Wingless von Elena_Jenkins (Leseprobe) ================================================================================ Kapitel 3: ... und dann? ------------------------ Thanks to: --------------------------------------------------------------------------------- --------- und dann? --------- „Du siehst nur einfach älter aus, als du es bist.“ „Danke“, knurrte Nathan leicht säuerlich. „Kommst eher wie zwanzig oder so in der Art“, führte Ian seine Anmerkung weiter aus. „Und das ist alles, was du mir sagen willst?“, fragte Nathan nach und zog seine linke Augenbraue in die Höhe. „Ich meine, du klangst schon ein wenig … sagen wir, geschockter. Da ist doch bestimmt noch ein wenig mehr, als einfach nur das Alter.“ Jedoch erwiderte Ian darauf rein gar nichts. Viel eher schlich sich dieses typische Lächeln auf seine Lippen, welches sogar den Nordpol neidisch werden ließ und Nathan seufzte innerlich. Es war mal wieder so klischeehaft für ihn, dass er sich den gefühllosesten Idioten heranzog, den er hätte finden können. Das war schon immer so. Auf der Juniorhigh hatte er nur Idioten als Kumpels, auf der Seniorhigh war es nicht anders und selbst jetzt sollte sich dies weiter fortführen? Was hatte er nur verbrochen, dass er immerzu an die gleichen Menschen geriet? Das war doch bei Gott nicht mehr normal. Blake hatte da immer wesentlich mehr Glück gehabt. Selbst jetzt besuchten ihn seine Freunde und hielten mit der Familie Kontakt. So etwas konnte Nathan von sich nicht behaupten. Bei ihm lief ständig alles aus den Fugen oder er geriet wieder an solche Wesen wie Ian es war. Undurchsichtig, kühl, lässig und ohne zu viele Worte über sich selbst verlierend. Das war lästig. Bisher war es ein Wunder, dass er sich noch kein Mädchen geangelt hatte, das genau so drauf war… Das wäre die Krönung für seinen Lebenslauf. Wirklich. „Ok, ich merk schon, du willst nicht mit mir sprechen, oder?“, fragte er halb belustig, halb ernst nach und rechnete einmal mehr damit, keine Antwort zu bekommen. Oder aber ein paar Worte, die wieder so derart ‚freundlich’ rüber kamen, dass man sich doch durchaus Gedanken darüber machen konnte, was man falsch gemacht hatte. Nathan tippte eher auf die letztere Variante. Immer mit dem Schlimmsten rechnen. Diese These hatte sich in der Vergangenheit mehrmals bestätigt. „Ich mag sehr wohl mit dir sprechen“, erhielt er die überraschend ruhige Antwort, hatte er doch wirklich damit gerechnet, dass ihm diese ruhige, samtig tiefe Stimme gleich Eisklumpen entgegen schleudern würde. „Ich mag deine Stimme“, hängte der Ältere hinterher. „Wie alt bist du, Ian?“ „Siebenundzwanzig. Neun Jahre älter als du.“ „Ihm Grunde genommen nur acht, ich werde nächsten Monat neunzehn“, erklärte Nathan. Auch wenn diese Information vielleicht überflüssig war, so wollte er es doch angemerkt haben. „Neunzehn, passt eher zu meiner Schätzung“, folgte die nüchterne Feststellung des Brünetten. Super, dachte Nathan. So alt sah er doch gar nicht aus. Oder? Darüber sollte er sich aber dann vielleicht später Sorgen machen und nicht jetzt Zeit damit verschwenden, wenn er doch die Nächte dazu nutzen konnte. „Fassen wir zusammen: Ich weiß, dass du aus Orlando kommst, dass du jetzt in Miami wohnst, dass du Choreograph bist, dass du jegliche Musik magst und mit einer Band befreundet bist. Möchtest du mir nicht noch was sagen?“ „So, wie du das gerade sagst, fehlt mir nur noch die Lampe und ein Klemmbrett und ich fühle mich wie bei CSI New York, nur dass du weniger forsch bei den Fragen bist“, erwiderte Ian jedoch nur trocken, zog nun endlich sein Frühstück heran und Nathan durfte erst einmal beobachten, wie Ian einen der Donuts in zwei Teile brach und total untypisch in den Kaffee tunkte. „Aber ich denke, ich möchte dir was sagen, ja“, kam es wenig verspätet von dem Älteren und ein Nicken begleitete diese Worte noch. Gespannt blickte Nathan den jungen Mann vor sich an. Konnte ihn eigentlich noch irgendwas schocken? Irgendwas, das Ian tun oder sagen könnte? Nun ja, so sicher war er sich da nicht. Wer weiß, was bei diesem Mann alles möglich war? „Als ich dich vor ein paar Tagen aufgefangen habe“, begann Ian, ließ den Rest des Donuts im Kaffee verschwinden, ehe er ihn aß. „Ich find dich hübsch.