Spirit of Silence von YourBucky ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Spirit of Silence III Dieses Kapitel ist etwas ganz, ganz besonderes... Wie ihr sehen werdet, treffen sich unsere Charaktere das erste Mal, soll heißen: dieses Kapitel haben wir wirklich zusammen geschrieben. Ja, dafür haben wir jetzt ein RPG aufgemacht! Es ist einfach toll, zu schreiben und nie zu wissen, was der andere als nächstes tun wird, und ich bin wahnsinnig stolz auf das Ergebnis. ^_^ Ich hoffe, es gefällt euch auch! Achso, und jeder, der sagen kann, wer von uns was geschrieben hat, bekommt einen Preis!!! Viel Spaß beim Lesen und 1000000 Grüße an den besten Co-Autor seit Anbeginn der Zeiten! Dimi wanderte ein wenig hilflos durch die vielen gläsernen Gänge des hohen Turms und suchte mit leichter Panik nach dem Büro seines zukünftigen Anwalts. Warum mussten auch außer ihm noch dreitausend andere Leute ihr Büro hier haben? Leicht sauer ging er um eine Ecke und begutachtete dabei kurz sein eigenes Spiegelbild. Da war er wieder. Dimi, der Superstar. Enge, dunkle Jeans, ein schwarzes Shirt mit seinem Logo drauf und ein lange silberne Kette mit einem Pentagramm als Anhänger. Seine Fans würden ihn vergöttern. Verächtlich stieß er die Luft zwischen seinen Zähnen aus und blieb dann abrupt vor einer dunklen Tür stehen. Prüfend überflog er den Namen und atmete dann kurz ein und wieder aus, ehe er etwas zu energisch anklopfte. Sorraiah fuhr unwillkürlich zusammen, als er das Klopfen an der Türe hörte. Sein Herz begann spontan, mit doppelter Geschwindigkeit zu schlagen, seine Handflächen klebten auf der kalten Metalloberfläche seines Schreibtisches. Er holte tief Luft, strich sich die Haare zurecht, setzte noch ein paar letzte Griffe an Hemd und Krawatte an und drehte sich dann mit betont lässigen Bewegungen um. "Ja, wer ist da?" Etwas unentschlossen umkreiste Dimi den Türknauf mit seinem Daumen, streichelte ihn wie um ihn zu beruhigen, ehe er seinen Kopf schüttelte, sich durch die dunkelblauen Haare fuhr und energisch die Tür aufmachte. "Guten Abend! Ich bim Dimi Aino. Wir hatten für heute eine Verabredung, oder hat ihnen mein Manager nichts erzählt?" "Verabredung?" Der junge Anwalt legte sein ehrlichstes Lächeln auf, ein Lächeln, das augenblicklich wie ein Flutlichtscheinwerfer eine Welle von Vertrauen in das Dunkel der Nacht schickte. Sorraiah wusste, wie er einem Klienten begegnen musste, und auch wenn ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief, war jede kleinste Geste, jedes Detail seiner Mimik so perfekt wie bei jedem anderen Mandanten auch. "Aber natürlich! Darf ich mich vorstellen? Ich bin Sorraiah Masayume, ihr Anwalt!" Er unterdrückte das leichte Zittern in seinen Fingern und streckte dem Neuankömmling die Hand hin. Dimi fühlte sich sofort unwohl. Er wusste nicht wieso, aber er hatte irgendwie das ungute Gefühl, ausgeliefert zu sein, als säße er an einem großen dunklen Tisch und spielte Poker. Nur das jeder seine Karten sehen konnte, während die der anderen alle verdeckt waren. Erneut warf er die Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln weg und trat unsicher auf den jungen Mann vor ihm zu und erwiderte die Begrüßungsgeste. "Freit mich, Sie kennen zu lernen, Herr Masayume!" Sorraiah drückte die Hand genau so fest, um Sicherheit zu vermitteln, ohne seinem zukünftigen Geldgeber die Finger zu zerdrücken, und wies ihn dann auf einen recht großen und unheimlich bequem aussehenden Lederstuhl hin. Er selber ging um den Schreibtisch herum, lehnte sich an die deckenhohe Fensterscheibe und musterte Dimi mit seinem durch und durch offenen, vertrauenswürdigen Lächeln. "Nun, dann erzählen sie mir doch erstmal von ihrem Problem!" Dimi wunderte sich, wie warm die Hände des Anwalts waren. Fast hätte sich daraufhin ein winziges Lächeln auf seine leicht bläulichen Lippen gestohlen. Doch es kam nicht dazu, dazu war es schon seit Ewigkeiten nicht mehr gekommen und, so glaubte der junge Mann, der sich mit einer geschmeidigen Bewegung in den ihm dargebotenen Sessel niederließ, würde es auch nie weder geschehen. Sein Lächeln war eingefroren, für immer. "Hat man Ihnen den Fall denn noch nicht geschildert?" Er schlug ein Bein übers andere und stützte seinen schweren Kopf auf der rechten Faust ab, musterte den nur noch schemenhaft erkennbaren Mann mit einem argwöhnischen Blick. Warum hatte er sich nicht erschreckt, als sie sich die Hand gegeben hatten? Er musste doch gefühlt haben, wie eiskalt die des Sängers gewesen war. Sorraiah ließ sich langsam, ohne den Blick von dem Gesicht seines Klienten zu nehmen, auf seinen eigenen, pechschwarzen Lederstuhl niedergleiten. Er strich mit einem Finger unablässig über die Linien seiner Hand, an denen immer noch ein Hauch von Kälte haften zu schien. "Sicher. Aber ich möchte alles