Spirit of Silence von YourBucky ================================================================================ Kapitel 5: SOS V ---------------- Spirit of Silence V Jaaa! Es lebt!!! ^.^ Ich bin wirklich sehr, sehr glücklich über dieses Kapitel, weil ich schon sehr lange nichts mehr wirklich schreiben konnte (von der ewigen Equinox-Korrigiererei mal abgesehen...). Und da ich aus abitechnischen Gründen nicht weiß, wann ich wieder Zeit dazu habe, lade ich das Chapter gleich mal hoch. Bitte verzeiht mir, dass es immer so lange dauert, das ist einzig und allein meine Schuld! ;_; 1000x Danke an alle, die trotzdem weiterlesen!!! Briefbombensendungen, Morddrohungen und Comments bitte einfach hier reinschreiben - ich freu mich über alles. ^_^ Und natürlich das allerluftabwürgendste und blauefleckenverursachendste und überhaupt füreinvorzeitigesendesorgendes Umknuddln an mein Fünkchen alias den besten Co-Autor, den es überhaupt in den finsteren, unendlichen Weiten dieses (und jedes anderen) Universums gibt. Es gibt nix Krankeres, Wundervolleres als mit dir zusammen zu schreiben!!!! Und an alle anderen: ENJOY! ^.^ Es war verdammt noch mal nicht sein Tag gewesen. Eigentlich hatte Brad C. Corden das schon in dem Augenblick begriffen, als er morgens aufgewacht war. Dabei war er eigentlich gar nicht aufgewacht, sondern aufgeweckt worden, und das dummerweise nicht von seinem Wecker oder seinem halbwüchsigen Nachbarn Travis, sondern von den sanften Strahlen der Morgensonne, die sich ihren Weg durch die grell orangefarbenen Einheitsgardinen gebahnt hatte, wie sie jede verdammte Zweizimmerwohnung der potthässlichen Plattenbausiedlung trug, in der Cordon sein bescheidenes Lager aufgeschlagen hatte. Dabei war es ja an und für sich gar nicht so, dass Cordon die Morgensonne nicht mochte. Sogar an die grell orangefarbenen Einheitsgardinen und die potthässliche Plattenbausiedlung hatte er im Laufe der Jahre gewöhnt, allen kreischenden Zuwandererkindern, Kleinkriminellen und wie ein atemberaubender Brodem aus allen Fenstern aufdünstender Essensgerüchen zum Trotz. Ja, irgendwie waren ihm all diese finsteren, mit geschmacklosem Graffiti übertünchten Undinge sogar ein ganz klein wenig ans Herz gewachsen, denn er war ein genügsamer Mensch, genügsam und optimistisch, schon allein deshalb, weil ihm eigentlich gar keine andere Wahl blieb. Was Cordon aber ganz und gar nicht mochte, war es, zu spät zu seiner monotonen Arbeit in einer Fließbandfabrik für Schwerlastengleiter zu kommen. Natürlich nicht, weil ihm sein Schaffen dort in irgendeiner Weise Spaß oder Freude bereitet hätte, nein, eigentlich lohnte sich die alltägliche Plackerei ja noch nicht einmal von finanzieller Seite her. Trotzdem war Cordon auf seinen Low-Paid-Job angewiesen, wenn er noch das eine oder andere Jahr in seiner potthässlichen Plattenbausiedlung verbringen und nicht - tot oder lebendig - unter einem Berg aus alten Zeitungen, schimmligen Kartons und Abfall in irgendeiner Gasse der illythischen Altstadt begraben werden wollte. Cordon wusste, dass Arbeit knapp und die Menschen zahlreich waren und auch er konnte im System aus Profit und Ausbeutung jederzeit ersetzt werden. Deshalb passte es ihm auch ganz und gar nicht, dass an einem einzigen verfluchten Tag sein Wecker den Geist aufgeben und Travis - aus welchen Gründen auch immer - ausnahmsweise einmal keine wohnungsinternen Heavy-Metal-Konzerte veranstalten musste. Und noch viel weniger hatten all diese unglücklichen Zufälle seinem Vorarbeiter McCrocket gefallen, einem zwei Meter großen Schwarzen und Ex-Profiwrestler, dem man am Besten niemals in schlecht gelauntem Zustand begegnete. Und jetzt verfolgte ihn auch noch diese höchst seltsame Type, schon seit er seine Fabrik in Walkerplant Fields, Illythias größtem Industriegebiet verlassen hatte. Schwarz war er gekleidet (Statur und Gang des Fremden ließen Cordon auf einen jungen Mann schließen), über und über schwarz, selbst die Sonnenbrille. Zielstrebig hatte er sich an Cordons Fersen geheftet, war ihm um jede Biegung, über jede Kreuzung, ja sogar bis in den Subway gefolgt. Und auch jetzt, da Cordon mit raschen Schritten, die Fäuste in den Hosentaschen vergraben, durch das stickige Halbdunkel der Straßenschluchten heimwärts eilte, gab der finstere Unbekannte seine stumme Verfolgung nicht auf, obwohl sein ganzes Erscheinungsbild förmlich danach schrie, dass er bestimmt nicht hier, irgendwo in den Slums von Illythia, ums tägliche Überleben kämpfen musste. Die drückende Sonnenscheibe, die Attrayas Häusermeer in die Ketten eines neuen Rekordsommers gelegt, jedes einzelne Hochhausfenster und Gleiterdeck in blendend grelle Brennspiegel verwandelt hatte, sank nun erschöpft und kraftlos hinter die dreckig grauen Säulen, in denen die unterste Schicht der glitzernden Metropole Illythia ein löchriges Dach mit Ratten und Ungeziefer teilte. Die unangenehm staubige Wärme blieb, doch mit dem Schwinden des Lichtes kroch ein ungutes Gefühl in Cordon hoch. Nicht nur, dass er es sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was sein finsterer, aber ausgesprochen gut gekleideter Verfolger von ihm wollte - er verstand sich selber nicht mehr, sein ganzes Verhalten, seit er die kühlen Neonlichter der Subway-Station hinter sich zurückgelassen hatte und in die Abenddämmerung eingetaucht war. Wovor fürchtete er sich eigentlich? Denn nichts anderes als Furcht konnte jenes lähmende, brennend kalte Gift sein, das langsam, aber unaufhörlich durch seine Adern sickerte, seinen ganzen Körper durchtränkte und ihn zu immer schnellerem Schritt antrieb. Ging er denn nicht Tag für Tag durch jene düsteren, heruntergekommenen Schluchten, in denen sich nach Einbruch der Dunkelheit bestimmt weitaus bedrohlicheres Gesindel herumtrieb als jene schmächtige schwarze Gestalt, die seinem Wege folgte. Warum jagte deren Anblick dann derartige Schauer über Cordons großen, kräftigen Körper? Es war doch lächerlich! Er konnte den Fremden mit einem einzigen Hieb seiner durchtrainierten Pranken problemlos außer Gefecht setzen! Im selben Augenblick, noch während all diese mehr oder minder beruhigenden Gedanken durch den Kopf des Arbeiters jagten, begann eine der spärlich gesäten Straßenlaternen zu seiner rechten hysterisch zu flackern, bäumte sich ein letztes Mal glühend auf und erstarb dann, still und unbemerkt. Über den schmutzigen Bürgersteig ergoss sich ein Eimer schwärzesten Graus, ließ schwüles, dämmriges Zwielicht zurück. Cordon begann zu rennen. Er wusste nicht, wieso, er dachte auch nicht weiter darüber nach, wie lächerlich der Anblick seiner plötzlichen Flucht doch sein musste. Er rannte, blind und gedankenlos, stürzte in die nächst beste Gasse hinein, warf seinen massigen Körper um jede Ecke, jede Biegung, die seinen finsteren Weg kreuzte. Cordon achtete nicht auf den empörten Schrei des zerlumpten kleinen Etwas, das ihm mit großen Augen und geballten Fäusten hinterher starrte, nachdem er das unliebsame Hindernis kurzerhand beiseite gestoßen hatte. Sein Atem ging schwer und keuchend, drang rasselnd über seine Lippen, während sich seine Füße nur mühsam durch den Brei aus Müll, Papier und alkoholischen Getränken kämpften, der den Boden alptraumhaft zäh und klebrig überzog. Cordon rannte und rannte, immer weiter, hatte sein rettendes Heim, seine geschmacklose Zweizimmerwohnung inmitten jener potthässlichen Plattenbausiedlung längst vergessen. Cordon wusste nicht, dass ihm ebendiese Wohnung, der an und für sich greifbar nahe Zufluchtsort, aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet hätte. Er wusste überhaupt nichts mehr, als sich urplötzlich eine Wand vor ihm in die staubig graue Höhe des Abendhimmels zog, eingerahmt von überquellenden Müllcontainern und den bunten Schmierereien einer hoffnungslosen Generation. Über Cordons Lippen stahl sich ein kurzer, hysterischer Lachlaut, Ausdruck der ganzen Absurdität seiner ausweglosen Situation. Ausweglos? Ja, Cordon wusste, dass ebendieses Adjektiv in blutig roten Buchstaben über seinem Kopf schwebte, ihn tränkte mit bloßem Verderben, und er sah das Bild in vollkommener Klarheit vor sich, obwohl der langjährige Fabrikarbeiter für gewöhnlich nun wirklich keinen Hang zum Drastischen hatte. Und dennoch, diese Situation glich einem besonders finsteren Alptraum, einem von jener ganz besonderen Sorte, die auch den abgebrühtesten Charakter mitten in der Nacht schreiend hochfahren ließ, überwältigt von eisigem Angstschweiß und blankem Schrecken. Oder noch besser - alles glich einem schlechten Horrorfilm, dessen ganzer Verlauf sich dem mitdenkenden Zuschauer eigentlich schon vom ersten Augenblick an offenbarte. Langsam, mit angehaltenem Atem und viel zu weit aufgerissenen Augen, drehte Cordon sich um. Natürlich war sein Verfolger ihm die ganze Zeit über auf den Fersen geblieben, und natürlich stand er jetzt kalt lächelnd hinter ihm, scheinbar vollkommen entspannt und nicht einmal ansatzweise erschöpft... Spätestens von diesem Augenblick an wusste Cordon, dass er sterben würde. Die schwarze Gestalt hatte keine Eile. Sie näherte sich dem keuchenden Arbeiter gelassen, immer noch mit einem Lächeln auf den bleichen Lippen, und Cordon meinte fast schon, ein manisches Blitzen hinter der ausdruckslosen Sonnenbrille erkennen zu können. Die Umgebung vor seinen Augen begann zu flackern. Eine Schande, schoss es ihm durch den Kopf, da war er gerade mal verfluchte 43 Jahre alt, kein Alter in den Zeiten von Bevölkerungsexplosion und Überpopulation... und trotzdem hatte ihn sein verhältnismäßig kurzer Lauf derart außer Atem gebrachte. Lächerlich! Dabei war Cordon seit jeher der festen Überzeugung gewesen, durch seine körperliche anstrengende Arbeit und seine regelmäßigen Besuche im slumeigenen Fitnesscenter Ecke Abbeylinne Road wenigstens einigermaßen gestählt zu sein. Und so ein kurzer Lauf... Noch bevor Cordon den wirren Gedanken zu Ende geführt hatte, wurde ihm der kleine, aber entscheidende Fehler darin bewusst. Seine Atemlosigkeit, das Flimmern vor seinen Augen... all das konnten nicht etwa nur Ermüdungserscheinungen sein. Dieser merkwürdige Druck hinter den Augäpfeln... dieses unangenehme Saugen in seiner Mundhöhle... und tiefer... war da nicht irgendetwas in seinem Bauch? Etwas, dass sich bewegte, saugte, nach außen drängte? Eisiges