann faltete er seine Hände, beugte sich noch ein Stück weit vor und lächelte. "Oui, der gute Monsieur Masayumé. Isch kenne ihn, oui. Er... wechselt nischt nur seine Fälle sehr oft-e... aber das ge-ört -ier nischt zum Thema, pardon." Dimi stutzte. Was meinte er damit?? Er wechselt nicht nur seine Fälle sehr oft?? Was sollte er sonst wechseln?? "Was meinen Sie genau damit?" "Ah... l'amour... die Liebe. Der gute Monsieur Masayumé ist-e... bekannt dafür, seine Mandantén... äh... ganz besonders gut zu... be-andeln, wissen sie?" Er strich sich durch sein glänzendes blondes Haar, woraufhin in den Linien seiner braunen Hand ein silbriger Schimmer zurückblieb. Er zeichnete mit seinen Fingern eine Linie vor Dimis Gesicht, stieß dann einen tiefen Seufzer aus und bedachte den Sänger mit einem mitfühlenden Blick. "Isch verstehe... oui, oui, er ist-e wirklisch sehr -übsch, nischt wahr? Und nun -at er wohl einen wischtigeren Klientén... für Geld würde er alles-e tun, wissen sie?" Mit jedem Wort schien die Stimme des Anwaltes ein wenig sanfter zu werden, bis es beinahe so schien, als wäre jeder winzige Ton von einem warmen, goldenen Leuchten umschlossen, das wie aus einem fernen, wunderschönen Hoffnungstraum an Dimis Ohren drang, ihn fesselte, noch bevor er feststellte, wie unglaublich schön Dufrénes hellblaue Augen waren. >Diese Augen...........so schön........so hell......< Wie gebannt starrte er in das wunderschöne Glitzern von Dufrénes Augen und beugte sich leicht nach vorne. Ihm fiel eine Haarsträhne in die Stirn und seine Hände zitterten leicht vor Nervosität. Wie um ein geheimes Signal zu geben, öffnete er leicht seine Lippen und legte den Kopf schief, um seinen schutzlosen Nacken zu zeigen. Der Anwalt nahm Dimis Körpersprache mit einem unfassbar sanften Lächeln zur Kenntnis. In dem Lächeln lag eine solche ehrliche, offene Wärme, dass es die letzten Schranken zwischen den beiden Männern endgültig niederriss, gewaltsam und dabei so zart wie ein reißender Strom aus Engelsfedern. "Isch verstehé ihre Schmerz-e sehr, sehr gut. Abér... isch kann so ein... Schön-eit wie sie nicht-e leiden se-en..." Dufrénes Gesicht näherte sich, so langsam, dass Dimi es zunächst gar nicht bemerkte - was aber vielleicht auch schlicht und einfach daran lag, dass sein Blick immer noch von dem strahlenden, wolkenlos blauen Himmel in Dufrénes Augen gefangen genommen war. Dann jedoch spürte er den angenehm warmen Atem des Anwalts auf seinen Lippen. "Wollen sie... dass isch ihnen-e... -elfe?" Wieder beugte er sich etwas weiter nach vorne, kuschelte sich ein wenig in die beschützende Wärme, die von diesem atemberaubenden Mann ausging und ihn wie mit tausend leuchtenden Tentakeln einfing, als sei er ein kleiner Fisch, der die ausgelegte Falle für einen Wurm hielt und in sein Ende schwamm. "Ich..........ich verstehe nicht.......wie wollen.....sie das tun.........?........", stotterte er, denn die Sprache hatte sich einfach aus seiner Kehle rausgeschlichen, als dieser heiße Atem über seine Lippen gefegt war wie ein Wüstensturm. Und dann, für den Bruchteil einer Sekunde sah er Sorraiahs Gesicht vor sich. "Du könntest-e ihn... vergessén..." Dúfrenes Stimme klang eindringlich, hypnotisch, wie ein bunt leuchtender Strudel, der alles mit sich riss, hinab in einen endlosen, unfassbar süßen Abgrund, aus dem es ganz einfach deshalb kein Entkommen gab, weil man nicht mehr entkommen wollte. Es war, als ob feiner Nebel, so schillernd und duftend wie die unzähligen wohlriechenden Substanzen in dem längst verschwundenen Zimmer, sich langsam über Sorraiahs Gesicht legte, es verwischte, bedeckte... und sich dann wieder auflöste. Aus dem zarten und doch undurchdringlichen Dunst trat ein Engel hervor, dessen sanfte blaue Augen ein einziges Versprechen waren, das Versprechen, dass alles gut werden würde. Der Engel lächelte. "Isch... kann machén, dass du ihn vergisst-e..." Ein Schauer lief durch seinen Körper, der sich bis in seiner Zehenspitzen schlängelte und ihm die Haare elektrisierte. Eine feine Gänsehaut verlief auf seinem Rücken und seine Atmung wurde ungewollt schneller. Dimi hatte nicht gedacht, so heftig zu reagieren, wenn er bloß Sorraiahs Gesicht vor sich sehen würde, doch schon kurz darauf erkannte er den Irrtum. Er hatte nicht auf Sorraiahs Gesicht reagiert, sondern auf diese strahlend blauen Augen und den betörenden Duft, der ihn einlullend umgab wie ein dünnes Tuch aus Seide. Doch als sich dieses feine und nicht minder hübsche Gesicht seines Ex-Awalts auflöste bäumte sich in ihm kurz ein Wille auf, der nicht wollte, dass er sich auflöste, der wollte, dass er ihn weiter ansah und lächelte. Aber dieser Wille war klein und schwach und wurde von dem übermächtigen Drang in seinem Kopf einfach ausgeschaltet. Er schloss die Augen und wagte es eine Hand suchend auf die Schulter des braungebrannten Mannes zu legen. Schüchtern suchte sie Halt. Warme, weiche Finger legten sich sanft auf die von Dimi und umschlossen sie vorsichtig. Der Sänger spürte, wie seine Hand zärtlich von dem glatten Stoff des Anzuges gelöst wurde und der Anwalt ihn auf die Füße zog. Er reagierte augenblicklich - oder besser gesagt war es sein Körper, der reagierte, während sein Geist immer noch in dem endlos blauen Meer von Dufrénes Augen versank. Die schreiend bunte Umgebung verschwamm zu einem märchenhaften Nebel, einer Traumlandschaft aus Licht und glitzernden Flüssigkeiten, durch den sein strahlender Cherub ihn nun sicher und schützend geleitete. Vor einer kleinen, hellgelben Türe blieb sein Führer stehen. Er zauberte mit einer fließenden Bewegung ein Schlüsselkärtchen aus einer der Taschen seines Anzuges hervor. Die Sonnenstrahlen, die sich wie ein lichter, leicht nebliger Schleier den Weg in das verzauberte Zimmer bahnten, ließen das rotviolette Plastik wie einen mystischen Talisman glänzen, der nun mit einem leisen Summen die Himmelspforte entriegelte. Dimi ging ohne zu zögern mit. Er ließ sich einfach führen, mitziehen in eine unbekannte und bessere Welt, auch, wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, warum zur Hölle er diesem wildfremden Mann so blind vertraute. Irgendwo in ihm drinnen war etwas auf Alarm gegangen, schrie und kreischte mit einer schrillen Glocke, rüttelte mit brutaler und entfesselter Gewalt an dem stählernen Käfig, in die man es gesperrt hatte, nur um entsetzt festzustellen, dass das Schloss eisenhart versiegelt und es gefangen war. Stattdessen ging der Sänger wie auf Wolken, jeder Schritt durch den folgenden Gang war wie ein Berühren von Fell unter seinen nackten Füßen. Sein Blick lag verschleiert auf dem schemenhaften und ausgesprochen attraktiv aussehenden Mann vor sich gerichtet, der ihn fest und sicher führte. Merkwürdigerweise wurde ihm plötzlich sehr heiß und er spielte mit dem Gedanken, sich sein Hemd auszuziehen, aber dazu müsste er stehen bleiben, und das wollte er nicht, obwohl es in Wirklichkeit die Hand von Dufréne war, die er nicht mehr loslassen wollte. So ging er einfach weiter, bis es ihm dann dennoch zu stickig wurde. Kraftlos zog er an der starken Hand und zwang sich, normal zu reden. "Mir....mir ist so.....heiß.....kann........ich....nicht mein........Hemd......?" "Eine Moment... wir sind-e gleisch da!" Wiederum klang die Stimme des Anwalts sanft, beruhigend, und dennoch schien jedes einzelne Wort die Hitze bis ins Unerträgliche zu steigern. Dufréne beschleunigte seinen Schritt. Dimis Umgebung verschwamm vor seinen Augen und zog wie bei einer halsbrecherischen Achterbahnfahrt an ihm vorbei, die erst vor einer weiteren Türe abrupt endete. Der schönste Mensch, den Dimi jemals in seinem ganzen Leben gesehen hatte, öffnete auch sie und deutete ihm mit einer einladenden Armbewegung, einzutreten. Hinter Dufrénes Hand breitete sich ein kleiner Raum aus, der noch ungleich schöner war als das glitzernde Märchenschloss seines Büros. Ein leuchtend roter, flauschig weicher Teppich geleitete zu dem einzigen, dafür aber umso größeren Einrichtungsgegenstand des zu den Menschen hinab gestiegenen Paradieses hin. Dieses unübersehbare Objekt war ein herzförmiges Bett, dessen schimmernde Decke über und über mit Rosenblüten verziert war. Normalerweise war Dimi von solchen Dingen ungefähr so angetan wie von einem plattgefahrenen Katzenkadaver auf einem der Down-Low-Highways in den billigen Kleinstädten des Uranus, aber jetzt, mit all diesen schillernden Farben und den leuchtenden Düften, die ihn umwehten und ihm die Sinne betäubten, sah es aus wie der unerfüllbare Traum, den er sich immer zu Weihnachten gewünscht und nie bekommen hatte. Ohne es richtig zu merken, ließ er sich auf das Bett fallen und genoss das weiche Gefühl des Stoffes. Doch augenblicklich wurde ihm die Hitze bewusst, die ihn umzingelte wie ein hungriges Raubtier. Flehend sah er Dufréne an und zog deutend an seinem Hemd, in dessen Kragen schon kleine Schweißperlen an seinem Hals entlang liefen. "Kann ich es...jetzt.......ausziehen........mir ist.... so.........heiß......." Es fiel ihm ausgesprochen schwer sich zu verständigen. Sein Hals war trocken und seine Haut brannte lichterloh, was für ihn so typisch war wie mit Handstand im Restaurant eine Bestellung bei einer Jukka-Palme aufzugeben. Das sanfte silberne Glitzern seiner Augen war verschwunden und machte einem metallischem und wildem Funkeln Platz. "Natürlisch, me copain..." Mit provokanter Langsamkeit öffnete Dufréne das Hemd des Sängers, während sein Atem die Haut an Dimis Hals streifte. Zärtlich streifte er ihm das Stück Stoff ab. Eine seiner Hände blieb an der Hüfte des Sängers liegen, während die andere so zart und flüchtig wie die warme Berührung eines Engelsflügels über dessen Wange strich. Die blauen Augen strahlten und glänzten noch ein wenig mehr, so als ob sich der Ozean langsam in ein Meer von flüssigen Kristallen verwandle. "Mir ist-e auch... so... -eiß... kannst du mir -elfen?" Als Dimi sich an dem Hemd von Dufréne zu schaffen machte, zitterte er so heftig, dass er für den ersten Knopf fast eine geschlagene Minute brauchte, ehe er ihn aufhatte. Doch dann ging es mit geradezu spielender Leichtigkeit. Immer mehr Knöpfe wurden geöffnet, immer mehr gebräunte Haut kam zum Vorschein. Und Dimi wollte mehr, wollte ihn ganz sehen, wollte alles auf einmal haben und spüren. Kaum hatte er den störenden Stofffetzen weggeschmissen, setzte er sich frech auf den Schoß des Anwalts und sah ihm tief in die Augen, ehe er seine Lippen auf die des anderen senkte und im ersten Moment nicht mitbekam, wie die Tür leise geöffnet wurde... Fortsetzung folgt!!! Kapitel 5: SOS V ---------------- Spirit of Silence V Jaaa! Es lebt!!! ^.^ Ich bin wirklich sehr, sehr glücklich über dieses Kapitel, weil ich schon sehr lange nichts mehr wirklich schreiben konnte (von der ewigen Equinox-Korrigiererei mal abgesehen...). Und da ich aus abitechnischen Gründen nicht weiß, wann ich wieder Zeit dazu habe, lade ich das Chapter gleich mal hoch. Bitte verzeiht mir, dass es immer so lange dauert, das ist einzig und allein meine Schuld! ;_; 1000x Danke an alle, die trotzdem weiterlesen!!! Briefbombensendungen, Morddrohungen und Comments bitte einfach hier reinschreiben - ich freu mich über alles. ^_^ Und natürlich das allerluftabwürgendste und blauefleckenverursachendste und überhaupt füreinvorzeitigesendesorgendes Umknuddln an mein Fünkchen alias den besten Co-Autor, den es überhaupt in den finsteren, unendlichen Weiten dieses (und jedes anderen) Universums gibt. Es gibt nix Krankeres, Wundervolleres als mit dir zusammen zu schreiben!!!! Und an alle anderen: ENJOY! ^.