“ Nüchtern, total ruhig und ernst gemeint. Drei Adjektive, die diese Aussage treffend und punktgenau beschrieben. Erst mochte Ian seine Stimme. Ok, damit konnte er leben. Viele hatten ihm gesagt, dass er eine angenehme Art hatte, zu reden und auch eine angenehme Stimme. Also war das nichts Neues für ihn. Aber dass ein Typ – außer der eigene Bruder – sagte, er fände ihn hübsch, gab dem Jüngeren doch ein wenig zu denken. „Auch, wenn du ein mordsmäßiges Veilchen im Gesicht hast – und ich bin ehrlich, ich will gar nicht wissen, wie’s woanders aussieht…“, erhielt er das Geständnis. Wie jemand, der im Mathematikunterricht nur Bahnhof verstand, saß Nathan mit leicht geöffnetem Mund und fragenden Blick vor Ian und starrte ihn einfach nur an. „Du hast eine Art an dir.“ Kurz schlossen sich Nathans Augen, nur um im nächsten Augenblick umso größer wieder geöffnet zu werden. „Was für eine Art?“ „Hm, keine Ahnung. Wie beschreibt man das am besten?“ Wie unberührt dieser Kerl da saß, seinen Kaffee tot rührte und ihm allen Ernstes noch in die Augen blickte. Bei diesen Worten. „Aja. So eine Art habe ich also an mir?“ „Hm-hm.“ „Und was sollte seine Hand auf meinem Arsch?“ „Deine Reaktion war amüsant.“ „Alter“, zog Nathan das Wort lang. „Willst du mir irgendwas sagen? So in die Richtung, vielleicht?“ Warum zur Hölle geriet er immer an die größten Idioten und folglich in die beschissensten Situationen? Er kam da gerade immer noch nicht wirklich mit klar. Und jetzt blickte er auch noch in braune Augen, die ihn so halb lächelnd und halb fordernd ansahen. Was sollte er denn darauf noch sagen? Jedes Wort blieb ihm im Halse stecken oder wollte nicht einmal ausgedacht werden. „Wenn du mir versprichst, nicht gleich aufzuspringen, und das Weite zusuchen.“ „Kommt drauf an. Wenn du jetzt heraus haust, dass du schwul bist und ich ein potentielles Opfer abgebe, muss ich gehen.“ „Bi trifft es eher. Aber keine Sorge – du fällst ohnehin aus meinem Schema und ich hab es dann doch lieber mit einer hübschen jungen Frau.“ Ian grinste ihn leicht an und Nathan hob nur die Augenbraue. Warum verstand er den Zusammenhang nicht? Nennt man das dann nicht eigentlich eher hetero? Wie sollte er aus Ian schlau werden? Seine Hand kramte nach seinem Handy, er sah nach der Uhrzeit, ehe er meinte: „Ich glaub, ich muss doch langsam gehen.“ „Bleib sitzen.“ Es war bei weitem keine Bitte mehr, es war ein Befehl. Nathan verstand ihn und er wusste, dass Ian ihn nicht loslassen würde. Also lehnte er sich wieder zurück, als der Ältere ihn los gelassen hatte. „Ich muss dich aber nicht verstehen, oder?“ „Du musst gar nichts verstehen“, gestand Ian ihm dann. Trocken lachte Nathan dabei auf. Abwechslung? Bitte. Das war einfach alles nur purer Bullshit. „Aber ich fände es dennoch ganz reizend“, fing er an, fuhr sich durch die braunen Haare und begann, den Kopf leicht hin und her zu wiegen. „Wenn du nicht so verkrampft wie die meisten Typen aufstehen und gehen würdest. Ich bin nicht der Typ dafür, Leute zu etwas zu zwingen. Also ehrlich!“ Wieder wanderte Nathans Augenbraue in die Höhe. „Ist das so?“ „Ja.“ Die andere Augenbraue hob sich ebenso. „Irgendwie fällt es mir schwer, dir das zu glauben. Erstens, ich kenn dich nicht. Zweitens, werde ich aus dir ohnehin nicht schlau und drittens, wäre es für dich durchaus sehr ungesund, dich mit mir anzulegen, heißt mehr als nur ein blaues Auge abzubekommen.