Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 18: Rückkehr -------------------- Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens fielen durch die milchige Glasscheibe des Badezimmers, in dem Lily stand und ihr Bild im Spiegel betrachtete. Ihr Gesicht hatte an Farbe verloren und war ein wenig eingefallen. Aber nicht nur dort hatte sie an Gewicht verloren. Auch an der Hüfte, Beinen und Gesäß hatte sie ein paar Kilo weniger. Sie seufzte und kämmte ihre Haare. Sie hingen genauso schlaff an ihr herunter, wie sie sich fühlte. Die letzten Nächte waren der blanke Horror gewesen. Der schlechte Schlaf trug nicht weniger dazu bei, dass sie so schlecht aussah und tiefe Augenringe unter den Augen hatte. Lily drehte den Wasserhahn auf und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um wacher zu werden ehe Nakatsu sie abholen würde. Die Arbeiten an den Wasserrohren waren auch beendet worden und Nakatsu war wieder in sein Zimmer gezogen. Seit zwei Wochen begleitete er sie durch die Society. Seit zwei Wochen tat er das jeden Tag. Seit dem Tag, wo Ronald Knox fort gegangen war. Langsam glaubte sie auch, dass er nicht mehr wieder kommen würde. Wenigstens hatte sie Grelle Sutcliffe noch als Mentor, der sie unterrichtete. Seit zwei Wochen hatte es Carry auf sie abgesehen und jede Begegnung artete in einer ihrer hinterhältigen Attacken aus. Zum Unterricht in die Akademie begleitete Nakatsu sie auch. In der Klasse selbst versuchte sie so unsichtbar wie möglich zu sein. Dennoch blieben Papierkugelattacken oder Zettelchen mit dubiosen Angeboten ihrer Kameraden nicht aus. Aber selbst die ausgelernten Shinigami, egal aus welcher Abteilung, machten ihr unmoralische Angebote und unterstellten ihr Dinge, die sie niemals tun würde. Überall auf dem Gelände der Shinigami Dispatch Society wurde sie angefeindet. Erst vor zwei Tagen hatte Nakatsu sie wieder aus dem Schwimmbecken holen müssen, weil Kayden sie hineingestoßen hatte. So vieles lief schief und Lily hatte keine Ahnung, wie alles wieder gut werden würde. Ihr Hoffnungen wollte sie nicht mehr auf Ronald Knox setzten. Vor drei Tagen war auch ein offizieller Brief des Shinigami Gerichtes bei ihr angekommen. Sie sollte an einer Anhörung teilnehmen, wo geklärt werden würde, ob sie weiter die Ausbildung machen durfte oder aus der Society geworfen wird. Alan, Eric und Grelle hatten ebenfalls eine Einladung bekommen. Sie sollten als Zeugen aussagen, da sie die meiste Zeit mit ihr verbrachten. Sie trocknete sich das Gesicht ab und setzte ihre Brille auf. Inzwischen war ihr selbst das eigene Spiegelbild zuwider. Hatte Carry inzwischen so viel Macht über sie, dass sie selbst ihre Gedanken beherrschte? „Nein!“, flüsterte Lily entschieden. So weit würde sie es nicht kommen lassen. Carry würde mit ihren Sprüchen und Attacken niemals ihre Gedanken beherrschen. Das war es doch was sie wollte. Aber wenn sie es nicht soweit kommen lassen wollte, wie kam es dann, dass sie sich genauso schlecht und minderwertig fühlte, wie Carry es ihr immer an den Kopf warf? Wütend starrte sie ihr eigenes Ich im Spiegel an. Wie konnte sie nur so weit sinken? Noch vor zwei Wochen hatte sie große Töne gespuckt, dass sie nicht aufgeben würde. Sie hatte sich Mut von Michael machen lassen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Wie schäbig war sie eigentlich? Wem wollte sie eigentlich etwas vor machen? Sie hatte doch schon längst aufgegeben, als Ronald Knox gegangen war. Lily belog nicht nur sich, sondern machte auch den Anderen etwas vor. Was war sie nur für eine Freundin? „Wahrscheinlich hat Carry sogar recht und ich sollte gehen…“, murmelte sie und merkte, wie sich wieder Tränen bilden wollten. Ihre Augen waren schon gerötet und die Augenwinkel schmerzten bereits beim drüber reiben. Erneut spritzte sie sich Wasser ins Gesicht. Es würde nicht mehr lange dauern bis Nakatsu klopfen würde und wenn sie nicht die Tür öffnen würde, würde er mit Sicherheit über den Balkon zu ihr herüber kommen. Wenn er dann noch sehen würde, dass sie den Tränen nahe war, würde er sicher nur wieder einen Aufstand machen und eine Schimpftirade über Carry und Ronald Knox ablassen. Er, aber auch Alan Humphries und Eric Slingby waren wütend auf die beiden. Besonders nach Carrys Aktion von der letzten Woche. Nicht mal beim Wäsche waschen war Lily sicher gewesen. Während sie auf die Maschine und die fertige Wäsche gewartet hatte, hatte Carry sie mit ihren Freundinnen überwältigt und in einen kleinen Schacht gesperrt, wo es dunkel, muffig und stickig gewesen war. Lily wusste selbst nicht, wie lange sie in diesem Schacht gewesen war. Carry und ihre Klone hatten es irgendwie geschafft, dass sie das Bewusstsein verlor. Als sie zu sich gekommen war, war sie gefesselt und geknebelt. Lily war zum Eingang gerobbt, wo sie sich immer wieder mit der Schulter gegen die Luke geworfen hatte. Ihre Schulter tat noch immer weh