aus ihrer Sicht hören. Wie hat sich alles ereignet? Und die zentrale Frage..." Er beugte sich ein Stück weit vor. Sein goldbraunes Auge fixierte genau den Blick seines Gegenübers. "Warum hat es sich alles so ereignet?" Dimi brach den Augenkontakt nicht ab, im Gegenteil, er fixierte das goldene Glitzern des für ihn sichtbaren Auges genauso fesselnd, wie der ihn fixierte. Er hatte selten so schöne Augen gesehen. "Nun, okay, wenn sie es aus meiner Perspektive hören wollen. Bitte. Aber ich rede nicht sehr gern darüber, also erwarten Sie keine Details." Er seufzte etwas und hielt sich die Stirn, senkte den Kopf kurz und spürte, wie ihm ein paar Haarsträhnen ins Gesicht fielen. /Warum muss man mich immer wieder damit konfrontieren? Warum lassen sie mich nicht einfach in Ruhe, verdammt?/ Als er wieder aufsah, war seine Haut sehr blass, auch wenn man sie so oder so als schneeweiß bezeichnen konnte. "Alles fing an, als mir mein Manager mitteilte, dass ich ein Privatkonzert geben sollte. Irgendein berühmter Moderator aus dem Fernsehen oder so hatte eine kleine Feier geplant, weil seine neue Show so ein Erfolg war. Es waren ungefähr hundert Leute da und ich sollte für etwas Unterhaltung sorgen." Kurz bekam er keine Luft mehr, als er sich an die stickige Luft erinnerte, an den Geruch nach Qualm Schweiß und Cocktails...und an dieses fiese und dreckige Grinsen in dem Meer aus Gesichtern unter ihm. Er hustete und zitterte etwas, fing sich aber wieder und schloss seine Augen um wieder klar denken zu können. Sorraiah war jedoch schon hastig aufgestanden und lief nun um den Schreibtisch herum, auf dessen Oberfläche sich das kalte Licht der Sterne mit den tausend erhellten Fenstern und Neonreklamen der schlaflosen Stadt mischte. Der junge Anwalt ließ sich auf einem zweiten Besucherstuhl nieder und legte Dimi eilig eine Hand auf die Schulter. Spontan lief ein erneuter Schauer über seinen Körper, und für den Bruchteil einer Sekunde fiel die lächelnde Maske von Sorraiahs bleichem Gesicht. Was war das für ein Gefühl, das ihn seit dem Konzert verfolgte? Warum ließ es ihn in seinem gut temperierten Büro frieren? Er holte tief Luft, um seinen Atem zu beruhigen und setzte eine hilfsbereit-besorgte Miene auf. "Geht es ihnen nicht gut?" fragte er in einem Tonfall, der es beinahe unmöglich machte, nicht Augenblicklich sein Vertrauen an den Schwarzhaarigen auszuliefern. "Lassen sie sich Zeit..." "Nein, nein, es geht schon...Ich habe mich nur verschluckt. Passiert mir öfters. Ich bin wohl die Luft hier nicht so gewöhnt.", entgegnete Dimi und schenkte seinem Gegenüber ein beruhigendes Lächeln, ohne es zu merken. Erst danach riss er etwas schockiert die Augen auf und stockte innerlich. /Ich habe gerade wirklich gelächelt? ...das...das kann nicht sein. Ich kann doch gar nicht lächeln!/ Anscheinend konnte er es doch, denn er hatte es ja gerade mehr als deutlich bewiesen. Das Gesicht des Anwalts klarte sich im Nu auf und er nahm seine Hand wieder von Dimis Schulter, deren Druck ihm irgendwie ein leichtes Gefühl von Sicherheit gegeben hatte. "Also, wo war ich? ...Genau. Ich sollte dort also ein paar Lieder spielen, vielleicht noch kurz auf einen Drink dableiben und mich mit ein paar Kindern fotografieren lassen und dann wieder abschwirren. Aber mir ist da blöderweise etwas zwischen gekommen. Es war beim dritten Lied, glaube ich ...Es war "I would die for you". Kennen Sie das? ...Ach, was frag ich sie überhaupt, das ist doch total unwichtig, außerdem glaube ich kaum, dass sie sich meine Musik anhören, immerhin haben Sie mich ja vorhin nicht mal erkannt." Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und senkte entschuldigend den Blick. "Wahrscheinlich ist mir der ganze Ruhm schon etwas zu Kopf gestiegen. Wie dem auch sei, ich sang also gerade meinen dritten Song und auf einmal fängt eine junge Frau mitten im Publikum an zu schreien. Sofort sind alle auseinander gefahren und man konnte sehen, dass ein etwas älterer Mann scheinbar bewusstlos am Boden lag. Die Frau kniete neben ihm und rüttelte an seinem Hemdkragen und schrie wie am Spieß. Irgendwer hat dann den Arzt gerufen und der konnte nur noch feststellen, dass der Typ hinüber war, oder, um es korrekter auszudrücken, er hatte den Löffel abgegeben. Bei einer Obduktion wurde dann festgestellt, dass er an einer Blutung in seinem Gehirn gestorben ist. Irgendeine Ader ist geplatzt und - Bum! - schon konnten sich alle Sargfabrikanten die Hände reiben. Da die Ader aber nur dann platzen konnte, wenn sie einem sehr starken Druck ausgesetzt wird, nahm der Arzt an, dass die Musik oder besser gesagt, die Boxen zu laut waren und die Schallwellen dann zu der inneren Blutung geführt hätten. Deswegen hat mich die Frau von dem Kerl jetzt wegen Mordes oder absichtlicher Körperverletzung oder so