Auch Engel essen Fleisch von kentasaiba ================================================================================ Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Luise war nicht erstaunt, als sie feststellte, dass Herr Heidenreich inzwischen einen Gärtner beauftragt haben musste das überschüssige Grünzeug zu entfernen, das sich bereits seinen Weg die Hauswand entlang gebahnt hatte. Sie brauchte die Klingel nur einmal zu betätigen, da wurde die Tür schon aufgerissen und Sarah streckte ihren Kopf heraus. Spielend sah sie sich nach allen Seiten um, ob Luise auch ja allein gekommen war. In diesem Moment hatte diese zugeben müssen, das Mädchen am liebsten direkt auf den Mund geküsst zu haben. Doch sie widerstand ihrem Drang und ließ sich von Sarah ins Innere führen. Im Flur lagen jede Menge Umzugskartons in den Ecken, das war verständlich, in der kurzen Zeit hatten wohl weder Sarah noch ihr Vater groß Zeit gehabt. Luise erwartete eine komplette Hausführung, doch Sarah enttäuschte sie. Auch ihr Zimmer schien im ersten Stock zu liegen und die beiden bestiegen die Treppe, nur um kurz darauf vor einer Holztür mit einem Poster zu stehen. „Jup ich weiß. Auf dem Poster ist zwar Misaki in ihrem Maid-Kostüm, aber es gehört trotzdem mir!“, drückte Sarah kurz darauf die Klinke. Das wäre Luise aber auch so oder so klar gewesen. „Hüte dich vor Geistern! Gerüchten nach soll sich der alte, erboste Geist von Frau Sommer noch hier herumtreiben!“, hauchte Sarah verschwörerisch. Luise dachte daran, sie zu erinnern, dass die Vorbesitzerin lediglich in ein Altenheim gezogen und ganz und gar nicht tot war, ließ es aber dann auf sich beruhen. Was würde sie im Inneren erwarten? Sarah war ein Engel, es mussten also überall Wolken herumschweben und es duftete frisch und angenehm. Luise wurde schnell in die Realität zurückgeholt. Auch in Sarahs Zimmer standen viele Kartons herum, auch wenn viele davon ausgepackt waren. Sie hatte damit begonnen einige Stellagen mit kleinen Plastikfiguren zu füllen, die Regale waren halb voll mit Romanen und wie konnte es auch anders sein, Mangas. Sarahs Bett war breit und ungemacht. Auf der linken Seite lag ein etwas über ein Meter langes Kissen mit einem Motiv, das Luises Wangen erröten ließ. Auf den ersten Blick erkannte man nur eine gewöhnliche Anime-Figur, doch die freizügige Pose in der sie sich räkelte war schon sehr kompromittierend. Das betraf aber wohl nur die Figur und nicht Sarah selbst. „Ach…. Dakimakuras sind öfter etwas freizügig.“, lachte sie unschuldig, als sie Luises Reaktion bemerkte. „Aber das war nicht dein Geheimnis, oder?“, hakte sie nach. Sarah schüttelte amüsiert den Kopf. „Nicht doch, das würde ich auch kaum als eines beschreiben.“ Luise holte tief Luft. Was würde Sarah wohl noch für sie bereit halten? Sie war vor einem kleinen CD-Stand angekommen, es waren weniger als vermutet. Die meisten schienen selbst gebrannt zu sein, da ihre Titel mit einem dicken Filzstift aufgetragen worden waren. „Sind Sicherungskopien, mein iPod ist auch viel kompakter, schließlich leben wir in der MP3-Generation.“, erklärte sie. Luises Blick wanderte zum Fenstersims, wo sich zwei Fotos befanden. Auf einem war eine Katze abgebildet, wahrscheinlich hatte Sarah sie einmal besessen. Auf dem anderen die lachenden Gesichter von drei Personen. Luise erkannte einen von ihnen als Herrn Heidenreich, die anderen waren eine erwachsene Frau und ein Kleinkind. Es war klar, dass es sich nur um Sarah handeln konnte und dieses Bild ließ Luise beinahe erzittern. Sarah war 10.000 Mal niedlicher als das Kätzchen daneben. „Damals war ich noch richtig moe, oder?“, meinte diese nur. Luise zuckte mit den Schultern, sie hatte diesen Begriff gelesen, ihn aber schon vergessen. „Jetzt würde man sagen ‚Aber nein Sarah, du bist heute noch moe!’“ Luise verdrehte die Augen und wiederholte den Satz eintönig. „Und die Frau auf dem Foto? Ist das deine Mutter?“, wagte sie es zu fragen. Die Traurigkeit, die jetzt in Sarah aufstieg würde sie niemals mehr vergessen. Sie war lediglich von kurzer Dauer, doch das erste Mal, konnte Luise auch einen verletzlichen Teil ihrer Seele erhaschen. „Sie lebt nicht mehr, oder?“, fuhr Luise dennoch fort. Erst nahm sie an, Herr und Frau Heidenreich wären geschieden wie ihre Eltern, und Sarahs Fröhlichkeit hatte sie darin bestätigt. „Sie hatte einen Unfall als ich noch klein war.“, erwiderte Sarah und das war wohl auch schon alles. Luise war so respektvoll, dass sie sie nicht weiter drängte davon zu erzählen. Zumindest konnte sie ausschließen, dass das Mädchen darüber mit ihr sprechen wollte. Also fuhr sie fort das Zimmer zu mustern. An den Wänden fand sie Poster wie an der Tür vor, alle in verschiedenen Größen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sich Sarah nicht bewegte und auf etwas zu warten schien. „Bist du… bereit?“ Luise hätte diese Frage gerne bejaht, aber um ehrlich zu sein, wusste sie es nicht genau. Schließlich nickte sie und trabte ein paar Schritte nach links. Sie machte sich die Mühe, einen breiten Kleiderständer beiseite zu schieben und erst dann erkannte Luise die weitere Tür im Raum. „Das war irgendwann man eine Küche und das hier wohl die Speisekammer. Jetzt fungiert sie mir als eine Art Wandschrank, der sehr geräumig ist und viel Platz bietet. Und darin…. befindet sich das Geheimnis, das ich dir anvertrauen wollte.“, sagte sie ruhig und bestimmt. Luise schluckte und wartete darauf bis sie fort fuhr. „Nein, keine Sorge! Ich bin nicht Kirino, und du wirst dahinter auch keine Eroge vorfinden.“, lachte sie über ihren eigenen Witz. Luise tat ihr aber den Gefallen und stimmte darauf ein. Sarah wirkte nun sichtlich nervös, so kannte sie das Mädchen gar nicht. War ihr Geheimnis wirklich so etwas Monströses, dass sie deswegen ihre Coolness verlor? Langsam kramte Sarah einen Schlüssel aus der Tasche und sperrte die Tür auf. „Nicht einmal Paps weiß hier von.“, versicherte sie Luise. Diese nickte zaghaft. Wenn ihr Vater bereits von so fragwürdigen Dingen wie diesem Kissen oder auch Dakimakura wusste und diese billigte, was musste Sarah dann noch vor ihm verbergen? Nun war es zu spät. Die Tür schwenkte nach außen auf und gab das Innere preis. Nunja, nicht ganz, Sarah musste erst eine Glühbirne per Hand einschalten, damit die ehemalige Speisekammer genug Licht spendete. „Schwöre, dass du das Geheimnis behütest!“, sagte Sarah an Luise gewand und die musste erst einen Eid abgelegen. Dann trat sie näher und sah sich den Inhalt der Kammer an. An einer Wand ragte ein Regal heraus, auf dem Mangas platziert waren. Die wenigsten waren auf deutsch, die meisten englisch und sogar japanisch. Sarah musste sie importiert haben, worüber sich ihr Vater während des Abendessens so aufgeregt hatte. Luise bezweifelte, dass sie diese lesen konnte, aber es lag wohl eher an ihrem Sammelwahn. Auf der anderen Seite lag jede Menge Hardware, Festplatten so wie USB-Sticks und CD-Roms, vielleicht auch DVDs. „Jetzt weißt du es.“, murmelte Sarah mit unruhigen Ton, doch Luise konnte ihr nicht folgen. Im ersten Moment unterschied sich nichts in der Kammer vom Rest des Zimmers. Dann betrachtete sie die CD-Roms, sowie die Mangas genauer. Doch Sarah schnappte sich ein paar und hielt sie ihr förmlich unter die Nase. „Mai und Reo sind definitiv meine Favoriten. Außerdem bin ich Sakura X Kotoko Shipper!