Tut mir Leid, Liebes. von paralian (S&S | Bla, bla, bla, meine ironische Hauptff.) ================================================================================ Prolog: Bloß keine Veränderung! ------------------------------- Stell dir vor, du stehst jeden Morgen um sechs Uhr Punkt auf. Mehr oder weniger munter, aber du setzt dich auf deinem Bett auf, öffnest den Kleiderschrank, lugst hinein, suchst dir etwas zum Anziehen heraus und marschierst damit ins Bad. Kurz schnüffelst du an dir herum, ob du diese Früh die notwendige Prozedur des Duschen durchnehmen musst, oder ob Deodorant und Parfüm reichen, um deinen Körpergeruch zu verdecken. Um sieben frühstückst du, kaust auf dem trockenen Brot herum, wie eine Kuh ihr Gras wiederkäut, schluckst alles mit einem Glas Milch hinunter und schon stresst du zur Tür. Schnell zusperren und dann Beeilung, Beeilung! Nicht, dass du was verpasst. Nicht, dass du die ganzen eintönigen Schüler verpasst, die stolz über ihr Komasaufen am Wochenende berichten, erzählen, mit wem sie es, wo und zu welcher Zeit getrieben haben, ob es flott oder langsam ging und wer dabei lauter geschrien hat. Du verdrehst die Augen und schüttelst den Kopf leicht. Dem Nachbar, der mit dem Labrador Gassi geht, lieb zulächeln, Manieren zeigen, sich nicht die Gereiztheit anmerken lassen. Wieso gereizt sein, wenn alles so perfekt ist, alles in seinem wunderschönsten Glanz erstrahlt, alle mit den hellen Farben blendet und eine so vollkommene Illusion schafft, dass die Wirklichkeit daneben trist und kalt aussieht und man sich am liebsten wünscht, nicht geboren worden zu sein. Du seufzt und blickst nach links und rechts, denn du musst die Straße überqueren. Jede Früh packt dich die erneute Angst, dass kein Auto stehen bleibt, dass du diese verdammte Straße nie überqueren wirst und vielleicht zu allem Übel (manch einer spräche von Glück) in ein Auto geschleppt und auf den Sitz gehalten wirst... Okay, wahrscheinlich viel zu viel Fantasie, aber man wird sich ja wohl etwas vorstellen können. Du stehst also in der Mitte der kleinen Insel, denn es gibt genau drei Ampeln. Hinter dir liegt ein kurzer Zebrastreifen, doch du wartest auf der kleinen Insel, die dich von den vorbeifahrenden Autos schützt, wartest bis die Ampel auf grün anspringt und du endlich den mittleren Zebrastreifen überqueren kannst, doch du wartest, wartest und wartest ewig und hast das Gefühl, in der Erde festzustecken, dort zu verwachsen und mit dem Asphalt zu verschmelzen. Wie gesagt... du wartest. Endlich blinkt die Ampel, alles scheint nach normalen Abläufen, die jede Früh passieren, jeden Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und jeden gottverdammten Freitag, also gehst du endlich über den mittleren Zebrastreifen, seufzt, als die Ampel auf rot umspringt, ehe du die Hälfte passiert hast und wartest auf der letzten Insel, dass die dritte Ampel auch einmal auf grün umschaltet. Verstohlen schaust du nach rechts, denn nur von da können die Auto in diese Straße reinfahren und als du schließlich total glücklich feststellst, dass kein Fahrzeug in Sichtweite ist, überquerst du das letzte Stück der elendlangen Fahrbahn und bist heilfroh, dass du, nun ja... heil bist. Alles geht also nach normalen Dingen, nichts erscheint dir merkwürdig und in dein Sichtfeld kommt bereits deine Schule und gleich verspürst du den Drang, zu verschwinden, zu fliehen, dich von allem zu schützen, du willst all die Menschen nicht sehen, die dich an dein Leid erinnern, oder du willst sie doch sehen, damit sie dich doch daran erinnern, es dir unter die Nase reiben, vor deinen Augen damit herumfuchteln und dich eben daran erinnern. Weil es ja so Spaß macht, jemanden fertig zu machen, auf den Gefühlen herumzutrampeln, am besten mit der Spitze des Stöckelschuhs, natürlich. Oh, wie du dich nach den Tussis sehnst, die sich jeden Tag dreißig bis dreiunddreißig Komma fünfundzwanzig Kilo Schminke ins Gesicht klatschen: Bronzer, Rouge, Puder, sowie Flüssiges Make-UP, Concealer (anstatt einfach mal Partys ausfallen zu lassen und früher ins Bett zu gehen), Maskara, Lidschatten, Eyeliner und nicht zu vergessen... Nun, du hast es vergessen aber es ist ja auch egal jetzt. Du stehst vor der Eingangstür und neben dir drängeln kleine Kinder, denen der Abschiedskuss der Mutter förmlich auf der Wange klebt, an dir vorbei, schieben dich zur Seite und du kannst nur mit sehr viel Mühe einen Anfall unterdrücken, einen Ausbruch, einen lauten Ausbruch und Aufschrei. Natürlich hältst du die Klappe, natürlich, wäre ja auch anders, wenn nicht und es soll ja schließlich immer alles gleich ablaufen, bloß keine Veränderung, nur keine, noch so kleine Veränderung, sonst fällst du ja aus den Socken. In so vieler verstrichener Zeit, wäre es ein Schock für dich, wenn du bloß statt Zahnpaste, die nach Minze schmeckt und riecht, plötzlich eine andere vorgesetzt kriegen würdest. Eine, die vielleicht Apfelgeschmack hat, oder sogar Kirsche mit Zitrone. Du öffnest also die schwere Glastür und lässt zuerst die kleinen, nervigen Kinder vorbei und dann zwängst du dich in den beheizten Flur. Beheizt ist gut, wenn dir sofort die Luft zugeschnürt wird, durch die Hitze und du dich am liebsten aus der Jacke schälen würdest, aber deine Hände sind tief in den Jackentaschen vergraben und auch sonst bewegst du nichts, außer deinen Augen, mit denen du blinzelst und natürlich deine Füßen. Du steigst also die Treppen hinab, hinunter zu den Garderoben und fühlst mit der linken Hand den kalten Schlüssel in der Tasche und es ist dir unerklärlich wieso, aber du fühlst dich sicher, sobald du ihn berührt hast. Vielleicht beruhigt es dich, dass alles seinen gewohnten Gang geht, du den Schlüssel nicht zu Hause vergessen (was sowieso unmöglich ist, weil du immer zusperrst) oder ihn verloren hast. Sechshundertzweiundachtzig ist die Nummer deines Spinds, weit hinten, weil du zum zweitältesten Jahrgang gehörst, nächstes Jahr bist du raus aus diesem Feuer, doch so lange musst du dich noch gedulden, so lange alles ertragen, dich nicht aufregen, schweigen, schweigen und wenn es schon so schön ist, dann sollte man aufhören, aber nein, schweigen. Es ist halt nicht schön. Du drehst den Schlüssel im Schloss, ziehst deine Schuhe aus und dafür deine Hausschuhe an. Die Jacke behältst du an, dir ist andauernd kalt, also schleppst du sie immerzu mit in die Klasse, legst sie auf dem niedrigen, aber langen Regal ab, aber so weit kommst du noch nicht. Du bückst dich also, verschließt den Spind, zwängst dich durch die Masse an Schülern und versucht die zwei Stockwerke, ohne allzu lautes Schnaufen, zu überwinden. Du biegst einmal ab, ein zweites Mal, gehst noch zweiunddreißig Schritte und dann stehst du vor der verschlossenen Tür und dein Herz hämmert dir bis zum Hals, denn oft hat dich eine böse Überraschung erwartet am anderen Ende, also holst du noch einmal tief durch, murmelst dir zu, dass du das schaffst, aber es ist ein eher kläglicher Versuch. Du drückst also die Klinke runter und es kommt dir so vor, als ob du achtzehn Komma neunundneunzig Minuten davor stehen würdest, doch es sind nur einige belanglose Sekunden, denn keiner beobachtet dich. Die Gangaufsicht schimpft kleine Kinder zusammen, die mit einem Ball spielen, erhebt den Zeigefinger gegen sie und macht den Eindruck, als ob sie streng wäre. Konzentrier dich! Du schweifst wieder zu sehr ab. Mit dem nächsten Atemzug bist du in der Klasse und du wunderst dich, dass alle in einer anderen Ecke stehen, sie haben sich um etwas versammelt, du wunderst dich, denn du hättest sie an deinem Platz vermutet, aber da sind sie nicht und mit erleichtertem Herzen setzt du dich auf deinen Sessel, versucht erst gar nicht, einen Blick zu erhaschen auf die allerneueste Attraktion, denn du bist froh, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Sogleich kommt der Lehrer hinein, knallt die Zettel auf den Tisch, dass es schnalzt und der plötzliche Knall alle auseinander strömen lässt. Sie erblicken den Lehrer, doch du starrst bloß auf die Tafel, schaust nicht zurück und ihr beide, du und der Lehrer, wartet, bis sich die Menge auf ihre Plätze gesetzt hat. Sobald es halbwegs ruhig ist, trifft dich eine Papierkugel auf den Hinterkopf und das Gekicher und abfallende Gelächter zeigt dir nur allzu deutlich, dass alles gleich ist. Dass alles gleicht sein muss. Der Lehrer unterbricht die Zwischengespräche mit einer Frage und dann drehst du dich doch um, weil es sonst unhöflich wäre, dem Blick des Lehrers nicht zu folgen und du triffst auf so schwarze Augen, dass dir jegliche Farbe aus dem Gesicht weicht, als du siehst, wer da tatsächlich sitzt, wer sich dort aufhält, sich dort befindet, wem du all das zu verdanken hast. Deine Misere, dein Leid, diesen Hass von den anderen, ein gebrochenes Herz. Du starrst also in seine Augen und er erhebt sich, ohne dich aus den Augen zu lassen und du denkst an dein Aussehen, an das stumpfe und glanzlose, rosa Haar und du bereust es sofort, nicht geduscht zu haben, denn er sieht kein bisschen verändert aus. Dieselbe Porzellanhaut, der tiefsinnige Blick und diese Augenbrauen, die sein Gesicht immer hart und ernst wirken lassen, genauso wie in diesem Augenblick. Er steht also auf und wendet den Blick schließlich ab von dir und antwortet auf die Frage des Lehrers mit denselben Worten, mit denen er sich von dir verabschiedet hat, aber das ist schon etliche Jahre her, so lange, dass man sich kaum daran zu erinnern vermag, aber du kennst noch jede einzelne Silbe eures Gesprächs, das den Abschied bedeutete. „Ich heiße...“ „Sasuke Uchiha“, flüsterst du, aber es ist nur ein Hauch, niemand hört dich, denn jeder klebt an seinen Lippen und dann wiederholt er das, was du gesagt hast und du hältst es nicht mehr aus, denn nun seht ihr euch wieder in die Augen und du wendest dich ab, senkst den Kopf und betest einfach nur, dass er es endlich ausspricht, dir endlich den Gnadenstoß erweist und dann hältst du den Atem an... „Sasuke Uchiha.“ Eine einzelne Träne perlt von deinem Augenwinkel über deine Wange und tropft auf den Tisch. „Platsch“ macht es, aber das ist nicht vernehmbar. Wenn man bloß diese eine Träne abmessen würde, würde man erkennen, dass sie schwer getränkt ist in Trauer und Schmerz, doch was wäre, wenn man den Rest abwiegen würde? Kann ein Mensch denn so viel aushalten? Du kannst es, Sakura. Du hast schon so viel ausgehalten, da sollte das doch ein Kinderspiel sein, etwas für den Kindergarten, für die Katz'. Oder etwa nicht? „Du bist schwach“, würde er jetzt sagen. So, wie damals, denn erst zum Schluss, kennst du die ehrliche Meinung einer Person, erst dann, wenn die Person dich nicht mehr braucht. Der, der dir damals so viel bedeutet und sich schließlich von dir abgewendet hat. Aber du packst das schon! Du unterdrückst ein Schluchzen und hörst, wie er sich auf den Sessel setzt und diesen wieder zum Tisch heranschiebt und dann ist alles ruhig, denn du hörst nichts mehr. Es ist vorbei. Deine Vergangenheit hat dich eingeholt. Du warst nicht schnell genug, nicht schnell genug. Tut mir Leid, Liebes. Vielleicht versuchst du es das nächste Mal mit Sport. Kapitel 1: Das "Es-tut-mir-ja-so-so-so-Leid"-Lächeln. ----------------------------------------------------- Da stehst du also wieder da, als Opfer einer Klasse, ein Opfer, dem man ein wehleides und „Es-tut-mir-ja-so-so-so-Leid“-Lächeln schenkt, aber man kann nichts für einen tun. Du bist die Verliererin. Eine, die in einem Theaterstück mitspielt, eines, dessen Idee von einem Mitschüler stammt, eine schlechte Idee, schlechte Inszenierung, schlechte Wahl der Hauptdarsteller. Du bist die Schlechte. Du, du, du und niemand geringer als du. Du bist diejenige, die die Klassengemeinschaft gefährdet, den Mitschülern mit deiner Boshaftigkeit, ja gar Arrogantheit die Freude an Veranstaltungen und Ausflügen nimmt. Du machst das alles mit Absicht, natürlich, natürlich. Wie kann es denn auch anders sein? Du hast also verloren, dein Kartenhäuschen ist gestürzt, ein kleines Windchen und deine heile Welt wurde zerstört, ein Wort zu laut, die Türe zu stark zugeschlagen, das Fenster offen gelassen. Dein Haus ist noch nie solide gewesen, nur du hast es geglaubt. Vielleicht solltest du es mal mit Kleber versuchen, hu? Glaubst du, dass du dann eine Chance hättest? Glaubst du tatsächlich, dass du auch nur einen Hauch einer Chance hättest? Du? Als Einzelne? Wohl kaum! Eigentlich sollte man neben deinen Namen das Wort „Verlierer“ eintragen, sodass jeder, der eine deiner Karten sich ansieht, gleich merkt, dass du ein bemitleidenswertes Opfer in einer schlechten Inszenierung bist. Genug dieser Dinge. Es gibt noch Wichtigeres im Leben. Was? Die Frage ist berechtigt. Ich kenne die Antwort nicht. Überleben. Versuche zu Überleben. Die Schulglocke ertönt und du bist dir nicht sicher, aber du denkst, du hättest einen neuen Rekord im „Schnellsten Zusammenpacken“ aufgestellt, denn je eher du hier raus bist, desto besser für alle Beteiligten. Nicht wie sonst gehst du hinunter zu deinem Spind in diesem Trödelgang, sondern du bist innerhalb von zwölf Sekunden unten, hast dich in weniger als fünfeinhalb Sekunden umgezogen und bist raus aus diesem Loch in weniger als einer Minute... oder so, denn Mathe ist nicht deine Stärke. Du gehst in einem hastigen Schritttempo, deine Knie berühren sich beim Gehen und du fragst dich, ob das normal ist, dass sie aneinanderschlagen, denn eigentlich hattest du nie das Gefühl, sie würden das tatsächlich tun. Dein Kopf dreht sich, vergleicht binomische Formeln mit Chemischen und du hast absolut keine Ahnung, wieso deine Gedanken darüber schwirren, denn eigentlich kennst du dich in diesen Fächern nicht aus, absolut gar nicht, aber du denkst, es könnte der Grund des Verdrängens sein. Logische Schlussfolgerung, nachdem du aus der Schule gestürzt bist, wie ein Lachanfall aus einem Mund (nicht deinem Mund, sondern Einem), deine Knie sich beim Gehen berühren und du über die Fächer nachdenkst, die dich so sehr interessieren, dass sie schon fast uninteressant sind. Also genau null Prozent. Logisch, oder? Du willst also alles nur verdrängen und ungeduldig wartest du vor dieser dummen Ampel, die scheinbar nie auf grün wechselt, an der du jeden verfluchten Schultag wartest und wartest und wartest. Heute wartest du wieder und sogleich sehnst du dich nach den Tagen, in denen dich jede noch so kleine Monotonie erfreute. Du sehnst dich danach und seufzt. Verwundert stellst du fest, dass dir keine Musik in den Ohren dröhnt und so schnell wie möglich versuchst du, dir deine Ohrstöpsel in den Gehörgang zu schieben, ohne dabei die verfluchte Ampel aus den Augen zu lassen. Wie es natürlich zu einem Pechtag dazugehört, ist das Kabel verdreht und du brauchst zum Entwirren eine gefühlte Ewigkeit. „Die Ampel steht auf grün.