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BBC Sherlock
von

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Greg hilft

24.

Greg hilft
 

„Das ist wirklich nicht das rechte Wetter um spazieren zu gehen“, sprach Mycroft, kaum das Greg neben ihm im großräumigen Inneren des noblen schwarzen Wagens Platz genommen hatte. Die Stimme des Politikers war wie immer ruhig und kühl, auch wenn nach seinen Worten und einem Seitenblick zu Greg ein neugieriges, fast kindlich begeistertes Glimmen in seinen Augen lag. Bedacht sich sein Interesse nicht all zu direkt anmerken zu lassen, wanderte sein Blick wieder hinaus auf die belebten Straßen. Er hoffte, Gregory würde ihm etwas Positives im Bezug auf Sherlock zu berichten haben, doch wenn nicht – er hatte selbstverständlich noch einen Trumpf im Ärmel.
 

Greg entledigte sich seiner Handschuhe, wischte den geschmolzenen Überrest von ein paar Schneeflocken weg, die ihren Weg in sein Gesicht gefunden hatten und schnaubte ein wenig hämisch, aber gewiss nicht unzufrieden darüber, der klammen, feuchten Kälte draußen entkommen zu sein.

„Warum das ganze Theater mit dem Anruf? Sherlock wusste das Sie es sind und jetzt weiß er auch mit Sicherheit, dass Sie sich für das Gespräch zwischen uns interessieren.“

„Und?“ Mycroft musterte ihn nun wieder interessiert. Traute ihm der Inspektor etwa keinen präzisen Plan hinter seinen Taten zu? Hielt er ihn wirklich für so emotional das er – wenn es um Sherlock ging – kopflos handeln würde? Er fixierte den DI in seinem finster starren Blick und ließ – als sein Gegenüber nicht wie die meisten Anderen mit Panik auf diese durchdringenden Augen reagierte – ein leichtes Lächeln seine Mundwinkel umspielen. „Die Frage ist doch jetzt, werden Sie mir davon erzählen?“

„Sherlock vermutet es, er sagte auch nichts was wie ein Verbot klang und trotzdem glaube ich sein Vertrauen zu missbrauchen, wenn ich hier offenbare was wir gesprochen haben.“

Der ältere Holmes ließ ein kurzes, aber keineswegs gespieltes Lachen hören. „Was für gute Freunde mein Bruder doch besitzt.“

Seinen durchdringenden Blicke nun vom Inspektor abwendend, glitt Mycrofts Blick erneut durch das getönte Seitenfenster hinaus auf die Straße. Schneeflocken wirbelten vor dem Fenster, ließen sich auf dem Glas nieder, als der Wagen an einer Ampel anhalten musste.
 

„Warum bin ich hier? Wollen Sie mich wirklich aushorchen?“ fragte Greg dem Mycrofts Schweigen jetzt zulange angedauert hatte. Irgendwie hatte er erwartet, dass ihn der Politiker gleich mit treffenden Fragen bombardieren würde, doch seine Taktik schien eher eine Mischung aus mürbe machenden Blicken und strafendem Schweigen zu bestehen. Nichts womit Greg nicht hätte umgehen können. Er wusste allerdings das Sherlock seinen älteren Bruder als den gefährlichsten Mann bezeichnete, dem man in London über den Weg laufen konnte und das behielt er stets im Hinterkopf, wenn er auf diesen Gentleman traf, welcher immer von sich behauptete nur eine unwichtige Position in der Britischen Regierung inne zu haben. Greg allerdings kannte – nun gut, nicht die ganze Wahrheit – aber etwas, das dieser verdammt nahe kam.

Er sah zu der Gestallt am Fenster, welche von den bunten Lichtern hinter einigen Schaufensterscheiben beleuchtet, kaum gefährlicher wirkte als ein Politiker dies normalerweise tat. Mycrofts Miene wirkte nachdenklich, so, als überlege er wie es wohl am sichersten wäre, um mit einem Mann umzugehen, der sich wirklich als Freund seines Bruders sah. Ob er wohl gerade abwog mit welcher Taktik er das meiste an Informationen unauffällig aus ihm heraus zu holen vermochte?

Greg wappnete sich mental auf alle möglichen Manipulationen und so musste er sich eingestehen, auch auf Drohungen. Obwohl Mycroft nie etwas in dieser Richtung getan hatte, traute er dieser undurchschaubaren Maske und selbst auferlegter Emotionslosigkeit keineswegs.
 