“, sprudelte es aus ihr los. Luise betrachtete das Motiv genauer und erkannte aufgrund des Pärchens darauf, dass es sich um einen Liebesfilm, vielleicht sogar eine Serie handelte. Das was Luise allerdings nicht erwartet hatte, war, dass die beiden Anime-Figuren darauf beide weiblich waren. „Meine Lieblings Visual-Novels. Zum Beispiel Sono Hanabira, alles vertreten, von Mai X Reo bis Kaede X Sara. Nur nicht Nanami X Yuna, da ich das Paaring verabscheue. Frag lieber nicht genauer nach.“ Luise hätte das wahrscheinlich ohnehin nicht getan. Aufgrund des Worts ‚Novel’ konnte sie gerade noch schlussfolgern, dass es sich um etwas Geschriebenes handeln musste, mehr aber auch nicht. Sie fühlte sich als wären ihre Rollen vertauscht worden, als wären sie in Luises Zimmer, doch nicht Sarah hatte das verräterische Buch über eine Frauenliebschaft entdeckt, sondern sie. Nein, Sarah drängte ihr diese Dinge regelrecht auf. Nun legte sie die CDs zwar weg, ging aber zu den Mangas über. Sie reichte Luise einen und wartete bis diese ihn durchgeblättert hatte. „Ich weiß, Otometachi hat schon einen extremen Shoujo-Style, dagegen ist Ouran High nichts im Vergleich. Dennoch bin ich froh, ihn mir bestellt zu haben, besonders da ich seit dem Aus von Yurikai niemals mehr an die englische Version gekommen wäre.“ Sie entriss Luise den Manga und stellte ihn zurück. „Hah!“, machte sie und reichte ihrer Freundin einen weiteren. „Der ist sogar etwas für dich, nicht zuletzt da er auf Deutsch ist. Einer der wenigen die hierzulande erscheinen. Aber Morinaga Milk ist eine Göttin und du wirst Akko und Mari lieben, das verspreche ich dir. Ich sehne mich nur danach, dass endlich ihr neuer erscheint, obwohl er ein etwas Düsteres Genre aufweisen soll.“, erklärte sie und ließ Luise das großartige literarische Werk, wie sie es beschrieb behalten. In einem Karton befanden sich noch ein paar weitere Poster, alle mit fraglichem Inhalt, da sich zwei Mädchen fest umschlungen küssten, oder andere Dinge miteinander taten. Schließlich drängte Sarah Luise aus der Kammer und sah sie ernst an. „Und? Wie lautet deine Reaktion darauf?“ Luise brauchte etwas, um die Situation überhaupt zu überblicken. Sarah hatte ihr derartige Dinge gezeigt, die sie selbst unbedingt verheimlichen wollte. Die Reaktion ihrer Freundin war ein simples ‚Achso’ gewesen, sollte Luise genauso reagieren? Nein, sie wollte Sarahs drängenden Blick nicht enttäuschen. „Ich… bin mir nicht sicher, was ich gesehen habe.“, gestand sie wahrheitsgemäß. Sarah seufzte. „Das war doch eindeutig! Ich bin ein Yuricon! Und du bist die erste Person außerhalb des Netzes, der ich es gestehe!“ „Ein was?“ Luise fühlte sich als hätte sie gar keine Antwort erhalten, die zur Klärung der Lage beitrug. Schnell durchforstete sie ihr Gedächtnis nach dem Begriff Yuri, den sie unter vielen anderen, vor einer Woche gegoogelt hatte. Yuri ist ein Wort aus dem Japanischen Jargon um Inhalte zu bezeichnen, in denen die Liebe zwischen Frauen, eine homosexuelle lesbische Beziehung, im Mittelpunkt steht. Ebenso bezeichnet es ein Genre in den japanischen Medien wo diese Thematik eine zentrale Rolle spielt. Dadurch war Luise durch einiges schlauer geworden, nicht zuletzt, da sie das Thema interessiert hatte, vor allem auf persönlicher Ebene. Und das, was sich da hinter Sarah in der Kammer befand war eindeutig. „Ein Yuri-Otaku!“, verbesserte sich Sarah. Luise zuckte erneut mit den Schultern. Sarah schien sich einen Moment lang aufzuregen, beruhigte sich aber recht schnell wieder. Sie schloss die Tür zur Kammer und setzte sich auf ihr Bett. „Du hast dich do schlau gemacht, oder? Ich bin ein Otaku, aber mit dem Hauptschwerpunkt Yuri. Und wenn du vergessen hast was Yuri genau bedeutet, dann hast du es dort drin zu Gesicht bekommen.“ Luise überlegte eine Weile ob sie sich neben Sarah setzen sollte, zog es dann aber vor zu verstehen. Fest umklammerte sie den Manga in ihren Händen, der eigentlich genau ihren Geschmack treffen sollte, sofern es um Romantik ging. „Was genau willst du mir damit sagen? Dass du auch…“, rang sie nach den richtigen Worten. „Dass ich eben total auf Yuri stehe! 90 % aller Shoujo-Mangas sind doch Mist, da die Hauptcharakterin entweder total naiv oder eine Tsundere ist. Und der Kerl darin ist nicht besser. Immer perfekt, die Sportskanone und total arrogant. Wie oberflächlich müssen die meisten Mädels sein, die sich das reinziehen? Da gefällt mir ein richtiger Yuri schon wesentlich besser. Die Beziehung zwischen der Charaktere wirkt nicht gezwungen, sondern rein und man kann sich richtig in sie hinein versetzen. Deshalb mag ich dieses Genre so sehr.“, erklärte sie. Luise setzte sich nun auf den einzigen Stuhl im Zimmer. Gleich neben einem Schreibtisch mit großen Monitor und verteilten Zetteln. „Und das ist dein großes Geheimnis? Das erscheint mir nun nichts wirklich Schlimmes, oder gar Peinliches.“, gab sie ihre Meinung wider. Sarahs Miene drückte Unverständnis aus. „Du hast es doch selbst erlebt, oder? Du wolltest verbergen, dass du lesbische Romane ließt, weil du Angst hattest, jemand könnte dich dafür verurteilen. Du hast mir erzählt, dass Sabine es entdeckt hat, dir aber zur Seite stand. Ich hatte gehofft… dass du auch so jemand für mich wärst.“ Sarah wirkte aufrichtig, umso mehr belastete es Luise, dass sie das Mädchen nicht vollends verstehen konnte. Was genau wollte sie ihr sagen? Dass sie lesbisch war und Angst hatte jemand könnte ihre Sachen entdecken und es daraus schließen? Oder eben, dass sie nicht auf Frauen stand und jemand der ihre Sammlung fand würde es falsch interpretieren und sie gleich abstempeln. Sarah rutschte von der Bettkante auf den Boden und setzte sich im Schneidersitz hin. Luise tat es ihr gleich und einige Sekunden saßen sie sich still gegenüber. „Ich weiß nicht, wer von uns der größere Freak ist.“, entkam es Luise unbewusst. „Otakus sind keine Freaks, nur missverstanden.“, erwiderte Sarah und beide mussten lachen. „Jedenfalls danke für den Manga, ich werde ihn mir durchlesen.“, deutete Luise auf das Werk vor sich. „Mach das, wenn er dir gefällt, kriegst du auch noch die restlichen vier Bände. Ich würde dich ja auch gerne Hanabira lesen lassen, aber da Japaner so Hardcore sind, sind einige Ero-Szenen dabei, das wäre für eine Anfängerin für dich wohl etwas zuviel.“ Luise versuchte noch mehr Dankbarkeit auszudrücken als ohnehin schon. Dann gab sie sich endlich den Schups, Sarah das entscheidende zu fragen. „Also… wenn du Manga oder auch Novels über Yuri magst… heißt das dann auch… naja… dass du ebenfalls ein gewisses Interesse an Frauen hast?“ Jetzt war es raus. Jetzt würde ihr Sarah Rede und Antwort stehen müssen. Erst wirkte diese perplex und zutiefst überrascht. „Was… hat das denn damit zu tun, dass man einfach nur das Genre mag? Oder denkst du nur weil ein Mädchen Yuri mag, muss sie gleich eine Lesbe sein?“, klang der letzte Satz etwas anklagend. Luise schüttelte sofort den Kopf. An diese Variante hatte sie noch gar nicht gedacht. Natürlich gab es auch weibliche Fans dieses Genres, doch Sarah bot eine neue Generation eines solchen Fans da. Wieso versteckte sie ihre Sammlung und konnte nicht dazu stehen? „Nein, tut mir leid, ich dachte nur. Ich habe wohl zu viel hinein interpretiert.