^ Es war verdammt noch mal nicht sein Tag gewesen. Eigentlich hatte Brad C. Corden das schon in dem Augenblick begriffen, als er morgens aufgewacht war. Dabei war er eigentlich gar nicht aufgewacht, sondern aufgeweckt worden, und das dummerweise nicht von seinem Wecker oder seinem halbwüchsigen Nachbarn Travis, sondern von den sanften Strahlen der Morgensonne, die sich ihren Weg durch die grell orangefarbenen Einheitsgardinen gebahnt hatte, wie sie jede verdammte Zweizimmerwohnung der potthässlichen Plattenbausiedlung trug, in der Cordon sein bescheidenes Lager aufgeschlagen hatte. Dabei war es ja an und für sich gar nicht so, dass Cordon die Morgensonne nicht mochte. Sogar an die grell orangefarbenen Einheitsgardinen und die potthässliche Plattenbausiedlung hatte er im Laufe der Jahre gewöhnt, allen kreischenden Zuwandererkindern, Kleinkriminellen und wie ein atemberaubender Brodem aus allen Fenstern aufdünstender Essensgerüchen zum Trotz. Ja, irgendwie waren ihm all diese finsteren, mit geschmacklosem Graffiti übertünchten Undinge sogar ein ganz klein wenig ans Herz gewachsen, denn er war ein genügsamer Mensch, genügsam und optimistisch, schon allein deshalb, weil ihm eigentlich gar keine andere Wahl blieb. Was Cordon aber ganz und gar nicht mochte, war es, zu spät zu seiner monotonen Arbeit in einer Fließbandfabrik für Schwerlastengleiter zu kommen. Natürlich nicht, weil ihm sein Schaffen dort in irgendeiner Weise Spaß oder Freude bereitet hätte, nein, eigentlich lohnte sich die alltägliche Plackerei ja noch nicht einmal von finanzieller Seite her. Trotzdem war Cordon auf seinen Low-Paid-Job angewiesen, wenn er noch das eine oder andere Jahr in seiner potthässlichen Plattenbausiedlung verbringen und nicht - tot oder lebendig - unter einem Berg aus alten Zeitungen, schimmligen Kartons und Abfall in irgendeiner Gasse der illythischen Altstadt begraben werden wollte. Cordon wusste, dass Arbeit knapp und die Menschen zahlreich waren und auch er konnte im System aus Profit und Ausbeutung jederzeit ersetzt werden. Deshalb passte es ihm auch ganz und gar nicht, dass an einem einzigen verfluchten Tag sein Wecker den Geist aufgeben und Travis - aus welchen Gründen auch immer - ausnahmsweise einmal keine wohnungsinternen Heavy-Metal-Konzerte veranstalten musste. Und noch viel weniger hatten all diese unglücklichen Zufälle seinem Vorarbeiter McCrocket gefallen, einem zwei Meter großen Schwarzen und Ex-Profiwrestler, dem man am Besten niemals in schlecht gelauntem Zustand begegnete. Und jetzt verfolgte ihn auch noch diese höchst seltsame Type, schon seit er seine Fabrik in Walkerplant Fields, Illythias größtem Industriegebiet verlassen hatte. Schwarz war er gekleidet (Statur und Gang des Fremden ließen Cordon auf einen jungen Mann schließen), über und über schwarz, selbst die Sonnenbrille. Zielstrebig hatte er sich an Cordons Fersen geheftet, war ihm um jede Biegung, über jede Kreuzung, ja sogar bis in den Subway gefolgt. Und auch jetzt, da Cordon mit raschen Schritten, die Fäuste in den Hosentaschen vergraben, durch das stickige Halbdunkel der Straßenschluchten heimwärts eilte, gab der finstere Unbekannte seine stumme Verfolgung nicht auf, obwohl sein ganzes Erscheinungsbild förmlich danach schrie, dass er bestimmt nicht hier, irgendwo in den Slums von Illythia, ums tägliche Überleben kämpfen musste. Die drückende Sonnenscheibe, die Attrayas Häusermeer in die Ketten eines neuen Rekordsommers gelegt, jedes einzelne Hochhausfenster und Gleiterdeck in blendend grelle Brennspiegel verwandelt hatte, sank nun erschöpft und kraftlos hinter die dreckig grauen Säulen, in denen die unterste Schicht der glitzernden Metropole Illythia ein löchriges Dach mit Ratten und Ungeziefer teilte. Die unangenehm staubige Wärme blieb, doch mit dem Schwinden des Lichtes kroch ein ungutes Gefühl in Cordon hoch. Nicht nur, dass er es sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was sein finsterer, aber ausgesprochen gut gekleideter Verfolger von ihm wollte - er verstand sich selber nicht mehr, sein ganzes Verhalten, seit er die kühlen Neonlichter der Subway-Station hinter sich zurückgelassen hatte und in die Abenddämmerung eingetaucht war. Wovor fürchtete er sich eigentlich? Denn nichts anderes als Furcht konnte jenes lähmende, brennend kalte Gift sein, das langsam, aber unaufhörlich durch seine Adern sickerte, seinen ganzen Körper durchtränkte und ihn zu immer schnellerem Schritt antrieb. Ging er denn nicht Tag für Tag durch jene düsteren, heruntergekommenen Schluchten, in denen sich nach Einbruch der Dunkelheit bestimmt weitaus bedrohlicheres Gesindel herumtrieb als jene schmächtige schwarze Gestalt, die seinem Wege folgte. Warum jagte deren Anblick dann derartige Schauer über Cordons großen, kräftigen Körper? Es war doch lächerlich! Er konnte den Fremden mit einem einzigen Hieb seiner durchtrainierten Pranken problemlos außer Gefecht setzen! Im selben Augenblick, noch während all diese mehr oder minder beruhigenden Gedanken durch den Kopf des Arbeiters jagten, begann eine der spärlich gesäten Straßenlaternen zu seiner rechten hysterisch zu flackern, bäumte sich ein letztes Mal glühend auf und erstarb dann, still und unbemerkt. Über den schmutzigen Bürgersteig ergoss sich ein Eimer schwärzesten Graus, ließ schwüles, dämmriges Zwielicht zurück. Cordon begann zu rennen. Er wusste nicht, wieso, er dachte auch nicht weiter darüber nach, wie lächerlich der Anblick seiner plötzlichen Flucht doch sein musste. Er rannte, blind und gedankenlos, stürzte in die nächst beste Gasse hinein, warf seinen massigen Körper um jede Ecke, jede Biegung, die seinen finsteren Weg kreuzte. Cordon achtete nicht auf den empörten Schrei des zerlumpten kleinen Etwas, das ihm mit großen Augen und geballten Fäusten hinterher starrte, nachdem er das unliebsame Hindernis kurzerhand beiseite gestoßen hatte. Sein Atem ging schwer und keuchend, drang rasselnd über seine Lippen, während sich seine Füße nur mühsam durch den Brei aus Müll, Papier und alkoholischen Getränken kämpften, der den Boden alptraumhaft zäh und klebrig überzog. Cordon rannte und rannte, immer weiter, hatte sein rettendes Heim, seine geschmacklose Zweizimmerwohnung inmitten jener potthässlichen Plattenbausiedlung längst vergessen. Cordon wusste nicht, dass ihm ebendiese Wohnung, der an und für sich greifbar nahe Zufluchtsort, aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet hätte. Er wusste überhaupt nichts mehr, als sich urplötzlich eine Wand vor ihm in die staubig graue Höhe des Abendhimmels zog, eingerahmt von überquellenden Müllcontainern und den bunten Schmierereien einer hoffnungslosen Generation. Über Cordons Lippen stahl sich ein kurzer, hysterischer Lachlaut, Ausdruck der ganzen Absurdität seiner ausweglosen Situation. Ausweglos? Ja, Cordon wusste, dass ebendieses Adjektiv in blutig roten Buchstaben über seinem Kopf schwebte, ihn tränkte mit bloßem Verderben, und er sah das Bild in vollkommener Klarheit vor sich, obwohl der langjährige Fabrikarbeiter für gewöhnlich nun wirklich keinen Hang zum Drastischen hatte. Und dennoch, diese Situation glich einem besonders finsteren Alptraum, einem von jener ganz besonderen Sorte, die auch den abgebrühtesten Charakter mitten in der Nacht schreiend hochfahren ließ, überwältigt von eisigem Angstschweiß und blankem Schrecken. Oder noch besser - alles glich einem schlechten Horrorfilm, dessen ganzer Verlauf sich dem mitdenkenden Zuschauer eigentlich schon vom ersten Augenblick an offenbarte. Langsam, mit angehaltenem Atem und viel zu weit aufgerissenen Augen, drehte Cordon sich um. Natürlich war sein Verfolger ihm die ganze Zeit über auf den Fersen geblieben, und natürlich stand er jetzt kalt lächelnd hinter ihm, scheinbar vollkommen entspannt und nicht einmal ansatzweise erschöpft... Spätestens von diesem Augenblick an wusste Cordon, dass er sterben würde. Die schwarze Gestalt hatte keine Eile. Sie näherte sich dem keuchenden Arbeiter gelassen, immer noch mit einem Lächeln auf den bleichen Lippen, und Cordon meinte fast schon, ein manisches Blitzen hinter der ausdruckslosen Sonnenbrille erkennen zu können. Die Umgebung vor seinen Augen begann zu flackern. Eine Schande, schoss es ihm durch den Kopf, da war er gerade mal verfluchte 43 Jahre alt, kein Alter in den Zeiten von Bevölkerungsexplosion und Überpopulation... und trotzdem hatte ihn sein verhältnismäßig kurzer Lauf derart außer Atem gebrachte. Lächerlich! Dabei war Cordon seit jeher der festen Überzeugung gewesen, durch seine körperliche anstrengende Arbeit und seine regelmäßigen Besuche im slumeigenen Fitnesscenter Ecke Abbeylinne Road wenigstens einigermaßen gestählt zu sein. Und so ein kurzer Lauf... Noch bevor Cordon den wirren Gedanken zu Ende geführt hatte, wurde ihm der kleine, aber entscheidende Fehler darin bewusst. Seine Atemlosigkeit, das Flimmern vor seinen Augen... all das konnten nicht etwa nur Ermüdungserscheinungen sein. Dieser merkwürdige Druck hinter den Augäpfeln... dieses unangenehme Saugen in seiner Mundhöhle... und tiefer... war da nicht irgendetwas in seinem Bauch? Etwas, dass sich bewegte, saugte, nach außen drängte? Eisiges Entsetzen kroch in Cordon hoch und ließ ihn in der Bewegung erstarren. Sein verschwommener Blick, verborgen hinter einer Wand aus tiefrotem Flimmern, fixierte ganz wie von selbst die Gestalt des schwarzen Verfolgers, der seine Hand gegen den Arbeiter erhoben hatte. Der Fremde lächelte. Verdammt, jagte es panisch durch Cordons zerfließendes Bewusstsein, verdammt noch mal, dieser Scheißkerl macht irgendetwas mit dir. Cordon verstand nicht viel von schwarzer Magie und derartigen Dingen, aber er hatte vor einiger Zeit mal eine sehr interessante, wenngleich auch etwas reißerisch aufgemachte IV-Reportage über okkulte und psychokinetische Fähigkeiten gesehen. Die Sache mit dem Reißerischen hatte Cordon nicht weiter gestört, er hielt ohnehin nicht viel von so genannter anspruchsvoller Unterhaltung (weil er nicht daran glaubte, dass etwas Anspruchsvolles gleichzeitig auch unterhaltsam sein konnte!) und ließ sich nach einem Kräfte zehrenden Arbeitstag nur zu gerne von wohligen Schauern berieseln. Aber das hier war ihm zuviel. Es war ihm zu real und überhaupt, Cordon taugte nicht zum strahlenden Helden eines düsteren Filmchens... Er wollte nicht sterben. Cordon spürte, wie ihm irgendetwas den Hals hochkroch, warm und feucht und dickflüssig. Dann begriff er, dass er keine Luft mehr bekam. Beinahe im selben Moment verschwand das Bild vor seinen Augen, machte einer tiefen, alles umfangenden Schwärze Platz, begleitet von einem letzten, reißenden Schmerz in Ohren, Nase, Bauch... in Cordons Kopf... Dann war alles dunkel. Cordon realisierte nicht mehr, dass es sein eigenes Blut war, das ihm die Luftröhre hinaufkroch, in einem einzigen roten Schwall aus jeder seiner Körperöffnungen strömte und die gutmütigen, wenn auch etwas debilen Augen des Fabrikarbeiters in widerwärtige rote Teiche verwandelte. Er war gefangen in einer starren, grotesken Pose, während jeder Tropfen seines Lebenssaftes in zähen Bahnen aus seinem Leib kroch, einen gewundenen Bogen durch die staubig dunkle Luft vollführte und schließlich in der ausgestreckten Hand der dunklen Gestalt sammelte, wo er zu einem vollkommen unspektakulären rötlichen Glühen verblasste - und dann schließlich ganz verschwand. Der leere Körper des Arbeiters sackte haltlos in sich zusammen, fiel in eine bräunliche Pfütze, die übel riechend aus einem der rostig grauen Müllcontainer sickerte. Nur zwei Häuserblocks weiter lag Travis auf dem stillos rosafarbenen Bett seiner neuen