“ Du stockst und stoppst mitten in deiner Bewegung und dein Herz setzt so lange aus, dass du Angst hast, es würde nicht mehr funktionieren (was es natürlich schon lange nicht mehr tut). Du schluckst diesen bitteren Klos herunter und verbietest dir, nach links zu schauen. Früher ist links immer deine Lieblingsseite gewesen, denn er ist an dieser Stelle gestanden aber nun magst du rechts. Ja, du stehst auf die rechte Seite, rechts ist auch gut, rechts passt auch viel mehr zu dir. Du und rechts habt eines gemeinsam: deine Hand, mit der du schreibst und es ist ja besser eine, als keine Gemeinsamkeit zu haben. Wie auch immer. Er steht da und er hat mit dir geredet, aber es würde dir nicht im Traum einfallen (im Traum wahrscheinlich schon, aber okay, kleinlich willst du ja nicht sein), ihm zu antworten, einzuknicken unter dieser Last, die auf dir ruht. Kurz: du schweigst und stehst, bewegst dich keinen Millimeter, du wirst nicht seiner indirekten Aufforderung nachgehen oder ihn überhaupt eines Blickes würdigen. „Gehen wir, Sasuke.“ Geschockt weiten sich deine Augen und du blickst doch nach links, zu dieser verhassten linken Seite und du erblickst sie, wie sie sich an seinen Arm klammert und frech grinst. Sein Gesicht, so schön wie eine seltene Oberfläche eines Steines, unbeweglich, die Augen durchdringend auf deine gerichtet. Du hasst dich in diesem Moment, als du ihr abfälliges Lächeln betrachtest und du hasst ihn, weil er sie nicht abschüttelt. Wie du sie doch hasst. Wie du ihn hasst. Wie du dich doch selbst hasst. Warum hast du nicht auf deine Umgebung geachtet? Hast dich nicht versteckt? Irgendwo. Irgendwo. Irgendwo im Nirgendwo. Du hättest dich wenigstens überfahren lassen können. Sollen. Von einem Auto, einem LKW, zur Not täte es auch ein Fahrrad. Du hasst also alles und jeden und stehst so dumm da, wie eine unnötige Engelsstatue. Toll. Gut gemacht! Nur weiter so, vorwärts, vorwärts. Schließlich wendest du den Blick ab von diesem Gör und gehst erhobenen Hauptes bei ihnen vorbei, nicht achtend auf die Ampel, die schon seit geraumer Zeit auf rot umgesprungen ist. Ob du schon erwähnt hast, dass du dein Haupt mal gehoben hast und nicht auf die Straße gestarrt hast? Ähm, ja... Ich denke, das hast du. Auf jeden Fall gehst du über rot und dann ist da nichts mehr. Schwärze und verschluckende Dunkelheit. Du wünschst dir, dass du tot bist, dass du nie wieder aufwachst, nie wieder Schmach ertragen musst, aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Vor Allem deins nicht. Die Splitter, die kleinen, unzähligen Glassplitter bohren sich in dein Gesicht, durch die Jacke kommen sie nicht, aber deine Hände und Beine erfahren, was körperlicher Schmerz ist. Wenn du wenigstens die Kopfhörer nicht in den Ohren gehabt hättest... Oh, du hättest die verzweifelten Rufe der bösen, bösen, bitterbösen Göre gehört, die sich doch dazu erbarmen wollte, dir zu helfen, dich zum Ausweichen, zu animieren, aber du hattest deine Kopfhörer auf und die Musik war so laut, dass sie sogar das Hupen übertönt hat. Jetzt bist du kein bemitleidenswertes Opfer mehr, jetzt bist du eine geisteskranke, die sich selbst umbringen wollte, weil sie den Anblick zweier Menschen nicht ertragen hat. Falsch, nicht zweier Menschen. Zweier Menschen, von denen du eine Person hasst und die andere liebst und der das aber am Arsch vorbeigeht. Bevor alles schwarz geworden ist, hast du noch helle Lichtpunkte gesehen, die sich zu einem Bild summiert haben. Nein, es wird nicht romantisch, leider nein. Es war nicht der Schwarzhaarige, den du über dir gesehen hast, als du aus der Welt geschieden bist, es war seine Klette am Arm gewesen und ihre hysterischen Schreie. Wo war er? Wo? Wo? Wo war der verdammte Mistkerl, dem du auch das zu verdanken hattest? Wo? Spätestens da wusstest du, dass nie wieder etwas gut werden und dass sich ab diesem Tag immer etwas verändern würde. Dreimal darfst du raten, wer diesen Schaden tragen wird... Na du, natürlich. Ha ha, wäre doch verdammt komisch, wenn es nicht so wäre. Tut mir Leid, Liebes. Da liegst du also, um dich herum piepsen die Geräte, du nimmst alles nur durch Watte war, hörst wie jemand unverständliche Sätze murmelt, aber du kannst keinen Zusammenhang daraus erkennen. Du versuchst deine Augen zu öffnen, versuchst es mit aller Kraft, die du aufbringen kannst, aber es kommt dir so vor, als ob eine schwere Last gegen deinen Kopf drückt. Du öffnest deinen Mund, strengst dich an, um ein Wort herauszubringen, aber deine Kehle brennt, also schließt du ihn wieder. Du schweigst und konzentrierst dich auf das Gespräch, willst unbedingt ein paar Sätze aufschnappen und hey! Nach einer Zeit hast du es geschafft. „Ein junger, gutaussehender Mann hat die Rettung angerufen, seine Freundin hat sich um sie derweilen gekümmert.“ – „Seine Freundin? Freundin, Freundin oder Freundin, feste Freundin?“ – „Nach ihren Angaben feste Freundin.“ Du willst dich übergeben, alles rauskotzen, diesen Schmerz ausblenden können, aber nein, so wie damals schaffst du es einfach nicht, stark zu sein, nicht in Tränen auszubrechen, nicht laut zu schluchzen. Die Schwestern eilen zu dir, untersuchen dich, fragen, ob du was brauchen würdest. Du verneinst, du brauchst nur Ruhe, du weinst, weil du dich geschreckt hast, weil du nicht wusstest, wo du warst, alles gelogen, erlogen, du bist eine gute Schwindlerin. Sie glauben dir und schütteln dein Kissen auf. Sie meinen, du würdest noch ein paar Stunden im Krankenhaus bleiben, die Verletzungen wären nicht schlimm. Alles ganz harmlos. Du nickst und lächelst brav, während dir eine mit einem Taschentuch über die Wange streicht. Dein rechter Arm steckt im Gips, dein heißgeliebter Arm. Sowie die Krankenschwestern aus dem Zimmer raus sind, kannst du dich nicht länger beherrschen und du schluchzt laut und ungehalten, du lässt alles aus dir raus, bis jede einzelne Träne verweint ist und auch dein Herz nicht mehr so schmerzt. Da liegst du also. Mit Platzwunde und gebrochenem Arm und plötzlich klopft es an der Tür. Ein Blondschopf lugt hinein und lässt dich sofort strahlen, sowie er dich umarmt. „Was ist passiert?“, fragt er dich und eine besorgte Falte bildet sich zwischen seinen Augenbrauen. „Er ist wieder da“, flüsterst du. „Er ist wieder da.“ Und deine Stimme ist so heiser, deine Kehle und deine Augen brennen, aber es genügen so wenige Worte, wenn ihr zwei untereinander seid. Dein bester Freund, der Blondschopf, der dich schon immer zum Lachen bringen konnte, der dich aufgebaut hat. Seine himmelblauen Augen blicken direkt in deine und schniefend nimmst du seine Hand. Es tut so gut, dass er wieder da ist. „Wie war das Turnier?“ Ein hochgereckter Daumen und das strahlendste Grinsen, das ein Mensch je gesehen hat. „Erster Platz. Ich hab doch gesagt, dass ich es schaffe.“ – „Davon war ich schon immer überzeugt.“ Er drückt deine Hand. Nein, er ist nicht dein bester Freund, nein, schon lange nicht. Er ist dein Bruder. Geschwister, die ihr beide nie hattet. „Er ist also wieder da, hu?“ Du nickst und wendest das Gesicht von dem seinen ab. Draußen weht ein starker Wind und der Regen peitscht gegen das Fenster. Wie trostlos alles aussieht. So trostlos, wie dein Innerstes. „Hat er dir was getan, etwas Falsches gesagt?“ Du willst schreien, dass du diesen Idioten nach all den Jahren des Abschieds noch immer liebst, dass die Sehnsucht jeden Tag größer und größer wird und du Angst hast, dass du es bald nicht mehr aushältst, aber du bist stumm. Stattdessen schüttelst du bloß den Kopf und meinst, du wärst an diesem Unfall Schuld. Nicht, dass es anders wäre, nein. „Karin und er“, beginnst du und du kannst es einfach nicht über die Lippen bringen, seinen Namen auszusprechen. „Angeblich sind sie zusammen. Nach nur einem Tag!“ Gegen Ende spricht aus dir die Empörung und du bringst deinen ‚Bruder’ zum Lachen. „Naruto!“ Du ziehst eine Schnute und wirst liebevoll in die Wange gekniffen. Der Blonde wird auf einmal ernst und sagt das, wovor du dich schon immer gefürchtet hast. Schon immer. „Sein Vater, Fukago und Karins Vater sind Firmenpartner. Zu Firmenveranstaltungen haben sie immer die beiden mitgenommen, also haben sie sich so kennengelernt.“ Deine Schultern beben, als du das hörst, du willst am liebsten die Fäuste ballen, aber oh, welches Pech, deine Hand ist vergipst. Nichts da, nichts da, nichts wird aus dem Wüten, Toben und Randalieren. „Darf ich mal was anmerken?“ Überrascht blickst du zur Seite und legst den Kopf schief. „Du siehst schrecklich aus!“ Das Lachen, das ertönte, war das Entspannteste, das die Beiden schon seit langem zu hören ließen. „Ich habe dich vermisst.“ Lächelnd seht ihr euch in die Augen und man hätte meinen können, ihr wärt ein Paar, aber das wart ihr noch nie und würdet es auch nie sein. Beide eurer Herzen sind vergeben. Deines ohne Hoffnung und seines mit viel Glück. „Ich dich auch, Kleines.“ Er drückt dir einen Kuss auf die Wange und die Sonne scheint durch den wolkigen Himmel, der mit deiner Seele weint. Vielleicht wird ja alles irgendwann gut und verheilt. Du denkst nicht? Ja... Ich auch nicht. Kapitel 2: Times New Roman. --------------------------- Wer denkt sich eigentlich die Namen für die Schrifttypen auf den Schreibprogrammen aus? Wieso wird eine Schrift nicht einfach total einfach benannt? Times New Roman. Was soll das überhaupt heißen? Die Zeiten der neuen Römer (... oder so). Ziemlich unspektakulär. Haben sie da neue Gegenstände erfunden? Neue Heiratsregeln eingeführt? Überhaupt keine Heirat? Hmm... Da könnte man philosophieren (oder sich darüber informieren, aber wer informiert sich schon noch in diesen Zeiten), die Zeit totschlagen. Im Zeit totschlagen bist du gut. Sehr gut, wenn nicht sogar Profi. Es gibt also doch etwas, was du gut kannst, außer heulen. Was für eine Erleichterung! Du hast sturmfrei, willst Party machen, deine Lachmuskeln beanspruchen, du hast eine Liste angefertigt, mit Leuten, die kommen könnten und deine Liste ist prägnant. Und kurz. Vor Allem kurz. Um genauer zu sein stehen da nur zwei Namen, deine beste Freundin Ino, (ja, richtig gelesen, du hast eine beste Freundin) die gerade für ein halbes Jahr ins Ausland gereist ist, somit wegfällt und dein bester Freund Naruto. Seine Freundin Hinata magst du auch sehr, also schreibst du auch sie auf die Liste. Welch ein Privileg für das schüchterne Mäuslein. „Partygäste“ steht in schöner Schrift auf deiner leeren Liste, daneben „Chips“ und „Cola“. Nett. Wie alt bist du noch mal? Das war alles nur Spaß, natürlich machst du keine Party, du veranstaltest gar nichts, du liegst auf deinem Bett, hast alle Hausübungen erledigt, dein Zimmer aufgeräumt und starrst nur an die Decke, summst irgendeine Melodie in einer schiefen Tonlage vor dich her, aber es geht dir gut. Dir geht es gut und das ist die Hauptsache, neben den Nebensachen. Du schreckst auf, als du jemanden an der Hautür hörst. Es sind deine Eltern, die überraschenderweise aufgetaucht sind. Was wollen denn die zuhause, wenn sie doch erst morgen kommen sollten? „Sakura?“ Deine Mutter ruft dich und das war bis jetzt noch nie ein bereicherndes Ergebnis für dich. Du drückst die Türklinke runter und sogleich wirst du zur Seite geschoben, von einer hastigen Frau mit roten Flecken an Hals und Dekolletee. Ein Zeichen von Hast und innerer Unruhe. Bevor du den Mund aufmachen kannst, packt sie dich bei den Schultern und schaut dir tief in die Augen, die weit geöffnet sind. Was passiert hier? „Mach dich fertig. Wir gehen!“ Überraschung spiegelt sich auf deinem Gesicht wieder. Hingehen? Wohin? „Aber wohin denn?“ Ihre wissenden Augen blinzeln nur ein paar Mal, bevor sie dich zum Schrank bugsiert und dir ein schwarzes Kleid rauszieht. „In einer halben Stunde bist du fertig.