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Schmetterlingsgeflüster

von

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Prolog

Die Schatten von Demians langen Fingern zeichneten ein Gittermuster auf sein Gesicht, während er die Hand ausstreckte und dem blauen Himmel entgegenblickte.
 

Der glatte Betonboden fühlte sich angenehm unter seinem Rücken an. Obwohl die Sonne an diesem Tag kräftig schien, fröstelte er am ganzen Körper, sodass jedes einzelne Haar auf seinen Armen zu Berge stieg.

Langsam neigte er den Kopf, bis sein linkes Ohr fast den Untergrund berührte. Das Geräusch von rollenden Rädern, die immer wieder näher kamen, um sich dann wieder zu entfernen, machten ihn schläfrig.

Bevor er aber seine Augen schließen konnte, beugte sich Andreas über ihn und verdeckte somit die letzten Sonnenstrahlen, die seine Haut berührten.

„Wenn du keine Lust auf Skaten hast, musst du das nur sagen.“ Eine warme Hand legte sich vorsichtig auf seine Wange.

„Du bist ganz kalt“, flüsterte Andreas.

Demian kam gar nicht darauf zu antworten, denn in diesem Moment schoss eine geschlossene Bierdose an ihm vorbei, platzte auf und eine Fontäne aus schaumigem Bier ergoss sich über seine Klamotten.

„Verschwindet von hier ihr scheiß Schwuchteln!“

Ein wütender Skater, der auf einer Rampe genau neben der ihren stand und mit seinen Saufkumpanen ein paar Bierchen kippte, setzte erneut zum Wurf an. Dieses Mal verfehlte die halb gefüllte Dose ihr Ziel nicht und prallte gegen Andreas Arm. „Sag mal spinnt ihr?!“
 

Aufgebracht hob Andreas die geplatzte Dose auf und setzte zum Gegengriff an, doch im gleichen Moment stand Demian auf und hielt ihn mit einer gezielten Handbewegung zurück.

„Hör auf, lass und lieber von hier verschwinden.“
 

Demian nahm eilig sein Skateboard, während Andreas den Rucksack über die Schulter schwang. Sie sprangen von der Rampe und überquerten den Spielplatz. Hinter ihnen konnten sie das Gelächter der kleinen Gruppe hören, während sie im Laufschritt in einen Sandweg einbogen, der in Richtung Freizeitpark führte.

„Alles in Ordnung?“

„Geht schon“, antwortete Demian und roch an seinen mit Bier getränkten Klamotten.

„Ich rieche wie ein Dixi-Klo auf Wacken.“ Angewidert streifte er den Pullover über seinem Kopf, nahm den Rucksack von Andreas Rücken und stopfte ihn hinein.

„Das ist schon das zweite Mal, dass diese Dreckskerle uns vom Skaterpark vertreiben. Ich schwör‘s dir, irgendwann werde ich denen das Maul stopfen.“

Wütend kickte er einen Stein gegen die Mülltonnen vor der großen Minigolfanlage.

„Red keinen Stuss, die machen uns fertig. Selbst wenn wir mit Jan und Timo da aufkreuzten, hätten wir keine Chance.“

Demian verschränkte seine Arme vor der Brust, doch er konnte Gänsehaut nicht mehr aufhalten, die sich über seinen Oberkörper ausbreitete. Er hasste wilde Partys und noch mehr hasste er den Gestank von Alkohol. Eine Welle der Übelkeit überkam ihn und für einen Moment lang blieb er stehen.

„Sag mal, soll ich meine Mutter anrufen? Du bist schon den ganzen Tag so blass und bevor du mir hier umkippst, lasse ich dich nach Hause fahren.“

Andreas streifte seine Jacke ab und legte sie über Demians Schultern. Das Kleidungsstück stank nach einem Gemisch von Leder, Zigarettenrauch und abgestanden Männer Deodorant. So roch Andreas meistens, außer wenn er ein Date hatte. Dann kam eine Brise Frauenparfum – Christina Aguilera - dazu.

Andreas wartete nicht die Antwort von Demian ab und versendete eine Kurznachricht an seine Mutter. Zum Glück geschah es nicht oft, dass Katarina sie abholen musste. Irgendwie schaffte es Andreas auf Partys so nüchtern zu bleiben, dass er ohne Probleme seinen Roller fahren konnte oder sich mit klimpernden, blauen Augen eine Mitfahrgelegenheit anlächelte. Wenn er nicht gerade seine schlechte Laune heraushängen ließ, was erstaunlicherweise sehr oft passierte, dann flirtete er gerne mit attraktiven Männern. Dabei schüttelte er kokett sein aschblondes Haar, lächelte bis seine frechen Grübchen zum Vorschein kamen und spielte mit dem Schlüsselbund an seiner Hose herum. Für die Meisten mochte es niedlich und unschuldig wirken, doch jeder der Andreas auch nur ein Stück besser kannte, wusste das es eine eiskalte, durchgeplante Masche war. Natürlich machte ihn das noch lange nicht zu einem schlechten Menschen, aber er überschritt gerne die Grenze zur Unverschämtheit und erlangte dadurch nicht nur Freunde.

Für Demian war das alles nichts. Er konnte weder mit den Wimpern klimpern noch mit irgendeinem besonderen Blick flirten. Wenn er sich mal überreden ließ, auf solche Partys zu gehen, hockte er sich meistens in eine Ecke, verkroch sich hinter seinen langen schwarzen Haaren und schrieb Nachrichten an seine Tante, die am Wochenende Nachtschicht in einem Callcenter hatte.
 

Als sie mit dem Auto vor einem Wohnblock am Rande der Stadt Kaltenkirchen stehen blieben, stieg Demian aus.

„Wir sehen uns Morgen zum Keksebacken.“, murmelt Andreas und reichte Demian durch das Fenster sein Rucksack, während dieser die Autotür zuschlug und sich dann von Katarina verabschiedete.

Kekse backen. Das war das Letzte, was Demian jetzt wollte, aber er hatte es allen aus dem Jugendhaus versprochen. Wenigstens musste er nicht beim verkaufsoffenen Sonntag mithelfen.

„Bis dann“, antwortete der Schwarzhaarige, überkreuzte den Bürgersteig und öffnete die Tür im Untergeschoss.