Freundin, bei der er auch die letzte Nacht schon verbracht hatte, trank eine abgelaufene Dose Billigbieres, während es sich das brünette Mädchen kichernd auf seinem Bauch bequem gemacht hatte. Er ahnte nichts von den Geschehnissen außerhalb der durch und durch geschmacklos eingerichteten Wohnung, und offen gesagt interessierte er sich auch nicht dafür, denn in Illythias Slums kamen viele Menschen ums Leben, sei es nun auf natürlichem Wege oder durch Fremdeinwirkung, freiwillig oder unfreiwillig, wen interessierte das schon? Es machte ohnehin keinen Sinn, über all diese Dinge nachzudenken. Der Fremde aber lächelte immer noch, als er einen kurzen, erleichterten Blick auf die aschfahle, leicht deformiert daliegende Leiche warf. Ein befreites Gefühl machte sich in seiner Brust Platz, vertrieb den diffusen Schmerz, der in den vergangenen Tagen an dessen Stelle gewütet und genagt und ihm Nacht für Nacht den erholsamen Schlaf geraubt hatte. Er strich sich die Haare zurecht und nahm seine Sonnenbrille ab, dann wandte er sich von der Szene ab und verschwand in der staubig-warmen Dunkelheit. Am Anfang war da nur ein dumpfes, von weither rührendes Dröhnen, irgendwie untersetzt klingend, als sei zwischen einem selbst und der Ausgangsquelle dieses Geräusches eine dicke Wand und man hörte es nur, weil man die Ohren fest an den kratzigen Putz gelegt hatte und lauschte. Und auf eine seltsame Art und Weise war es einlullend und verstörend beruhigend, als wäre es die etwas unmelodischere Version eines Wiegenliedes, nur dazu bestimmt, einen wieder in die beschützende und gemütlich bequeme Finsternis der Bewußtlosigkeit zu tragen, auf Armen, die einem in regelmäßigen Abständen leichte Vibrationen durch den Körper jagten. Und doch, obwohl alles so friedlich, so sicher, so richtig aussah, fühlte er sich ungemein beunruhigt. Ein anfangs kaum wahrnehmbares Gefühl von Angst schlich sich in seine eiskalten Glieder und hielt ihn unerbittlich davon ab, einfach wieder in das warme, wartende Bett aus Dunkelheit zu rutschen und die Decke des Vergessens über die müden und erschlafften Muskeln zu ziehen, alles hinter sich zu lassen und den süßen Geschmack des Nichts auf seiner tauben Zunge zu spüren. Wie leicht es doch wäre, die Augen zu schließen und diese Welt verschwinden zu lassen, all die Probleme, die Sorgen, die Hektik, den Druck, einfach alles, was die Menschen in ihrer falschen Überheblichkeit als modern, multifunktional und Niveau steigernd ansahen und was in Wirklichkeit nur ihre elendig verkümmerte Existenz ein wenig in die Länge zog wie einen alten Kaugummi, den man nicht mal mehr dazu benutzen konnte, die labilen und Einsturz gefährdeten Tische in den Slumschulen zu bekleben oder einen unbeliebten Mitschüler zu einem verfrühten und ungeplanten Besuch beim Friseur zu zwingen. Er hatte das schon seit Ewigkeiten satt, zwischen all diesen Fleisch gewordenen Puppen mit ewig grinsenden Masken und vor geistiger Abwesenheit glänzenden Pupillen jeden Tag aufs Neue das leidige Spiel des Überlebens mitspielen zu müssen. Morgen für Morgen einen neuen Zug zu setzen, nur immer schön darauf bedacht, den Gegner vielleicht in einen Engpass, in eine Falle locken zu können, auch, wenn das bedeutete, den Feind erst in drei Runden schachmatt setzen zu können. Lasset die Würfel rollen und zeigt euer Blatt, entweder ihr geht unter oder dürft euch glücklich schätzen, weitere vierundzwanzig Stunden in Arroganz, Toleranzlosigkeit und Feigheit eure dumm lächelnden Visagen durch die versmogten Großstadtwälder zu hetzen und eure mit naiven, euch selbst belügenden Träumen voll überlasteten Köpfe immer mehr dem Wahnsinn in die Fänge zu treiben und irgendwann als stinkendes, verwesendes Bruthaus für Kakerlaken neben Müllcontainern und billigen Absteigen zu enden. Geschieht euch nur recht, meint ihr doch, ihr seit die Größten, die Besten, die Schnellsten, die Schlausten. Verleiht ihr euch doch dauernd selbst erfundene Titel und Namen, streitet euch um Nichtigkeiten und freut euch wie ein fettes, rülpsendes Kind, wenn ihr es vollbracht habt, eine Fliege mit der zusammen gerollten Kosmos Today zu erschlagen. Plötzlich wurde das Dröhnen lauter und verzerrte sich zu einem undefinierbaren Rauschen, das ein wenig so klang als würde ein riesiger Schwarm Bienen dicht neben ihm vorbei schwirren. Wieder verhinderte das seichte Gefühl von Angst, dass er haltlos in die Welt der Schwärze stürzte. Vor seinen Augen, die er die ganze Zeit über fest zusammen gepresst hatte, legte sich ein lauer, grauer Schleier und fast gegen seinen Willen öffneten sie sich so schmal, dass er kaum etwas außer einem grellen Lichtblitz sehen konnte, der ihm übel in den silbern glänzenden Iriden brannte. Schmerzvoll verzog er das Gesicht und rieb sich die Stirn, hinter der fast zeitgleich ratternde Kopfschmerzen eingesetzt hatten, die ihm unablässig gegen die Schädeldecke hämmerten, unermüdlich, immer dazu bereit, eine Sonderschicht ein- und einen Gang (oder auch zwei, drei) zuzulegen. "Oh..........mein Kopf", stöhnte er und setzte sich langsam auf. Aufgrund der Bewegung verstärkten sich die Schmerzen bestialisch und er glaubte seine Schädeldecke werde gespalten. Zusätzlich wurde ihm unglaublich schlecht und ein paar schreckliche Sekunden war er sich sicher, sich hier und jetzt übergeben zu müssen. Seine Eingeweide verkrampften sich böse und ekelerregend warmer Speichel strömte ihm in den Mund, meist ein unheilvolles Zeichen, dass es gleich losgehen würde, doch diesmal lag das körpereigene Orakel so falsch wie die Wetterberichte an ihren besten Tagen. Die Übelkeit verschwand genauso schnell wie sie gekommen war und hinterließ nur einen leicht bleiernen Geschmack in seinem noch halb trockenen Mund. Nur leider waren die Kopfschmerzen nicht so leicht abzuschütteln gewesen. Munter und frech pochten sie in ihrem Sechsachtzehnteltakt in seinem Schädel, dass er sich mit der linken Hand über die Stirn rieb, als wolle er sie glatt streichen. Nach sieben Minuten, die er in dieser seltsamen Pose verbracht hatte, schien sich der Druck ein wenig gelindert zu haben, auch, wenn er immer noch glaubte, gleich würde sich ein kreischendes, Blut überströmtes Ding ohne Augen, dafür aber mit einem klaffenden Maul voll spitzer Zähne aus seinem Kopf beißen und ihm süß grinsend den Püree vor sein Gesicht halten, der einst einmal sein Gehirn gewesen war und sich den Brei als Perücke aufsetzen, um vor ihm eine kleine Steppeinlage auf dem Wohnzimmertisch hinzulegen. "Einfach krank", kommentierte er seine wirren Gedankengänge, die er schon seit frühesten Kindertagen hatte und wohl nie loswerden würde und sah sich mit leicht verklärtem Blick um, wo genau er war. Er saß auf einem dunkelblauen, recht weichen Sofa, neben ihm lagen drei zur Seite geworfene, ebenfalls blaue Kissen, zwei davon auf dem Teppichboden, der nur ein paar Nuancen heller war als die Couch. Vor ihm stand der gläserne, viereckige Tisch mit den silbernen Delphinen als Tischbeinen, auf dem eine schwarze, geschwungene Vase mit schwarz blühenden Rosen stand, die ihre trauernden Köpfe alle zur Sonne gerichtet hatten, die von links in den großen Raum schien und alles hell und friedlich aussehen ließ. Neben den Blumen lag eine Zeitschrift, die sich, als sich Dimi ein wenig vorbeugte - das erwartete und gefürchtete Comeback der Magenkrämpfe blieb erleichternder Weise aus - als die TV Galaxy herausstellte, das meist verbreitete Fernsehmagazin im ganzen Universum, da hier auch die Kanäle der Pay Per View Channels aufgeführt waren, und viele Nutzer dieser, wie Dimi fand, unnützen Erfindung, so das Geld sparen konnten, die Channel eigene Pay Per View-Fernsehzeitung zu kaufen. Auf dem Cover lächelte irgendeine überdurchschnittlich blonde und magersüchtige, obgleich unterdurchschnittlich mit Talent gesegnete Schauspielerin ihr süßestes Vorzeigelächeln und wedelte mit einer Plastikpistole herum, die wahrscheinlich eine interstellare Waffe darstellen sollte, die aber nicht erschreckender war, als die schlecht verarbeiteten Wasserpistolen, die man im Discount für 3.99 nachgeschmissen bekam. Ansonsten gab es in dem weiten Raum keine Anzeichen, dass man ihn häufig benutzte. Der große, schwarze, Breitwandfernseher stand unbenutzt auf einem Schränkchen aus hellem Holz, in dem einzelne Fächer für eine graue Spielkonsole und ein paar Filme waren, die Godjira ihm einmal gekauft hatte. Nicht, dass Dimi je einen davon angesehen hatte. Die Wände des Zimmers waren hellblau, genau wie die Decke, die Vorhänge konkurrierten mit dem Dunkelblau des Sofas. Er war also in seinem Gleiter, genauer gesagt im Wohnzimmer, dem Raum, den er nahezu niemals aufsuchte - Warum? Warum lag er hier auf der Couch herum, hatte Kopfschmerzen wie noch nie zuvor und erinnerte sich an rein gar nichts mehr. Panisch bemerkte er erst jetzt, dass sein Gedächtnis ihn nur bis zu jenem grauenvollen Moment zurück in das Büro von Dufréne trug, als dieser ihm seinen Hund - Dimi war noch immer nicht ganz davon überzeugt, dass dieses Ding ein Hund gewesen war - vorgestellt hatte. Danach löste sich alles in ein buntes Nichts aus Fäden, Rauch und einem rot leuchtenden Fragezeichen von der Größe eines Jupitermondes auf. "Was....?", verwirrt stand er auf und ging mit taumelnden Schritten an das große Fenster, durch das die Sonne immer noch fröhlich zu ihm herunter winkte als wolle sie ihm anbieten das Dunkel der Vergangenheit mit ihren Strahlen zu erhellen. Behutsam legte er die rechte Hand an das kühle Glas und stützte seine Stirn dagegen, was die undankbaren Kopfschmerzdämonen in seinem Kopf zumindest ein wenig beruhigte. Unter sich sah er auf Attraya, wie es wuselnd, laut und dreckig vor sich hin lebte. Die Hochhäuserschluchten waren überfüllt mit Gleitern, die sich überholten, hupten und permanent blinkte irgendwo ein rotes Bremslicht auf, weil anscheinend alle auf diesem Planeten lebenden Fahrer ihren Führerschein von der Zahnfee bekommen hatten und nicht, weil sie sich mit Verkehrsregeln auskannten. Weit im Hintergrund erhoben sich die drei INFERIA-Türme, majestätisch, königlich, erhaben über all die minderwertigen Gebäude zu ihren Füßen. Die Sonne ließ die tausenden Fenster glitzern und, ob es nun an der Konstellation der Sonne oder einer geschickten Bauweise des Architekten lag, es schien, als sei der riesige Bürokomplex der hellste von allen. Schmerzlich schossen Dimi die Erinnerungen in den gemarterten Kopf, die er mit diesen Türmen bereits erlebt hatte. Der alte Zorn auf diesen Anwalt, der ihn fallen gelassen hatte, obwohl er ihn nicht mal richtig kannte, loderte wieder auf, doch verhinderte ein seltsam schlichtendes Gefühl von Sehnsucht, dass es zu einem erneuten Großbrand kam. Wie ein Geist huschte das Gesicht von Sorraiah über die Scheibe und verschwand wieder in dem Tumult der Stadt. Ohne es zu merken, fragte sich der junge Sänger, wo der Anwalt jetzt wohl war und was er machte, woran er dachte und ob es ihm gut ging. So viele Fragen, auf die er keine richtige Anwort fand. Und schon war da wieder der Schmerz, abgewiesen worden zu sein tief in ihm drinnen, an dem Ort, den er nie wieder jemandem offenbaren wollte. Seufzend wandte er sich vom Fenster ab und ging schleichend durch den langen Flur, auf dem ihm sein Manager erzählt hatte, dass er einem anderen Anwalt zugeteilt worden war. An seinem Ende bog er nach links und kam schließlich in der geräumigen Kühe seines Gleiters an, die vor Sauberkeit nur so blitzte. Einen Koch hatte Dimi nicht und selbst kochte er nie, daher war es für ihn auch eine Verschwendung, so eine gigantische Küche zu besitzen, aber