“, gab sie nach und Sarahs Lächeln kehrte zurück. „Achja, ich habe dir noch gar nichts zu trinken angeboten!“, schien der Gastgeberin einzufallen. Also hopste sie auf und lief hastig aus dem Zimmer. Sie hatte Luise nicht einmal gefragt was sie trinken wollte, doch diese vermutete, dass die Heidenreichs ohnehin noch nicht viel im Kühlschrank hatten. Während Sarah fort war, ließ Luise ihren Blick noch einmal durch das Zimmer dieses merkwürdigen Mädchens schweifen. Von den Postern, Figuren und Mangas, bis zu dem übergroßen Kissen mit dem fragwürdigen Motiv. Dann zu den Fotos, die ihr so offen Sarahs Vergangenheit offenbarten, und denen es gelungen war für kurze Zeit ihre Verletzlichkeit aufzudecken, die sie normalerweise immer zu verschleiern versuchte. Und die mysteriöse Kammer, in der sich ihr angeblich großes Geheimnis befand. War Luise inzwischen wirklich schlauer aus ihr geworden? Sie wusste es nicht. Aber dennoch… Sarahs Hobby, diese Dinge in die sie ihre ganze Seele gesteckt hatte… Als die Gastgeberin mit zwei Colas in der Hand zurückkehrte und die beiden fast den ganzen restlichen Tag über ‚Yuri’ sprachen und welche Geschichten ihr am besten gefielen, wurde Luises Bild von ihr immer deutlich. Ja, sie war das Mädchen, in das sie sich verliebt hatte. Und so konnte nun nichts mehr dagegen tun. „Was bitte ist ein Yuricon?“, fragte Sabine skeptisch, als Luise kurz vor dem zu Bett gehen kontaktierte. „Ich habe mich immerhin etwas über die Welt eines Otakus informiert, da hättest du das doch auch tun können. Du surfst ohnehin ständig im Netz.“, warf sie ihrer Freundin vor. „Aber ich bin nicht in einen verliebt und habe deshalb keinen Grund dazu.“, wies Sabine jegliche Verantwortung von sich. Luise seufzte und sah durch das Fenster. Es brannte kein Licht mehr, zumindest nicht im Treppenhaus. Vielleicht las Sarah noch in ihrem Bett und sah sich einen ihrer Animes an. Langsam blätterte sie die Seiten des Mangas zurück, sie war bald am Ende des ersten Bandes angekommen. Er gefiel ihr zusehends und sie würde Sarah morgen um die restlichen Mangas bitten, um zu erfahren wie die Geschichte ausging. Sie vermittelte Sabine so gut es ihr gelang ihr Wissen über dieses Genre und ihre Freundin kreischte förmlich auf. „Wie genial ist dass denn? Wenn sie auch auf Frauen steht, ist deine Chance gerade um 50 % gestiegen.“ Luise konnte angesichts Sabines Vorfreude nur die Augen verdrehen. „Sie ist aber nicht lesbisch! Schätze ich…“ Ihr fiel auf, dass Sarah ihren Verdacht nicht vehement abgetan hatte, nur den Fakt, dass es auch normale Leute gab die sich solche Dinge durchlasen und ansahen. „Versuche dich doch in so jemanden hinein zu versetzen. Wenn eine Geschichte spannend und aufregend klingt und noch dazu romantisch, würdest du dich dann nicht auch darauf einlassen?“, hakte Luise nach. „Du meinst, wenn die beiden Hauptakteure weiblich wären? Ich würde mich vielleicht dazu durchringen ein solches Werk zu verschlingen, aber du hast erzählt, Sarah hätte einen ganzen, geheimen Schrank damit voll? Du kannst die Sache sehen wie du willst, aber auf mich wirkt ihre Obsession recht eindeutig.“, gab Sabine nicht nach. Luise kehrte einen Moment in sich, während Sabine damit fortfuhr ihr Mut zu machen. „Ich bin Mari.“, murmelte sie dann. „Was?“, schien sie Sabine nicht zu verstehen. „Sarah hat mir einen Manga mitgegeben in dem ich gerade schmökere. Es geht um zwei gegensätzliche Mädchen und das eher zurückhaltende verliebt sich muntere, taffe Schönheit. Sie werden Freunde und alles nimmt seinen Lauf.“ Sabine grübelte einen Moment darüber nach. „Und wie geht die Geschichte aus?“, fragte sie gespannt. Doch Luise konnte ihr diese Frage nicht beantworten. „Es gibt noch weitere Bände, falls ich Sarah morgen sehe werde ich sie um den Rest fragen.“ „Ich wette sie kommen zusammen. Das tun sie in solchen Schinken doch immer!“, stand für Sabine fest. Luise gab ihr recht, doch was für einen Unterschied stellte das dar? „Egal wie er endet, zwischen Sarah und mir wird sich nichts ändern..“, hoffte sie, dass Sabine das endlich verstand. „Und das reicht dir? Sie jeden Tag zu sehen und zu wissen, dass nie mehr zwischen euch sein wird?“, stellte ihre Freundin stattdessen die Frage, die Luise selbst zu verdrängen versucht hatte. Was wären also ihre nächsten Schritte? Würde eine einseitige Liebe eine Freundschaft nicht sehr belasten? Sollte Luise sich also vorher entlieben, damit die sie richtig mit Sarah umgehen konnte? Um sich mit ihr aufrichtig unterhalten zu können, wie mit Sabine? Dieser versprach ihr gründlich über alles nachzudenken und legte dann auf. Als sie kurz davor war einzuschlafen, hoffte sie, dass sie sich wenigstens nicht in ihren Träumen mit diesem heiklen Thema auseinander setzen musste. Sie wurde enttäuscht. Sarah hatte ihr die restlichen Bände des Mangas tatsächlich am Sonntag darauf gegeben, auch wenn Luise für eine Prüfung zu lernen hatte. So kam es, dass sie erst nach einer Woche mit der Geschichte um Mari und Akko fertig war und sich mit Sarah auf dem Nachhauseweg darüber unterhielt. Nein, eigentlich war es hauptsächlich Sarah die sprach, Luise ließ sie jedoch gewähren. „Aber die Story der beiden ist wirklich sehr schön, oder? Jedes Mal wenn ich ihn von neuem durchlese, bekomme ich Nasenbluten.“, schwärmte sie förmlich. Luises Augen zuckten verdutzt. „Bist du etwa krank?“, fragte sie unsicher. Sarah lachte los und winkte ab. „Nein, das war ein Insider, den musst du nicht verstehen.“, gab sie Entwarnung. Luise seufzte matt. „Du verwendest sehr viele Insider. Ich habe mich zwar informiert, verstehe das meiste aber immer noch nicht, was du von dir gibst. Könntest du dich für mich nicht etwas einschränken?“ Das Mädchen hatte keine Ahnung, wie sich Sarah gegenüber Lena oder Katrin verhielt. Oder hielt sich Sarah ihr gegenüber bloß nicht zurück, weil sie genau wusste, dass Luise ihr, ihren Willen ließ? „Wollen… wir heute wieder zusammen büffeln?“ Luise hatte sich extra für ein unkompliziertes Wort entschieden, doch Sarahs Miene sprach Bände. „Wir haben erst in zwei Wochen wieder eine Prüfung.“, schien ihr das als Entschuldigung auszureichen um sich davor zu drücken. „Was willst du sonst unternehmen? Wieder in den JVC?“, fragte Luise nach. Dann kam sie auf den Gedanken, dass Sarah vielleicht gar nichts mit ihr unternehmen wollte. Vielleicht war sie bereits mit Lena und Katrin verabredet, oder hatte gar ein Date. Das letzte Wort verursachte Kopfschmerzen bei ihr. „Damit wir dort wieder deiner zickigen Ex begegnen? Ich habe schon Azuma in Blue Friend nicht gemocht, aber diese Svenja setzt echt noch eine Nummer drauf. Aber was hältst du von Kino?“, schlug sie vor. Luise hielt kurz inne. Kino? War das ihr ernst? Naja, warum nicht, sie und Sabine besuchten öfters eine Vorstellung und wenn sie diesmal mit Sarah hinging, wäre es ebenfalls kein Date. „Sicher, läuft etwas Interessantes? Irgendein Anime-Film vielleicht?“ Sarah prustete lautstark los. „Anime-Filme im deutschen Kino, du bist wirklich lustig.