Er nahm den Fahrstuhl und drückte auf die Nr. 13, anschließend lehnte er sich gegen die Tür und betrachtete sich im Spiegel. Der grelle Schein der Sparlampe ließ ihn noch blasser und sein Gesicht noch schmaler erscheinen, als diese in Wirklichkeit waren. Seine Lippen waren voll, doch so blass, dass man sie nur an den spröden Einkerbungen von seiner restlichen Haut unterscheiden konnte. Unter seinen großen Augen, welche fast schwarz waren, lagen tiefe Ringe, was wohl daran lag, dass er und Andreas in den letzten Tagen wegen einen neuen Playstation Spiels nicht genug schliefen.

Er rieb sich den Nacken und atmete angespannt aus. Als der Fahrstuhl zum Stehen kam und mit einem leisen Quietschen aufging, entfernte er sich von der Tür.

Demian durchquerte den Flur, der nur zur Hälfte beleuchtet war, bis er an der letzten Haustür ankam.

Vor dem Tabaluga Fußabtreter machte er kurz halt und klingelte. Für hier oben besaß er noch keinen Schlüssel. Der Vermieter hatte es versäumt, ihnen einen Zweiten zu geben und so musste der Teenager immer darauf hoffen, dass seine Tante Bettina Zuhause war.

„Wie siehst du denn aus?“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und zog ihren Morgenmantel etwas enger als die frische Luft an ihr vorbei in die Wohnung kroch. Sie beugte sich etwas nach vorne und roch an Demians grauem T-Shirt.

„Wohl ne harte Partynacht gehabt was?“

„Nicht jetzt“, murmelte Demian, zog seine Turnschuhe aus und schmiss seinen Rucksack unter die Garderobe. Danach begab er sich direkt in sein dunkles Zimmer, wo er das Skateboard an die Wand lehnte. Er blieb vor dem Bett stehen, streifte jegliche Klamotten ab, schlüpfte in ein überdimensional großes Shirt und legte sich in sein Bett.

Hoffentlich kein Fieber, dachte er und zog die warme Daunendecke über den Kopf. Der Tag war alles andere als perfekt verlaufen. Zuerst der Vorfall mit den Hoppern im Park und jetzt verfolgte ihn auch noch die Grippe von letzter Woche. Er schloss langsam die Augen und ließ sich vom summenden Geräusch der Waschmaschine im anliegenden Badezimmer in den Schlaf wiegen.
 

„Ich hasse Plätzchen backen“, stöhnte Andreas und stach lustlos mit der Sternchenform in den frisch ausgerollten Teig. Gefühlte Zehn Kilogramm waren schon zu Keksen verarbeitet und immer noch war die Teigschüssel bis zur Hälfte gefüllt.

Demian, der neben Andreas auf einer Bank vor dem Küchentisch des Jugendhauses saß, schwieg zum Kommentar seines Freundes. Er tauchte den Pinsel in die Eiermischung, welche vor ihm auf dem Tisch stand und strich über die ausgestochenen Herzchen, die Andreas ihm bereits herübergereicht hatte und jetzt auf einem kleinen Tablett lagen.

Sie befanden sich alleine in der großen Küche, nur ab und zu kamen weitere Helfer herein um die Kekse aus dem Ofen zu holen und sie dann mit in die große Gemeinschaftshalle zu bringen, wo sie auskühlten und dann in Weihnachtstüten verpackt wurden.

Beide saßen sie mit dem Rücken zur Tür und Demian erschrak, als ein Arm über seine Schulter glitt. Lange, warme Finger legten sich auf seine Hand und ergriffen dabei den Pinsel. Keiner der beiden hatte bemerkt, dass der Fremde zu ihnen in die Küche getreten war

Die Gänsehaut, welche sich über Demians ganzen Körper legte. kam nicht von der Kälte. Ganz im Gegenteil: In der Küche war es angenehm warm.

„Darf ich?“, fragte der Fremde mit sanfter Stimme.

„Klar.“, antwortete Demian. Sein Blick huschte kurz zu Andreas hinüber, welcher aufgehört hatte wie ein Mörder auf den Teig einzustechen und jetzt zu den beiden herüber starrte.

Demian traute sich nur langsam, den Blick zur Seite zu wenden. Der Mann hatte sich nicht hingesetzt, sondern hielt sich über das Tablett gebeugt, während er mit flinken Fingern die Teigrohlinge mit Ei bestrich.

Er war schlank und sehr groß. Seine langen Wimpern, genau so wie seine Haut, leuchteten golden im Schein der Deckenlampe. Das gerade Nasenbein und die vollen Lippen, welche Ähnlichkeiten mit denen eines dunkelhäutigen Mannes hatten, gepaart mit seinen ausgeprägten Wangenknochen und dem verhältnismäßig weichen Kinn, machten sein Profil perfekt. Als er nach links schaute, blickte Demian einen Moment lang in seine Augen. Sie waren so klar, dass er sich in ihnen spiegelte. Die hellbraunen Punkte, welche neben seiner Pupille tanzten, sahen aus wie Karamellsplitter, die in dunkler Schokolade badeten.

Lediglich der Ansatz blonder Haare lugte unter dem Rand einer dunklen Strickmütze hervor. Sein langer Hals wurde von dem Kragen eines dunklen Rollkragenpullovers verdeckt, der eng an seinem ausgeprägten Oberkörper anlag. Er sah aus wie ein Student Mitte zwanzig, doch durch die hochgekrempelten Ärmel des Oberteils war es möglich, seine sehnigen Arme und Hände zu erkennen, die aussahen als seien sie von einem ausgewachsenen Mann der schon seit Jahren ein geschicktes Handwerk, wie das Tischlern, ausübte.

Der Fremde lächelte Demians an, bevor er dem Tablett wieder seine volle Aufmerksamkeit widmete.

„Du musst den Pinsel vorher am Rand abstreichen, sonnst läuft das Ei hinunter und sie bleiben kleben.“

Er gab Demian den Pinsel wieder und verschwand dann aus der Küche.

„Wer war das denn?“, fragte Andreas, huschte zur Tür hinüber, die sich gerade hinter den Mann geschlossen hatte und lugte durch das Schlüsselloch.

