Grow Up von Shunya (Take you to Rio) ================================================================================ Kapitel 11: Alle Welt liebt mich, ich gedenke es dabei zu belassen. ------------------------------------------------------------------- Wissen ist Macht. Ob das wirklich stimmt? Die meisten Menschen hat ihr Wissen eher ins Verderben gestürzt. Dinge über die sie nichts wissen durften. Dinge, über die sie wussten und ihre Mitmenschen in Gefahr gebracht hatten. Was also war so gut am Wissen? Ich wusste bisher nur, dass mir Calvin mit seinem geballten Wissen so langsam auf die Nerven ging. Ich konnte mich sowieso nicht konzentrieren. Noch immer musste ich ständig an Elias und Ryans Beziehung denken und jetzt war ich auch noch erkältet. Mein Hals war angeschwollen, meine Nase versuchte mir davonzulaufen und meine Augen tränten unerbittlich. Ich hatte leichtes Fieber, zum Glück nicht so schlimm. Wieso hatte ich in diesem Zustand Unterricht?! Das war die reinste Folter!!! Fröstelnd zog ich die Beine an und zog die viel zu dünne Decke enger um mich. Meine Konzentration war gleich Null. Meine Laune war eh im Keller und mein Schädel war nahe daran zu explodieren. Kurzum, ich war nicht in der Lage, irgendetwas in mein Gehirn aufzunehmen. Zumindest heute! „Sam, das ist eine ganz einfache Aufgabe! Was gibt es da bitte nicht zu verstehen?“, fragte mich Calvin verständnislos. „Vielleicht ist mein Gehirn für Chemie nicht ausgestattet. Was soll ich damit überhaupt, dass werde ich doch wohl kaum je gebrauchen können.“, murrte ich schniefend. Konnte nicht irgendjemand vorbeikommen und mich erlösen? Elias zum Beispiel. Der hatte heute ja leider Führerscheinstunde. Und wenn ich die Wahl hatte, zog ich definitiv Calvins Unterricht vor. Ich war doch nicht Lebensmüde! Mit dem Irren würde ich so schnell nicht mehr fahren. Hoffentlich stellte ich mich später besser an, als er. Elias war auf der Straße eine Bedrohung, selbst für den kleinsten Wurm. Ich ignorierte Calvins Predigt, wie wichtig es doch war Chemie zu lernen und wofür sie gut sein konnte und beobachtete Cha Cha, bei seiner Abenteuerreise durchs Aquarium. Vielleicht sollte ich ihn freilassen? Er führte eh schon ein tristes und ödes Leben. „Calvin, lass uns zum Meer fahren.“, meinte ich abwesend. Calvin sah mich verständnislos an. „Dir ist schon klar, dass du am Meer wohnst?“ „Nicht hier. Irgendwo abseits.“, meinte ich und sah ihn mit geröteten Augen an. „Du bist krank, dich nehme ich bestimmt nirgendwo hin mit. Nicht, dass du jemanden noch ansteckst.“, meckerte Calvin entrüstet. Er selbst kippte sich vorsichtshalber schon eine ganze Weile mit allen möglichen Tabletten voll, nur um nicht von mir angesteckt zu werden. „Ich halt's hier im Haus aber nicht aus. Es ist sterbenslangweilig und ich will nach draußen. Es hat endlich aufgehört zu regnen, dass muss man ausnutzen!“, maulte ich gekränkt. Calvin schüttelte nur den Kopf. „Auf keinen Fall! Das kann ich nicht verantworten!“ Und damit war das Thema für ihn beendet. Für ihn vielleicht, für mich nicht. Wenn er nicht wollte, dann musste ich eben einen anderen Weg finden. Ich war ziemlich versteift auf meinen Plan und wollte mich nicht mehr davon abbringen lassen. Wenigstens Cha Cha Nummer 10 musste in die Freiheit! Nur wie sollte ich das anstellen? Einen Führerschein hatte ich ja noch nicht. Elias' Fahrstil war mir nicht geheuer und Calvin wollte mich nicht weglassen. Ob Hanna fahren konnte? Ich wusste nicht mal, ob ihr ein Auto zur Verfügung stand. Einen Versuch war es jedenfalls wert. Konnte ja nicht schaden, mal nachzufragen. Nach einer ganzen Weile, in der ich nichts weiter tat als um eine Pause zu betteln, gestattete Calvin sie mir und zog sich zurück um ein Buch