Entsetzen kroch in Cordon hoch und ließ ihn in der Bewegung erstarren. Sein verschwommener Blick, verborgen hinter einer Wand aus tiefrotem Flimmern, fixierte ganz wie von selbst die Gestalt des schwarzen Verfolgers, der seine Hand gegen den Arbeiter erhoben hatte. Der Fremde lächelte. Verdammt, jagte es panisch durch Cordons zerfließendes Bewusstsein, verdammt noch mal, dieser Scheißkerl macht irgendetwas mit dir. Cordon verstand nicht viel von schwarzer Magie und derartigen Dingen, aber er hatte vor einiger Zeit mal eine sehr interessante, wenngleich auch etwas reißerisch aufgemachte IV-Reportage über okkulte und psychokinetische Fähigkeiten gesehen. Die Sache mit dem Reißerischen hatte Cordon nicht weiter gestört, er hielt ohnehin nicht viel von so genannter anspruchsvoller Unterhaltung (weil er nicht daran glaubte, dass etwas Anspruchsvolles gleichzeitig auch unterhaltsam sein konnte!) und ließ sich nach einem Kräfte zehrenden Arbeitstag nur zu gerne von wohligen Schauern berieseln. Aber das hier war ihm zuviel. Es war ihm zu real und überhaupt, Cordon taugte nicht zum strahlenden Helden eines düsteren Filmchens... Er wollte nicht sterben. Cordon spürte, wie ihm irgendetwas den Hals hochkroch, warm und feucht und dickflüssig. Dann begriff er, dass er keine Luft mehr bekam. Beinahe im selben Moment verschwand das Bild vor seinen Augen, machte einer tiefen, alles umfangenden Schwärze Platz, begleitet von einem letzten, reißenden Schmerz in Ohren, Nase, Bauch... in Cordons Kopf... Dann war alles dunkel. Cordon realisierte nicht mehr, dass es sein eigenes Blut war, das ihm die Luftröhre hinaufkroch, in einem einzigen roten Schwall aus jeder seiner Körperöffnungen strömte und die gutmütigen, wenn auch etwas debilen Augen des Fabrikarbeiters in widerwärtige rote Teiche verwandelte. Er war gefangen in einer starren, grotesken Pose, während jeder Tropfen seines Lebenssaftes in zähen Bahnen aus seinem Leib kroch, einen gewundenen Bogen durch die staubig dunkle Luft vollführte und schließlich in der ausgestreckten Hand der dunklen Gestalt sammelte, wo er zu einem vollkommen unspektakulären rötlichen Glühen verblasste - und dann schließlich ganz verschwand. Der leere Körper des Arbeiters sackte haltlos in sich zusammen, fiel in eine bräunliche Pfütze, die übel riechend aus einem der rostig grauen Müllcontainer sickerte. Nur zwei Häuserblocks weiter lag Travis auf dem stillos rosafarbenen Bett seiner neuen Freundin, bei der er auch die letzte Nacht schon verbracht hatte, trank eine abgelaufene Dose Billigbieres, während es sich das brünette Mädchen kichernd auf seinem Bauch bequem gemacht hatte. Er ahnte nichts von den Geschehnissen außerhalb der durch und durch geschmacklos eingerichteten Wohnung, und offen gesagt interessierte er sich auch nicht dafür, denn in Illythias Slums kamen viele Menschen ums Leben, sei es nun auf natürlichem Wege oder durch Fremdeinwirkung, freiwillig oder unfreiwillig, wen interessierte das schon? Es machte ohnehin keinen Sinn, über all diese Dinge nachzudenken. Der Fremde aber lächelte immer noch, als er einen kurzen, erleichterten Blick auf die aschfahle, leicht deformiert daliegende Leiche warf. Ein befreites Gefühl machte sich in seiner Brust Platz, vertrieb den diffusen Schmerz, der in den vergangenen Tagen an dessen Stelle gewütet und genagt und ihm Nacht für Nacht den erholsamen Schlaf geraubt hatte. Er strich sich die Haare zurecht und nahm seine Sonnenbrille ab, dann wandte er sich von der Szene ab und verschwand in der staubig-warmen Dunkelheit. Am Anfang war da nur ein dumpfes, von weither rührendes Dröhnen, irgendwie untersetzt klingend, als sei zwischen einem selbst und der Ausgangsquelle dieses Geräusches eine dicke Wand und man hörte es nur, weil man die Ohren fest an den kratzigen Putz gelegt hatte und lauschte. Und auf eine seltsame Art und Weise war es einlullend und verstörend beruhigend, als wäre es die etwas unmelodischere Version eines Wiegenliedes, nur dazu bestimmt, einen wieder in die beschützende und gemütlich bequeme Finsternis der Bewußtlosigkeit zu tragen, auf Armen, die einem in regelmäßigen Abständen leichte Vibrationen durch den Körper jagten. Und doch, obwohl alles so friedlich, so sicher, so richtig aussah, fühlte er sich ungemein beunruhigt. Ein anfangs kaum wahrnehmbares Gefühl von Angst schlich sich in seine eiskalten Glieder und hielt ihn unerbittlich davon ab, einfach wieder in das warme, wartende Bett aus Dunkelheit zu rutschen und die Decke des Vergessens über die müden und erschlafften Muskeln zu ziehen, alles hinter sich zu lassen und den süßen Geschmack des Nichts auf seiner tauben Zunge zu spüren. Wie leicht es doch wäre, die Augen zu schließen und diese Welt verschwinden zu lassen, all die Probleme, die Sorgen, die Hektik, den Druck, einfach alles, was die Menschen in ihrer falschen Überheblichkeit als modern, multifunktional und Niveau steigernd ansahen und was in Wirklichkeit nur ihre elendig verkümmerte Existenz ein wenig in die Länge zog wie einen alten Kaugummi, den man nicht mal mehr dazu benutzen konnte, die labilen und Einsturz gefährdeten Tische in den Slumschulen zu bekleben oder einen unbeliebten Mitschüler zu einem verfrühten und ungeplanten Besuch beim Friseur zu zwingen. Er hatte das schon seit Ewigkeiten satt, zwischen all diesen Fleisch gewordenen Puppen mit ewig grinsenden Masken und vor geistiger Abwesenheit glänzenden Pupillen jeden Tag aufs Neue das leidige Spiel des Überlebens mitspielen zu müssen. Morgen für Morgen einen neuen Zug zu setzen, nur immer schön darauf bedacht, den Gegner vielleicht in einen Engpass, in eine Falle locken zu können, auch, wenn das bedeutete, den Feind erst in drei Runden schachmatt setzen zu können. Lasset die Würfel rollen und zeigt euer Blatt, entweder ihr geht unter oder dürft euch glücklich schätzen, weitere vierundzwanzig Stunden in Arroganz, Toleranzlosigkeit und Feigheit eure dumm lächelnden Visagen durch die versmogten Großstadtwälder zu hetzen und eure mit naiven, euch selbst belügenden Träumen voll überlasteten Köpfe immer mehr dem Wahnsinn in die Fänge zu treiben und irgendwann als stinkendes, verwesendes Bruthaus für Kakerlaken neben Müllcontainern und billigen Absteigen zu enden. Geschieht euch nur recht, meint ihr doch, ihr seit die Größten, die Besten, die Schnellsten, die Schlausten. Verleiht ihr euch doch dauernd selbst erfundene Titel und Namen, streitet euch um Nichtigkeiten und freut euch wie ein fettes, rülpsendes Kind, wenn ihr es vollbracht habt, eine Fliege mit der zusammen gerollten Kosmos Today zu erschlagen. Plötzlich wurde das Dröhnen lauter und verzerrte sich zu einem undefinierbaren Rauschen, das ein wenig so klang als würde ein riesiger Schwarm Bienen dicht neben ihm vorbei schwirren. Wieder verhinderte das seichte Gefühl von Angst, dass er haltlos in die Welt der Schwärze stürzte. Vor seinen Augen, die er die ganze Zeit über fest zusammen gepresst hatte, legte sich ein lauer, grauer Schleier und fast gegen seinen Willen öffneten sie sich so schmal, dass er kaum etwas außer einem grellen Lichtblitz sehen konnte, der ihm übel in den silbern glänzenden Iriden brannte. Schmerzvoll verzog er das Gesicht und rieb sich die Stirn, hinter der fast zeitgleich ratternde Kopfschmerzen eingesetzt hatten, die ihm unablässig gegen die Schädeldecke hämmerten, unermüdlich, immer dazu bereit, eine Sonderschicht ein- und einen Gang (oder auch zwei, drei) zuzulegen. "Oh..........mein Kopf", stöhnte er und setzte sich langsam auf. Aufgrund der Bewegung verstärkten sich die Schmerzen bestialisch und er glaubte seine Schädeldecke werde gespalten. Zusätzlich wurde ihm unglaublich schlecht und ein paar schreckliche Sekunden war er sich sicher, sich hier und jetzt übergeben zu müssen. Seine Eingeweide verkrampften sich böse und ekelerregend warmer Speichel strömte ihm in den Mund, meist ein unheilvolles Zeichen, dass es gleich losgehen würde, doch diesmal lag das körpereigene Orakel so falsch wie die Wetterberichte an ihren besten Tagen. Die Übelkeit verschwand genauso schnell wie sie gekommen war und hinterließ nur einen leicht bleiernen Geschmack in seinem noch halb trockenen Mund. Nur leider waren die Kopfschmerzen nicht so leicht abzuschütteln gewesen. Munter und frech pochten sie in ihrem Sechsachtzehnteltakt in seinem Schädel, dass er sich mit der linken Hand über die Stirn rieb, als wolle er sie glatt streichen. Nach sieben Minuten, die er in dieser seltsamen Pose verbracht hatte, schien sich der Druck ein wenig gelindert zu haben, auch, wenn er immer noch glaubte, gleich würde sich ein kreischendes, Blut überströmtes Ding ohne Augen, dafür aber mit einem klaffenden Maul voll spitzer Zähne aus seinem Kopf beißen und ihm süß grinsend den Püree vor sein Gesicht halten, der einst einmal sein Gehirn gewesen war und sich den Brei als Perücke aufsetzen, um vor ihm eine kleine Steppeinlage auf dem Wohnzimmertisch hinzulegen. "Einfach krank", kommentierte er seine wirren Gedankengänge, die er schon seit frühesten Kindertagen hatte und wohl nie loswerden würde und sah sich mit leicht verklärtem Blick um, wo genau er war. Er saß auf einem dunkelblauen, recht weichen Sofa, neben ihm lagen drei zur Seite geworfene, ebenfalls blaue Kissen, zwei davon auf dem Teppichboden, der nur ein paar Nuancen heller war als die Couch. Vor ihm stand der gläserne, viereckige Tisch mit den silbernen Delphinen als Tischbeinen, auf dem eine schwarze, geschwungene Vase mit schwarz blühenden Rosen stand, die ihre trauernden Köpfe alle zur Sonne gerichtet hatten, die von links in den großen Raum schien und alles hell und friedlich aussehen ließ. Neben den Blumen lag eine Zeitschrift, die sich, als sich Dimi ein wenig vorbeugte - das erwartete und gefürchtete Comeback der Magenkrämpfe blieb erleichternder Weise aus - als die TV Galaxy herausstellte, das meist verbreitete Fernsehmagazin im ganzen Universum, da hier auch die Kanäle der Pay Per View Channels aufgeführt waren, und viele Nutzer dieser, wie Dimi fand, unnützen Erfindung, so das Geld sparen konnten, die Channel eigene Pay Per View-Fernsehzeitung zu kaufen. Auf dem Cover lächelte irgendeine überdurchschnittlich blonde und magersüchtige, obgleich unterdurchschnittlich mit Talent gesegnete Schauspielerin ihr