angezeigt. Ich kenne mich mit dem ganzen Justizvokabular nicht sonderlich gut aus, aber dafür habe ich ja Sie, nicht wahr, Herr Masayume?" "Genau!" Auf Sorraiahs Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. "Und zum Ersten: Natürlich kenne ich sie. Ich war ebenfalls auf dem Konzert und es war... es war..." Er suchte für einen Moment nach den passenden Worten. "Es war schlicht und einfach grandios! Nun, ich bin zwar Anwalt, aber auch nur ein Mensch, und selbst ich kenne mich ein wenig in der Musikszene aus!" Nur für eine einzige Sekunde lang schien sich etwas an dem Lächeln des jungen Anwalts zu verändern. Wie ein kurzer Funke legte sich plötzlich eine Wärme auf seine schönen Gesichtszüge, und erst jetzt fiel überhaupt auf, dass diese Wärme jemals gefehlt hatte. Doch schon im nächsten Augenblick war sein mühevoll antrainiertes Berufslächeln zurückgekehrt und er machte sich an einigen Akten zu schaffen. "Hmm... mich wundert das... es muss doch ein konkreter Verdacht auf Mord bestehen... kannten sie den Toten etwa? Oder die Frau?" Dimi wusste nicht, welches Gefühl heftiger war. Die Verlegenheit, die er gespürt hatte, als der Anwalt ihn als "grandios" bezeichnet hatte, das leichte Glücksgefühl bei dem darauf folgenden Lächeln des jungen Mannes oder die Furcht und der Zorn, der sich jetzt in seiner Kehle sammelte. Und ob er dieses Schwein kannte! Gekonnt lenkte der die Wut durch seine zu geballten Fäusten verkrampften Hände in das Leder des Stuhls ab und räusperte sich etwas. "Sie finden mich also grandios? Nun.......danke, so hat mich noch nie jemand genannt. Und..." /Hoffentlich merkt er nicht, dass ich ihn anlüge./ "...den Mann kannte ich nicht. Er war zwar auch Manager von Musikern und hatte sogar seine eigene Plattenfirma. G&B-Musiks, wenn ich mich recht entsinne." Wieder diese elende Wut, dieser Hass und gleichzeitig die Angst und die Schmerzen. "Aber persönlich kannte ich weder ihn noch die Frau." Sorraiah legte den Kopf schräg und sah Dimi so prüfend an, als könnte er in seinem Kopf, in jeder einzelnen Emotion von ihm so lesen wie in einem offenen Buch. Dann jedoch nickte er, strich sich mit der Hand durch sein pechschwarzes Haar und lächelte zufrieden. "Eine leichte Übung!" Der junge Anwalt zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich ein Racheakt, sagen wir, weil die Firma weniger erfolgreich war und sie als Star mal ein Angebot abgelehnt haben und bla bla bla... kein Problem. Ich besorge die nötigen Entlastungszeugen und sie... oder gibt es schon irgendwelche Zeugen in dem Fall?" Mit einem Mal schien ein Schatten über Sorraiahs Lächeln zu huschen. "Vielleicht sogar... belastende Aussagen? Und meinen sie... die Frau... könnte gefährlich werden?" "Wissen Sie, um die Frau mache ich mir keine so großen Gedanken. Wie schon gesagt, ich kenne sie nicht und daher kann sie mich auch wohl kaum belasten, aber es gibt da zwei Leute, die mich in der Tat belasten könnten." Dimi stand auf und ging leicht träumend durch das Büro, rieb seinen linken Arm, als sei ihm irgendwie kalt und schaute sich interessiert die Einrichtung an. "Zeugen gibt es eigentlich keine. Die meisten haben nicht auf ihn geachtet, sondern getanzt oder geredet. Nur die Frau hat wohl mitbekommen wie er zusammen gebrochen ist. Allerdings kennt diese Frau zwei Männer, oder besser gesagt, der Tote kannte sie und die beiden behaupten, mich von früher zu kennen. Sie sagen sogar, dass ich früher mal bei G&B-Musiks gearbeitet hätte und den Verstorbenen kannte. Das Schlimme ist, dass laut ihren Aussagen, ich irgendwann einen heftigen Streit mit ihm hatte und dann gegangen bin und jetzt wollen sie das ganze als Rache darstellen, auch wenn das ziemlich bescheuert klingt, finden Sie nicht? Ein Mord, ausgeübt mit ein paar elektronischen Beats, das ist doch lächerlich. Aber mein Manager hat Angst, dass der Richter das vielleicht anders sieht." Er warf einen fragenden und leicht Hilfe suchenden Blick zu dem Anwalt hinüber, fasste sich dann wieder und lehnte sich etwas verschüchtert an die Wand, fuhr mit den Fingerspitzen behutsam über die Unebenheiten der Tapete. Sorraiah ließ seinen Blick hinaus auf das glitzernde Häusermeer der Stadt gleiten. Der Anblick beruhigte ihn, gleichzeitig ließ er ein Gefühl von Scham in dem Schwarzhaarigen hochsteigen. Seit wann ließ er sich von irgendwelchen anderen Menschen nervös machen? Immerhin lag das gesamte Schicksal seines Klienten in seinen Händen. Sicher, die letzte Entscheidung lag beim Richter, aber es war seine Aufgabe, dieses Risiko auf ein Mindestmaß zu senken. "Nun, ich kann nicht wissen, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht, aber offen gestanden macht das auch nicht den geringsten Unterschied. Könnten sie mir bitte Namen und Aufenthaltsort dieser Männer mitteilen? Oder zumindest