er konnte ja schlecht aus Trotz das ganze Ding ausbauen und auf dem Müll werfen. Er marschierte zum Kühlschrank und öffnete ihn, besah sich den prall gefüllten Inhalt und nahm sich eine kühle Coke aus dem Türfach. Er hatte irgendwie keinen richtigen Hunger und er war sich sowieso nicht ganz sicher, dass er, egal, was er essen würde, lange bei sich halten würde. Als er die silbern glänzende Tür wieder schloss, erhaschte er einen kurzen Blick auf sein Spiegelbild und wieder erschrak er ein wenig. Sein dunkles Hemd war zerknittert und die Knöpfe total falsch zugeknöpft. Sein Haar war zerzaust und stand wirr ab und der Anhänger seiner Kette - ein silbernes Ankh - war auf seinen Rücken gedreht. Er stellte verwirrt die rotweiße Dose auf der Theke ab und wollte sein Erscheinungsbild berichtigen, als er kurz inne hielt, den Kopf schüttelte und es doch bleiben ließ. Statt dessen nahm er seine Coke, öffnete sie, trank einen Schluck und machte sich auf den Weg zu Badezimmer. Dort angekommen schloss er die Tür, stellte die Dose neben das Waschbecken und öffnete die Duschkabine um schon mal das Wasser anzustellen. Als es laut brauste, knöpfte er sein Hemd auf und streifte es sich vom Körper, schmiss es gleichgültig in den Wäschekorb und drehte das Ankh wieder auf die Brust. Dann entledigte er sich seine Hose und stellte dabei überrascht fest, dass sein Reißverschluss offen war und er weder Schuhe noch Socke trug. Wieder ergriff ihn ein kurzer Moment lähmender Panik. Was um Himmels Willen war bloß mit ihm passiert, nachdem er erfahren hatte, dass dieses keifende, schreckliche Ding auf den abstoßenden Namen Virgin hörte? Er überlegte konzentriert, aber wieder hörte der Film schön nach der Vorstellung des blöden Köters auf und begann mit dem grellen Lichtblitz, als er auf dem Sofa erwacht war. Als wäre der Film geschnitten worden. Nur von wem? Er duschte sich, zog sich an und kam abermals in die Küche, wo Godjira ihm bereits dick und einnehmend entgegen strahlte. Wie immer in maßgeschneidertem Anzug und Krawatte kam er auf ihn zu und wünschte ihm einen Guten Morgen. "Morgen", flüsterte Dimi tonlos und setzte sich auf einen der Hocker an der Theke, auf der die neue Ausgabe der Kosmos Today aufgeschlagen lag. Wie es Dimi nicht sonderlich überraschte, war es die Seite, auf der immer die Psychotests aufgeführt waren. Diesmal wurde ermittelt, wie gut man als Mann im Bett war. Man musste dreißig Fragen beantworten, wobei man jedes Mal zwischen drei Antworten auswählen konnte. Am Ende hatte man dann vier Kategorien, in die man gesteckt wurde. Dimi überflog kurz die erste und wie sich zeigte schlechteste Auswertungskategorie. Bei einem Satz musste er kurz grinsen - Bei Ihren miserablen Künsten im Bett, sehen Sie sich schon häufig mit der Frage überfordert, wo das Ding rein gehört. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihre oftmals nur sekundenlange Bemühung von ihrer Partnerin(oder Partner(Oder von beiden)) meistens mit einem lautstarken Lachkrampf kommentiert wird. Ergo: Schön alleine üben und immer schön die Aufklärungsseiten in der Kids Zone nachlesen - "Hey!? Was ist denn mit dir los? Du siehst so abwesend aus. War das Treffen mit Dufréne nicht so toll?" Der dickliche Mann trank seinen Kaffee schlürfend und steckte sich danach eine Zigarette in den wulstigen Mund. Schlagartig wurde ihm wieder sein Blackout bewußt. Wie sollte er Godjira klarmachen, dass er lediglich die Begrüßung und dessen dummen Hund in Erinnerung hatte. Und auch, wenn er es sich kaum eingestehen wollte, selbst die Einrichtung des Büros - obgleich er sich fast sicher war, dass sie einen negativen Eindruck auf ihn hinterlassen hatte - lag in jenem dämmrigen Nebel, der sich unbemerkt und heimlich über die Ereignisse des letzten Tages gelegt hatte. "War ganz okay.", stammelte er und tat so, als würde er sich den Bericht über einen ausgerasteten Hometrainer durchlesen, der seinem Besitzer innerhalb von nur dreißig Sekunden nahezu die Hälfte des Körpergewichts weg trainiert hatte - er hatte ihm die Beine abgehackt. Godjira grinste so breit, dass man fast meinen würde, die Haut würde hinter seinen Ohren von einer mysteriösen Spule aufgerollt werden und allmählich reißen, doch statt dessen blitzte ihm nur das blendende Weiß entgegen, das der Manager nach mehreren unregulären Besuchen beim Zahnarzt sein Gebiß rufen durfte. "Ganz okay? Na, komm, Dufréne ist einer der Besten. Wie gesagt, außer diesem Masayume gibt es niemanden, der ihm das Wasser reichen kann. Das sagen zumindest die Leute bei INFERIA, ich hab von sowas ja eh keine Ahnung, ich bin nur dann zu gebrauchen, wenn es um Marketing und Umsatz geht." Er lachte laut und hielt sich seinen dicken Bauch, auch, wenn das Hemd, das er unter dem Anzug trug, ihn vermutlich arg zurück drängte, sodass man ihn fast als flach bezeichnen konnte. Dimi las weiter den Bericht und trank von seiner Coke, versuchte dabei, so desinteressiert wie nur möglich zu gucken und hoffte, dass man ihn bald allein lassen würde. Er musste dringend versuchen, sich an das zurück zu erinnern, was vor seiner Auferstehung auf der Couch geschehen war. "Ach, Dimi, jetzt lach doch auch mal. Ich weiß zwar, dass deine eisige und unnahbare Art bei den Fans wahnsinnig gut ankommt, aber, wenn man dich vierundzwanzig Stunden am Tag um sich hat, kommt man irgendwann wirklich noch auf den Gedanken, du hättest überhaupt keinen Sinn für Humor.", sagte sein Manager fröhlich und zog von seinem Glimmstengel, ehe er den großen Kaffeepott an den Rachen setzte und trank. >Der Unterschied zwischen unserem Humor ist einfach der, dass du dich schon über einen im Kreis springenden Pudel zu Tode lachst und selbst drei Wochen danach noch Lachkrämpfe kriegst, wenn du daran denkst.<, maulte er in Gedanken und nickte nur leicht. "Naja, wie auch immer, ich muss dann auch wieder los, die Idioten, die dein Konzert heute Abend vorbereiten sollen, haben scheinbar von nichts eine Ahnung. Andauernd kommen die zu mir und hängen mir mit ihren Fragen in den Ohren. "Oh, Mr. Tai Ling, wohin sollen die Tänzer bei Song Nummer drei?", "Was machen wir bloß mit Scheinwerfer Nummer sechs, der spinnt immer!", "Wo kriegen wir einen Arzt her, Mr. Tai Ling, die Betreuerin der Albinopython wurde gebissen", bla bla bla, ein Haufen Nichtsnutze, wenn du meine Meinung hören willst, aber das ist halt mein Beruf." Er seufzte gedehnt und ging dann, nachdem er den Kaffee ausgetrunken hatte zur Küchentür und winkte Dimi kurz zu. "Und vergiss nicht, die Proben sind um drei, das Konzert ist um acht und wegen dem neuen Song, den du in die Show nehmen wolltest, das geht klar, er kommt direkt nach Invoke. Wir sehen uns dann da! Tschüs!" Damit war er auch schon aus der Tür und aus Dimis Gedanken, in denen sich inzwischen alles mit den verlorenen Stunden beschäftigte. Verzweifelt rekonstruierte er ein ums andere Mal, was passiert war. Er war in das Büro gegangen und es hatte ihm nicht gefallen - Warum nur? - und dann war er dem Anwalt vorgestellt worden - Dufréne hieß er, nur wie war der Vorname? - Danach hatten sie ein wenig geredet und dabei war ihm der Hund - Virgin. Ein Pudel, glaub ich - vorgestellt worden und dann, dann...........Nichts. Er wachte wieder mit Kopfschmerzen auf dem dunkelblauen Sofa im Wohnzimmer auf. "Verfluchter Dreck!", fluchte er und fuhr sich durch sein Haar. Da kam ihm eine Idee. War es nicht immer so, dass man sich an Sachen, an die man sich unbedingt erinnern wollte, nie dann erinnerte, wenn man es wollte, sondern eher meist zufällig in einem Moment, wenn man überhaupt nicht damit rechnete? Vielleicht musste er sich eine Zeit lang nur mit etwas anderem beschäftigen, dann würde es irgendwann schon Pling machen und er hatte die Lösung. Außerdem, was sollte er auch sonst groß tun. Bis zur Probe war es noch lang hin und auf Training im Fitnessraum hatte er keine Lust. So nahm er die Kosmos Today von der Theke, schnappte sich seine Cola und ging raus auf den Flur um sich auf eine der breiten Fensterbänke zu setzen und die Zeitung zu studieren. Während er die Titelseite aufschlug, warf er einen Kaugummi ein, da er sich nicht die Zähne geputzt hatte und einfach keinen Bock hatte, jetzt noch mal ins Bad zu rennen und diese Prozedur hinter sich zu bringen. Das Erste, was ihm auf dem Titelblatt entgegen sprang, war sein eigenes Bild, auf dem er mit seinem üblich stechenden Blick in die Kamera sah und nicht lächelte. Seltsamerweise sah er dadurch keineswegs unfreundlich aus, eher etwas schüchtern und auch irgendwie geheimnisvoll. Darunter verlautete eine große Schrift ganz deutlich, dass er am heutigen Abend einen Auftritt in der großen Saturn-Arena des Fernsehsenders Astro 31 auf Attraya hatte und die Karten bereits seit Monaten ausverkauft waren. Wer jetzt noch eine haben wollte - es gab nur noch zehn Stück, die der Sender persönlich zurück hatte legen lassen - musste bei einem Quiz mitmachen, das gegen Mittag im Radio kommen würde. Die Frage dazu war: Wie hieß der erste Song, mit dem Spirit of Silence länger als zwei Monate auf Platz eins der Charts lag? Dimi fand es irgendwie komisch, dass er selbst diese Frage nicht beantworten konnte. Er scherte sich nicht darum, wie lange er auf welcher Position war. Es reichte ihm, aufzutreten und die Menschen glücklich zu machen, war doch für ihn alles Glück längst verloren. Direkt darunter hatten es sich vier kleinere Anzeigen gemütlich gemacht. Dimi las sie nur beiläufig durch. >Hometrainer nimmt Diätprogramm etwas zu ernst!.............Prozess gegen berühmten Schauspieler geht in die zweite Runde!...............Wieder ein Mensch dem Vampir zum Opfer gefallen!..............Krieg auf Lestard 9 fordert immer mehr Todesopfer!.........< Als er umblätterte, stach ihm das Bild einer mit einem Tuch zugedeckten Leiche entgegen. Zwei Polizisten standen daneben und schienen sich zu unterhalten. Interessiert las er sich den Bericht kurz durch. Zwölftes Opfer des Vampirs in Seitengasse gefunden! Attraya, wie die Polizei einem Reporter der Kosmos Today gestern mitteilte wurde in der gestrigen Nacht gegen 04.37 Uhr die Leiche eines etwa 40-jährigen Mannes in einer Seitenstraße einer Plattenbausiedlung nahe des Wholesteddler-Industrieparks gefunden. Entdeckt wurde sie von einer jungen Frau namens Melody Perkins, die gerade, wie sie der Polizei aussagte, auf dem Heimweg von ihrem Freund war. Der Todeszeitpunkt des Mannes, der bis jetzt noch nicht identifiziert werden konnte, wird auf 21.00 Uhr geschätzt. Die Todesursache ist akuter Blutverlust des gesamten Organismus. Damit stellt dieser Fall den zwölften einer langen und grausamen Reihe von Morden dar, die inzwischen von dem sogenannten Vampir begangen wurden. Bei jedem Opfer war kein Tropfen Blut mehr im Körper, auch, wenn es seltsamerweise bei keinem der Opfer die typischen Zahnabdrücke am Hals vorzufinden gab. Dennoch warnt die Polizei nach wie vor davor, nachts allein zu sein und dunkle Gassen zu meiden. Sollte Ihnen jemand verdächtig erscheinen oder haben Sie sogar in der Tatnacht etwas gesehen, was der Polizei weiterhelfen könnte, dann rufen bitte an unter 0675/556556. "Typisch Menschen.", seufzte er gleichgültig und sah sich noch einmal kurz das dunkle Bild an, auf dem die Leiche eines unschuldigen Wesens lag, das gegen seinen Willen von einem kranken und unwürdigen Artgenossen seines Lebens beraubt worden war und jetzt für immer in der ewigen Dunkelheit ausharren musste. Als er weiter blätterte und sich die vielen kleinen, bunten und allesamt unwichtigen Nachrichten durchlas, wurde ihm nur wieder mal deutlich klar, wie