“ Du nickst, denn was solltest du anderes tun, aber das mulmige Gefühl will einfach nicht von dir ablassen und von einem Schlag auf den anderen, geht es dir nicht mehr gut. Du hast Angst. Eine Veranstaltung. Sie haben dich auf eine Veranstaltung mitgeschleppt. Große Sache diese Vereinigung, Leute von ganz weit oben sind eingetroffen, reden untereinander, nippen an dem teuren Champagner und werfen immer wieder einen Blick zu den eintrudelnden Gästen. Auch deine Familie ist eingeladen, die dich an der Schleife deines Kleider durch den ganzen Raum dirigiert, dich hinter sich herzieht, damit du nicht verschwindest, denn sie wissen, genauso wie du selbst, dass du sonst verloren wärst in dieser Meute. Schon die ganze Zeit rumort ein böses Gefühl in deiner Magengegend, eine Vorahnung, von der du weißt, dass sie ganz bestimmt nicht gut ausgehen würde, denn böse Vorahnungen, die auch tatsächlich in Erfüllung gehen, zeigen sich bei dir deutlich durch ein Problem: Durchfall... Meine Liebe. Vielleicht wäre es zu übertrieben, zu sagen, dass es sehr heftig gewesen ist, aber oho... Es ist heftig! Während du dich geschminkt hast, hast du gleichzeitig solche Gase von dir gegeben, dass es mich wundert, dass nicht alle in deinem näheren Umkreis tot umgefallen sind. Tot umgefallen, vorher aber noch die schlimmste Quälerei durch Atemlähmung, Herzversagen oder Realitätsverluste erlitten haben. Genug dieser Dinge, das war übertrieben. Nicht einmal du schaffst das, noch nicht einmal du und das will was heißen. Du nimmst tief Luft, draußen ist es angenehm kühl und du hast keine Lust, in dieser stinkenden Masse unterzutauchen, dich von jedem anstarren zu lassen und immer wieder beantworten zu müssen, dass du eine Haruno bist. Eine Haruno mit rosa Haar. Dein Blick schweift über die Dunkelheit, über die Häuser, die gedeckt sind mit ihr, du erblickst die hell leuchtenden Sterne über dir und musst eingestehen, dass es dir gut geht. Du fühlst dich frei, hier auf dem Balkon, du fühlst dich leicht aber trotz der Freiheit einsam. Einsam und verlassen. Ein bitteres Lächeln liegt auf deinen Lippen und du streichst dir mit dem Finger ein paar Haarsträhnen hinters Ohr, die dir aber wieder ins Gesicht fallen. Leise seufzt du und schließt die Augen. Du summst vor dir her, zählst ein paar Zahlen nach vor und zurück und umarmst dich mit deinen Armen selbst dabei, gibst dir die Liebe, nach der du dich so sehr sehnst, die du vermisst hast. Hätte dir ein Außenstehender zugesehen, hätte er die Haltung einer hoffnungslosen Person erkannt. Deine Stimme hallt wunderschön wider in dieser Nacht und als du dir selbst lauschst, vergisst du, was gewesen ist, vergisst jenen Tag, der alles veränderte, vergisst ihn dabei und fühlst dich gut... bis eine kalte Hand deine Schulter packt und dich grob umdreht. „Was soll das?“ Dir verschlägst es die Sprache, du weißt nicht, was die Frage soll. Ist es so abwegig, dass auch deine Eltern, die Eltern eines Außenseiters und Nerds, zu Veranstaltungen eingeladen werden? „Ich weiß nicht, was du meinst“, sagst du daher nur und blickst der Person vor dir in die Augen. „Du willst mich wohl für dumm verkaufen?“, fragt dich jene Person schnaubend und drückt dir ihre Fingernägel in die Haut. Du verkneifst dir den Kommentar, dass das gar nicht mehr nötig ist. Sie macht ihren Job gut. „Du tust mir weh! Lass mich los!“ Deine Stimme zaghaft, kaum mehr als ein Flüstern. Verfehlt dein Satz sein Ziel? Ja, das tut er. Schmerzen durchziehen deine Schulter, aber du lässt keinen Klagelaut über deine Lippen gleiten, du presst sie zu einer schmalen Linie zusammen und blickst der Furie in die Augen, die von so viel Kajal und Wimperntusche umgeben sind, dass man sich zu fragen vermochte, was wohl die Pupille sei (gäbe es die Iris nicht). Sie lächelt dich nur höhnisch an und schüttelt den roten Schopf. „Wenn du damit“, dabei zeigt sie auf dein Kleid, „Sasuke beeindrucken möchtest, dann musst du dich mehr anstrengen.“ Sie streut Salz auf deine Wunden, steigt mit ihren zehn Meter hohen High-Heels auf die entzündete Stelle, tanzt Salsa auf ihr, bloß mehr Bewegung, mehr bewegen, Hüftschwung nicht vergessen und das Kinn immer schön in die Höhe neigen. Du setzt ein Pokerface auf, aber du spürst schon die Tränen in dir aufkeimen, sprießen, wie einen Samen, also senkst du den Blick, aber das führt nur dazu, dass sie fester zudrückt, dir ihre zwanzig Zentimeter langen Plastiknägel in die Haut hineinbohrt und dabei noch immer so hämisch grinst, dass du ihr das abwertende Grinsen mit einer Tracht Prügel aus dem Gesicht schlagen möchtest, aber du schluckst nur, du schluckst, denn zu etwas anderem wärst du gar nicht fähig. Du fühlst dich so schwach, du brauchst wen, der dich beschützt, jemanden der einen Arm um dich legt, dich wegzieht aus dieser Meute und du fragst dich, wieso denn niemand zu Hilfe eilt, wieso niemand auf diesem verdammten, riesigen Balkon steht, wieso du hier als einzige warst. Warum? Und dasselbe fragt dich auch diese hässliche Fotze, diese Schlampe, diese Hure, die dich in all diesen Jahren herumkommandiert hat, wie einen Hund und dir dann Papierkugeln in die Fresse, als kleines Leckerchen, geschossen hat. Wie konnte es so weit kommen? Bevor er gegangen war, warst du doch so stark, hast nicht aufgegeben, dich gegen sie erfolgreich gewehrt, du warst beliebt und gern gesehen. Kann ein Mensch denn so vieles verändern im Leben? Hättest du dann nicht einfach normal weiterleben können? War das so unmöglich, dir einen neuen besten Freund zu suchen, dich neu zu verlieben? „Warum hängst du noch immer so an ihm, habe ich dich gefragt. Bist du neuerdings auch taub?“ Deine Augen starren leer in ihre Blauen, in ihr, von rotem Haar umrahmtes, Gesicht, du siehst dass sich feine Äderchen durch ihre Iris ziehen und du hast den Verdacht, dass sie entweder zu viel getrunken, oder gestritten hat... Und dann lächelst du. Du lächelst und grinst und dann fängst du an zu kichern, zuerst zu kichern und dann beben deine Schultern. Die Fingernägel der Furie lösen sich aus deiner Haut und du weißt, dass du blutest und du morgen verdammt viele blaue Flecken haben wirst, aber das hier ist doch... Das hier ist doch total faszinierend. In Karins Augen war die blanke Angst zu sehen gewesen. Karin hat Angst! Angst davor, dass du ihr Sasuke wegnimmst, dass dich deine Liebe nie verlässt und er einsieht, dass du ihn liebst. Dass du ihn wirklich liebst! Die Rothaarige musste sich ja beinahe in die Hosen machen und du blickst sie von oben bis unten an. Ihr beide habt dasselbe Kleid an, deshalb hatte sie auch darauf gezeigt, aber ihres war um Meilen kürzer. Um Meilen. Dein Lächeln wird noch breiter, deine Schultern beben und du kannst es nicht mehr aufhalten, du lachst los und prustest, ohne dabei Luft zu bekommen und dir treten die Tränen in die Augen, so sehr lachen musst du. Karin weicht einen Schritt zurück vor dir und das nutzt du aus. Mit einem Katzensprung bist du bei ihr und grinst ihr hämisch ins Gesicht, du hast den Spies umgedreht, jetzt bist du der Entertainer. „Sowas, allerwerteste Karin, nennt man Liebe. Wahre Liebe, um genau zu sein. Weißt du, wie man das buchstabiert? L, I, E, B, E, vielleicht kannst du dann damit was anfangen.“ Du drehst ihr dein Ohr zu, um einen Laut zu vernehmen, aber sie ist stumm. „Bist du neuerdings auch taubstumm, oder wieso hast du auf einmal nichts zu sagen?“ Wieder wendest du den Kopf leicht zur Seite, doch als sie wieder keinen Ton von sich gibt, ziert ein spitzbuschiges Lächeln dein Gesicht. „Schade“, meinst du schulterzuckend und gehst bei ihr vorbei. Du gehst und rempelst sie mit Vollgas an, sodass es für einen kurzen Augenblick scheint, als ob ein empörter Ruf ihre Lippen verlassen will, aber sie sagt nichts. Bis du mit einem Schuh den Saal betreten hast (und in dem kurzen Augenblick siehst du, warum niemand auf dem Balkon steht: ein wichtiger Mann hält eine Rede). „Sasuke hasst dich. Für ihn bist du nur eine Klette, ein Anhängsel aus seiner Galerie. Er hat mir deine Geheimnisse verraten, über dich gelästert, Witze über deine hohe Stirn gemacht und gemeint, dass du das nervigste kleine Gör gewesen wärst, mit dem er jemals etwas zu tun gehabt hatte.“ Das hatte gesessen. „Von mir aus“, sprichst du nur und drehst dich zu ihr um. „Sonst noch was?“ Deine Stimme ist jetzt gar nicht mehr so selbstsicher, wie vorhin aber du wirst das aushalten. Du schaffst das! „Ja, da ist tatsächlich noch etwas.“ Sie kommt langsam auf dich zu, pirscht sich an dich ran und bleibt einen Meter hinter dir stehen. „Sasuke hat gesagt, dass du das schwächste Ding auf der Welt wärst.“ Und dann holst du aus und hörst es knacken. Blut. Überall Blut und ein hoher Schrei. Times New Roman? ‚Du schluckst, denn zu etwas anderem wärst du gar nicht fähig?’ Von wegen! New Times for Sakura. Schlag ein, Baby! Kapitel 3: Eigentlich... ------------------------ Dich schauen fünfundfünfzig Augenpaare mit einer Mischung aus Schock, Wut und Verständnislosigkeit an, sehen immer wieder von deiner Hand, zu ihrer blutenden Nase, immer wieder im Wechselspiel hin und her, immerzu bleiben ihre Blicke an deiner Hand länger haften, als an Karins gebrochener Nase, so Angst haben sie scheinbar davor, dass du auch auf sie losgehst, deine Tollwut sich weiter ausbreitet und du noch andere Menschen ernsthaft verletzt. Du würdest am liebsten grinsen und eine Augenbraue anheben, aber du willst nicht riskieren, von jemandem grob angefasst zu werden, also schweigst du unentwegt und siehst Karin zu, wie sie Rotz und Wasser heult und immer wieder ihre rote Nase betastet und hier und da aufkeucht oder wimmert. Bist du stolz darauf? Ja, du bist stolz darauf, obwohl du weißt, dass das falsch gewesen ist, aber Karin behandelt dich schon seit zwei Jahren, fünf Tage die Woche falsch, sodass ein kleiner Hieb gar nichts verglichen dazu ist. Eigentlich solltest du jetzt deine Tat beteuern, die Rettung alarmieren und dich bei ihr entschuldigen, aber du geniest es, dass sie das Opfer ist. Einmal ist sie das Opfer und nicht du und das ist die Entschädigung für all die Stunden der Qual. Karin heult noch immer und dann wird sie plötzlich wütend. Sie schubst den vermeintlichen Arzt von sich und kommt auf dich zu, so gut es eben geht mit diesen Monster-Absätzen, aber auch trotz ihnen ist sie kleiner als du und so siehst du auf sie herab und hebst eine Augenbraue an. „Dafür wirst du bezahlen“, faucht sie kaum hörbar und sieht dir direkt in die Augen. Das Blut tropft ihr aus der Nase auf den Holzboden des Balkons und du siehst, wie die Flüssigkeit hineinsickert und ein dunkelroter Fleck zurückbleibt. „Bu!“, schreist du und hebst die Arme als Verdeutlichung an, schiebst sie in ihre Richtung, sodass sie zusammenzuckt und zurückweicht, abgefangen wird von diesen fünfundfünfzig Schaulustigen und sich dann zum Gehen wendet. „Was ist mit deiner Nase?“, reist dich plötzlich eine Stimme, seine Stimme aus den Gedanken und sofort blickst du auf und siehst, wie er ihr die Nase abtastet und sie ihn nicht wegschiebt. Eigentlich wolltest du immer Ärztin werden und Menschen helfen, aber so wie es scheint, wirst du eher mit dem Boxen anfangen. „Die da“, dabei zeigt die rote Furie auf dich, „hat mich geboxt. Einfach so, ohne Grund.“ Und dabei treten ihr die Tränen in die Augen und sie schluchzt theatralisch auf und du musst zugeben, dass sie das ziemlich gut macht, denn plötzlich hat die Hälfte der Menschen die Arme vor der Brust verschränkt und vernichtet dich mit seinen Blicken. Der andere Teil wendet sich zum Gehen und langsam löst sich auch diese Gruppe auf, nicht lange und deine Eltern müssten informiert werden. Wie, das weißt du nicht, aber das ist ja auch egal, denn nun steht ihr zu dritt auf dem Balkon und Sasuke sieht dich mit so eiskalter Miene an, dass du es kurzzeitig bereust. Einen Moment lang willst du dir auf die Stirn schlagen und dich selbst für deine Dummheit beschimpfen, aber schon im nächsten Moment bist du fuchsteufelswild. „Bist du so eifersüchtig auf Karin?“ Das war das erste Mal, dass er vor dir, ihren Namen in den Mund genommen hat und dein Herz schmerzt. Zieht nach allen Richtungen und dir kommt es so vor, als ob du gleich sterben müsstest. Es tut so weh. So weh. Du stehst einfach nur still und zählst die Holzbretter, die den Boden darstellen, aber du kommst nur bis zur Zahl elf, denn wenn du weiterzählen würdest, müsstest du aufblicken und du willst nicht sehen, wie er einen Arm um ihre Hüfte geschlungen und sie ihre kaputte Nase in seinem T-Shirt verkriecht. „Du bist erbärmlich. Sieh dich an! So schwach, so schwach.“ Es tut so weh. So weh. Du presst deine Lippen fest zusammen und willst sterben, du willst dich von dem Balkon stürzen und dir alle Gliedmaßen brechen, sterben, wenn es sein musste qualvoll, denn du bist dir sicher, dass nichts mehr wehtut, als dieses Gespräch. Dieses Gespräch, das absolute Ignoranz bedeutet. „Sie hat mich beleidigt.“ Trotzdem sprudeln die Wörter einfach so aus deinem Mund, du wolltest eigentlich nichts sagen, stumm stehen und die elf Bretter immer vor- und zurückzählen, aber du hast etwas gesagt. Drei, nein sogar vier Wörter formuliert. Oh, wie du dich hasst dafür. Karin keucht empört auf und zieht Sasuke am T-Shirt zu sich. „Nein, sie ist einfach auf mich losgegangen! Ohne Grund!“ Du bist sprachlos und geschockt weiten sich deine Augen. Ein starker Wind kommt auf, dein Kleid weht im Takt der Melodie und wirbelt deine Haare um deinen Kopf. Es ist, als ob dein Geist außerhalb deines Körpers wäre, denn du siehst, wie du die Faust erneut hebst und auf sie zustürmst, aber du kommst nicht weit, du wirst festgehalten und das gibt dir den Rest. Einst warst du diejenige, die er zu beschützen vermochte, dann wandte er sich ab von dir und nun hast du ihn verloren. Du spürst es daran, wie fest er deine Hand zusammendrückt und auf die Art, wie er dir in die Augen sieht. Voller Ekel und Verständnislosigkeit. Der Schwarzhaarige ist ein Teil der Meute geworden, längst erkennst du ihn nicht mehr, du erkennst dich auch nicht dabei. „Karin, geh!