Mycrofts bis eben noch still im Schoß gefalteten Hände kamen in Bewegung, rückte seine Krawatte zurecht, und während er zu sprechen begann, langsam und kühl, wich sein Blick keine Sekunde vom bunten Treiben auf der Straße. „Ich will Sie nicht aushorchen und ich will keinesfalls meinem Bruder schaden. Nein, vielmehr versuche ich zu helfen wo ich kann. Also, was glauben Sie, wie sehen Sherlocks nächste Schritte aus?“ Erst jetzt richtete sich der Blick dieser unergründlich tiefen, blauen Augen wieder auf Gregory.

Dieser hielt dem Blick trotzig stand und zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Hmm, er ist sich seiner Gefühle für John endlich bewusst geworden, so wie Sie es sich bereits gedacht hatten, “ Gregory beendete den Blickkontakt, sah aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Stadt und dachte an die zerrüttete Gestallt, die einst der von Arroganz geprägte Sherlock Holmes gewesen war, zurück. Auch beschloss er, Mycroft nicht mit neuen Informationen zu füttern, schließlich war er kein Spion für den Politiker, nicht mal in rein Familiärer Hinsicht. Er wollte Sherlocks Gefühlsleben nicht ausbreiten und sachlich darüber sprechen, als unterhielten sie sich über das Londoner Wetter. Wahrscheinlich war es Mycrofts distanzierend kühler Art zuzuschreiben, dass Greg nicht in der Lage war zu glauben, er könnte echte Anteilnahme oder gar wahres Verständnis für seinen kleinen, mit seinen Gefühlen hadernden Bruder aufbringen. Doch wäre Schweigen, und Mycroft all seine Informationen vor zu enthalten gewiss keine Option gewesen. Zumindest dafür kannte Greg Mycroft Holmes gut genug um sich dessen absolut sicher zu sein.

Immer noch versuchend, Mycroft nicht anzusehen, obwohl der starr auf ihn gerichtete Blick des Politikers auf seiner Haut brannte, begann er zu berichten, kurz, knapp und ohne viel Aufhebens um Sherlocks Gefühle machen zu wollen.

„Ich hab ihm geraten zu John zu gehen und ihm als Freund zur Seite zu stehen. Ich weiß nicht ob ich damit Erfolg hatte, aber mehr viel mir nicht ein. Was soll man schon tun?“

Jetzt riss er seinen Blick von der Straße los und sah in das maskenhafte Gesicht, das bar jeder Emotion wirkte.

Mycroft jedoch war innerlich ganz begeistert! Nicht weil sein Bruder endlich seine Gefühle entdeckt hatte, gewiss nicht! Nein, er sah all diese Gefühlsduselei nur als Sherlocks Schwäche. Etwas, von dem er geglaubt hatte, dass sein Bruder nie davon überfallen werden würde. Jetzt aber steckten sie mitten drin. Sherlock liebte, gewiss eine Tatsache von der er stets gewusst hatte, schließlich war jeder Mensch dazu in der Lage, doch Sherlock hatte er immer dieser ach so menschlichen Schwäche überlegen gesehen. Was machte er sich hier vor? Wenn er Sherlock seine Gefühle für den Doktor ankreiden wollte, gab es in seiner Vergangenheit auch einen Punkt, an dem er ganz ähnlich reagiert hatte, wie sein kleiner Bruder jetzt. Ja, auch er hatte dies alles durchlitten, jedoch allein und ohne jemandem der ihm nach dem tiefen Fall wieder aufgeholfen hätte. Er hatte sich selbst aufgerafft, war unter den Erfahrungen und hatte seit damals sich selbst und vor allem seine Gefühle im Griff. Nur war Sherlock nicht er, ihm war klar, dass der Jüngere sich nicht so einfach von selbst erholen würde – immerhin hatte er dem Verfall schon eine Weile wortlos zugesehen, ehe er einsehen musste, das er um einen Eingriff in die Situation nicht umhin kam.
 

„Ich verstehe, er hat es sich also – und ich schätze auch Ihnen gegenüber…“ Greg nickte, „eingestanden dass er John Watson wirklich liebt. Hat ein wenig gedauert, aber wahrlich ein erster Schritt, ob in die richtige Richtung bleibt abzuwarten, dennoch war diese Stagnation und sein Verfall auch keinen weiteren Tag mehr mit an zu sehen.“

„Sherlock ist noch nicht so weit, gut er hat sich seinen Gefühlen jetzt gestellt, aber eine Lösung des Problems ist nicht in sicht.“ Der DI klang plötzlich müde, Mycroft sah wie er tief durchatmete und sich in die weichen Polster des Autos zurücksinken ließ.

„Vielleicht wenn John ihm verzeihen würde?“ fragte Mycroft und hoffte dieser leichte Stups würde reichen um manipulierend auf Gregs Gedanken einzuwirken.