eines von beiden? Und den Namen es Arztes, der den Toten untersucht hat!" In Sorraiahs Augen trat ein beinahe kindlich wirkendes Funkeln, während er hastig einen Zettel unter dem Gebirge aus Schreibtischunterlagen hervorkramte. Dann zog er einen Stift aus seiner Tasche hervor und sah Dimi erwartungsvoll an. Der junge Sänger erwachte wie aus einem Traum und blickte erst etwas verwirrt in den Raum, erinnerte dich dann wohl wieder, wo und weshalb er hier war und drückte sich dann von der Wand ab, ging zum Schreibtisch und hob sein rechtes Bein so weit an, dass er es ohne Probleme ausgestreckt auf den Rand des dunklen Holzvierecks parallel zur Längsseite des Tisches legen konnte. Dann erwiderte er den Blickkontakt und überlegte etwas. "Der Arzt hieß Dr. Charité, das weiß ich noch und er hat keine feste Praxis, sondern einen Krankengleiter. Die beiden Männer kommen, so sagte mir Godjira - mein Manager - aus Sysex City auf dem Uranus. Namentlich kenne ich nur einen. Er heißt Dorian Watergate und ist ebenfalls Musikproduzent. Den anderen kenne ich nicht." Er machte eine kurze Pause, schaute seinem Gegenüber tief in die Augen und beugte sich so weit vor, dass man meinen müsste, sein Hüftgelenk würde zerspringen. "Sagen Sie, Herr Masayume. Glauben Sie, dass ich unschuldig bin oder sagen sie das nur, weil ich Ihnen als Klient zugeteilt worden bin? ...und lassen die Tatsache, dass ich ein "Star" bin, dabei mal völlig außer Acht." Für einen Augenblick hatte Sorraiah das Gefühl, unter diesem Blick den Boden unter den Füßen zu verlieren und in ein tiefes, wirbelndes Loch zu stürzen. Er suchte unweigerlich an der Lehne seines Stuhles Halt, und während sein Herzschlag das Blut mit doppelter Geschwindigkeit durch seinen Körper jagte, blieb sein Gesicht so ungerührt und undurchschaubar wir eh und je. "Nun, Herr Aino, ich will ehrlich zu ihnen sein. Es ist mir vollkommen egal, ob sie schuldig sind oder nicht. Es geht vor Gericht einzig und allein um die besseren Argumente, und glauben sie mir, ich bekomme sie da raus. Spielen sie einfach mit, in Ordnung? Wenn der Arzt zu ihren Gunsten aussagt, oder Zeugen auftreten, die sie nie zuvor gesehen haben... spielen sie mit. Dafür schenke ich ihnen die Freiheit. Ist das in Ordnung so?" "Wenn ich ehrlich sein soll, ist das für mich nicht in Ordnung." Er nahm sein Bein wieder vom Tisch und ging ein paar Schritte auf die Tür zu, ehe er sich nochmals umdrehte und seine Hände in die Hosentaschen seiner dunklen Jeans steckte. "Ich habe nichts dagegen, wie Sie Ihren Job machen, Herr Masayume, aber ich bin nicht daran interessiert zu gewinnen, weil ich die Besseren Argumente habe, sondern schlicht und ergreifend, weil ich im Recht bin und nichts getan habe, verstehen Sie. Ich weiß, dass das in der heutigen Zeit abgedroschen und naiv klingt, aber ich denke so und wenn Sie nicht hundertprozentig von meiner Unschuld überzeugt sind, tut es mir leid, Ihre wertvolle Zeit in Anspruch genommen zu haben. Ich danke Ihnen für Ihre Mühen, aber ich denke, ich werde mir doch einen anderen Anwalt nehmen. Einen schönen Abend noch." Er winkte freundlich und schlenderte zur Tür, öffnete sie und war schon mit einem Bein im Flur, als er plötzlich mit einem derart heftigen Ruck in das Zimmer zurückgerissen wurde, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren und Bekanntschaft mit dem dunkelroten Teppichboden gemacht hätte. Noch ehe er ganz begreifen konnte, was überhaupt vor sich gegangen war, hatte sich schon eine kleine Gestalt in einem schwarzen Anzug zwischen ihn und die Türe gestellt. "Ich habe nie behauptet, dass ich ihnen nicht glaube!" Sorraiahs Brust hob und senkte sich schneller als zuvor. Er wusste selber nicht, was ihn zu der ganz und gar wahnwitzigen Aktion verleitet hatte, und er sah im Geiste schon das zornesrote Gesicht seines Chefs vor sich, während er - wenigstens sicher vor den Ausbrüchen seines Vorgesetzten - auf der Angeklagtenbank in dem großen Gerichtssaal saß und sich selbst in einem Prozess wegen Nötigung verteidigen musste. Und trotzdem hatte er mit einem Mal das Gefühl, den Sänger nicht einfach wieder gehen lassen zu dürfen. Er wusste, dass er ihm helfen musste. "Ich glaube ihnen, ja! Aber sie müssen mir auch vertrauen, hören sie???" Dimi war so überrascht, dass es etwas dauerte bis er begriff, was soeben geschehen war. Ungläubig starrte er den Anwalt an, der jetzt mit einem leicht erröteten Gesicht, einer sich heftig hebenden und senkenden Brust und einem starken Glanz in den goldenen Augen vor ihm stand und ihm die Tür versperrte. "Herr Masayume, was ist denn in Sie gefahren?", fragte er noch immer kaum fähig zu denken und strich sich durch die blauen Haare, spürte wie sich etwas Schweiß in sie gemischt hatte. Und dann, in einem kaum vorhandenen Moment, sah der junge Sänger dieses stumme Flehen, zumindest glaubte er, es zu sehen. Ein unausgesprochenes Bitten, dass er nicht ging, dass er nicht durch diese Tür wieder in die Dunkelheit verschwand. /Warum?