Kind der Sirenen von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: Konsequenzen ----------------------- Tailor war an dem Abend nicht mehr nach Hause gegangen, Maddy hatten ihn und die beiden Mädchen in ihrer Wohnung zwei Straßen vom Cafe entfernt schlafen lassen. Am Morgen hatte jeder von ihnen noch einen starken Kaffee aufgebrüht bekommen und musste versprechen, solche Sachen nicht zur Gewohnheit werden zu lassen. Ziemlich übermüdet fuhren sie gemeinsam zur Schule. Sie trugen alle nicht ihre Schuluniform, aber zumindest Tailor hatte sich Ersatz mitgenommen, da er und Marcel nicht sicher gewesen waren, ob sie am Abend noch nachhause kommen würden. Die Mädchen hatten sich provisorisch weiße Blusen und zwei etwas zu kurze schwarze Röcke von der Kellnerin geliehen. Nellie zog ihren Rock immer mal wieder ein bisschen zu den Knien runter. "Wie peinlich, wir sehen aus, als hätten wir zu dritt die Nacht durchgemacht..." Tailor grinste. "Haben wir genau genommen auch." Sie warf ihm einen überraschend ärgerlichen Blick zu. "Du weißt, was ich meine. Ein Glück, dass unsere Uniform nicht so schwierig zu imitieren ist, das einzige was fehlt, ist der blaue Blazer..." Er warf einen Blick auf den Blazer, den er für sich mitgenommen hatte. "Du kannst meinen haben, aber dann werden dich die anderen fragen, warum du provisorisch etwas Ähnliches wie eine Uniform trägst, und dazu den Blazer eines Jungen..." Er zwinkerte ihr zu und sie errötete leicht. "Idiot..." murmelte sie, schien es ihm aber nicht wirklich übel zu nehmen. Marcel gesellte sich zu ihnen, er wirkte recht schuldbewusst. "Wie geht‘s dir Tai?" Tailor verzog kurz das Gesicht, als er sich erinnerte und nickte dann. "Es geht, ich hab mich wieder eingekriegt. Wie ist es bei dir gelaufen?" Der Ältere errötete. "Äh...wir gehen aus...bis...wir treffen vor der Hochzeit eine Entscheidung." Sein Blick war unsicher fragend zu Nellie und Lucy gewandert. Die Blonde war auch fix dabei. "Was für eine Hochzeit?" Tailor winkte ab. "Nur eine Hochzeit, Familienkram." Sie merkte natürlich, dass er sie damit abwiegelte, sagte aber nichts mehr dazu. Sie fuhren zur Schule, wo Sabrina ihn in Empfang nahm und die Mädchen in seinem Schlepptau musterte. "Nellie und Lucy? Wirklich Tailor?" Sie sprach gedämpft in seine Halsbeuge als sie ihn umarmte. Er zuckte mit den Schultern. "Sie sind etwas seltsam, aber eigentlich ganz lustig, magst du sie nicht?" "Ich kenne sie kaum, hab aber nichts gegen sie." "Na dann." Er küsste sie auf die Wange um ihre notorische Eifersucht zu besänftigen. "Du bist und bleibst doch immer die einzige Frau in meinem Leben Sabrina, das weißt du." Sie schmunzelte und nickte. "Ja ich weiß das, ich hoffe nur, dass auch du das nicht vergisst. Wie ist das eigentlich? Wir haben das nie geklärt, weil du ja nie an so was Interesse hattest, aber bin ich jetzt deine Alibifreundin oder so was? Oder wirst du ganz offiziell schwul?" "Ich denke, das geht nach wie vor niemanden etwas an." "Versteh schon..." Er war sich nicht sicher, ob sie leicht verbittert klang. "Sabrina, jetzt behaupte nicht, du hättest dir irgendwelche Chancen bei mir ausgerechnet, das würde mich kränken." Sie schüttelte den Kopf und strich kurz über seine Wange. "Nein, ich habe mir da nie etwas ausgerechnet, aber du bist unbestreitbar anziehend, und solange du einfach nicht marktfähig warst, war der Gedanke, dass da niemals etwas laufen kann, leichter hinzunehmen." Er verzog das Gesicht. "Was Frauen angeht, bin ich auch nach wie vor nicht marktfähig." "Mag sein, aber du hast mir auch noch die Illusion des Traummannes Louis kaputt gemacht, ich muss mich erst nochmal ein bisschen umsehen. Da fällt mir ein, dass wir ein paar schnuckelige