Ein empörter Schnaufer entkam den Inspektor. „Ja, sicher“, meinte er sarkastisch. „Hätte Sherlock sich ja auch verdient.“

„Ich weiß das der werte Doktor durchaus das Recht hat wütend auf meinen Bruder zu sein, doch vor allem John ist ein sehr emotionaler Mensch. Er fühlt, empfindet mehr denn das er sieht, erkennt oder deduziert.“ Weiter sagte er nichts. Greg sah ihn von der Seite an.

„Das ist wohl war, aber schließlich kenn ich nur Sherlocks Gefühle für John. Was der denkt und fühlt weiß ich so überhaupt nicht...“

„Sie brauchen gar nicht weiter zu sprechen, Inspektor“, unterbrach ihn Mycroft. „Denn das ist eine hervorragende Idee!“

Mycroft kaschierte sein Vergnügen über diesen kleinen Sieg geschickt und schenkte dem DI ein Lächeln welches ihm offensichtliche Bewunderung für diesen genialen Vorschlag verdeutlichen sollte.

Kopfschüttelnd wandte Greg seinen Blick wieder zum Fenster hinaus. „Ich ahne schlimmes“, und tatsächlich, kaum das er den Politiker wieder ansah bestätigte Mycrofts Blick all seine Befürchtungen.

„Es ist jetzt 13:01 Uhr“, der ältere Holmes hatte auf seine teure Armbanduhr geblickt. „Wenn Sie schon zu Mittag gegessen haben, könnten Sie sofort los. Dann wären Sie passend zum Tee bei John und könnten diese Aufgabe für mich übernehmen. Wenn es Ihnen gelingt, wären Sie zum Abendessen wieder in London.“

Schnaufend verschränkte Greg die Arme vor der Brust. „Sherlock ist nicht mein kleiner Bruder, es ist nicht meine Aufgabe für sein Seelenheil zu sorgen! Warum fahren Sie nicht zu John, warum fragen Sie nicht nach den Gefühlen des Doktors?“

Das ganze hier roch immer mehr nach einem faulen Trick! Mycroft hatte ihn absichtlich in diese Richtung gedrängt, und als er endlich die gewünschten Gedanken offen ausgesprochen hatte, war er ohne zu zögern darauf eingegangen. Verdammter Politiker! Aber ganz so leicht wollte Greg es ihm auch nicht machen. Auch wenn er Sherlock und vor allem John zu liebe ohne weiteres geholfen hätte.
 

Ein mitleidiges Lächeln wurde ihm geschenkt. „Ach Inspektor, ich bin gewiss nicht qualifiziert genug für solch eine Aufgabe. Außerdem halten mich die Geschäfte hier gefangen, wichtige Termine stehen an, die ich nicht verschieben kann.“

„Ja, ja“ kam es von Gregory, der höchst unzufrieden wirkte. „Es ist egal was ich sage, oder? Ich komm nicht umhin diesen Befehl auszuführen?“

„Befehl? Ich bitte Sie, ich gebe Ihnen doch keine Befehle!“ entrüstet versuchte Mycroft dieses Wort zu entkräften.

„Wie immer Sie es nennen wollen, ich kann nicht aus, oder?“

„Sagen wir es so, ich werde mich erkenntlich zeigen.“

Das klang durchaus nicht schlecht. Wenn einem einer der wichtigsten Männer des ganzen Landes etwas schuldete, dann war das viel wert. Nicht auszudenken was es in manch einer Situation für einen Vorteil mit sich bringen würde, wenn man Mycroft Holmes auf seiner Seite wusste. Selbstzufrieden lächelte Gregory, und Mycroft wusste das er gewonnen hatte. Ein kleiner, wenn man seine politische Kariere betrachtete eher unspektakulärer und einfach zu erringender Sieg, dennoch ein Sieg und Mycroft genoss diesen Moment. Er lebte für diese kleinen und großen Augenblicke, in denen er sich wirklich glücklich fühlte. Diese Macht, die Überlegenheit, das Erkennen wann man Gesiegt hatte und der Blick in den Augen des Gegners wenn er seine Niederlage als solche erkannte…pures Glück, mehr Gefühle als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in seinem Leben. Alle konzentriert und leider immer viel zu gering dosiert.

Sherlock liebte den Nervenkitzel der Jagt, seine Puzzleteile die er zusammen setzte bis er als erster das fertige Bild bewundern konnte und dann die Aufmerksamkeit in der es zu baden galt, wenn er die Idioten um sich her aufklären konnte. Beides mehr oder weniger die gleiche Stimulans. Ja, in dieser Hinsicht waren sie sich unglaublich ähnlich, der Consulting Detektiv und der Politiker.
 