“ „Heißt das, du bist nicht verkrampft?“ „Lass deine Hände bei dir, und wir haben keine Probleme. Du hast keine Schmerzen und ich keine Aggressionen. Alles ist gut.“ „Keine Homophobie?“ „Warum sollte ich so etwas haben?“, hielt Nathan dagegen. „Sind doch auch alles nur Menschen, guck dich an. Und so lange mich keiner mehr anfasst, als gut für ihn ist, ist alles ok. Wie gesagt.“ „Beruhigt mich.“ „Warum?“ „Weil du der einzig normale Mensch hier zu sein scheinst. Guck dir diese Matschbirnen doch alle nur mal an“, kam es recht trocken und der Blick Ians wanderte im Speisesaal herum. „Die meisten sind wegen den Fights hier. Also folglich alle ein wenig gaga. Die anderen sind Rentner und ohnehin nicht mehr auf der Höhe und die andere Hand voll Menschen? Kannste in die Tonne treten, weil es einfach keinen Sinn macht, mit ihnen ein vernünftiges Gespräch zu führen. Meine Crew ist mehr unterwegs, als gut für sie ist und die Kleinen? Die sind irgendwo unterwegs mit ihrem zweiten Betreuer. Ich brauch Abwechslung und mal was anderes zum reden, außer meiner Wand.“ „Wie kannst du nur so derart trocken und nüchtern jedes einzelne Wort rüberbringen? Kein Wunder, dass dir niemand zuhört außer die Wand.“ „Und Idioten wie du.“ „Genau, Idioten wie ich, die sich davor drücken, ihrem Trainer gegenüber zu treten“, schmunzelte Nathan. Das Thema ‚Schwul’ war unter den Teppich gekehrt. Unglaublich, wie schnell ein Themenwechsel möglich war. Es überraschte Nathan jedes Mal auf ein Neues. Faszinierend. „Dein Trainer?“ „Er will mich vor dem Viertelfinale noch einmal richtig zusammenscheißen. Muss ich nicht haben“, kam es leicht genervt von ihm. Nein, darauf wollte und konnte er gut verzichten. Es störte ihn nur einfach, dass ausgerechnet heute eine Trainingseinheit anstand. Was auch immer – es würde nicht lustig werden. „Klingt nach Spaß.“ „Nach sehr viel Spaß…“ „Wenn du’s überlebst.“ „Was dann?“, wollte er wissen. „Hol ich dich um halb acht in acht Tagen vorne im Foyer ab.“ „Warum?“ „Konzert. Ich würd dich den Jungs gern vorstellen.“ „Mit welchem Zweck?“ „Einfach nur so.“ Gleichgültig zuckte Ian mit den Schultern. „Ich glaube einfach, dass du mit ihnen gut klar kommst“, ergänzte Ian seine Antwort und erhielt einen – mal wieder – leicht verpeilten Blick. „Sei einfach um halb acht da.“ 15. Mai 2011 -Viertelfinale- Um halb sechs kroch Nathan bereits aus seinem Bett, ging seiner morgendlichen Routine nach und verließ das Zimmer. Die Kopfhörer auf dem Kopf, fummelte er an seinem Handy herum, während er das Hotel verließ. In nur wenigen Stunden würde er sich bereits wieder in der Halle befinden. Coop würde ihm wieder etwas entgegen schreien, seine Schwester würde es Cooper gleich tun. Nur das Grausame an diesen Gedanken war eigentlich nur der Fakt, dass er nicht wusste, was im Ring auf ihn zukommen würde. Mit Sicherheit war es niemand, den man eben einfach auf den Boden schicken konnte. So ganz sicher nicht. Und er war sich sicher, dass es schwer werden würde. Es war ohnehin schon ein Wunder, dass er bis hierher gekommen war. Nicht jeder würde bei einer Amateur-Meisterschaft in dieser Sportart so weit kommen. Tief atmete er durch, blickte in den immer heller werdenden Himmel, ehe er seine Füße in Bewegung setzte und seine morgendliche Runde um die Blocks drehte. Jacksonville war einfach nicht seine Stadt. Er würde hier niemals freiwillig wohnen wollen. Zumindest nicht hier im Zentrum. Dann doch lieber etwas weiter weg, am Rand der Stadt oder so… Hauptsache weg von zu vielen Menschen, großen Ansammlungen und was nicht noch alles in einer Großstadt zu finden war. Im Grunde war er einfach nur froh, wenn er wieder zu Hause war. Auch wenn er dann sicherlich wieder Eskalationen geben würde, mit seinem Vater. So, wie es eigentlich immer war. Nur schlimmer geworden war es, seitdem Blake im Koma lag. Es war irgendwie dieser Zwiespalt. Er war gern daheim, aber irgendwie auch nicht. Es war so viel, was ihn davon abhielt, zu Hause sein zu wollen. Aber auch wieder so vieles sprach dafür. Es war grauenhaft. Einfach nur grauenhaft. Kurz nach dem Frühstück ging es in die Halle. Gut gefüllt, war es um diese Uhrzeit schon verdammt stickig und kaum auszuhalten. Seufzend folgte Nathan Dennis in eine der Umkleidekabinen, warf seine Tasche auf die freie Bank und zog sich das Shirt über den Kopf. „Wie hast du’s nur bis hierhin geschafft?