/ Leicht benommen räusperte er sich. "Hören Sie zu! Wenn Sie mir ernsthaft helfen wollen und wirklich an meine Unschuld glauben, werde ich Ihnen trauen, einverstanden?" /Trauen ja, aber vertrauen? Wer bin ich denn? Man kann niemandem vertrauen. Ich habe es einmal gemacht und was hat es genützt? Nichts, es hat mir nur wehgetan. Vertrauen ist scheiße!/ Dann ging er vorsichtig auf den Anwalt zu und legte ihm eine Hand an die Wange, zwang ihn in seine hellen, silbernen Augen zu sehen und wartete auf eine Antwort. Sorraiah öffnete den Mund, brachte aber im ersten Augenblick keinen Ton über die Lippen. Es kostete ihn so viel Mühe, das Beben in seinem Körper zu unterdrücken, dass er den leisen, nur sehr langsam wachsenden Schmerz in seiner Seite zunächst noch gar nicht wirklich wahrnahm. "Ich... werde ihnen helfen!" Aus irgendeinem Grund war es ihm unmöglich, seinen Blick von Dimis Augen zu nehmen, und er verfluchte sich mit einem Mal dafür, ihn nicht vollständig sehen zu können. Von einer Sekunde auf die nächste brach eine Welle von Hass über ihn herein, tiefen Hass auf sein begrenztes Sichtfeld, auf alle Menschen, die er jemals in seinem ganzen Leben getroffen hatte... auf sich selbst... doch gleich darauf wurden all diese Gefühle erstickt von einer heißen, brennenden Explosion mitten in seinem Brustkorb. Sorraiah stieß einen Schrei aus, brach auf die Knie und krallte seine Hände in seine Arme, die krampfhaft seinen Oberkörper umschlangen. Sein Blick war starr auf den blutfarbenen Teppich gerichtet, von einer Sekunde auf die andere existierte nur noch eine dumpfe, konturenlose Welt aus Schmerzen. Hätte Dimi ihn nicht rechtzeitig aufgefangen, wäre Sorraiah wohl bäuchlings auf den Boden gefallen. Beruhigend strich er ihm über den Rücken und wunderte sich, warum er es tat. Warum ihm dieser Mensch plötzlich wichtig war, dass er ihm half. Doch ihm blieb kaum genug Zeit, den Faden von Gedanken neu aufzunehmen, da ihn das andauernde hin und her Wiegen des Anwalts ganz in Anspruch nahm. Wie eine aufgezogene Puppe wippte der junge Mann mit den dunklen Haaren vor und zurück, krallte noch immer seine Fingernägel in den Stoff seines teuren Anzugs und biss sich so stark auf die Unterlippe, dass es zu bluten angefangen hatte. Beim Anblick der roten Flüssigkeit brach über Dimi kurz wieder ein Schwall von Erinnerungen herein, die er aber dank jahrelangem Üben sofort wieder verdrängte. "Hey, ist ja gut. Was haben Sie denn, Herr Masayume? Haben Sie Schmerzen? Tut Ihnen irgendetwas weh?" Immer noch kreiste seine Hand beschützend über seinen Rücken. Der Sänger nahm den zitternden Körper schließlich ganz in seine Arme und kniete sich neben ihn, stützte sein Kinn auf dessen Kopf ab und sprach mit gelassener Stimme, schloss nebenbei die Tür, da er ihnen beiden ungewollten Besucheransturm ersparen wollte. /Was ist das nur für ein Anwalt? Erst bespringt er mich fast, weil ich nicht gehen soll und jetzt hat er einen Krampfanfall. Wenn es nicht bald besser wird, werd ich einen Arzt herholen müssen./ Dimi spürte, wie sich der Schwarzhaarige näher an ihn drängte und sich sein Atem ganz langsam wieder beruhigte. Als er aufblickte, sah Sorraiah plötzlich um Jahre jünger aus, beinahe wie ein verängstigtes, einsames Kind. Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen kehrte dann jedoch ganz langsam der selbstbeherrschte, allerdings doch noch ein wenig mitgenommen dreinblickende Staranwalt zurück und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. "Was... oh nein... nicht schon wieder..." Sorraiah holte tief Luft, dann verzogen sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen. "Es tut mir wirklich leid, wenn ich ihnen einen Schrecken eingejagt habe... manchmal... haben Fälle seltsame Nebenwirkungen, und mein letzter Fall war wirklich anstrengend..." Erst einen weiteren Augenblick später begriff der junge Anwalt die Situation, in der er sich gerade eben befand. Spontan färbten sich seine bleichen Wangen in ein zartes Rot und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde schlagartig sehr verlegen. "Öhm... danke... für die Hilfe!" "Keine Ursache." Dimi stand ruckartig auf und zwang sich relaxt auszusehen, fuhr sich abermals durch die Haare und musterte den Anwalt kurz. Anscheinend ging es ihm wirklich wieder besser. Zwar war sein Gesicht noch etwas rötlich und sein Blick noch immer etwas verschwommen, doch ansonsten war es wieder der selbstbewusste junge Mann, der ihm vor wenigen Minuten die Hand gegeben hatte. War das wirklich erst so kurz her? Egal, prüfend strich er sein schwarzes Shirt glatt und richtete die silberne Kette, die um