Sportler haben...glaubst du Sascha würde mit mir ausgehen..." Sie sah nachdenklich zu Sascha, der grade an seinem Spint stand und kurz zu ihnen rüber sah. Er wirkte erst unsicher, als er Tailor und Sabrina Arm in Arm dort stehen sah, wie sie ihn musterten, lächelte dann aber und zwinkerte verschwörerisch. Sabrina wirkte überrascht. "Scheinbar schon, hätte nicht gedacht, dass er so offensiv ist...wir haben bisher ja kaum ein Wort gewechselt..." Tailor räusperte sich. "Sabrina, ich befürchte für dich, dass seine Reaktion mir galt." Sie sah ihn kurz an, als habe er einen Witz gemacht, dann ächzte sie frustriert. "Sag bloß, du hast..." Er nickte nur. "Sind denn alle tollen Kerle schwul?" Tailor grinste überheblich. "In meiner Welt schon." Sie schnaubte protestierend und boxte ihn gegen den Arm. "Angeber!" Er verneigte sich linkisch "Stets zu Diensten." Tailor redete noch ein bisschen mit Marcel über Ethan, schien aber nichts Nennenswertes zu diesem Arrangement sagen zu wollen. Stattdessen verzog er sich in seiner zweiten Freistunde in eine ruhige Ecke und zückte sein Handy. Er hatte Louis in den Kurzwahlspeicher eingegeben, nun reichte eine kurze Taste und er würde den Kerl am Apparat haben. "Ja?" Die Stimme klang etwas rau und fertig. "Hallo Louis, rat mal wer dran ist." "Tailor..." Was war das denn für eine Stimmlage? Das klang nicht einfach überrascht, sondern ungläubig, und dazu auch noch irgendwie bedauernd und ein bisschen unwillig, vielleicht sogar schuldbewusst. Tailor setzte die Teile in einer Geschwindigkeit zusammen, in der das nur jemand schaffen konnte, der paranoid genug war, sowieso jede Eventualität in seine Pläne einzubauen. Louis wusste Bescheid. Woher, war auch sofort klar, Marcel diese Kanaille hatte die Klappe nicht halten können. Er hätte es wissen müssen, hatte er aber leider nicht. Aber so wie er Louis kannte, hatte dieser so seine Zweifel, ob Marcel ihm die Wahrheit gesagt hatte und suchte jetzt sicher in jedem von Tailors Worten eine Bestätigung. Also war das Beste, wenn er sich einfach genauso verhielt wie zuvor, wenn nicht sogar kühler. "Ja, warum klingst du so überrascht, ich sagte, dass ich Mittwoch anrufe." "Schon...aber gestern...du..." "Um ehrlich zu sein, war ich betrunken, ich bin bei einem Kerl abgeblitzt, mein erstes Mal, und ich war ziemlich gereizt. Ich kann mich zwar nicht mehr an viel erinnern, aber ich bin wohl unausstehlich gewesen, ich hoffe du verzeihst mir das." Louis wirkte nicht überzeugt, aber erst mal etwas besänftigt von Tailors legeren Tonfall. "Ja, ist in Ordnung, so lange du mir eins versprichst." "Das da wäre?" "Wenn dich Alkohol so zickig werden lässt, als hättest du deine Tage, dann trink nicht mehr." Tailor lachte und gab sich größte Mühe es belanglos klingen zu lassen, es funktionierte. "Du kannst ja in Zukunft darauf aufpassen, wenn ich dein Model werde." Louis schien durchs Telefon erfreut zu grinsen. "Du kommst also?" Tailor lachte arrogant und trocken. "Oh ja, und ich werde sie alle spielerisch ausstechen." Louis wirkte amüsiert. "Oho, na wenn das so ist, hole ich dich morgen an der Schule ab, und dann kannst du deinen dreisten Worten Taten folgen lassen." "Tu ich das nicht immer?" Louis lachte nochmal. "Bis morgen Tai." "Man sieht sich Louis." Das Gespräch wurde beendet und Tailor atmete einmal durch, dann stieß er sich mit Feuer in den Augen von der Wand, an der er gelehnt hatte, ab. Marcel war so was von erledigt. Louis sah noch eine Weile das Handy an. Tailor hatte eigentlich ganz und gar nicht verliebt geklungen, auch nicht sehnsüchtig oder so etwas. Alles wirkte so, als habe Marcel sich geirrt. Allerdings war da eine Sache, die Marcel gesagt hatte... Wenn Tailor ihn wirklich