und blaue Flecken zierten ihren Oberarm. Ein Glück hatte Eric sie gefunden. Es war später Abend gewesen. Carry hatte sie also dort über mehrere Stunden eingesperrte gehabt. Ihre Wäsche war natürlich auch verschwunden und in einigen Mülleimern der Society verstreut gewesen. Mühsam hatten ihre Freunde sie zusammen gesucht. Lilys Magen fühlte sich an, als würde er einen Salto machen. Wenn sie an all die Geschehnisse dachte, verging ihr direkt wieder der Appetit auf das Frühstück. Am liebsten wollte sie sich unter ihrem Bett mit einer weichen Decke verstecken, aber das hatte ihre Mutter ihr nicht beigebracht. Ihre Mutter war immer dafür zu kämpfen. Sie wollte die Anderen nicht in ihren Gerüchten bestätigen, indem sie sich verkroch wie ein Angsthase. Lily seufzte erneut auf und atmete tief durch, um sich vor dem zu rüsten, was an diesem Tag wieder vor ihr lag. Sie setzte sich die Brille auf und band ihre Haare zu einem Zopf zusammen, damit niemand merkte, wie leblos sie herunter hingen. Eigentlich wollte sie nicht zum Frühstück, doch Nakatsu klopfte genau in dem Moment an ihrer Tür an, wo sie mit dem Gedanken spielte zur Krankenstation zu gehen und sich krankschreiben zu lassen. „Dann mal auf in den Kampf“, seufzte Lily ihrem Spiegelbild zu und ging zur Tür. Nakatsu warf ihr einen kritischen Blick zu, sagte aber nichts. Lily konnte auch ohne Worte verstehen, was sein Blick aussagte. Unmut und Wut über die ganze Situation. Sein Blick reichte auch aus, um ihr zu sagen, wie schlecht sie doch körperlich aussah. Diese Diskussion hatten sie in den letzten zwei Wochen des Öfteren geführt, aber Lily wollte sich nicht verstecken und den anderen zeigen, wie sehr sie das alles traf und belastete. Die Begrüßung zwischen ihnen fiel kurz und knapp aus. „Bereit?“, fragte Nakatsu. „Bereit wie man nur sein kann“, gab sie zurück. „Wieso gehst du nicht zum Arzt oder zu Spears?“ Lily warf Nakatsu einen viel sagenden Blick zu und sofort hob er abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut“, sagte er. „Ich bin schon ruhig.“ Skeptisch zog Lily eine Augenbraue hoch. „Ich kenn dich doch. Spuck es schon aus.“ Nakatsu sah sie an und schien zu überlegen. Sein Mundwinkel zuckte und er öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, nur um ihn wenige Sekunden später erneut zu öffnen ohne einen Ton heraus zu bringen. „Lily, du siehst scheiße aus und wenn ich nicht wüsste, dass ich nicht so stark bin wie Ronald Knox, um dich zu tragen, würde ich dich auf dem direktesten Weg in die Krankenstation bringen!“ Der Name ihres ehemaligen Mentors versetzte ihr ein Stich durchs Herz. Es erinnerte sie daran, wie sie zu dritt bei ihr geschlafen hatten und er sie über den Flur geschleppt hatte. Ohne es zu wollen, schleiften ihre Gedanken zum Schwimmunterricht und zu seiner Art, wie er ihr Schwimmen beibringen wollte. Kaum merklich lächelte sie, während eine Woge der Traurigkeit über sie kam. Sie dachte gerne daran zurück. Dort war die Welt wenigstens noch in Ordnung gewesen und er hatte sie nicht einfach so im Stich gelassen. Unweigerlich musste sie an ihre Umklammerung denken und wie nahe sie sich dort gewesen waren. Seine Haut war warm gewesen und sie hatte seinen Herzschlag gespürt. Die Nacht als er sie getröstet hatte, war seine Umarmung sehr beruhigend gewesen und während der zwei Wochen hatte sie sich oft danach gesehnt, dass er sie wieder so im Arm nehmen könnte, um sie zu trösten. Aber was dachte sie da nur? Er war ihr Mentor und hatte sie im Stich gelassen! Sie sollte sauer auf ihn sein und sich nicht nach seiner Schulter zum Anlehnen sehnen! „Entschuldige bitte. Ich wollte nicht…“ „Schon gut“, wehrte sie ab. „Es ist deine Meinung.“ „Nein…ich meine…ich wollte dich nicht an ihn erinnern…“ „Schon gut.“ Unter hämischen Grinsen und Getuschel der Shinigami und Lehrlingen gingen Nakatsu und Lily zur Mensa, wo die Situation nicht besser war. Alan, Eric, Hinoko und Grelle saßen bereits dort und erwarteten die Beiden. Es war inzwischen zur Gewohnheit geworden mit ihnen gemeinsam zu essen. Lily und Nakatsu setzten sich dazu und begannen zu essen, während sie sich dabei mit den anderen unterhielten. Grelle Sutcliffe übernahm die Rolle ihres Mentors. Seine Art und Weise unterschied sich sehr von Ronald Knox Methode. Während Ronald sehr darauf bedacht war Autorität zu zeigen und distanziert zu sein, aber gleichzeitig vertrauenswürdig und freundschaftlich, war Grelle dagegen sehr direkt. Er gab sich gar nicht erst die Mühe ein distanziertes Schüler-Mentor-Verhältnis aufzubauen. Lily wollte nicht undankbar sein und Grelle war nicht schlecht als Mentor, aber sie wollte ihren alten Lehrer zurück und hätte sie die Wahl, würde sie sich trotz allem was vorgefallen war, erneut für Ronald als Mentor entscheiden. Grelle Sutcliffe versuchte sie immer wieder aufzumuntern, sowie Alan Humphries, aber es brachte nur wenig Erfolg. Die meiste Zeit