süßestes Vorzeigelächeln und wedelte mit einer Plastikpistole herum, die wahrscheinlich eine interstellare Waffe darstellen sollte, die aber nicht erschreckender war, als die schlecht verarbeiteten Wasserpistolen, die man im Discount für 3.99 nachgeschmissen bekam. Ansonsten gab es in dem weiten Raum keine Anzeichen, dass man ihn häufig benutzte. Der große, schwarze, Breitwandfernseher stand unbenutzt auf einem Schränkchen aus hellem Holz, in dem einzelne Fächer für eine graue Spielkonsole und ein paar Filme waren, die Godjira ihm einmal gekauft hatte. Nicht, dass Dimi je einen davon angesehen hatte. Die Wände des Zimmers waren hellblau, genau wie die Decke, die Vorhänge konkurrierten mit dem Dunkelblau des Sofas. Er war also in seinem Gleiter, genauer gesagt im Wohnzimmer, dem Raum, den er nahezu niemals aufsuchte - Warum? Warum lag er hier auf der Couch herum, hatte Kopfschmerzen wie noch nie zuvor und erinnerte sich an rein gar nichts mehr. Panisch bemerkte er erst jetzt, dass sein Gedächtnis ihn nur bis zu jenem grauenvollen Moment zurück in das Büro von Dufréne trug, als dieser ihm seinen Hund - Dimi war noch immer nicht ganz davon überzeugt, dass dieses Ding ein Hund gewesen war - vorgestellt hatte. Danach löste sich alles in ein buntes Nichts aus Fäden, Rauch und einem rot leuchtenden Fragezeichen von der Größe eines Jupitermondes auf. "Was....?", verwirrt stand er auf und ging mit taumelnden Schritten an das große Fenster, durch das die Sonne immer noch fröhlich zu ihm herunter winkte als wolle sie ihm anbieten das Dunkel der Vergangenheit mit ihren Strahlen zu erhellen. Behutsam legte er die rechte Hand an das kühle Glas und stützte seine Stirn dagegen, was die undankbaren Kopfschmerzdämonen in seinem Kopf zumindest ein wenig beruhigte. Unter sich sah er auf Attraya, wie es wuselnd, laut und dreckig vor sich hin lebte. Die Hochhäuserschluchten waren überfüllt mit Gleitern, die sich überholten, hupten und permanent blinkte irgendwo ein rotes Bremslicht auf, weil anscheinend alle auf diesem Planeten lebenden Fahrer ihren Führerschein von der Zahnfee bekommen hatten und nicht, weil sie sich mit Verkehrsregeln auskannten. Weit im Hintergrund erhoben sich die drei INFERIA-Türme, majestätisch, königlich, erhaben über all die minderwertigen Gebäude zu ihren Füßen. Die Sonne ließ die tausenden Fenster glitzern und, ob es nun an der Konstellation der Sonne oder einer geschickten Bauweise des Architekten lag, es schien, als sei der riesige Bürokomplex der hellste von allen. Schmerzlich schossen Dimi die Erinnerungen in den gemarterten Kopf, die er mit diesen Türmen bereits erlebt hatte. Der alte Zorn auf diesen Anwalt, der ihn fallen gelassen hatte, obwohl er ihn nicht mal richtig kannte, loderte wieder auf, doch verhinderte ein seltsam schlichtendes Gefühl von Sehnsucht, dass es zu einem erneuten Großbrand kam. Wie ein Geist huschte das Gesicht von Sorraiah über die Scheibe und verschwand wieder in dem Tumult der Stadt. Ohne es zu merken, fragte sich der junge Sänger, wo der Anwalt jetzt wohl war und was er machte, woran er dachte und ob es ihm gut ging. So viele Fragen, auf die er keine richtige Anwort fand. Und schon war da wieder der Schmerz, abgewiesen worden zu sein tief in ihm drinnen, an dem Ort, den er nie wieder jemandem offenbaren wollte. Seufzend wandte er sich vom Fenster ab und ging schleichend durch den langen Flur, auf dem ihm sein Manager erzählt hatte, dass er einem anderen Anwalt zugeteilt worden war. An seinem Ende bog er nach links und kam schließlich in der geräumigen Kühe seines Gleiters an, die vor Sauberkeit nur so blitzte. Einen Koch hatte Dimi nicht und selbst kochte er nie, daher war es für ihn auch eine Verschwendung, so eine gigantische Küche zu besitzen, aber er konnte ja schlecht aus Trotz das ganze Ding ausbauen und auf dem Müll werfen. Er marschierte zum Kühlschrank und öffnete ihn, besah sich den prall gefüllten Inhalt und nahm sich eine kühle Coke aus dem Türfach. Er hatte irgendwie keinen richtigen Hunger und er war sich sowieso nicht ganz sicher, dass er, egal, was er essen würde, lange bei sich halten würde. Als er die silbern glänzende Tür wieder schloss, erhaschte er einen kurzen Blick auf sein Spiegelbild und wieder erschrak er ein wenig. Sein dunkles Hemd war zerknittert und die Knöpfe total falsch zugeknöpft. Sein Haar war zerzaust und stand wirr ab und der Anhänger seiner Kette - ein silbernes Ankh - war auf seinen Rücken gedreht. Er stellte verwirrt die rotweiße Dose auf der Theke ab und wollte sein Erscheinungsbild berichtigen, als er kurz inne hielt, den Kopf schüttelte und es doch bleiben ließ. Statt dessen nahm er seine Coke, öffnete sie, trank einen Schluck und machte sich auf den Weg zu Badezimmer. Dort angekommen schloss er die Tür, stellte die Dose neben das Waschbecken und öffnete die Duschkabine um schon mal das Wasser anzustellen. Als es laut brauste, knöpfte er sein Hemd auf und streifte es sich vom Körper, schmiss es gleichgültig in den Wäschekorb und drehte das Ankh wieder auf die Brust. Dann entledigte er sich seine Hose und stellte dabei überrascht fest, dass sein Reißverschluss offen war und er weder Schuhe noch Socke trug. Wieder ergriff ihn ein kurzer Moment lähmender Panik. Was um Himmels Willen war bloß mit ihm passiert, nachdem er erfahren hatte, dass dieses keifende, schreckliche Ding auf den abstoßenden Namen Virgin hörte? Er überlegte konzentriert, aber wieder hörte der Film schön nach der Vorstellung des blöden Köters auf und begann mit dem grellen Lichtblitz, als er auf dem Sofa erwacht war. Als wäre der Film geschnitten worden. Nur von wem? Er duschte sich, zog sich an und kam abermals in die Küche, wo Godjira ihm bereits dick und einnehmend entgegen strahlte. Wie immer in maßgeschneidertem Anzug und Krawatte kam er auf ihn zu und wünschte ihm einen Guten Morgen. "Morgen", flüsterte Dimi tonlos und setzte sich auf einen der Hocker an der Theke, auf der die neue Ausgabe der Kosmos Today aufgeschlagen lag. Wie es Dimi nicht sonderlich überraschte, war es die Seite, auf der immer die Psychotests aufgeführt waren. Diesmal wurde ermittelt, wie gut man als Mann im Bett war. Man musste dreißig Fragen beantworten, wobei man jedes Mal zwischen drei Antworten auswählen konnte. Am Ende hatte man dann vier Kategorien, in die man gesteckt wurde. Dimi überflog kurz die erste und wie sich zeigte schlechteste Auswertungskategorie. Bei einem Satz musste er kurz grinsen - Bei Ihren miserablen Künsten im Bett, sehen Sie sich schon häufig mit der Frage überfordert, wo das Ding rein gehört. Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihre oftmals nur sekundenlange Bemühung von ihrer Partnerin(oder Partner(Oder von beiden)) meistens mit einem lautstarken Lachkrampf kommentiert wird. Ergo: Schön alleine üben und immer schön die Aufklärungsseiten in der Kids Zone nachlesen - "Hey!? Was ist denn mit dir los? Du siehst so abwesend aus. War das Treffen mit Dufréne nicht so toll?" Der dickliche Mann trank seinen Kaffee schlürfend und steckte sich danach eine Zigarette in den wulstigen Mund. Schlagartig wurde ihm wieder sein Blackout bewußt. Wie sollte er Godjira klarmachen, dass er lediglich die Begrüßung und dessen dummen Hund in Erinnerung hatte. Und auch, wenn er es sich kaum eingestehen wollte, selbst die Einrichtung des Büros - obgleich er sich fast sicher war, dass sie einen negativen Eindruck auf ihn hinterlassen hatte - lag in jenem dämmrigen Nebel, der sich unbemerkt und heimlich über die Ereignisse des letzten Tages gelegt hatte. "War ganz okay.", stammelte er und tat so, als würde er sich den Bericht über einen ausgerasteten Hometrainer durchlesen, der seinem Besitzer innerhalb von nur dreißig Sekunden nahezu die Hälfte des Körpergewichts weg trainiert hatte - er hatte ihm die Beine abgehackt. Godjira grinste so breit, dass man fast meinen würde, die Haut würde hinter seinen Ohren von einer mysteriösen Spule aufgerollt werden und allmählich reißen, doch statt dessen blitzte ihm nur das blendende Weiß entgegen, das der Manager nach mehreren unregulären Besuchen beim Zahnarzt sein Gebiß rufen durfte. "Ganz okay? Na, komm, Dufréne ist einer der Besten. Wie gesagt, außer diesem Masayume gibt es niemanden, der ihm das Wasser reichen kann. Das sagen zumindest die Leute bei INFERIA, ich hab von sowas ja eh keine Ahnung, ich bin nur dann zu gebrauchen, wenn es um Marketing und Umsatz geht." Er lachte laut und hielt sich seinen dicken Bauch, auch, wenn das Hemd, das er unter dem Anzug trug, ihn vermutlich arg zurück drängte, sodass man ihn fast als flach bezeichnen konnte. Dimi las weiter den Bericht und trank von seiner Coke, versuchte dabei, so desinteressiert wie nur möglich zu gucken und hoffte, dass man ihn bald allein lassen würde. Er musste dringend versuchen, sich an das zurück zu erinnern, was vor seiner Auferstehung auf der Couch geschehen war. "Ach, Dimi, jetzt lach doch auch mal. Ich weiß zwar, dass deine eisige und unnahbare Art bei den Fans wahnsinnig gut ankommt, aber, wenn man dich vierundzwanzig Stunden am Tag um sich hat, kommt man irgendwann wirklich noch auf den Gedanken, du hättest überhaupt keinen Sinn für Humor.", sagte sein Manager fröhlich und zog von seinem Glimmstengel, ehe er den großen Kaffeepott an den Rachen setzte und trank. >Der Unterschied zwischen unserem Humor ist einfach der, dass du dich schon über einen im Kreis springenden Pudel zu Tode lachst und selbst drei Wochen danach noch Lachkrämpfe kriegst, wenn du daran denkst.