„Keine Ahnung“, flüsterte Demian und versuchte das Achterbahngefühl in seinem Magen unter Kontrolle zu bringen.

Kapitel 1

Die zuckenden Lichter glitten über die tanzenden Körper, die sich ganz dem Beat der Musik hingaben. Wie jedes erste Wochenende im Monat, veranstaltete das Jugendhaus im Keller eine Disco und wie erwartet war es bis zum Bersten voll. Das lag daran, dass es in Kaltenkirchen außer dem KayOne, welches ausschließlich ein Club ab 18 war, keine Disco für Minderjährige in der Umgebung gab. Die Rauchmaschinen verbreiteten einen nach Erdbeeren riechenden Dunst und wenn man wie Andreas und Demian auf der obersten Treppenspross des Kellers stand und auf die tanzende Menge herabblickte,  konnte man vor lauter Nebel weder den DJ noch die Bar erkennen.

Sie stiegen die Treppe nach unten und schlängelten sich durch die Menge bis hin zu den Sitzecken wo Timo, der Cousin von Andreas, ihnen zwei Sessel freigehalten hatte.

„N‘abend'“, flötete Andreas und ließ sich auf einer der Sessel fallen.

„Ihr seit ganz schon spät dran.“, murmelte Timo.

„VIPs lassen immer auf sich warten.“, lachte der Blonde und wackelte mit den Augenbrauen.

Demian reagierte nicht auf das Geschnatter seiner Sitznachbarn und ließ seinen Blick durch die Menge schweifen. Hier und da ein bekanntes Gesicht, doch niemanden für den es sich lohnte seine Sitzgelegenheit aufzugeben um ihn zu begrüßen.
 

„Hey Kleiner, schau mal, wer da hinter‘m Tresen steht.“

Andreas lehnte sich zu Demian hinüber und wackelte verführerisch mit seinen Augenbrauen, während er in Richtung Bar nickte. Der Schwarzhaarige folgte seinem Nicken, und als er den mysteriösen Mann von heute Morgen hinter dem Tresen erkannte, schien sein Magen Achterbahn zu fahren und er zuckte schnell zurück.

„Wer ist das überhaupt?“, fragte Andreas zu Timo gewandt.

„Hä, wieso? Ich dachte ihr hättet heute mit ihm Kekse gebacken. Woher soll ich das denn wissen?“, antwortete Timo mürrisch.

„Das Einzige, was ich weiß, ist, dass er für Sabine einspringt, die ja jetzt im Schwangerschaftsurlaub ist. Eigentlich sollte er erst nächste Woche anfangen.“

Timo blickte zu Demian, der sich so weit wie nur möglich in den Sessel gedrückt hielt.

„Alles in Ordnung?“, die hellen Augen von Timo wirkten fast rosa im Licht der roten Scheinwerfer, während er den Jungen besorgt musterte.

„Demian steht auf ihn“, schmunzelte Andreas, woraufhin er einen bösen Blick von seinem besten Freund erntete.

„Wirklich? Nen' bisschen alt für dich oder?“

Timo reckte den Kopf, um den Barkeeper etwas besser im Blick zu haben.

„Aber schwul sieht er schon aus“, fügte Andreas hinzu.

„Haltet beide die Klappe!“, grummelte Demian und ließ sich noch etwas mehr in den Sessel zurückfallen.

Seit gestern kreisten seine Gedanken nur noch um den Fremden und seine wunderschönen Augen. Er hatte so sanft und freundlich zu ihm gesprochen, dass es schon fast intim für den Schwarzhaarigen gewirkte. Alleine die Erinnerung an gestern, ließ sein Herz wie einen wilden Vogel in seiner Brust flattern.

Demian hatte ihn nach dem Backen beobachtet. Der Mann hatte sich mit einer Gruppe von Mädchen an einen Tisch gesetzt, Kekse in Tütchen gefüllt und sie dann mit kleinen, roten Schleifen zugebunden. Von der Küche aus hatte er nichts von dem verstanden, was der Fremde den weiblichen Helfern erzählte, doch er wirkte sympathisch. Dabei hätte Demian sich  einfach zu ihnen gesellen müssen. Stattdessen hatte er Andreas eine billige Ausrede aufgetischt und war durch die Küchentür verschwunden.
 

„Ich hab ‘ne Idee.“, sagte der Blonde, holte ein 5 Euro Schein aus seiner Tasche und überschlug die Beine.

„Du gehst jetzt da hin, holst uns beiden ‘ne Cola und fragst ihn brav wie er heißt.“

Er drückte Demian das Geld in die Hand. Der Schwarzhaarige schnaubte, stand dann aber überraschenderweise freiwillig auf.

„Na gut, aber nur weil ich Durst habe.“

Er ließ das Geld in seine Hinterntasche gleiten und klatschte entschlossen in die Hände, bevor er im Getümmel verschwand.

Der Geruch nach Schweiß und Parfum stieg ihm in die Nase während er, zugegeben, etwas unbeholfen, die Arme in die Luft streckte und versuchte sich einen Weg zwischen tanzenden Teenagern zu bahnen.

Die Körper die sich klaustrophobisch eng aneinander rieben, machten die Hitze fast unerträglich. Demian orientierte sich an dem Blauen Licht, welches hinter der Theke, die Sirupflaschen erleuchteten, doch als der DJ die Menge aufforderte die Hände in die Luft zu werfen, war es für den Schwarzhaarigen fast unmöglich noch irgendetwas zu erkennen.

Er quetschte sich etwas grob zwischen einer kleinen Gruppe tanzender Mädchen hindurch und stolperte aus der Menge hinaus, direkt auf einen Barhocker zu.

„Haben wir es eilig?“

Als Demian aufschaute sah er direkt in die Augen des Fremden, der ihn schmunzelnd musterte und dabei ein Glas abtrocknete.

„Du bist doch der Junge der die Kekse gebacken hat.“, stellte der Mann fest und legte das Glas bei Seite und steckte den Zipfel des Handtuchs in seine Hosentasche, sodass es an seinen Muskulösen Beinen, die in einer ausgewaschenen Jeans gekleidet waren, herunter baumelte.