sprach Grelle nur davon, wie sehr er doch William T. Spears mochte und was er doch gerne mit ihm anstellen wollte. Er sprach auch von einem Dämon in Gestalt eines Menschen, der sich in der Welt der Menschen herum trieb. Grelle schwärmte von diesem Dämon mit dem Namen Sebastian Michaelis, den er schon so oft während seiner Arbeit getroffen und mit ihm gekämpft hatte. Manchmal war seine Schwärmerei für die Männer auch lästig. Aber jeder wusste, dass es Grelles Art war und man es am besten einfach übersehen sollte. Natürlich brachte der rothaarige Shinigami ihr auch Dinge bei für die Arbeit in der Society. Erst vor wenigen Tagen hatte er ihr erklärt, wie man die Unkosten berechnete und Absetzten konnte, so dass die Buchhaltung einem die Beträge erstattete. Manchmal waren die Berechnungen der Kosten auch zum Verzweifeln. Niemand machte die Arbeit gerne. Aus Rücksicht auf die Situation hatte Grelle mit ihr in den letzten Tagen so oft es ging im Aktenarchiv gearbeitet, da dort kaum jemand war. Nur selten traf man dort einen Shinigami oder Lehrling an. Wenn sie dort auf jemanden stießen, lächelten sie oder flüsterten hinter vorgehaltenen Händen. „Ich werde mich dann mal auf den Weg machen. Hoffentlich vergisst mein Mentor nicht schon wieder, dass er mit mir trainieren wollte“, sagte Nakatsu und räumte sein Geschirr zusammen. Er verzog bei dem letzten Satz ein wenig das Gesicht. Nachdem sein Mentor einen Aufstand wegen seinem Ohrring gemacht hatte, versuchte er Nakatsu härter dran zu nehmen, vergaß aber oft Trainingstermine oder Strafarbeiten, die er für sein angebliches Fehlverhalten bekommen sollte. Alle waren sich einig, Nakatsus Mentor tat das nur, weil er etwas gegen seinen Ohrring hatte. „Wieso redest du nicht mal mit Spears, wenn dein Mentor inzwischen so senil ist? Du lernst doch kaum was“, sagte Lily und trank ihren Tee. „Außerdem ist es nicht fair, wie er dich behandelt seit du dir den Ohrring hast stechen lassen.“ „Miss McNeil hat Recht. Das meiste lernen Sie nicht durch Ihren Mentor, sondern indem Sie sich dem Unterricht von Ihrer Freundin anschließen“, sagte Alan, der in den letzten Tagen oft genug dabei war, wenn die beiden mit Grelle zusammen lernten. „Dein Mentor ist schon sehr alt“, kam es grinsend wie eine Katze von Grelle. „Wir sind zwar unsterblich, bleiben aber vom alt werden nicht verschont. Auch wenn wir pro Jahrhundert nur um ein Jahr älter werden. Das bringt unsere Arbeit mit sich. Die Anderen altern nicht so wie wir.“ „Heißt wir überleben unsere Familien?“, fragte Lily. Eric nickte. „Genau. Wobei unsterblich nicht das richtige Wort ist. Langes Leben trifft es eher. Es hat irgendwas mit den Seelen und deren Lebenskraft zu tun. Sie überträgt sich wohl ein wenig auf uns.“ „Dein Mentor ist schon sehr lange bei uns und er wird sicherlich bald in den Ruhestand gehen. Vielleicht lässt er sich sogar von jemanden mit der Death Scythe töten, anstatt weiter vor sich hin zu vegetieren bis zum Tod mit diesen fossilen Ansichten.“ Grelles Grinsen wurde breiter, weshalb er noch m ehr wie eine Grinsekatze aussah. „Ich weiß und es ist mir auch klar. Aber ich kann ihn nicht einfach so anschwärzen. Ich möchte nicht, dass er nur durch mein Gespräch mit Spears die Arbeit verliert. Jedes Mal, wenn er von seiner Zeit spricht, merkt man die Hingabe dafür.“ „Es wundert mich sowieso, dass Spears noch kein Gespräch mit Ihnen geführt hat. Ihr Mentor und Sie führen doch ein Berichtsheft und müssen es jede Woche vorlegen“, merkte Eric an. Nakatsu nickte und zog die Schultern hoch. „Ja, er hat schon was gesagt, aber nur, dass er das im Auge behält. Das ist das, was ich weiß. Vielleicht hat er ja mit ihm auch noch alleine geredet.“ Grelle gab einen brummenden Laut von sich. „Dann wird es sicherlich nicht mehr lange dauern bis Sie jemand anderen bekommen“, sagte Alan und biss von dem Brötchen mit Käse ab. „Sicher?“, fragte Lily überrascht. Grelle nickte. „Aber ja. Mein süßer William würde nie zulassen, dass ein Schüler nicht mit den Anderen mithalten kann und das nur durch seinen Mentor. Er ist einfach so toll, mein William!“ „Ich lass mich überraschen. Vielleicht hab ich ja Glück und er hat das Training nicht vergessen. Wir sehen uns später“, verabschiedete sich Nakatsu und ging aus der Mensa. Lily sah ihrem besten Freund nach und rührte lustlos in ihrem Müsli herum. Die vielen Gerüchte und Blicke schlugen ihr auf den Magen. Oft genug hatte sie danach über der Toilette gehangen und ihr Magen hatte seinen gesamten Inhalt geleert. Sie verspürte schon gar keinen wirklichen Hunger mehr und aß nur aus Gewohnheit. „Sie sollten etwas essen“, sagte Alan und warf einen flüchtigen Blick auf die Tageszeitung, während seine Augen hauptsächlich die noch volle Müslischale musterten. „Ich hab aber keinen Hunger“, erwiderte Lily und rührte weiter in der Schüssel herum. „Wenn Sie so weiter abnehmen, fliegen Sie beim nächsten Wind davon“, meinte Eric und musterte sie kurz. Lily wusste, dass dies ein nett gemeinter Versuch war, sie zum Lachen zu bringen und zum Essen. „Wen würde es interessieren?