<, maulte er in Gedanken und nickte nur leicht. "Naja, wie auch immer, ich muss dann auch wieder los, die Idioten, die dein Konzert heute Abend vorbereiten sollen, haben scheinbar von nichts eine Ahnung. Andauernd kommen die zu mir und hängen mir mit ihren Fragen in den Ohren. "Oh, Mr. Tai Ling, wohin sollen die Tänzer bei Song Nummer drei?", "Was machen wir bloß mit Scheinwerfer Nummer sechs, der spinnt immer!", "Wo kriegen wir einen Arzt her, Mr. Tai Ling, die Betreuerin der Albinopython wurde gebissen", bla bla bla, ein Haufen Nichtsnutze, wenn du meine Meinung hören willst, aber das ist halt mein Beruf." Er seufzte gedehnt und ging dann, nachdem er den Kaffee ausgetrunken hatte zur Küchentür und winkte Dimi kurz zu. "Und vergiss nicht, die Proben sind um drei, das Konzert ist um acht und wegen dem neuen Song, den du in die Show nehmen wolltest, das geht klar, er kommt direkt nach Invoke. Wir sehen uns dann da! Tschüs!" Damit war er auch schon aus der Tür und aus Dimis Gedanken, in denen sich inzwischen alles mit den verlorenen Stunden beschäftigte. Verzweifelt rekonstruierte er ein ums andere Mal, was passiert war. Er war in das Büro gegangen und es hatte ihm nicht gefallen - Warum nur? - und dann war er dem Anwalt vorgestellt worden - Dufréne hieß er, nur wie war der Vorname? - Danach hatten sie ein wenig geredet und dabei war ihm der Hund - Virgin. Ein Pudel, glaub ich - vorgestellt worden und dann, dann...........Nichts. Er wachte wieder mit Kopfschmerzen auf dem dunkelblauen Sofa im Wohnzimmer auf. "Verfluchter Dreck!", fluchte er und fuhr sich durch sein Haar. Da kam ihm eine Idee. War es nicht immer so, dass man sich an Sachen, an die man sich unbedingt erinnern wollte, nie dann erinnerte, wenn man es wollte, sondern eher meist zufällig in einem Moment, wenn man überhaupt nicht damit rechnete? Vielleicht musste er sich eine Zeit lang nur mit etwas anderem beschäftigen, dann würde es irgendwann schon Pling machen und er hatte die Lösung. Außerdem, was sollte er auch sonst groß tun. Bis zur Probe war es noch lang hin und auf Training im Fitnessraum hatte er keine Lust. So nahm er die Kosmos Today von der Theke, schnappte sich seine Cola und ging raus auf den Flur um sich auf eine der breiten Fensterbänke zu setzen und die Zeitung zu studieren. Während er die Titelseite aufschlug, warf er einen Kaugummi ein, da er sich nicht die Zähne geputzt hatte und einfach keinen Bock hatte, jetzt noch mal ins Bad zu rennen und diese Prozedur hinter sich zu bringen. Das Erste, was ihm auf dem Titelblatt entgegen sprang, war sein eigenes Bild, auf dem er mit seinem üblich stechenden Blick in die Kamera sah und nicht lächelte. Seltsamerweise sah er dadurch keineswegs unfreundlich aus, eher etwas schüchtern und auch irgendwie geheimnisvoll. Darunter verlautete eine große Schrift ganz deutlich, dass er am heutigen Abend einen Auftritt in der großen Saturn-Arena des Fernsehsenders Astro 31 auf Attraya hatte und die Karten bereits seit Monaten ausverkauft waren. Wer jetzt noch eine haben wollte - es gab nur noch zehn Stück, die der Sender persönlich zurück hatte legen lassen - musste bei einem Quiz mitmachen, das gegen Mittag im Radio kommen würde. Die Frage dazu war: Wie hieß der erste Song, mit dem Spirit of Silence länger als zwei Monate auf Platz eins der Charts lag? Dimi fand es irgendwie komisch, dass er selbst diese Frage nicht beantworten konnte. Er scherte sich nicht darum, wie lange er auf welcher Position war. Es reichte ihm, aufzutreten und die Menschen glücklich zu machen, war doch für ihn alles Glück längst verloren. Direkt darunter hatten es sich vier kleinere Anzeigen gemütlich gemacht. Dimi las sie nur beiläufig durch. >Hometrainer nimmt Diätprogramm etwas zu ernst!.............Prozess gegen berühmten Schauspieler geht in die zweite Runde!...............Wieder ein Mensch dem Vampir zum Opfer gefallen!..............Krieg auf Lestard 9 fordert immer mehr Todesopfer!.........< Als er umblätterte, stach ihm das Bild einer mit einem Tuch zugedeckten Leiche entgegen. Zwei Polizisten standen daneben und schienen sich zu unterhalten. Interessiert las er sich den Bericht kurz durch. Zwölftes Opfer des Vampirs in Seitengasse gefunden! Attraya, wie die Polizei einem Reporter der Kosmos Today gestern mitteilte wurde in der gestrigen Nacht gegen 04.37 Uhr die Leiche eines etwa 40-jährigen Mannes in einer Seitenstraße einer Plattenbausiedlung nahe des Wholesteddler-Industrieparks gefunden. Entdeckt wurde sie von einer jungen Frau namens Melody Perkins, die gerade, wie sie der Polizei aussagte, auf dem Heimweg von ihrem Freund war. Der Todeszeitpunkt des Mannes, der bis jetzt noch nicht identifiziert werden konnte, wird auf 21.00 Uhr geschätzt. Die Todesursache ist akuter Blutverlust des gesamten Organismus. Damit stellt dieser Fall den zwölften einer langen und grausamen Reihe von Morden dar, die inzwischen von dem sogenannten Vampir begangen wurden. Bei jedem Opfer war kein Tropfen Blut mehr im Körper, auch, wenn es seltsamerweise bei keinem der Opfer die typischen Zahnabdrücke am Hals vorzufinden gab. Dennoch warnt die Polizei nach wie vor davor, nachts allein zu sein und dunkle Gassen zu meiden. Sollte Ihnen jemand verdächtig erscheinen oder haben Sie sogar in der Tatnacht etwas gesehen, was der Polizei weiterhelfen könnte, dann rufen bitte an unter 0675/556556. "Typisch Menschen.", seufzte er gleichgültig und sah sich noch einmal kurz das dunkle Bild an, auf dem die Leiche eines unschuldigen Wesens lag, das gegen seinen Willen von einem kranken und unwürdigen Artgenossen seines Lebens beraubt worden war und jetzt für immer in der ewigen Dunkelheit ausharren musste. Als er weiter blätterte und sich die vielen kleinen, bunten und allesamt unwichtigen Nachrichten durchlas, wurde ihm nur wieder mal deutlich klar, wie er diese Welt, zu der er einmal gehört hatte, nicht mehr verstand. Es war, als habe er einfach die Spielregeln vergessen, als wüßte er nicht mehr, was man machen musste, wenn man über Los ging - musste man nun 400 $ einziehen oder in die Mitte legen? -. Er war einfach ausgeschlossen aus diesem Irrenhaus und auch, wenn er gerade eben erst wieder mal gesehen hatte, dass es durchaus besser war, nicht dazuzugehören, so war es doch immer wieder schmerzlich, das zu akzeptieren und immer wieder neu vor den Kopf geknallt zu bekommen. Auf der vorletzten Seite erkannte er den Psychotest wieder und sah nicht überrascht, dass Godjira bereits die ersten sechs Fragen für sich beantwortet und die für sich zutreffenden Antworten angekreuzt hatte. Es war nicht gerade schwer für Dimi herauszufinden, dass sein Manager bei fast allen geschwindelt hatte. Und da er sich langweilte und sich immer noch kein Wunder, was seine verlorene Erinnerung anging, eingestellt hatte, las er sich die Fragen durch und machte den Test einmal für sich selbst. "Also, dann lass mal sehen. Erste Frage: Wie oft hatten/haben Sie in Ihrer letzten/jetzigen festen Beziehung wöchentlich Sex? A: 7 mal und öfter B: 2 bis 5 mal C: 1 mal oder auch gar nicht........" Unbeeindruckt kreuzte Dimi wahrheitsgemäßg A an und ging zur nächsten Frage über, obwohl er meinte, kurz habe etwas in seinem Kopf an seinem Gehirn gerissen, ganz kurz, aber...... "Zweite Frage: Wie lange nehmen/nahmen Sie sich für sich und Ihren Partner beim Liebesspiel durchschnittlich Zeit? A: ca. 15 min. B: ca. 30 min C: 45 min und mehr....." Nachdem er C angekreuzt hatte, zitterte plötzlich seine Hand. Ihm war, als habe er ein schwaches Bild vor seinen Augen gesehen. Ein Bild, in dem er sich selbst sah, zusammen mit jemand anderem, an einem recht hellen Ort, umringt von einem seltsamen Geruch und.........da war es schon wieder weg. Frustriert machte er sich über den Bogen her. "Welche dieser Wünsche haben Sie Ihrem Partner schon einmal erfüllt?.........A: Sex an ungewöhnlichen Orten B: Fesseln/Handschellen und/oder Augenbinden C: für sie/ihn strippen D: keinen......" Gerade als er die ersten drei Antworten angekreuzt hatte, schoss es ihm auf einmal durch den Kopf. Er war in diesem Zimmer gewesen, zusammen mit Dufréne und er........oh Gott.......er hatte ich geküsst!!! "Nein....das....das geht nicht.....ich....." Doch er wußte, dass er es getan hatte. Er hatte diesen widerlichen Typen geküsst. Der Film lief unerbittlich weiter ab. Er saß auf dem Schoß des Franzosen und roch den ekelhaften Geruch nach Parfüm und Haargel ein, der den älteren Mann wie eine nukleare, alles verschluckende Wolke umgeben hatte. Ein unglaubliches Gefühl von Übelkeit, noch schlimmer als das, nachdem er versucht hatte von der Couch aufzustehen, machte sich in seinem Magen breit. Er hatte diesen Mann nicht nur geküsst, er hatte nicht nur zugelassen, dass dieses widerliche Subjekt seine grauenhaft warme Zunge in seinen eigenen Mund stecken konnte, er hatte obendrein auch noch mit ihm rumgemacht, hatte sich von ihm ausziehen lassen, hatte ihm erlaubt, die Stellen an seinem Körper zu berühren, die für alle anderen Sperrgebiet waren. Er erschauerte und fühlte sich so verlegen, dass er meinte vor Scham zu platzen. Und gleichzeitig kämpften das Brechgefühl und eine unbändige Wut mit sich, wer nun die Oberhand bekommen würde. Es sah hart nach einem Unentschieden aus. "Oh.....mein Gott, ich hab doch nicht mit ihm.....?", er wagte es nicht, diesen Satz zu Ende zu bringen, wagte es nicht, auch nur daran zu denken, als wäre selbst die kleinste bildliche Vorstellung davon der unwiderrufliche Beweis, dass es tatsächlich passiert war. Fast, als wolle ihm sein Gedächtnis hier eine hinterhältige Falle stellen, brach die Erinnerung mitten in dieser Vision aus Küssen, Berührungen und einer geistigen Ohnmacht ab und verschloss ihm die Sicht auf den Ausgang dieses heimtückischen Spiels. Wütend pfefferte er die Zeitung an die gegenüberliegende Wand und warf die inzwischen leere Coladose, nachdem er sie vor Zorn und Verwirrung zu einem kaum zu erkennenden etwas zerdrückt hatte, gleich hinterher. Alles in ihm bebte, er hätte am liebsten irgend etwas kaputt geschlagen oder jemandem Gewalt angetan, irgend jemandem, egal, ob er daran beteiligt war oder nicht. Er musste sich abreagieren, er musste schreien, er musste irgendwas zerstören, als Gutmachung dafür, dass man ihn zerstört hatte. Dieser abscheuliche Mistkerl konnte ihn doch nicht einfach so in die Kiste abschleppen und es mit ihm treiben, aber........ die Wut machte einer fast schon unerträglichen Verwirrung Platz. Hatte er sich denn überhaupt gewehrt? Vor Panik rutschte er fast von der Fensterbank runter. Eine Zeit lang glaubte er sogar durch das Glas des Fensters durchzufallen und auf einem der Hochhausdächer unter sich aufzuschlagen. In seiner Erinnerung hatte er sich nicht das kleinste bißchen gewehrt, hatte ihn nicht getreten, ihn verprügelt, sondern hatte das alles mit sich machen lassen.............es ekelte ihn zwar mehr als alles andere, aber er war sich sicher, dass es ihm auf eine kranke und für ihn völlig verständnislose Weise Spaß gemacht hatte. Ganz so, als wäre er nicht mehr er selbst gewesen, sondern........ "So eine Gott verdammte Megascheiße! Ich tick hier noch gleich aus! FUCK FUCK FUCK!!!", brüllte er durch den laut hallenden Flur und sprang auf den weichen Teppichboden. Seine Augen waren zu schlitzen verengt und sein Blick war so finster geworden, dass jedes Kind, das ihn gesehen hätte, schreiend zu seiner Mami gerannt wäre und selbst noch mit 30 zu einem Psychiater hätte gehen müssen - vier mal wöchentlich. Seine Hände ballten sich unkontrolliert immer wieder zu Fäusten und entspannten sich, schlossen sich wieder und entspannten sich, ein ständiges Wechselspiel. Sein ganzer Körper verkrampfte sich und schien vor Wut und Scham zu brodeln. Wie ein eingesperrtes Tier wanderte er den Flur auf und ab und schlug sich gegen die Stirn, als würde das den abgestorbenen Motor wieder in Gang bringen, der ihm endlich sagen könnten, was wirklich noch in dieser Nacht zwischen ihm und diesem Perversen geschehen war. Doch es blieb dabei, die erlösende Wahrheit blieb aus. "FUCK!!!", schrie er und hämmerte seine rechte Faust in die Wand des Flurs. Obwohl sie eigentlich nicht hätte kaputtgehen dürfen, blieb eine deutlich sichtbare Delle zurück. Dimi stand ein paar Augenblicke regungslos da und starrte auf seine nackten Füße, atmete schwer nach Luft und versuchte sich zu beruhigen. Als er seine Hand wieder weg nahm, erkannte er, dass er sich vermutlich den Zeigefinger gebrochen und die restliche Hand übel gequetscht hatte. Schmerzen hatte er jedoch keine. "Ich muss raus hier.", flüsterte er und seufzte gedehnt, ehe er sich umdrehte und mit schnellen Schritten in sein Schlafzimmer ging, sich Schuhe und eine Jacke anzog und nach draußen auf den kleinen Dachpark oben auf seinem Gleiter spazierte, wo er die nächsten zwei Stunden gedankenverloren, mit den Händen in der Hosentasche herum tigerte und den Ausblick genoss. Erst als es Zeit wurde zu den Proben zu gehen, wandte er sich von Attrayas beeindruckendem Gesicht ab und machte sich einmal mehr bereit, die Würfel rollen zu lassen... Die Dunkelheit vibrierte. Dabei war es eigentlich gar nicht wirklich dunkel, vielmehr tobte eine grellbunte Lichtshow durch den Raum, goss künstliches Leuchtfeuer über die haltlose Menge aus und verwandelte den gigantischen Saal in einen kochenden Tümpel, bedeckt von flackernden Nebelschwaden. Und dennoch - das dichte Netz von Leibern, einer unmittelbar an den anderen gedrängt, niedergedrückt von einem Brodem aus Rauch und schlechter Luft, war auf eine unangenehm schweißtreibende Art und Weise noch ungleich dunkler und schwerer, als die finsterste Nacht in der lichtlosesten Ecke von ganz Illythia es nur irgendwie hätte sein können. Der Weg durch die Massen war ein Kampf. Brüllende Wogen klebriger Menschenleiber drängten ihn zurück, machten jeden Schritt zu einer Mühsal, atemberaubend und von dumpfem Schmerz erfüllt. Und mit jedem Stoß, jedem empörten Keuchen, jedem Fluchen und drängen, wuchs die gellende Frage in seinem Kopf, was um alles in der Welt er eigentlich in dieser Hölle verloren hatte, schwoll zu einem misstönenden Konzert an, noch ungleich lauter und ohrenbetäubender als das Kreischen der Menge, das Dröhnen der Bässe und Gitarren... ... als jene Stimme... Und er hatte ebendiesen Gedanken kaum zu Ende gebracht, da wusste er mit einem Mal, was ihn hergeführt hatte, traumwandlerisch blind und sicher durch die helle Dunkelheit der wieder einmal schlaflosen Stadt. Er war es gewesen, daran blieb kein Zweifel. Aber wieso? Wieso jetzt, nach allem, was geschehen war... Es war vorbei. Der betäubend süße Traum, der seinen Körper in den vergangenen Tagen befallen hatte, war nun endgültig verblasst. Das Erwachen war schmerzhaft gewesen, aber wenigstens sah er nun endlich der Realität ins Auge, die vielleicht nicht schön, aber eben doch unausweichlich war. Es gab andere, wichtigere Ziele in seinem Leben. Er musste umkehren aus dieser tückischen Einbahnstraße, doch deren Boden schien mit einer unsichtbaren, hauchdünnen Schicht aus Glatteis bedeckt zu sein, das ihn wie eine tödliche Rutschbahn weiter und weiter ins Unglück trieb. Vielleicht war es zu spät, um noch zu wenden, vielleicht trieb ihn das Pulsieren der kopflosen Menge voran, in jedem Fall machte Sorraiah nicht kehrt, sondern schob sich langsam, aber äußerst beharrlich der so unendlich weit entfernten Bühne entgegen. Die Musik dröhnte laut und gebieterisch aus ihren herrisch hohen Boxen, die wie eckige Wächter links und rechts der riesigen Bühne standen und sich bösartig über die wogende Menge erhoben, die sich zu ihren Füßen in einem Rausch bewegte und tanzte. Die vielen Scheinwerfer fegten wie in einer irren Hetzjagd durch den Saal und kreuzten sich an den unmöglichsten Punkten, blendeten noch im selben Moment, in dem sie sich in die eigenen Augen stahlen und einen danach wieder im Stich und in Finsternis zurückließen. Doch obgleich es ohrenbetäubend war, hier zu stehen, waren Tausende gekommen und feuerten ihren Star an, der fast unscheinbar klein auf dem monströsen Halbrund stand und sich mit seinen Tänzern in halsbrecherischem Tempo und atemberaubenden Bewegungen in Extase tanzte, während er einmal mehr seine betörende Stimme durch das Headset den tobenden Massen entgegen warf, die sie dankbar aufnahm und verdoppelt zurück schleuderte, dass man meinte die Luft würde vor Hitze knistern. Doch obwohl dieses Konzert ein Erfolg war, wie er nicht hätte besser sein können, fühlte sich Dimi nicht wohl. Es war ein unterbewusstes Unwohlsein, das sich von seinem Magen bis in seinen Kopf gearbeitet hatte und dort scheinbar gerne seinen Urlaub verbringen wollte. Gerade war er mit seinem Tanz und dem dazugehörigen Song fertig, da wurde dieses Gefühl fast unerträglich. Etwas durchzuckte ihn und ein paar schreckliche Sekunden lang war er sich sicher, sich übergeben zu müssen. Doch er kämpfte und er gewann, wenn auch nur einen verhältnismäßiger kleiner Sieg. >Was ist nur mit dir los? < fragte er sich in Gedanken und nahm ein Handmikro von einem seiner Tänzer entgegen, stellte sich mitten auf die Bühne und verkündete seinen Fans die Neuigkeiten: "Der Song, der jetzt kommt, ist ganz neu und noch nie von mir performt worden. Das hier ist sozusagen seine Weltpremiere. Dazu muss gesagt werden, dass es nur einer ganz bestimmten Person zu verdanken ist, die ich hier nicht beim Namen nennen möchte, dass er ihn überhaupt gibt. Er heißt Shadow und ich hoffe er gefällt Euch".......... Eine leise Melodie setzte ein, untermalt von einem Klavier und ein paar Geigen, doch sie alle schienen unterwürfig leiser zu werden, als Dimi seine Stimme erhob, die tief und fest sang, als habe sie vor, jeden Eisblock zu zersprengen. "It's hard to stand on your own all the time, but that's the only way I can be. There's no short-cut on the street to happiness for me. I'm trapped in a giant cube of dark and deadly black sea." Unwillkürlich schlug Sorraiah ein eisig kalter Schauer über den Rücken, gefolgt von einem brennend heißen Wüstensturm, der ihn beinahe von den Füßen riss. Mit einem Mal war der junge Anwalt sehr froh, eingezwängt zwischen den zahllosen Menschenleibern zu sein, denn das ohnehin schon unscharfe Bild der Halle verschwamm vor seinen Augen noch mehr, drehte und wand sich, bis irgendwann nur noch ein schwindliges Flackern übrig blieb. Doch die Masse fing seinen potentiellen Sturz noch im Ansatz auf, riss ihn mit sich, erbarmungslos und atemberaubend. Und dann, ganz langsam, begriff Sorraiah, dass es die falsche Richtung war, in die ihn der Strom trieb. Er wollte, nein, er konnte doch nicht mehr einfach zurück zum Ausgang, davonlaufen in die wunderbar kalte Nacht! Der Kampfinstinkt in ihm erwachte, ließ ihn ein weiteres Mal nach vorne drängen, weiter und weiter der Bühne entgegen. Er spürte kaum noch, wie Arme, Beine und Ellenbogen ihn greifen, fesseln und zurückhalten wollten. Sein Ziel brannte gleißend hell vor seinem goldenen Auge, wischte jede andere Farbe, jeden anderen Menschen in der gigantischen Halle einfach davon. Die tiefe Stimme und die ruhige Musik rasten wie Peitschenhiebe über seinen Körper, die ihn erbarmungslos zu immer verzweifelterem Kampf antrieben, bis er irgendwann, erschöpft, verwirrt und vor Hitze zitternd am Rande des Abgrunds, oder besser gesagt an der brusthohen, metallisch kalten Absperrung direkt vor der überwältigenden Bühnenkulisse angelangt war. Und nun endlich, zum ersten Mal, seit er den überschäumenden Kessel betreten hatte, sah er ihn... Es war wie eine Erlösung ihn dort stehen zu sehen. Kaum hatten Dimis silberne Augen die schemenhaften Konturen des jungen Mannes erkannt, waren sie wie gebannt, konnten sich einfach nicht mehr von ihm lösen, versuchten so viel von ihm wie nur möglich zu sehen, in sich aufzunehmen und nie mehr Preis zu geben. Augenblicklich verpuffte das Gefühl von Unsicherheit und Einsamkeit aus seinem Körper, der sich wie von selbst in Richtung des Anwalts in Bewegung gesetzt hatte. Ohne groß darüber nachzudenken schritt er mit Beinen, die drohten unter ihm nachzugeben, auf den Bühnenrand zu, blieb nur Zentimeter vor dem zwei Meter hohen Abhang stehen, als seien unsichtbare Fesseln aus dem Boden geschnellt und hätten ihn festgekettet. Noch immer konnte er seinen Blick nicht von diesen dunklen Haaren nehmen, die dieses markante und helle Gesicht einrahmten als habe man sie nur für diesen Zweck wachsen lassen. Das Gold dieses einen Auges glänzte geheimnisvoller und anziehender als jemals zuvor, fast glaubte er tatsächlich angekettet zu sein. Goldene Ketten, die ihn an Sorraiah banden, unwiderruflich und ohne Aussicht auf Befreiung. Und einfach so vergaß er die Mengen, vergaß die Musik, den Rhythmus, die Tänzer, das Konzert, einfach alles entschwand aus seinem Kopf und wurde von einem gleißenden goldenen Licht verdrängt, das sich so warm anfühlte, so unglaublich warm. Seine Hand zuckte kurz unmerklich, dann hob sie sich und es sah aus als wolle er sie dem jungen Anwalt hinstrecken; ohne ihn zu erreichen und ganz von alleine verwandelte sich seine ganze Ausstrahlung und seine Stimme. Er sang überzeugter, besser, gefühlvoller als noch vor wenigen Sekunden, bewegte sich so passend zu der Musik, dass man glaubte, er würde schweben. Fast musste er grinsen, als er merkte, dass er das alles nur für