er diese Welt, zu der er einmal gehört hatte, nicht mehr verstand. Es war, als habe er einfach die Spielregeln vergessen, als wüßte er nicht mehr, was man machen musste, wenn man über Los ging - musste man nun 400 $ einziehen oder in die Mitte legen? -. Er war einfach ausgeschlossen aus diesem Irrenhaus und auch, wenn er gerade eben erst wieder mal gesehen hatte, dass es durchaus besser war, nicht dazuzugehören, so war es doch immer wieder schmerzlich, das zu akzeptieren und immer wieder neu vor den Kopf geknallt zu bekommen. Auf der vorletzten Seite erkannte er den Psychotest wieder und sah nicht überrascht, dass Godjira bereits die ersten sechs Fragen für sich beantwortet und die für sich zutreffenden Antworten angekreuzt hatte. Es war nicht gerade schwer für Dimi herauszufinden, dass sein Manager bei fast allen geschwindelt hatte. Und da er sich langweilte und sich immer noch kein Wunder, was seine verlorene Erinnerung anging, eingestellt hatte, las er sich die Fragen durch und machte den Test einmal für sich selbst. "Also, dann lass mal sehen. Erste Frage: Wie oft hatten/haben Sie in Ihrer letzten/jetzigen festen Beziehung wöchentlich Sex? A: 7 mal und öfter B: 2 bis 5 mal C: 1 mal oder auch gar nicht........" Unbeeindruckt kreuzte Dimi wahrheitsgemäßg A an und ging zur nächsten Frage über, obwohl er meinte, kurz habe etwas in seinem Kopf an seinem Gehirn gerissen, ganz kurz, aber...... "Zweite Frage: Wie lange nehmen/nahmen Sie sich für sich und Ihren Partner beim Liebesspiel durchschnittlich Zeit? A: ca. 15 min. B: ca. 30 min C: 45 min und mehr....." Nachdem er C angekreuzt hatte, zitterte plötzlich seine Hand. Ihm war, als habe er ein schwaches Bild vor seinen Augen gesehen. Ein Bild, in dem er sich selbst sah, zusammen mit jemand anderem, an einem recht hellen Ort, umringt von einem seltsamen Geruch und.........da war es schon wieder weg. Frustriert machte er sich über den Bogen her. "Welche dieser Wünsche haben Sie Ihrem Partner schon einmal erfüllt?.........A: Sex an ungewöhnlichen Orten B: Fesseln/Handschellen und/oder Augenbinden C: für sie/ihn strippen D: keinen......" Gerade als er die ersten drei Antworten angekreuzt hatte, schoss es ihm auf einmal durch den Kopf. Er war in diesem Zimmer gewesen, zusammen mit Dufréne und er........oh Gott.......er hatte ich geküsst!!! "Nein....das....das geht nicht.....ich....." Doch er wußte, dass er es getan hatte. Er hatte diesen widerlichen Typen geküsst. Der Film lief unerbittlich weiter ab. Er saß auf dem Schoß des Franzosen und roch den ekelhaften Geruch nach Parfüm und Haargel ein, der den älteren Mann wie eine nukleare, alles verschluckende Wolke umgeben hatte. Ein unglaubliches Gefühl von Übelkeit, noch schlimmer als das, nachdem er versucht hatte von der Couch aufzustehen, machte sich in seinem Magen breit. Er hatte diesen Mann nicht nur geküsst, er hatte nicht nur zugelassen, dass dieses widerliche Subjekt seine grauenhaft warme Zunge in seinen eigenen Mund stecken konnte, er hatte obendrein auch noch mit ihm rumgemacht, hatte sich von ihm ausziehen lassen, hatte ihm erlaubt, die Stellen an seinem Körper zu berühren, die für alle anderen Sperrgebiet waren. Er erschauerte und fühlte sich so verlegen, dass er meinte vor Scham zu platzen. Und gleichzeitig kämpften das Brechgefühl und eine unbändige Wut mit sich, wer nun die Oberhand bekommen würde. Es sah hart nach einem Unentschieden aus. "Oh.....mein Gott, ich hab doch nicht mit ihm.....?", er wagte es nicht, diesen Satz zu Ende zu bringen, wagte es nicht, auch nur daran zu denken, als wäre selbst die kleinste bildliche Vorstellung davon der unwiderrufliche Beweis, dass es tatsächlich passiert war. Fast, als wolle ihm sein Gedächtnis hier eine hinterhältige Falle stellen, brach die Erinnerung mitten in dieser Vision aus Küssen, Berührungen und einer geistigen Ohnmacht ab und verschloss ihm die Sicht auf den Ausgang dieses heimtückischen Spiels. Wütend pfefferte er die Zeitung an die gegenüberliegende Wand und warf die inzwischen leere Coladose, nachdem er sie vor Zorn und Verwirrung zu einem kaum zu erkennenden etwas zerdrückt hatte, gleich hinterher. Alles in ihm bebte, er hätte am liebsten irgend etwas kaputt geschlagen oder jemandem Gewalt angetan, irgend jemandem, egal, ob er daran beteiligt war oder nicht. Er musste sich abreagieren, er musste schreien, er musste irgendwas zerstören, als Gutmachung dafür, dass man ihn zerstört hatte. Dieser abscheuliche Mistkerl konnte ihn doch nicht einfach so in die Kiste abschleppen und es mit ihm treiben, aber........ die Wut machte einer fast schon unerträglichen Verwirrung Platz. Hatte er sich denn überhaupt gewehrt? Vor Panik rutschte er fast von der Fensterbank runter. Eine Zeit lang glaubte er sogar durch das Glas des Fensters durchzufallen und auf einem der Hochhausdächer unter sich aufzuschlagen. In seiner Erinnerung hatte er sich nicht das kleinste bißchen gewehrt, hatte ihn nicht getreten, ihn verprügelt, sondern hatte das alles mit sich machen lassen.............es ekelte ihn zwar mehr als alles andere, aber er war sich sicher, dass es ihm auf eine kranke und für ihn völlig verständnislose Weise Spaß gemacht hatte. Ganz so, als wäre er nicht mehr er selbst gewesen, sondern........ "So eine Gott verdammte Megascheiße! Ich tick hier noch gleich aus! FUCK FUCK FUCK!!!", brüllte er durch den laut hallenden Flur und sprang auf den weichen Teppichboden. Seine Augen waren zu schlitzen verengt und sein Blick war so finster geworden, dass jedes Kind, das ihn gesehen hätte, schreiend zu seiner Mami gerannt wäre und selbst noch mit 30 zu einem Psychiater hätte gehen müssen - vier mal wöchentlich. Seine Hände ballten sich unkontrolliert immer wieder zu Fäusten und entspannten sich, schlossen sich wieder und entspannten sich, ein ständiges Wechselspiel. Sein ganzer Körper verkrampfte sich und schien vor Wut und Scham zu brodeln. Wie ein eingesperrtes Tier wanderte er den Flur auf und ab und schlug sich gegen die Stirn, als würde das den abgestorbenen Motor wieder in Gang bringen, der ihm endlich sagen könnten, was wirklich noch in dieser Nacht zwischen ihm und diesem Perversen geschehen war. Doch es blieb dabei, die erlösende Wahrheit blieb aus. "FUCK!!!", schrie er und hämmerte seine rechte Faust in die Wand des Flurs. Obwohl sie eigentlich nicht hätte kaputtgehen dürfen, blieb eine deutlich sichtbare Delle zurück. Dimi stand ein paar Augenblicke regungslos da und starrte auf seine nackten Füße, atmete schwer nach Luft und versuchte sich zu beruhigen. Als er seine Hand wieder weg nahm, erkannte er, dass er sich vermutlich den Zeigefinger gebrochen und die restliche Hand übel gequetscht hatte. Schmerzen hatte er jedoch keine. "Ich muss raus hier.", flüsterte er und seufzte gedehnt, ehe er sich umdrehte und mit schnellen Schritten in sein Schlafzimmer ging, sich Schuhe und eine Jacke anzog und nach draußen auf den kleinen Dachpark oben auf seinem Gleiter spazierte, wo er die nächsten zwei Stunden gedankenverloren, mit den Händen in der Hosentasche herum tigerte und den Ausblick genoss. Erst als es Zeit wurde zu den Proben zu gehen, wandte er sich von Attrayas beeindruckendem Gesicht ab und machte sich einmal mehr bereit, die Würfel rollen zu lassen... Die Dunkelheit vibrierte. Dabei war es eigentlich gar nicht wirklich dunkel, vielmehr tobte eine grellbunte Lichtshow durch den Raum, goss künstliches Leuchtfeuer über die haltlose Menge aus und verwandelte den gigantischen Saal in einen kochenden Tümpel, bedeckt von flackernden Nebelschwaden. Und dennoch - das dichte Netz von Leibern, einer unmittelbar an den anderen gedrängt, niedergedrückt von einem Brodem aus Rauch und schlechter Luft, war auf eine unangenehm schweißtreibende Art und Weise noch ungleich dunkler und schwerer, als die finsterste Nacht in der lichtlosesten Ecke von ganz Illythia es nur irgendwie hätte sein können. Der Weg durch die Massen war ein Kampf. Brüllende Wogen klebriger Menschenleiber drängten ihn zurück, machten jeden Schritt zu einer Mühsal, atemberaubend und von dumpfem Schmerz erfüllt. Und mit jedem Stoß, jedem empörten Keuchen, jedem Fluchen und drängen, wuchs die gellende Frage in seinem Kopf, was um alles in der Welt er eigentlich in dieser Hölle verloren hatte, schwoll zu einem misstönenden Konzert an, noch ungleich lauter und ohrenbetäubender als das Kreischen der Menge, das Dröhnen der Bässe und Gitarren... ... als jene Stimme... Und er hatte ebendiesen Gedanken kaum zu Ende gebracht, da wusste er mit einem Mal, was ihn hergeführt hatte, traumwandlerisch blind und sicher durch die helle Dunkelheit der wieder einmal schlaflosen Stadt. Er war es gewesen, daran blieb kein Zweifel. Aber wieso? Wieso jetzt, nach allem, was geschehen war... Es war vorbei. Der betäubend süße Traum, der seinen Körper in den vergangenen Tagen befallen hatte, war nun endgültig verblasst. Das Erwachen war schmerzhaft gewesen, aber wenigstens sah er nun endlich der Realität ins Auge, die vielleicht nicht schön, aber eben doch unausweichlich war. Es gab andere, wichtigere Ziele in seinem Leben. Er musste umkehren aus dieser tückischen Einbahnstraße, doch deren Boden schien mit einer unsichtbaren, hauchdünnen Schicht aus Glatteis bedeckt zu sein, das ihn wie eine tödliche Rutschbahn weiter und weiter ins Unglück trieb. Vielleicht war es zu spät, um noch zu wenden, vielleicht trieb ihn das Pulsieren der kopflosen Menge voran, in jedem Fall machte Sorraiah nicht kehrt, sondern schob sich langsam, aber äußerst beharrlich der so unendlich weit entfernten Bühne entgegen. Die Musik dröhnte laut und gebieterisch aus ihren herrisch hohen Boxen, die wie eckige Wächter links und rechts der riesigen Bühne standen und sich bösartig über die wogende Menge erhoben, die sich zu ihren Füßen in einem Rausch bewegte und tanzte. Die vielen Scheinwerfer fegten wie in einer irren Hetzjagd durch den Saal und kreuzten sich an den unmöglichsten Punkten, blendeten noch im selben Moment, in dem sie sich in die eigenen Augen stahlen und einen danach wieder im Stich und in Finsternis zurückließen. Doch obgleich es ohrenbetäubend war, hier zu stehen, waren Tausende gekommen und feuerten ihren Star an, der fast unscheinbar klein auf dem monströsen Halbrund stand und sich mit seinen Tänzern in halsbrecherischem Tempo und atemberaubenden Bewegungen in Extase tanzte, während er einmal mehr seine betörende Stimme durch das Headset den tobenden Massen entgegen warf, die sie dankbar aufnahm und verdoppelt zurück schleuderte, dass man meinte die Luft würde vor Hitze knistern. Doch obwohl dieses Konzert ein Erfolg war, wie er nicht hätte besser sein können, fühlte sich Dimi nicht wohl. Es war ein unterbewusstes Unwohlsein, das sich von seinem Magen bis in seinen Kopf gearbeitet hatte und dort scheinbar gerne seinen Urlaub verbringen wollte. Gerade war er mit seinem Tanz und dem dazugehörigen Song fertig, da wurde dieses Gefühl fast unerträglich. Etwas durchzuckte ihn und ein paar schreckliche Sekunden lang war er sich sicher, sich übergeben zu müssen. Doch er kämpfte und er gewann, wenn auch nur einen verhältnismäßiger kleiner Sieg. >Was ist nur mit dir los? < fragte er sich in Gedanken und nahm ein Handmikro von einem seiner Tänzer entgegen, stellte sich mitten auf die Bühne und verkündete seinen Fans die Neuigkeiten: "Der Song, der jetzt kommt, ist ganz neu und noch nie von mir performt worden. Das hier ist sozusagen seine Weltpremiere. Dazu muss gesagt werden, dass es nur einer ganz bestimmten Person zu verdanken ist, die ich hier nicht beim Namen nennen möchte, dass er