Träume von Nimsaj (Lichter der Nacht) ================================================================================ Kapitel 1: Traum 1: Abendliche Auslöschung ------------------------------------------ Traum 1: Abendliche Auslöschung Das rote Abendlicht war kalt, wie der Beton des Bodens und das Glas der Scheiben. Beyond blickte über die Schulter um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand nachfolgte. Sein eigener Atem hing wie ein weißer Schleier in der Luft und machte ihm von neuem deutlich wie lebendig und damit sterblich er war. Ihr heutiger Auftrag war sehr viel gefährlicher als sonst, verstand er auch nicht, warum L hatte mitkommen wollen. Sie alle wussten ob der Gefahr, die für ihn von jeder Person hier ausgehen konnte. Man erwartete schließlich eine Nachricht des Detektivs. Mello hatte lange mit L diskutiert, ihn versucht zu überreden nicht mit den Anderen zu kommen, sondern in der Zentrale zu bleiben und von dort aus über einen Laptop am Gespräch teilzunehmen. Vergeblich. Der Detektiv stand nicht weit entfernt, ein Streifen des hellen Abendlichts traf ihn, ließ ihn seltsam unwirklich leuchten. Sein Blick war müde, aber aufmerksam, die schwarzen Augen auf etwas Entferntes gerichtet. Beyond spürte Sorge bei dem Anblick in sich aufflammen. Er war nie übertrieben, erst recht nicht in seiner Emotionalität, doch war er realistisch. Schon allein Ls allgemeine Schwäche in der letzten Zeit war Anlass genug zur Vorsicht. L hatte abgestritten krank zu sein und Beyond nahm an, dass er es schon immer getan hatte. Jedoch hatten sich die Nächte, die der Detektiv im Bett verbracht hatte, in der letzten Zeit gehäuft, was Beyond mit Sorge beobachtet hatte. Mehrmals hatte Watari L gefragt was ihm fehlen würde, auch Light hatte immer und immer wieder dieses Thema zu sprechen gebracht, doch L hatte geschwiegen. Die Halle des Gebäudes war absolut leer, eine gläserne Leere mit Säulen in akkuraten Reihen, grau und weiß, zart rot durch das Abendlicht. Ls Atem hallte laut in Beyonds Ohren wieder. Rau, angestrengt, scharf beim Luftholen. Was wollte er nur hier? Near und Matt waren vorgegangen um bereits alles vorzubereiten und zu prüfen, ob das Treffen sicher war. Mello blickte sich nervöser um. Er hatte noch keine Nachricht erhalten. Light war gleich neben L, sein sorgenvoller Blick kreuzte Beyonds und die Beiden verstanden. Sie mussten alles so schnell wie möglich über die Bühne bringen, um L und sich selbst nicht noch mehr in Gefahr zu bringen. L schien trotzig gewesen zu sein, anders konnte seine Anwesenheit nicht erklärt werden. Beyond trauerte seiner Fähigkeit, Namen und Lebenszeiten zu sehen, nicht nach. Als er sie damals verlor, nahm er es als Anlass für einen Versuch sein Leben zu verändern. Nun jedoch beschlich ihn ein seltsames Gefühl, das Gefühl, dass es ihm lieber wäre zu sehen, dass alles gut gehen würde. Ein Klicken ließ Beyond aufsehen. Mello hatte seine Waffe gezückt. Noch immer keine Antwort. Es wurde spät. Ls gekrümmter Schatten schien sich in den Boden zu fressen. Sein Blick war fiebrig. Light wollte umkehren, als es schon zu spät war. Es waren nicht viele, doch genug um den Sieg davon zu tragen. Wie schwarze Schatten huschten sie mit ihren schwarzen Anzügen zwischen den Säulen hin und her. Sie schienen wie für eine Beerdigung gekleidet. Ihre Schüsse zerrissen die Stille, ihre Kugeln das Fleisch. Light war der Erste, dem die Beine versagten und der zu Boden sank, sich nie wieder erhebend. Er hatte L geschützt, so wie es seine Aufgabe gewesen war. Die Waffe lag noch immer in seiner Hand, seine Augen starrten ins Leere. Ls Blut mischte sich mit seinem. Schreie als ihre Feinde getroffen wurden, getroffen waren, als auch Mello eine der Kugeln in seinem Körper spürte, schwankte, eine weitere ihn traf. Sein rotes Blut färbte die weiße Säule, an der er keuchend lehnte. Beyond zog L zu sich hinter einer der Säulen, schockiert über die Hitze seiner Haut. Er begriff, warum er hatte darauf bestanden mit hier her zu kommen. Müde schloss L die Augen. Die Kugeln prallten an der harten Säule ab, ihr weißer Putz flog durch die Luft und bedeckte den makellosen Boden mit Staub und Blut. Mellos und Beyonds Schüsse trafen viele der Feinde besser, als sie selbst trafen, doch Beyond musste von neuem lernen, dass Quantität oft über Qualität siegte. Als Mello schließlich an seiner Säule zu Boden glitt, die Waffe noch erhoben, als einer der Männer auf ihn zu gerannt kam, ihm von oben in den Kopf schoss, begriff Beyond, dass sowohl Near als auch Matt bereits lange