“, klopfte sie ihrer Freundin auf die Schulter. Luise lächelte nur unschuldig. „Wobei… in Japan bald der neue Liar Game Film anläuft. Dennoch stehe ich Matsuda Shouta skeptisch gegenüber. Du musst dir eine Mischung aus Robert Pattinson und Kaname Kuran vorstellen, er sorgt also quasi für das weibliche Publikum.“, berichtete Sarah. Luise dachte kurz nach, doch den Wunsch mit ihr nach Japan zu fliegen und sie in ein dortiges Kino auszuführen, konnte sie ihr wohl nicht erfüllen. „Ach, ich lade dich selbstverständlich ein. Das ist das mindeste dafür, dass du mir so tapfer beim ‚Büffeln’ geholfen hast.“, bot sie an. Luise räumte ein, dass dies nicht nötig sei, doch Sarah kannte keine Widerworte. Als die beiden an der Kasse standen hatten sie die Qual der Wahl vor sich. Da jedoch beide die aktuellen Action-Klassiker für zu klischeehaft und schlecht umgesetzt hielten, entschieden sie sich für eine Komödie. Eine romantische Komödie. Es ging in diesen Filmen doch immer darum, oder? Ein Kerl stellte etwas unglaublich Dämliches an und die Frau in die er sich verliebt hat, sucht das Weite. Doch mittels einer meist noch dämlicheren Aktion, gelingt es ihm deren Herz zurück zu erobern und beide leben glücklich und zufrieden. Wenn es dem Zuschauer noch gelang mindestens ein Dutzend Mal eine lustige Stelle zu finden, bei der man herzhaft lachen konnte, war der Film in Grunde ein Erfolg. Luise war froh darüber, dass er Sarah zum größten Teil gefiel, das allein machte bereits den Erfolg für sie aus. „War lustig, können wir wieder machen.“, sagte Sarah an Luise gewand, als sie das Kino bereits wieder verlassen hatten. „Ich weiß nicht, die Hauptdarstellerin war doch strohdumm und naiv! Wäre ich sie gewesen, hätte ich ganz anders gehandelt.“, stand für diese fest. Sarah murrte hörbar. „Gib’s zu, du bist eine Typ-C Tsundere!“, sagte sie mit erhobenem Finger. „Soll heißen?“ „Dass du deinen Ärger über etwas oder jemanden nicht offen herauslässt, sondern in dich hinein stopfst. Und irgendwann wirst du platzen, das sage ich dir voraus.“ Luise war nicht der Ansicht, dass sie ihren Zorn in sich hineinfraß, nein, wenn schon, dann eher ihren Kummer. Aber hatte sie wirklich welchen? Der Tag hatte Spaß gemacht, sie hatte etwas an Sarahs Seite unternehmen dürfen. Aber trotzdem… Wieso fühlte sie sich dennoch so unbefriedigt? „Ach! Weißt du was mir gerade auffällt? Dass ich nie dazu gekommen bin, mir deine Nummer zu notieren!“, entkam es Sarah urplötzlich. Luise betrachtete das Mädchen eine Weile. Sie wollte ihre Handynummer? Warum nicht, es sprach nichts dagegen. Sie würden sich simsen, telefonieren… und die Bindung der beiden würde mit der Zeit immer enger werden. Eine der elementarsten Fragen im Leben einer Frau sind wohl: Benötige ich es wirklich, oder will ich es nur, damit ich mich besser fühle? Sarah hatte eine dieser existenziellen Entscheidungen noch vor sich. Sie fluchte, warum konnte man sich materielle Dinge nicht auch ganz einfach herunterladen und ausdrucken? In 1000 Jahren war es vermutlich möglich, doch sie wollte diesen Handy-Anhänger jetzt! Sie hatte bereits einen in Anime-Form doch diesen fand sie in einem speziellen Laden, in der Stadt, in der sie und ihr Vater zuvor lebten. Er war spottbillig gewesen, wahrscheinlich weil das Motiv, eine Figur namens Haruhi Suzumiya ohnehin bereits überholt war. Aber bei seltenen Medien wie unbekannteren Animes oder Visual Novels musste sie das Internet zu Rate ziehen. Das Foto der auf sie niedlich wirkenden Kobato Hasegawa lächelte ihr entgegen und Sarah hätte ihren Kopf in den Sand stecken können. Noch dazu hatte sie vor wenigen Wochen Geburtstag gehabt, ihr Vater würde nicht noch einmal so eine Stange Geld spendieren. Sie würde es nie verstehen wie die ganzen Priester und Mönche es aushielten, ohne materielle Güter zu leben. Sarah war diese Fähigkeit nicht vergönnt gewesen. Als es Zeit für das Abendessen war, kam ihr aber eine Idee. Zwar hatte sie vorgehabt, die Reste des Vortags zuzubereiten und ihrem Vater unter die Nase zu setzen, doch davon sah sie nun ab. Sie beschloss ihm ein festliches Mahl zu zaubern und ihn dann ganz subtil zu erinnern, wie aufgeschmissen er ohne seine Tochter wäre. Herr Heidenreich verbrachte den Großteil seiner Zeit im Büro, Sarah war dies jedoch gewohnt und bis jetzt war es ihr sehr gut gelungen, seine Schuldgefühle auszunutzen um somit ihr Taschengeld aufzubessern. Auch diesmal bedankte sich der Manager eines bekannten Konzerns bei Sarah für ihre Arbeit und versprach sich dafür zu revanchieren. „Ach im übrigen, am Sonntag wirst du nicht kochen müssen.“, informierte er sie. Sarah blickte zu ihm hinüber und verschlang weiterhin den Salat. „Fährst du irgendwohin?“, hakte sie nach und ihr Vater nickte zaghaft. „Wir sind wieder einmal zum Essen eingeladen.“, überraschte er sie. Sarahs Augenbrauen hoben sich. „Wieder bei Frau Fahlbusch?“, wollte sie erwartend wissen, doch ihr Vater verneinte schnell. „Nein, die Gute wollen wir nicht zu sehr belästigen. Aber du scheinst dich wirklich sehr gut mit ihrer Tochter zu verstehen, kann das sein?“ Sarah nickte beifällig und wartete, was ihr Vater zu sagen hatte. „Christiane… also Frau Wels, eine neue Kollegin von mir, hat mich zu sich eingeladen. Und als ich ihr erzählte, dass ich eine Tochter hätte, war sie ganz begeistert und wollte dich dabei haben.“ „Klingt spannend.“, versuchte Sarah ihren Missmut zu verschleiern. „Christiane ist geschieden, hat aber zwei Kinder. Einen 8-jährigen Jungen und eine 19-jährige Tochter. Mit Zweiterer wirst du dich sicher gut verstehen.“, erzählte er ihr. „Warum?“, hakte seine Tochter nach. „Ähhmmm… naja ich meine, weil ihr altersmäßig nicht soweit auseinander seid.“, erwiderte er prompt. Sarah nickte und erklärte sich schließlich einverstanden. Sie hatte übermorgen noch nichts vor, Lena und Katrin wollten beide in den JFC, sie selbst konnte darauf verzichten. Nicht zuletzt, wegen dieser unangenehmen Person der sie dort begegnet war. Allerdings gab sie zu, gerne etwas mit Luise unternommen zu haben, sofern diese nicht ohnehin schon eine Überdosis von ihr intus hatte. Sarah wusste nicht wieso, aber sie wollte mehr als alles andere wissen, was Luise von ihr hielt. Es war nicht das erste Geschäftsessen, bei dem Sarah als Herzeigeobjekt für ihren Vater hatte eintreten müssen. Das Haus an sich war riesig, nein man konnte es regelrecht als Villa beschreiben. Besonders, wenn in dem Haushalt lediglich drei Leute wohnten. Im Garten bellte ein Hund und Herr Heidenreich kam nicht umher ihn sich genauer anzusehen. Sarah war eher ein Katzenmensch und mochte kleine, niedliche Tiere. Dann wurde ihnen das große Tor geöffnet und eine fein gekleidete Dame stolzierte ihnen entgegen. „Joachim!“, rief sie vergnügt. Sarah setzte schnell ihre trainierte Miene der braven Tochter auf und wurde wie erwartet als erstes begrüßt. „Du musst Sarah sein, dein Vater hat mir ja schon so viel von dir erzählt!“, schüttelte sie dem Mädchen die Hand. „Joachim, du hast gar nicht erwähnt, dass sie eher nach ihrer Mutter kommt.“, unternahm sie den Versuch ihren Kollegen zu necken und dieser kicherte, weil es angebracht war. Die drei überquerten eine steinernen Weg und fanden sich bald im Flur des Hauses wieder. „Mami!