zu lesen. Nicht irgendein Buch, es musste ein Sachbuch sein, denn laut Calvin waren nur solche Bücher tauglich. Ich wusste es nicht, ich war noch nie wirklich belesen gewesen. Dazu fehlte mir einfach die Konzentration. Zumindest hatte ich nun die Gelegenheit und die musste ich unbedingt beim Schopf packen! Ich raste schlitternd über den Fliesenboden. In der Küche fischte ich nach einer Plastiktüte, befüllte sie großzügig mit Wasser und lief dann, mit etwas Wasserverlust, rüber ins Wohnzimmer. Dieses setzte ich auch gleich unter Wasser, aber mir war ja bekannt, dass Wasser auch wieder trocknete, also scherte ich mich nicht weiter darum. Ich griff nach einem Catcher und fischte Cha Cha aus dem Aquarium. „Nicht mehr lange und du bist in Freiheit!“, meinte ich entschlossen. Dies war eine Rettungsmission und ich musste sie erfolgreich abschließen! Komme was wolle! Der Feind war bereits ausgeschaltet. Der Weg war frei und ich konnte meinen Weg fortsetzen. Wir waren im Krieg und ich musste auf der Hut sein! Mit Cha Cha in der Plastiktüte lief ich in den Flur, stieg in meine Sportschuhe und zog mir die Jacke über. Leise öffnete ich die Tür und schloss sie hinter mir. Ich lief die Auffahrt herunter und bog nach links ab, lief die Straße weiter und kam zu einem großen Haus, das meinem direkt Konkurrenz machen konnte. Etwas unsicher stand ich vor der Tür. Sollte ich das jetzt wirklich durchziehen? Mit einem leicht mulmigen Gefühl, drückte ich auf die Türklingel. Als eine Melodie erklang, zuckte ich erschrocken zusammen. Ungeduldig wartete ich darauf, dass mir endlich geöffnet wurde. Ich hörte Schritte und dann wurde mir die Tür geöffnet. Ich machte große Augen. „Sam? Hey, wie geht’s dir?“, rief Hanna freudig überrascht. So richtig konnte ich ihr im Moment nicht antworten. Ich starrte lediglich auf ihre Klamotten. In so einem Fummel habe ich sie bisher noch gar nicht gesehen und ich musste zugeben, dass es ihr gar nicht mal so schlecht stand. Verlegen kratzte ich mich am Kopf. Dann hielt ich die Plastiktüte hoch. „Kannst du mir helfen? Ich will meine Garnele freilassen.“, meinte ich. Irgendwie hörte sich das ganz schön uncool an in meinen Ohren. Hanna lächelte. „Klar, kein Problem. Ich hab heute das Auto zur freien Verfügung und ich habe sowieso nichts vor.“, meinte sie grinsend. Ich atmete erleichtert auf. Was hatte ich doch für ein Glück. Hanna zog sich rasch ihre Jacke über und stieg in ihre Stiefel mit ganz schön hohen Absätzen, wie ich fand. Wie konnte sie darauf laufen? Sie schnappte sich schnell ihre Schlüssel und dann ging sie mit mir im Schlepptau zu dem Hummer, der in der Auffahrt stand. „Wo willst du sie denn freilassen?“, fragte Hanna mich neugierig. Ich überlegte einen Moment. „Irgendwo abseits.“, erwiderte ich zögerlich. Hanna nickte. ◆ ◆ ◆ „Hey, Elias! Ist das nicht dein kleiner Lover?“, fragte Lake überrascht und zeigte mit seiner Hand geradeaus. Elias sah auf. Er war in Gedanken versunken gewesen. Sam war krank und er wollte bei ihm sein und sich um ihn kümmern. Was er jedoch sah, gefiel ihm keineswegs. „Hat sich der Kleine wohl doch eine Schnecke geangelt.“, meinte Lake lachend und schien sich über diese Tatsache prächtig zu amüsieren. Elias antwortete ihm nicht. Er sah nur zu Sam und Hanna und wie sie so fröhlich miteinander umgingen, als wären sie die besten Freunde, womöglich sogar noch mehr. Sie stiegen in ein Auto und fuhren in die entgegen gesetzte Richtung. Elias schluckte. Wieso fuhr Sam mit dem Mädchen weg? War das die von der Sam erzählt hatte? Sam war doch krank, wieso verließ er dann überhaupt das Haus? „Elias? Alles okay bei dir?“, fragte Lake und sah besorgt zu seinem Kumpel. „Komm, lass uns wieder gehen. Der Kleine scheint ja eindeutig anderweitig beschäftigt zu sein.