“, fragte Dennis ihn und Nathan blickte ihn nur schweigend an. Was sollte er denn dazu jetzt sagen? „Ich meine, an welchen Turnieren hast du schon teilgenommen? Aber spätestens heute, denke ich mal, wirst du rausfliegen. Ins Halbfinale wirst du es nicht schaffen.“ „Wie du meinst“, kommentierte Nathan das, zog den Reisverschluss seiner Tasche auf und kramte das Oberteil heraus. „Schau, das soll nicht gegen dich gehen. Aber ich bin besser als du.“ Dennis legte seinen arroganten ‚Ich bin dir überlegen’-Blick auf und lächelte dazu auch noch so falsch, dass es Nathan beinahe zum kotzen brachte. „Sei froh, wenn du nicht das Vergnügen hast, gegen mich zu kämpfen. Ich mach dich fertig.“ „Das, Dennis, wollen wir dann erstmal sehen“, kam es ruhig von Nathan zurück, welcher inzwischen seine Hose zusammen legte und zusammen mit den restlichen Sachen in seine Tasche legte. Natürlich war Dennis besser. Der Junge machte das, seitdem er zehn war. Da war es keine Kunst, besser zu sein. Nur dass Nathan wesentlich intensiver trainierte und ein Ziel hatte. Er wollte nicht einfach nur gewinnen. Nein, darum ging es ihm gar nicht in erster Linie. Er wollte einfach nur als gut, wenn nicht sogar sehr gut anerkannt werden. Man sollte in ihm nicht immer nur den Loser sehen. Darum ging es ihm. Und vielleicht auch ein wenig darum, dass er nicht das aufgeben wollte, wofür Blake sich immer eingesetzt hatte. Auf den Bänken sitzend, sah Nathan sich die anderen Kämpfe an. Jeder Teilnehmer war auf seine ganz eigene Weise so derart präzise und perfekt, dass man eigentlich gar nicht sagen konnte, wer denn nun besser war. Mit einem Ohr hörte er zu, wie Cooper sich mit Dennis unterhielt. Es ging um den Fight, wenn Dennis dran war. Er solle doch seinen Gegner bitte schnell und hart fertig machen. Gnade sollte er nicht kennen. Das war meistens der Standardspruch, den Coop benutzte, wenn er mit Dennis sprach. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass Dennis der Beste aus dem Verein war. Und für Coop – entgegen dessen, was dieser Nathan sagte – war Dennis auch der Favorit. Eigentlich konnte ihm keiner das Wasser reichen. Keiner. „Dennis Lething“, ertönte es aus den Lautsprechern und Dennis erhob sich zusammen mit Cooper. „Nathan Jester“, folgte der andere Name und auch Nathan erhob sich, gefolgt von seiner Schwester. Leicht geschockt blickte sein Trainer zwischen beiden hin und her. Er schien nicht zu wissen, was er jetzt sagen oder tun sollte. Doch Nathan ging nur auf den Ring zu, stieg über die Begrenzung und atmete tief durch. Super, dachte er sich. Cooper stand bereits bei Dennis auf der anderen Seite. „Das ist hart“, hörte er seine Schwester sagen. „Du machst das, Nathan. Du macht das!“, sprach sie ihm gut zu. „Es sind nur drei Runden, à fünf Minuten. Das packst du. Deckung hoch, und beweg dich.