tot waren. Warum nur hatte es so kommen müssen? Ls rasselnder Atem dröhnte ihm betäubend laut in den Ohren. Nur zitternd hielt er die Waffe noch in seiner Hand, von deren Fingern das Blut bereits tropfte. Den ersten, der sich zu ihnen wagte, streckte Beyond mit einem Schuss zwischen die Augen nieder, doch es hatte seinen Sinn. Kanonenfutter. L wehrte sich, trotz seinem von Krankheit zerfressenen Körper, gut. Er schaffte es sich einen der Schwarzgekleideten von Leib zu halten, doch schon ein zweiter riss ihn zu Boden. Sie erschossen weder Beyond noch L. Sie entrissen Beyond die Waffe, drückten ihn zu Boden, traten ihn. Er wusste nicht, was sie überhaupt wollten. Männer in weißen Kitteln, schwarzen Handschuhen, sie flogen geradezu über den weißen Boden, hinterließen blutige Fußspuren. Das Licht wurde dünner. Beyond konnte sich kaum wehren, als man ihm eine der Gasmasken aufs Gesicht drückte. Das Gift brannte in seiner Nase, seinem Mund, seiner Lunge. Er hörte Ls Husten und konnte es kaum von seinem eigenen unterscheiden. Er wusste nicht, ob L ihn überhaupt noch hörte, als er seinen Namen rief. Wie Feuer fraß sich das Gas in ihn hinein, drängte alle Luft aus ihm hinaus, ließ ihn würgen und verzweifelt nach Luft schnappen. Wie Vakuum, wie schwarzes Feuer, substanzlos. Immer weniger Kraft mussten seine Feinde aufwenden um ihn auf den Knien zu halten, ihre Krallen rissen an seinem Haar, verrenkten ihm die Arme. Seine Sicht schwankte in seiner Schärfe, seinen Farben. L wand sich auf dem Boden, versuchte seine Füße aus ihrem Griff zu befreien, doch auch er atmete schon zu lange das Feuer in sich ein. Beyond konnte ihn kaum noch erkennen. Schwarze und weiße Schemen verdichteten sich um den Detektiven, wie eine Glocke, die ihm das letzte bisschen Leben aus den Lungen quetschte. Beyond fand kaum mehr die Kraft sich selbst auf den Knien zu halten, der Schmerz schüttelte ihn. Er verstand kein Wort, dass seine Feinde sprachen, verstand nicht einmal mehr die Sprache seiner eigenen Gedanken. Dennoch keuchte er Ls Namen noch einmal, nicht einmal mehr sicher sein könnend, ob die Laute überhaupt noch stimmten, die er von sich gab. Als er schließlich nicht einmal mehr die Kraft zu atmen fand, als er seinen Herzschlag laut in seinen Ohren hörte, kehrte mit einem Mal, für die letzten Sekunden in seinem Leben, noch einmal die rote Schrift zurück, zuckend und schwankend, Zahlen und Nummern. Ihr Rot glich dem Blut auf dem Boden. Kaltes Weiß, heißes Rot, endgültiges Schwarz. Kapitel 2: Traum 2: Heimat -------------------------- Traum 2: Heimat Light rannte über die Hügel grünen Grases, doch der Schatten des Schlosses schien ihn immer wieder zu finden. Aus weißen Steinen errichtet, die Schieferdächer Schwarz wie Pech, thronte es auf dem kahlen Hügel, über den weiten Flächen Wiese und Seen, am Rand des Abgrunds, der sich mit seinen scharfen Felsen drohend öffnete, wie das Maul eines gewaltigen Monsters. In den großen Fenstern schien sich allzeit Feuer zu spiegeln, der Tod all derer, deren Leichen in den Schneefarbenen Mauern lagen. Light hatte sie gesehen. Und er hatte sie gespürt. Er wusste, dass sie das Death Note nie wieder freigeben würden, man hatte schließlich gewusst, warum man die mörderische Waffe zu den Toten in das Schloss brachte. Schon seit Jahrhunderten brachte man ihnen die schrecklichsten Waffen und noch nie war es jemandem gelungen, auch nur eine der Waffen wieder aus dem Schloss zu holen. Dennoch hatte er es versucht, war durch das schmiedeeiserne Tor gelaufen, war schon im Schlosshof angegriffen worden. Leere weiße Augen, die Haare scheinbar endlos, dünn wie Spinnenweben, ihre Finger ebenso den Beinen einer Spinne. Panik hatte ihn ergriffen und jeglichen Willen und Mut in ihm schneller verbrannt, als er es geglaubt hatte. Ohne einen Blick zurück war er Hals über Kopf aus dem verfluchten Schloss geflohen und seinen verfluchten Königen und Königinnen. Es war wie ein Friedhof der Mordwerkzeuge, schlimmer noch, ihr Tod, unwiderruflich verschlossen vor dem Leben. Light hielt keuchend an und stützte sich auf seine Knie, als er sich umsah. Obwohl er vor seiner eigenen Hinrichtung floh und damit lediglich vor der Niederlage davonrannte, die bereits eingetroffen war, so wollte er dennoch nicht aufgeben. Der Schock des Verlierens hatte ihn tief getroffen und er war nicht ganz bei sich gewesen, als sie ihn das erste Mal gepackt hatten. Doch sein Verstand war schnell zurückgekehrt und hatte ihn rennen lassen. Was sollte er auch tun, das Death Note war bereits verloren gewesen und damit stand er ohne Waffe da. Erschöpft ließ er sich in das kühle, laubgrüne Gras sinken und blickte sich aufmerksam um. Der Garten um das Schloss herum schien kein Garten sein zu wollen. Nichts als ewige Grasflächen, perfekt geschnitten und scheinbar immerzu taufeucht, glänzende, gläserne Bäche und Seen, bunt verstreut um das Schloss herum. In jedem Tropfen spiegelte sich das verfluchte Schloss. „Willst du hier auf deinen Tod warten?