“ Sein Ton strotzt vor Überlegenheit und Strenge und ohne ein Wort zu sagen, geht sie, wahrscheinlich wird sie deine Eltern aufspüren und petzen gehen, aber es ist dir egal. Deine Hand tut weh. Nicht so sehr, wie dein Herz, aber sie tut weh. „Ich hasse dich“, flüsterst du und er versteht dich nicht, denn er sagt nichts dazu. Stattdessen verteidigt er bloß dieses Gör, das alles in den Arsch geschoben bekommt und du kannst es nicht verhindern: du schreist. „Sie hat mich beleidigt! Sie hat mich aufs unterste Niveau angemacht, mir erzählt, du würdest über mich ablästern, mir gesagt, du würdest mich hassen, mir unter die Nase gerieben, dass mit mir befreundet zu sein, der größte Fehler deines Lebens war und sie hat noch eines draufgelegt! Sie meinte, ich wäre schwach. Schwach, nachdem ich sie all die verfickten Jahre ertragen habe, ohne ein Wort zu sagen. Schwach, nachdem ich es alleine geschafft habe, aus dem Loch hervorzukriechen. Das, wofür du Hilfe gebraucht hast, habe ich alleine geschafft, verdammt! Ich hasse dich, ich hasse Karin, ich hasse meine Eltern und mein Leben. Und jetzt lass mich los, du Wichser, oder du hast eine im Gesicht picken. Ich hasse dich, schreibe es dir auf, ich h.a.s.s.e dich, Sasuke Uchiha. Nein, ich verabscheue dich“, diesen Teil spukst du ihm förmlich ins Gesicht. „Ich heiße Sakura Haruno und du leckst mich jetzt am Arsch!“ Mit der Kraft, die dir deine Wut verleiht hat, schubst du ihn weg, mit aller Macht, die du aufbringst und obwohl deine Hand mit dem Schmerz deines Herzens konkurriert, bist du doch stark genug, ihn von dir zu schieben. Erhobenen Hauptes stampfst du an ihm vorbei und wirst gleich von deinen Eltern empfangen, die dir eine Standpauke halten möchten, aber mit nur einem Satz bringst du sie zum Schweigen. „Später. Wir gehen!“ Zu deiner Verwunderung folgen sie dir und du gehst durch die Menge, einige sehen sich deine Hand an, die blutet, die anderen folgen deinen eingeschüchterten Eltern und als du draußen stehst, bleibst du kurz stehen und nimmst tief Luft. Deine Eltern steigen in das Auto, doch du blickst hinauf zu dem Balkon, wo du den Schwarzhaarigen erblickst und dann streckst du ihm noch einmal den Mittelfinger aus und steigst in das Auto. Es herrscht eine beklommene Atmosphäre unter euch dreien, niemand weiß so recht, was er sagen soll, also stehen alle still, ihr schweigt euch aus und du genießt die Fahrt. Glücklich wippst du mit einem Fuß, den du über den anderen geschlagen hast und starrst aus dem Fenster. Die Nacht wird unterbrochen durch die gelbe Beleuchtung der Straßenlaternen und hier und da fährt euch ein Auto entgegen, aber sonst tut sich nicht viel auf den Straßen. Eigentlich sollte es dir total mies gehen, aber wieso hast du es nötig, jemandem hinterherzurennen, der dich total scheiße findet? Eigentlich müsstest du längst aufgegeben haben, aber du hast nicht und vielleicht ist auch das das traurige daran. „Karin?“ Seine Stimme ertönt und sofort sind alle im näheren Umkreis leiser, wollen sehen, was den Uchiha dazu verleitet, ein Wort zu sagen, doch werden sie enttäuscht, als er um ein Gespräch unter vier Augen bittet. Bittet nur deswegen, weil hier Leute sind, die ihn respektieren, ansonsten würde er sie einfach mit sich zerren und zur Rede stellen. Nicht milder fällt seine Reaktion deshalb aus. „Du hast mich angelogen.“ „Aber nur zu deinem Besten!“, ist ihre sofortige Verteidigung darauf, sie lehnt trotzig an einer geschlossenen Tür, hat die Arme vor der Brust verschränkt und schmollt wie ein Schosshund. Er wird schon bald ungeduldig. Er hat keine Lust mehr auf dieses Gör. Schon seit Monaten geht sie ihm auf die Nerven, ihre penetrante Art, immer alles zu seinem besten machen zu wollen, geht ihm gehörig auf den Wecker. „Hn.“ Anscheinend ist für sie damit diese Sache geklärt, sie will sich bei ihm einhacken, ihre Nase ist noch immer rot und in wenigen Minuten müsste sie von ihren Eltern ins Krankenhaus befördert werden. Sie müssen nur noch ihre Terminkalender füllen und sind dann bereit dazu, zu fahren. Sasuke schüttelt ihre Hand ab und besieht sie mit nur einem Blick und das Wort danach reichte aus, um die halbe Welt in staunen zu versetzen. „Verschwinde.“ Es war nur eines, aber es reichte aus, um eine Hand auf sich zukommen zu sehen... ... und diese abzuwehren. Die Rothaarige schluchzt laut auf und schlägt sich die Hand auf den Mund. „Arschloch!“, wimmert sie und verschwindet wieder in den großen Saal, lässt den jungen Mann alleine mit sich und er weiß, dass er nun alles kaputt gemacht hat. Die Pläne seines Vaters konnten nun über Bord geworfen werden, doch ihm war es nur recht. Eine Firma, die Maschinen produzierte, mit einer Firma zu vereinen, die nur Scheiße produzierte, wäre ihr finanzieller Ruin gewesen, also war das gut so. Eigentlich müsste ihm sein Vater dankbar sein. Eigentlich... aber er wusste, was auf ihn warten würde, also rauft er sich nur durch die Haare und lehnt die hitzige Stirn an das kühle Fenster. Noch nie war ihm Sakura so gegenübergetreten. So außer Rage, sie, die Gewalt verachtete und Ärztin werden wollte, hatte jemanden geschlagen und wollte ein zweites Mal zuhauen. Karin, von der er immer geglaubt hatte, sie würde ihn verteidigen und lieben, hatte seine ehemalige beste Freundin belogen, um sie noch mehr zu entzweien und das schreckliche daran war, dass es ihr gelungen war. Nicht nur das, sie verachtete und hasste ihn ja regelrecht und das hatte sie ihm nur allzu deutlich gezeigt und gesagt. Wütend schlug sich Sasuke auf die Stirn und schloss die Augen. Er brauchte Karin! Schnell begab er sich außerhalb des Saals und sah die Rothaarige in den Wagen einsteigen. „Karin, warte!“ Und das Mädchen bleibt stehen und sieht ihm in die dunklen Augen und ihr Gesicht erhellt sich, aufgrund dessen, was sie zu hören bekommt. „Es tut mir Leid.“ Nur einmal hat er diesen Satz von sich gegeben, doch hat er damals das Ende bedeutet. Das Pärchen liegt sich in den Armen, doch die Augen des Uchihas sind geweitet. Er brauchte einen Plan! Kapitel 4: Deine Hand zur Faust geballt. ---------------------------------------- Dein Atem stockt, als du die Szenerie vor dir betrachtest, als deine Augen das Bild an dein, mittlerweile verstaubtes, Gehirn weiterleiten, das dir wiederum bestätigt, mit einer solchen Wucht bestätigt, dass du richtig siehst, du noch nicht an Astigmathismus oder grauem Star leidest, dass dir die Luft wegbleibt, du das Gefühl hast, dir würde das Herz einrosten, sich nicht mehr bewegen, nicht mal einen Millimeter und du, wie die letzten Male zuvor, bloß nur noch sterben oder im Erdboden versinken möchtest. Fest beißt du die Zähne zusammen und ballst deine Hände, die du tief in deine Jackentaschen vergraben hast, zu einer Faust, sodass du dir deine Fingernägel in das Fleisch bohrst und tiefe Furchen zurücklässt, als du bei ihnen vorbeigehst, dein Herz wieder anfängt zu schlagen und Blut durch deine Venen und Arterien pumpt. Überstanden, du hast es überstanden. Dein Atem verlangsamt sich wieder und leicht kopfschüttelnd versuchst du, das Bild von vorhin zu vertreiben, es nicht immer vor deinem inneren Auge zu sehen und nach ein paar Ablenkungsversuchen, denkst du jetzt nicht mehr daran. Stattdessen denkst du daran, wie du ihr das Leben zur Hölle machen könntest, wie du ihr die Lust am Leben nehmen könntest und wie du sie erfolgreich aus seinem Dasein eliminierst. Hmm, Ärztin wirst du ja anscheinend wirklich nicht mehr. An jenem Abend hast du dich ein solches Hochgefühl beschlichen, hat dich in seinem Glück eingehüllt, dich umarmt, dich geküsst, wollte dich nicht gehen lassen, aber du bist hartnäckig geblieben. Es hat dich verlassen, diese angenehme Empfindung und im Nachhinein hast du deine Entscheidung bereut, es weggeschickt zu haben, denn nachher hast du dich einfach nur leer gefühlt. Leer und so einsam, dass du dich wieder in den Schlaf geweint hast, dir an jenem Abend so vor Augen geführt wurde, dass er jetzt sie beschützt, die rote Furie und nicht mehr dich, dich, die ihn so viel mehr gebraucht hätte, als irgendjemand anderen. Nach der Traurigkeit folgte die Wut und die Entschlossenheit, ihr alles zurückzuzahlen, irgendwann einmal nicht in den Spiegel zu schauen und die rot geaderten Augen sehen zu müssen, sondern ein aufmunterndes und glückliches Lächeln. Eines, das von innen heraus kam und nicht bloß aufgesetzt war. Deine Eltern zeigten so viel Mitgefühl und verhängten keine Strafe über dein Haupt, obwohl dir eigentlich eine, irgendeine Reaktion wichtig gewesen wäre. Fast schon hast du dich danach gesehnt, ein ernstes Wort mit ihnen zu reden, dich ihnen anzuvertrauen, ihnen zu offenbaren warum du zum Schlag angesetzt hast, aber nein. Nein, nein, nein und noch mal nein. Sie wollten den Abend abschließen. Wollten ihn abschließen, ohne sich über den Zustand ihrer Tochter Sorgen machen zu müssen. Alles nach dem Motto: Buch zu, Kinder. Morgen lesen wir an dieser Stelle weiter. Aber wie es bei dir immer kommen muss... Sie lesen nicht weiter. Nicht einmal mit dem ersten Wort, geschweige denn Satz oder Seite haben sie angefangen, zu sehr beschäftigen sie andere Dinge. Wer hat da schon Zeit, sich um sein Kind zu kümmern. Verständlich. Du seufzt, als zahlreiche Schüler bei dir vorbeigehen und mit dem Finger auf dich zeigen, hinter hervorgehaltener Hand tuscheln, grinsen, lächeln, aufmerksam verfolgen, vorsichtig sind. Das hättest du dir aber denken können. Einen Tag ohne Propaganda war ein verlorener Tag. „Was?!“, wendest du dich an deine Mitschüler und breitest die Arme zur Seite hin aus. „Wenn ihr mir was zu sagen habt, dann tretet doch endlich vor, anstatt euch zu verstecken. Meine Fresse.“ Wie gesagt, nach der Enttäuschung kommt die Wut. Zuerst rührt sich niemand, alle starren dich an, wie ein Maikäfer, wenn es blitzt, einigen klappt der Mund vor Erstaunen auf, sie können es nicht fassen, dass das Opfer schlechthin, dass wirklich das Opfer mal seinen Mund aufgemacht hat und zur Abwehr setzt. „Weißt du“, fängt ein, scheinbar schüchternes, Mädchen zu reden an und wird von den anderen in die erste Reihe nach vor gelassen, „zuerst habe ich dich beobachtet, denn ich denke, dass jeder mitbekommen hat, dass du Karins Opfer Nummer eins warst, ihr Liebling sozusagen.“ Sie schaut ihren Kameraden in die Augen, schaut in die kleine Gruppe und erntet zustimmendes Nicken. „Sie hat dich schikaniert, ist auf deinen Gefühlen herumgetrampelt, hat Salsa auf deiner Seele getanzt.“ Du verkneifst dir deinen Kommentar, dass sie keinen Grund hat, das weiter auszuführen, denn als Hauptdarstellerin hattest du natürlich die tollsten Erfahrungen mit Karin, aber wie gesagt, du sparst dir eine zynische Bemerkung. „Sie hat dich täglich fertig gemacht und einmal hat sie dir sogar einen Farbkanister über den Kopf geschüttet. Könnt ihr euch daran erinnern?“ Ihre leuchtenden Augen sorgen für kleinere Lachanfälle und die Vergangenheit amüsiert die kleinen Hosenscheißer anscheinend prächtig. „Dann hat sie dir auch noch kleine Papierschnipsel, die sie in einem Behälter aufbewahrt hat, wie Schneebälle ins Gesicht geschossen.“ Das Blondchen kichert leicht und ungeniert. So ging es etwa siebeneinhalb Minuten, in denen sie Karins grandiose Streiche immer wieder hervorhob und extra betonte, was für ein verdattertes Gesicht du immer gezogen hast. Sie, als Redakteurin eurer kleinen Schulzeitung, war natürlich immer mit dabei gewesen und hatte die tollsten Fotos geschossen. Ha, ha, sehr toll. „Komm auf den Punkt, Lucia“, drängst du sie und verschränkst die Hände vor die Brust. Karin ist toll, Karin ist so schlau, Karin ist perfekt, Karin hier, Karin da, so langsam kommst du dir echt bescheuert vor. Wieder kichert das Mädchen und will scheinbar erneut die anbetungswürdige Karin hervorheben, doch als ihr Blick auf deine Grimasse fällt, räuspert sie sich und streicht ihr Shirt glatt. „Damals habe ich dich also beobachtet, du warst eben das gern gesehen Opfer, jemand, den man ausgrenzen konnte, ohne einen Sturzbach an Tränen zu erwarten.“ Du grinst leicht in dich hinein. Sie hat doch keine Ahnung! „Ich habe dich immer für deine Geduld bewundert. Habe mir im Stillen geschworen, mehr wie du zu werden. Zwar kein Außenseiter, aber geduldiger“, sie stoppt in ihrem Satz und sieht dir jetzt tief in die Augen. Ihrem nächsten Satz will sie scheinbar dadurch extra viel Nachdruck verleihen. „Und dann erfahre ich, dass du doch nicht die Engelsgeduld besitzt, von der ich dachte, sie würde tief in dir schlummern. Genau genommen bist du genau so, wie sie, nur humaner...