“ Nathan nickte. Lindsay konnte gut seine Trainerin werden, so wie sie schon sprach. Aber gerade Dennis… War das mal wieder das Spiel seines scheiß Lebens? Wollte das Schicksal ihm mal wieder eins reindrücken? Das übliche Anfangsverfahren, dann gingen sie aufeinander zu und er brauchte nicht einmal Lippen lesen können, um zu wissen, welche Worte Dennis da tonlos sagte. Ich mach dich fertig, identifizierte er und schluckte. Aber Aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Niemals. Diese Blöße würde er sich nicht geben. Als der Gong ertönte, brach für Nathan die Hölle los. Schlimmer als im Achtelfinale und schlimmer als die Fights für die Qualifikation… Dennis machte keinen Unterschied zwischen den anderen und Nathan. Nein, er ging voll rein und die ersten fünf Minuten bestanden für Nathan lediglich darin, seine Deckung aufrecht zu halten und dafür zu sorgen, dass Dennis sich verausgabte und in den beiden folgenden Runden nicht mehr ganz so schnell war. Er hoffte, dass die Theorie in der Praxis auch funktionieren würde. Sonst wäre er echt am Arsch und weiter als das Viertelfinale wäre er nicht gekommen… Nach der ersten Runde, kam Nathan in seiner Ecke zum stehen. Seine Atmung ging verdammt schnell und er hatte das Gefühl, bereits jetzt nicht mehr zu können. Das war unfair. Mehr als unfair… Wirklich. Warum steckte man die Vereinsmitglieder gegeneinander in den Ring? Das war scheiße. Unruhig glitt sein Blick durch die Publikumsmasse. Viele unterhielten sich untereinander, andere starrten einfach nur in ihre Richtung und andere machten sich und ihre Teilnehmer auf den nächsten anstehenden Kampf bereit. Und in der ganzen Masse der Menschen, meinte er Ian am Eingang stehen zu sehen. Erst als diese Person sich abstieß und die paar Treppen hinunter zu ihnen kam, bestätigte sich seine Annahme. Ian bahnte sich den Weg durch die Grüppchen, bis er bei Lindsay zum Stehen kam. Aber Zeit um gemütlich miteinander zu reden war nicht da. Der Gong kündigte die zweite Runde an und Nathan fühlte sich, als würde er den letzten Schritt von seiner Beerdigung entfernt sein. Nur dass er Dennis dieses Mal auch nichts schenkte. Beide mussten gegenseitig die Schläge einstecken, die der andere zielsicher landete. Aber auch die zweite Runde endete recht erfolglos für beide. Jeweils in ihre Ecken taumelnd, ließ Nathan nur den Kopf in den Nacken sinken und sah an die Decke. „Benutz ruhig weiter deinen Kopf als Punchingball, Nathan“, drang die kühle Stimme an sein Ohr und er blickte nur minimal zur Seite. Lindsay stand da ein wenig fragend und deutete mit dem Daumen auf Ian. „Wollen wir tauschen?“, murrte er nur. Solche Ratschläge brauchte er nun wirklich nicht haben. „Ich bekomm schon beim Zusehen Schmerzen. Mach ruhig weiter“, kam es nur von Ian zurück. „Ich würde dir dennoch empfehlen, nicht so stocksteif dazustehen.“ Lindsay nickte nur auf Ians Aussage. „Beweg dich“, hängte die Rothaarige hinterher. „Sonst wird das nichts mehr. Du hast noch fünf Minuten!“ Wieder ein Gong. Nathan hörte, wie Coop Dennis etwas zurief, aber er verstand nicht wirklich, was es war. Seine komplette Konzentration lag auf dem jungen Mann vor ihm. Wenn er nicht aufpasste, war dies hier seine letzte Runde vom ganzen Wettkampf und darauf hatte er nun wirklich keine Lust. Und sie gaben sich wirklich nichts. Kein Bisschen. Der Unterschied zwischen ihnen, in ihrem Können, lag schwindend gering, aber dennoch hoch genug, dass Dennis es schaffte, Nathan auf den Boden zu befördern. Und zwar so, dass der Schwarzhaarige es nicht mehr schaffte, sich aufzurichten. Die Hand auf die linke Seite pressend, versuchte er zu Atem zu kommen, aber wirklich gelingen tat es nicht. Die Runde war zu Ende und Dennis der Gewinner – noch. Lindsay stürzte über die Bänder und kam auf ihn zu. Der Schiedsrichter ging ebenso neben Nathan in die Hocke. „Alles klar?“, fragte jener, als er Nathan behilflich war, sich wenigstens in eine etwas aufrechte Position zu bringen. „Geht“, brachte er heraus, wischte sich mit den Fingern das Blut von der Nase. Aber Sitzen konnte er nicht, weswegen er sich wieder zurück sinken ließ. Es war schon peinlich genug, verloren zu haben, musste er sich jetzt auch noch was gebrochen haben? „Nath, hey.