“ Erschrocken sprang Light auf die Füße, blickte sich rasch um. Doch niemand war zu sehen. Rasch lief er weiter. Er kannte die Legenden des Schlosses. Von den weißen Geistern in den Seen hatte er schon gehört, die Vernünfte des Schlosses, wie es hieß. Doch auch kannte er jene Legende, die Legende der toten Stimmen. Es hieß, dass alle Toten im Garten des Schlosses sprechen konnten und Light wollte nicht reden. Mit niemandem und am allerwenigsten mit dieser einen Person. Seine Verfolger schienen nirgendwo zu sein. Hatten sie ihn aufgegeben? Glaubten sie die Toten des Schlosses hatten ihn mit ihrer Kälte verbrannt? Light würde nicht das Gesicht seines Vaters vergessen, als dieser sich eingestehen musste, dass sein Sohn ein Mörder war, der schrecklichste aller Mörder. Vielleicht war es Light gerade deshalb so leicht gefallen wegzulaufen, der Griff seines Vaters hatte noch im Schock geschwankt, sich nicht sicher, was er eigentlich wollte. Die anderen Polizisten hatten schneller reagiert, doch Light hatte nichts mehr zu verlieren gehabt und so war er auch gerannt. Er glaubte, dass sie ihn absichtlich hatten entkommen lassen. Vielleicht wollten sie ihm noch einige Minuten leben lassen, vielleicht hatten sie geglaubt, er müsse sich seinen Tod eingestehen und würde dann von allein wieder kommen. Doch niemals würde Light zu seiner eigenen Hinrichtung kommen. Nicht freiwillig, nicht gezwungen. Sein Tod musste schon zu ihm kommen, nicht umgekehrt. Seine Schritte wurden langsamer, ebenso wie sein Atem, immer ruhiger atmete er die kühle reine Luft. Sie roch nach frischem Gras und klarem Wind, wie nach einem Regen. Irgendwo hier musste die Sonderkommission sein, dass wusste er genau. Sie suchten ihn und würden erst dann aufgeben, wenn sie ihn gefunden hatten. Doch wie sollte er weglaufen. Das Schloss stand auf ihrer Seite, würde ihn niemals gehen lassen. Die kleine Hütte stand so schief auf den leeren Hügeln, dass ein einziger Luftzug auszureichen schien, dass hölzerne Bauwerk zum Einsturz zu bringen. Das dunkle Holz war vermodert und feucht, bedeckt mit Moos und Flechten. Leicht knarrten die Dielen, als Light vorsichtig einen Fuß darauf setzte. Vielleicht konnte er sich hier etwas verstecken, überlegte er, ehe er das eine große Zimmer betrat und vor Schreck wie angewurzelt stehen blieb. Sein Vater lag mit dem Gesicht nach unten in seinem eigenen Blut, die Waffe noch in der Hand. Auch die anderen Mitglieder der Sondereinheit lagen tot auf dem verfaulten Boden und rührten sich nicht. Light machte ein paar langsame Schritte, doch keiner regte sich. Alles war still, kein Geräusch zerstörte die perfekte Stille, die über dem Garten des Schlosses lag. „Warum nur sind sie alle tot.“, murmelte er. Es machte ihm keine Sorgen, dass sie alle tot waren. Doch wenn sie jemand umgebracht hatte, dann musste diese eine Person noch am Leben sein und irgendwo warten. Er betrat die Veranda und blickte hinüber zu den ersten Bäumen, die die Grenze des Gartens markierten. Wenn er es bis zu diesem Wald schaffte, dann würde das Schloss keinen Einfluss mehr auf ihn haben. Dann hätte er das Gelände endgültig verlassen und könnte sich verstecken, weglaufen. Und auch die Stimme wäre dann endlich verschwunden und würde nie wieder erklingen. „Also, ich habe keine Toten gesehen.“ Light nahm sich nicht einmal die Zeit zu antworten oder sich zu erschrecken, sondern hechtete sofort los. Gerade noch rechtzeitig, ehe er ein paar Finger fühlte, die seinen Rücken streiften, ihn wohl hatten packen wollen. Er hörte die Stimmen der tot Geglaubten. Und dann hörte er ihre Schritte, schnell wie seine eigenen. „Light, bleib stehen!“ „Light!“ „Bleib stehen oder wir schießen!