„Kann sein. Ehm...“

Der Barkeeper schaute ihn erwartungsvoll an, während Demian etwas überfordert die Getränkeliste ab checkte, was eigentlich überflüssig war, denn er kannte sie schon auswendig.

„Du siehst aus wie einer meine Freunde wenn sie nen Tequila brauchen.“ sagte der Fremde, drehte sich um und holte eine Erdbeersirupflasche aus dem kleinen Kühlschrank.

Erst fiel Demian auf, dass er wie ein Schluck Wasser in der Kurve über dem Barhocker gebeugt hing und wie ein Geisteskranker auf die grüne Getränketafel blickte.

„Ich mix' dir mal was leckeres.“

„Sag mal, wie lange willst du eigentlich bei und bleiben?“, fragte Demian und im nächsten Moment bemerkte er erst, wie unhöflich seine Frage geklungen hatte. Doch sein gegenüber zog nur nachdenklich die Augenbrauen in die Höhe und füllte den Erdbeersirup in den Mixer.

„Nun. Ich denke mal solange Sabine wieder einsatzfähig ist, oder ich einen anderen Job finde“, erwiderte er und schaute Demian direkt an.

„Wieso? Stört dich das etwa, dass ich hier arbeite?“

Demian, der kaum in der Lage war seinen atemberaubenden Blick standzuhalten, lief puterrot an und erhob sich aus seiner gebeugten Position.

„Sorry, so hatte ich das nicht gemein. Ehm, also ich bin eigentlich nur neugierig. Ich habe natürlich nichts dagegen das du, ehm das Sie...?“, er verstummte als er merkte, dass er von einem Fettnäpfchen ins nächste Stolperte.

„Nenn' mich einfach Mattis. Ich fühle mich immer schlecht wenn ihr Kids mich siezt “, er reichte Demian ein langes Glas mir einem schwarzen Strohhalm und lächelte ihn an.

„Sehen wir uns am verkaufsoffenen Sonntag?“, fragte er anschließend.

„Natürlich!“
 

„Alta!“, Andreas verschränkte genervt die Arme vor der Brust und schaute Demian aus böse funkelnden Augen an.

„Nicht nur das du vergessen hast mir ne Cola mitzubringen, jetzt hast du uns auch noch offiziell verkaufsoffenen Sonntag angemeldet. “

„Sorry.“, entgegnete Demian und rechte Andreas entschuldigend seinen Drink der nicht nur verdammt lecker, sondern auch noch für umsonst gewesen war.

„Ich kann da auch alleine hin gehen, wenn du nicht mitwillst“, murmelte er und sah seinem blonden Freund zu, wie er das Glas mit nur einem einzigen Zug vollkommen lehrte.

„Und wer spielt dann bitteschön mit mir MW3?“, fragte Andreas uns stellte das Glas auf den Tisch ab, wo noch vor kurzem Timos Rucksack gelegen hatte. Dieser war aber mit ein paar Freunden abgehauen und hatte sich seitdem nicht mehr blicken lassen.

„Du könntest doch jemand Anderes einladen“, antwortete Demian etwas kleinlaut.

„Ne du, da verkaufe ich lieber Weihnachtskekse.“

Insgeheim hatte Demian darauf gehofft, am Sonntag ohne seinen besten Freund zum Verkauf gehen zu können. Wenn die Beiden erst einmal hinter der Verkaufstheke standen, würde Andreas solange seinen Freund ärgern und zweideutige Anmerkungen machen, bis der halbe Stand etwas von Demians Schwärmereien erfuhr, am besten Mattis gleich noch dazu, und das, war bestimmt das Letzte was Demian wollte.

Mattis. Alleine sein Name war göttlich. Er hatte noch nie über Namen nachgedacht, aber wenn er jemals einen Sohn haben sollte, würde dieser Mattis heißen. Doch das wichtigste war, dass das schöne Gesicht des Fremden jetzt nun endlich einen Namen besaß und dieser er obendrein auch noch unfassbar nett war. Demiens Herz schien bei der Erinnerung an sein Lächeln, dass etwas mysteriös im blauen Neonlicht gewirkt hatte, einen Sprung zu machen. Er versank in der wohnlichen Gefühl, welches sich in seinem ganzen Körper ausbreitete. Er brauchte heute kein Alkohol mehr um auf Wolke Sieben zu schweben.

Kapitel 2

„Wo hast du dich die ganze Nacht herumgetrieben?“

Erschrocken hielt Demian inne, als er gerade dabei war, seine Schuhe auszuziehen, um sie dann neben dem Fußabtreter abzustellen. Er kniff kurz die Augen zusammen und fluchte leise, bevor er sich aufrichtete. Die Stimme seines Vaters drang aus der angrenzenden Küche. Durch die offene Tür viel ein breiter Lichtstrahl in den dunklen Eingangsbereich.

Der Junge verharrte noch einige Sekunden in seiner Position, bis er es wagte mit schleppenden Schritten in den Schein der Küchenlampe zu treten. Etwas unsicher stütze er sich mit einer Hand im Türrahmen ab und blinzelte in das helle Licht.

„Ich war noch bei Dennis“, antwortete der Schwarzhaarige und starrte auf den Hinterkopf seines Vater, der mit dem Rücken zu ihm saß.

„Es ist halb drei Uhr in der Früh und du hast morgen Schule.“

Die Ruhe in seiner Stimme war tückisch und Demian zitterte leicht vor Anspannung, als sein Vater sich langsam zu ihm umdrehte und sein finsterer Blick bestrafend auf ihn warf. In einer Hand hielt er eine gedrehte Zigarette und in der Anderen ein Glas mit einer stark riechenden Flüssigkeit: Korn.

„Lass das meine Sorge sein. Solltest du nicht selber schon im Bett liegen. Schließlich musst du doch zur Arbeit.“ Demian verschränkte die Arme vor der Brust, um das Zittern unter Kontrolle zu bekommen. Er war alt genug, um seinem Vater die Stirn zu bieten und er hatte sich geschworen, nie wieder Angst vor ihm zu haben.