so durchschaute, wie Marcel sagte, wäre es dann möglich, dass Tailor durch das Telefon mitbekommen hatte, dass er nun davon wusste, und sich so verstellte, dass er ihn glauben machen konnte, dass nichts sei? Nein, mit ziemlicher Sicherheit nicht. Alles war in Ordnung und morgen würden sie spätestens gegen acht den Vertrag aufsetzen und dann vielleicht ein bisschen feiern, schließlich war diesen Freitag ein Feiertag. Er dachte wieder an den Jungen, sah sein Bild vor sich, er vermisste ihn. Wie schön es wäre, ihn jetzt hier zu haben, sein Lachen zu sehen, seine Stimme zu hören, ihn anzufassen und von ihm berührt zu werden... Als seine Träumerei seltsam romantische Züge bekam, brach er sie ab. So einen Blödsinn hatte er ja schon lange nicht mehr gedacht. Eine Beziehung war etwas für Stepford-Schwuchteln und Liebe sowieso nur was für Romanfiguren und Filmhelden. Ja, auch er hatte Queer As Folk irgendwann schon mal gesehen. Er musste diese seltsamen Gedanken wieder loswerden. Und er sollte Babette anrufen und ihr sagen, dass nun alles klar war. Niklaus, bei dem Louis geschlafen hatte, kam ins Wohnzimmer und drückte ihm eine Tasse Kaffee in die Hand. "Und was ist jetzt? Das war doch dein Tailor, oder? Gibt‘s Ärger im Machoparadies von Alouis Grifone oder ist alles tutti?" Louis warf seinem Kumpel einen Blick zu. "Halt einfach die Fresse." Niklaus machte eine Bewegung als würde er seinen Mund verschließen, grinste dann aber schadenfroh. Louis hielt dieses Grinsen keine Minute aus. "Was? Na los, du kannst dir deinen Kommentar wahrscheinlich nur schwer verkneifen, also spuck‘s halt aus!" Der Gastgeber machte eine Unschuldsmiene. "Nein, es ist alles in Ordnung, ich meine, abgesehen davon, dass du offenbar deinen Traumkerl gefunden hast und der dir auf der Nase rumtanzt. Jeder mit einem weniger selbstzerstörerischen Lebensstil als du hätte wahrscheinlich nach der ersten Nacht erkannt, dass du dem Knaben in keiner Disziplin gewachsen bist und hätte es als schönes Erlebnis abgeschlossen. Nur du Spinner machst das Gegenteil und beschließt auf einmal deine emotionale Seite zu entdecken und dich zu verlieben, das ist schon verdammt bemitleidenswert." "Scheißkerl, ich bin ganz sicher nicht verliebt." "Wenn du mir das weismachen willst, ist das für mich in Ordnung, aber untersteh dich dir selbst was vorzumachen, du weißt wie es wirklich um dich steht." "Ach, halt die Fresse." Niklaus machte eine Geste der Machtlosigkeit. "Erst soll ich die Fresse halten, dann willst du doch meine Meinung hören, und jetzt soll ich wieder die Fresse halten...ich glaube, bei einem so sprunghaften Kerl wie dir hat Tailor mein Mitleid eher verdient als du Vollidiot." Louis stellte den Kaffee ab, den er nicht mal angesehen hatte. "Warum müsst ihr mir alle so auf den Sack gehen? Ich bin ein Aufreißer und ich bin‘s gerne, das wär ja noch schöner, wenn so ein dahergelaufener Bubi mich fickt und dann links liegen lässt!" Niklaus grinste. "Soweit ich das richtig verstanden habe, hat er aber doch ungefähr das gemacht. Und jetzt ruft er dich an und klimpert kurz mit den langen Wimpern, und du springst wie sein kleines Hündchen darauf an und versprichst ihm auch noch, ihn von der Schule abzuholen. Ich meine, hör sich das mal einer an, Louis Grifone holt einen unbekannten Jungen wie ein besserer Chauffeur von der Schule ab." Louis biss sich auf die Lippe. "Babette ist bei seinem Anblick feucht geworden, da kann ich auch nichts machen." "Wenn du nicht so gereizt wärst, dann würde es dir vielleicht leichter fallen, die Situation zu überblicken." "Ich bin nicht gereizt! Ich. bin. NICHT. gereizt!" "Doch bist du, und du weißt es. Denn was passiert, wenn du gereizt bist? Ja genau, du wirst