„Gut, ich mach’s.“ Er deutete auf die Limousine in der sie saßen. „Ist das Auto hier Teil dieses Deals?“

Mycroft überlegte kurz. Noch immer war das Hochgefühl des Sieges zu spüren und warum sollte er Lestrade nicht diese kleine Bitte erfüllen? So hätte er noch viel mehr Möglichkeiten den Inspektor zu überwachen.

„Wenn es Sie glücklich macht, dann steige bei der nächsten Gelegenheit um. Fahrer!“
 

*******
 

„Hallo John!“

„G…Gregory“ stammelte John verwirrt.

Er saß auf seinem Bett, ein Buch in der Hand welches ihn gerade mit seiner spannenden Handlung fesselte, weshalb er sich noch nicht wie alle anderen zum Tee im großen Speiseraum begeben hatte.

Der DI stand im Türrahmen, lässig gegen die Wand gelehnt und schenkte John ein breites Lächeln, von dem er hoffte das es freundlich und vor allem glaubhaft wirkte. Er würde ein tierisch schlechtes Gewissen bekommen, sollte John erkennen das er nicht wirklich freiwillig hier auf besuch war. Zwar könnte er alles Mycroft in die Schuhe schieben, aber das würde wohl nicht den gewünschten Effekt auf die kaputte Beziehung von John und Sherlock haben. Außer das John Mycroft danach genauso wenig mochte, wie dessen kleiner Bruder.

Noch immer zwang sich Greg zum lächeln, er hatte nicht ausreichend zu Mittag gegessen und sein Magen rebellierte. Insgeheim hoffend, John würde die Protestlaute seines Magens nicht hören und ihm möglichst bald vorschlagen, sie sollten doch zu Tee und Gebäck – welches seinen köstlichen Duft bereits durch die Gänge des Krankenhauses verströmte – gehen und es sich schmecken lassen.
 

John hatte derweil den Einmerker – einen alten Kassenbon – zwischen die Seiten seines Buches gesteckt und legte es beiseite.

„So eine Überraschung!“, meinte er und sein Gesicht zeigte wahre Freude über den unerwarteten Besucher. „Mit dir hab ich heute gar nicht gerechnet!“

Greg zuckte die Schultern, ließ sich in dem freundlich eingerichteten, hellen Raum auf den Stuhl vor einer art Schreibtisch nieder, auf welchem Bücher, Hauseigenes Briefpapier und ein Patiententagebuch mit Johns Namen darauf lagen.

“Hinter dem Besuch steckt auch nicht gerade viel Planung”, gestand Greg und blickte durch die großen Fenster hinaus in den hellen, vom Schnee bedeckten Garten, dessen eisige Pracht in der Wintersonne glitzerte. „Ich hatte nichts zu tun und wollte dich einfach mal wieder sehen. Nach deinem letzten Anruf da wollte ich unbedingt wissen, wie es dir jetzt nach der Operation geht. Du sagtest zwar es wäre alles gut verlaufen, aber…“

John unterbrach seinen Freund mit gebieterisch gehobener Hand und einem dermaßen begeisterten Gesichtsausdruck, der die pure Freude Johns widerspiegelte. Er rutschte auf der Matratze zum Bettrand, stellte seine Beine zwar nicht am Boden ab, doch er bewegte sie, langsam und vorsichtig, aber alle beide gehorchten den Befehlen.

„Ha!“ rief Greg begeistert aus, und teilte nun wahrlich die Freude dieses großen Erfolgs.

„Das ist ja wirklich großartig!“ lobte er.

„Ja…“ säuselte John und betrachtete seine Beine als sähe er sie heute zum ersten Mal. Behutsam tätschelte er seinen rechen Oberschenkel, fast so als wolle er das Bein loben weil es so gute Arbeit geleistet hatte. „Ich hätte das am allerwenigsten erwartet“, gestand er. „Ich weiß ja aus medizinischer Sicht war ich immer zu ungeduldig. Als man mir diese OP vorschlug, hab ich gleich zugestimmt, und das obwohl einige Risiken bestanden. Doch ich wollte unbedingt endlich Resultate erzielen.“

Gregory verstand den Doktor nur zu gut. Ihm wäre es an dessen Stelle wohl genauso gegangen. Lieber die Risiken einer OP, als Monate mit langweiligen Übungen verbringen zu müssen, deren Ergebnisse sich kaum erkennen ließen. Ja, er wäre auch für die Holzhammermethode gewesen. Kein Wunder also, dass John sich vor dieser OP gefürchtet hatte.
 

„Na dann, erzähl mal!“ drängte Greg, setzte sich neben John aufs Bett und hörte sich alles gespannt an. John erzählte alles was auf seiner Seele lastete, nur das mit Vivi, das ließ er aus. Erst als sich Gregs Magen laut knurrend wie ein hungriges Tier meldete, kehrten ihre Gedanken in die Gegenwart zurück und lachend schlug John vor, sie sollten sich wohl zur Teegesellschaft begeben.