„Ich vergaß...“ murmelte er. „ …sie haben dich ja gekündigt.“

Das Glas rauschte an seinem Ohr vorbei, traf auf die Wand und zerbrach mit einem lautem Klirren in tausend Stücke. Demian zuckte vor Schreck so heftig zusammen, dass ihm für einige Sekunden die Luft wegblieb. Der Alkohol, der auf seine Hose gespritzt war und nun die pissgelbe Wand tränkte, drang eiskalt durch seinen Stoff und setzte einen widerlichen Gestank frei, der sich in Demians Nase festbiss.

„Halt dein Mund!“, brüllte sein Vater aufgebracht und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf ihn, mit der er die Zigarette hielt. Die Asche tropfte förmlich zu Boden und zerstäubte sich dann in der Luft. Als er ruckartig aufstand, stieß er dabei den Stuhl um, der krachen zu Boden viel und die Holzdielen erschütterte.

„Ich habe es satt das, du mit deinen Schwuchtelfreunden die ganze Nacht weg bleibst!“

Er stürmte auf Demian zu und packte ihn so grob am Arm, das der Junge fast den Boden unter den Füßen verlor. Sein Vater beugte sich langsam an sein Ohr, wobei er wütend die Zähne zusammenbiss und ihm bedrohlich ins Ohr zischte. Der vertraute Mundgeruch seines Vater verursachte ihm Übelkeit, doch er presste die Lippen aufeinander und schaute verdrießlich auf seine Füße damit niemand sehen konnte, dass sich Tränen in seinen Augen sammelten und drohten unaufhaltsam über seine roten, pulsierenden Wangen zu kullern.

„Ab jetzt weht hier ein ganz anderer Wind...“
 

Mit polternden Herzen schlug Demian die Augen auf. Es war stockdüster in seinem Zimmer und er hielt sich mit einer Hand krampfhaft die Brust. Es schien ihm so als sei er gerade ein Marathon gelaufen.

Verängstigt atmete er stoß weise aus und strich sich beruhigend über den flachen Bauch, den er immer noch unter Spannung hielt.

Sein Kiefer schmerzte wie Hölle, da er, wie üblich während eines Albtraums, die Zähne aufeinander gepresst hatte. Er atmete tief durch, richtete sich im Bett auf und schaute auf die Neonuhr. Es war sechs Uhr in der Früh.

Er nahm ein Schluck Wasser aus einer Plastikflasche, die auf seinem Nachttisch stand, und holte sein Gummizahnschutz aus dem Etui, das immer neben seinem Kopfkissen lag. Auch wenn er damit aussah wie ein Boxer, verhinderte er somit, dass er sich im Schlaf die Zähne aus biss. Der Arzt hatte damals gesagt, es könne eine Stressreaktion sein. Er hatte sich schon einen halben Zahn abgebrochen, den man aber wiederhergestellt hatte.

Demian drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Er fühlte sich etwas benommen. Seit Monaten hatte er nicht mehr von seinem Vater geträumt und auf einmal holte ihn die schlimmsten Erinnerungen wieder ein, so, als würden sich die Albträume die unpassendsten Momente aussuchen, gerade jetzt, wo er doch so Gefühlsverwirrt war, konnte er die Gedanken an seinen Vater nicht gebrauchen. Wie ein kleines Kind zog er die Decke bis über die Ohren und presste seine Nase gegen das Kissen. Sein eigener heißer Atem befeuchtete seine Wangen was ein unangenehmes kribbeln auf seiner Haut verursachte, doch der Mangel an Sauerstoff unter der Decke, ließ sein Herz etwas langsamer schlagen.

Ein Schlüssel drehte sich im Schloss um und die Haustür schwang leise auf.

Demian öffnete schlagartig die Augen, schubste sein Bettzeug bei Seite und schaute in Richtung Zimmertür. Das Geräusch des Lichtschalters im angrenzenden Bad war zu hören und ein paar Minuten später ertönte das Gurgeln der Klospülung. Bettina war von der Nachtschicht im Callcenter zurückgekommen.

Demian stieg aus dem Bett, wobei er erschauderte, als seine warmen Füße den kalten Boden berührten. Er öffnete vorsichtig die Tür und huschte dann in das gegenüberliegende Wohnzimmer.

Bettina hatte sich gerade auf das kleine Sofa niedergelassen und öffnete ihre gelockten, blonden Haare, während sie den Fernseher anschaltete und ihn auf lautlos stellte.

„Hey Schnubbel, warum bist du denn schon wach?“, fragte sie, als sie ihren Neffen im Türrahmen erblickte. Der Junge durchquerte den Raum und setzte sich zu seiner Tante.

„Isch kann nimmer schlahm“, nuschelte er und bemerkte erst jetzt, dass er den Gummischutz noch im Mund trug. Verlegen nahm er ihn heraus und ließ seine Hände dann auf seine Knie sinken, bevor er seinen Blick anhob und in Bettinas müde Augen guckte.

„Wohl wieder n' Albtraum gehabt“, stellte sie besorgt fest und strich dem Jungen ein paar schwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er nickte und fiel schläfrig nach Hinten, bis die Sofalehne an seiner hervorstehenden Wirbelsäule spürte.

„Du solltest ne Tasse Tee mit Honig trinken“, sagte sie und stand auf.

„Ne danke, ich werde mich gleich wieder Schlafen legen.“

Er starrte geistesabwesend auf den Bildschirm, auf den gerade die Frühnachrichten liefen. Bettina ließ sich wieder auf das Sofa sinken und schaute den Teenager besorgt an.

„Fällt heute bei dir noch was an?“, fragte sie beiläufig und zog die Beine an, sodass sie auf dem Sofa hockte.

„Ich glaube, ich mache beim verkaufsoffenen Sonntag mit“, murmelte Demian.

„Aha und ich dachte, ihr wolltet das Wochenende mal auf die Bremse treten.“

„Ich ziehe das alleine durch“, erwiderte er gebunden und schaute auf seine Hände.

„Warum? Hast du Stress mit Andreas?“

Demian schüttelte den Kopf.

„Es ist etwas kompliziert.“, er spielte mit dem Gummiteil in seine Hand. Demian hatte noch nie einen festen Freund gehabt, und wenn er mal für jemanden schwärmte, dann war das sein persönliches Geheimnis, das er eigentlich mit niemanden teilte. Es war ihm peinlich zuzugeben, dass auch er Gefühle für jemanden hegen konnte.