“, gab sie lustlos zurück und sah zu wie Grelle die Mensa als nächster verließ. „Reden Sie nicht so einen Unsinn!“, sagte Alan. „Mr. Shinamoto würde es interessieren und uns auch!“ „Da sind Sie auch die Einzigen!“ Angewidert nahm sie einen Löffel von dem Müsli und würgte ihn hinunter. Lily verzog ein wenig das Gesicht. Die Milch hatte es aufgeweicht und Pampig werden lassen. Es schmeckte wie ein schwerer Brei, der an den Zähnen klebte und sich nur schwer kauen ließ. „Das stimmt gar nicht!“, gab Alan zurück. Lily seufzte. Sie hatte nicht vor mit ihren wenigen Verbündeten Streit anzufangen. Es wäre wieder ein gefundenes Fressen für Carry. „Schon gut. Tut mir leid“, sagte sie und rührte in der immer pappigeren Müslimasse herum. „Sollen wir Sie begleiten?“, fragte Eric und sah sich in der Mensa um, ob sein Lehrling Kayden in der Nähe war. „Nein, schon in Ordnung. Ich warte einfach bis die Meisten gegangen sind.“ „Sicher?“, hakte Alan nach. „Es ist kein Problem.“ „Nein, nein. Ich brauch keine Eskorte.“ „Nun gut, wie Sie wollen.“ Alan und Eric standen ebenfalls auf und gingen davon. Hinoko folgte ihnen nur wenige Augenblicke später. Nun war sie alleine am Tisch. Lily starrte in die Müslischale, die noch immer fast voll war und nahm noch ein paar lustlose Bissen. Sie wartete wirklich bis jeder gegangen und sie alleine in der Mensa war. Sie würde es vielleicht nur um Haaresbreite schaffen pünktlich zu sein. Sicherlich würde Grelle nichts dagegen sagen. Oft genug war er selbst auch unpünktlich, weil er noch sein Make-up richten musste. Lily machte sich auf den Weg zum Büro von Grelle Sutcliffe und schlich durch die Flure der Society. „Na sieh mal einer an, wer hier herumschleicht“, ertönte es plötzlich hinter Lily und im nächsten Moment wurde sie zu Boden geworfen. Sie wirbelte herum und erkannte die hoch gewachsene Gestalt von Carry, die auf sie herab blickte. Ihr Herz schlug sofort schneller. Das Adrenalin strömte in ihre Adern, ihre Muskeln spannten sich an und ihre Atmung ging schneller. Alles war bereit zur Flucht und bereit weg zu rennen. Dennoch konnte sie keinen Muskel rühren, um vor ihr zu entkommen. Mit einem fast schon liebevollen Blick kniete sich Carry zu ihr herunter und wischte ihr mit einem Taschentuch über die Stirn, wo sich vor Angst kalter Schweiß gebildet hatte. Es war eine fürsorgliche Geste und es machte Lily noch mehr Angst. So war ihr Carry noch nie begegnet. Mit der anderen Hand strich ihr Carry über den Kopf, als würde sie ein ängstliches kleines Kind vor sich haben und trösten. Sie lehnte sich zu Lilys Ohr so weit vor, dass ihre Lippen sie fast berührten. Während sie leise sprach, gerieten ihre Haare an der Schläfe in Bewegung. „Weißt du, was ich gestern Nacht gesehen habe, meine Kleine“, flüsterte sie und wartete nicht auf eine Antwort, die Lily ihr vor Angst sowieso nicht geben konnte. Sie strich ihr unaufhörlich über die Haare, während sie weiter sprach. „Ronald Knox ist wieder da. Das ist schön, nicht wahr? Glaubst du mir nicht? Aber ich habe ihn gesehen. Er kam mitten in der Nacht in die Society zurück. Ich habe mit Kayden gesprochen, mein Liebes. Wir haben beschlossen, dass wir dich in Ruhe lassen. Ist das nicht schön?“ Sie machte eine kurze Pause und atmete langsam aus. „Jedenfalls sind wir der Meinung, dass wir dich besser in Ruhe lassen. Immerhin ist mein Ronilein wieder da und das heißt, es besteht noch eine Chance, dass er sich für mich entscheidet. Er liebt mich, weißt du und wir wollen zusammen sein. Aber wenn er dich so sieht, wird er sofort wissen, was wir getan haben und dann wird er mich hassen. Das willst du doch nicht, oder? Wenn du ihn zu sehr beeinflusst, könnte er sich noch gegen mich entscheiden. Dann würdest du zwischen uns stehen, mein Liebes. Glaub mir, du willst nicht zwischen uns stehen. Aber das wirst du ja nicht tun, nicht wahr? Dann ist alles gut. Du brauchst also keine Angs mehr vor mir zu haben. Ich werde dafür sorgen, dass es dir besser geht und dir nichts mehr Schlimmes passieren wird. Wir werden die besten Freundinnen sein und jede Menge Spaß miteinander haben. Aber wenn du dich gegen mich stellst, werde ich Spaß mit dir haben. Es gibt Dinge, die wollte ich schon immer mal ausprobieren. Als wie Widerstandsfähig wirst du dich wohl erweisen? Das wird ein Spaß. Aber du wirst meinem Ronilein nichts davon erzählen, richtig? Nein, nein, das tust du nicht. Das wäre sehr unangenehm für uns beide, findest du nicht auch, kleine Lily? Du sagst nichts und ich sage nichts. Damit sind wir uns einig.“ Carry nahm ein wenig Abstand von ihr und hörte auf Lily über die Haare zu streicheln. Sie richtete ihr stattdessen den Kragen ihrer Bluse und die Krawatte. „Aber genug geplaudert für heute. Lauf, lauf, kleines Mädchen und geh an die Arbeit.