“ Sie wendet sie zum Gehen, „Und so will ich nicht sein“, flüstert sie und wird hindurchgelassen und dann ist es plötzlich nicht mehr still und ruhig, die Schülern strömen auseinander, lassen dich in deinem Chaos alleine, Lärm setzt wieder ein und du stehst nur da. Du blickst ihr hinterher und schluckst den Kloß in deinem Hals hinunter, deine Kehle fühlt sich unsagbar eng an. Du willst endlich abbiegen, die Schusszone endlich hinter dir lassen, aber als du siehst, wer aus der Klasse stolziert, machst du kehrt, rennst beinahe die Stiegen hinunter und rutscht beinahe aus. Mit letzter Kraft haltest du dich am Geländer fest, dein Herz pocht so laut, sodass es alles übertönt, das Blut rauscht dir in den Ohren und du zwingst dich dazu, das Gelächter zu ignorieren, dir die Haare aus dem Gesicht zu streichen und langsamer zu verschwinden. Eine bedrängende Enge in deinem Inneren zerrt dich förmlich hinunter, hinunter zu den Spinds, wo du dich umziehst und erstmals nach Luft schnappst. Rosa Strähnen kleben an deinem Gesicht, das rot angelaufen ist und du willst hier bloß raus. Hitze durchfährt deinen Körper und du hast Angst, dass du ausrastest, dass du kollabierst, dich nicht mehr rühren kannst und während du bewusstlos daliegst, mit Filzstiften einen Bart verpasst bekommst. Du willst nicht mehr. Mit einem Satz öffnest du die Eingangstür und atmest die kühle Morgenluft ein und wieder aus, zwingst dich dazu, ruhiger zu werden, aber deine Kehle ist noch immer zugeschnürt, sodass du schnell um die Ecke biegst, damit keiner deinen Zustand bemerkt. Lähmende Angst packt deinen Körper, schleicht sich von deinen Zehenspitzen, über die Knie, hinauf zu deinem Brustkorb und drückt fest zu. Dein Atem kommt stoßweise, Schweiß perlt über deine Schläfe hinab auf deine Jacke. Du bekommst immer weniger Luft, du spürst, wie du nach dem Sauerstoff lechzt, aber du bringst nicht mehr zustande als ein Keuchen, zwei, nein, nur Keuchen und versucht nach etwas zu greifen, versuchst etwas zusammenzudrücken, aber du schaffst es einfach nicht. Panik breitet sich in dir aus. Du willst doch nicht sterben, nein, nicht so. Nicht vor den anderen, auf dem Schulgelände, nein, nein, du willst nicht. Dein Herz rast und pocht wie wild, während du versuchst, nach etwas zu greifen, was dir vielleicht helfen könnte. Du kannst nicht einmal schreien, als du eine Person aus dem Schatten auf dich zukommen siehst. Du klebst am Boden fest, kannst keine Faser deines Körpers dazu animieren, den Rest zu bewegen, du keuchst unentwegt und kriegst einfach keine Luft. Und dann drückt dir jemand den Mund zu und presst deinen Kopf fest an die Wand. Zuerst hörst du nicht, was diese Person sagt, alles scheint weit weg zu sein, weit weg von dir. „Du hast gerade eine Panikattacke. Beruhige dich!“, schreit die Person auf dich ein und drückt dir seine Hand noch fester auf den Mund. „Atme aus der Nase, atme, nicht aus dem Mund. Benutze deine Nase, sonst wirst du ohnmächtig!“, fordert der Mann und nun klärt sich auch dein Blick und du erkennst ihn und seine aufgerissenen, schwarzen Augen. Du wirst ruhiger und konzentrierst dich auf deine Nase und dann fühlst du dich, als ob du aufgetaucht wärst aus einer tiefen Schlucht. Du kommst dir vor wie ein Neugeborenes. Das Geheule kommt wenig später. „Warum? Warum immer nur ich?“, keuchst du und gehst in die Knie, während Tränen über dein rot angelaufenes Gesicht strömen und sich ihren Weg nach unten bannen. „Warum?“, fragst du noch immer und als du keine Antwort vernimmst, hebst du den Kopf und blickst in das Augenpaar, das dich damals schon so fasziniert hat. „Danke“, schniefst du und senkst den Schopf sogleich. Du willst ihn nicht sehen, auch wenn er dir geholfen hat. Vielleicht willst du ihn ja genau deswegen nicht sehen, weil dir dann noch bewusster wird, wie es hätte sein können, wenn er nicht gegangen wäre. Er hat dich verraten. Du stößt ihn von dir und kommst auf die Beine. Kurz verschwimmt deine Sichtweise, aber du versuchst, es dir nicht anmerken zu lassen. Du spielst nun die Starke. „Danke, aber ich wäre auch alleine klar gekommen.“ „Einen Scheiß wärst du!“ Du zuckst, angesichts seines Tonfalls, leicht zusammen und presst dich an die Mauer hinter dir. Sein Gesicht lässt nur eine rege Empfindung vermuten, doch du bist dir sicher, dass er mehr hinter seiner Maske verbirgt, als er zugeben möchte. „Ich weiß“, fängt er erneut an und du wunderst dich, dass er so viel mehr als bloß einen Satz zustande gebracht hat, „dass dich mein Abgang sehr verletzt hat, aber es war meine Entscheidung und nicht die von dir und Naruto.“ Kurz stockst du und beißt die Zähne zusammen. Er machte Witze, oder? „Ihr hättet nichts daran ändern können. Ich war der festen Meinung, dass ich mich weiterentwickeln musste.“ 10. „Ihr habt mich nur gestört.“ 9. Warte! „Gestört?“ Du öffnest den Mund, schließt ihn dann aber wieder, nur um ihn dann wieder zu öffnen und dem Schwarzhaarigen deinen Zeigefinger in die Brust zu bohren. „Wir haben dich gestört, habe ich das richtig verstanden?“ Der junge Mann schweigt beharrlich und hebt bloß eine Augenbraue an. „Nochmal zum Mitschreiben. Wir, also Naruto und ich haben dich gestört?“ Der Angesprochene nickt kurz. Nachdem der Blondschopf ihm immer geholfen hatte, nachdem er ihm dabei geholfen hatte, den Tisch seiner Mutter in sein Zimmer zu befördern, wagte er es doch tatsächlich, das Wort „stören“, was wiederum dasselbe bedeutete wie „nerven“ in Verbindung mit seinem ehemaligen besten Freund in Verbindung zu bringen. „Du bist echt das Allerletzte“, fauchst du und wendest dich zum Gehen, doch wird deine Aktion durch seine Hand verhindert. Er versperrt dir doch tatsächlich den Weg. „Lass mich durch!“, motzt du. „Nein.“ „Nein?“ Du keuchst empört auf. „Sag mal, willst du mich verarschen?“ Deine Hand ballt sich zur Faust, während dein Gesichtsausdruck einem Fisch auf trockenem Land gleicht. „Du bleibst hier.“ „Einen Scheiß bleibe ich hier. Lass mich vorbei.“ Du schreist und rennst gegen seinen Arm, doch seine Hand will sich scheinbar nicht von der Wand lösen und anders kommst du nicht vorbei. „Sasuke, ich warne dich!“, versuchst du es abermals und hältst erschrocken inne, angesichts dessen, was er dir darauf antwortet. „Ich steh’ nicht drauf, wenn Mädchen schreien.“ Und noch mehr erschrickst du, als er sich zu dir runterbeugt und dir seine Lippen auf deine presst. Das Bild von heute Früh erscheint vor deinem inneren Auge, nur siehst du nicht Karin darin, sondern dich selbst. Deine Hand ist noch immer zur Faust geballt. Was machst du nun? Kapitel 5: Falsch, falsch, falsch, falsch. ------------------------------------------ Sein Kiefer schmerzt. Er presst die Zähne fest aufeinander und reibt sich das Kinn mit der rechten Hand. Das hatte er so nicht erwartet, nein, keineswegs. Er hätte ihr noch etwas sagen wollen, etwas Wichtiges, aber sie hatte ihn nicht zu Wort kommen lassen... „Au“, zischst du und küsst die Knöchel deiner rechter Faust zur Versöhnung. „Ich weiß, ihr seid sauer auf mich, aber das war es doch wert!“ Als der Schmerz nicht abklingen will, versuchst du es noch einmal mit einem zaghaften „Oder?“ und wirst bitter enttäuscht, als du das erneute Ziehen spürst. Toll, toll, toll. Wie war das nochmal? Toll! Du seufzt und schaust dich um. Er ist verschwunden. Erleichtert atmest du aus und presst dir die linke Hand an die Brust. Dein Herz hämmert wild und laut in deinem Körper, du kannst dir kaum vorzustellen, dass du vorher fast in Panik ausgebrochen wärst. Mit geschlossenen Augen lehnst du dich an die Mauer hinter dich und versuchst den Schmerz in deinem Inneren auszublenden, bis ein paar Geräusche deine Aufmerksamkeit erregen. Du machst dich dünn und erspähst Karin mit einer Freundin, die genauso viel Make-Up auf ihrem Gesicht trägt, wie ihr Gegenüber und obgleich sie ein paar Meter von dir entfernt sind, riechst du ihr Gucci-Parfüm und versuchst, die Luft nicht zu stark einzuziehen. Vanille war noch nie dein Favorit. Zuerst flüstern sie nur leise und du hast kaum eine Chance, etwas herauszuhören, doch als sein Name fällt, gibst du einhundertundeinundzwanzig Prozent und siehe da... du kannst tatsächlich etwas vernehmen. „Meinst du der Plan funktioniert?“, haucht die Unbekannte an Karin gewandt, die sie nur mit einem arroganten Blick besieht und die langen Haarsträhnen nach hinten wirft. „Okay, okay, ich weiß, wie du tickst, Barbie.“ Barbie? „Genau, aber er weiß es nicht.“ Du horchst auf. „Noch nicht.“ Eine kalte Gänsehaut packt dich und benetzt deine Arme, die in einer dicken Jacke eingehüllt sind. „Wir machen das so...“ Und noch bevor sie den Satz aussprechen kann, hast du dich zu weit nach vor gebeugt und verlierst das Gleichgewicht. „Scheiße“, fluchst du und rappelst dich auf. Zu spät, sie haben dich schon im Visier und stolzieren in deine Richtung. „Sakuralein“, presst Karin unter größter Anstrengung nett hervor und bleibt nur wenige Zentimeter vor dir stehen. Du kannst es nicht verhindern, aber deine Pupillen werden zu Tellern und du schluckst hörbar laut. „Wie viel von dem, was wir beredet haben, hast du gehört?“ „Ich...“, stotterst du und binnen einer Sekunde hast du die rote Furie von dir gestoßen und rennst Richtung Eingang. Du rennst um dein Leben, denn du hast einmal das Gefühl, als ob etwas richtig läuft. Einmal willst du es. Diese Befriedigung. „Sasuke!“, schreist du und streckst den Arm aus, um ihn an der Schulter zu berühren. Du hörst, wie die Tür hinter dir aufgeht und du nimmst die Geräusche von Stöckelschuhen wahr. Der Schwarzhaarige dreht sich um und hebt eine Augenbraue an. Du bist außer Atem und die rote Furie, samt Freundin ist auch außer Atem. „Sie“, beginnst du und atmest hörbar ein und aus, „Karin“, wieder bringst du nur ein Wort heraus, „Sie hat einen Plan“, keuchst du und stützt dich bei deinen Knien ab, „Und sie will deinen Untergang.“ Zwar hast du das aus der Unterhaltung nie im Leben heraushören können, aber es musste so sein! Es konnte doch nur so sein. „Wovon redest du?“ Karin hat sich aufgerichtet und funkelt dich aus blauen Augen boshaft aber auch verwirrt an. Du verstehst die Welt nicht mehr. Warum war sie verwirrt? Sie wollte ihn doch vernichten. Du musstest ihn doch warnen. Du konntest nicht anders. „Ich will ihn überhaupt nicht vernichten, du Freak. Ich habe eine Überraschung für unseren Halbjahrestag geplant!“ Sie verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich verstehe nicht“, flüsterst du und siehst ihr tief in die Seelenspiegel, auf der Suche nach einer Lüge, nach einer gut gekleideten Lüge, aber alles, was du siehst... „Ich bin empört darüber, dass du so von mir denkst, Sakura. Wir haben uns doch immer so gut verstanden!“ … aber alles, was du siehst ist Empörung. Deine Hand meldet sich wieder und verbreitet den dumpfen Schmerz in deinem ganzen rechten Arm. „Aber... aber... Nein! Das kann doch nicht sein. Ich habe doch gehört, wie du...“ „Halt dein Maul, du hast es eben falsch verstanden und die Überraschung dadurch platzen lassen“, motzt dich die Unbekannte an und verdreht die Augen genervt. Falsch, falsch, falsch, falsch, falsch, falsch, falsch. Du lagst falsch. Immer wieder spukt das Wort in deinem Kopf herum, doch scheinst du noch immer nicht verstanden zu haben, was sie dir mitteilen wollen. Keiner will sich mehr dein Schwafeln anhören, also wenden sie sich alle ab von dir. Sasuke als Letzter, damit er dir noch einmal tief in die verwirrten Augen schauen und den Kopf schütteln kann. Warum schüttelt er mit dem Kopf? „Sasuke hat mich geküsst!“ Noch ehe du weißt, was du ausgesprochen hast, bleibt Karin wie angewurzelt stehen, ihr Arm verharrt in seiner Bewegung und du kannst sehen, wie zaghaft sie sich umdreht, wie sehr es ihr widerstrebt, sich umzudrehen und dir ins Gesicht zu blicken. „Ich weiß“, haucht sie und dein Blut gefriert in deinen Adern zu Eiszapfen, während dir alle Farbe aus dem Gesicht weicht. Du atmest nicht und du bist dir sicher, dass du jetzt sterben wirst. Das ist doch der Höhepunkt deines ganzen, verschissenen Lebens. Brauchst du eine Klobürste, um dir die Scheiße aus dem Gesicht zu kratzen? Eine Menge haftet an dir. „Woher...“, stammelst du und siehst den Schwarzhaarigen an, der mindestens genauso verdattert aus der Wäsche schaut, wie du. „Das Fenster unseres Klassenzimmers befand sich genau über euch.“ Mit der Beendigung ihres Satzes steigt sie die Stufen empor, Sasuke im Schlepptau und dir kommt es unwahrscheinlich vor, aber du könntest schwören, dass Sasuke den Kopf eingezogen hat und ehe es dir bewusst wird, empfindest du Respekt für Karin. Als du vor deinem Schließfach stehst, kommt er dir ungewöhnlich ramponiert vor, aber du bist dir sicher, dass dir deine Einbildung bloß einen fiesen Streich spielt. Die Tür geht nicht, wie sonst, schwer auf, stattdessen lässt sie sich ohne Schlüssel öffnen und du weißt, dass dir jemand etwas untergeschoben hat. Du erblickst den weißen, zusammengeknüllten Zettel und faltest ihn auseinander. „Rache ist süß“, steht in einer ordentlicher Handschrift in pinker Farbe darauf und zeigt dich und Sasuke aus der Vogelperspektive. Karin hatte euch nicht nur erwischt, sie hatte auch ein Bild davon gemacht und du bist dir sicher, so sicher, wie du dir einer Sache noch nie warst, dass sie den darauffolgenden Schlag nicht mitbekommen hat, andernfalls würde sie wissen, dass du keine potentielle Gefahr warst. Du hast Angst, was sie dir als nächstes antun würde. Noch ein kleines bisschen mehr und sie würde dich knacken. Von dieser Ansicht warst du überzeugt. „Karin“, spricht Sasuke und streckt den Arm nach ihr aus. „Nein, Sasuke. Hör mir jetzt gut zu, was ich zu sagen habe. Ich lasse mir wirklich viel von dir gefallen. Du bist kalt, abweisend, abwesend und versuchst immerzu Miss Piggy zu beschützen. Ich halte meine Klappe, lasse meine Wut nicht an dir aus und respektiere deine Vergangenheit, aber wenn du willst, dass das auch so bleibt, musst du dich verändern. Nein, kein Muss. Du wirst und wenn nicht, werde ich dafür sorgen, dass die Firma deines Vaters in den Ruin getrieben wird.“ „Ach ja?“, spricht er in ungläubigem Ton und verschränkt die Arme. „Ja!