“, meinte er und sah noch einmal in die Richtung, in die sie weggefahren waren. Lake griff nach Elias Arm und wollte ihn mit sich ziehen. Elias bewegte sich kein Stück vom Fleck. „Elias, was ist?“, fragte Lake verwirrt. Wieso kam der Junge jetzt nicht mit? War doch eh keiner mehr da. „...“ „Was ist? Dein Gemurmel versteht kein Mensch, mach gefälligst den Mund auf.“, murrte Lake. „Keiner nimmt ihn mir weg!“, grollte Elias und sah Lake mit hasserfülltem und drohendem Blick an. Lake wich einen Schritt zurück. Er bekam eine Gänsehaut. Was war denn nun auf einmal mit dem Jungen los? „Das hat doch auch keiner gesagt. Beruhige dich.“, meinte Lake abwehrend. Elias trat auf Lake zu und schubste ihn unsanft gegen eine Mauer. „Er gehört mir!! Sam ist mein Freund und keiner außer mir darf ihn anfassen!!!“, brüllte er Lake wütend an. Lake hob überrascht die Hände. „Was regst du dich so auf?! Scheiße! Lass deinen Frust doch nicht an mir aus!“, schrie er verwirrt und schob Elias von sich weg. „Tze!“, brummte Elias nur und entfernte sich ein paar Schritte von seinem Freund. Er ballte seine Hände zu Fäusten. Lake war mehr als überrascht, dass es Elias so sehr zu stören schien. Kaum tauchte ein Mädchen auf der Bildfläche auf, war Elias wie ausgewechselt. Lake hätte nie gedacht, dass sein Freund so besitzergreifend sein konnte. Zumal er noch nicht einmal richtig mit Sam zusammen war. „Hör zu, Elias! Wenn du den Kleinen haben willst, dann reicht es nicht, wenn du ihm ab und an mal beim Wichsen hilfst! Da braucht es schon mehr als eine flotte Hand und ein paar betörende Worte. Dein Kücken hat in Sachen Liebe keinerlei Erfahrung, für ihn sind Mädchen andere Wesen vom Mars und er musste sogar im Internet schauen, wie es Kerle miteinander treiben, um es zu verstehen.“, meinte Lake eindringlich. „Ihr müsst von Punkt Null beginnen, ihr könnt nicht einfach schon morgen in die Kiste springen und vögeln, dass sich die Balken biegen. Das geht nicht.“ Elias sah Lake genervt an. „Und du musst mal was gegen dein loses Mundwerk machen. Was Sam und ich machen, geht dich einen Scheißdreck an!“ Lake nickte. „Mag sein, aber du kennst mich. Ich mische mich gerne überall ein.“ Elias verzog sein Gesicht. „Was hast du jetzt vor? Willst du hier auf ihn warten? Wer weiß, wann er überhaupt zurückkommt?“, fragte Lake und verschränkte die Arme vor der Brust. Elias zuckte mit den Schultern und lief einfach die Auffahrt hoch. Lake folgte ihm widerwillig. „Müssen wir da wirklich rein? Dieser Calvin ist 'n Spießer!“, maulte Lake. Elias grinste nur und drückte auf die Klingel. „Man, Elias! Du kannst einem auch jeden schönen Tag verderben.“ ◆ ◆ ◆ „Sam, wir sind fast da! Wach auf!“, meinte Hanna und rüttelte an meiner Schulter. Ich grummelte nur und drehte mich zur Seite, als etwas auf meinem Schoß waberte. Ich blinzelte und öffnete verschlafen meine Augen. Ich sah auf meine Beine und auf die Plastiktüte mit Cha Cha. War das nur ein Gefühl oder sah Cha Cha mich gerade ziemlich vorwurfsvoll an? Hanna deutete nach vorne und ich folgte ihrem Blick. Wir waren ein ganzes Stück von meinem Heim entfernt. Hier waren viele Klippen und wir konnten die Garnele gut aussetzen, ohne dass uns allzu viele Leute auf die Finger sehen würden. Hanna parkte den Hummer am Straßenrand. Wir stiegen aus und kletterten vorsichtig die steinigen Felsen herunter, was sich bei Hannas Stiefeln als ziemlich ungünstig herausstellte. Sie setzte sich kurz hin und zog einfach die Stiefel aus, ließ sie an Ort und Stelle liegen und folgte mir langsam. Es war noch etwas rutschig vom Regen und ein paar Mal war ich drauf und dran, mich auf die Nase zu legen. „Meinst du, das ist ein guter Platz?