Während Greg seinen Rollstuhl schob, erkannte John wie schön es war wieder die Vertrautheit eines Freundes genießen zu können. Und auch wenn sie sich jetzt beide lachend zum Tee aufmachten, wusste John doch insgeheim dass Gregs Besuch irgendwas mit Sherlock zu tun hatte, was seine gute Laune doch ein wenig dämpfte. Gut, er hatte diesen noch nicht erwähnt, aber das gebot wohl die Höflichkeit. Wenn man einen Kranken besuchte, dann fragte man erst nach dessen Befinden, hörte sich die Gesichten aus der Reha an und freute sich mit dem Verletzen über jeden kleine Vorschritt. Doch irgendwie erwartete John, dass das Gespräch noch in Richtung Sherlock driften würde.

In der letzten Zeit hatte er sich viele Gedanken über seinen Freund gemacht. Mittlerweile kam er auch gut mit der Tatsache klar, dass er Sherlock wirklich zu lieben schien. Vieles gab jetzt im Nachhinein betrachtet sogar mehr Sinn. Ja, er fühlte so für seinen Freund und das hatte er wohl insgeheim schon eine ganze Weile getan. Die Sorge um Sherlock verschwand nie ganz aus seinem Bewusststein, obwohl er sich durchaus im Klaren darüber war, dass er in Zukunft wohl wirklich lieber abstand zu dem Detektiv halten sollte. Wenn dieser seine Gefühlsleben deduzierte – genau wie damals mit der armen Molly – dann würde der klägliche Rest ihrer Freundschaft unweigerlich ganz zerbrechen. Nein, Sherlock hielt nichts von Gefühlen, er würde John sicher ein weiteres mal aus seinem Leben stoßen und ihn erneut solch bitterbösen Worte hören und ertragen lassen, darauf legte John keinen Wert.

Vielleicht war Sherlock aber auch etwas zugestoßen. Doch das hätte Greg wohl nicht so lange für sich behalten. Wenn es Sherlock wirklich schlecht ginge, dann hätte er doch etwas gesagt, oder? Immerhin war der Rat damals von Greg gekommen, er solle Sherlock doch einfach mal anrufen. Möglichst in einem Moment, wo er ihn nur ein klein wenig hasste. Ganz in der Hoffnung, dieses Gespräch würde zwischen den Beiden alles wieder kippen. Also ob sich das mit einem einfachen Telefonat hätte klären lassen und außerdem, - darauf bestand John nach wie vor – war nichts davon seine Schuld gewesen. Sherlock war derjenige, der sich zu melden und zu entschuldigen hatte. Doch wollte er das überhaupt? Sollte dieser unweigerlich seltene Zustand eintreffen, dann müsste er Sherlock einfach verzeihen. Wenn dieser über seinen Schatten springen konnte, dann durfte John nicht derjenige sein, der dagegen lenkte. Schließlich wollte er diese Entschuldigung und irgendwie wollte er ja auch wieder zurück in sein altes Leben. Was aber, so sagten ihm erneut seine aufflammenden Gefühle, nicht möglich sein würde. Sein Magen flatterte immer so komisch, wenn er allein war und an Sherlock dachte. Gut, nicht wenn er an den Streit dachte, nein, aber wann immer er die schlanke Gestallt vor sich sah, mit seinen hellblauen, fast grauen Augen, dem so wunderbar im Kontrast dazu stehenden schwarzen Haar, das mit seiner lockigen Pracht…John schloss die Augen, unterdrückte einen Seufzer und schob das ziepen in seiner Magengegend auf den Hunger.
 

Schon kamen sie im Speisesaal an und seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen. Greg ließ sich am Tisch ihm gegenüber auf einem, mit weichen Poltern und geblümten Muster bespannten Stuhl nieder und sogleich brachte man ihnen eine voll beladene silberne Platte auf der sich Sandwichs, große Stücke verschiedener Streuselkuchen, Butterkeksen und ein großzügig gehaltener Muffin-Berg türmten. Greg staunte nicht schlecht, zog sich seinen kleinen Porzellan Teller nach vorne und häufte sich von allem etwas auf.