“, faucht die rote Furie und kurzzeitig liefern sie sich einen stummen Kampf. Seufzend entspannt sich der Schwarzhaarige und legt einen Arm um ihre Schulter. Karin lächelt in sich hinein und haltet seine Hand fest. Sie hatte gewonnen und den nächsten Schritt geplant. Es war Zeit für Phase eins. Kapitel 6: Der Grashalm ist Geschichte. Mein Grashalm. ------------------------------------------------------ Es hatte keinen Sinn mehr zu warten. Es gab keine neue Chance, keine neuen Fehler zu begehen, diese wieder auszubügeln, sich immer wieder in den Armen zu liegen, man hatte einen Schlussstrich gezogen, das Freundebuch zusammengeklappt. Es gab weder Hoffnung, noch irgendeine Art miteinander friedlich auszukommen. Zu groß waren die Schmerzen, zu viel Zeit war vergangen, Worte, die man nicht mehr zurücknehmen konnte, es war alles vorbei. Sie waren vorbei. Geschichte. Hasta la vista und bis auf nimmer Wiedersehen. Ja, es hörte sich traurig an und das war es auch... aber es fühlte sich noch trauriger an, noch so viel schmerzvoller, so unerträglich aber es musste so sein. Sein Vater hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gezogen. Ursprünglich hatte er einen vagen Plan in seinem Kopf entwickelt, zwar war er noch nicht detailliert genug gewesen, aber ausbaufähig. Er, Sasuke, war voller Hoffnung gewesen... oder voll mit etwas, was er als Hoffnung bezeichnete, nicht diese gewöhnliche Hoffnung. Sie war nicht groß gewesen, sondern klitzeklein. Ein Uchiha musste immer damit rechnen, enttäuscht zu werden und durfte deshalb nicht an nur einem Strohhalm ziehen, sich nicht nur an einem Grashalm festhalten. Ein Uchiha musste die Zähne blecken können, fauchen, toben, wüten, die Ruhe in Person sein, tödlich und gewieft, aber vor Allem durfte ein Uchiha nicht empfinden. Das war die unausgesprochene Regel, vor der jeder zurückschreckte, aber sie akzeptierten sie stillschweigend. Eine Person hatte sie nie akzeptieren wollen und das war sie gewesen: Sakura. Immer wieder hatte sie versucht, ihn aus der Fassung zu bringen, ihn zum Lächeln zu animieren und sie hatte es oft geschafft. Manchmal, wenn sie es nicht gemerkt hat, hat er gelächelt. Stumm und nur für sich, unerkannt, aber er hatte eine Art Frieden in ihrer und Narutos Nähe gefunden und dann war er plötzlich erwachsen gewesen. Kein kleines Kind mehr, das einem blöden Ball nachrannte, in Jubelsgeschrei ausbrach, wenn ein Tor erzielt wurde, das sich feiern ließ, wenn es an einem Turnier die meisten Tore schoss, kein Kind mehr. Überhaupt kein Kind. Nicht einmal ein kleines Fünkchen. Sein Vater war zwar bei jedem Spiel dagewesen, doch nur um grimmig aus der Wäsche zu schauen und seinem Sohn zu sagen, was er nun dieses Mal falsch gemacht hatte. Nein, sie nicht. Sie hatte immer gelächelt, ihm immer applaudiert, die Hand auf die Schulter gelegt, den Kopf zur Seite geneigt und manchmal die grünen Augen geschlossen, wenn er geredet hatte. So, als wolle sie seine Stimme für immer in ihrem Gedächtnis einspeichern, um sie immer wieder aufrufen zu können. Dieser Plan. Ja, er war mit einer Spur von Hoffnung durchtränkt, denn je weniger Hoffnung man in eine Sache reinsteckte, desto weniger hoch war die Enttäuschung danach. Ja? Nein, falsch gedacht. Jede Art von Enttäuschung tat weh und diese vielleicht noch mehr, als irgendeine andere. Er hatte tatsächlich geglaubt, er würde es schaffen, wieder alles ins rechte Lot zu rücken, bevor die Zeit um war, bevor nicht alles in Dunkelheit versank, bevor das letzte Strahlen aus ihren Augen verschwand. Tatsächlich aber hatte er nichts erreicht. Absolut nichts. Und das tat mehr weh, als jeder grimmiger Blick, den ihm sein Vater zugeworfen hatte. Es war vorbei. Sie waren Geschichte. Er würde sich bei seinem Vater nachher bedanken. Dafür, dass er ihn an die Pforten der Hölle festgebunden hatte: Karin. Du traust deinen Ohren kaum, aber es ist tatsächlich wahr, was sie in der Schule herumerzählen. Du hast es selbst mit eigenen Augen gesehen, dich versichert, dass es kein schlechter Witz eines bösartigen Schülers war, nein, es ist wahr und es ist ein weiterer Schlag ins Gesicht. Du bist mit einem dumpfen Knall auf den harten Boden der Realität geknallt, hast versucht, dich wieder aufzurappeln, aufzustehen, wie ein Baby, das erst das Gehen lernen musste, aber immer wieder sind deine Arme umgeknickt, du hältst das nicht mehr aus. Heute ist er nicht da und somit hatte er Glück, denn du überlegst ernsthaft, ihn niederzustechen mit einem scharfen Messer, ihn zu massakrieren, ihn zu häuten wie ein Tier, ihn auf brutalste Weise zu quälen. Er hätte es dir doch sagen können. Damals, als er dich geküsst hat. Er hätte doch... oder hatte er? Du kannst dich nicht mehr daran erinnern, denn dein Gedächtnis ist wie ein Sieb mit großen, langen und breiten Löchern, kaum Plastik ist drum herum, denn die Löcher sind so riesig, dass beinahe alles durch sie hindurch schwimmt. Du hast aufgegeben, schon längst, du willst, dass er glücklich bleibt, dass er den Schein bewahrt, dass er glücklich ist, allein schon deswegen, weil du dir sicher sein willst, dass es ihm gut geht, ihre Anwesenheit nicht seinen Körper verätzt, sein Gehirn minimiert (das sowieso schon klein genug sein muss, wenn er mit ihr zusammen war), ihn unglücklich werden lässt. Was mit dir passiert? Scheiß drauf! War früher nicht wichtig, also muss es auch nicht heute oder morgen wichtig sein. Sasuke ist für dich ein abgeschlossenes Kapitel, du hast das Freundebuch längst irgendwo verschlossen, in eine Lade und in die hinterste Kammer deines zerrissenen, beschissenen Herzens. Du bist so damit beschäftigt, weiter nach Mitleid zu lechzen und die kleinen Stückchen deines Organs mit Superkleber zusammenzukleben, dass du die Augen vor dem Offensichtlichen verschließt: Sasuke ist verlobt. Aber ist er verlobt, weil er es will oder wird er von den oberen Mächten der Hierarchie dazu gezwungen? Hat Karin mit seinem Vater darüber geredet oder die Väter unter sich? War das schon längst abgeschlossene Sache und musste er deshalb gehen? Damals. „Was los ist, fragst du?“, hast du ihn angeschrien, die Arme vor der Brust verschränkt und die Augenbrauen verzogen, sodass die Grimasse, die du schnittst, wütend aussah. Nur einmal warst du so sauer auf ihn, kannst du dich erinnern, und damals war es derselbe Grund wie an jenem Tag gewesen: Er widersetzte sich seinem Vater nicht. Nie. Ganz gleich, wie beschissen die Aufforderungen seines Erziehungsberechtigten auch waren. „Was, Frau Oberschlaumeierin, soll ich deiner Meinung nach tun?“ Sein Ton ist ebenfalls gereizt, angriffslustig und auch eine Spur enttäuscht. Seine Miene verrät nichts außer Ausdruckslosigkeit. Er war schon immer gut darin gewesen, ein Pokerface aufzusetzen, wenn ihm etwas nicht passte. „Ich kann mich ja auch täuschen, aber sehe ich da einen Mund in deinem Gesicht? Kann ja sein, dass das auch bloß dein Arschloch ist, weil so viel Scheiße aus ihm rauskommt, aber sehen tue ich da bloß einen Mund.“ Innerlich triumphierst du, weil du einen so bühnenreifen Auftritt hingelegt hast, doch wird dir der Erfolg bald zu bitter werden. Kurz schweigt er und du kannst in seinen schwarzen Augen lesen, dass du ihn damit geschockt hast, vielleicht verletzt, ein bisschen, aber du hast ihn mehr überrascht. „Wenn deine Stirn vielleicht nicht so hoch wäre, könntest du ja noch den Überblick bewahren, aber anscheinend nimmt sie zu viel deines Sichtfeldes ein.“ Naja. Du warst noch nie Profi, wenn es darum ging, ein Pokerface aufzusetzen und so kann er nur deutlich sehen, dass dir die Augen tränen und deine Aggressivität nachlässt. Er hatte dich verletzt. Mehr, als nur oberflächlich. „Und das heißt, es ist vorbei. Wir sind also Geschichte?“ Ja, das hieß es, sie waren Geschichte, denn er war gegangen. „Tut mir Leid, Sakura. Ich bin ein Uchiha.“ Und in Gedanken fügte er hinzu: „Und es macht mich innerlich so kaputt, dass ich kaum noch zu atmen wage, wenn es mir nicht gestattet wird, es tut mir Leid, aber ich muss gehen, denn sie haben etwas anderes mit mir vor. Etwas Großes und Bedeutendes.“ Aber kein Wort verließ seine Lippen, die zu einem dünnen Strich zusammengepresst waren. Kein einziges Wort und er ging. Ließ sie allein in ihrem Schmerz ertrinken und sein einziger Grashalm wurde abgerissen und wuchs nie wieder nach. Ja, du erinnerst dich noch an alles. Daran, was er anhatte, wie er dagestanden hatte, dass der Wind plötzlich verstummt war, als er seinen Namen aussprach und du könntest dich dafür ohrfeigen, aber es kommt dir so vor, als ob es noch mehr wehtut, als damals. Sein Kopf schmerzte, sein Magen rebellierte. Wo war er? Wo? Dunkelheit umhüllte seinen ganzen Körper, er sah absolut gar nichts mehr. Er konnte seine Hand nicht einmal bewegen. Was war mit ihm geschehen? Was? Er versuchte, zu sprechen, doch sein Mund bewegte sich nicht einen Millimeter. Er versuchte, seine Nase zum Riechen zu animieren, aber auch das funktionierte nicht. War er tot? War er... War er in der Hölle? Fühlte sich so Schuld an? Plötzliche Panik überfiel sein Herz und wenn er gekonnt hätte, hätte er geschrien, aber er konnte nicht. Er hatte Angst davor, dass er keine zweite Chance bekommen würde, dass er mit diesen Fehlern sterben musste und wenn er seine Augen gespürt hätte, dann hätte er geweint. Sakura. Und plötzlich begann er wieder zu leben und die Schmerzen setzten ein. „Sakura! Sakura, komm schnell her!“ Die Direktorin rennt auf dich zu, ihre große Oberweite schaukelt hin und her wie ein kleines Schaukelpferd und je näher sie dir kommt, desto ängstlicher wirst du. Was hast du angestellt? „Das Allgemeine Krankenhaus im Zentrum hat angerufen!“ Sie schnauft laut und unkontrolliert und legt die Hände auf ihre Hüfte. „Sasuke...“ Immer noch bringt sie nicht mehr als Gekeuche und Gestammel zustande, doch deine Augen sind bereits zu Tellern geworden. „Was ist mit ihm?“, hauchst du und Angst schnürt dir deine Kehle zu. Dein kaputtes Organ pocht laut und unregelmäßig und du hast Angst, dass du wieder einen Anfall kriegst. „Reden Sie endlich!“, fauchst du sie deshalb an und mit einem Schlag ist sie ernst und senkt die Stimme, sodass die wissbegierigen Schüler nichts von eurer Unterhaltung mitkriegen. „Sein Vater hat ihn grün und blau geschlagen, ich weiß noch nicht, was die Ursache dafür ist. Er liegt im Krankenhaus. Er verlangt nach dir, Sakura.“ Und mit einem Mal ist es leer in deinem Oberstübchen, du kommst dir vor wie in einem alten Westernfilm, in der die Stadt ausgestorben ist und große Heuballen über die Straße fegen. Du hast es nie für möglich gehalten, aber du bist losgerannt, blindlings, ohne auf die Menschen, geschweige denn Straßen und Autos zu achten, hast nicht nach links oder rechts gesehen, sondern stur geradeaus, ein Ziel fixierend: Das Krankenhaus im Zentrum. Der Verband war ihm von den Augen genommen worden. Er wusste nicht, welche Funktion er gehabt haben sollte. Seine Arme fühlten sich wie Blei an, sein Kopf hämmerte ununterbrochen. Er wusste nicht wieso, aus welchem Grund, er sie herbestellt hatte. War es nicht naheliegender seine Verlobte anzurufen? Wäre sie überhaupt gekommen? Er konnte sich vage daran erinnern, dass sie ihm etwas von einem Casting erzählt hatte, aber er hatte ihr nicht zugehört, natürlich nicht. Sein linkes Auge fühlte sich komisch an, so als hätte jemand Gewicht drangehängt. Wieso lag er überhaupt in diesem gottverdammten Bett, war umgeben von weißen Wänden und irgendwelchen piepsenden Geräten? Er hatte doch nicht getrunken? So einen Filmriss hatte er ja noch nie gehabt! Die Türklinke wurde langsam runtergedrückt, seine Augen weiteten sich minimal und sein Atem beschleunigte sich zusehends. Draußen zwitscherten die Vögel, die Sonne schien und man hörte Kinder lachen und schreien. Er erinnerte sich, dass in der Nähe ein neuer Spielplatz erbaut worden war. Der Alte war abgerissen worden. Ihr alter Spielplatz. Noch immer bewegt sich die Klinke langsam nach unten, die Tür glitt einen Spalt auf, eine Handbreit, dann einen halben Meter und je weiter sie aufging, desto mehr schwand seine Hoffnung. Er hatte nicht einmal selbst bemerkt, dass er doch gehofft hatte. Wieder. Enttäuschung hüllte seinen ganzen Körper ein, als er den rechten Stöckelschuh seiner Verlobten auftauchen sah und so tat er dass, was jeder normale Mensch getan hätte: er tat so, als würde er schlafen und seine Idee trug tatsächlich Früchte. Anscheinend lugte sie nur kurz hinein, sah, dass er schlief, schloss die Tür wieder langsam und vorsichtig und verschwand, denn ihre Stöckelschuhe hallten auf dem Boden des Flurs wieder. Er würde sich über diesen Lärm beschweren! So eine Frechheit! In einem Krankenhaus! Kaum hatte er seinen Kopf dem Fenster zugewandt, wurde die Tür stürmisch aufgeschlagen, knallte gegen die Wand und offenbarte ihm einen neuen Besucher. Sie war gekommen. Er lächelte in sich hinein. Er hatte es gewusst. Sie war da! „Ich kam so schnell, wie ich konnte“, keuchst du und er kann sehen, dass dein Shirt mit Schweiß getränkt ist und dass du den ganzen weiten Weg von der Schule hierher gerannt bist. Mit einem Seufzer lässt du dich auf dem Stuhl neben das Bett nieder und setzt zum Sprechen an. Seine Kehle ist trocken und die Schwester meinte, er würde noch zwei Tage heiser bleiben. Zuerst schweigt ihr beide, keiner bewegt sich, stumm starrst du auf die weißen Fliesen unter deinen Füßen, doch schließlich kratzt du all deinen Mut zusammen und setzt zum Sprechen an: „Ich wollte nur sagen, dass ich von deiner Verlobung gehört habe. Ich gratuliere dir. Meine Glückwünsche, Sasuke. Einmal hast du den Mund aufgemacht und dann hat er dir so was angetan.“ Auf deinen Zügen liegt ein trauriges Lächeln und Tränen steigen dir bereits in die Augen. Du bist nicht dumm. Auf dem Weg hierher hast du dir immer wieder dieselben Sätze in den Kopf gerufen: „Er will sie nicht heiraten und das hat er ihm gesagt.“ Immer wieder, hunderte Male und das Ergebnis war schockierend: Er musste, hatte keine andere Wahl. Sein Vater war entschlossener als Sasuke. „...“, Sasuke versuchte, den Mund zu öffnen, doch du kommst ihm mit einer wegwerfenden Handbewegung zuvor. „Nein, du musst nichts sagen, es ist in Ordnung.