“, fragte Hanna mich. Ich nickte. Es war eine ruhige Gegend, hier war nicht viel los. Hier würde Cha Cha es auf jeden Fall gut gehen, war ich der Meinung. „Also dann!“, ich ging in die Hocke, meine Schuhe wurden leicht vom Wasser überspült und es war rutschig von den Algen, die angespült worden waren und sich an die Steine schmiegten. Ich öffnete den Knoten und sah in die Tüte. „Hey, Cha Cha. Hier wirst du es gut haben, ich hoffe, du vermisst mich nicht allzu sehr. Ein schönes Leben und alles Gute!“, sagte ich. Mir fiel es schwer, aber es musste sein. Hanna legte mir eine Hand auf die Schulter. „Lebewohl Cha Cha.“, meinte sie. Ich ließ die Tüte tiefer sinken, bis sie im Wasser verschwand und ließ die Garnele dann einfach raus schwimmen. Das Wasser aus der Plastiktüte kippte ich gleich aus und knüllte sie anschließend zusammen. Hanna nahm sie mir ab und ohne noch großartig etwas zu sagen, starrten wir aufs Meer. Wie lange wir hier saßen wusste ich nicht, aber nach einiger Zeit wurde uns beiden kalt, also beschlossen wir wieder ins Auto zu steigen und heim zu fahren. Hanna sammelte auf dem Rückweg ihre Stiefel ein. „Danke, für deine Hilfe.“ Ich sah sie dankbar an und sie winkte ab. Hanna schüttelte den Kopf. „Hab ich doch gern getan.“, erwiderte sie lächelnd, stieg in ihre Stiefel und als wir beide im warmen Auto saßen, startete sie den Motor. Nur leider sprang er nicht an. Sie versuchte es noch einmal. „Was ist denn jetzt los?“, fragte Hanna verwirrt. Ich zeigte auf ihre Anzeigetafel. Der Tank war leer. Hanna stöhnte und ließ ihren Kopf aufs Lenkrad sinken. „Jetzt weiß ich wieder was ich vorhatte.“, murrte sie. Zögernd sah ich sie an. „Und das alles wegen mir. Sorry.“ Entschuldigend sah ich sie an. Sie schüttelte ihren Kopf, so dass ihre Haare fröhlich in alle Richtungen flogen. „Ist nicht deine Schuld. Ich hab nur nicht mehr daran gedacht. Weiß du, ich bin noch nicht so lange hier und langsam bekomme ich Heimweh.“, gestand sie mir. „Ich vermisse meine Familie. Ich weiß ja, dass ich von mir aus hierher gekommen bin und ein Abenteuer erleben wollte, aber ich habe das Gefühl, dass ich einen Teil von mir in meiner Heimat gelassen habe.“ Ich sah Hanna mitfühlend an. Leider konnte ich ihr nichts aufmunterndes sagen. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und starrte auf die Straße vor uns, die Bäume die den Weg säumten und den wolkenverhangenen grauen Himmel. „Ich kann mich immer noch nicht an den Unfall erinnern. Ich hab das Gefühl, als würde mir etwas fehlen, aber...ich hab auch angst davor, mich wieder zu erinnern. Was ist, wenn ich wieder etwas weiß, dass mich total fertig machen wird. Oder wenn es meine Schuld war, dass ich diesen Unfall hatte. Ich weiß nur, was mir die Leute erzählt haben, aber nicht, was wirklich passiert ist.“, erzählte ich Hanna und nestelte an meinem Hemd herum. Sie drehte ihren Kopf zu mir herum, ließ ihn aber immer noch auf dem Lenkrad liegen. „Aber du bist mutig. Viele Leute wären daran kaputt gegangen. Du nimmst es hin und lebst dein Leben weiter. Du gibst nicht auf und lässt dich nicht unterkriegen.“ Ich sah Hanna in die Augen. Ich presste meine Lippen aufeinander. Vielleicht war es so, aber ich hatte das Gefühl, dass ich Leute damit verletzte, dass ich mich nicht erinnern konnte. Überhaupt, dieser ganze Unfall hätte mir erspart bleiben können. Ich war nicht für Elias da gewesen und meine Familie musste auch ziemlich mit der Tatsache kämpfen, dass ich im Koma gelegen hatte. Ich drehte meinen Kopf weg und sah aus dem Fenster. Ich starrte aufs Meer. Meine Lippen zitterten leicht. Ich schniefte und spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten. „Ich bin nicht mutig. Ich bin einfach nur schwach und erbärmlich...