Träume von Nimsaj (Lichter der Nacht) ================================================================================ Kapitel 4: Traum 4: Eisiger Wahnsinn ------------------------------------ Traum 4: Eisiger Wahnsinn Die sanften Klänge des Pianos hallten durch die stillen, kalten Gänge und füllten sie mit den schönsten Farben. Sanft rieselte der Schnee vor den großen, hohen Fenstern zu Boden, bedeckte die schwarze Erde mit einem weichen, hellen Flaum. Hellblaues, goldenes Licht mit der Kälte von reinstem Weiß. Wie magisch angezogen folgte Near den betörend schönen Klängen durch das kalte, leere Haus. Es wunderte ihn nicht, dass niemand sonst hier war. Der Winter war kalt und nur das knisternde Feuer der Kamine schien noch von Bedeutung zu sein. Eiskristalle an den Fenstern, Türrahmen. Gläsernes Eis auf dem dunklen Parkett. Near wollte sie sehen, durch seinen eigenen Atem hindurch wollte er die Schneekönigin sehen. Ihre reine, silberne Stimme war so bezaubernd schön anzuhören, ihre Worte lockten in den weißen Tod, sanfter als der Schnee, kälter als das Eis. Gesang wie aus Engelskehlen, zerbrechlich wie Maiglöckchen, unbeugsam wie Tannen. Eine Tanne mit spitzen Nadeln. Sachte stieg Near über die Stapel Bücher hinweg. Ein Meer aus Papier erhob sich vor ihm, begrenzte seine Welt auf das erfrorene Wissen. Tote Worte, sie rissen mit ihren kalten Fingern in den Tod. Ein tintenfarbenes Seelengrab, Glanz wie Holz. Mellos Augen waren geöffnet, als würden sie noch etwas sehen. Er lehnte an der Wand, konnte nicht mehr umfallen, nicht mehr aufstehen. Seine Finger waren bedeckt von Eis, gerichtet auf die starren Seiten der Bücher. Betrübt und vorsichtig strich Near eine verirrte Haarsträhne des goldenen Schopfes zurück an seinen Platz, fühlte die Kälte der erstarrten Haut. Bedauern kam im Weißhaarigen auf, und Traurigkeit, beim Anblick des Toten. Er hatte ihm helfen wollen dem Wahn der knisternden Seiten zu entkommen, doch Mellos Stolz hatte ihn in den Tod getrieben. Nun war er gefangen zwischen den Seiten, in denen er Erfüllung und Erlösung gesucht hatte und es war ihm vergönnt, je wieder Licht in seinem Leben zu sehen. Nears Schritte knirschten auf dem Eis in den Gängen. Ihm war bewusst, dass er seinem eigenen Tod entgegen ging, dem Gesang einer Sirene lauschte, eines Todesengels. Doch lange genug hatte er dem widerstanden, selbst Mello war dem Wahnsinn erliegen und in das gläserne Reich gestürzt. Ein Schloss aus Messing, der Schlüssel aus Gold. L selbst spiegelte sich in dem glänzenden Metall. Leise und verheißungsvoll knarrte die Türangel. Weiß wie Schnee, selbst ihre Haare, die Augen schöner als Gold. Ihre Finger wie Porzellan, schnell huschten sie über die weißen Tasten und über die Schwarzen. Ihre Haut wie Marmor, so kalt und hart wie ihr Herz. Edle Spitze, feiner Samt, wie Wellen um sie herum ausgebreitet. Etliche Kinder saßen im Zimmer um das Klavier herum, gefangen in den tückischen Klängen, dem Netz der giftigen Melodie. Der Atem der Meisten war schon lange nicht mehr weiß. Wie eine Puppe, Augen aus Glas. Near konnte den Blick nicht abwenden, wollte es auch nicht. Ihr Blick fing ihn ein wie ein goldener Käfig, gaukelte ihm die schönsten Farben vor, feuerwarme Luft. Ein Lächeln schlich sich auf Nears Gesicht. Alice saß neben ihm im Schnee, absolute Stille in den Tannen um sie herum. Der Schnee darauf glitzerte schön wie Diamanten und leicht wie Federn. Und er fühlte sich warm an, warm wie Alice Haut. Immer wieder berührte er sie, konnte sich nicht an ihr satt sehen. Sie war so schön, so wunderschön. Das Leuchten der schrecklichsten Märchen. Ihr Lachen glich silbernen Glöckchen, Harfen der Elfen, eine Melodie wie für Könige. Sie deutete auf die Zweige der Tannen, auf das helle Marzipan. Auf glasierte Äpfel, kandierte Erdbeeren, kleine goldene Kuchen, auf Zuckerstangen, rot und weiß, auf all das Süße. Near erhob ich, pflückte alles was sie wollte von den Bäumen und sie aß alles. Wie schön Alice war, wie ein Gemälde, wie eine Fee saß sie auf dem weichen Puderzucker, formte ihn zu zerbrechlichen Kristallen und setzte sie ihm ins Herz. Nur Schokolade wollte sie nicht, warf sie achtlos von sich und zog Near wieder neben sich. Ihr Gewand glich dem Kleid eines Engels, ein Brautkleid, befleckt mit Erdbeeren und Blut. Und sie zog ihn zu sich, raubte ihm jeglichen Sinn und Verstand und eigenen Willen, machte ihn zu einer Marionette, einer Puppe ihrer Gelüste. Küsste ihn, zog ihm das Leben aus der Brust und schenkte ihm ein Herz aus Eis. Tötete die weißen Tauben auf den silbernen Stangen, dass ihr Blut den Schnee rot färbte, sich mit der Schokolade vermischte und zur Tanzfläche ihrer Schritte wurde. Alice zog Near mit sich in ihren wahnsinnigen Tanz, tanzte bis die Sterne am Himmel funkelten und küsste ihn, bis er selbst so kalt wie der Schnee unter ihm war und aufhörte die winzigen Eiskristalle einzuatmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)