ihn überhaupt gibt. Er heißt Shadow und ich hoffe er gefällt Euch".......... Eine leise Melodie setzte ein, untermalt von einem Klavier und ein paar Geigen, doch sie alle schienen unterwürfig leiser zu werden, als Dimi seine Stimme erhob, die tief und fest sang, als habe sie vor, jeden Eisblock zu zersprengen. "It's hard to stand on your own all the time, but that's the only way I can be. There's no short-cut on the street to happiness for me. I'm trapped in a giant cube of dark and deadly black sea." Unwillkürlich schlug Sorraiah ein eisig kalter Schauer über den Rücken, gefolgt von einem brennend heißen Wüstensturm, der ihn beinahe von den Füßen riss. Mit einem Mal war der junge Anwalt sehr froh, eingezwängt zwischen den zahllosen Menschenleibern zu sein, denn das ohnehin schon unscharfe Bild der Halle verschwamm vor seinen Augen noch mehr, drehte und wand sich, bis irgendwann nur noch ein schwindliges Flackern übrig blieb. Doch die Masse fing seinen potentiellen Sturz noch im Ansatz auf, riss ihn mit sich, erbarmungslos und atemberaubend. Und dann, ganz langsam, begriff Sorraiah, dass es die falsche Richtung war, in die ihn der Strom trieb. Er wollte, nein, er konnte doch nicht mehr einfach zurück zum Ausgang, davonlaufen in die wunderbar kalte Nacht! Der Kampfinstinkt in ihm erwachte, ließ ihn ein weiteres Mal nach vorne drängen, weiter und weiter der Bühne entgegen. Er spürte kaum noch, wie Arme, Beine und Ellenbogen ihn greifen, fesseln und zurückhalten wollten. Sein Ziel brannte gleißend hell vor seinem goldenen Auge, wischte jede andere Farbe, jeden anderen Menschen in der gigantischen Halle einfach davon. Die tiefe Stimme und die ruhige Musik rasten wie Peitschenhiebe über seinen Körper, die ihn erbarmungslos zu immer verzweifelterem Kampf antrieben, bis er irgendwann, erschöpft, verwirrt und vor Hitze zitternd am Rande des Abgrunds, oder besser gesagt an der brusthohen, metallisch kalten Absperrung direkt vor der überwältigenden Bühnenkulisse angelangt war. Und nun endlich, zum ersten Mal, seit er den überschäumenden Kessel betreten hatte, sah er ihn... Es war wie eine Erlösung ihn dort stehen zu sehen. Kaum hatten Dimis silberne Augen die schemenhaften Konturen des jungen Mannes erkannt, waren sie wie gebannt, konnten sich einfach nicht mehr von ihm lösen, versuchten so viel von ihm wie nur möglich zu sehen, in sich aufzunehmen und nie mehr Preis zu geben. Augenblicklich verpuffte das Gefühl von Unsicherheit und Einsamkeit aus seinem Körper, der sich wie von selbst in Richtung des Anwalts in Bewegung gesetzt hatte. Ohne groß darüber nachzudenken schritt er mit Beinen, die drohten unter ihm nachzugeben, auf den Bühnenrand zu, blieb nur Zentimeter vor dem zwei Meter hohen Abhang stehen, als seien unsichtbare Fesseln aus dem Boden geschnellt und hätten ihn festgekettet. Noch immer konnte er seinen Blick nicht von diesen dunklen Haaren nehmen, die dieses markante und helle Gesicht einrahmten als habe man sie nur für diesen Zweck wachsen lassen. Das Gold dieses einen Auges glänzte geheimnisvoller und anziehender als jemals zuvor, fast glaubte er tatsächlich angekettet zu sein. Goldene Ketten, die ihn an Sorraiah banden, unwiderruflich und ohne Aussicht auf Befreiung. Und einfach so vergaß er die Mengen, vergaß die Musik, den Rhythmus, die Tänzer, das Konzert, einfach alles entschwand aus seinem Kopf und wurde von einem gleißenden goldenen Licht verdrängt, das sich so warm anfühlte, so unglaublich warm. Seine Hand zuckte kurz unmerklich, dann hob sie sich und es sah aus als wolle er sie dem jungen Anwalt hinstrecken; ohne ihn zu erreichen und ganz von alleine verwandelte sich seine ganze Ausstrahlung und seine Stimme. Er sang überzeugter, besser, gefühlvoller als noch vor wenigen Sekunden, bewegte sich so passend zu der Musik, dass man glaubte, er würde schweben. Fast musste er grinsen, als er merkte, dass er das alles nur für ihn tat, nur für ihn strengte er sich so an, für Millionen hätte er es nicht getan, aber für ihn tat er es ohne mit der Wimper zu zucken. "I stopped missing things like love or a place I could call home, 'cause there was nothing against it I could do. When ever I looked back, there was only my shadow, but as I did it once more, someone was following me, that was you." Was dann geschah, entzog sich Sorraiahs Wahrnehmung, glich dem wirbelnden Farbenrausch der Scheinwerfer und Stroboskope. Sein Körper fegte seinen analytischen, rationalen Verstand schlichtweg beiseite und übernahm die alleinige Kontrolle über sein weiteres Handeln. Wie in Trance ergriff er die ausgestreckte Hand, hielt sich daran fest, umklammerte sie regelrecht mit seiner eigenen, während er scheinbar mühelos die stählernen Wälle der Absperrung erklomm. Er folgte dem Weg aus Licht und Nebel, auf den Dimi ihn führte, den Blick starr und versunken auf sein Gesicht gerichtet, und ebendieser Blick hatte sich binnen der letzten Sekunden so sehr verändert, wie vielleicht noch nie zuvor in Sorraiahs jungem Leben. Jegliche Kälte war aus dem Gold gewichen, selbst die übliche, berechnende Freundlichkeit hatte einem nahezu flehenden Ausdruck platz gemacht, und dieses Flehen galt einzig und allein dem Sänger. Das Kreischen der umstehenden Fans schien verstummt. Nichts mehr existierte, das Leben schien still zu stehen, nur für wenige kurze Augenblicke, die in Sorraiahs Kopf zu einer wunderbar warmen Ewigkeit zerschmolzen. Und mit einem Mal war ihm auch alles egal, ihm war egal, was Dimi von ihm dachte, was er von ihm wollte, solange er nur in seiner Nähe sein und in diese Augen blicken konnte. "I just saw your face and my wish to be with you got unbearable and before I could please you to do it, you put your arms around me to protect me forever. Oh, I just can't stand the touch of your hand, you're so irresistible, and if you wanna know what I feel, just read from my lips, they say: You and me will always be together." Behutsam führte er den jungen Mann, der sich ihm ganz und gar anvertraut hatte, zu sich, bis sie sich direkt gegenüber standen und sah ihm fest in die glitzernden Augen, mit der Gewissheit nie mehr davon loszukommen, nie mehr davon los zu wollen. In einer einzigen fließenden Bewegung ließ er das Mikro verschwinden und stellte sein Headset wieder ein, verhakte seine rechte Hand fest in der von Sorraiah und fuhr mit der anderen sanft die Seite des Anwalts nach, wagte es, sich so dicht an ihn zu drängen, dass sich ihre Körper berührten. Verklärt und hin und her gerissen wanderte sein verlangender Blick von diesem selbstbewussten Gold zu den leicht geöffneten Lippen, die ein wenig zitterten. Die Sehnsucht in ihm begann an ihrem Käfig zu rütteln, sie wollte raus, um alles in Welt wollte sie raus, wollte sich das nehmen, was sie brauchte, das, was sie schon immer wollte, das, von dem sie wusste, dass es das einzig Richtige war und doch schaffte er es kurz vorher den Kopf lächelnd zur Seite zu legen und sich rücklings an Sorraiah zu lehnen, langsam seine Hüften kreisen zu lassen und einen Arm von hinten um dessen Nacken zu schlingen, ihn vorsichtig den eigenen Bewegungen anzupassen. "I beg you! Don't turn away! I need you more then my breath. Let me seal your lips with mine and show the world how good I can seduce you." Schon die kleinste Berührung auf Sorraiahs Haut brachte seinen ganzen Körper zum Beben, gab ihm das unumstößliche Gefühl, vollkommen hilflos und ausgeliefert zu sein - auf eine wundervolle, ganz und gar berauschende Art und Weise. Irgendetwas mischte sich in sein Blut, trieb es mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch seine Adern und legte einen Schleier warmen Lichtes um ihn. War das Glück? Der junge Anwalt hatte ihn doch schon so oft gefühlt, diesen einen Schatz, dem alle Welt nachjagte, ohne ihn jemals greifen oder besitzen zu können. Doch dieses eine Mal war es anders, vollkommener, durchdringender, und sein ganzes bleiches Gesicht wurde erhellt von einem tiefen, durch und durch ehrlichen Lächeln, während er sich näher an Dimi drängte, bis er seinen Atem und seinen Herzschlag fühlen konnte, so als wäre es sein eigener. Sorraiahs Arme schlossen sich ganz wie von selbst um die Brust des Sängers, während er bei aller Nähe den steten Blickkontakt wahrte, gefangen im süßesten, schönsten Käfig, in der perfektesten kleinen Welt, die er sich nicht schöner hatte erträumen können. "I know I'm not the best lover but I can learn to make you shake, can learn to satisfy you. I can learn to make you feel like home when you're in my arms." Dimi wurde so wunderbar schwindelig, alles verschwamm zu einem leuchtenden Strudel aus bunten Farben und diesem leichten unterschwelligem Ziehen in seiner Brust, als würde sein Herz mit ihm tanzen. Fast schüchtern tastete sich seine Hand aus ihrem sicheren Versteck aus Sorraiahs Nacken fort und fuhr zärtlich durch das lange Haar, spielte damit, als wäre es das kostbarste auf der Welt, ließ es federnd durch die Finger gleiten und legten sich dann deutlich eindeutiger und sicherer wieder an die Hüfte des jungen Mannes, schoben sich widerstandslos unter den Stoff und wurden sofort zurückgezogen, als er die Hitze seiner bedeckten Haut spüren konnte. Immer näher presste sich sein eigenes Becken an das seines Hintermannes, immer anzüglicher schoben sie sich vor und zurück, zeigten mit aller Deutlichkeit, was sich in seinem Kopf abspielte, was er tief in seinem Inneren begehrte. Die teilweise geschockten Gesichter, die ihn fassungslos und sogar etwas gekränkt eifersüchtig anstarrten und immer häufiger in der wogenden Menge hervorstachen, ignorierte er kalt. Sie waren ihm egal. Alles, was zählte hatte er bereits bei sich und würde es so schnell nicht wieder hergeben. Abermals fanden die zitternden Finger ihren bekannten Weg zum Hosenbund von Sorraiah, nur davon angetrieben, wieder die Wärme des anderen zu fühlen, wenn auch nur kurz. Über den Körper des jungen Anwalts brach eine Welle kochend heißen Wassers herein und ließ ihn für einen Augenblick taumeln, doch Dimi hielt in fest und sicher in seinen Armen. Längst schon hatte er vergessen, dass er und sein Geliebter jetzt nicht im Schlafzimmer seiner Penthousewohnung standen, neben dem meerblauen Wasserbett, in dem kleinen Zimmer, das vom türkisfarbenen Licht der Nacht durchtränkt war. Direkt über ihnen strahlten Mond und Sterne durch das gläserne Dach, banden die beiden Männer mit silbernen Fesseln auf ewig aneinander, nur um sich dann still und schweigend von dem Spiel der beiden Körper abzuwenden. Sorraiah wusste, dass es genau in diesem Moment in ihren Händen lag, diese eine Nacht unendlich zu machen, die verlorene Kraft ihrer gebrochenen Flügel zu vereinen und ganz einfach davonzufliegen, weit weg von allem, was so drückend und schwer auf seinen Schultern und in seinen Gedanken lastete. Was bedeutete schon Attraya? Was bedeutete diese Stadt, dieser Planet, was bedeutete denn überhaupt irgendetwas angesichts dieser Augenblicke? Langsam, ganz langsam schloss Sorraiah sein leuchtendes, goldbraunes Augen, fühlte den warmen Atem des Sängers auf seinem Gesicht, als er sich wie im Zeitlupentempo zu ihm hinaufbeugte. "Just let me learn 'cause without your wings I feel so small, without you I'm incomplete." Er sang nicht mehr, er flüsterte nur zu Sorraiah, hatte das Headset abgestellt und sah ihm in das unendlich schöne Gesicht, von dem er sich sicher war, dass es ihn in seinen Träumen verfolgen würde. Er würde es nie und nimmer abschütteln können. Jede Nacht von jetzt an würde es dort auf ihn warten, in den dämmrigen Nebelschwaden seiner Träume, mit offenen