“ Das Gesicht seiner Schwester erschien in seinem Blickfeld und er quälte sich ein Lächeln auf die Lippen. „Alles klar“, meinte er nur und wirkte wenig glaubhaft. „Kommst du auf die Beine?“ „Vielleicht…“ Sie reichte ihm die Hand, doch Nathan war sich sicher, dass sie ihn niemals auf die Beine bekommen würde. Er wog ja beinahe vierzig Kilo mehr als sie. „Unser Supersportler…“, hörte er die Bemerkung Ians, welcher nun auch auf ihn zukam. „Sehr elegant, ich bin begeistert von deinem Fall, der war kinoreif.“ „Sehr lustig“, knurrte Nathan nur, nahm die angebotene Hand des Älteren und ließ sich von diesem mit Leichtigkeit auf die Beine ziehen. Kurz hielt er mit dem Atmen inne. Jeder Atemzug schmerzte und sein rechtes Bein konnte er nicht wirklich belasten, weil er recht viele und vor allem harte Tritte hatte kassieren müssen. „Bringen wir dich zum Sani“, kam es von Lindsay, die die Bänder des Rings auseinander drückte, damit Ian Nathan vernünftig darunter durch bekam. „Das ist so peinlich“, meinte er, während er – gestützt von Ian – den Weg zum Sanitäter humpelte. „Wirklich richtig peinlich. Das war Dennis!“ „Reg dich nicht auf, hast doch’n saubren Kampf hingelegt, was willst du?“ „Genau, er macht das länger als du, Nath“, bestätigte Lindsay. „Er hat doch auch leiden müssen. In zwei Jahren macht du halt wieder hier mit und schaffst es weiter!“, versuchte sie ihm Mut zu machen. „Was machst du überhaupt hier?“, richtete Nathan sich jedoch an Ian. „Wir sind ebenso rausgeflogen und ich hatte keine Lust, mir das Geheule meiner Crew anzuhören, als bin ich hier her.“ Nathan nickte leicht, obwohl er nicht verstand, warum Ian seine Crew einfach im Stich ließ. Normalweise hielt man nach einem Rausschmiss zusammen. Jedoch schüttelte er nur den Kopf über seine wirren Gedanken und ließ sich dann auf die Kante der Pritsche sinken. An der offenstehenden Tür zum Saniraum hing ein Schild mit den Worten ‚Gerade bei einem Notfall’ und das hieß, dass sie wohl noch ein wenig warten durften. So schlimm war er ja nun auch nicht dran, meinte Nathan auf jeden Fall für sich selbst. „Wer bist du überhaupt?“, wollte Lindsay dann jedoch wissen, lehnte sich neben ihren Bruder und sah Ian fordernd an. „Ian Blair“, stellte er sich vor und erntete auch gleich einen kritischen Blick. „Ian … Blair. Und weiter. Woher kennt ihr euch?“ „Ich hab ihn umgerannt.“ – „Er ist in mir in die Arme gelaufen.“ Kam es im Chor von den beiden als Antwort. Jedoch ließ es Lindsay nur noch verwirrter dreinschauen. „Am ersten Tag hier. Ich war irgendwie in Gedanken und habe ihn nicht gesehen, als ich den Gang entlang gelaufen bin, in welchem mein Zimmer lag. Und dann war er einfach da, ich renn in ihn - Bäm! Und er fängt mich auf. Klischeehafte Geschichte…“ “Ja, wärst du kleiner, hättest Titten und wärst durch und durch weiblich“, kommentierte Ian Nathans Worte und verkniff sich ein Lächeln. „Das hättest du wohl gern, Alter.“ „Aber natürlich hätte ich das gern.“ „Ihr seid wie ein altes Ehepaar. Sicher, dass ihr euch erst seit ein paar Tagen kennt?“, wollte die junge Frau wissen und nickte dem älteren Herrn zu, welcher nun endlich mal in sein kleines Kämmerchen zurückkehrte. „Ja, sind wir“, bestätigte Ian und gab dem Sanitäter die Hand, ebenso wie Nathan das tat und Lindsay ebenso. „Was haben wir denn hier?“ „Den Verlierer der letzten Runde“, meinte Ian recht trocken aber dennoch leicht belustigt. „Achso“, gab der Sannitäter von sich und kam auf Nathan zu. „Was haben wir denn?