“ Lily rutschte auf dem Boden ein Stück von Carry fort, drehte sich um und rappelte sich schnell auf, um los zu stolpern. Was war nur in diese Frau gefahren? Hatte sie jetzt endgültig den Verstand verloren? Was sollte das heißen Ronald Knox war zurück? Log sie oder sagte sie ausnahmsweise die Wahrheit? Woher wollte sie denn so genau wissen, dass Ronald Knox sie liebte? Er hatte kurz bevor er fort musste klar und deutlich gesagt, dass er kein Interesse hat. Seitdem hatte er nicht mehr mit ihr sprechen können. Woher nahm sie also die Gewissheit? Lily stolperte weiter. Ihr Körper zitterte und ihre Beine fühlten sich an wie Pudding. Kalter Schweiß lief ihr vor Angst den Rücken hinab. Ihr Herz schlug schnell. Nicht nur weil Carry ihr so eine Angst gemacht hatte, sondern auch, weil ihr alter Mentor wieder da war! Es war ihr nun egal, ob man sie sah oder nicht. Lily gab sich nicht mehr die Mühe unsichtbar zu sein. Sie wollte nur noch schnell weg von dieser Verrückten. Ihr Atem glich einem Keuchen. Was sollte sie tun, wenn Ronald wirklich wieder da war? Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Was sollte sie sagen? Was sollte sie tun? Wie sollte sie ihm die ganzen Verletzungen erklären? Würde sie wohlmöglich anfangen zu weinen? Wie sollte sie ihm überhaupt unter die Augen treten? Konnte sie ihm denn überhaupt verzeihen? Würde ihr Verhältnis genauso sein wie früher? Lily rannte die Stufen hinaus und Bog in den Flur, der zu dem Büro von Grelle Sutcliffe führte. Sie bog um eine Ecke und lehnte sich keuchend an eine Wand. Ihre Hand lag auf ihrer Burst, als würde ihr das Helfen den Atem unter Kontrolle zu kriegen. Schweiß lief über ihre Stirn herunter und ihr Mund fühlte sich trocken an. Vorsichtig wandte sie den Kopf und spähte in das Treppenhaus, um sicher zu gehen, dass Carry ihr nicht folgte. „Miss McNeil, was machen Sie hier?“, fragte eine vertraute Stimme hinter hier. Lily machte einen kleinen Sprung in die Luft vor Schreck und drehte sich mit stark pochendem Herzen um. Vor ihr standen Alan und Eric. Hinter ihm schaute Kayden sie an und grinste, während er mehrere Akten in der Hand hatte. Lily fuhr sich durch die Haare und schaute abwechselnd zu den beiden älteren Shinigami. Sie begegnete Kaydens Blick, der sie wissend ansah und in seinen Augen lag eine unausgesprochene Drohung. Alan trat einen Schritt auf sie zu und umfasste ihre Schultern, während er sie besorgt musterte. „Sie sehen aus, als ob Sie einen Geist gesehen haben?! Ist alles in Ordnung?“ „Ja, ja…alles Gut. Ich bin nur etwas spät dran und bin von der Mensa hierher gerannt.“ „Sie sehen aber sehr blass aus“, merkte Eric an und Lily warf kurz einen flüchtigen Blick zu Kayden, der einen Finger auf die Lippen legte. Fieberhaft dachte sie nach, was sie sagen könnte und stotterte ein wenig herum. „Atmen Sie tief durch und dann erzählen Sie in Ruhe.“ Lily tat wie geheißen und atmete tief durch bis sie wieder normal atmen konnte ohne das Gefühl zu haben eine Widerbelebung zu brauchen. „Ich bin schon so spät dran und bin los gerannt. Da habe ich jemanden sagen hören, Ronald Knox sei wieder da. Ist es denn wahr? Ist er wirklich zurück?“ Schnell warf sie einen Blick zu Kayden, der kurz die Augenbraue hoch zog und ihr zunickte. Alan und Eric sahen sich kurz an und nickten, als hätten sie sich über die Gedanken abgesprochen, was zu tun wäre. Alan trat neben sie und führte sie zum Büro von Grelle, während Eric mit Kayden davon ging in die entgegengesetzte Richtung. Als Eric mit Kayden außer Hörweite war, sprach Alan leise zu ihr. „Sind Sie sicher, dass Sie das genau so gehört haben? Geht es Ihnen gut? Von wem haben Sie es gehört?“ „Ja, ich bin ganz sicher. Ja, es geht mir gut und ich weiß nicht, von wem ich es gehört habe. Ich lief nur gerade aus der Mensa als ich es am Rande gehört habe. Mehr weiß ich nicht.“ Alan nickte und klopfte kurz an die Tür zu Grelles Büro. Er wartete keine Antwort ab, sondern öffnete sofort die Tür. Der rothaarige Shinigami saß an seinem Schreibtisch. In den Händen hielt er einen Handspiegel, während seine Haare mit Klammern zurück gehalten wurden und er seine Wimpern schminkte. „Grelle, ich bring dir deine Schülerin“, sagte er mit einem freundlichen Lächeln und schob Lily ins Büro, während er ihr kurz folgte. Grelle schreckte auf und hielt in seiner Tätigkeit inne. „Alan, du böser Junge! Du kannst eine Lady wie mich doch nicht so erschrecken! Sei froh, dass mein Make up nicht verschmiert ist! Als Shinigami Idol muss ich doch gut aussehen!“ Alan rollte nur mit Augen und schüttelte stumm den Kopf. „Du bist spät dran, meine Liebe! Wo warst du denn? Ist wieder was passiert?“ Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand und er warf einen misstrauischen Blick zu Lily und Alan. Lily winkte ab. „Nein, ich hab mir nur Verspätet. Tut mir leid. Es ist alles ok.