„Wie jetzt? Kompliziert für dich oder für mich?“, fragte sie mit einem allwissenden Lächeln, lehnte sich zu Demian hinüber und legte ihren Arm um seine Schultern. Der Junge spürte wie sein Herz in seine Hosentasche rutschte, denn wenn Bettina ihren Tratschton anwendete, sollte man sich lieber vor ihr in acht nehmen. Nicht das sie Geheimnisse ausplaudern würde, ganz im Gegenteil, Bettina wurde einfach nur verdammt anstrengend, weil sie jedes Detail aus einem herauspresste wie aus einer saftigen Orange.

„Andreas möchte zum Verkauf mit, aber ich will nicht, dass er mitkommt.“

Demian wurde rot, als er merkte, wie selbstsüchtig das klang.

„Alles klärchen und warum sagst du es ihm denn nicht einfach, ich meine, er hat dich auch oft genug wegen einem Date weggeschickt.“

„Wer hat denn gesagt, dass es hier um einen Mann geht?“

„Geht's nicht immer um Männer?“, stellte sie die Gegenfrage und lachte leise als Demian noch röter wurde und den Kopf zurückzog, sodass sich seine Haare vor die dunklen Augen schoben.

„Ist er neu oder kenne ich ihn?“, fing sie ihr übliches Spiel an, welches sie auch schon tausend Mal bei ihren Freundinnen angewendet hatte.

„Ich bin nicht einer deiner Freundin“, entgegnete Demian irritiert.

„Das heißt aber noch lange nicht, dass du nicht mit mir reden kannst. Ich bin nicht so wie dein Vater, mir kannst du alles erzählen.“

Demian versteifte sich bei dem Wort Vater, etwas was Bettina sofort merkte.

„Tut mir leid. Ich will nur nen bisschen an deinem Leben teilhaben.“

Demian seufzte aus tiefster Kehle und überkreuzte die Beine, sodass er im Schneidersitz saß.

„Eigentlich will ich ihn nur besser kennenlernen, aber wenn Andreas mitkommt, ist es immer so schwierig, sich normal zu verhalten. Er fängt an zu kichern und sich wie ein kleines Kind zu benehmen.“

„Ich glaub wenn du ihn nett darum bittest, kann er sich zurückhalten. Außerdem besteht eure Jugendhausgruppe sowieso nur aus verrückten Hühnern wie du und dieser Junge sollte sich schnell an euch gewöhnen.“

„Er ist kein Junge“, warf Demian ein.

„Ein Mädchen? Ich dachte...“

„Ach nein!“, Demian winkte ab.

„Ich meine damit, dass er schon ein Mann ist.“

Erneut fühlte er, wie die Scham ihm die Röte ins Gesicht trieb. Das Wort „Mann“ in Bezug auf Mattis passte viel zu gut. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was für ein großer Unterschied zwischen den Wörtern Junge und Mann bestand.

„Wie alt ist er denn?“, fragte sie neugierig und lehnte ihren Ellbogen an die Rücklehne des Sofas und stützte den Kopf auf ihre Handfläche.

„Keine Ahnung 25? Vielleicht auch etwas älter“, räumte der schwarzhaarige beschämt ein und starrte erneut auf seine Hände, die den Gummi Gegenstand immer noch fest umklammerten.

„Oh Gott! Der ist ja schon ne alte Schachtel wie ich.“

Bettina war die jüngere Schwester von Demian Mutter und gerade erst 30 geworden. Die beiden Frauen trennten knappe 15 Jahre, was auch die Meinungsverschiedenheiten der beiden erklärte.

„Jetzt halt mal die Luft an, er ist mindestens 4 Jahre Jünger als du“, konterte Demian schnippig und schaute aus dem Fenster. Die Morgendämmerung hatte eingesetzt und der Horizont über den Dächern begann sich leicht Orange zu färben. Es war ein wolkenloser Himmel, etwas ungewöhnlich für diese Jahreszeit, in der es eigentlich schneien sollte. Stattdessen vielen nur manchmal hier und da kleine Schauer.

„Du wirst schon wissen, was du machst“, gähnte sie und sah auf ihre Armbanduhr.

„Halb sieben ... Ich glaube, ich hau mich lieber auf's Ohr, sonnst komme ich heute gar nicht mehr in die Pötte“, sagte sie, stand auf und küsste Demian auf die Stirn.

„Bitte weck' mich nicht vor zwei Uhr. Wenn du Hunger hast, kannst du dir Geld aus der Dose in der Küche nehmen und dir nen Brötchen beim Bäcker kaufen.“

Der Schwarzhaarige nickte und als Bettina aus dem Raum verschwunden war, nahm er die Kuscheldecke von der Sofalehne und legte sich auf die Seite. Er stellte den Fernseher etwas lauter und schob sein Gummischutz in den Mund, für den Fall, dass er wieder einschlafen sollte. Er wollte nicht wieder in sein Bett zurückkehren, zu groß war die Angst im dunklen wieder von unangenehmen Träumen überwältigt zu werden.
 

„Wir verkaufen Kekse an alte Leute und gehen nicht in die Disco.“

Demian rollte mit den Augen, als er Andreas von oben bis unten musterte. Der Junge hatte sich eine kakifarbene Hose angezogen und darüber trug er ein schwarzes Hemd mit weißen Hosenträgern, die über und über mit funkelnden Strasssteinchen bedeckt war. Seine blonden Haare waren elegant nach hinten gegellt und um seinen Hals trug er einen feinen, weißen Schal.

„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mit Jogginghose und einem ausgeleierten Pullover fremden Menschen Kekse verkaufen werde“, schnaubte Andreas.

Demian schaute an sich herunter und fühlte sich im nächsten Moment wie ein Penner. Die schwarze Jogginghose sah nicht schlecht aus, aber der Schlabberpullover, der unter seiner grauen Jacke verdeckt lag, war definitiv nicht der Inbegriff von chic und die abgenutzten, grauen Schuhe, die ein Mal weiß gewesen waren, hatten ihre besten Tage schon lange hinter sich.