John tat es ihm gleich, auch wenn er jetzt irgendwie gerne allein gewesen wäre. Er hatte dieses nagende Gefühl sich endlich klar über seine Gefühle und seine Beziehung zu Sherlock werden zu müssen. Greg würde ihn sicher darauf ansprechen und was sollte er dann sagen? Wollte er wirklich zurück in die Baker Street und wenn ja, wie würde es weiter gehen? Sollte er seinem Freund, der gerade gierig ein ganzes Sandwich in den Mund schob sagen, dass er sich in Sherlock verliebt hatte? Das würde Greg wohl kaum besonders überraschen, zwar musste er nicht wie alle anderen raten, ob sich zwischen dem Freak und dem Doktor etwas abspielte was über Freundschaft hinausging, denn Greg wusste dass dem nicht so war. Doch was würde er zu diesem Geständnis sagen? Ihm raten zu Sherlock zurück zu kehren und den Soziopathen dann fragen, ob er sich eine Beziehung vorstellen konnte? Nein, das würde Sherlock sicher nicht können. Aber vielleicht, so überlegte John während er geistesabwesend mit der Gabel seinen Kuchen misshandelte, vielleicht würde Sherlock einfach darüber hinweg sehen. Das könnte sein, denn es würde zu dem Charakter seines früheren Mitbewohners gut passen. Nur könnte er mit Sherlocks Ignoranz leben? Würden seine Gefühle, welche so wusste er, momentan noch recht tief unter der Oberfläche trieben dort auch bleiben oder würden sie sich tosend einen Weg bahnen um John darunter zu begraben? Was wenn sie sich wieder gegenüber stünden und ihm erst dann klar würde, dass er dieses Kribbeln im Magen - als würde etwas darin Saltos schlagen – nie würde unter Kontrolle bringen können?

John seufzte, so würde es wohl enden. Er gefangen in Gefühlen die er nicht ausleben konnte, sie aber auch nicht los zu werden vermochte. Ein Teufelskreis weil er Sherlock jeden Tag sehen würde und die Sehnsucht ihm über kurz oder lang Löcher in die Seele brennen würde.
 

Als er aufsah, tat sich Lestrade gerade eine weitere Portion Köstlichkeiten auf, und begann mit glücklichem Gesicht erneut zu kauen.

Ja, John hatte sich entschlossen, er würde Greg sagen, dass er hier bleiben würde. Bei Vivi hatte er zwar keine Chance mehr, aber das musste nichts heißen. Irgendwann würde er London hinter sich lassen und mit der Zeit würden die Erinnerungen an Sherlock verblassen. Vielleicht würde er nachdem er hier entlassen wurde zurück nach Hause gehen, nach Schottland. Er war lange nicht mehr dort gewesen und doch erinnerte er sich gut an den kleinen Ort in dem er aufgewachsen war. Außerdem war eine kleine Landarztpraxis immer schon etwas gewesen, das ihm gefallen hätte. Ein ruhiges Leben, weit ab der Großstadt und bestimmt würde er da eine nette Frau kennen lernen und mit ihr neu Anfangen können. Und wenn keine Frau, dann halt ein netter Kerl. Jemand der kein Soziopath war und der seinen Gefühlen und einer möglichen Beziehung nicht auswich, als wären beides giftige Spinnen vor denen man nur Reißaus nehmen konnte. Dann würde sein Leben weiter gehen, so wie er es immer hatte haben wollen.
 

„Puh, bin ich satt!“ sagte Greg glücklich, als er John in dessen Rollstuhl zurück in sein Zimmer schob. Draußen hatte während des Essens die Dämmerung eingesetzt und über die zauberhafte Winterwelt war eine kalte und pechschwarze Nacht hereingebrochen. Die Neonlampen erhellten die Korridore und tauchten die Bewohner des Heims in ein seltsam fahles Licht, dass nach dem herrlich glitzernden Schnee in der Sonne noch unechter und blasser wirkte, als ohnehin schon.

„Du…“ begann John nicht so recht wissend wie er anfangen sollte. „Wie kommst du eigentlich nach Hause?“

„Hmm, bin mit dem Wagen da“, sagte Greg und das war noch nicht einmal gelogen. Zwar würde er sich lieber die Zunge abbeißen als zuzugeben, dass besagter Wagen eine Limousine von Mycroft war, doch lügen wollte er auch nicht so direkt. John sollte nicht denken, dass er nur hier her gekommen war, weil Mycroft ihn dazu gezwungen hatte, auch wenn er sich bei dem Gedanken an das Wort gezwungen schuldig fühlte. Schließlich lag es nah an der Wahrheit und er empfand ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass er John eigentlich schon viel früher und aus eigenen Stücken heraus hätte besuchen sollen.

„Ah, schön“, murmelte John und sie verfielen wieder ins Schweigen. Erst als die Zimmertüre hinter ihnen im Schoss lag und beide es sich gemütlich machten, wurde das Schweigen unangenehm. Eine Müdigkeit resultierend aus ihren vollen Mägen machte sich im Zimmer breit und Greg war unheimlich dankbar, dass er nicht selbst fahren musste und in der warmen Limousine bis nach London vor sich hin dösen konnte.