“ „Geprellte Rippen und Zerrungen im Bein. Nicht ganz so dramatisch“, gab Nathan von sich und spielte damit recht gut seine Schmerzen herunter, die er eigentlich verspürte. Sein Kopf brachte ihn beinahe um und seine Nase fühlte sich an, als hätte Dennis es geschafft, jene zu brechen. „Wollen wir doch mal sehen…“ Nathan wurde gebeten, sein Shirt auszuziehen, was jener auch ohne große Umschweife tat – vielleicht etwas langsam und unbeholfen, aber er schaffte es. Lindsay blieb, weil es halt ihr Bruder war und sie wissen wollte, was er denn nun wirklich hatte. Ian hingegen blieb einfach dreist an der - nun geschlossenen – Tür lehnen und betrachtete Nathans freigelegten Körper ausgiebig. Jeden Zentimeter… Ich weiß, ich sollte gehen, aber ich bleibe. Für Nathans Schwester scheint es merkwürdig zu sein, dass ich – ein Fremder – einfach bleibe. Aber es stört mich nicht. Nathan scheint es nicht zu stören, er ignoriert es eher. Nach dem Gespräch – wenn man es so nennen kann – vor zwei Tagen, haben wir uns mehrere Male noch auf dem Flur getroffen, sind gestern gemeinsam joggen gegangen und ich habe heraus gefunden, dass er selbst vor einigen Jahren noch Mitglied einer Streetdancecrew gewesen ist, bevor er wegen seinem Bruder Muay Thai begann. Gestern haben wir zusammen ein paar Moves probiert. Und ich muss zugeben, der Typ kann sich bewegen. Und das, obwohl er nun wirklich mehr als gut trainiert ist. Ich dachte immer, Kickboxer – und das ist Nathan ja zweifelsohne – ein wenig steif waren. Aber da habe ich mich geirrt. Zudem ist er sogar noch richtig gut. Ich habe ihm dann noch unsere Choreo gezeigt, er meinte gestern noch, dass wir damit nicht weit kommen werden. Recht hatte er ja, wie man sieht. Und alles in allem verstehe ich mich mit ihm unheimlich gut. Ich muss zugeben, ein wenig neidisch bin ich auf ihn ja schon. Er sieht super aus. Sein Körperbau, einmalig. Die breiteren Schultern, die ausgeprägten Oberarme, die durchaus sichtbaren Brust- und Bauchmuskeln… Dass er Single ist, ist mir ein Rätsel. Im Gegensatz zu mir hat er einen super Charakter. Man kann mit ihm einfach über alles reden. Zumindest habe ich das im Gefühl. Es ist einfach eine Ausstrahlung, die einem mehr als deutlich klar macht, dass Nathan ein guter Kumpel sein muss. Es ist einfach so. Vor allem wenn man sieht, wie er mit seiner Schwester umgeht. Liebevoll, ruhig – einfach, wie es ein großer Bruder halt zu tun hat. „… gebrochen. Sie sollten ins Krankenhaus fahren und das professionell versorgen lassen.“ Dieser Satz reißt mich aus den Gedanken und ich blinzle kurz unbemerkt, ehe ich die drei da vorn wieder ansehe. Ich sehe, dass Lindsay ihren Bruder besorgt ansieht und neben dem Sanitäter auf und ab hibbelt. Nathan selbst wirkt gelassen, nickt und richtete sich auf. Was ist gebrochen? Sein Zinken? Könnte ich verstehen, ein wenig krumm und geschwollen wirkte seine Nase ja schon… Oder doch die Rippen? Hm, auch möglich. Es klopft an der Tür und ich trete lieber schnell beiseite, ehe man mich hier auf den Boden befördert. Zögernd öffnet diese sich und ich sehe eine dunkelhäutige, glatzköpfige Person herein kommen. „Coop“, gibt Nathan von sich, nimmt sein Oberteil entgegen, welches Lindsay ihm reicht. „Alles ok?“, fragt jener und ich gehe davon aus, dass es sich bei diesem ‚Coop’ um Nathans Trainer handelt. Wie auch sonst. „Na ja. Eine Zerrung im Oberschenkel, sowie mehrere Prellungen, wahrscheinlich drei gebrochene Rippen. Ach, meine Nase ist angebrochen.“ Höre ich da etwa einen bissigen Unterton in der Stimme des Schwarzhaarigen? Ich liebe diesen Blick, den er gerade drauf hat. Er trieft beinahe nur vor Wut. Seine hellblauen Augen wirken auf einmal eine Nuance dunkler. Seine Haltung ist, trotz der vorhandenen Schmerzen, stolz und stark. Dieser Kerl … er macht mich wahnsinnig. Hätte es nicht eine unbedeutende, hässliche Person sein können, die mich vor Tagen umgerannt hat? Warum er? „Hey, ich kann nichts dafür, dass ihr zusammen in den Ring gesteckt wurdet!