Armen und diesem Lächeln, das so abseits aller verbalen Beschreibungen lag. Kurz überlegt er noch, dann schob er seine Hand langsam unter den Stoff und den brennend heißen Rücken hinauf, spürte die feinen Unebenheiten unter seinen vibrierenden Fingerkuppen, streichelte ihn so sachte, als könne er zerbrechen. Zaghaft beugte er sich herab und schloss nun seinerseits seine Augen, öffnete seinen Mund und hauchte die letzten Worte seines Songs auf Sorraiahs Mund, eine Zeile, die einzig und allein für die Ohren seines Kois bestimmt war. "Only the heat of your kiss can melt my chains and let me be free to get chained to you - forever." Fordernd drückte er den jungen Mann an sich, nahm tief seinen Geruch in sich auf, kam ihm noch etwas näher, pustete ihm den Hauch eines Luftzugs über den bebenden Mund, stoppte so kurz vor dem lang ersehnten Lippen, dass nicht mal mehr ein Papier dazwischen gepasst hätte und überbrückte dann die Barriere zwischen ihnen, indem er ihm hilflos und voller Hingabe den Luftweg abschnitt; als sich ihre Münder versiegelten zu einem Versprechen, so heilig wie die Lieder der Engel und doch so heiß wie die Fegefeuer der Hölle. Und noch während die beiden Liebenden in diesen alles verzehrenden Kuss versanken, während ihre Lippen sich so zart und doch so leidenschaftlich vereinten, klangen die letzten sanften Töne der leisen Melodie durch den erstarrten Saal, und als dann schließlich der letzte von ihnen erstarb, verblassten mit ihm auch die Scheinwerfer. Stille kehrte ein in die ehemals so kochende Hölle, ein lähmender Schock schien sich wie tiefer Schlaf über die Menge gelegt zu haben. Nun endlich wurde es Nacht. Dieses Mal wachte Dimi nicht schreiend nach einer halsbrecherischen Fahrt in seinem persönlichen Alptraumexpress auf, immer noch in dem Glauben, von einem dunklen, alles verschlingenden Schatten verfolgt zu werden und zu wissen, dass man ihm nicht entkommen, nicht einmal seine verdammten Beine aus dem Morast hieven konnte, in den sich der eben noch feste Boden verwandelt hatte. Keine rot glühenden Augen tanzten irre kichernd in den vielen unsichtbaren Ecken des Labyrinths in seinem Kopf, das ihn nachts regelmäßig gefangen nahm und ihm mit allzu großer Freude an seinem Leid permanent den Weg vor der Nase abschnitt um ihn schlichtweg für immer hier eingepfercht zu halten wie ein Stück Vieh, das man zum eigenen Vergnügen in einem nie enden wollenden Rhythmus die Haut aufschlitzte um zu sehen wie es blutete, nur um diesen Ausdruck purer Todessehnsucht in den verhassten Augen zu sehen, nicht einmal, sondern so oft man wollte. Stattdessen weckten ihn die ersten Strahlen der Sonne, stachen ihm in sein friedlich daliegendes Gesicht und ließen nicht davon ab ihn zu kitzeln bis er sich ergab und leicht widerwillig die silbern glänzenden Augen aufschlug. Zu seiner Verwirrung fand er sich auf den ersten Blick überhaupt nicht zurecht. Hier war nicht die harte Matratze seines eigenen Bettes, auch war er nicht von der dunkelblauen, kühlen Decke umgeben, die er sich sonst immer in den vermeintlich realen Horrorszenarien vom Leib strampelte. Einen kurzen Moment überkam ihn ein Gefühl von Panik, doch kaum, dass er erschrocken den Kopf gehoben hatte, verschwand diese Angst und die Erinnerung an die vergangene Nacht schlug nur allzu hell in ihm Alarm. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht als er auf den dunklen Haarschopf neben sich nieder sah und die tiefen Atemzüge hörte, die Sorraiah von sich gab. Fast schon schnurrte er wie eine Katze. >Wohl eher wie eine Raubkatze. <, mahnte sich der junge Sänger in seinen Gedanken als er daran dachte, was gestern noch alles passiert war und ein wissendes Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Er hätte nie gedacht, je wieder so weit mit einem anderen Menschen zu gehen, sich jemandem so hinzugeben und selbst so viel zu fordern und doch, als sich sein Mund und der des jungen Anwalts auf dem vergangenen Konzert getroffen hatten, hatte er gewusst, dass er es wagen konnte, dass es vielleicht gefährlich, aber nicht umsonst sein würde, ihm zu vertrauen und sich von ihm in das Reich der verbotenen Berührungen entführen zu lassen, das er so lange nicht mehr besucht hatte. Waren sie nicht einfach direkt von der Bühne aus der Halle raus und dann hierher zu Sorraiahs Penthousewohnung gefahren? So richtig fiel es ihm nicht mehr ein, das einzige, an was er sich noch erinnerte, waren die alles versengenden Küsse gewesen, die er selbst jetzt noch auf seinem Körper brennen spürte. Sein Blick glitt vom leicht zu Seite liegenden Gesicht zu dem schlanken und unbedeckten Oberkörper, der sich hier so schutzlos vor ihm zeigte, reichte die Decke doch nur bis zu Sorraiahs Hüften hinauf. Erneut blitzte in seinen silbernen Iriden die alte Sehnsucht nach Körpernähe auf, doch diesmal verwarf er sie, sie waren beide noch viel zu kaputt, als das er das jetzt schon wieder verlangen konnte, auch, wenn ihn die Vorstellung schon entschieden lockte. So nahm er leicht starrend seine Hand von der Brust des Anwalts, die die ganze Nacht dort gelegen hatte um ja jedem zu zeigen, dass er ihm und niemand anderem gehörte, als wollte er selbst den Mond auf Abstand halten. >Was hast du nur mit mir gemacht? < grübelte Dimi verträumt und schmiegte sich näher an den Schlafenden, stützte seinen Kopf auf seinem Ellenbogen ab und betrachtete einfach das engelsgleiche Gesicht, malte mit seinem Finger sanfte Kreise über seinen festen Bauch. Und diese flüchtigen, warmen Bewegungen waren es auch, die Sorraiah sanft aus der neblig funkelnden Traumwelt an das angenehm helle Tageslicht zurückholten. Der Schwarzhaarige blinzelte einige Male und blickte direkt in das strahlend blaue Angesicht des Morgen-... oder Mittagshimmels, der sich wie ein endloses Seidentuch über sein gläsernes Dach gespannt hatte. Der junge Anwalt seufzte zufrieden, bevor er langsam seinen Kopf wandte, gerade so weit, dass sein eines goldbraunes Auge das schönste aller Gesichter neben ihm erfassen konnte. Das silberne Blitzen, das sein eigenes Gesicht fixierte, trieb mit Peitschen aus schneeweißen Engelsfedern eine ganze Herde von wohligen Schaudern über seinen Körper, und augenblicklich legte sich ein sanfter Hauch von Rot über seine blassen Wangen. Wenn Sorraiah eine einzige Sache mit absoluter Gewissheit sagen konnte, dann, dass er gerade eben die schönste, die wundervollste und berauschendste Nacht seines ganzen Lebens verbracht hatte. "Morgen!" murmelte er, wobei seine Stimme in ein ausgiebiges Gähnen, gefolgt von einem sehr verlegenen Lächeln überging. Dimi musste selber lächeln, als er ihn sah. Noch immer spürte er das unterschwellige Kribbeln in seinem Bauch, als er sich ganz dem entwaffnenden Gold ergab. "Mittag, trifft es wohl eher, du Schlafmütze.", flüsterte er, da seine Stimme ein wenig heiser war, hatte er sie doch in der vergangenen Nacht etwas zu häufig und etwas zu lautstark gebraucht, wie ihm leicht verlegen einfiel, worauf auch ein verräterisch rotes Leuchten auf seine Wange schlich. Noch ein kurzer Blick über den entspannt daliegenden Körper und er konnte nicht mehr an sich halten und biss Sorraiah zart in die Schulter, ehe er an derselben Stelle mit nur dem Hauch einer Berührung einen Kuss platzierte. "Wie fühlt man sich denn so, wenn man den größten Musikstar des Universums verführt hat?", fragte er unschuldig grinsend und sah wieder zu ihm auf. Mit wenig Überraschung stellte er fest, dass er nicht viel Lust verspürte, aufzustehen. "Ich fühle mich... nun ja..." Gerade wollte Sorraiah zu einer Antwort ansetzen, nach den nicht existenten Worten suchen, die jenes unglaubliche, jenes schönste aller Hochgefühle beschreiben konnten, das er in den vergangenen Stunden hatte erleben dürfen - oder zumindest nach einem weltlichen Äquivalent, das diesem Traum auch nur annähernd nahe kommen konnte. Dann aber stockte er, stützte sich auf beide Ellenbogen und sah Dimi mit ernster Miene an. Das Lächeln auf seinem Gesicht war verschwunden. Seine Brust hob sich von einem tiefen Atemzug, bevor er sich mit einem gefestigten Ausdruck in dem ehemals so verträumt funkelnden Auge zu dem Sänger wandte und ihn direkt ansah. "Ich muss mit dir reden." Dimi blickte leicht verwirrt drein. "War ich etwa so schlecht?", fragte er gespielt naiv, aber als er merkte, dass der Scherz nicht gut ankam, schluckte er einmal und machte selbst ein ernstes Gesicht. Was war los? Was wollte der Anwalt denn jetzt bereden? - eine Angst stieg plötzlich in ihm hoch. Konnte es sein? Hatte man ihn doch nur wieder benutzt? Er wollte nicht glauben, dass Sorraiah das alles nur aus Rache oder Berechnung getan hatte. Vielleicht um ihn für seine Abnormalität zu bestrafen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass die ganzen Gefühle nicht echt sein sollten, die er in dem strahlenden Auge hatte lesen können. >Bitte nicht<. Er stützte sich fester auf seinem linken Ellenbogen ab und erwiderte seinen Blick so intensiv er konnte. "Schieß los." Sorraiah konnte dem Blick nicht mehr länger Stand halten, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit senkte er seinen Kopf wieder, beschämt, beinahe so wie ein kleines Kind, das vor seinen wütenden Eltern steht. "Es ist... wegen... wegen Dufréne." Bei dem letzten Wort veränderte sich die Stimme des jungen Anwaltes ganz kurz und schien eine tiefrote Spur blanken Hasses auf dem Laken zu hinterlassen. "Es tut mir leid, aber... ich muss wissen, was du mit ihm... was er mit dir gemacht hat!!!" Dimi sackte kurz das Herz in die Hose. Wie kam denn Sorraiah jetzt plötzlich auf den Franzosen zu sprechen? Wieso plötzlich? Und vor allem, woher wusste er, dass Dufréne und er...? Hustend blickte er weg und setzte sich auf, fuhr sich durch sein schwarzblaues Haar, dass es ihm wirr in die Stirn fiel, als wolle es sein Gesicht verbergen, als wolle die Wahrheit verstecken. Tief in ihm wollte er es nicht sagen, wollte es nicht zugeben, wusste er doch nicht mal, was wirklich passiert war, doch.....er wollte Sorraiah nicht verlieren. Es war paradox, es war unvernünftig, aber, wenn der Anwalt das wissen wollte, würde Dimi es ihm sagen. Koste es was es wolle. "Du wirst lachen, aber das weiß ich selbst nicht so genau. Ich meine, ich war bei ihm in seinem Büro und dann, wie kann ich mir nicht erklären, aber er muss mir Drogen oder etwas Derartiges gegeben haben......und dann..........hat er mich.....ich hab mit.....ihm...dass heißt, ich weiß nicht, ob ich wirklich mit ihm.....na ja.......ich hab nen Filmriss. Ich war zwar mit ihm im Bett, aber ob wir richtig miteinander.........das weiß ich nicht........aber woher weißt du das überhaupt?" Er wagte es nicht, sich umzudrehen, sondern wandte ihm weiter den Rücken zu, obwohl er allmählich ein wenig fror. "Ist doch egal, woher ich es weiß!" Sorraiahs Blick ruhte starr auf seinen Händen, die sich um sein hellblau glänzendes Bettlagen geschlossen hatten, die ab und an von einem unterdrückten Zittern durchlaufen wurden. "Ich kenne Dufréne schon länger, und ich kann nicht unbedingt sagen, dass wir die besten Freunde sind. Ich weiß, warum er das... das getan hat, und ich habe auch so eine Ahnung... ich meine... manchen Menschen sieht man nicht an, was für Fähigkeiten hinter... hinter ihrem beschränkten Aussehen lauern, aber..." Für einen Moment glaubte Sorraiah, auf der Stelle erfrieren zu müssen. Der Himmel, das Bettlaken, alles hatte sich in ein Meer aus Eis verwandelt, das seinen Körper erstarren ließ, den Atem in seinen Lungen zum Schmerzen und seine Augen zum Brennen brachte. Er musste etliche Male tief und