“ Grelle nickte und sah wieder in den Spiegel, um sich die Augen fertig zu schminken. Er grinste breit. „Sei froh, dass William das nicht mitbekommen hat. Sonst hättest du jetzt sofort eine Strafarbeit bekommen.“ Lily nickte und setzte sich an den Schreibtisch, um mit der Arbeit anzufangen. „Grelle, hast du kurz einen Zettel und Stift für mich?“, fragte Alan und lächelte ihm freundlich zu. Ohne aufzusehen vom Spiegel, schob er Alan einen Zettel zu und nahm einen Stift aus der Schublade. „Danke“, sagte Alan und beugte sich über den Zettel. Schnell schrieb er mit knappen Worten etwas darauf und faltete ihn zusammen. Den Stift gab er Grelle wieder und nickte ihm mit ernstem Blick zu. „Dann bis später beim Mittagessen.“ Damit verließ er das Büro und ließ sie mit Grelle Sutcliffe alleine, der seine Schminkutensilien fort räumte und in einer Schublade verstaute. Lily hörte wie Grelle ein Stück Papier auseinander faltete. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Offensichtlicher ging es nicht, dass Alan ihm eine Nachricht geschrieben hatte, die sie nicht mitbekommen sollte. Hatten die Beiden das nie in der Schule getan oder waren sie schon zu lange dort raus und hatten es verlernt? Sie hörte, wie er das Papier zerknüllte und im nächsten Moment stand er auf. Er schob das Papier in seine Manteltasche. „Ich werde kurz was erledigen. Bleib du hier und erledige schön deine Arbeit. Ich schaue mir nachher die Rechnungen an.“ Er verließ sein Büro und Lily bleib alleine zurück. Sie schüttelte den Kopf und beugte sich über die Abrechnungen, die sie vorarbeiten sollte. Diskretion war nicht die Stärke von Alan und Grelle. Neugierig war sie ja schon, was Alan Grelle genau geschrieben hatte, aber sie musste die Aufgaben fertig bekommen ehe Grelle zurückkäme. Sie wippte nachdenklich mit dem Bleistiftende auf das Papier vor sich und versuchte sich auf die Rechnung zu konzentrieren. Die Zahlen und Angaben verwirrten sie. Was musste sie angeben? Was war freiwillig? Was brauchte man gar nicht aufschreiben? Zahlen und Rechnungen waren nie ihre Stärke und besonders die Monatsabrechnungen brachte sie zum Verzweifeln. Sie kratzte sich nachdenklich am Kopf während ihre Gedanken abschweiften und zum Zettel zurück wanderten, den Alan Grelle gegeben hatte. Lily fragte sich, was darauf stand. Sicherlich hatte Alan ihm das Gerücht mit Ronald Knox aufgeschrieben. Wahrscheinlich trafen sich jetzt die älteren Shinigami und unterhielten sich darüber ausgiebig. Sie planten sicherlich, wie sie Ronald Knox unangespitzt in den Boden rammen könnten. Immerhin waren sie genauso sauer auf ihn wie Nakatsu. Ihr fiel ein, dass sie unbedingt mit Nakatsu über Carry sprechen musste und über ihr Gespräch. Am liebsten wäre sie sofort zu ihm gegangen, aber sie musste ihre Arbeit machen. Später würde dafür sicherlich noch Zeit sein. Es fiel Lily schwer, ihre Gedanken von dem merkwürdigen Morgen zu lösen und auch von der Tatsache, dass Ronald Knox irgendwo auf diesem Gelände war und vielleicht nicht einmal sehr weit weg. Genervt seufzte sie auf und heftete den Blick wieder auf die Rechnung. Sie nahm sich den Taschenrechner zur Hilfe und machte die Aufgaben. Es dauerte fast den ganzen Vormittag bis Grelle Sutcliffe zurück war und sie beschäftigte sich damit ein wenig das Büro aufzuräumen und noch einmal die Rechnungen durch zu gehen. Als Grelle zurückkam, war seine Laune im Keller, auch wenn er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen. Lily merkte aber, dass ihn etwas missmutig gestimmt hatte. Sie konnte sich auch genau denken, was es war. Doch sie wagte nicht ihn darauf anzusprechen. Nachdem er ihre Aufgaben kontrolliert und berichtigt hatte, war es Zeit für das Mittagessen. Grelle ging alleine zur Mensa. Lily wollte unbedingt zu Nakatsu und mit ihm reden. Zielstrebig ging sie zu dem Büro von seinem Mentor. Nakatsu kam gerade heraus und sah erledigt aus. Als er sie erblickte, steuerte er sofort auf sie zu. „Alles ok bei dir?“, fragte er und atmete tief durch. „Ja, alles gut. Ich musste den ganzen Vormittag Abrechnungen machen.“ Sie verzog dabei das Gesicht. „Was hast du gemacht? Du bist ganz rot im Gesicht.“ Nakatsu seufzte auf. „In seinem Büro war es stickig. Der Alte macht ja nicht das Fenster auf und dann scheint da die ganze Zeit die Morgensonne rein. Wenn ich es dann mal angelehnt hatte, meckerte er sofort rum, ihm sei kalt.“ „Klingt ja nicht sehr angenehm.“ „Ist es auch nicht. Dann musste ich seine Berichte schreiben und irgendwas in alten Akten lesen. Von den Monatsabrechnungen hab ich noch immer keine Ahnung, obwohl ich ihn drauf angesprochen hatte, dass wir das in der Schule haben und ich nicht mitkomme!“ „Es wird echt Zeit, dass du mal mit Spears sprichst. Aber apropos sprechen…Ich muss dir dringend was erzählen.“ „Und was?“ „Nicht hier. Später bei mir im Zimmer, wenn wir alleine sind und niemand zuhören kann.