“ Sie zögerten noch immer. Warum nur? Light rannte über die sanften Hügel, hindurch durch die flachen Bäche, immer auf die Bäume zu, deren dunkelgrüner Schatten seinen vorläufigen Schutz bedeuten würde. Doch er war schon zu viel gerannt an diesem Tag, physisch wie psychisch. Plötzlich packte ihn jemand am Arm und bremste ihn grob aus. Auch die Anderen hatten ihn schneller zu fassen bekommen, als er sich wieder befreien konnte. Sie fassten seine Hände und er hörte die Handschellen in seinem Rücken klicken, ehe er sich verzweifelt aufbäumte und versuchte freizukommen. Doch die Polizisten hatten ihn schon einmal unterschätzt und waren nun vorsichtiger, ließen ihm keine Möglichkeit sich zu befreien, so sehr er sich auch werte. Dann hallte plötzlich eine gesummte Melodie durch die Stille und urplötzlich wehte Wind über dem sonst windstillen Garten. Alle hielten überrascht inne und blickten sich um, ehe sie auch sogleich den Ursprung der Melodie erblickten. Eine der Vernünfte stand mitten in dem See, an dessen Ufer Light gefasst worden war. Seine ganze Gestalt schien wie aus der Landschaft gestanzt, schneeweiß, die Haut, das Haar, der Stoff der Kleidung. Selbst die Augen waren weiß wie die Sonne, wenn man sie direkt ansah. Nur die Pupillen waren schwarz und nicht weiß wie selbst die Iris. Starr stand das Wesen mitten im Wasser, an dessen Stelle der Grund viel tiefer war. Keine einzige Welle des Wassers, die Oberfläche um den schmalen Körper glich einem perfekten Spiegel. Doch die Vernunft selbst spiegelte sich nicht. Sie summte nur leise und starrte die Menschen an. Ihr Blick brannte sich bei Light ein und flößte ihm eine nie da gewesene Angst ein. Ehe sich noch jemand aus der Sondereinheit wieder besinnen konnte, riss er sich mit einem brutalen Ruck los. „Hast du gesehen? Er hat dich angesehen, niemanden sonst.“ „Sei still!“, schrie Light die körperlose Stimme an und Hass überschwemmte ihn bei dem amüsierten Ton in den Worten. So schnell er konnte rannte er auf die Bäume zu, doch die Handschellen taten ihren Dienst und so musste er ein paar Mal um sein Gleichgewicht kämpfen. Seine Schritte waren schwer und laut und bei dieser Erkenntnis wurde ihm bewusst, dass sein unsichtbarer Begleiter fliegen musste. Doch zu seiner eigenen Überraschung erreichte er die Bäume vor seinen Verfolgern und verschwand rasch hinter einem der Bäume. Keuchend lehnte er sich an den dunklen, rauen Stamm. Nicht weit von ihm entfernt riss der Boden bereits zum Abgrund hin ab. Eine Leere Fläche mitten im Waldboden, die ein sehr beklemmendes Gefühl erzeugte. „Willst du nicht wissen, was auf dem Grund ist?“ , fragte die Stimme und Light erschauderte. Er hatte gehofft ihn los zu werden, wenn sie nur die Bäume erreichten. Verzweiflung machte die Luft schwer. „Nein verdammt, ich will es nicht wissen!“ „Wirklich nicht? Wir könnten zusammen nachsehen.“ „Geh allein nachsehen, verschwinde!“ „Light, du musst weiterlaufen.“ Doch Light verstand einen Moment zu spät, sodass er sich plötzlich auf dem Waldboden wieder fand. Das Gewicht seiner Verfolger drückte ihn schwer zu Boden und ließ ihn keuchen. Nein, diesmal hatte er wirklich verloren. Selbst die Bäume hatten ihn nicht retten können. Vielleicht hätte er im Schloss bleiben sollen. „Der Tod ist nicht so schlimm, wie du glaubst, Light.“ „Du hast doch keine Ahnung, ich habe keine Angst vor dem Tod!“ Light schrie und wehrte sich, doch er schaffte es kaum einen Fuß zu rühren. War das wirklich das Ende? „Beruhige dich und ertrage dein Ende mit Fassung. Wo ist nur dein Stolz geblieben?“ Light hasste den belustigten Unterton in der bekannten Stimme und zuckte zusammen, als er Finger auf seinem Haar fühlte, leicht wie ein Windhauch. „Fass mich nicht an! Verschwinde, ich brauche dich nicht!“ „Light, mit wem redest du?“ Die Stimme seines Vaters war dunkel vor Angst und Sorge. Fürchtete der den Wahnsinn seines Sohnes mehr als dessen Tod? Die Erkenntnis jedoch, dass nur er die Stimme seines Feindes hören konnte, ließ seine Wut und seinen Kampfgeist verschwinden. Wenn es ein Ende gab, dann musste es jetzt kommen. Warum sonst sollte ausgerechnet er hier sein? Seine einkehrende Ruhe ließ auch die Ermittler wieder etwas von ihm ablassen. Ihre Gesichter waren allesamt blass, als sie ihm wieder auf die Beine halfen. Vielleicht weil sie selbst die Wendung der Geschichte nicht ertrugen, vielleicht weil sie wussten, dass sie sogleich Light erschießen mussten. Vielleicht fürchteten sie auch nur die Vernunft im See. Sie führten Light zum Rande des Abgrunds, wo er sich hinstellte und in die nebeligen Tiefen blickte, vorbei an den scharfen Felsen und Zacken. Dann blickte er sich wieder um, zurück zur Sondereinheit, die etwas entfernt stand und zu ihm hinüber sah. Sie wussten selbst genau, dass es das letzte Mal war, dass sie Light sehen würden. „Glaubst du, du warst ein Gott?“ „Ich bin noch immer ein Gott.“, antwortete er ruhig und fühlte das Schmunzeln seines Feindes. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Vater mit zitternden Händen die Waffe entsicherte. Er hatte bereits erwartet, dass sein Vater ihn richten würde. Sein Gesicht war noch blasser als zuvor. Es schien ihn innerlich zu zerstören, seinem Sohn schon ein zweites Mal seine Hinrichtung anzukündigen. „Der Tod unterscheidet nicht zwischen Göttern und Menschen, Light.“ „Light, ich werde dich nun hinrichten. Da wir uns auf dem Gelände des Schlosses befinden, müssen wir über dich nach den dortigen Gesetzten richten.“ „Vielleicht hast du Recht, dass Götter sterben wie Menschen, aber verlieren sie dadurch auch ihre Identität?“, antwortete Light leise und spürte die federgleichen Finger am Arm. „Demnach muss deine Leiche in den Abgrund fallen und darf dieses Gelände nicht verlassen. Damit du nicht weglaufen kannst, werden wir dich blenden.“ Die Stimme seines Vaters zitterte. „Der Tod ist die Schwester des Lebens, doch sie hasst nicht wie das Leben, sondern liebt alle, die ihr Bruder ihr schickt.“ „Light, bist du bereit für deine Untaten zu sterben?“ „Der Tod lässt niemanden wieder gehen, auch einen Gott nicht. Selbst dich und mich nicht.“ „Ja, ich bin bereit zu sterben.“ Sein Vater schluckte sichtlich. Light sah die große Lampe zu dessen Füßen. Er wusste, dass es Gesetz des Schlosses war, doch in diesem surrealen Moment, in dem er genau wusste gleich zu sterben, hielt er das Gesetz des Blendens für lächerlich und geradezu scherzhaft. „Denn, wenn du ein Gott bist, Light, dann bin ich ebenso einer, nicht wahr?“ Die silberne Waffe wurde langsam erhoben, Light sah das Unverständnis und die Trauer in den Augen des Vaters. „Ja.“ Das Licht war heller als die Sonne und weiter als der Himmel. Es schien Light geradezu zu durchfahren und alle Konturen der Welt, in der er noch lange hätte Leben sollen, auszuradieren. Seine Augen weiteten sich, ob dieser weißen Unendlichkeit, die ihn plötzlich umfing und dem hellen Schatten, welcher auf einmal vor ihm stand. Schwarze Augen, schwarzes Haar, kaum waren die Konturen im Licht zu erkennen, doch Light musste ihn nicht sehen um zu wissen, dass er da war. „Willkommen zu Hause, Light.“ Und der Moment, ehe ein Schuss das Licht zerriss und weder Dunkelheit noch Licht zurückließ, war zu kurz, als dass Light noch hätte entscheiden können, ob das Lächeln seines Feindes nun spöttisch oder ehrlich gemeint war. Kapitel 3: Traum 3: Absoluter Frieden ------------------------------------- Traum 3: Absoluter Frieden L strich mit den Fingern durch den heißen Sand und betrachtete interessiert die winzigen Körnchen, die an seiner Haut kleben blieben. Über ihm explodierte erneut ein Jet mit gewaltigem Donnern und einem weiß glühenden, hellen Feuerball. Das zertrümmerte Fluggerät stürzte unter einer beachtlichen Wasserfontäne ins Meer, weit genug von ihm entfernt, als dass es ihn hätte verletzten können. Desinteressiert warf er einen Blick dorthin, wo das dunkle Meer die Trümmer verschluckt hatte, ehe er einen Blick in den Himmel warf und sich erhob. Der Himmel war schwarz von all den Kriegsmaschinen, weiß von all den Schüssen, rot von all dem Feuer und orange von der unerträglichen Sonne. L hatte versucht unter den mageren Palmen Schatten zu finden, doch es war aussichtslos. Das Meer schien sich trotz des Krieges nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, schwappte immer wieder in regelmäßigen Abständen an den dunklen Strand und hinterließ weißen Schaum auf dem feinen, nassen Sand. Brütende Hitze und durchgehend Detonationen. L fand es unerträglich. Er wusste nicht, was er hier eigentlich sollte. Dieser Krieg war schon seit einiger Zeit aus den Gleisen der Logik und Vernunft gesprungen und bahnte sich nun mit roher Gewalt und Sinnlosigkeit einen Weg durch sämtliche noch bestehende Regeln und moralischen Grundsätze. Ein Gebiet, auf dem nichts als die Waffe zählt, die man in diesem Moment befehligt. Jeder Idiot hätte damit den Kampf gewinnen können, es ging nicht mehr um Strategie oder Taktik. Ein weiterer Jet stürzte ins Meer und L überlegte sich nach Light zu erkundigen. Es ging schlicht darum, wer einen bestimmten Knopf schneller drücken konnte als der andere, nichts weiter. L wischte sich achtlos die Hand an der Hose ab und späte dann zurück zu der kleinen Holzhütte, in der er bereits einige Stunden verbracht hatte. Etliche Computer waren dort aufgestellt, das Licht der Monitore ließ alles unglaublich künstlich und tot erscheinen. Aber nun, nachdem L gesehen hatte, wie die Dinge im Feuer des Todes aussahen, wusste er, dass sie hinter diesem Bildschirm wahrlich nicht lebendig gewesen waren. Sie existierten gar nicht, weil sie nicht zerstört werden konnten. Doch nun war auch der Krieg schon bis hinter den Bildschirm vorgedrungen, nicht ahnend, was dort gelauert hatte. Der heiße Sand verbrannte L die Füße. „L!