“, hörte Sarah das Rufen eines Kindes. Kurz trafen sich ihr Blick und der von Frau Wels Sohn. Doch scheinbar verschreckte sie den Jungen, denn er trat den Rückzug an. „Er ist etwas schüchtern, beim Essen lernt ihr ihn besser kennen.“, versprach seine Mutter und begann damit, sie durch das Haus zu führen. Sie stellte sich als äußerst nett heraus, als Sarah sie mit Frau Wels ansprach, bat sie ihr ohne zu zögern ihren Vornamen an. „Und dahinter befindet sich eine wilde Bestie, die bis heute nicht verstehe. Einmal ist so ganz lieb und hilfsbereit und manchmal faucht sie wild und verscheucht alle um sich herum.“, erzählte Christiane und öffnete eine weiße Holztür. Dahinter erkannte man das Zimmer eines Mädchens, Poster von Rock-Musikern an der Wand, verstreut liegende Blusen und eine alles andere als kitschige Handtasche. Die Hauptattraktion des Raums saß allerdings auf dem Bett und lackierte sich gerade die Zehennägel. „Wurde das Anklopfen jetzt ganz eingestellt?“, fragte das Mädchen, oder besser gesagt die junge Frau darauf. „Das ist mein Engel Tabea, wie ihr sehen könnt.“, begann Christiane die Vorstellung. Herr Heidenreich grüßte die rebellisch wirkende Tochter, welche den Gruß notgedrungen erwiderte. „Joachim, hilfst du mit mir dem Essen?“, bat dessen Kollegin und Herr Heidenreich sagte sofort zu. „Du und Tabea könnt euch inzwischen ja anfreunden.“, hatte er vorgeschlagen und sich mit der Gastgeberin nach unten begeben. Sarah fühlte sich verpflichtet etwas zu sagen, doch Tabea hatte sich schon wieder ihrer Zeitschrift zugewandt und ignorierte sie. „Sarah.“ Die Beschäftigte sah kurz zu ihr auf, dann las sie weiter. „Etwas Spannendes?“, wollte Sarah wissen und stand inzwischen nur noch wenige Zentimeter von Tabea entfernt. „Wenn du das neue APRILIA RX 50 als spannend bezeichnest, dann ja.“, erwiderte diese kühl. Sarah konnte gerade noch erkennen, dass sie sich auf Mopeds beziehen musste, ein Thema, in dem der selbsternannte Otaku schon einmal nicht punkten konnte. Tabea schließ sich nach hinten fallen und hielt das Heft hoch, scheinbar wollte sie so ein bestimmtes Motiv besser betrachten. „Kuudere?“, fragte Sarah an sie gewand, die sich inzwischen überflüssig fühlte. „Was?“, sah Tabea sie forsch an. „Du bist so abweisend und kühl, da dachte ich, dass du womöglich eine Kuudere sein könntest.“, erklärte Sarah. Das Mädchen auf dem Bett bedachte sie eines Blicks, den man normalerweise nur völlig Verrückten zu Teil werden lässt. „Sarah, richtig?“, sprach sie die Besucherin dann an. Diese nickte zögerlich. „Vielleicht bist du ja ganz in Ordnung, aber ich habe eigentlich keinen Bock die Gäste meiner werten Mutter zu beschäftigten.“, sagte sie deutlich. Sarah musste grinsen. „Ich muss gar nicht beschäftigt werden, ich kann einfach hier stehen und dir zusehen.“, schlug sie vor. Tabea schüttelte unwillig den Kopf. „Und mich beim Lesen stören? Vergiss es.“ „Aber… bis zum Essen dauert es noch eine Weile.“, wand Sarah ein und fragte sich ob es klüger wäre, nach unten zu gehen und den beiden Erwachsenen zu helfen. Aber Christiane hätte bestimmt etwas dagegen gehabt. „Na gut. Willst du über etwas Bestimmtes reden?“, gab Tabea langsam nach. Sarah nickte. „Du stehst auf Mopeds?“, wollte sie wissen. „Bikes.“, verbesserte sie Tabea. Sarah musste kichern. „Ja, wenn ich von meinem Hobby rede muss ich die Leute auch ständig verbessern.“ Tabea musterte sie eingehend. „Und auf was stehst du so?“, hakte sie nach. Sarah behielt ihre Unschuldsmiene bei. „Ach, nur auf Otaku-Kram.“, erwiderte sie. „Auf was bitte?“, folgte Tabeas unverständlicher Blick. Sarah seufzte und fragte sie, ob sie sich nicht zu ihr setzen dürfe. Als sie ihr schemenhaft von ihrer Vorliebe erzählte, glaubte sie eine Spur Verächtlichkeit in den Augen der Bikerin festzustellen. „Prüfung bestanden?“, fragte sie dafür. Tabea schien aber nicht zu verstehen was sie meinte. „Bin ich dir Freak genug, und nicht nur brav, um von dir akzeptiert zu werden?“ Tabea dachte kurz darüber nach und nickte dann. „Ja… du bist in Ordnung. Wir werden zwar keine Freundinnen, aber du bist erträglich.“, befand sie Sarah für tauglich, sich mit ihr abgeben zu dürfen. Diese hielt sich erst etwas im Hintergrund, während Tabea von den Bikes erzählte, die sie gerne hätte und welche Overalls und Jeans zu welchem passen würde. Sie und Sarah besaßen zwar keinen identischen Modegeschmack, kamen aber miteinander aus. Für einen kurzen Moment beobachteten sie, wie ein Junge seinen Kopf ins Zimmer streckte, aber auch genauso schnell wieder abhaute. „Tobias, ist echt die Pest.“, beschwerte sich Tabea. „Also ich nahm an, es wäre witzig Geschwister zu haben.“, räumte Sarah ein. Tabea verdrehte die Augen. „Meistens nervt er mich einfach. Ich hätte auch lieber eine kleine Schwester, mit der könnte ich mehr reden.“, gestand sie und Sarah nahm den Faden sofort auf. „Ich könnte mich ja anbieten, wenn du willst. Ich wollte auch schon immer eine ältere Schwester.“ Tabea musterte sie erneut skeptisch, wie bereits bei ihrem Eintreten. „Keine gute Idee? Tabea Onee-san?“, ärgerte Sarah das Mädchen weiter mit ihrem Fach-Jargon. Tabea presste ihre Lippen zusammen und suchte nach einem neuen Thema, um Sarah die Flausen auszutreiben. „Wie sieht’s mit Kerlen aus?“, wollte sie in Erfahrung bringen. Verblüffung stieg in Sarahs Gesicht und sie fand keine befriedigende Antwort darauf. „So eine Schönheitskönigin wie du wird doch wohl einen Freund haben, oder?“ Sarah kratzte sich verlegen an der Wange. „Schönheitskönigin? Na ich weiß nicht. Nein… ich habe nichts derartiges. Aber ich bin ja auch erst neu hergezogen und habe generell viel zu tun. Wie… sieht es mit dir aus?“, erhoffte sie sich eine Auszeit, indem sie den Spiel umdrehte. Tabea sah kurze Zeit besorgt aus, sollte Sarah nachhaken, was in ihr vorging? Würde das Mädchen das bereits zulassen, in der geringen Zeit, in der sie einander kannten? Tabea wollte etwas erwidern, doch dann wurde es langsam Zeit für das Essen. Als sich die fünf an den großen Tisch im Wohnzimmer setzten, lernte Sarah auch Christianes zweites Kind, Tobias etwas besser kennen. „Na Kurzer? Schenierst du dich, weil du noch nie zuvor so eine Sexbombe neben dir gesessen hat?“, transalierte Tabea ihren Bruder. „Tabea, bitte!“, ermahnte sie ihre Mutter und diese verstummte. Das Essen bestand aus Fleischpastete mit Kartoffeln, Sarah hatte bereits etwas nobles wie Hummer erwartet. Schelmisch fragte sie ihren Vater, ob Christiane wohl noch etwas mehr verdiene, als er selbst. Er blieb seiner Tochter die Antwort schuldig, aber alles in allem konnte man den Abend als gelungen bezeichnen. „Guck kurz mal her.“, bat Sarah und zog Tabea zu sich, als die Zeit des Verabschiedens gekommen war. Diese sträubte sich erst, doch es war zu spät. Sarah hatte mit ihrem Handy bereits ein Foto geschossen. „Hihi, sie wird Augen machen, wenn ich ihr das schicke.“ Tabea räusperte sich. „Du hast doch nichts unlauteres mit meinem Foto vor, oder?“ Sarah verneinte schnell und verabschiedete sich dann von ihr, sowie bei Tobias und Christiane. Fünf Minuten später saßen sie bereits wieder im Wagen, auf dem Weg nach Hause. „Frau Wels… also Christiane ist doch sehr nett, oder?