ihn tat, nur für ihn strengte er sich so an, für Millionen hätte er es nicht getan, aber für ihn tat er es ohne mit der Wimper zu zucken. "I stopped missing things like love or a place I could call home, 'cause there was nothing against it I could do. When ever I looked back, there was only my shadow, but as I did it once more, someone was following me, that was you." Was dann geschah, entzog sich Sorraiahs Wahrnehmung, glich dem wirbelnden Farbenrausch der Scheinwerfer und Stroboskope. Sein Körper fegte seinen analytischen, rationalen Verstand schlichtweg beiseite und übernahm die alleinige Kontrolle über sein weiteres Handeln. Wie in Trance ergriff er die ausgestreckte Hand, hielt sich daran fest, umklammerte sie regelrecht mit seiner eigenen, während er scheinbar mühelos die stählernen Wälle der Absperrung erklomm. Er folgte dem Weg aus Licht und Nebel, auf den Dimi ihn führte, den Blick starr und versunken auf sein Gesicht gerichtet, und ebendieser Blick hatte sich binnen der letzten Sekunden so sehr verändert, wie vielleicht noch nie zuvor in Sorraiahs jungem Leben. Jegliche Kälte war aus dem Gold gewichen, selbst die übliche, berechnende Freundlichkeit hatte einem nahezu flehenden Ausdruck platz gemacht, und dieses Flehen galt einzig und allein dem Sänger. Das Kreischen der umstehenden Fans schien verstummt. Nichts mehr existierte, das Leben schien still zu stehen, nur für wenige kurze Augenblicke, die in Sorraiahs Kopf zu einer wunderbar warmen Ewigkeit zerschmolzen. Und mit einem Mal war ihm auch alles egal, ihm war egal, was Dimi von ihm dachte, was er von ihm wollte, solange er nur in seiner Nähe sein und in diese Augen blicken konnte. "I just saw your face and my wish to be with you got unbearable and before I could please you to do it, you put your arms around me to protect me forever. Oh, I just can't stand the touch of your hand, you're so irresistible, and if you wanna know what I feel, just read from my lips, they say: You and me will always be together." Behutsam führte er den jungen Mann, der sich ihm ganz und gar anvertraut hatte, zu sich, bis sie sich direkt gegenüber standen und sah ihm fest in die glitzernden Augen, mit der Gewissheit nie mehr davon loszukommen, nie mehr davon los zu wollen. In einer einzigen fließenden Bewegung ließ er das Mikro verschwinden und stellte sein Headset wieder ein, verhakte seine rechte Hand fest in der von Sorraiah und fuhr mit der anderen sanft die Seite des Anwalts nach, wagte es, sich so dicht an ihn zu drängen, dass sich ihre Körper berührten. Verklärt und hin und her gerissen wanderte sein verlangender Blick von diesem selbstbewussten Gold zu den leicht geöffneten Lippen, die ein wenig zitterten. Die Sehnsucht in ihm begann an ihrem Käfig zu rütteln, sie wollte raus, um alles in Welt wollte sie raus, wollte sich das nehmen, was sie brauchte, das, was sie schon immer wollte, das, von dem sie wusste, dass es das einzig Richtige war und doch schaffte er es kurz vorher den Kopf lächelnd zur Seite zu legen und sich rücklings an Sorraiah zu lehnen, langsam seine Hüften kreisen zu lassen und einen Arm von hinten um dessen Nacken zu schlingen, ihn vorsichtig den eigenen Bewegungen anzupassen. "I beg you! Don't turn away! I need you more then my breath. Let me seal your lips with mine and show the world how good I can seduce you." Schon die kleinste Berührung auf Sorraiahs Haut brachte seinen ganzen Körper zum Beben, gab ihm das unumstößliche Gefühl, vollkommen hilflos und ausgeliefert zu sein - auf eine wundervolle, ganz und gar berauschende Art und Weise. Irgendetwas mischte sich in sein Blut, trieb es mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch seine Adern und legte einen Schleier warmen Lichtes um ihn. War das Glück? Der junge Anwalt hatte ihn doch schon so oft gefühlt, diesen einen Schatz, dem alle Welt nachjagte, ohne ihn jemals greifen oder besitzen zu können. Doch dieses eine Mal war es anders, vollkommener, durchdringender, und sein ganzes bleiches Gesicht wurde erhellt von einem tiefen, durch und durch ehrlichen Lächeln, während er sich näher an Dimi drängte, bis er seinen Atem und seinen Herzschlag fühlen konnte, so als wäre es sein eigener. Sorraiahs Arme schlossen sich ganz wie von selbst um die Brust des Sängers, während er bei aller Nähe den steten Blickkontakt wahrte, gefangen im süßesten, schönsten Käfig, in der perfektesten kleinen Welt, die er sich nicht schöner hatte erträumen können. "I know I'm not the best lover but I can learn to make you shake, can learn to satisfy you. I can learn to make you feel like home when you're in my arms." Dimi wurde so wunderbar schwindelig, alles verschwamm zu einem leuchtenden Strudel aus bunten Farben und diesem leichten unterschwelligem Ziehen in seiner Brust, als würde sein Herz mit ihm tanzen. Fast schüchtern tastete sich seine Hand aus ihrem sicheren Versteck aus Sorraiahs Nacken fort und fuhr zärtlich durch das lange Haar, spielte damit, als wäre es das kostbarste auf der Welt, ließ es federnd durch die Finger gleiten und legten sich dann deutlich eindeutiger und sicherer wieder an die Hüfte des jungen Mannes, schoben sich widerstandslos unter den Stoff und wurden sofort zurückgezogen, als er die Hitze seiner bedeckten Haut spüren konnte. Immer näher presste sich sein eigenes Becken an das seines Hintermannes, immer anzüglicher schoben sie sich vor und zurück, zeigten mit aller Deutlichkeit, was sich in seinem Kopf abspielte, was er tief in seinem Inneren begehrte. Die teilweise geschockten Gesichter, die ihn fassungslos und sogar etwas gekränkt eifersüchtig anstarrten und immer häufiger in der wogenden Menge hervorstachen, ignorierte er kalt. Sie waren ihm egal. Alles, was zählte hatte er bereits bei sich und würde es so schnell nicht wieder hergeben. Abermals fanden die zitternden Finger ihren bekannten Weg zum Hosenbund von Sorraiah, nur davon angetrieben, wieder die Wärme des anderen zu fühlen, wenn auch nur kurz. Über den Körper des jungen Anwalts brach eine Welle kochend heißen Wassers herein und ließ ihn für einen Augenblick taumeln, doch Dimi hielt in fest und sicher in seinen Armen. Längst schon hatte er vergessen, dass er und sein Geliebter jetzt nicht im Schlafzimmer seiner Penthousewohnung standen, neben dem meerblauen Wasserbett, in dem kleinen Zimmer, das vom türkisfarbenen Licht der Nacht durchtränkt war. Direkt über ihnen strahlten Mond und Sterne durch das gläserne Dach, banden die beiden Männer mit silbernen Fesseln auf ewig aneinander, nur um sich dann still und schweigend von dem Spiel der beiden Körper abzuwenden. Sorraiah wusste, dass es genau in diesem Moment in ihren Händen lag, diese eine Nacht unendlich zu machen, die verlorene Kraft ihrer gebrochenen Flügel zu vereinen und ganz einfach davonzufliegen, weit weg von allem, was so drückend und schwer auf seinen Schultern und in seinen Gedanken lastete. Was bedeutete schon Attraya? Was bedeutete diese Stadt, dieser Planet, was bedeutete denn überhaupt irgendetwas angesichts dieser Augenblicke? Langsam, ganz langsam schloss Sorraiah sein leuchtendes, goldbraunes Augen, fühlte den warmen Atem des Sängers auf seinem Gesicht, als er sich wie im Zeitlupentempo zu ihm hinaufbeugte. "Just let me learn 'cause without your wings I feel so small, without you I'm incomplete." Er sang nicht mehr, er flüsterte nur zu Sorraiah, hatte das Headset abgestellt und sah ihm in das unendlich schöne Gesicht, von dem er sich sicher war, dass es ihn in seinen Träumen verfolgen würde. Er würde es nie und nimmer abschütteln können. Jede Nacht von jetzt an würde es dort auf ihn warten, in den dämmrigen Nebelschwaden seiner Träume, mit offenen Armen und diesem Lächeln, das so abseits aller verbalen Beschreibungen lag. Kurz überlegt er noch, dann schob er seine Hand langsam unter den Stoff und den brennend heißen Rücken hinauf, spürte die feinen Unebenheiten unter seinen vibrierenden Fingerkuppen, streichelte ihn so sachte, als könne er zerbrechen. Zaghaft beugte er sich herab und schloss nun seinerseits seine Augen, öffnete seinen Mund und hauchte die letzten Worte seines Songs auf Sorraiahs Mund, eine Zeile, die einzig und allein für die Ohren seines Kois bestimmt war. "Only the heat of your kiss can melt my chains and let me be free to get chained to you - forever." Fordernd drückte er den jungen Mann an sich, nahm tief seinen Geruch in sich auf, kam ihm noch etwas näher, pustete ihm den Hauch eines Luftzugs über den bebenden Mund, stoppte so kurz vor dem lang ersehnten Lippen, dass nicht mal mehr ein Papier dazwischen gepasst hätte und überbrückte dann die Barriere zwischen ihnen, indem er ihm hilflos und voller Hingabe den Luftweg abschnitt; als sich ihre Münder versiegelten zu einem Versprechen, so heilig wie die Lieder der Engel und doch so heiß wie die Fegefeuer der Hölle. Und noch während die beiden Liebenden in diesen alles verzehrenden Kuss versanken, während ihre Lippen sich so zart und doch so leidenschaftlich vereinten, klangen die letzten sanften Töne der leisen Melodie durch den erstarrten Saal, und als dann schließlich der letzte von ihnen erstarb, verblassten mit ihm auch die Scheinwerfer. Stille kehrte ein in die ehemals so kochende Hölle, ein lähmender Schock schien sich wie tiefer Schlaf über die Menge gelegt zu haben. Nun endlich wurde es Nacht. Dieses Mal wachte Dimi nicht schreiend nach einer halsbrecherischen Fahrt in seinem persönlichen Alptraumexpress auf, immer noch in dem Glauben, von einem dunklen, alles verschlingenden Schatten verfolgt zu werden und zu wissen, dass man ihm nicht entkommen, nicht einmal seine verdammten Beine aus dem Morast hieven konnte, in den sich der eben noch feste Boden verwandelt hatte. Keine rot glühenden Augen tanzten irre kichernd in den vielen unsichtbaren Ecken des Labyrinths in seinem Kopf, das ihn nachts regelmäßig gefangen nahm und ihm mit allzu großer Freude an seinem Leid permanent den Weg vor der Nase abschnitt um ihn schlichtweg für immer hier eingepfercht zu halten wie ein Stück Vieh, das man zum eigenen Vergnügen in einem nie enden wollenden Rhythmus die Haut aufschlitzte um zu sehen wie es blutete, nur um diesen Ausdruck purer Todessehnsucht in den verhassten Augen zu sehen, nicht einmal, sondern so oft man wollte. Stattdessen weckten ihn die ersten Strahlen der Sonne, stachen ihm in sein friedlich daliegendes Gesicht und ließen nicht davon ab ihn zu kitzeln bis er sich ergab und leicht widerwillig die silbern glänzenden Augen aufschlug. Zu seiner Verwirrung fand er sich auf den ersten Blick überhaupt nicht zurecht. Hier war nicht die harte Matratze seines eigenen Bettes, auch war er nicht von der dunkelblauen, kühlen Decke umgeben, die er sich sonst immer in den vermeintlich realen Horrorszenarien vom Leib strampelte. Einen kurzen Moment überkam ihn ein Gefühl von Panik, doch kaum, dass er erschrocken den Kopf gehoben hatte, verschwand diese Angst und die Erinnerung an die vergangene Nacht schlug nur allzu hell in ihm Alarm. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht als er auf den dunklen Haarschopf neben sich nieder sah und die tiefen Atemzüge hörte, die Sorraiah von sich gab. Fast schon schnurrte er wie eine Katze. >Wohl eher wie eine Raubkatze. <, mahnte sich der junge Sänger in seinen Gedanken als er daran dachte, was gestern noch alles passiert war und ein wissendes Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Er hätte nie gedacht, je wieder so weit mit einem anderen Menschen zu gehen, sich jemandem so hinzugeben und selbst so viel zu fordern und doch, als sich sein Mund und der des jungen Anwalts auf dem vergangenen Konzert getroffen hatten, hatte er gewusst, dass er es wagen konnte, dass es vielleicht gefährlich, aber nicht umsonst sein würde, ihm zu vertrauen und sich von ihm in das Reich der verbotenen Berührungen entführen zu lassen, das er so lange nicht mehr besucht hatte. Waren sie nicht einfach direkt von der Bühne aus der Halle raus und dann hierher zu Sorraiahs Penthousewohnung gefahren? So richtig fiel es ihm nicht mehr ein, das einzige, an was er sich noch erinnerte, waren die alles versengenden Küsse gewesen, die er selbst jetzt noch auf seinem Körper brennen spürte. Sein Blick glitt vom leicht zu Seite liegenden Gesicht zu dem schlanken und unbedeckten Oberkörper, der sich hier so schutzlos vor ihm zeigte, reichte die Decke doch nur bis zu Sorraiahs Hüften hinauf. Erneut blitzte in seinen silbernen Iriden die alte Sehnsucht nach Körpernähe auf, doch diesmal verwarf er sie, sie waren beide noch viel zu kaputt, als das er das jetzt schon wieder verlangen konnte, auch, wenn ihn die Vorstellung schon entschieden lockte. So nahm er leicht starrend seine Hand von der Brust des Anwalts, die die ganze Nacht dort gelegen hatte um ja jedem zu zeigen, dass er ihm und niemand anderem gehörte, als wollte er selbst den Mond auf Abstand halten. >Was hast du nur mit mir gemacht? < grübelte Dimi verträumt und schmiegte sich näher an den Schlafenden, stützte seinen Kopf auf seinem Ellenbogen ab und betrachtete einfach das engelsgleiche Gesicht, malte mit seinem Finger sanfte Kreise über seinen festen Bauch. Und diese flüchtigen, warmen Bewegungen waren es auch, die Sorraiah sanft aus der neblig funkelnden Traumwelt an das angenehm helle Tageslicht zurückholten. Der Schwarzhaarige blinzelte einige Male und blickte direkt in das strahlend blaue Angesicht des Morgen-... oder Mittagshimmels, der sich wie ein endloses Seidentuch über sein gläsernes Dach gespannt hatte. Der junge Anwalt seufzte zufrieden, bevor er langsam seinen Kopf wandte, gerade so weit, dass sein eines goldbraunes Auge das schönste aller Gesichter neben ihm erfassen konnte. Das silberne Blitzen, das sein eigenes Gesicht fixierte, trieb mit Peitschen aus schneeweißen Engelsfedern eine ganze Herde von wohligen Schaudern über seinen Körper, und augenblicklich legte sich ein sanfter Hauch von Rot über seine blassen Wangen. Wenn Sorraiah eine einzige Sache mit absoluter Gewissheit sagen konnte, dann, dass er gerade eben die schönste, die wundervollste und berauschendste Nacht seines ganzen Lebens verbracht hatte. "Morgen!" murmelte er, wobei seine Stimme in ein ausgiebiges Gähnen, gefolgt von einem sehr verlegenen Lächeln überging. Dimi musste selber lächeln, als er ihn sah. Noch immer spürte er das unterschwellige Kribbeln in seinem Bauch, als er sich ganz dem entwaffnenden Gold ergab. "Mittag, trifft es wohl eher, du Schlafmütze.", flüsterte er, da seine Stimme ein wenig heiser war, hatte er sie doch in der vergangenen Nacht etwas zu häufig und etwas zu lautstark gebraucht, wie ihm leicht verlegen einfiel, worauf auch ein verräterisch rotes Leuchten auf seine Wange schlich. Noch ein kurzer Blick über den entspannt daliegenden Körper und er konnte nicht mehr an sich halten und biss Sorraiah zart in die Schulter, ehe er an derselben Stelle mit nur dem Hauch einer Berührung einen Kuss platzierte. "Wie fühlt man sich denn so, wenn man den größten Musikstar des Universums verführt hat?", fragte er unschuldig grinsend und sah wieder zu ihm auf. Mit wenig Überraschung stellte er fest, dass er nicht viel Lust verspürte, aufzustehen. "Ich fühle mich... nun ja..." Gerade wollte Sorraiah zu einer Antwort ansetzen, nach den nicht existenten Worten suchen, die jenes unglaubliche, jenes schönste aller Hochgefühle beschreiben konnten, das er in den vergangenen Stunden hatte erleben dürfen - oder zumindest nach einem weltlichen Äquivalent, das diesem Traum auch nur annähernd nahe kommen konnte. Dann aber stockte er, stützte sich auf beide Ellenbogen und sah Dimi mit ernster Miene an. Das Lächeln auf seinem Gesicht war verschwunden. Seine Brust hob sich von einem tiefen Atemzug, bevor er sich mit einem gefestigten Ausdruck in dem ehemals so verträumt funkelnden Auge zu dem Sänger wandte und ihn direkt ansah. "Ich muss mit dir reden." Dimi blickte leicht verwirrt drein. "War ich etwa so schlecht?", fragte er gespielt naiv, aber als er merkte, dass der Scherz nicht gut ankam, schluckte er einmal und machte selbst ein ernstes Gesicht. Was war los? Was wollte der Anwalt denn jetzt bereden? - eine Angst stieg plötzlich in ihm hoch. Konnte es sein? Hatte man ihn doch nur wieder benutzt? Er wollte nicht glauben, dass Sorraiah das alles nur aus Rache oder Berechnung getan hatte. Vielleicht um ihn für seine Abnormalität zu bestrafen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass die ganzen Gefühle nicht echt sein sollten, die er in dem strahlenden Auge hatte lesen können. >Bitte nicht<. Er stützte sich fester auf seinem linken Ellenbogen ab und erwiderte seinen Blick so intensiv er konnte. "Schieß los." Sorraiah konnte dem Blick nicht mehr länger Stand halten, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit senkte er seinen Kopf wieder, beschämt, beinahe so wie ein kleines Kind, das vor seinen wütenden Eltern steht. "Es ist... wegen... wegen Dufréne." Bei dem letzten Wort veränderte sich die Stimme des jungen Anwaltes ganz kurz und schien eine tiefrote Spur blanken Hasses auf dem Laken zu hinterlassen. "Es tut mir leid, aber... ich muss wissen, was du mit ihm... was er mit dir gemacht hat!!!" Dimi sackte kurz das Herz in die Hose. Wie kam denn Sorraiah jetzt plötzlich auf den Franzosen zu sprechen? Wieso plötzlich? Und vor allem, woher wusste er, dass Dufréne und er...? Hustend blickte er weg und setzte sich auf, fuhr sich durch sein schwarzblaues Haar, dass es ihm wirr in die Stirn fiel, als wolle es sein Gesicht verbergen, als wolle die Wahrheit verstecken. Tief in ihm wollte er es nicht sagen, wollte es nicht zugeben, wusste er doch nicht mal, was wirklich passiert war, doch.....er wollte Sorraiah nicht verlieren. Es war paradox, es war unvernünftig, aber, wenn der Anwalt das wissen wollte, würde Dimi es ihm sagen. Koste es was es wolle. "Du wirst lachen, aber das weiß ich selbst nicht so genau. Ich meine, ich war bei ihm in seinem Büro und dann, wie kann ich mir nicht erklären, aber er muss mir Drogen oder etwas Derartiges gegeben haben......und dann..........hat er mich.....ich hab mit.....ihm...dass heißt, ich weiß nicht, ob ich wirklich mit ihm.....na ja.......ich hab nen Filmriss. Ich war zwar mit ihm im Bett, aber ob wir richtig miteinander.........das weiß ich nicht........aber woher weißt du das überhaupt?" Er wagte es nicht, sich umzudrehen, sondern wandte ihm weiter den Rücken zu, obwohl er allmählich ein wenig fror. "Ist doch egal, woher ich es weiß!" Sorraiahs Blick ruhte starr auf seinen Händen, die sich um sein hellblau glänzendes Bettlagen geschlossen hatten, die ab und an von einem unterdrückten Zittern durchlaufen wurden. "Ich kenne Dufréne schon länger, und ich kann nicht unbedingt sagen, dass wir die besten Freunde sind. Ich weiß, warum er das... das getan hat, und ich habe auch so eine Ahnung... ich meine... manchen Menschen sieht man nicht an, was für Fähigkeiten hinter... hinter ihrem beschränkten Aussehen lauern, aber..." Für einen Moment glaubte Sorraiah, auf der Stelle erfrieren zu müssen. Der Himmel, das Bettlaken, alles hatte sich in ein Meer aus Eis verwandelt, das seinen Körper erstarren ließ, den Atem in seinen Lungen zum Schmerzen und seine Augen zum Brennen brachte. Er musste etliche Male tief und qualvoll durchatmen, bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte. "Warum bist du zu ihm gegangen?!?" Dimi musste mit sich kämpfen, als er das Zittern in Sorraiahs Stimme hörte. Alles in ihm schrie danach ihn zu umarmen, ihm Wärme zu spenden, seine Nähe zu suchen, doch er blieb stumm sitzen, umschlang seine angewinkelten Knie und starrte an die gegenüberliegende Wand, die ihn klagend zurück anstarrte. "Weil.......", er stutzte. Warum war er dorthin gegangen? Als es ihm wieder einfiel, wurde seine Verwirrung nur noch größer. Er war zu Dufréne gegangen, weil Sorraiah ihn als seinen Fall abgegeben hatte, warum also sollte er ihn genau danach fragen? Er müsste es doch wissen. Wut stieg in ihm auf. Wurde er etwa doch nur verarscht? Wurde er zum Narren gehalten? "Du müsstest das doch eigentlich wissen, oder informiert man dich neuerdings nicht mehr, wenn du einen Fall abgibst, aus unerklärlichen Gründen, und INFERIA mir einen neuen Verteidiger zustellen muss?", fragte er und seine Stimme klang vorwurfsvoller als beabsichtigt. "So war es doch. Mein Manager hat es mir erzählt! Du hast mich einfach weggegeben, weitergereicht, einfach so, ohne Grund. Deswegen war ich bei diesem widerlichen Kerl......", zischte er sauer und drehte sich doch um. In seinen silbernen Augen lag ein dunkles