“ Der Detektiv hob abschätzig das Funkgerät in die Höhe, über das Lights Stimme erklang. Einige Sekunden lauschte er auf die Worte, doch sie machten in seinen Augen weder Sinn, noch interessierten sie ihn, also ließ er das Gerät wieder sinken. Mit einem dumpfen Aufprall landete es im Sand. Dann krachte ein Jet genau in die kleine Holzhütte und jagte sie damit mitsamt ihrer vielen Computer und Monitore in die Luft. L beachtete es nicht einmal. Gemütlich spazierte er unter den wenigen, kränklichen Palmen umher und wunderte sich über seine eigenen Fußabdrücke im Sand. Die orangefarbene Sonne neigte sich dem Horizont und tauchte das Spektakel noch einmal in ihre feurigsten Farben. Erneut stürzte ein Jet ins Meer. Als L dann das nächste Mal am Funkgerät vorbeikam, hörte er ein stetiges Rauschen und beförderte es zu den anderen ins Meer. Es war das Letzte. Nochmals hob L den Kopf und besah sich diesen Krieg, an dem er selbst kein Interesse hegte, ein Krieg, der ihn nichts anging und der ihn dennoch herausgefordert hatte. Doch diesen Krieg konnte man nicht mit Logik gewinnen, sondern nur mit Waffen. L griff in seine Hosentasche und zog eine kleine, schwarze Fernbedienung hervor, auf welcher ein weißer Knopf thronte. Und so kam es, dass er die Fernbedienung hoch über seinen Kopf hob und selbst einen Knopf betätigte. Kapitel 4: Traum 4: Eisiger Wahnsinn ------------------------------------ Traum 4: Eisiger Wahnsinn Die sanften Klänge des Pianos hallten durch die stillen, kalten Gänge und füllten sie mit den schönsten Farben. Sanft rieselte der Schnee vor den großen, hohen Fenstern zu Boden, bedeckte die schwarze Erde mit einem weichen, hellen Flaum. Hellblaues, goldenes Licht mit der Kälte von reinstem Weiß. Wie magisch angezogen folgte Near den betörend schönen Klängen durch das kalte, leere Haus. Es wunderte ihn nicht, dass niemand sonst hier war. Der Winter war kalt und nur das knisternde Feuer der Kamine schien noch von Bedeutung zu sein. Eiskristalle an den Fenstern, Türrahmen. Gläsernes Eis auf dem dunklen Parkett. Near wollte sie sehen, durch seinen eigenen Atem hindurch wollte er die Schneekönigin sehen. Ihre reine, silberne Stimme war so bezaubernd schön anzuhören, ihre Worte lockten in den weißen Tod, sanfter als der Schnee, kälter als das Eis. Gesang wie aus Engelskehlen, zerbrechlich wie Maiglöckchen, unbeugsam wie Tannen. Eine Tanne mit spitzen Nadeln. Sachte stieg Near über die Stapel Bücher hinweg. Ein Meer aus Papier erhob sich vor ihm, begrenzte seine Welt auf das erfrorene Wissen. Tote Worte, sie rissen mit ihren kalten Fingern in den Tod. Ein tintenfarbenes Seelengrab, Glanz wie Holz. Mellos Augen waren geöffnet, als würden sie noch etwas sehen. Er lehnte an der Wand, konnte nicht mehr umfallen, nicht mehr aufstehen. Seine Finger waren bedeckt von Eis, gerichtet auf die starren Seiten der Bücher. Betrübt und vorsichtig strich Near eine verirrte Haarsträhne des goldenen Schopfes zurück an seinen Platz, fühlte die Kälte der erstarrten Haut. Bedauern kam im Weißhaarigen auf, und Traurigkeit, beim Anblick des Toten. Er hatte ihm helfen wollen dem Wahn der knisternden Seiten zu entkommen, doch Mellos Stolz hatte ihn in den Tod getrieben. Nun war er gefangen zwischen den Seiten, in denen er Erfüllung und Erlösung gesucht hatte und es war ihm vergönnt, je wieder Licht in seinem Leben zu sehen. Nears Schritte knirschten auf dem Eis in den Gängen. Ihm war bewusst, dass er seinem eigenen Tod entgegen ging, dem Gesang einer Sirene lauschte, eines Todesengels. Doch lange genug hatte er dem widerstanden, selbst Mello war dem Wahnsinn erliegen und in das gläserne Reich gestürzt. Ein Schloss aus Messing, der Schlüssel aus Gold. L selbst spiegelte sich in dem glänzenden Metall. Leise und verheißungsvoll knarrte die Türangel. Weiß wie Schnee, selbst ihre Haare, die Augen schöner als Gold. Ihre Finger wie Porzellan, schnell huschten sie über die weißen Tasten und über die Schwarzen. Ihre Haut wie Marmor, so kalt und hart wie ihr Herz. Edle Spitze, feiner Samt, wie Wellen um sie herum ausgebreitet. Etliche Kinder saßen im Zimmer um das Klavier herum, gefangen in den tückischen Klängen, dem Netz der giftigen Melodie. Der Atem der Meisten war schon lange nicht mehr weiß. Wie eine Puppe, Augen aus