„Ups. Fettnäpfchen“, sagte Andreas und schnitt eine mitleidende Grimasse, als er den verdorbenen Ausdruck auf Demians Gesicht sah.

„Macht nichts“, erwiderte Demian und knöpfte seine graue Jacke bis auf den letzten Knopf zu.

„Wir verkaufen ja nur Kekse und überhaupt soll es anfangen zu regnen.“ Versuchte Andreas seinen Freund zu animieren. Aus Solidarität nahm er den Schal und seine Hosenträger ab, doch Demian hatte sich schon in Bewegung gesetzt und schlenderte die Straße hinunter.
 

„So, alle mal zuhören! Wir schließen erst einmal das Waffeleisen an und testen, ob wir überhaupt Strom haben, bevor wir die teure Kaffeemaschine anschließen“, rief Mattis den Helfern zu und machte sich an den Stromkabeln unter dem Verkaufstisch zu schaffen.

Demian stand etwas Abseits in der Ecke und schaute den Helfern verstohlen zu. Irgendwie traute er sich nicht, Mattis zu fragen, was er jetzt machen sollte, da das neue Mitglied im Jugendhausteam anscheinend die gesamte Planung im Griff hatte.

Andreas kam mit einer heißen Schokolade vom Nachbarstand um die Ecke und stupste seinen besten Freund leicht an.

„Vom dumm herumstehen und Glotzen kommt nichts“, bemerkte er mit hochgezogenen Augenbrauen und hielt seinen warmen Becher gegen Demians eiskalte Wange.

„Genau“, antwortete Janina, ein etwas fülliges Mädchen mit kurzen, schwarzen Haaren, die ein Evanescence Hoddie trug und gerade dabei war, mit ihren in dunklen Stulpen gehüllten Händen ein Schild mit den Angeboten aufzubauen.

„Wenn ihr nur dumm herumstehen wollt, dann verschwindet bitte hinter dem Verkaufstresen, es ist hier schon eng genug.“

Demian und Andreas tauschten einen vielsagenden Blick und der Blonde nuschelte etwas von „Frauen“ und „dumme Gothictante“, gesellte sich aber dann zu den Anderen Schaulustigen hinter dem Tresen.

„Okay. Leute, hat irgendjemand von euch die Bedienungsanleitung der Kaffemaschine gesehen?“, fragte Mattis in die Runde, nachdem zwei Mädchen das Waffeleisen ausprobiert hatten und sich in Ruhe die erste Waffel des Tages teilten.

Demian kratzte sich verlegen am Kopf und kam ein paar Schritt näher.

„Ehm. Ja, also meine Großeltern haben ein altes Kaffee, und ich glaube sie haben das gleiche Model. Ich weiß nicht, wie es angesteckt wird, aber ich kann sie bedienen.“

Als Mattis den Blick hob und ihn freundlich anschaute, zog sich sein Magen zusammen. Wie so häufig trug er seine blonden Haare unter einer Wollmütze und seine Nase war ganz rot vor Kälte, was ihn nur noch sympathischer wirken ließ. Er war in einer eleganten, dunkelblauen Filzjacke gehüllt, die seine starken Schultern wunderbar zur Geltung brachte. Demian ertappte sich bei der Vorstellung, wie es wohl wäre, die Knöpfe von Mattis Jacke aufzuknöpfen und sich dann an seine warme Brust zu schmiegen.

„Ich habe da mal ausgeholfen“, fügte er mit heiserer Stimme hinzu und merkte wie ihm ganz warm wurde als Mattis interessiert die Augenbrauen in die Höhe zog.

„Okay Wonderkid, dann zeig mir doch mal, wie das Gerät funktioniert.“

Er ging einen Schritt zur Seite um Demian vorbei zu lassen, der mehrere Sekunden brauchte, um zu begreifen, was man gerade von ihm verlangte.

Nachdem er in die richtigen Öffnungen Kaffee und Wasser hinein gefüllt hatte, versuchte er Mattis zu erklären, wie man das Milchschaumgerät benutzte und wie man die Knöpfe zu bedienen hatte. Der Mann hörte ihm schweigend zu und nickte ab und zu, wenn Demian sich traute, ihm einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Er stand ganz dicht hinter ihm, doch immer noch mit so viel Abstand, dass sie sich nicht berührten. Demian hätte am liebsten eine Schritt zurück getan, nur um sich für eine Sekunde lang gegen Mattis Brust lehnen zu können in der Hoffnung der ältere würde seine Arme um ihn schlingen und seinen perfekt geformten Mund an sein kaltes Ohr legen und ihn wärmen, doch nichts der Gleichen geschah.
 

Jemand tippte Demian von Hinten auf die Schulter, und als er sich umdrehte, erkannte er seine Tante in einen dicken Mantel gehüllt. Seit ein paar Minuten war der Verkaufsstand des Jugendhauses vollkommen einsatzfähig und die ersten Gäste trauten sich an den Stand ,um die Selbst gebackenen Kekse und Kuchen zu kaufen. Ins Besondere die alten Leute drangen zu den Teenagern vor und lobten ihre Kochkünste.

Der Schwarzhaarige hatte es nicht geschafft, sich gegen die euphorischen Mädchen durchzusetzen und nun stand er zusammen mit Andreas neben dem Stand und trank eine heiße Schokolade, während er Mattis und den drei Mädchen beim Verkauf zusah, die behauptete, ein Weiblicheres Gesicht wäre anziehender für die Kunden, und das Jungs hinter dem Tresen nichts zu suchen hatten.

Mattis hatte über den eindeutigen Scherz der Mädels gelacht, und obwohl Demian wusste, das alles nur Spaß war, fühlte er sich etwas gekränkt.

„Was machst du denn hier?“

Demian schaute gereizt in das Gesicht seiner Tante.

„Ich wollte mir doch nur mal euren Stand ansehen. Ist das jetzt etwa verboten?“, fragte sie und lehnte sich gegen den hohen, runden Tisch, an dem die Jungs ihre Schokolade genossen.