seinen Hals hing. "Und es geht Ihnen auch wirklich gut? Ich meine, ich kann einen Art holen oder Sie auch ins Krankenhaus bringen. Ist kein Problem." Sorraiah hob abwehrend die Hand und schüttelte lachend den Kopf. "Nein... das ist wirklich nicht nötig! Mir geht es..." Erst jetzt bemerkte der junge Anwalt, dass ihm warme Flüssigkeit von der Lippe tropfte. Er fuhr sich mit den Fingern über das Kinn und sah, dass auf seiner bleichen Haut rote Flecken zurückgeblieben war. "Mir geht es gut!" brachte Sorraiah den Satz zu Ende, während er kurz eine Hand auf den Mund legte und die Augen schloss. Als er seine Hand wieder sinken ließ, war die blutende Wunde verschwunden. Er lächelte. "Ich denke, somit wären die wichtigsten Dinge geklärt. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, sind sie beinahe schon wieder ein ganz freier Mann!" Dimi wunderte sich, warum die Unterlippe wieder so heil aussah, wo er doch vorhin genau gesehen hatte, dass ein kleiner Riss darin war, doch er verwarf die Zweifel und ging an dem jungen Mann vorbei zur Tür, um sich zu verabschieden. Der Tag war gewiss schon verrückt genug gewesen. "Na, das will ich doch hoffen. Aber....wo Sie gerade unser nächstes Treffen erwähnen. Wissen Sie, ich gebe hier in der Stadt noch ein paar weitere Konzerte. Das nächste findet gleich morgen statt. Wenn Sie wollen können Sie zu den Proben kommen und später dann die Show ansehen. Karten besorge ich, keine Panik, immerhin bin ich ja der Star. Und wenn Sie sonst nichts vorhaben, würde ich Sie danach gern auf ein kleines Essen in meinen Raumgleiter einladen. Eigentlich war das ja eine Idee meines Managers, aber jetzt, nachdem ich Sie kennen gelernt habe, würde ich mich wirklich freuen, wenn Sie zusage würden. Also, werden Sie kommen? Die Karten wären für die erste Reihe, direkt vor der Bühne. Dann können Sie ich die Sache mit dem "grandios" noch einmal überdenken." Hoffnungsvoll sah er den Anwalt an und merkte gar nicht, wie er dabei nervös mit den Fingern am Türknauf rumspielte. "Was?" Sorraiah riss sein Auge weit auf und konnte für einen Augenblick noch nicht wirklich glauben, was er da eben gehört hatte. Dann jedoch wurde sein Gesicht von einem strahlenden Lächeln erhellt. "Ja! Ja, und ob! Ist das eine Frage? Ich freue mich wirklich unglaublich darauf! Holy Jesus... so viel Glück kann ein Mensch doch gar nicht haben!!!" Der junge Anwalt zog hastig eine Visitenkarte aus einer der Taschen seines Jacketts und reichte sie Dimi. "Hier. Damit sie mich erreichen können. Wow... habe ich schon mal gesagt, dass ich mich freue? Nun, dann... sehen wir uns ja sogar in gar nicht so weiter Ferne!" Er streckte dem Sänger zum Abschied seine Hand hin. "Wie sag ich jetzt am besten? Bis bald!" Dimi lächelte kurz und diesmal schockierte es ihn nicht. Irgendwie hatte er es nicht aufhalten können. Als er diese kindliche Freude gesehen hatte, war es einfach geschehen. Und es war nicht schlimm, gestand er sich ein. "Toll! Ich freue mich schon sehr darauf, Sie mal persönlich kennen zu lernen. Also, wie sagten Sie? Bis bald!" Er gab dem jungen Anwalt die Hand und ging dann gemächlich den Flur entlang, und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit, freute er sich auf den nächsten Tag. Sorraiah blickte ihm noch lange hinterher. Dann schlenderte er langsam zum Fenster hin, ließ sich auf seinen Drehstuhl fallen und blickte versunken auf die nächtliche Stadt hinaus. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, und aus irgendeinem Grund wandte er sich nicht von der riesigen Scheibe ab, als er sein Spiegelbild sah, wie es ihm mit einem leuchtenden Auge entgegenblickte. Er blieb noch lange in seinem Büro sitzen und sah dem lebenden Sternenmeer tief unten in der Dunkelheit der Nacht zu. Aber erst, als er die Türe seines kleinen Reiches hinter sich verschlossen hatte und leise singend die endlosen Flure des gläsernen Turmes hinabschlenderte, begriff Sorraiah, dass er noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen war wie in dieser schlaflosen Nacht. Die Sonne stand senkrecht über der endlosen Stadt und brachte das graue Pflaster unten in den tiefen Häuserschluchten zum Glühen. Wie versilberte Perlenketten reihten sich die Gleiter aneinander, beinahe stehend zwischen den Glas-, Chrom- und Betonfassaden der Hochhausriesen. Und obwohl sie sich vollkommen lautlos auf den Magnetbahnen unter der flirrenden Straßenoberfläche bewegten, war die stickige Luft erfüllt vom Hupen und den wütenden Schreien der Fahrer. Deren Nerven lagen blank, ihre Hände krampften sich um die schmerzend heißen Lenkräder, während irgendwo am anderen Ende der Stadt ein wichtiger Geschäftstermin auf sie wartete, vielleicht auch ein Kind, das von der Schule abgeholt werden wollte oder ein Raumtransporter - mit dem Unterschied, dass dieser