Glas. Near konnte den Blick nicht abwenden, wollte es auch nicht. Ihr Blick fing ihn ein wie ein goldener Käfig, gaukelte ihm die schönsten Farben vor, feuerwarme Luft. Ein Lächeln schlich sich auf Nears Gesicht. Alice saß neben ihm im Schnee, absolute Stille in den Tannen um sie herum. Der Schnee darauf glitzerte schön wie Diamanten und leicht wie Federn. Und er fühlte sich warm an, warm wie Alice Haut. Immer wieder berührte er sie, konnte sich nicht an ihr satt sehen. Sie war so schön, so wunderschön. Das Leuchten der schrecklichsten Märchen. Ihr Lachen glich silbernen Glöckchen, Harfen der Elfen, eine Melodie wie für Könige. Sie deutete auf die Zweige der Tannen, auf das helle Marzipan. Auf glasierte Äpfel, kandierte Erdbeeren, kleine goldene Kuchen, auf Zuckerstangen, rot und weiß, auf all das Süße. Near erhob ich, pflückte alles was sie wollte von den Bäumen und sie aß alles. Wie schön Alice war, wie ein Gemälde, wie eine Fee saß sie auf dem weichen Puderzucker, formte ihn zu zerbrechlichen Kristallen und setzte sie ihm ins Herz. Nur Schokolade wollte sie nicht, warf sie achtlos von sich und zog Near wieder neben sich. Ihr Gewand glich dem Kleid eines Engels, ein Brautkleid, befleckt mit Erdbeeren und Blut. Und sie zog ihn zu sich, raubte ihm jeglichen Sinn und Verstand und eigenen Willen, machte ihn zu einer Marionette, einer Puppe ihrer Gelüste. Küsste ihn, zog ihm das Leben aus der Brust und schenkte ihm ein Herz aus Eis. Tötete die weißen Tauben auf den silbernen Stangen, dass ihr Blut den Schnee rot färbte, sich mit der Schokolade vermischte und zur Tanzfläche ihrer Schritte wurde. Alice zog Near mit sich in ihren wahnsinnigen Tanz, tanzte bis die Sterne am Himmel funkelten und küsste ihn, bis er selbst so kalt wie der Schnee unter ihm war und aufhörte die winzigen Eiskristalle einzuatmen. Kapitel 5: Traum 5: My Ring --------------------------- Anmerkung: Dieses Kapitel lässt sich meinen Albträumen zuordnen, wohl ich selbst ihn nicht als solchen empfand. Dennoch möchte ich hier vor den Horrorelementen im folgenden OS warnen. Altersempfehlung: 16+ Traum 5: My Ring Sein Lachen war laut und unheimlich, und ich mochte es noch nie. Trotzdem hat er nur selten damit aufgehört und meist in den unpassendsten Situationen wieder damit angefangen. Egal wie viele tadelnde Blicke ich ihm dabei zugeworfen habe, oder wie oft ich ihn auch in die Seite zwickte, es half nichts. Immer saß er nur in seinem alten, zerfledderten Sessel neben dem schmutzigen Fenster und starrte mit den roten Augen nach draußen, wenn er schon nicht lachte, nur um dann wieder damit anzufangen und schlussendlich vom Sessel zu fallen. Ich glaube auch, dass es ihn nie interessiert hat, dass ich und mein Adoptivsohn in die verwahrloste Wohnung im oberen Stockwerk, eines schmutzigen kleinen Gebäudes, mitten in der Stadt gezogen waren. Seine Wohnung, um genau zu sein. Es war wohl Zufall, dass er gerade weder gelacht, noch wach gewesen war, als wir eingezogen waren und wir erst später die roten Augen, die unter der verschlissenen, bunten Strickdecke nach einiger Zeit auf uns gerichtet waren, bemerkt hatten. Ich hatte Angst, mein Kleiner nicht. Es schien mir auch so, dass der Junge das Einzige war, was der blasse junge Mann, außer den halb verhungerten Leuten vor dem Fenster, noch wahrnahm. Er hat ihm sogar seinen Namen verraten, aber ich durfte ihn natürlich nicht wissen. Überhaupt redet der seltsame Typ nicht mit mir, sieht mich auch eigentlich nie an und ignoriert mich damit vollkommen. Nur lachen tut er immer wieder einfach so, vollkommen grundlos fängt er immer wieder damit an und ich weiß einfach nicht warum. Das Leben mit ihm ist seltsam, nicht nur wegen seines Lachens. Oft scheint es mir, dass er gar nicht da ist, wenn er nicht lacht, wenn er einfach nur still dasitzt, mit einem ausdruckslosen Gesicht und halb unter seiner Decke verkrochen nach draußen, in diese graue, kalte, sterbende Welt starrt. In diesen Momenten tut er mir immer irgendwie leid und ich gebe ihm dann doch etwas von unserem wenigen Essen ab. Jedes Mal tue ich es, obwohl er weder danke sagt, noch den Teller anschließend wegräumt. Und jedes Mal bereue ich es aufs Neue und schwöre mir ihn das nächste Mal einfach zwischen den schmutzigen Polstern versauern zu lassen. Aber dann, meist nachts oder auch selten am Tag, wenn die Monster aus den Schatten hervor wachsen, gruselige Geschöpfe, erhebt er sich aus seinem Sessel und schleicht hinter den grausamen Wesen her. Und aus irgendeinem Grund, den ich selbst nicht verstehe, flüchtet