vulgär. Also, wenn der Satz mit Babette nicht ein Hörfehler meinerseits war, dann bist du eindeutig gereizt." Louis vergrub das Gesicht in den Händen, seufzte, sah wieder auf, atmete tief ein und aus und nahm seinen Kaffee wieder in die Hand. Nach einem Schluck zückte er sein Handy. "Ich rufe Babette an, um ihr Bescheid zu sagen." Tailor traf Marcel erst zu Hause wieder, hatte aber leider keine Zeit mit ihm unter vier Augen zu sprechen, denn seine Mutter packte ihn am Schlafittchen. "Gut, dass du heute nicht so spät nach Hause gekommen bist, ich habe für Vier einen Termin bei Pfarrer Escroc ausgemacht, wir haben noch zwanzig Minuten, beeil dich." Er verfluchte sich dafür, dass er es so eilig gehabt hatte mit Marcel zu sprechen, sonst hätte er das hier aufschieben können. Er beeilte sich seinen Kram abzustellen und sich im Bad ein bisschen aufzufrischen, dann stand er wieder unten bei seiner Mutter, die sich gerade den laubgrünen Mantel anzog und sich die Autoschlüssel schnappte. Sie fuhren zu schnell über die Autobahn, weil seine Mutter einen irren Fahrstiel hatte, aber leider konnte sie sich dabei auch noch unterhalten, und das tat sie auch gerne. Er hatte manchmal den Verdacht, dass sie es absichtlich so machte, weil sie auf jeden Fall verhindern wollte, dass ihr Beifahrer mitten auf der Straße die Tür aufriss und während der Fahrt hinaussprang, um ihr zu entfliehen. Als sie mit dem Satz "Weißt du, ich verstehe deine Situation ja grundsätzlich" begann, hatte er das Bedürfnis die Hand nach dem Türgriff auszustrecken und trotz der über 140 Sachen den Sprung zu wagen. Kaum etwas konnte schlimmer sein, als ein Gespräch mit der Mutter oder dem Vater, das damit begann, dass diese Person einen zu verstehen glaubte! Autos und Eltern waren eine schreckliche Kombination... "Ach, tust du das Mom?" Sie lächelte "Ja natürlich, auch ich habe mich in einen Mann verliebt." "Oh ja, dann haben wir zumindest das gemeinsam, ich ging auch nicht davon aus, dass ich mein Talent zum Schwänzelutschen von Dad habe." Sie sah ihn erbost an und räusperte sich. "Eigentlich macht man so was nicht, aber manchmal hätte ich Lust, dir den Mund mit Weihwasser auszuspülen." "Um zu sehen, ob ich ein Vampir bin?" Sie verdrehte die Augen. "Worauf ich hinaus wollte, bevor ich deinen Vater geheiratet habe, hatte ich eine Freundin, mit der ich mich sehr gut verstand." Tailor wollte nicht den Versuch seiner Mutter hören, seine Situation in irgendeiner Weise auf das Niveau einer allzu schwesternhaften Mädchenfreundschaft herab zu diagnostizieren. "Und was war mit ihr? Habt ihr euch einmal heimlich im stillen Kämmerlein geküsst und dann den Rest eures Lebens dafür geschämt?" Sie sah ihn diesmal nicht an, sondern seufzte. "Nein, wir haben uns etwa sechs Monate lang in der Heuscheune ihrer Familie Abend für Abend getroffen und uns dort...geliebt." Sie lächelte kurz. "Ich war damals aber schon mit Leonard verlobt, das hat sie mir immer vorgehalten. Sie wollte, dass ich mit ihr in wilder Ehe lebe. Sie als Künstlerin und ich als ihre Muse, sie hat damals eine Ausbildung zur professionellen Bildhauerin gemacht und sie war wirklich bestechend genial, in dem was sie erschuf, malen konnte sie aber auch wunderschön. Nun, das letzte Bild, das sie von mir gemalt hat, ist eine sehr traurige Arbeit, für sie zumindest. Auf dem Bild bin ich mit dir im siebten Monat schwanger. Als wir begannen uns zu treffen, war ich schon schwanger, aber ich wusste es da noch nicht. Ich hatte wirklich mit dem Gedanken gespielt Leo zu verlassen, aber dann erfuhr ich, dass du auf dem Weg warst und ich..." Tailor hatte bei dieser Erzählung angefangen seine Mutter zu betrachten, wie er sie noch nie gesehen hatte. Sie stand