“, wollte Herr Heidenreich wissen und Sarah bestätigte es, ohne ihm noch viel Aufmerksamkeit zu schenken. Und auch nicht auf den besonderen Tonfall, den der Geschäftsmann aufgelegt hatte. Sarah war gerade dabei ihre erste MMS an Luise zu schicken und fragte sich, wie diese wohl reagieren würde. Luise hockte gerade über ihren Büchern, als ihr Handy zu klingeln begann. Es war der Ton für eine SMS oder MMS, und ihr erster Verdacht lag bei Sabine. Vielleicht hatte sie jemanden kennen gelernt und wollte unbedingt Luises Meinung dazu hören. Doch sie täuschte sich. Es war ein Foto und der Absender war eindeutig Sarah. Langsam öffnete sie die Datei und erkannte Sarah und noch ein Mädchen. Was Luise störte war, dass Sarahs Gesicht sehr knapp an dem der anderen anlag. Beinahe berührten sich ihre Wangen. Unter dem Foto hatte ihre Freundin geschrieben: Meine neue BFF. Wer war das Mädchen und wieso wagte sie es, mit Sarah anzubandeln? Und was hieß BFF? Es war nicht so, dass Luise den Ausdruck nicht kannte, aber sie hatte angenommen sie wäre inzwischen Sarahs ‚BFF’ geworden. Dann ließ sie es sich auf sich beruhen und legte das Handy wieder weg. Sarah würde ihr die Geschichte dahinter bestimmt selbst erzählen, wenn sie Lust darauf hatte. Schließlich wanderte ihr Blick auf den Kalender und sie entsann sich, dass sie in ihren Vorbereitungen zurück lag. Es war beinahe Ende Oktober, bis zu ihrem Geburtstag waren es gerade mal noch 10 Tage. Es war nicht so, als hätte Luise etwas Besonderes geplant, es würde ablaufen wie die Jahre zuvor. Sie würde Sabine einladen, sowie noch 2 Mädchen aus der Klasse, mit denen sie sich gut verstand. Ihre Tante wollte ihr einen kurzen Besuch abstatten und selbst ihre Mutter versuchte sich frei zu nehmen. Nur ihr Bruder Jonas hatte sie bis jetzt im Ungewissen gelassen, da sein Studium sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Dennoch hoffte sie sehr, dass er sich für sie freimachen konnte, sie hätte gerne mit ihm gesprochen. Außer Sabine gehörte nur noch er zu den großen Verschwörern die von Luises großen Geheimnis Kenntnis besaßen. Ironischerweise war er es auch gewesen, der ihr den ersten Liebesroman geschenkt hatte, als sie 14 wurde. Er hatte sie schnell durchschaut, es war Luise damals unendlich peinlich gewesen, doch er verhielt sich souverän. Wieder einmal sah sie aus dem Fenster, in das Innere des Heidenreich-Anwesens. Sarah war nicht zu Hause das wusste sie. Sie hatte sie vor einigen Stunden mit ihrem Vater wegfahren sehen. Sollte sie das Mädchen zu ihrem Geburtstag einladen? Sie waren jetzt irgendwie Freunde, oder nicht? Ja, sie beschloss es hinter sich zu bringen und Sarah morgen in der Pause zu fragen. Mehr als Nein sagen konnte sie schließlich nicht, oder? Etwas Schlimmeres würde schon nicht passieren. Außer natürlich sie würde Luise das Herz brechen… Luise war mit ihren Pflichten in der Klasse fertig, vom gewöhnlichen Tafelwischen, bis zur Benachrichtigung der Schüler, dass wieder ein paar zerkratze Autos auf dem Parkplatz vor der Schule aufgefunden wurden. Dann lud sie ein paar der Schülerinnen zu ihrer Feier ein, welche sofort zusagten. Sabine selbst musste sie nicht fragen. Zum einen, da sich diese ohnehin nie eine Party entgehen ließ und zum anderen, weil Luise ihre Freundin kurz nach Aus der Stunde nicht mehr entdecken konnte. Hatte sie wirklich jemanden kennen gelernt? Jemanden aus der Schule? Flirtete sie in diesem Moment mit ihm? Luise machte sich keine Gedanken darüber, da sie im Moment eine weit aus wichtigere Mission zu erfüllen hatte. Sie holte tief Luft und sammelte all ihren Mut. Tapfer stolzierte sie direkt zu Sarahs Klasse und hielt nach ihr Ausschau. Sie sah die beiden Mädchen, mit denen sie immer abhing, sie selbst aber nicht. Auch ein rascher Blick in das Klassenzimmer, trug nicht zur Klärung bei. Dann erspähte sie ihr Ziel endlich. Sarah stand am Ende des Gangs, kaum erkennbar. Aber sie war nicht allein, jemand war bei ihr. Luises Schritte wurden schneller, bis die beiden sie wahrnahmen. Doch auch Luise selbst konnte die zweite Person nun deutlich erkennen, nicht zuletzt, weil es sich um ihre beste Freundin handelte. Sabine und Sarah hatten die Köpfe zusammen gesteckt und tuschelten. Als sie Luise entdeckten, unterbrachen sie ihre Pose sofort. Sabine hob die Hand zur Begrüßung und eilte an ihrer Freundin vorbei. „Tut mir leid, ich habe es eilig!“, fand sie keine Zeit mindestens ein Wort mit Luise zu wechseln. Sarah sah sich ebenfalls nach mehreren Seiten um, plante sie auch die Flucht anzutreten? „Seid wann sind du und Sabine so gut befreundet?“, schnitt sie ihr den Fluchtweg ab. Sarah wirkte sichtlich verlegen. „Es ist nur so… Sabine hat einen netten Typen kennen gelernt und wollte ein paar Fashion-Tipps von mir.“, gestand sie. Luise überlegte kurz ob Sarah sie anlog, doch welchen Grund hätte sie dazu? „Ach ich habe deine MMS bekommen.“, begann sie dann das Gespräch. Wenig später hatten sie auf ihrer üblichen Parkbank Platz genommen und Sarah hatte von Tabea zu erzählen begonnen. „Ich denke sie ist das was man als ‚taffe Braut’ bezeichnet.“ Luise musste schmunzeln und plötzlich fiel ihr wieder der eigentliche Grund ein, warum sie Sarah aufgesucht hatte. „Du hör mal, ich habe am nächsten Freitag Geburtstag und würde dich gerne einladen. Du musst nicht kommen, aber…. ich würde schon sehr freuen.“, brachte sie es hinter sich. Der erste Teil war gelungen, nun folgte der Zweite, in dem sie herzklopfend Sarahs Antwort abzuwarten hatte. Deren Gesichtszüge verschoben sich nachdenklich und sie wich Luises Blick aus. „Das klingt toll… nur leider habe ich an diesem Tag überhaupt keine Zeit.“, verriet sie. Luises Herzschlag verringerte sich wieder. Nein, sie glaubte sogar, dass es zur Gänze ausgesetzt hatte. „Mein ähhmm… mein Vater und ich besuchen mal wieder meine Großmutter. Aber ich wünsche dir viel Spaß und feiere schön.“ Peng. Luises Herz war tatsächlich gebrochen worden, so dachte sie zumindest. Sie wusste, dass sie übertrieb, jeder hatte mal keine Zeit. Es war ja nicht so, als hätte sie ihr gerade ihre Liebe gestanden und Sarah hätte sie zurückgewiesen. Aber dennoch… Es war eben nun mal Luises Geburtstag und da wollte sie alle Menschen um sich haben die ihr etwas bedeuteten. Sarah hatte sich immer weiter nach oben gedrängt, ob sie wollte oder nicht. Und Luise hatte dies zugelassen. Es war nicht die Schuld des Mädchens, dass Luise diese Gefühle für sie hegte, sondern ihre eigene. Sie klopfte ihre Jeans ab und stand dann auf. „Naja, macht ja nichts. Ich wünsche dir viel Spaß, bei deiner Großmutter.“, wünschte sie ihr, und erklärte, sie müsse nun langsam wieder in ihre Klasse. „Hau rein!