keineswegs wirklich wartete, sondern ohne Rücksicht auf irgendwelche Staus oder am Rande des Nervenzusammenbruchs stehende Gleiterfahrer zu einem fernen Planeten aufbrechen würde. Sorraiah betrachtete die hektische, oder besser gesagt, unfreiwillig ruhende Situation mit gelassener Gleichgültigkeit. Seine Laune war ebenso ungetrübt wie der wolkenlos blaue Himmel, der sich in unerreichbar weiter Ferne über ihm erstreckte. Er hatte die Stereoanlage seines Cabrios auf volle Lautstärke aufgedreht und sang nicht weniger lautstark mit. Es kümmerte ihn herzlich wenig, dass ihm seine Vorder- und Hintermänner dabei reichlich seltsame Blicke zuwarfen - er hatte seine Spirit of Silence-CDs, er hatte die höchsten Temperaturen seit mindestens zwei Wochen und er war glücklich. Nichts und niemand sollte ihm diese gute Laune jetzt noch verderben können, und schon gar nicht ein Stau auf dem Saint Rayleigh Highway. An Tagen wie diesen war Sorraiah jedes Mal unglaublich froh, dass er einen Privatparkplatz in unmittelbarer Nähe der INFERIA-Tower besaß. Es war leichter, sich mit gefesselten Händen und verbundenen Augen in den Zentralcomputer der Regierung einzuhacken, und ganz nebenbei auch noch einen Schwergewichtsweltmeister und einen Amok laufenden Elefanten zu überwältigen, als zur Rush Hour einen Parkplatz in Illythias Innenstadt zu finden. Sorraiah wusste das aus Erfahrung nur allzu gut, und so hatte er sich das teure Vergnügen eines privaten Stellplatzes geleistet. Was für ein Glück, schoss es ihm durch den Kopf, dass er sich über finanzielle Dinge nun wirklich keine Sorgen mehr machen musste. Sein Job erlaubte es ihm, sich all seine Träume erfüllen zu können, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Er hatte seine Penthousewohnung, er hatte sein wandhohes Aquarium, sein überdimensionales IV-Gerät, seinen Gleiter, sein Wasserbett... er besaß einfach alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte, und das nur, weil sich ein hübsches Sümmchen von Credits auf seinem Konto schlafen gelegt hatte. Es war schon faszinierend, wie schnell einem die Welt zu Füßen lag, wenn man die Taschen gefüllt hatte, und wie sehr sie einem in den Rücken fiel, sollte das nicht der Fall sein. Dies war allerdings nun wirklich nicht mehr sein Problem. Er hatte seine große Liebe gefunden - und wollte ihr sein Leben lang treu bleiben. Geld war etwas so unglaublich Schönes, und dabei so unscheinbar, dass viele Menschen seinen Wert glatt verkannten. Wie sagten sie oft so leicht dahin? Geld allein macht nicht glücklich! Sorraiah konnte über diesen Spruch nur lächeln. Natürlich machte Geld glücklich! Geld war eine wundervolle, süße Droge ohne jegliche Nebenwirkungen, und er hatte noch nie in seinem Leben bereut, ihr erlegen zu sein. Der Blick des jungen Anwalts streifte die drei überdimensionalen Türme, in denen irgendwo, ganz klein und unscheinbar sein Büro verborgen lag. Er liebte den Anblick dieser architektonischen Meisterleistung! Die strahlende Sonne brachte die gläsernen Wände zum Funkeln und Glitzern, der Himmel tauchte sie in intensives, kalt glänzendes Hellblau. Wieder einmal wurde Sorraiah bewusst, was für ein unglaubliches Glück dieser Arbeitsplatz doch war. War es nicht ein verschwindend kleines Übel, für all dieses Glück ein unscheinbares, kaum nennenswertes Opfer bringen zu müssen? Sorraiah schüttelte den Kopf und durchquerte die Schachbretthalle und ließ sich von einem der Aufzüge hinauf auf sein Stockwerk tragen. Er wich dem Blick seines Spiegelbildes in den chromblitzenden Aufzugtüren aus, während er im Rücken die glatte, kalte Front des wirklichen Spiegels fühlte. Warum zum Henker musste man eigentlich überall von diesen verfluchten Dingern umgeben sein? Der junge Anwalt seufzte. Er hatte beinahe schon vergessen, wie sehr er Spiegel hasste. Glücklich zu sein war verdammt gefährlich. Er seufzte leise, zuckte dann mit den Schultern und drückte auf dem leuchtenden Zahlenfeld neben der Türe eine weitere Kombination. Warum sollte er sich denn jetzt schon in sein Büro vergraben und verzweifelt die Stunden zählen, bis endlich die grelle Sonnenscheibe vom Himmel fliehen und der wundervollen blauen Nacht Platz machen würde? Verdammt, er hatte einen guten Job erledigt und es gab keinen Grund, warum er diesen Erfolg verstecken sollte. Auf der Landkarte in Sorraiahs Kopf wurde spontan eine Routenänderung eingetragen, die ihm einen kurzen Umweg über das Büro seines Chefs bescheren würde. Es gefiel ihm, wenn Haddock stolz auf ihn war, wenn er ihn lobte. Besonders natürlich dann, wenn dieser Stolz sich in einer kleinen, aber durchaus nicht unangenehmen Gehaltserhöhung äußerte. Sorraiah lächelte zufrieden, während er leise pfeifend durch das gläserne Labyrinth des zweiten INFERIA-Towers schlenderte. Wie immer ließ er seinen Blick