meist so im Schatten ihres Mannes, dass er sie nie so richtig wahrgenommen hatte wie sie war. Sie war immer nur seine Mom gewesen. Jetzt allerdings erkannte er, dass sie eine Frau mit ebenso einem Leben war, wie er selbst, mit Problemen und Schmerz, Enttäuschung, harten Entscheidungen und auch mit Liebe. Wie blind man doch manchmal sein konnte. Eine Träne lief der Frau über die geröteten Wangen. "Sie hat mich angefleht mit ihr zu gehen, wollte das Kind mit mir zusammen groß ziehen, aber meine Eltern machten Druck und ich war 19. Ich hätte alles hinter mir lassen müssen. Ich habe sie abgewiesen und noch bevor du geboren wurdest, habe ich deinen Vater geheiratet. Ich weiß gar nicht, ob sie aus dem Bild jemals eine Skulptur gemacht hat, wahrscheinlich hat sie es verbrannt und mich längst vergessen, aber ab und zu denke ich noch an sie..." Sie schluckte und wischte sich die Tränen weg, ihr Blick wurde hart. "Versteh das nicht falsch, ich habe die richtige Entscheidung getroffen, damals war ich jung und dumm und rebellisch, so wie du, und dachte Gott und der Teufel können mich mal. Ich weiß es mittlerweile besser, Gott sieht unsere Sünden und irgendwann wird er uns dafür bestrafen, wir alle werden einst vor dem jüngsten Gericht Rechenschaft ablegen müssen. Und so, wie es mir damals ging, soll es dir nicht auch ergehen." Tailors Miene wurde wieder hart. Zu schade, beinah hätte er ihr etwas Nettes gesagt. "Keine Sorge, mir ergeht es sicher nicht wie dir." Sie sah ihn leicht hoffnungsvoll an. "Ich werde definitiv kein Balg bekommen, das mich auf den rechten Pfad zurückweist." Die Worte schienen ihr wehzutun und so presste sie nur die Lippen zusammen und fuhr weiter. Er wusste, dass er sie verletzt hatte, aber sie ihn schließlich auch. Sie verstand ihn eben doch nicht. Vielleicht hatte sie diese Frau ja wirklich geliebt, aber offensichtlich nicht genug, um es ihren Eltern oder seinem Dad zu erzählen, oder sich von ihnen loszusagen. Dabei hatte diese Frau ihr sogar eine echte Partnerschaft und sogar eine Familie angeboten. Er dachte an Louis und wie es wäre, wenn er ihm so etwas anbieten würde. Das konnte er sich gar nicht richtig vorstellen, denn Louis würde so etwas mit Sicherheit nicht tun. Daran zu denken, war ein Fehler gewesen. Unauffällig wischte er die Träne weg. "Wie hieß sie?" "Giuseppina." "Und weiter?" "Sie wird dir nichts sagen, sie ist nicht bekannt geworden oder so." "Ich würde es trotzdem gerne wissen." "Wenn du meinst, ihr Name war Giuseppina Bocconcello." "Ein schöner Name." "Sie war eine schöne Frau." "Wieso war? Ist sie tot?" "Keine Ahnung, aber für mich spielt sie keine Rolle mehr." Tailor wusste nicht, ob das Wunschdenken war, aber für ihn klang der Satz zu hölzern, als habe sie es sich selbst immer wieder eingeredet. Hatte seine Mutter nicht selbst eben noch gesagt, sie würde ab und zu an Giuseppina denken? Naja, vielleicht irrte er sich, und sie meinte, was sie sagte. Interessant, dass die Affäre seiner Mutter eine Italienerin gewesen war, zumindest klang der Name so. Vielleicht sollte er Louis oder Ethan fragen. Am Pfarrhaus stand der Kirchenmann und lächelte freundlich. Er war jung, zu jung für Tailors Geschmack, oder besser gesagt sah er zu jung aus. Er hatte weiche Gesichtszüge und dichte blonde Krauslocken, wie ein Engelchen. In seiner ganzen Erscheinung wirkte er wie eins dieser dicken Babys mit Flügeln und Amorpfeil, nur, dass er nicht nackt war. "Mrs. Devenor, und Tailor, schön sie zu sehen. Dich, mein Junge, habe ich letzten Sonntag in der Messe vermisst." Ach halt die Klappe Babypo, ich kann kommen oder nicht, wie‘s mir passt... Er konnte den Typen nicht besonders gut leiden. Zuerst hatte Tailor geglaubt, er würde sich