“ Nakatsu nickte. „Okay, aber ich muss das jetzt erst einmal nicht verstehen, oder?“ „Nein. Ich erkläre es dir später. Lass uns jetzt Mittag essen gehen.“ „Gute Idee, ich hab riesen Hunger. Mal sehen, was es heute gibt.“ Nakatsu rieb sich über den Bauch, der ein lautes Knurren von sich gab. In der Mensa war es laut und voll. Der Geruch des Essens und Gesprächsfetzten erfüllten die Luft. „Lass uns schnell etwas holen und dann zu unserem Platz gehen.“ Lily nickte zur Bestätigung und reihte sich in die Schlange ein. Das Angebot war wieder riesig und es fiel schwer sich zu entscheiden zwischen Spaghetti mit verschiedenen Soßen oder belegten Broten. Auch die Nachspeisen hatten wieder ein großes Angebot. Angefangen bei Obstsalaten über kleine Kuchen bis hin zu verschiedenen Puddingsorten. Die Küchenkraft verteilte die Warmspeisen und bespritzte Lilys und Nakatsus Jackett mit würziger und warmer Tomatensoße. Es war schwer zu sagen, ob es nur ein Versehen war oder Absicht. Zum Glück war das weiße Hemd sauber geblieben und die kleinen Spritzflecke fielen nicht sonderlich auf. Dennoch war es ärgerlich. Nakatsu und Lily balancierten ihre Tabletts in der Mitte des Ganges zwischen den vollen Tischen hindurch bis zum Stammplatz, an dem sie immer mit Alan und Eric saßen. Lily hatte ihren Blick auf den Boden geheftet, um über keine Füße, Stuhlbeine oder Taschen zu stolpern und ohne aufzublicken setzte sie sich an den Tisch. Grelle, Alan und Eric waren bereits da und begrüßten sie, musterten sie jedoch besorgt. Nakatsu setzte sich neben sie. Sie begrüßte die älteren Shinigami. Lily wollte die Anderen fragen, wieso sie sie so besorgt ansahen und sich ihrem Essen widmen, als ihr Blick auf ihr Gegenüber fiel. Ihre Augen weiteten sich und ihr Herz setzte für ein paar Sekunden aus. Ihre Lungen wollten Sauerstoff und sie musste tief einatmen, um nicht vor Schreck vom Stuhl zu fallen. Ihr gegenüber saß Ronald Knox. Carry hatte die Wahrheit gesagt! Er war tatsächlich zurück! Sie musste hart schlucken und ihr Herz pochte laut gegen ihre Brust während ihr restlicher Körper versuchte ruhig weiter zu atmen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie war nicht bereit ihn jetzt schon zu sehen! Was sollte sie tun? Was sollte sie sagen? Wo sollte sie anfangen mit ihren Fragen, die sich in den zwei Wochen angestaut hatten. Vorsichtig sah Lily auf und suchte seinen Blick, während sie versuchte ihn zur Begrüßung anzulächeln. Doch das kleine Lächeln erstarb sofort als Lily bemerkte, dass er ihr keines Blickes würdigte. Lily war sich sicher, dass er sie bemerkt hatte. Er hatte doch eben noch geradeaus gesehen und nun starrte er demonstrativ zur Seite als würde er sie ignorieren. Nakatsu stupste sie in die Seite und sorgte dafür, dass sie Ronald Knox nicht anstarrte. Dankend nickte Lily ihm zu und stocherte mit der Gabel in den Spaghetti mit Tomatensoße herum. Aus dem Augenwinkel schaute sie immer wie zu ihrem Gegenüber. Er hatte ein paar Kilos abgenommen und seine Züge wirkten dadurch kantiger. Seine Haare hingen unfrisiert und leblos an ihm herunter. Selbst der kleine Wirbel, der zu ihm gehörte, war verschwunden. Auch die freche Art in seinem Blick war verschwunden und um sein Gesicht hatten sich kleine Bartstoppeln gebildet. Er hatte seine Hemdärmel hoch gekrempelt und sie konnte seine Muskeln erkennen, die sich in den letzten zwei Wochen gebildet hatten. Unter den Augen hatte er kleine Augenringe bekommen. Dennoch lächelte er die anderen Shinigami an, mied es aber, den Blick in ihre Richtung zu wenden. Ronald beugte sich zu Eric herüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Lily sah von ihrem Essen auf und warf einen Blick durch die Mensa. Am anderen Ende stand Carry und ihre Mode-Mafia-Klone. Sie hatte Ronald erblickt und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Ronilein, mein Liebling! Da bist du ja wieder! Ich habe dich so vermisst!“, trällerte sie durch die halbe Mensa und Lily bemerkte, dass er zusammen zuckte und das Gesicht verzog. Sie machte sich so klein wie möglich auf ihren Platz und starrte auf den Teller. Carry trat an den Tisch und schlang beide Arme um Ronald Knox. Sie bemerkte nicht, dass er sich schüttelte und das Gesicht verzog. Sie zog ihn an seine Brust und drückte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. „Wie siehst du eigentlich aus?“, fragte sie, wartete aber keine Antwort ab. „Du musst dich dringen rasieren. So kannst du unmöglich auf die Willkommen Zurück Party heute Abend. Endlich bist du wieder da! Da werden die Partys wieder der Knaller! Es werden so viele Leute da sein! Es gibt ein Buffet, Wein, Champanger, Sekt…“ „Ich werde nicht kommen“, unterbrach er sie und nahm ihre Arme von seinem Körper. Er wischte sich über den Mundwinkel und nahm dann die Serviette zu Hilfe, um den Lippenstift los zu werden. „Wie bitte? Was hast du gesagt?“ Sie starrte Ronald an als hätte er sie geschlagen. „Du hast mich verstanden. Ich werde nicht kommen.