“, rief ihr Sarah noch zu, doch Luise wollte das gar nicht mehr hören. Zurück im Klassenraum, trafen sich ihr und Sabines Blick. Sie beschloss ihr nichts von Sarahs Absage zu berichten, was sie jetzt am wenigsten brauchte waren dumme Kommentare, selbst wenn Sabine es oftmals lieb meinte. Doch den Rest des Schultages verbrachte das baldige Geburtstagskind in absoluter Lethargie. Sie hatte so auf Sarah gehofft und wurde enttäuscht. Zu Hause, als sie sich ins Bett stahl, wäre ihr beinahe zum Heulen gewesen. Sie fand ihr Benehmen selbst lächerlich, niemand weinte wegen einer Absage zu seinem Geburtstag. Bei jedem anderen wäre es Luise leichter gefallen, aber nicht bei Sarah. War ihr ihre Großmutter so wichtig? Wichtiger als sie? Natürlich war sie das. Luise selbst war nur ihre Nachbarin und ein Mädchen, das Sarah nett fand und mit dem man Spaß haben konnte. Sie tat beinahe so, als wären die beiden zusammen und Sarah hätte den Frevel begangen nicht zu so einer wichtigen Veranstaltung zu erscheinen. Doch warum hatte Sarah darauf bestanden immer so viel Zeit mit ihr zu verbringen, ja sie sogar in ihr angeblich großes Geheimnis einzuweihen? Luise war angeblich die erste gewesen, eine Ehre, über die sie sich sehr geschmeichelt gefühlt hatte. Besonders als Sarah ihre Nummer wollte, hatte Luise angenommen, dass ihre Bindung stärker geworden war. Ihre freundschaftliche Bindung. Mehr war da nicht auf Sarahs Seite. Und es kam durchaus vor, dass eine Freundin keine Zeit hatte. Unerwartet klopfte es an der Tür. „Ja?“, rief Luise und die Tür schwankte leicht auf. Frau Fahlbuschs Kopf wurde hereingesteckt und sie sah nach dem Rechten. „Hey Liebes, was für eine Torte wäre dir den für deinen Geburtstag recht?“ Als Luise nicht sofort antwortete, betrat sie das Zimmer ihre Tochter ganz. Langsam schritt sie zum Bett und setzte sich neben sie. „Alles in Ordnung? Du wirkst heute etwas betrübt.“, schien ihr der Zustand ihrer Tochter nicht zu entgehen. Luise wollte sich wegdrehen, blickte ihre Mutter dann aber unsicher an. „Es ist nur… wegen meines Geburtstags.“, rückte sie mit der Sprache heraus. Frau Fahlbusch hob beide Augenbrauen. „Für die meisten Menschen ist allerdings ein Grund zur Freude.“ Luise presste die Lippen zusammen. Sie war aber kein normaler Mensch. Sie war ein naives, introvertiertes Mädchen, das sein Leben lang einsam sein würde, weil es sich ständig in die falschen Mädchen verliebte. Wenn sie sich nur irgendetwas aus Männern gemacht hätte, hätte sie zu ihrem eigenen Wohl bereits längst gewechselt. „Es ist nur… ich habe jemanden eingeladen und er hat abgesagt.“, verriet sie. Langsam strich ihr ihre Mutter über die Stirn. „Du hast dir ganz schön Zeit gelassen, oder? Ich hatte bereits die Vermutung, dass ein Junge dahinter steckt, so fröhlich wie du in letzter Zeit warst.“ Na großartig, die Kandidatin hat -100 Punkte, dachte Luise. Sie schnaubte und wich dem Blick ihrer Mutter aus. „Hey, wenn er nicht erkennt, was für ein toller Mensch du bist, hat er dich nicht verdient. Und er selbst muss dann auch ein ziemlicher Versager sein.“, unternahm sie einen Versuch, für ihre Tochter da zu sein. Sie griff nach Luises Hand, doch diese zog sie eisern weg. „Das stimmt nicht! Sa… du kannst sowas nicht sagen, wenn du nichts weißt! Es handelt sich nämlich um den tollsten Menschen den es auf der Welt gibt, und so einfach gebe ich nicht auf!“, schleuderte sie ihr schrill entgegen. Ihre Mutter wich kurz zurück, legte dann aber ein Lächeln auf. „Genau so kenne ich meine Tochter. Auch wenn eine Liebe kompliziert sein mag, wenn sie dir wert erscheint dafür zu kämpfen, gib alles was du hast.“, versuchte sie es erneut mit einem mütterlichen Rat, diesmal sogar mit einem der Früchte trug. Bevor Luise wirklich noch anfing zu heulen nickte sie und wünschte ihre Mutter eine gute Nacht. Dann schaltete sie das Licht und ließ die Finsternis sich über sie ausbreiten. Wie viel Herzschmerz wollte sie in Kauf nehmen, nur um an dieser unmöglichen Liebe festzuhalten? Irgendwie war es Luise so, als hätte Sarah sie diesmal verstanden. Während der gesamten Zeit bis zu ihrem Geburtstag ging sie ihr nämlich aus dem Weg. Sie war enorm beschäftigt und schaffte es nicht einmal, ihre angebliche Freundin auf dem Heimweg zu begleiten. Dafür ertappte sie das Mädchen erneut mit Sabine, die sich wohl wieder Modetipps abholen wollte. Hatte Luise überhaupt noch Freunde? Selbst Sabine tat die Sache als nichtig ab, als Sarahs Absage zur Sprache kam. „Aber wenigstens du lässt mich nicht im Stich, oder?“, glaubte das Geburtstagskind inzwischen wirklich fragen zu müssen. Sabine schüttelte unverzüglich den Kopf, hielt dann aber eine zeitlang inne. „Es kann aber sein, dass ich mich etwas verspäte, warte nicht auf mich.“, vertröstete sie ihre Freundin. Luises Stirn zog sich in Falten, langsam glaubte sie wirklich an Sarahs Theorie mit der Tsundere. Es würde eine erbärmliche Feier werden, so viel war ihr bewusst geworden. Zwei Klassenkameradinnen und eine verspätete Sabine. Noch dazu ihre Mutter, die ihnen frische Cola anbot. Selbst Luises extra für diesen Tag herausgesuchte Musik würde nicht standhalten können. Vielleicht sollte sie ihre Konsequenzen daraus ziehen und das Fest absagen. Es wäre ohnehin nicht schade, und möglicherweise würde es keinem groß auffallen. Nächstes Jahr hatte sie wieder Geburtstag, vielleicht segnete sie das Glück dann mehr. Dann war es Freitag. Die Party sollte um 17 Uhr steigen, wobei es sich maximal zu einem gemütlichen Beisammensein entwickeln würde, wie Luise erwartete. Sabine teilte ihr mit, dass sie sich bereits darauf freute, doch Luise wusste nicht einmal mehr, ob ihre Freundin es ernst meinte. Eine Stunde vor der vereinbarten Zeit, stand alles da, wo es sollte. Der CD-Player war vorsorglich auf dem Wohnzimmertisch platziert worden und Luises Mutter hatte die Getränke, sowie die Chips dazu gestellt. Luise hatte sich schick angezogen, obwohl es ihr diesmal keine rege Freude bereitet hatte. Nicht so, als wenn Sarah zu Besuch kommen würde. Alles was schließlich noch fehlte waren die Gäste. „Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder? Ich muss schon um 18 Uhr zum Dienst im Krankenhaus. Du stellst nichts an und räumst danach brav wieder auf, ja?“, erkundigte sich Frau Fahlbusch nach der Zuverlässigkeit ihrer Tochter. Diese nickte und stopfte sich eine Ladung Chips in den Mund. Viel Unordnung würde nicht entstehen, vielleicht eine leere Flasche und ein paar Chip-Reste. Um 17 Uhr erschien jedoch niemand und das Warten dauerte an. Die Ungeduld wuchs und wuchs in Luise und die ständige Fragerei ihrer Mutter, ob sie ihren Freunden auch wirklich die richtige Zeit genannt hatte, tat sein übriges. Luises stieß einen dumpfen Schrei aus, dann vibrierte ihr Handy. Sie las die eingegangene SMS, sie stammte von Jasmin, einem der beiden Mädchen, die sie eingeladen hatte. Dieser war etwas dazwischen gekommen, angeblich eine angesagte Party im Nachbardorf. Ihre beste Freundin, das zweite Mädchen auf Luises Liste hatte sie natürlich im Schlepptau. Damit stand es fest. Es würde der peinlichste und langweiligste Tag in Luises Leben werden. Nachdem selbst Sabine nach einer halben Stunde nicht eingetroffen war, war sie nervlich beinahe am Ende. Ihre Mutter streichelte sie über die Schultern und versicherte ihr, dass zumindest Sabine noch aufkreuzen würde, immerhin war sie ihre beste Freundin. Dann musste sie los, um ihren Dienstantritt nicht zu verpassen. Sie gab ihrer Tochter noch einen Kuss auf die Stirn und wünschte ihr alles Gute. Das Geschenk hatte sie ihr bereits feierlich überreicht, es waren Klamotten in dem Stil, den sie immer bevorzugte. Schlicht und farblos. Kurz vor 18 Uhr klingelte es erneut. Wahrscheinlich Sabine, die ihre lästige Verpflichtung nun offiziell absagen wollte. Luise tastete nach dem Sprechknopf und betätigte ihn. „Hallo?