nur ihm gegenüber verhalten, als sei er bescheuert, aber das tat er mit allen und das tat er scheinbar, weil in Wirklichkeit er derjenige war, der geistig etwas zu wenig abbekommen hatte. Das Engelchen knickte unter seinem Blick ein. Was versprach sich seine Mutter von diesem Gespräch? Wenn sie hoffte, dass dieses verschüchterte Hündchen mit eingeklemmtem Schwanz ihm das Fegefeuer verkaufen konnte, dann war sie einfältiger, als er geglaubt hatte. "Jaja." murmelte er noch und ließ sich dann von dem herzlichen Wink ins Pfarrbüro ziehen. Seine Mutter wollte mit, aber plötzlich wirkte der Pfarrer gar nicht mehr so einfältig und ängstlich. "Nein Mrs, sie haben gesagt, ich soll ein Gespräch mit ihrem Sohn führen, er hat dem zugestimmt, aber das ist etwas sehr Privates, wir werden sie eventuell später dazu rufen, aber zuerst möchte ich mit Tailor alleine reden." Sie wirkte verstimmt, nickte aber, und er lächelte. "Danke. Dort auf dem Sessel können sie warten, meine Sekretärin kommt gleich zurück, mit ihr können sie sich ja unterhalten, oder einen Kaffee trinken, das wär doch nett, mh?" Er erwartete keine Antwort, sondern ging ins Büro und schloss die Tür. Er hatte so wie eben sein kindliches Lächeln aufgesetzt. "Setz dich Tailor, mach‘s dir bequem, willst du etwas trinken, oder ein paar Gummibärchen? Ich habe auch Kekse oder Knabberzeug..." Tailor räusperte sich. "Spielen sie mir nichts vor." Der Mann in seinem weißen Hemd und der schwarzen Hose wirkte verwirrt. "Was meinst du?" "Ich bin nicht blind, ich habe das eben gesehen, sie tun nur so einfältig, auch wenn ich nicht weiß wieso, aber das erklärt, warum ich sie von Anfang an nicht mochte. Also hören sie auf mir etwas vorzuspielen, verhalten sie sich bitte normal." Die unterwürfige Haltung des Mannes fiel schlagartig von ihm ab. Und auch wenn er immer noch kräftig wirkte, so hatte es jetzt nichts wirklich Schwächliches mehr, sondern wirkte eher trainiert. Er war trotzdem ein kleiner Mann, kaum größer als Tailor, aber er wirkte nicht mehr wie ein Riesenbaby. Seine Gesichtszüge wurden härter, entspannten sich aber gleichzeitig und sein Blick bekam etwas intelligentes, während die linkische Haltung verschwand. Er seufzte angespannt und ließ sich in den Sessel hinter dem Schreibtisch fallen. "Das ist mir noch nie passiert..." murmelte er und betrachtete Tailor nachdenklich. "Wer bist du, Junge?" Seine Stimme klang tiefer und dominanter. "Ich bin ein ganz normaler Junge, wer sind sie?" "Ich bin leider nicht befugt, dir das mitzuteilen, aber ich bin tatsächlich ein Pfarrer, falls du das nun bezweifeln solltest. Und für dich bin ich auch nicht mehr als das." "Heißen sie wirklich Escroc? Ich habe den Namen immer seltsam gefunden." "Nein, der Name ist, wenn man so will, ein Insiderwitz, meinen richtigen Namen kann ich dir aber nicht sagen, falls das deine nächste Frage wär. Nenn mich Derek, wenn du möchtest." "Gut, Derek, was passiert jetzt?" Der Mann schien zu überlegen. "Meine Arbeit hier ist zu wichtig, um sie abzubrechen, laut Protokoll muss ich also dafür sorgen, dass du mich nicht verraten kannst, den leichtesten Weg dafür kennen wir beide, aber ich denke nicht, dass das nötig sein wird. Außerdem bist du offenbar kein so gewöhnlicher Junge, wie du behauptest, also lass uns erst einmal einfach nur über dich reden, wie ich deiner Mutter versprochen habe. Was führt dich hierher?" "Sie haben eine Schweigepflicht?" "Nicht, wenn es keine Beichte ist, aber falls dir das hilft, schwöre ich bei meinem Gott, dass kein Wort dieses Gesprächs den Raum verlässt, solange du das nicht möchtest." Tailor wusste nicht, was er von diesem Kerl halten sollte, aber er war ihm nun um einiges sympathischer als zuvor. Und