„Nein, natürlich nicht“, seufzte Demian und schaute zu den Mädchen hinüber, die dabei waren, zwei ältere Damen zu bedienen, die komische Fragen stellen wie: „Sind die Kekse aus Dinkelmehl?“
 

Bettina blickte etwas verwirrt zum Stand, dann näherte sie sich Mattis mit langsamen Schritten, während sie mit dem Zeigefinger auf ihn zeigte und sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht ausbreitete.

„Bist du nicht Lisa Meitners Bruder?“, fragte sie etwas zögerlich.

Mattis hob den Kopf, und als er Bettina sah, lächelte er mit solcher Intensität, dass seine weißen, perfekten Zähne zum Vorschein kamen.

„Bettina?“, er kam schnell um die Theke herum und nahm Demians Tante ganz kurz in den Arm.

„Dich habe ich ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen“, strahlte Mattis und schaute auf die Frau herab, die mindestens ein Kopf kleiner war als er.

„Ewigkeiten? Ewigkeiten? Es sind bestimmt schon fünf Jahre vergangen, seit unserer letzten Begegnung. Mahnoman! Ich hatte noch eine ganze Zeit lang Kontakt zu deiner Schwester, aber du bist ja kurz nach deiner Ausbildung nach Amerika ausgewandert.“

Mattis nickte und lehnte sich, genau wie Bettina, an den runden Tisch, woraufhin Demian und Andreas einen Schritt zurückwichen und sich fragende Blicke zuwarfen.

„Und wie geht’s dir denn so? Ich habe gehört du bist unter die Haube gekommen“, stellte Bettina fest und nickte in Richtung Mattis Ringfinger, der mit einem kleinen, silbernen Ring verziert war.

Bei dem Wort „verheiratet“ schnappte Demian entsetzt nach Luft. Atemlos stand er da und löste sich erst aus seiner Starre, als er bemerkte, dass er den Plastikbecher vor Anspannung in seiner Hand vollkommen zerdrückt hatte und heiße Schokolade über seine langen Fingern floss.

„Ich bin nicht mehr verheiratet“, gestand Mattis und grinste etwas verlegen. „Ich trage den Ring nur noch, weil er verdammt teuer war und um mir die lästigen Typen vom Leib zu halten.“

Der Schwarzhaarige fühlte sich so, als würde er in jedem Moment umkippen. Sein Blutdruck war rapider gesunken, nur um in der nächsten Sekunde wieder in die Höhe zu schießen. Er spürte kurz Andreas Hand auf seinem Rücken, doch er schüttelte sie ab. Das Blut schoss in Demians Wangen, doch dieses mal war es nicht aus Verlegenheit. Mattis hatte gerade eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen gezogen, die es für ihn unmöglich machte weiter an ihn heran zu kommen. Nicht nur, dass er anscheinend gerade aus einer nicht einfachen Beziehung kam, er war obendrein auch nicht an einem neuen Liebhaber interessiert. Demians Nase fing an zu kribbeln und Tränen bildeten sich in seinen Augen. In dem Versuch seine Erschütterung zu verbergen, nahm er eine Hand voller Servierte und säuberte so kräftig seine Hand, dass sie vom reiben ganz rot wurde.

„Das hört sich ja echt interessant an. Und was machst du gerade so? Ich meine beruflich?“

Mattis kratzte sich am Hinterkopf und drehte sich kurz zum Stand um.

„Wie du siehst, verkaufe ich in meiner Freizeit Kekse. Bis ich eine neue Arbeitsstelle gefunden habe Jobe ich im Jugendhaus.“

Bettina schaute zur Seite und erblickte Demians leichenblasses Gesicht. Seine Nasenflügel bebten und er wendete den Blick ab, als die Frau ihn verwirrt anstarrte.

„Das ist doch toll, übrigens das ist mein Neffe Demian.“

Sie lächelte und nahm den Schwarzhaarige am Arm und zerrte ihn mit leichter Gewalt zu sich herüber.

„Ich weiß nicht, ob er sich vorgestellt hat. Er ist etwas schüchtern aber ganz nett.“

In diesem Augenblick riss sich Demian aus ihrem Griff los. Mit Tränen unterlaufenen, wütend funkelnden Augen schaute er seine Tante an und zischte in einem verletzten Ton: „Lass mich bloß in Ruhe“, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und in der Menge verschwand. Alles nur erdenkliche an diesem Tag war schief gelaufen.

Bettina starrte erschrocken zu Andreas hinüber, der genau so verwirrt zurück starrte und mit den Achseln zuckte.

„Ich geh mal schnell nach ihm sehen. Ihm geht es schon den ganzen Tag nicht so gut“, flunkerte Andreas mehr an Mattis als an Bettina gerichtet und verschwand ebenfalls in der Menge.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  dasfrr
2012-05-20T11:19:15+00:00 20.05.2012 13:19
Kyaa!
Okay, nach diesem Kapitel ist mein Interesse wirklich geweckt. Demian ist ja sooo süß wenn er verknallt ist!
Und das sich die Tante und Matti kennen…WOW …was da nicht noch alles passieren kann….
Und hat Matti das so gemeint wie sich das liest „…die lästigen Typen vom Hals halten.“ Das heißt er ist schwul/ war mit nem Mann verheiratet? (naja, eingetragene Partnerschaft) Oder wie jetzt O.o? *wirr*
Ich will weiter lesen *ganz lieb anschau*

Von:  dasfrr
2012-05-20T11:07:00+00:00 20.05.2012 13:07
Super Anfang…auch wenn ich mir ein Christina Aguilera Parfum beim besten Willen nicht bei ‚nem Kerl vorstellen kann, egal wie schwul er ist ^.~ Aber was es nicht alles gibt.
Find Andreas und Demian gut gelungen. Sie sind so gegensätzlich und sich trotzdem ähnlich.
Ähm…wollt dir nur mitteilen das du auf der ersten Seite des ersten Kapitels n Fehler hast. Einerseits steht da das sie den Typen (Barkeeper) heut morgen beim Plätzchen backen getroffen haben und am Ende der Seite steht das Demian in seit gestern nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Und ähm, der folgende Satz ist dann auch n bissel quer.
Ne kleine Frage zwischen durch, was ist MW3? Und mich würde noch interessieren für was Mattis die Abkürzung ist. Hört sich außergewöhnlich an ^-^



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