alles vor ihm, was die Hölle ausspeit. Langsam geht er durch unsere Wohnung, erst den Monstern entgegen und dann ihnen nach, bis sie verschwunden sind. Nicht einmal wenn sie zu kleinen Spinnen oder Ratten werden, lässt er sie in Frieden, sondern scheucht auch diese erst aus der Tür, bevor er dann mit einer Geschwindigkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, wieder zurück auf seinen Platz huscht und aus dem Fenster starrt, als hätte er einen wichtigen Teil seines Lieblingsfilms verpasst. Gerade diese Eigenschaft an ihm ist es wohl, die mich seine sonst so unbequeme Anwesenheit ertragen lässt. Denn bis zu diesem einen Tag, an dem er dem einen Monster nicht entgegen treten konnte, hat er mich und meinen Jungen beschützt. Ich weiß nicht woher er das Video hatte, ich zumindest hatte es noch nie zuvor gesehen gehabt. Jedenfalls lief es plötzlich, als ich gerade halb verrottete Kartoffeln schälte. Ein hohes Kreischen vielleicht oder ein Wimmern, vielleicht auch ein Weinen oder aber Lachen, ich kann gar nicht sagen, was für ein Geräusch es war, dass mich plötzlich aufhorchen hat lassen. Es war nur so grauenhaft, dass ich die Kartoffel zwar beiseite legte, das Messer aber in der Hand behielt, als ich ins Wohnzimmer lief um zu sehen, was passiert war. Der Fernseher, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt hatte, dass er nicht funktionstüchtig war, lief und zeigte verstörende Bilder und Kurzsequenzen. Schattenhafte Gestalten mit weißen Augen in dunklen Gängen, kleine Mädchen, die sich die Fingernägel heraus rissen und auffraßen, alte Damen, denen plötzlich schwarzes Blut aus den Augen zu fließen begann, als sie nett lächelnd in einer umgedrehten Landschaft saßen, bis ihre Augen heraus fielen und schwarze Löcher zurückließen, die sich unaufhaltsam durch das plötzlich zu einer grauenvollen Fratze verzogene Gesicht fraßen. Vögel, die sich selbst die Flügel heraus rissen und unaufhaltsam stumm schrien, während Maden aus ihrem Fleisch emporwuchsen und dann wieder diese Mädchen mit den Knopfaugen. Sie saß zwischen erhängten Puppen, riss einer weiteren die Haare aus, die Hände ab und bohrte Nägel in ihre Augen. Sekunden später flimmerte das Bild einer skalierten Frau, ohne Hände, erhängt und mit rostigen Nägeln in den Augenhöhlen über das Bild. Puppen, die aus uralten Schränken gekrochen kamen, sich bewegten wie halb tote Menschen, schiefe Grabsteine, aufgebrochene Türen, sperrangelweit offen, dahinter nichts als Schwärze. Ich kann gar nicht sagen, was ich alles in diesen wenigen Sekunden gesehen habe, die ich nur auf die zuckende und flimmernde Scheibe ohne Farbe starrte, ehe ich zu dem Gerät eilte und es ausstellte. Für einen Moment erlosch das Bild und ich sah nur mich selbst in dem matten Glas, mein vor Grauen blasses Gesicht groß vor mir, ehe das Gerät von selbst wieder an ging und mir ein halb verwestes Mädchen mit blutunterlaufenen Augen entgegenblickte und aus dem Fernseher Blut zu Boden tropfte. Das junge Ding begann zu grinsen, entblößte rostige Nägel, die in ihrem zerfetzten Zahnfleisch steckten und lachte gurgelnd. Ihr Blick war auf mich gerichtet und folgte mir. Ich wich zu Tode erschrocken zurück. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich unser Mitbewohner halb aus seinem Sessel erhob, den Blick starr auf das Fernsehgerät geheftet, eine ausdruckslose Miene aufgesetzt. Schon als ich glaubte, dass er den Spuk beenden würde, sank er wieder zurück und blickte mit weit aufgerissenen Augen auf den Teufel hinter Glas, an den er nicht herankam. Mein Sohn starrte ebenfalls auf das Mädchen, fast schon interessiert und gespannt, seine dunkle Haut vielleicht etwas blasser als sonst. Ich erhob mich und wischte mir den Staub von den Händen, das Messer hatte ich fallen gelassen. Ihr Gesicht war so furchtbar verzerrt, doch nach dem ersten Schock fühlte ich keine Angst. Erst als ich mich meinem Sohn zuwandte und auf seinem Gesicht den gleichen Ausdruck vorfand, in der Hand das Messer und den Körper zerfressen von pechschwarzen Schatten, bekam ich Angst. Er begann zu lachen, als mein Sohn das erste Mal mit dem Messer zustach. Immer und immer wieder rammte er das Messer in mein Fleisch, doch ich spürte keinerlei Scherz. Ich lag nur einfach da und lauschte auf das grausame Lachen. Und in diesem Moment wurde mir klar, worüber er schon die ganze Zeit gelacht hatte und ich bekam mehr Angst vor ihm als vor dem Mädchen im Fernseher und mehr Mitleid mit ihm, als vor meinem besessenen Sohn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)