so begann er mit einem Schulterzucken zu erzählen, was in letzter Zeit passiert war. Immer mal wieder lachte Derek, vor allem als er die Sache mit der Mafiosifamilie Grifone hörte. Als Tailor endete, nickte der Blonde abwesend. "Das erklärt es. Du bist nicht durch Zufall hier." "Natürlich nicht, meine Mutter wollte es." "Nein, das mein ich nicht. Du kannst das jetzt für die Wahrheit halten oder nicht. Ich glaube an Gott und an Schicksal und an eine höhere Kraft, die uns lenkt. Und so wie dein Leben verläuft, scheint irgendeine Macht etwas Großes mit dir vorzuhaben. Was, weiß ich noch nicht. Aber falls du mich daran teilhaben lässt und ab und zu hierher kommst und mir erzählst, was so in deinem Leben passiert, dann würde ich mich darüber sehr freuen. Natürlich mit dem Hintergedanken, dich in zwei, drei Jahren für meine Organisation anzuwerben..." Tailor zog eine Augenbraue hoch. "Der Vatikan?" "Nein, ich bin zwar ausgebildeter Theologe und Pfarrer, aber das ist nur einer von vielen Deckmänteln...ich verstehe, wenn du deine Zeit brauchst, um das zu entscheiden. Du bist ein außergewöhnlicher Junge und dir sind vor allem in letzter Zeit eine Menge Dinge passiert, die wirklich außerordentlich unwahrscheinlich, um nicht zu sagen beinah unglaublich sind. Das hier gehört wahrscheinlich nur zu einem von vielen erstaunlichen Ereignissen. Aber denk darüber nach. Ich hätte die Idee, dass wir uns alle zwei Wochen offiziell treffen, um deine Mutter zu besänftigen, und weil ich sehr darauf brenne, deinen Werdegang zu verfolgen." Tailor war immer noch irgendwie nicht ganz in dieser verzerrten Realität angekommen. Der Typ war wohl so was wie ein Agent oder so und warb ihn grade ernsthaft für seine Organisation an! Nachdem er nun eine Liebeskomödie, eine Mafiosibeerdigung und Verlobung, ein Liebesdrama und ein Familiendrama mitgemacht hatte, wurde hieraus irgendwas mit Agenten-Action? Hoffentlich nicht. Das einzige, was dann noch fehlen würde, wäre eine Entführung oder ein Mord mit Soap-charakter und irgendwas mit Einhörnern oder so. Er seufzte, sein Leben geriet grade vollständig aus den Fugen. Aber, warum nicht? Er wusste eh noch nicht genau, was er später werden wollte, wer wusste schon, ob das mit dem Modeln klappte. "Ich denke drüber nach, die Idee mit dem regelmäßigen Treffen ist ok." Derek lächelte ein bisschen verschlagen, aber irgendwie doch sympathisch. "Schön, wirklich keine Gummibärchen? Es sind saure Colaflaschen..." Tailor grinste. "Ja gut, wer sagt da nein..." Auf der Rückfahrt versuchte seine Mutter ein paar Mal ein Gespräch anzufangen, aber Tailor war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um mit mehr als ein paar "Mhm"s zu antworten. Irgendwann ließ sie es sein. Als sie wieder zu Hause waren, ging Tailor ohne viele Worte hinauf und klopfte an Marcels Zimmertür. Ohne auf eine Antwort zu warten trat er ein. "Tailor? Warst du schon mit Mom bei dem Pfarrer?" "Ja, und ich habe auch schon Louis angerufen. Er wirkte seltsam, du hast nicht zufällig eine Ahnung, woran das liegt?" Marcel schien den leicht ironischen Unterton nicht wahrzunehmen. "Nicht so wirklich, was sollte denn sein?" Tailor lehnte sich in den Rahmen der Tür und zuckte übertrieben mit den Schultern, wobei er eine dramatische Unschuldsmiene machte. "Ja, keine Ahnung, ich dachte nur, so rein hypothetisch könnte ihm ja jemand etwas von meinem Plan gesteckt haben, um so dafür zu sorgen, dass ich mein Vorhaben aufgebe oder so..." Marcel wirkte ertappt. "Und was, wenn es so wäre...?" Tailor machte eine kühle Miene, nun nicht mehr übertrieben tuend. "Nun, erst einmal kann ich nicht fassen, dass jemand so dumm sein könnte davon auszugehen, dass ich keinen Plan B oder C oder