“ „Aber wieso nicht?“ Carry zog einen Schmollmund. „Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben alles zu organisieren. Es werden so viele Leute da sein. Einschließlich meiner neuen besten Freundin Lily!“ Carry warf Lily einen mörderischen Blick zu, während Nakatsu sich an einem Stück Fleisch in der Soße verschluckte und Alan sein Wasser vor Schreck zurück ins Glas spuckte. Lily konnte die Blicke der Anderen auf sich spüren, einschließlich Ronald Knox‘ schockiertem Blick, den er ihr kurzzeitig zuwarf. Ihr Herz pochte und sie wäre am liebsten gestorben als sich das weiter an zu tun. Ronald sagte dennoch nichts. Nur ein Räuspern verließ seine Kehle und er sah wieder woanders hin. „Carry, es ist mir egal, wer alles kommt und wenn es die erotischste Frau der Welt wäre. Es wäre mir egal. Ich habe kein Interesse daran feiern zu gehen und auch nicht mehr an irgendwelchen One-Night-Stands. Ich habe meine Lektion gelernt und wenn es wieder eine Frau in meinem Leben gibt, dann nur noch in einer festen und ernsthaften Beziehung. Solange dies aber nicht der Fall ist, genieße ich meine freie Zeit ohne den vielen Partys wie früher.“ Lily schluckte. Wo war er gewesen, dass er seine Einstellung geändert hatte? „Und es ist mir auch egal, wer deine neue beste Freundin ist. Von mir aus kann es auch die Taube aus dem Garten sein.“ „Wie du willst. Dann eben ein anderes Mal.“ Carry warf Lily einen hasserfüllten Blick zu, als wäre sie an allem Schuld und stampfte davon. Hinter sich konnte Lily Getuschel hören und leises Kichern. War sie ihm so egal geworden, dass es ihn nicht einmal interessierte, wie Carry darauf kam, dass sie nun beste Freundinnen seien? Merkte er denn nicht, wie verletzt sie war und das alles eine große Lüge war? Merkte er nicht, dass Nichts in Ordnung war? „Lily, was meint Carry mit beste Freundinnen?“, fragte Nakatsu und starrte sie ungläubig an. Er war nicht der Einzige, der auf eine Erklärung wartete. Alan, Eric und Grelle warteten ebenfalls auf eine Erklärung ihrerseits. Sie spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte und sich Tränen in ihren Augen bildeten. Langsam stand sie auf und ihre Hand umschloss das Glas Orangensaft. Sie packte die Wut. Es war die ganze Wut der letzten zwei Wochen. Alle am Tisch sahen sie an. Alle bis auf Ronald Knox, der seinen Blick durch die Mensa schweifen ließ. Sie hatte ihn in Schutz genommen und verteidigt. Sie hatte alles ertragen, was man ihr an den Kopf geworfen hatte, in der Hoffnung es würde alles wieder gut werden. Sie hatte gehofft, er würde ihr alles erklären und als Mentor wieder für sie da sein. Aber er begrüßte sie nicht einmal oder blickte ihr in die Augen. Es war ihm vollkommen egal, was in der Zeit passiert war. Ihr Griff wurde um das Glas fester und sie kippte den Orangensaft ohne weiter drüber nach zu denken Ronald Knox ins Gesicht. Eric neben ihm wich ein wenig zurück während sich der Saft über sein Hemd verteilte und seinem Gesicht und seinen Harren tropfte. Er starrte sie ungläubig und verwirrt an. „Sie elender Scheißkerl!“, schrie sie lauthals und mit kratziger Stimme. Lily nahm den Teller Spaghetti und warf ihn in sein Gesicht. In der Mensa wurde es augenblicklich still, während der Teller klappernd auf dem Tisch landete. Jeder starrte zu dem Tisch herüber und einige Hälse reckten sich, nur um eine bessere Sicht auf die Geschehnisse zu erhalten. Ronalds Gesichtsausdruck war unlesbar. Spaghetti fielen von seinem Gesicht und landeten auf seinem Hemd oder Tisch. „Erst verschwinden Sie und lassen mich mit dem ganzen Scheiß alleine, den Ihre Freundin Carry angefangen hat und jetzt sind Sie sich auch noch zu fein mich anzusehen! Wissen Sie eigentlich was ich durchgemacht habe in den letzten zwei Wochen? Wissen Sie eigentlich was hier los war? Ich bin froh noch am Leben zu sein, aber Sie interessiert es einen Scheißdreck! Ich habe Sie in Schutz genommen und war fast froh, dass Sie wieder gekommen sind nach all der Zeit! Dabei sind Sie genauso wie Carry und all die anderen hier, die in den letzten zwei Wochen nichts Besseres zu tun hatten als mir mein Leben zur Hölle zu machen! Aber das Interessiert Sie wohl auch nicht! Warum sind Sie überhaupt zurückgekommen? Verschwinden Sie einfach wieder dahin, wo Sie hergekommen sind! Ich brauche Sie nicht, Sie Scheißkerl!“ Lily nahm die Schüssel mit dem Schokoladenpudding und schüttete ihn auch über Ronald Knox Kopf aus. Wütend schob sie den Stuhl zurück und stapfte aus der Mensa. Ihre Brille war beschlagen und heiße Tränen liefen ihr über das Gesicht. Es war ihr egal, dass ihr jeder hinterher sah, auch Ronald Knox. Sie konnte noch hören, wie ein weiterer Stuhl verrückt wurde und jemand ihr folgte. Nakatsu schloss zur ihr auf und nahm sie mit in sein Zimmer, wo sie sich die Seele aus dem Leib weinen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)