Lauern, das einem Tiger glich, kurz bevor er zum tödlichen Sprung ansetzte. "Für wie dämlich hältst du mich denn? War das vielleicht ein Spiel zwischen euch? Du und Dufréne? Wer kann es mir besser besorgen, oder was?" Wutentbrannt fing er an, seine Füße aus dem Deckenwirrwarr zu befreien und wollte aus dem Bett entfliehen. Er konnte es nicht länger ertragen, hatte er es doch die ganze Zeit gewusst. Wie war er nur dem Irrglauben verfallen, dass der Anwalt etwas für ihn empfinden konnte. Wie nur? "Was redest du da eigentlich für einen... einen kompletten Schwachsinn?!?" Nur mit einiger Mühe gelang es Sorraiah, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Die Worte des Sängers hatten ihn wie Faustschläge, nein, mehr noch wie die tödlichen Schüsse einer vergifteten Waffe durchbohrt, und selten konnte sich der junge Anwalt daran erinnern, derartigen Schmerz gefühlt zu haben. Seine Augen begannen zu brennen und das Bild von Sorraiahs Umgebung legte sich ein trüber, unscharfer Film. Dennoch zwang er sich zu ruhigen, zu eindringlichen Worten, wie er sie sonst Tag für Tag mühelos über die Lippen brachte und so jede noch so große Lüge selbst den unbestechlichsten Richtern als selbstverständliche Wahrheit verkaufte. "Ich habe also den Fall abgegeben? Ich?!?" Mit einem einzigen Ruck setzte sich der Schwarzhaarige auf. "Wer hat sich denn aus... aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen einen anderen Anwalt gesucht? Jetzt sag nicht, dass hat dein Management einfach so über deinen Kopf hinweg entschieden! Und überhaupt... ich habe es ja wohl nicht nötig, gleich mit jedem billigen Rechtsverdreher in die Kiste zu springen, wenn's mit dem einen vielleicht mal nicht so klappt wie erhofft! Was... was hast du für ein Recht, dich jetzt so aufzuregen?!?" Sorraiah merkte, wie seine Stimme sich mehr und mehr überschlug, wie ihm seine Worte entglitten und sich zu Dingen formten, die er so fest in sich eingeschlossen hatte, dass er sie fast schon wieder vergessen hatte. Nun hingegen schien jene flüchtige, sinnlose Emotion zu verblassen, die er so leichtfertig mit dem Wort "Glück" betitelt hatte, und die doch eigentlich nur eine weitere Lüge war, wie sie sich Stein an Stein, dicht aneinander gedrängt zu einem engen Pflasterweg durch sein ganzes Leben erstreckten. Jetzt hatte er genug. Dimi hielt mitten in der Bewegung inne. Er wusste nicht, ob er jetzt vor Wut oder vor Verblüffung so versteinert war, aber beides schien ihn komplett zu erfüllen. Seine silbernen Augen wurden zu festen und alles zerstörenden Polen aus Eis, sie selbst die mächtigsten Eisbrecher zerquetschen konnten wie billige Papierschiffe. "Wag es hier jetzt nicht auch noch mir direkt ins Gesicht zu lügen!! Mein Management hat rein gar nichts entschieden!! Der Einzige, der irgendwas entschieden hat, warst du, als du meinen Fall ad acta gelegt hast, als wäre ich dir scheißegal!! Also komm mir jetzt nicht auf die Tour......und........", er zitterte, nicht vor Kälte, sondern vor Zorn."......und wage es ja nie wieder, mir an den Kopf zu schmeißen, ich würde mit jedem billigen Rechtsverdreher in die Kiste steigen, hast du das verstanden?!" Seine Stimme klang ruhig und fast leise, doch umso drohender kam sie aus seinem Mund. Ein leichtes Brennen machte sich in seinen Augen breit und eine Träne löste sich einfach, ohne, dass sie die hasserfüllte Maske zerstören konnte. "Ich hatte nicht vor, mit diesem Ekelpaket ins Bett zu gehen, wenn du so hören willst, hat er mich vergewaltigt, es gegen meinen Willen getan, und es hat mir bestimmt nicht gefallen......." >Im Gegensatz zu der Nacht mir dir. <, dachte er verbittert und wandte den Blick wieder ab. "Wag es nie wieder." flüsterte er noch, ehe er den Kopf abwandte, um Sorraiah nicht auch noch die folgenden Tränen zu zeigen, die vor lauter Wut und Scham über seine Wangen rannen. Nicht mal ein Schluchzen war zu hören, lediglich ein leichtes Erschaudern durchlief seinen Körper. Sorraiah starrte den Sänger mit weit aufgerissenen Augen an, während sich in seinem Kopf eine merkwürdige Leere ausbreitete, ein rasendes, konturloses Chaos, das ihm für einen Augenblick lang schwindelig werden ließ. "Dimi, ich... warum sagst du das?" Und nun, da er die einzelne stumme Träne auf dem bleichen Gesicht des Sängers erblickt hatte, konnte er ein leises Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Was hatte das alles zu bedeuten? Aus irgendeinem Grund war Sorraiah sich vollkommen und unumstößlich sicher, dass Dimi ihn nicht angelogen hatte... ihn nicht angelogen haben konnte... aber wieso hatte Haddock ihm dann gesagt... Nein! Sorraiah schüttelte heftig den Kopf. Was dachte er denn da? Haddock konnte ihn doch einfach nicht belogen haben! Das war schlicht und einfach nicht möglich! Er hatte doch mit eigenen Augen gesehen, wie zerknirschte sein Vorgesetzter über den Verlust dieses Falles gewesen war, und außerdem würde Haddock ihn doch niemals einfach... aber konnte ein Missverständnis wirklich so weit gehen? Langsam, wie in Trance erhob er sich von seinem Bett und trat auf den Sänger zu, der ihm immer noch den Rücken zugewandt hatte. "Dimi, bitte... ist das... ist das wirklich wahr, was du... da sagst?" Er zuckte zusammen, als er Sorraiahs Wärme hinter sich spürte, fast so, als habe er erwartet, er würde ihn schlagen. Die Tränen wischte er schnell weg und wie er zufrieden feststellte, war ihr Fluss bereits versiegt. Er hob seinen Kopf und sah wieder nur stumpf die Wand an. Warum spielte ihm der Anwalt so dermaßen etwas vor? Er konnte es sich einfach nicht erklären! Aber, was, wenn er ihm gar nichts vorspielte? Was, wenn die Verwirrung echt war, wenn er wirklich vor Unsicherheit zitterte, wenn er all das, was er ihm während der letzten Nacht gesagt hatte, mehr durch seine Berührungen als durch Worte, der Wahrheit entsprachen? Hoffnung keimte in Dimi auf wie eine schwarze Rose, die aus einem Diestelgestrüpp heraus wächst. "Natürlich ist das wahr.....warum sollte ich dich anlügen? Lügen fällt jawohl eher in dein Berufsgebiet, oder etwa nicht?"...... Er fühlte sich seltsam schutzlos, stand er doch völlig ohne Kleidung am Leib in einem fremden Zimmer vor einem Mann, dem er sich vor ein paar Stunden so weit geöffnet hatte, wie noch nie jemandem zuvor. "Das ist nicht fair, Dimi!" Sorraiah biss sich fest auf die Lippe, um nicht endgültig die Kontrolle zu verlieren. Was geschah nur mit ihm? Was war das für ein Gefühl, das ihn langsam von innen nach außen zu zerreißen schien? Warum schmerzte es so sehr, Dimi anzusehen... nein, ihn nicht ansehen zu können, nur diesen kalten, abweisenden Rücken wie eine unüberwindliche Mauer vor sich haben zu müssen? Der junge Anwalt schluckte und trat zögerlich noch einen Schritt auf den schwarzhaarigen Sänger zu. "Warum sagst du das? Wann hab ich dich angelogen? Du... das hier ist doch nicht mein Beruf!!!" Unendlich langsam und zögerlich, den Kopf immer noch gesenkt, streckte Sorraiah eine seiner zittrigen Hände aus und platzierte sie auf Dimis Rücken. Erneut durchzuckte es den Sänger wie ein Blitz, der sich so tief in sein Innerstes fraß, dass es unerträglich war - und doch so erleichternd. Fast gegen seinen Willen lehnte er sich leicht nach hinten, genoss den Druck, der ihm Sicherheit vermittelte, das Gefühl, dass Sorraiah ihn auffangen würde, wann immer er fallen würde. "Sorraiah? Kann ich das fragen? Ich will dir nur diese Frage stellen und danach gehe ich wieder, wenn du willst und du musst mich nie wieder ertragen." Er wusste, er würde sich diesen Fehler nie verzeihen, diesen Mann zu verlassen, aber er wusste auch, dass sein Stolz eine der größten Mächte in ihm war, wenn nicht die größte. "Wenn ich nicht ich wäre und du nicht du, wenn wir uns vorher nicht getroffen hätten und all das nie passiert wäre, hättest du dann trotzdem mit mir geschlafen? ......und warum hättest du es dann getan?" Für einen Moment begriff Sorraiah nicht ganz, warum Dimi ausgerechnet diese Frage stellte, und dennoch antwortete er so schnell und spontan, dass es ihn selbst am meisten überraschte: "Natürlich!!!" Noch während er das Wort aussprach, schoss erneut ein tiefes Rot in seine Wangen, doch das war Sorraiah ebenso egal wie die vereinzelten Tränen, die dann und wann über sein Gesicht liefen. "Ich... ich weiß doch selber nicht, warum. Glaubst du echt, ein Staranwalt wie ich hat es nötig, sich seine Bekanntschaften nach dem Starfaktor auszusuchen? Ich..." Genau an diesem Punkt fehlten dem jungen Anwalt die Worte - ein Gefühl, das er normalerweise schlicht und einfach nicht kannte und das ihn nun umso mehr überwältigte. Doch anstatt noch weiter vergeblich um die richtige Antwort zu ringen, machte Sorraiah einen letzten Schritt nach vorne, schlang seine Arme um Dimis Hüften und presste sein Gesicht fest an dessen bloße Haut. "Ich will doch gar nicht, dass du weggehst!" Dimi konnte nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen stahl. Er seufzte erleichtert und legte seine Hände auf die von Sorraiah, umfasste sie, drehte sich um und sah dem jungen Anwalt in sein tränendurchzechtes Auge. Immer noch lächelte er, etwas, dass er erst durch diesen Menschen wieder erlernt hatte, der vor ihm stand. "Dann bleibe ich bei dir.", hauchte er und strich ihm die nasse Spur der Tränen weg; schob sein Kinn etwas nach oben und setzte seine Lippen behutsam auf des Kleineren, um sie den Rest sagen zu lassen, den er in Worten nicht beschreiben konnte. Noch im gleichen Augenblick wusste Sorraiah, dass alles gut werden würde, dass alles andere unwichtig war und dass er Dimi nie, niemals wieder gehen lassen würde. Seine Hände legten sich fest um den Rücken des Größeren, suchten nach einem Halt in der lebendigen Leere und gaben ihm ein Gefühl von Geborgenheit, wie er es bei keinem anderen Menschen zuvor gefühlt hatte. Während diesem Kuss vergaß der junge Anwalt alles, er vergaß, dass der Planet sich unaufhörlich drehte, dass draußen in den Straßen das Leben pulsierte, bereit, jeden Augenblick überzukochen. Aber vor allem vergaß er jene eine, quälende Frage, die tief in seinem Inneren lauerte, wartete auf unglücklichere Zeiten, nur um dann umso schmerzhafter wieder hervorzubrechen: Warum hatte Haddock ihn angelogen? Fortsetzung folgt!!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)