D habe. Zum zweiten kann ich mir einfach nicht vorstellen, welcher hoffnungslose Idiot sich absichtlich meinen Zorn zuziehen würde. Und zu guter Letzt frage ich mich jetzt die ganze Zeit, wie diese Person mit dem Kopf voll Zuckerwatte jemals glauben konnte, ich würde das nicht rausfinden. Ich hoffe nur, wenn ich diese Person in die Finger kriege, ist sie nicht so hirnverbrannt mich auch noch anzulügen, du weißt wie wenig ich es leiden kann, wenn ich jemandem eine Lüge ansehe, denn Lügen muss-" Marcel sprang von seinem Bett. "Ja schon klar, Lügen muss gelernt sein, wenn jemand es schafft dich unbemerkt zu belügen, dann hat er es auch verdient dich anlügen zu dürfen. Ja ok, ich geb ja zu, dass ich ihm verraten habe, was ich wusste. Aber das hatte ich nicht von Anfang an vor. Louis ist einfach ein solcher Idiot! Da bin ich halt ausgerastet, ich hätt ihm am liebsten so richtig eins aufs Maul gegeben, aber der war sowieso schon so am Boden, dass ich irgendwie auch Mitleid hatte. Auch Ethan hat gesagt, dass er Louis lange nicht mehr so emotional gesehen hat. Und dann hat er die ganze Zeit irgendeinen Blödsinn gelabert und sich Sachen zusammeninterpretiert. Ich kann nicht nachvollziehen, was du an ihm findest, er ist ein dummer Mistkerl!" Tailor seufzte, natürlich hatte Marcel seinen Plan nicht einfach so verraten, das war ihm schon klar gewesen. Das machte seinen Verrat aber nicht wirklich besser. "Du bist ein echter Spasti, armselig, wie wenig Kontrolle du über dein loses Mundwerk hast. Weißt du eigentlich, was du getan hast? Aufgeben werde ich sicher nicht, aber jetzt kann ich Louis auch nicht mehr unbemerkt umgarnen, jetzt muss ich schmerzhafte Entscheidungen treffen und aufhören mit Samthandschuhen daran zu gehen. Ich kann mir denken, dass das nicht dein Ziel war, aber im Grunde hast du nur dafür gesorgt, dass ich jetzt offen mit Louis in den Ring steigen muss, oder viel Aufwand betreiben, um halbwegs den alten Zustand herzustellen. Aber sein Misstrauen ist geweckt, und ganz werde ich das nicht mehr besänftigen können. Du wolltest das vielleicht nicht, aber du hast die Situation nur zugespitzt und mir Probleme bereitet! Also tu mir den Gefallen, konzentrier dich auf deine Affäre in Spe mit dem fast verheirateten Grifone und halt dich aus meinen Bemühungen um den anderen Zwilling ab jetzt raus. Denn, so wahr ich hier stehe, solltest du‘s mir noch einmal beinah versauen, dann verlierst du in meinen Augen dein Anrecht mich anzusprechen." Marcel sah seinen kleinen Bruder an und schluckte. Vor einer Ewigkeit hatte Tailor ihn einmal zwei Tage nicht beachtet und Marcel wär dabei beinah gestorben vor Verzweiflung. Das Ausmaß seines Fehltritts wurde ihm langsam bewusst, und auch wie ernst es Tailor tatsächlich war. "Hast du mich verstanden?" "J...ja." Sein Mund war trocken, seine Stimme krächzend. Marcel konnte sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als von einem Menschen, den er liebte, vollständig ignoriert zu werden. Jetzt wurde Tailors Gesichtsausdruck wieder freundlich. "Gut, dann drück mir die Daumen für Donnerstag, ich werde vorsprechen, Louis holt mich an der Schule ab." Marcel durchlief es kurz kalt. Wie schnell Tailors Stimmung sich änderte, war manchmal beängstigend. Oder war das mal wieder alles nur gespielt? Tailor beherrschte seine Masken mittlerweile beinah meisterlich, das war irgendwo auch ein bisschen gestört. "Mach ich..." __________________________ Und das Drama geht weiter... hat jemand mit so einem Pfarrer gerechnet? (außer Salix :P) Ich hoffe auch dieses Kapitel hat euch gefallen und vllt habt ihr ja auch den lieben Niklaus ein bisschen näher kennen gelernt :3 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)