“ LÜGE! „Ich habe mich damit abgefunden, das fünfte Rad am Wagen zu sein, ich akzeptiere dich und sie als Paar und ich weiß, dass du mein Einverständnis sowieso nicht brauchst, um etwas zu tun, oder nicht zu tun, aber du solltest doch meinen Segen haben.“ In seinen Augen liest du etwas, das möglicherweise Dankbarkeit darstellen sollte, aber sicher bist du dir nicht. Sein Auge ist zugequollen, sein Lid blau und violett. Die Schwester meinte, er hätte sich den Kopf angestoßen am Treppengeländer und sich den Rücken aufgeschürft. Deshalb stehst du bloß seufzend auf, beugst dich runter zu ihm und hauchst ihm einen Kuss auf die Wange. Es sollte euer letzter sein. „Ich wünsche dir viel Glück, Sasuke... und gute Nerven... Du wirst sie brauchen.“ Eine Träne perlt von deinem Augenwinkel über die Wange und auf sein Gesicht. „Ich liebe dich. Damals schon und heute auch und deshalb will ich, dass du glücklich bist, auch wenn ich persönlich mir ein Leben mit Karin nie vorstellen könnte.“ „Zu bisst maj Kkrslm.“ „Die Schwester meinte bereits, dass du heiser wärst. Streng dich nicht an, Sasuke, ich weiß, wo die Tür ist. Karin wartet draußen auf dich.“ Die Tür hinter ihr schloss sich und Sasuke konnte in seinen Gedanken nur das wiederholen, was sie nicht verstanden hatte: Du bist mein Grashalm. Wenn Karin nicht mit diesem falschen Lächeln hineingekommen wäre, hätte er geweint. Kapitel 7: Dein Schmetterling hinterlässt in seinen Phasen zwei blutige Löcher. ------------------------------------------------------------------------------- Sein Verstand hatte sich dagegen gesträubt, aber sein Herz hatte sich entzwei geteilt und das hinausgeschrien, was sein Kern schon immer gewusst hatte: Er wollte selbst entscheiden. Das hatte er ihm auch gesagt. Persönlich, unter vier Augen und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern und normalerweise wäre seinem Vater nie die Hand ausgerutscht. Nein. Wie würde denn das Ansehen einer bedeutenden Familie sinken, wenn sein Sohn mit blauen Flecken gesichtet werden würde? Sasuke aber hatte nicht nur gesagt, dass er selbst entscheiden wollte, wen er heiraten würde und ob er überhaupt den Bund der Ehe beschließen wollte. Nein. Er hatte vielmehr seinem Vater alles ins Gesicht geklatscht, was ihm seit Jahren auf der Seele gelastet hatte: Der Tod seiner Mutter, den er ihm zuschrieb, die Auslandsjahre in einem strengen Internat, nachdem sie gestorben war, die Trennung von seinen Freunden, die unmoralische Erziehung. Das war der Punkt gewesen, an dem sein Vater ausgeholt hatte, aber der Schwarzhaarige hatte nicht aufgehört zu reden. Nein. Nicht einmal dann, als er schon blutete, am Boden lag und sich Tränen in seinen Augen sammelten. Und als er geendet hatte und er schon die Dunkelheit spüren konnte, die von seinem Körper Besitz ergreifen wollte, wie eine riesige Pranke, sagte ihm sein Vater das, was er schon immer befürchtet hatte: Er würde ihn wieder fortschicken. Wenn er gestorben wäre, dann als Märtyrer. „Was ist passiert?“, zischte Karin und drückte seinen Arm leicht zusammen. „Dein Vater meinte nur etwas von Verlobung und Internat, ich habe ihn nicht verstanden, weil ich gerade durch einen Tunnel gefahren bin.“ Sasuke schaute ihr in die blauen Augen und las darin das, was er schon immer in einem solchen geschminkten Gesicht erkannt hatte: Lügen. Er wusste schlichtweg, dass sie ihn anlog, denn ihre Stimme war zu gereizt, als dass man daraus Besorgnis hätte heraushören können, ihre Augen zu fest zusammengekniffen, als dass man daraus Angst hätte sehen können, ihr Mund zu fest zusammengepresst, als dass man Schock hätte erkennen können. „Tu lückst“, krächzte er und sein Hals kratzte wie verrückt. Er wusste, wieso er heiser war: Das Medikament gegen die Schmerzen betäubte auch einen gewissen Teil seiner Zunge, da es oral eingenommen wurde, seine Arme waren deshalb so taub, weil das Mittel stark wirkte. Karins blaue Augen weiteten sich zusehends und kaum merklich grinste er. Sie wurde nervös. Die Rothaarige strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und kreuzte die Beine übereinander. Ihre Finger hatte sie ineinander verharkt, doch ihr Daumen wanderte steht’s über ihre manikürten Fingernägel. „Nun, du hast Recht.“ Schlicht und einfach. Kurz schien sie zu zögern, doch dann räusperte sie sich leise und fuhr mit fester Stimme fort: „Nichtsdestotrotz steht die Verlobung, der Termin ist ausgemacht, die Einladungen laufen auf Hochtouren und dein Vater meinte, es wäre unumgänglich für die Kooperation der beiden Firmen. Du wirst für zwei Monate verreisen und wenn du zurückkehrst, ist es soweit. Deinen Vater wirst du vorher nicht mehr sehen.“ Schnaubend ballte Sasuke die rechte Hand zur Faust zusammen, damit sie seine Wut nicht registrierte. Er wollte ihr sagen, dass es ihm so was von scheißegal war, ob er sie heiraten musste, ob sie ein Model, ein Engel oder der Teufel höchstpersönlich war, dass es ihm außerdem scheißegal war, wenn sein Vater abkratzen würde. „...“ Aber alles was er zustande brachte, war ein bemitleidendes Krächzen. Er hatte verloren. Stumm drückte er auf einen Knopf, dessen Funktion darin bestand den Kopfteil nach unten oder oben zu neigen, schloss die Augen und ignorierte die nächste Frage Karins. „Was wirst du antworten, wenn wir vor dem Traualtar stehen?“ Die Wahrheit war, dass er seine Antwort schon längst gefunden hatte. Mit einem zufriedenen Lächeln kippte sein Kopf zur Seite. Sasuke Uchiha war eingeschlafen. Stumm gehst du den weiten Weg wieder zurück, hast die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und kickst Steine, die vor dir liegen zur Seite. Ab dem Zeitpunkt, ab dem du die Tür seines Zimmers geschlossen hast, hast du auch einen Teil deines Herzens bei ihm gelassen. Den Teil, der ihn liebt. Mit all seiner Kraft. Angeblich. Tränen bannen sich ihren Weg Richtung Boden, tropfen auf den Asphalt, manchmal auf das Gras. Worte könnten deinen Schmerz nicht kleiden. „Das wirst du noch bereuen, Sakura“, scheint der Wind zu heulen und du könntest schwören, dass du Karins Stimme gehört hast. Deshalb lässt du ihn gehen. Dein Schmetterling, oh dein wunderschöner Schmetterling. Der Wind zerzauste sein schwarzes Haar und zerrte an seinem weißen T-Shirt. Der Koffer, der neben seinem rechten Fuß lag, wog schätzungsweise mehr als eine Tonne. Er hatte nicht darauf geachtet, was er hineingepackt hatte und es würde ihn nicht wundern, wenn er sogar seinen Schianzug darin finden würde. Zwei Monate und dann würde er für ein spektakuläres Comeback sorgen, das hatte er sich selbst versprochen, nachdem er gestern aus dem Krankenhaus entlassen worden war. „Zwei Monate“, flüsterte er und registrierte, wie eine Frau mittleren Alters auf ihn zukam. „Steigen Sie ein, Mr. Uchiha. Hier draußen auf der Landebahn kann es ziemlich kalt werden.“ Sie hatte Recht. Es sind schon etliche Tage vergangen, Wochen, wenn nicht gar Monate. Hier in der Isolation verliert man das Zeitgefühl einfach viel zu schnell. Stunden werden wie Minuten, Minuten wie Sekunden, Tage gleichen einander wochenlang, ein Monat ist schnell vorbei. Du bist nicht mehr der Mittelpunkt des Opferplaneten, jetzt bist du nur mehr ein graues Mäuslein, angemalt in Grauabstufungen, kein Farbklecks ziert dein Antlitz, du bist ein Nichts und ein Niemand und mehr als das. Beziehungsweise weniger, denn nicht einmal ein Niemand bist du, ein Niemand ist ja auch jemand, also existierst du nicht. Du wirst von niemandem mehr wahrgenommen, gelegentlich hörst du deinen Namen, aber oft, ja nahezu ständig, versinkst du in dem Lärm der Klasse und wirst einfach nicht mehr registriert. Die Rache Karins, die dir der Wind ins Ohr gesäuselt hat, ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sie nach deinem Schlag zwei Wochen lang gelegentliches Nasenbluten hatte und ihre Karriere als Model durch die schiefe Nase gefährdet war, hat sie es dir heimgezahlt und dabei die volle Punkteanzahl erreicht, ja, sie hat sich sogar selbst übertroffen, dir noch eines reingewürgt und dich zu dem gemacht, was du heute bist. Dafür, dass deine Reaktion auf ihre Boshaftigkeit so milde ausgefallen ist, war ihr Treffer auf einer Skala von eins bis zehn, eine glatte elf! Ohne viel herumdiskutieren. Sie hat es geschafft. Geschafft, dass du dich vom Mittelpunkt des Opferplaneten zu einer grauen, unscheinbaren Maus verwandelst, nächtelang wach liegst, kein Auge zubekommst, du dich immerzu paranoid umsiehst, ob dir niemand folgt in einem schwarzen Auto und oft hast du dich dabei erwischt, wie du selbst beim Aussprechen ihres Namens einen Kälteschauer bekommen hast und dich die blanke Panik gepackt hat. Zuerst hat sie dir gedroht, hat sich von hinten an dich herangepirscht, lautlos und unvorhersehbar, nur um dich dann mit ihren Reiszähnen zu packen, fest zuzubeißen und dich zu schikanieren, bis du langsam selbst an dir zum Zweifeln angefangen hast. Zuerst hat alles damit angefangen, dass Sasuke für zwei Monate weggegangen ist, um bei „Besprechungen der Firma seines Vaters“ dabei zu sein, wie sie es formulierte. Am Anfang schien noch alles harmlos. Kleinere Zickenkriege und Verspottungen waren der Grundbaustein ihres Plans gewesen und oh, du hättest ihr nie im Leben einen so hohen Intelligenzquotienten zuordnen können, aber nun weißt du es ja besser. Phase zwei war härter. Karin und Anhängsel haben dir nach der Schule aufgelauert, natürlich wussten sie, wo du vorbeigehen musstest, um den Heimweg anzuschlagen. Ein kleines Stückchen deines Weges war kaum begeh-, geschweige denn befahrbar und so verirrte sich fast niemand hierher. Die rote Furie hat auf dich gewartet, getarnt hinter einem Baum oder Busch hat sie dir aufgelauert und ist dann auf dich losgegangen, wie eine Antilope. Von hinten hat sie deine Schultasche gepackt, sie zu Boden gerissen, aufgeklaubt und auf dem feuchten Boden ausgeleert. Sie ist auf deinen Stiften herumgetrampelt, hat auf deinen Büchern und Heften Abdrücke ihrer schwarzen Sohle, die beschmutzt war durch Dreck, hinterlassen und dich schließlich ausgelacht. Mit ausgestrecktem Zeigefinger hat sie sich krumm gelacht, ihre Freundinnen haben es ihr nachgemacht und du bist nur dagestanden, hast dich ruhig verhalten und gehofft, du würdest ungeschoren davonkommen, aber nein. Nein. Wie wir bereits alle wissen, hattest du noch nie sonderliches Glück, also wundert uns auch das nicht mehr. Du bist ihr also nicht entlaufen, sie hat dich nicht in Ruhe gelassen, sie hat mit dir zu einer andere Zeit an einem anderen Ort weitergemacht. Nach ein paar Tagen war es ihr zu langweilig, immerzu auf deinen Schulsachen herumzutrampeln und so hat sie sich Phase drei zusammengebastelt. Dein liebster Teil. Einmal warst du auf der Toilette, um das zu tun, was man normalerweise auf einer Toilette tat und dann ist sie aufgekreuzt und hat nach dir gerufen. Ein Kloß bildet sich in deinem Hals, deine Kehle ist auf einmal ganz trocken und deine Herzfunktion beschleunigt sich, als du daran zurückdenkst. „Sakura“, hat sie fröhlich gezwitschert, und dabei das U in die Länge gezogen. Entsetzen hat dich damals gepackt, hat jeden Muskel in deinem Körper gelähmt, du hast die Luft angehalten in diesen zwei Quadratmetern und hast gebetet, dass sie verschwindet, aber das ist sie nicht. Nein. Als du nach oben geblickt hast, hat sie über die Tür zu dir rübergespäht, hat dich glücklich angegrinst und einen Schlüssel in den Händen gehalten und dir über den Kopf gewedelt. Gerade, als du die Türklinke runterdrücken wolltest, hat etwas „Klick“ gemacht und sie bewegte sich nicht einen Millimeter. Damals hat kein Ton deine Lippen verlassen und jetzt, nach so langer Zeit, bringst du wieder keinen Mucks über die Lippen, deine Zunge bewegt sich nicht einen Millimeter und du hast Angst, dass sie eingeschlafen ist, denn du spürst nichts, außer Panik und Angst, als du an diesen Moment zurückdenkst. Du hast nichts tun können, außer springen, um nach diesem gottverdammten Schlüssel zu greifen, aber immer, als du so weit warst, immer, als du ihn schon fast berühren konntest mit deinen Fingerspitzen, hat sie ihn weggezogen, sodass deine Hoffnung immer und immer mehr in den Keller gesunken ist. „Ich wünsche dir eine gute Nacht“, hat sie damals ausgerufen und dabei aus tiefster Kehler gelacht und dann hast du ein erneutes „Klick“ gehört und alles war dunkel. Durch das Fenster, das am Ende des kleinen Gangs war, konntest du schemenhaft deine Hände vor deinen Augen ausmachen und dir deine Chancen ausrechnen, über die Toilettenwand zu klettern. Und deine Chance war mickrig klein gewesen, aber du hast trotzdem die Zähne zusammengebissen und bist auf die Klobrille gestiegen und hast es versucht. Mit deinen Händen hast du dich an dem Rand der Wand festgehalten und versucht, dich aufzustemmen, während sich die scharfe Kante in deine Handflächen gebohrt und eingeritzt hat. Nach unendlosen Sekunden hattest du keine Kraft mehr, hast losgelassen und dir dabei die Stellen um deine Pulsadern herum aufgeschürft und bist zu Boden gesunken. Tränen haben deine Augen verlassen, immerzu auf dem Weg nach unten, so will es die Schwerkraft und irgendwann hast du dich zusammengerollt, auf die Fliesen gelegt und bist eingeschlafen. Die dicken Tränen tropften dir ins Haar, in das stumpfe, glanzlose Haar und sickerten dort ein, während dein lautloses Wimmern niemand gehört, absolut niemand. „Oh mein Gott!