„Wie…wie geht es Sherlock?“ fragte John und versuchte dabei so beiläufig wie möglich zu klingen.

„Na ja, wie soll ich sagen…“ er überlegte und als er Johns panischen Blick bemerkte, fügte er rasch hinzu: „Es geht ihm soweit gut. Er isst nicht viel und von Schlaf will er auch nichts wissen, aber das kennst du ja auch von ihm.“

John antwortete nicht. Einerseits tat es ihm Leid, denn er wollte nicht das es Sherlock schlecht ging, andererseits war da einen Stimme tief in ihm die lautstark verkündete, dass er ein klein wenig Leid durchaus verdient hätte, nach all dem. Da war auch noch die stete Sorge um den Freund und die Frage, ob es ihm so schlecht ging, weil ihm er, John Watson fehlte. Die Vorstellung ließ sein Herz ein wenig höher schlagen, vielleicht vermisste er ihn schmerzlich, ja, vielleicht…

„Irgendwie kämpft er mit sich“, sagte Greg und John, der stumm auf seine Füße gestarrt hatte, blickte nun auf.

„Er vermisst dich, weißt du?“ sagte er und seine Stimme war neutral und doch glaubte John ein klein wenig Bitterkeit zu vernehmen. „Ich denke es ist ihm mittlerweile bewusst geworden, was für einen großen Fehler er gemacht hat, indem er dich aus seinem Leben geworfen hat.“

Noch immer schwieg John. Auch wenn er innerlich jubelte. Sherlock vermisste ihn tatsächlich! Er war seinetwegen traurig, er bereute es ihn aus seinem Leben geworfen zu haben! Gleichzeitig mahnte ihn eine andere Stimme, sich nicht darüber zu freuen, er würde nämlich nicht zurück in die Baker Street gehen, sondern hier bleiben!

„Ich glaube“, begann Lestrade der immer ein wenig brauchte, um die richtigen Worte zu finden, nicht wissend ob er John wirklich die Wahrheit über Sherlock erzählen sollte, „er kämpft mit seinen Gefühlen.“

John starrte ihn an, sein Mund öffnete sich in dem Versuch zu antworten, aber er brachte keinen Ton hervor. Schließlich schloss er ihn wieder, starrte Greg aber unverändert an.

„John, ich weiß nicht wie du für ihn empfindest, aber glaub mir, für keinen anderen Menschen hat er jemals so viel empfunden wie für dich. Er leidet. Ich hab versucht ihm zu helfen, aber bin gescheitert. Er hat Angst davor, dass du ihm niemals vergeben wirst, selbst wenn er sich entschuldigt. Er möchte dich wieder in seinem Leben haben.“

Langes Schweigen, dann gewann der Trotz über all die wirbelnden Glücksgefühle in Johns innerem. „Wenn dem so wäre, warum bist dann du hier und nicht er?“

„Du kennst ihn“, beschwichtigte Greg, der die Angriffslust in Johns Stimme nicht überhören konnte. „Mit Gefühlen hat er so seine Probleme.“

„Aber er hat Gefühle für mich?“ fragte John und wusste nicht, was genau er sich von dieser Frage erhoffte. Dementsprechend druckste sich Greg um die Antwort herum.

„Ja, ja, sehr tiefgehende sogar. Er hat sie sich selbst gegenüber eingestehen müssen.“ Das, so fand John, war sehr diplomatisch ausgedrückt und mächtig um den heißen Brei herumgeredet. Offensichtlich verbrachte der DI zuviel Zeit mit Mycroft Holmes.

„Was empfindest du eigentlich für ihn? Bist du ihm immer noch böse oder…“

„Oder was?“ schnappte John. „Was willst du hören, dass ich ihn vermisse, zu ihm zurück will und nur damit sein Seelenheil komplett ist, auch noch so tue als wäre nichts geschehen?“

„Nein! Sicher nicht. Keiner erwartet dass du ihm einfach so verzeihst. Aber…nun ja…“ Greg pausierte kurz, sammelte ein wenig Mut zusammen und preschte dann wagemutig vor. „Es gibt so viele Anzeichen, alle bemerken es, alle die mit euch zu tun bekommen. Ihr seid so vertraut miteinander, ihr versteht euch, braucht euch auf eine Weiße die genauso bewundernswert wie seltsam ungesund scheint. Ich dachte mir nur, vielleicht sind Gefühle vorhanden, die tiefer gehen als über Belanglosigkeiten hinaus. Nun, was ich damit sagen will ist…“

„Das Sherlock und ich uns lieben“, beendete John für ihn den Satz.