qualvoll durchatmen, bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte. "Warum bist du zu ihm gegangen?!?" Dimi musste mit sich kämpfen, als er das Zittern in Sorraiahs Stimme hörte. Alles in ihm schrie danach ihn zu umarmen, ihm Wärme zu spenden, seine Nähe zu suchen, doch er blieb stumm sitzen, umschlang seine angewinkelten Knie und starrte an die gegenüberliegende Wand, die ihn klagend zurück anstarrte. "Weil.......", er stutzte. Warum war er dorthin gegangen? Als es ihm wieder einfiel, wurde seine Verwirrung nur noch größer. Er war zu Dufréne gegangen, weil Sorraiah ihn als seinen Fall abgegeben hatte, warum also sollte er ihn genau danach fragen? Er müsste es doch wissen. Wut stieg in ihm auf. Wurde er etwa doch nur verarscht? Wurde er zum Narren gehalten? "Du müsstest das doch eigentlich wissen, oder informiert man dich neuerdings nicht mehr, wenn du einen Fall abgibst, aus unerklärlichen Gründen, und INFERIA mir einen neuen Verteidiger zustellen muss?", fragte er und seine Stimme klang vorwurfsvoller als beabsichtigt. "So war es doch. Mein Manager hat es mir erzählt! Du hast mich einfach weggegeben, weitergereicht, einfach so, ohne Grund. Deswegen war ich bei diesem widerlichen Kerl......", zischte er sauer und drehte sich doch um. In seinen silbernen Augen lag ein dunkles Lauern, das einem Tiger glich, kurz bevor er zum tödlichen Sprung ansetzte. "Für wie dämlich hältst du mich denn? War das vielleicht ein Spiel zwischen euch? Du und Dufréne? Wer kann es mir besser besorgen, oder was?" Wutentbrannt fing er an, seine Füße aus dem Deckenwirrwarr zu befreien und wollte aus dem Bett entfliehen. Er konnte es nicht länger ertragen, hatte er es doch die ganze Zeit gewusst. Wie war er nur dem Irrglauben verfallen, dass der Anwalt etwas für ihn empfinden konnte. Wie nur? "Was redest du da eigentlich für einen... einen kompletten Schwachsinn?!?" Nur mit einiger Mühe gelang es Sorraiah, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Die Worte des Sängers hatten ihn wie Faustschläge, nein, mehr noch wie die tödlichen Schüsse einer vergifteten Waffe durchbohrt, und selten konnte sich der junge Anwalt daran erinnern, derartigen Schmerz gefühlt zu haben. Seine Augen begannen zu brennen und das Bild von Sorraiahs Umgebung legte sich ein trüber, unscharfer Film. Dennoch zwang er sich zu ruhigen, zu eindringlichen Worten, wie er sie sonst Tag für Tag mühelos über die Lippen brachte und so jede noch so große Lüge selbst den unbestechlichsten Richtern als selbstverständliche Wahrheit verkaufte. "Ich habe also den Fall abgegeben? Ich?!?" Mit einem einzigen Ruck setzte sich der Schwarzhaarige auf. "Wer hat sich denn aus... aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen einen anderen Anwalt gesucht? Jetzt sag nicht, dass hat dein Management einfach so über deinen Kopf hinweg entschieden! Und überhaupt... ich habe es ja wohl nicht nötig, gleich mit jedem billigen Rechtsverdreher in die Kiste zu springen, wenn's mit dem einen vielleicht mal nicht so klappt wie erhofft! Was... was hast du für ein Recht, dich jetzt so aufzuregen?!?" Sorraiah merkte, wie seine Stimme sich mehr und mehr überschlug, wie ihm seine Worte entglitten und sich zu Dingen formten, die er so fest in sich eingeschlossen hatte, dass er sie fast schon wieder vergessen hatte. Nun hingegen schien jene flüchtige, sinnlose Emotion zu verblassen, die er so leichtfertig mit dem Wort "Glück" betitelt hatte, und die doch eigentlich nur eine weitere Lüge war, wie sie sich Stein an Stein, dicht aneinander gedrängt zu einem engen Pflasterweg durch sein ganzes Leben erstreckten. Jetzt hatte er genug. Dimi hielt mitten in der Bewegung inne. Er wusste nicht, ob er jetzt vor Wut oder vor Verblüffung so versteinert war, aber beides schien ihn komplett zu erfüllen. Seine silbernen Augen wurden zu festen und alles zerstörenden Polen aus Eis, sie selbst die mächtigsten Eisbrecher zerquetschen konnten wie billige Papierschiffe. "Wag es hier jetzt nicht auch noch mir direkt ins Gesicht zu lügen!! Mein Management hat rein gar nichts entschieden!! Der Einzige, der irgendwas entschieden hat, warst du, als du meinen Fall ad acta gelegt hast, als wäre ich dir scheißegal!! Also komm mir jetzt nicht auf die Tour......und........", er zitterte, nicht vor Kälte, sondern vor Zorn."......und wage es ja nie wieder, mir an den Kopf zu schmeißen, ich würde mit jedem billigen Rechtsverdreher in die Kiste steigen, hast du das verstanden?!" Seine Stimme klang ruhig und fast leise, doch umso drohender kam sie aus seinem Mund. Ein leichtes Brennen machte sich in seinen Augen breit und eine Träne löste sich einfach, ohne, dass sie die hasserfüllte Maske zerstören konnte. "Ich hatte nicht vor, mit diesem Ekelpaket ins Bett zu gehen, wenn du so hören willst, hat er mich vergewaltigt, es gegen meinen Willen getan, und es hat mir bestimmt nicht gefallen......." >Im Gegensatz zu der Nacht mir dir. <, dachte er verbittert und wandte den Blick wieder ab. "Wag es nie wieder." flüsterte er noch, ehe er den Kopf abwandte, um Sorraiah nicht auch noch die folgenden Tränen zu zeigen, die vor lauter Wut und Scham über seine Wangen rannen. Nicht mal ein Schluchzen war zu hören, lediglich ein leichtes Erschaudern durchlief seinen Körper. Sorraiah starrte den Sänger mit weit aufgerissenen Augen an, während sich in seinem Kopf eine merkwürdige Leere ausbreitete, ein rasendes, konturloses Chaos, das ihm für einen Augenblick lang schwindelig werden ließ. "Dimi, ich... warum sagst du das?" Und nun, da er die einzelne stumme Träne auf dem bleichen Gesicht des Sängers erblickt hatte, konnte er ein leises Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Was hatte das alles zu bedeuten? Aus irgendeinem Grund war Sorraiah sich vollkommen und unumstößlich sicher, dass Dimi ihn nicht angelogen hatte... ihn nicht angelogen haben konnte... aber wieso hatte Haddock ihm dann gesagt... Nein! Sorraiah schüttelte heftig den Kopf. Was dachte er denn da? Haddock konnte ihn doch einfach nicht belogen haben! Das war schlicht und einfach nicht möglich! Er hatte doch mit eigenen Augen gesehen, wie zerknirschte sein Vorgesetzter über den Verlust dieses Falles gewesen war, und außerdem würde Haddock ihn doch niemals einfach... aber konnte ein Missverständnis wirklich so weit gehen? Langsam, wie in Trance erhob er sich von seinem Bett und trat auf den Sänger zu, der ihm immer noch den Rücken zugewandt hatte. "Dimi, bitte... ist das... ist das wirklich wahr, was du... da sagst?" Er zuckte zusammen, als er Sorraiahs Wärme hinter sich spürte, fast so, als habe er erwartet, er würde ihn schlagen. Die Tränen wischte er schnell weg und wie er zufrieden feststellte, war ihr Fluss bereits versiegt. Er hob seinen Kopf und sah wieder nur stumpf die Wand an. Warum spielte ihm der Anwalt so dermaßen etwas vor? Er konnte es sich einfach nicht erklären! Aber, was, wenn er ihm gar nichts vorspielte? Was, wenn die Verwirrung echt war, wenn er wirklich vor Unsicherheit zitterte, wenn er all das, was er ihm während der letzten Nacht gesagt hatte, mehr durch seine Berührungen als durch Worte, der Wahrheit entsprachen? Hoffnung keimte in Dimi auf wie eine schwarze Rose, die aus einem Diestelgestrüpp heraus wächst. "Natürlich ist das wahr.....warum sollte ich dich anlügen? Lügen fällt jawohl eher in dein Berufsgebiet, oder etwa nicht?"...... Er fühlte sich seltsam schutzlos, stand er doch völlig ohne Kleidung am Leib in einem fremden Zimmer vor einem Mann, dem er sich vor ein paar Stunden so weit geöffnet hatte, wie noch nie jemandem zuvor. "Das ist nicht fair, Dimi!" Sorraiah biss sich fest auf die Lippe, um nicht endgültig die Kontrolle zu verlieren. Was geschah nur mit ihm? Was war das für ein Gefühl, das ihn langsam von innen nach außen zu zerreißen schien? Warum schmerzte es so sehr, Dimi anzusehen... nein, ihn nicht ansehen zu können, nur diesen kalten, abweisenden Rücken wie eine unüberwindliche Mauer vor sich haben zu müssen? Der junge Anwalt schluckte und trat zögerlich noch einen Schritt auf den schwarzhaarigen Sänger zu. "Warum sagst du das? Wann hab ich dich angelogen? Du... das hier ist doch nicht mein Beruf!!!" Unendlich langsam und zögerlich, den Kopf immer noch gesenkt, streckte Sorraiah eine seiner zittrigen Hände aus und platzierte sie auf Dimis Rücken. Erneut durchzuckte es den Sänger wie ein Blitz, der sich so tief in sein Innerstes fraß, dass es unerträglich war - und doch so erleichternd. Fast gegen seinen Willen lehnte er sich leicht nach hinten, genoss den Druck, der ihm Sicherheit vermittelte, das Gefühl, dass Sorraiah ihn auffangen würde, wann immer er fallen würde. "Sorraiah? Kann ich das fragen? Ich will dir nur diese Frage stellen und danach gehe ich wieder, wenn du willst und du musst mich nie wieder ertragen." Er wusste, er würde sich diesen Fehler nie verzeihen, diesen Mann zu verlassen, aber er wusste auch, dass sein Stolz eine der größten Mächte in ihm war, wenn nicht die größte. "Wenn ich nicht ich wäre und du nicht du, wenn wir uns vorher nicht getroffen hätten und all das nie passiert wäre, hättest du dann trotzdem mit mir geschlafen? ......und warum hättest du es dann getan?" Für einen Moment begriff Sorraiah nicht ganz, warum Dimi ausgerechnet diese Frage stellte, und dennoch antwortete er so schnell und spontan, dass es ihn selbst am meisten überraschte: "Natürlich!!!" Noch während er das Wort aussprach, schoss erneut ein tiefes Rot in seine Wangen, doch das war Sorraiah ebenso egal wie die vereinzelten Tränen, die dann und wann über sein Gesicht liefen. "Ich... ich weiß doch selber nicht, warum. Glaubst du echt, ein Staranwalt wie ich hat es nötig, sich seine Bekanntschaften nach dem Starfaktor auszusuchen? Ich..." Genau an diesem Punkt fehlten dem jungen Anwalt die Worte - ein Gefühl, das er normalerweise schlicht und einfach nicht kannte und das ihn nun umso mehr überwältigte. Doch anstatt noch weiter vergeblich um die richtige Antwort zu ringen, machte Sorraiah einen letzten Schritt nach vorne, schlang seine Arme um Dimis Hüften und presste sein Gesicht fest an dessen bloße Haut. "Ich will doch gar nicht, dass du weggehst!" Dimi konnte nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen stahl. Er seufzte erleichtert und legte seine Hände auf die von Sorraiah, umfasste sie, drehte sich um und sah dem jungen Anwalt in sein tränendurchzechtes Auge. Immer noch lächelte er, etwas, dass er erst durch diesen Menschen wieder erlernt hatte, der vor ihm stand. "Dann bleibe ich bei dir.", hauchte er und strich ihm die nasse Spur der Tränen weg; schob sein Kinn etwas nach oben und setzte seine Lippen behutsam auf des Kleineren, um sie den Rest sagen zu lassen, den er in Worten nicht beschreiben konnte. Noch im gleichen Augenblick wusste Sorraiah, dass alles gut werden würde, dass alles andere unwichtig war und dass er Dimi nie, niemals wieder gehen lassen würde. Seine Hände legten sich fest um den Rücken des Größeren, suchten nach einem Halt in der lebendigen Leere und gaben ihm ein Gefühl von Geborgenheit, wie er es bei keinem anderen Menschen zuvor gefühlt hatte. Während diesem Kuss vergaß der junge Anwalt alles, er vergaß, dass der Planet sich unaufhörlich drehte, dass draußen in den Straßen das Leben pulsierte, bereit, jeden Augenblick überzukochen. Aber vor allem vergaß er jene eine, quälende Frage, die tief in seinem Inneren lauerte, wartete auf unglücklichere Zeiten, nur um dann umso schmerzhafter wieder hervorzubrechen: Warum hatte Haddock ihn angelogen? Fortsetzung folgt!!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)