“, hat dich eine Stimme aus deinen Alpträumen gerissen und du hast deine Seelenspiegel kaum aufbekommen, so verklebt waren deine Wimpern, aber du hast den schemenhaften Umriss einer Person mit feuerrotem Haar ausmachen können und dann hat es einmal hell geblitzt und „Oing, oing“ gemacht und du bist dir bis heute nicht sicher, ob du das gewesen bist oder die Kamera des Teufels höchstpersönlich. Das Foto von dir mit aufgeschürfter Haut, blutigen Händen und zerzaustem Haar hat gleich die Runde gemacht. In weniger als zehn Sekunden war dein Foto auf sämtlichen Internetportalen zu sehen und auch hat dein Bild es geschafft, für eine halbe Stunde im Flur zu hängen. Die Schule hat sich schließlich mit deinen Eltern, die ihre Nacht bei irgendwelchen Freunden verbracht hatten, darauf geeinigt, die Täter nicht aufgrund der Verbreitung des Fotos zu verklagen, denn sonst wärst du von der Schule geflogen, ausgerechnet das Opfer, aber es wäre ja äußerst bedauerlich gewesen, dich aus dem Umfeld deiner ach-so-guten Freunde zu reißen. Welch eine Ironie! Zum Kotzen! Nächtelang liegst du seit Phase drei schlaflos im Bett, windest dich von einer Seite zur anderen, schreckst manchmal aus deinen Gedanken auf und blickst dich suchend um, ob sich eh niemand versteckt. Einmal hast du sogar unter dein Bett nach einer versteckten Kamera gesucht und auch im Schrank hast du nachgesehen. Jede Nacht seit diesem Tag weinst du dich in den Schlaf, dein Wille ist gebrochen, sie hat es innerhalb von zwei Monaten geschafft. Am liebsten würdest du ihr eine Urkunde mit diesem Drogenjunkie-Foto aushändigen und ihr gratulieren, Kuss links, Kuss rechts und viel Ta-ram-ta-tam um weniger als einen Niemand. „Hey, Karin, krieg ich ein Autogramm von dir?“, würdest du von dir geben, schüchtern und mit roten Wangen, welch ein Privileg mit so einem Star sprechen zu dürfen. „Aber natürlich“, würde sie sogleich antworten und dir einen Pfeil auf die hohe Stirn malen, der nach unten zeigt und „Loser“ daneben hinschreiben. Ja, das wäre aber nett von ihr. Phase vier war weit harmloser, aber dafür umso mehr Rufschädigender für dich und deine Eltern. Ihr wart zufällig, natürlich rein zufällig, in demselben Lift eines Einkaufshauses. Genauer gesagt, hast du so schnell wie möglich auf den „Zu-Knopf“ des Liftes gedrückt, um die Türen zu schließen, noch bevor sie hineinschlüpfen konnte, aber oh, welches Pech! Karin war eben eine schlanke und äußerst flinke Person, man vergleiche dieses Beispiel mit dem, der Antilope und hatte es somit noch in den Aufzug geschafft. Gut für sie. Schlecht für dich. „Na?“ Sie grinste süffisant und warf sich ein paar Einkaufstaschen über die Schulter. „Hier, um zu entspannen?“ Natürlich hast du sie ignoriert. Mein Gott, was für eine Frage, es war bloß dumm, dass der Lift seitlich mit Spiegeln ausgestattet gewesen ist. Pa-Ra-Ra-Raaaa. Dramatische Hintergrundmusik. „Hallo?!“ Anfangs strahlte sie noch mit der Glühbirne um die Wette, doch dann wurde sie ernst und drückte auf STOP. „Hast du deine Lektion gelernt?“ Eisern schwiegst du und sahst dir deine Schuhe an, die an der Spitze leicht beschmutzt waren. Karin ist nach der „Ich helfe dir, deine Schultasche zu sortieren“-Aktion auch auf deinen beigen Schuh gestiegen. Na, siehst du! Du hast also doch eine Erinnerung an deine beste Freundin! Wie schön... und jetzt nehmt euch an den Händen und singt ein gemeinsames Lied. Und eins und zwei und drei und los. „Ja.“ WAS? „Schön“, murmelte sie und strich sich eine lange Haarsträhne hinters Ohr. Der Lift fuhr wieder nach unten. Du zähltest nur deine Atemzüge, zähltest bis fünfzehn, bis sich die Türe öffnete und erboste Securitys von einer Person zur anderen blickten und ihnen klebte eine Frage förmlich im Gesicht. „Sie hat auf STOP gedrückt, mein Gott, ich weiß nicht, was los ist mit ihr!“ Theatralischer Seufzer und ein anklagender Blick. Nein, drei. „Warst du das?“ Der Mann mit dem schütteren, grauen Haar sah dir freundlich in die Augen, merkte dir den Schock und die Erschrockenheit an, doch nach deinen Worten sind seine Augen geweitet und augenblicklich verblasst sein Lächeln, sein Verständnis. „Ja, ich war das.“ Und du glaubst es selbst nicht, du traust deinen Ohren nicht, die in deinem Kopf festgewachsen sind, du würdest dich am liebsten schlagen, deinen Kopf gegen die Spiegel hauen, so lange, bis dir dein Mund und deine Ohren und oh, am liebsten noch deine Augen aus dem Kopf fallen und du ein Monster mit sechs Löchern in der Visage bist. „Dann müssen Sie jetzt mitkommen.“ Ihr fieses Grinsen bohrte sich in deinen Rücken und hinterließ zwei blutige Löcher. # Ursprünglich waren noch zwei Kapitel und der Epilog geplant, aber die beiden Kapitel sind jetzt ein gemeinsames geworden. Der Epilog folgt in wenigen Tagen, denn er ist bereits fertig. Epilog: Graue Asche und Lichtstrahlen. -------------------------------------- Mittlerweile ist jetzt alles zu reiner Gewohnheit geworden. Jeden Tag weinst du dich in den Schlaf, du lächelst noch weniger als zuvor, deine Miene verrät, außer einem gewissen Grad an psychischer Instabilität nichts, deine Augen sind glasig und mit Adern durchzogen. Dein Mund bewegt sich wie von selbst auf und zu und du schaffst es beinahe nicht, deinen Kopf ruhig zu halten. Die schlaflosen Nächte fordern also doch sein Tribut. Der Schwarzhaarige ist jetzt mittlere drei Monate unterwegs, lernt von irgendeinem anderen Land aus euren Stoff, aber mit seinem IQ muss er sich alles nur einmal durchlesen, bevor er es versteht und anwenden kann. Karin hat dich in Ruhe gelassen. Nach Phase vier und fünf, das gelegentlichen Krieg mit Papierkugeln bedeutete, hat ihr Interesse an dir nachgelassen. Warum dein bester Freund nicht da war, um zu helfen? Er hat seinen Traum erreicht. Ein Sport-Stipendium, das für ihn die Versetzung in ein Internat bedeutete, aber das ist schon Ewigkeiten her, längst zählst du die Tage der Isolation nicht mit. Heute sitzt du auf deinem Sessel, weder schreibst du mit, noch konzentrierst du dich auf den Unterricht. Dein Blick ist auf den Schulhof gerichtet, draußen schüttet es aus Kübeln und spiegelt dein Innerstes genau wieder. Hoffnung scheint es keine mehr zu geben, die Augen sind glanzlos und mit einem schwermütigen Schleier durchzogen. Die Tür geht auf und du weißt, wer den Raum betreten hat. Er ist wieder da, du schaust nicht hin, er soll nur deinen Hinterkopf in seinem Blickfeld haben, das glanzlose, stumpfe Haar betrachten, sehen, was aus dir geworden ist. Müde lehnst du den Kopf an deine Hand und hörst bloß, wie Karin leise auf ihn einredet, versucht, ihre Fröhlichkeit zu überspielen, wie ihre Heuchelei, ihn endlich wieder zu sehen auf allgemeines Kichern in der Klasse stößt und eine kaum ernst gemeinte Ermahnung des Lehrers. Alles geht wieder seinen normalen Gang. Er ist also wieder da, das Pärchen ist vereint und dein Haar hat sich dadurch trotzdem nicht verändert. Es ist auch weiterhin rosa, glanzlos und stumpf, es hängt einfach so runter, ohne irgendein erkennbares Volumen. Man könnte meinen, es wäre tot. Hundertsiebzig Augenpaare starren von einer Person zur anderen, blicken vom Bräutigam zur Braut, die Kameras sind alle bereit, das Licht, das Aufnahmebereitschaft zeigt, blinkt unaufhörlich, die Gäste warten gespannt auf eine Antwort. Auf irgendeine Antwort und er lächelt. Das erste Mal seit Monaten lächelt er. Die Kameraleute und Gäste grinsen ebenfalls. Karin atmet erleichtert auf. Die ganze Welt scheint still zu stehen, die Luft anzuhalten, alle miteinander warten sie vereint in einem Gefühl: Der Erwartung. „Nein, ich will nicht.“ Und der ganze Saal schien froh darüber. „Ich habe hier einige Briefe für Sie“, sprach der Fahrer seiner Limousine und überreichte ihm zwei Umschläge. Auf einem war der Stempel der Uchiha Company aufgedrückt, auf dem anderen in krakeliger Schrift sein Name und seine Anschrift geschrieben. Er entschied sich für den zweiten Brief und öffnete ihn mit wachsenden Erwartungen. Er hatte keine Briefe erwartet. Vor Allem deswegen nicht, weil Karin davon geredet hatte, das in Angriff zu nehmen und sie für ihn aufzubewahren, bis er zurückgekehrt war. Deshalb überraschte ihn auch der Absender am meisten: Naruto. Wie ich höre, heiratest du... Mein Beileid. Wie ich höre, heiratest du Karin... Du Idiot! Auf Sasukes Gesicht zeigte sich ein Anflug eines Lächelns. Es ist also wahr, was die Gerüchteküche über euch beide ausbreitet und an dieser Stelle möchte ich dir noch einmal zu deiner Dumm- und Blindheit gratulieren. Also, Gratulation! Ich wette aber, dass du keine Ahnung hast, was für eine Person deine allerliebste Karin ist. In Wahrheit ist. Der Schwarzhaarige knurrte leise. Er hatte nie gesagt, dass sie seine Allerliebste war. Deshalb möchte ich dir die Augen öffnen und erzählen, wie viele Gräueltaten wirklich an ihr Konto gehen. Zuerst: Sakura weiß nichts von dem Brief und ich wäre dir sehr verbunden, wenn das auch so bleibt, sie würde ansonsten nur an die Decke fahren. Zum Zweiten: Ich habe endlich das Stipendium bekommen und bin mittlerweile in einem hoch angesehen Internat. Sasuke registrierte schmunzelnd, dass Naruto einen Smiley mit wirren blonden Haaren, blauen Augen und gerecktem Daumen neben diesem Absatz gezeichnet hatte. Deine Glückwünsche kannst du mir nachher mitteilen, vorher aber muss ich dich noch von den Pforten der Hölle losbinden. Karin schikaniert Sakura, seit dem Tag, an dem du gegangen bist. Nein, es ist nicht so harmlos, wie es sich anhört. Und während er weiterlas, weiteten sich seine dunklen Augen. Nachdem er mit den vier Seiten Text geendet hatte, seufzte er einmal tief. Sasuke öffnete den zweiten Brief, der von seinem Vater stammte. Ich weiß, dass ich viel falsch gemacht habe in diesen Jahren, aber du solltest wissen, dass ich deine Mutter von ganzem Herzen geliebt habe und nicht für ihren Tod verantwortlich bin. Als du mich an jenem Tag so von der Seite angemacht hast Der Schwarzhaarige lachte. Seit wann benutzte denn sein Vater solche Ausdrücke? habe ich mich daran erinnert, wie verliebt deine Mutter und ich waren, als wir geheiratet haben, nachdem uns unsere Firmen ebenfalls vereint haben. Das hat mich wütend gemacht. Ich verspürte eine unbändige Wut auf dich und darauf, wie undankbar du bist. Eine Firma wollte ich dir praktisch schenken, aber du wolltest deine Pflicht als Sohn nicht wahrnehmen und dann fiel es mir wie Schuppen vor den Augen: Wir hatten zwar auch den „Befehl“, zu heiraten, doch haben wir das gerne gemacht, weil wir uns näher kennengelernt haben und feststellten, dass wir füreinander da waren. Ich schloss also einen Bund mit einer Person, die ich wirklich liebte. Ich hatte Glück. 22 Jahre haben wir in Harmonie und Liebe verbracht und dann begannen die Probleme. Sasuke schluckte hörbar. Das Interesse an der Firma ließ nach. Die Sabakuno GmbH sollte unser Wiederaufstieg sein, doch haben auch sie in letzter Minute den Vertrag abgeblasen. Deine Verlobung war nie geplant, aber Bob hat darauf bestanden. Er meinte, es wäre unser finanzieller Ruin, wenn wir keine Vereinigung mit ihnen eingehen würden und das ginge nur, wenn ihr beiden heiraten würdet. Nachdem ich aber nach Monaten, in denen ihr zusammen wart, noch immer nicht das Gefühl hatte, dass du das wolltest und dass du Karin wirklich liebst, habe ich meine Bedenken Bob geäußert. Er meinte bloß, dass ich dann ja mit dem Packen anfangen könnte und ich gab auf. Es sollte kommen, wie es kommen musste. Ich weiß, das alles hört sich unglaublich altmodisch und entfremdend an, aber das ist die volle Wahrheit. Sasuke, ich bitte dich um eins: Mach aus deiner Hochzeit ein richtiges Comeback. Tu es für deine Mutter. Sie hat ihr Leben hierfür geopfert. Er zog ein Foto, das die Firma in ihren alten Zeiten darstellen sollte, aus dem weißen Kuvert heraus. Er hoffte, dass er den Wink seines Vaters richtig verstanden hatte. Sasuke lehnte sich zurück und schloss die Augen mit einem zufriedenen Seufzen. Du trittst den Heimweg an, stoppst, wenn du eine schöne Blume entdeckst, vertrödelst deine Freizeit, aber das Beobachten ist nun zu einer normalen Angewohnheit geworden. Längst ist es nicht mehr wichtig, früh zu Hause zu sein, es erwartet dich sowieso immer dasselbe, egal, ob du drei Stunden früher oder später ankommst: Leere. „Schön“, flüsterst du, als du einen Kirschbaum erblickst, durch dessen Kronen das Sonnenlicht auf dein Gesicht scheint, die Strahlen reflektiert werden durch die Tropfen, die auf den Ästen haften und dann einige zu Boden tropfen. Du schreckst, als dir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter legt. „Mädchen, erhebe dich aus der Asche. Es ist nicht alles grau und trist... auch wenn es anfangs so scheint.“ Du blickst in ein Augenpaar und in ein freundlich verzogenes Gesicht, das geschmückt ist durch schütteres, graues Haar und du folgst seinem ausgestreckten Zeigefinger. Er zeigt auf Sasuke, der etwas, was einem Sakko oder einer Jacke ähnelte, locker über die Schulter geworfen hatte. Seine linke Hand hatte er in die schicke Tasche der Hose vergraben. Du lächelst. „Sasuke!“, schreist du und winkst ihm lächelnd zu, als er den Kopf anhebt und dich aus schwarzen Augen fixiert. Der Sicherheitsmann hatte Recht. E N D E ... ... denn du hast dich endgültig entschieden, zu kämpfen. Ein offenes Ende :> Weil ich euch bis jetzt noch nie um Kommentare gebeten habe, möchte ich euch jetzt aber höflichst um ein Feedback bitten. Bitte sagt mir, was ich verbessern könnte, was euch gefällt, was nicht, was besonders scheußlich ist. Es hilft einem wirklich! Dank gebührt meinen Kommentatoren. Euer Lob hat mich dazu angetrieben, in fast jeder Woche ein neues Kapitel hochzuladen. Mal schauen, vielleicht kommt ja mal eine Fortsetzung. 8-) Cheers! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)