Greg erwartete sogleich, dass sein Gegenüber dies vehement bestreiten würde, aber kein Wort des Protestes kam. Aha, also hatte er doch richtig gelegen, auch John kam nicht ganz so unbeteiligt aus der Sache raus, wie er vielleicht gehofft hatte.

„Also ist da was dran? Sind es nur Gerüchte oder fühlst du etwas in diese Richtung?“

John zuckte die Schultern, rutschte auf seinem Bett sitzend ein wenig tiefer in die Kissen und starrte erneut auf seine Füße, so als wären seine grauen Socken unglaublich faszinierend.

„Wenn er es wüsste…also wenn…“ begann John und stoppte dann. Er raufte sich fahrig in seinen Haaren herum und mied Gregs Blick. „Wenn ich rein hypothetisch etwas mehr für ihn empfinden würde, könnt ich dann annehmen dass er genauso…fühlt?“ Dieses letzte Wort kam ihm schwer über die Lippen, schließlich redeten sie hier von Sherlock. Ihm Gefühle zu unterstellen schien irgendwie sträfliche Dummheit zu sein.

„Ja, nicht nur hypothetisch“, Greg musste gegen ein Lachen ankämpfen. Schon seltsam wie zwei erwachsene Menschen so lange um sich und ihre Gefühle herumtanzen konnten.

Jetzt richteten sich die Augen Johns auf seinen Gast und langsam dämmerte ihm, was Greg soeben gesagt hatte. Sherlock liebte ihn und offenbar schien sich Gregory da seiner Sache sehr sicher.

Sherlock liebte ihn, liebte ihn…

All seine guten Vorsätze flogen über Bord. Er wollte zurück, er wollte Teil von Sherlocks Leben sein und das in so vielen neuen Bereichen das er fast Wahnsinnig bei dem Gedanken daran wurde! Er konnte sein Glück kaum fassen!

Da gab es jetzt nur noch eine Hürde zu meistern.

„Wird er kommen und sich entschuldigen?“ fragte John, schwankend zwischen Neugierde und der Angst vor einer Ablehnung.

Greg atmete geräuschvoll ein, dann wieder aus. Das war ein anderes, heikles Thema.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber jetzt wo ich weiß dass du genauso für ihn empfindest wie er für dich…und du willst doch zu ihm zurück oder?“

„Ja, ja unbedingt! Wenn er sich entschuldigt, vergebe ich ihm und dann…“ Johns Blick glitt ins Leere offensichtlich träumerisch in eine leicht hoffnungsvolle Zukunft.

„Ich denke ich hab da so eine Idee.“
 

20 Minuten später saß Greg wieder in dem schwarzen Wagen, der gemächlich die schlecht geräumte Zufahrt hinunter holperte. Hinter ihm verschwamm das Licht des großen, hell erleuchteten Gebäudes langsam in der Dunkelheit, bis es gänzlich vom wabernden Nebel verschluckt wurde.

Im inneren des Autos war es angenehm warm und der Fahrer – offensichtlich langes Warten gewöhnt – hatte stumm die Fahrt begonnen.

Während sie auf die Schnellstraße bogen, welche sie zurück nach London bringen würde, war Greg noch ganz in Gedanken. Mit Johns Hilfe hatte ein Plan gestallt angenommen, welcher hoffentlich endlich das leidige Thema beenden und John und Sherlock als Paar zusammenbringen würde.

Die Wärme, das Schaukeln und das monotone Geräusch des Motors ließen Greg schläfrig werden und ganz ohne es bewusst war zu nehmen, driftete er hinüber in den Schlaf.

Erst als jemand an seiner Schulter rüttelte, riss er verdutzt die Augen auf. Sich wundernd, wann er denn eingeschlafen war, wischte er sich kurz über die Augen und sah sich dann dem Besitzer des Wagens gegenüber.

„Hatten Sie erfolg?“ fragte Mycroft ohne lange Vorrede.

„Hmm, denk schon“, grummelte der Angesprochene und kletterte aus der Tür, die Mycroft für ihn geöffnet hatte. Überrascht sich nicht vor seiner eigenen Wohnung wieder zu finden, blickte er auf eine vertraute, grüne Tür auf welcher die goldenen Nummern von 221 B prangten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sisilia11
2013-01-01T22:40:05+00:00 01.01.2013 23:40
Da du noch keine Kommentare zu diesem Kapitel erhalten hast mache ich mal den Anfang. Dein Schreibstil ist wie immer toll und ich liebe es deine FFs zu lesen. Schade finde ich eigentlich nur, dass du so lange mit dem Online-Stellen der neuen Kapitel wartest. Vielleicht erlöst du deine ungeduldigen Leser in Zukunft etwas schneller??? Nutzt es was, wenn ich bitte bitte sage :) ??
LG
Sisilia


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