über die unendlichen Weiten der Stadt schweifen, während ihn das Fließband des Skywalks seinem Ziel Stück um Stück näher brachte. Aus irgendeinem Grund kam ihm das Blau des Himmels an diesem Tag noch ein wenig strahlender vor als sonst, die Oberfläche des Atalic Lake glitzerte ungleich schöner und prächtiger und überhaupt war jedes einzelne Hochhaus einfach wundervoll. Er hatte keine Ahnung, woran das lag oder ob er es sich ganz einfach nur einbildete, aber egal wohin er blickte, am liebsten hätte er schlicht und einfach gesungen. Natürlich tat er das nicht, sondern klopfte stattdessen an der Türe, die durch ein silbern blitzendes Namensschild als Haddocks Büro ausgewiesen wurde. Er wartete, bis sein Vorgesetzter ein diffuses Geräusch von sich gab, dann schob er die Tür auf und steckte den Kopf in den hellen Raum. "Störe ich?" grinste er seinen Chef an, und erkannte noch im selben Augenblick an dessen gerunzelter Stirn, dass ihm irgendetwas Unzufriedenheit bereitete. "Du störst immer, Sorraiah. Also kannst du auch gleich reinkommen." "Ich fühle mich geschmeichelt!" Der junge Anwalt trat kopfschüttelnd ein und bemühte sich vergeblich um einen ernsten Gesichtsausdruck. Was auch immer seinem Vorgesetzten bedrückte, es war offensichtlich nicht schwerwiegend genug, um ihm auch seinen Humor zu verderben. Diese Tatsache freute Sorraiah nicht nur in Anbetracht einer eventuellen Gehaltserhöhung, sondern auch ganz einfach deswegen, weil er Haddock mochte und ihm vor allem unendlich dankbar war. Er hatte nicht vergessen, was der Vorsitzende von ITP für ihn getan hatte. Genau genommen verdankte er ihm alles. Und nicht nur das - für Sorraiah war sein Chef immer ein bisschen wie ein Vater gewesen und er war vielleicht der einzige Mensch in dem unendlichen Universum, dem er wirklich und uneingeschränkt vertraute. Manchmal zumindest. Diese Tatsache hielt ihn aber natürlich nicht davon ab, Haddock ab und zu den an den Rand des Wahnsinns oder sogar noch ein bisschen darüber hinaus zu treiben. Er wusste, dass sein Vorgesetzter ihm niemals wirklich böse sein konnte. Das lag allerdings vielleicht auch ein ganz klein wenig daran, dass Sorraiah sein bester Anwalt war - und nun wieder einmal für einen neuen und vor allem überaus gut situierten Klienten gesorgt hatte. Der Schwarzhaarige lächelte. Wenn das keine aufmunternde Nachricht war, was dann? "Nun, Sorraiah, was gibt es?" In Haddocks Tonfall lag ein Hauch von Enttäuschung. Sorraiahs Besuch schien seine Laune nicht sonderlich aufzuhellen. "Was es gibt?" Der junge Anwalt grinste und strich sich einige Haarsträhnen hinter das Ohr. "Melde gehorsamst: gute Neuigkeiten, Sir! Auftrag erledigt! Die Konzertkarten haben sich gelohnt - ich hab den Klienten. Dimi Aino höchstpersönlich vertraut ab sofort den kompetenten Anwälten von ITP. Besser noch, wir haben schon ein... weiteres Treffen ausgemacht, bei dem wir alles weitere besprechen wollen. Na, bin ich gut?" Haddock antwortete nicht sofort. Die Falten auf seiner Stirn wurden noch ein kleines bisschen tiefer, während sich seine Augenbrauen um einige Millimeter nach oben verschoben. Sein Blick ruhte durchdringend auf Sorraiahs einem, golden funkelnden Auge. "Was soll ich sagen? Reiche Klienten zu gewinnen ist unser Geschäft und Überlebenselixier. Aber leider haben wir viel eher einen wichtigen Klienten verloren..." "Haben wir das?" Sorraiah zuckte mit den Schultern. "Aber hey, das kommt doch mal vor! Wir erreichen ja nun wirklich nichts, indem wir einem ehemaligen Kunden nachtrauern. Kopf hoch, Chef. Solche Dinge sind nicht schön, aber sie passieren nun mal." "Du hast ja Recht. Allerdings hätte ich dir ein kleines Geschäftsessen wirklich mal wieder gegönnt... nun ja... wie du sagtest - solche Dinge passieren und lassen sich nicht ändern." "Ja aber... wieso... ich verstehe nicht ganz..." Der junge Anwalt stieß ein verständnisloses Lachen aus und warf seinem Chef einen reichlich hilflosen Blick zu. "Wieso kann ich deshalb mein Treffen nicht wahrnehmen? Es war doch wohl nicht ein so dermaßen wichtiger Kunde, dass wir deshalb am Rande des Ruins stehen und uns ab jetzt nur noch Wasser und Brot leisten können - auch wenn wir Anwälte das vielleicht verdient hätten." "Hmm..." Haddocks Blick wurde noch ein wenig prüfender. "Scheinbar hat man dich noch nicht informiert. Du verstehst mich nicht ganz richtig." Er legte eine kurze Sprechpause ein und beugte sich ein Stück weit über seinen Schreibtisch nach vorne. "Der Grund, dass dein Candle Light Diner platzt, ist ganz einfach der, dass du keinen Fall mehr hast. Ja, du hast mich ganz richtig verstanden. Es tut mir leid, Sorraiah, aber der Fall von Dimi Aino ist dir aberkannt worden. Du bist nicht mehr länger sein Anwalt." Fortsetzung folgt!!! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)