“, fragte sie müde. „Luise? Bist du es?“ Es war Sarahs Stimme, die sich da in ihr Ohr schlich. Aber warum? War diese nicht auf Besuch bei ihrer Großmutter? Rief sie nur an, um ihrer Freundin ihre Glückwünsche auszurichten? „Sarah? Was ist los? Seid ihr nicht verreist?“, wollte sie wissen. „Nein, eben nicht! Paps ist allein gefahren, ich wollte etwas Zeit für mich. Aber dann bin ich die Treppe hinab gestürzt, es tut so höllisch weh. Bitte hilf mir!“ Nicht nur in Sarahs Stimme breitete sich Panik aus, auch Luises Herzschlag stieg rasant an. „Oh mein Gott, hast du einen Krankenwagen gerufen?“, fragte sie hastig. Ein lautes Aufstöhnen auf der anderen Leitung. „Ja, die sind unterwegs, aber bitte komm herüber! Mein linkes Bein ist so seltsam verdreht, und ich spüre es gar nicht mir.“, beklagte sie sich in einem flehenden, wimmernden Ton. Um Luise herum wurde es in diesem Moment genauso schwarz wie wahrscheinlich gerade um Sarah. Im ersten Moment fand sie nicht einmal ihre eigene Haustür, so aufgewühlt war sie. „Ich komme! Bitte warte auf mich, ich bin gleich bei dir, Liebes!“ Die Verbindung aufrecht erhaltend, kämpfte sie sich den Weg durch ihren eigenen Garten, rannte den Bürgersteig entlang zum Nachbargrundstück und hämmerte an der Haustür. Sie betätigte die Klinke und stellte erleichtert fest, dass sie Herr Heidenreich oder Sarah nicht abgeschlossen hatten. Sie stieß sie auf und sprang ins Innere. Im Flur war es dunkel, doch nur wenige Sekunden. Wie magisch flackerte das Licht auf und gab einen prachtvollen Raum mit unzähligen Leuten darin preis. Die Situation wurde noch absurder, als alle ohrenbetäubend laut zu schreien begannen. „Überraschung!“ Luise hatte ihr bis jetzt nicht zurück geschrieben, sie schien sich nicht für ihr Erlebnis bei Tabea zu interessieren. Verständlich, was hatte Sarah schon groß erlebt? Ein gemeinsames Essen, bei einer Kollegin ihres Vater war selbst für sie so spannend wie beispielsweise eine weitere Hayate no Gotoku Staffel. Erleichtert stöhnte sie auf, als sich die Physik-Stunde endlich ihrem Ende zuneigte. Kaum etwas von dem neu gelernten würde sich lange in ihrem Kopf halten, das wusste sie. Mit Luise war alles irgendwie einfacher. Ihrer Erklärungen, ihre Aufmunterungen, ihr Zureden bewirkten, dass Sarahs Last Stück für Stück schwand. Sie war gerade daran die Klasse zu verlassen als sie ein bekanntes Gesicht wahrnahm. Schnell ordnete sie es Sabine zu, der besten Freundin Luises. Aber warum sie und nicht ihre Freundin persönlich? Hatte Sarah sie etwa unabsichtlich verärgert? Rief sie deshalb nicht an, oder reagierte nicht auf die MMS? Oder… lag es gar an Sarahs Hobby? Hatte Luise genug von den wirren Begriffen mit denen sie Sarah tagtäglich bombardierte? Es hatte durchaus schon Personen gegeben, die begonnen hatten sie zu meiden, da sie sich schwer anpassen konnte. Doch Sarah war nun mal ein Otaku und stand auch dazu. Zugegeben, vermutlich übertrieb sie meistens maßlos, doch Luise war ihr immer irgendwie anders vorgekommen. Verständnisvoll, mitfühlend. Wenn sie mit ihr zusammen war, fühlte sie eine gewissen Form von Geborgenheit, was eigentlich ironisch war, immerhin teilten die beiden keineswegs viele Interessen. Doch sie fühlte sich wohl an Luises Seite und wollte dieses Gefühl einfach nicht missen. Sabine zerrte sie am Ärmel einen Meter weg und Sarah wartete gespannt was sie zu sagen hatte. „So wie ich Luise kenne wird sie sich nicht trauen dich zu ihrer Geburtstagsfeier einzuladen.“, kam sie schnell auf den Punkt. Sarah hob überrascht ihre Augenbrauen. „Luise hat Geburtstag?“, hakte sie interessiert nach. Sabine nickte schnell. „Also nur für den Fall, dass sie dich nicht fragt, was hältst du dann davon, als Überraschungsgast aufzutreten?“, weihte sie das Mädchen in ihre Idee ein. Sarah ließ sich die Möglichkeit durch den Kopf gehen, verneinte dann aber. „Ich habe einen anderen Vorschlag. Wie wäre es wenn wir es gleich zu einer richtigen Überraschungsparty ausarten lassen? Und am besten feiern wir diese bei mir, da mein Vater ohnehin noch eine Putzkolonne bestellt hat, die sich um die ganzen Innenräume kümmern soll. Wenn wir bis dahin also ordentlich Dreck machen, spielt es auch keine Rolle mehr.“ Sabine wollte kurz einwenden, dass es für die Putzkräfte sehr wohl eine Rolle spielte, beließ es dann aber dabei. Sie musste nämlich zugeben, dass ihr Sarahs Vorschlag gar nicht so abwegig vorkam. Besonders Luise würde niemals mit so einer Feier rechnen. „Wie genau stellst du dir das vor?“, hakte sie nach. Sarah legte demonstrativ einen Finger an ihr Kinn. Dann erklärte sie, wie die beiden Verschwörer vorgehen könnten. Sarah selbst würde natürlich absagen, während Sabine den Schein wahren sollte. Luise veranstaltete ihre Party gewöhnlich um 17 Uhr, somit blieb genug Zeit, im Haus der Heidenreichs alles vorzubereiten. Doch während die beiden Mädchen diskutierten, wurden sie unterbrochen und das ausgerechnet von Luise selbst. Unauffällig trennten sie sich und Sarah benutzte die erst beste Ausrede, die ihr in den Sinn kam. Luise schluckte es und hoffentlich auch den Plan, den die beiden ausgetüftelten. Die Weichen waren gelegt, Sabine sagte Luises übrigen Freundinnen bescheid und Sarah sprach mit Lena und Katrin. Erst beäugten sie das Mädchen skeptisch, waren dann aber einverstanden. Solange es sich um eine Party handelte, waren sie offensichtlich ganz vorne mit dabei. Sarah gelang es sogar ein paar Jungs zu organisieren, bei einigen gab sie ihre eigene Einweihungsparty vor, bei anderen wiederum reichte schon ein simpler Augenaufschlag. Zwei Tage vor dem großen Ereignis wurde Sarah dann etwas schmerzhaft bewusst. Ihr fehlte ein Geschenk. Sie beriet sich mit Sabine, doch diese meinte, Luise würde sich aus bestimmten Gründen über alles freuen, was Sarah ihr schenkte. Diese wusste nicht, was die Mitverschwörerin damit meinte, versuchte es sich aber zu Herzen zu nehmen. Erst dachte sie an eine weitere selbst gebrannte CD, oder einen Manga, doch davon würde Luise inzwischen bestimmt genug haben, sie wollte es nicht übertreiben. In einer Boutique fand sie ein hübsches Sommerkleid, befürchtete aber durch es, Kritik an Luises Kleiderstil zu üben. Natürlich waren ihr solche Gedanken völlig, fremd, sie mochte den eigensinnigen Stil ihrer Freundin, er war ein Teil von ihr. Also entschied sie sich für eine schicke Halskette, die gerade noch in ihr Budget passte. „Leb wohl Kobato-chan.“, verabschiedete sie sich innerlich von dem Handy-Anhänger. Doch dafür besaß sie nun etwas, das Luise Freude bereiten würde und war das somit nicht noch viel wertvoller? Es war Sabines Idee gewesen zu übertreiben und am Handy zu behaupten, Sarah wäre einem Unfall zum Opfer gefallen. Sie selbst fand es etwas schamlos, und hoffte, Luise würde sich nicht allzu große Sorgen machen. Doch der Plan ging auf und nun stand das Geburtstagskind inmitten der Gäste. Sarah fiel ihr in die Arme und wünschte ihr alles Gute. Der perfekte Tag. Der perfekte Abend. Die perfekte Feier. Doch eines gab es, das Sarah beschäftigte. Wahrscheinlich war es gar nichts, und sie spann sich etwas zusammen. Aber hatte Luise… kurz vorher am Handy… hatte sie das Mädchen da ‚Liebes’ genannt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)