“, wehrt sich Coop. Wie heißt der eigentlich richtig? Wobei, das interessiert mich nicht. Es ist mir vollkommen egal. Viel interessanter ist die Richtung, in welche dieses Gespräch wohl laufen wird. „Nein, ich weiß. Früher oder später wäre es wohl so oder so so gekommen. Also bitte! Erzähl mir nichts. Du hast ihm doch die ganze Zeit zu geschrieen, der soll sich gefälligst nicht so anstellen, er soll sich bewegen und dem ganzen ein Ende setzen, oder? Hat er getan. Dennis. Dein Liebling. Dein Favorit. Du hättest mich nicht mit hierher nehmen sollen. Du wusstest, dass ich spätestens im Viertelfinale scheitere. Kann ich froh sein, dass es Dennis war?“, höre ich Nathan sagen. „Damit wärst du ja nicht die erste Person, die mir in den Rücken fällt.“ Er zieht sich das Shirt wieder über, hört nicht auf die Worte des Sanitäters, er solle doch nicht schnell aufstehen. Er hört nicht auf seine Schwester. Schnell erhebt er sich aus seiner Position und gerät gefährlich ins Schwanken. Wieder geht die Tür auf – dieses Mal jedoch ohne jegliche Vorwarnung. Der Kerl, mit welchem Nath gerade noch im Ring gestanden hatte, kommt neben mir zum stehen und grinst dreckig. Ich glaube, ein solch widerliches Lächeln habe noch nicht einmal ich drauf… „Na, Loser. Was haben wir denn?“ „Pisser“, höre ich Nathan fluchen. „Ich sagte doch, ich mach dich fertig.“ „Wichser!“, lauter und wesentlich wütender. Ein Schritt, gefährliches Schwanken und dann kippt er einfach um. Schnell ist der Sanitäter bei ihm, redet auf ihn ein. Ich seufzte, gehe an dem Arschloch vorbei und remple ihn absichtlich an. Er ist kleiner als ich, daher ist das keine große Kunst. „Geht einfach, bitte“, spreche ich den augenscheinlichen Trainer an, als auch diesen kleinen Arschficker von Dennis. Ich weiß, ich bin nicht die netteste und warmherzigste Person auf diesen Planeten. Und das will ich auch gar nicht sein, sonst wäre ich nicht ich. Ein kühler, drohender Blick folgt meinen Worten und beide verlassen diesen Raum. Lindsay wirkt auf einmal blass, total geschockt und verängstigt. Was ich tun soll? Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, wie ich mit einer Frau umgehen soll, die in einem solchen Zustand ist, wie sie. Im Grunde juckt es mich noch nicht einmal. Was gehen mich Gefühle von Menschen an? Sie sind mir egal. Sie dienen meinem Zweck und Frauen so oder so. So lange sie die Beine für mich breit machen und mich befriedigen, sind sie ok. Ansonsten interessieren sie mich einen Scheißdreck. „Bleib mal locker, Weib“, sage ich ihr, höre den Sanitäter den Notarzt rufen. Der steht ohnehin vor der Halle – immer abrufbereit. Wer weiß, ob was passiert. Ich helfe dem Sanitäter, Nathan auf die Trage zu verfrachten. Sein Kollege ist wohl mit einem weiteren Fall beschäftig. Ich sage doch, es ist schwachsinnig, sich freiwillig die Birne einzutreten. Scheiß Kampfsport. Alle die das freiwillig machen, müssen doch einen an der Rübe haben. Lindsay folgt den Rettungssanitätern, die ihren – nur langsam wieder zu Bewusstsein kommenden – Bruder in den Wagen bringen und somit ins nahegelegene Krankenhaus. Ich verlasse gemächlich den Sani-Raum, ziehe die Tür hinter mir zu und sehe Coop als auch Dennis da stehen. Dennis tut gleich einen Schritt auf mich zu, doch ich fasse ihn nur an der Schulter, dränge ihn zurück an die Wand, an welcher er gerade noch gelehnt hatte. „Sprich mich an, und es wird das Letzte Wort sein, das du jemals sagst“, drohe ich ihm. Als wäre ich der Tod persönlich, starrt er mich an und nickt dann. „Gut“, gebe ich von mir und wende mich um. Während ich die Halle verlasse, überlege ich, ob ich nicht auch ins Krankenhaus fahre… Ich bin mal gespannt, ob er wieder fit ist, in sechs Tagen. Ich würde nämlich gern wissen, was Mike von ihm hält… Oder was Seth sagt. Seth hat eine unheimlich gute Menschenkenntnis. Kopfschüttelnd nehme ich meine Autoschlüssel und steige in meinen alten Porsche ein, starte mein Baby und fahre tatsächlich in die Richtung des Krankenhauses. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)