“, brachte ich heiser hervor. „Ich fühle mich wie ein Kleinkind. Ich bin 18 Jahre alt. Ich weiß gar nichts von der Welt da draußen und es macht mir angst. Alle sagen mir, ich muss mich anpassen, aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich kann es niemandem recht machen.“, schluchzte ich und spürte, wie mir die heißen Tränen über die Wangen liefen. „Alles um mich herum hat sich verändert und es ist, als würden alle an mir vorbeilaufen und wenn ich versuche ihnen zu folgen, kann ich mich nicht vom Fleck bewegen. Für die anderen geht das Leben weiter. Nur ich bleib auf der Strecke.“ ◆ ◆ ◆ Es war spätabends, als wir endlich heimkamen. Da keiner von uns ein Handy dabei hatte, mussten wir warten, bis ein Autofahrer so freundlich war und uns mitnahm. Der Hummer musste abgeschleppt werden. Als das Taxi in unserer Straße anhielt, bezahlte Hanna und wir sahen dem wegfahrenden Auto hinterher. Ich sah zu Hanna und wusste nicht wirklich was ich sagen sollte. Hanna trat einen Schritt vor und umarmte mich. Sie legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. Ich war leicht verspannt, es war immerhin das erste Mal, dass ein Mädchen mich umarmte. „Du hast Menschen, die dich lieben und dich so nehmen, wie du bist. Du kannst dich glücklich schätzen, Sam. Du bist nicht allein. Du hast Familie und Freunde. Es passieren viele schlimme Sachen im Leben, aber es gibt auch schöne und unglaublich tolle Augenblicke! Vergiss das nicht!“, meinte sie und zog sich von mir zurück. Hanna lächelte mich an und zog frech an meiner Nase. „Aua!“, schmollte ich und rieb mir die Nase, sobald Hanna los ließ. „Wir sehen uns!“, meinte sie, drehte sich um und ging zu ihrem Haus. Ich sah ihr hinterher, wie sie darin verschwand und die Tür hinter sich schloss. Ich seufzte und sah zu meinem Haus. Ich setzte mich in Bewegung und lief zur Haustür, da ich nicht an die Schlüssel gedacht hatte, klingelte ich. Erstmal kam gar nichts, doch dann hörte ich Schritte. Die Tür öffnete sich. „Sam! Wo warst du?!“, schimpfte meine Mutter mich aufgebracht an. Ich zuckte leicht zusammen. Hatte Hanna nicht eben noch etwas von Liebe gesagt? Meine Mum sah eher aus, als würde sie mich einen Kopf kürzer machen wollen. Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, zog sie mich ins Haus und ich durfte mir eine ewig andauernde Predigt anhören, dass ich das Haus nicht einfach verlassen durfte, ohne vorher etwas zu sagen. Als sie mich endlich gehen ließ, zog ich mir Jacke und Schuhe aus. Ich bemerkte ein paar fremder Schuhe. Sneaker, wer trug die noch gleich? Ach ja, Elias. War er hier? Ich lief durch den Flur, aber im Wohnzimmer war er nicht. War er in meinem Zimmer? Ich ging schnell in mein Zimmer und öffnete die Tür, mit einem Seitenblick stellte ich fest, dass Calvins Tür geschlossen war. Er schlief scheinbar schon. In meinem Zimmer war kein Licht. Es war düster. Ich schlich zu meinem Schreibtisch, wobei ich bei dem Versuch dort hin zu gelangen, meinen Fuß gegen das Bett donnerte. Ich stöhnte schmerzhaft auf und rieb mir die Zehen. Ich humpelte nach vorne und suchte nach dem Schalter meiner Lampe. Ich fuhr mit meiner Hand das Kabel entlang und fand ihn kurz darauf. Ein Klicken und schon wurde mein Zimmer in düsteres orangefarbenes Licht getaucht. Ich bekam einen Schreck und mein Herz wäre beinahe stehen geblieben. Okay, ich hatte mir schon irgendwie gedacht, dass Elias womöglich in meinem Bett liegen könnte, aber das er es wirklich tat, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich betrachtete ihn. Die Decke lag zerknüllt am Fußende und bedeckte nur halb seinen Körper. Sein Oberkörper lag frei und bot einen ziemlich guten Ausblick. Ich sah zu seiner Körpermitte und bemerkte, dass seine Boxershorts leicht herunter gerutscht waren. Wieso nur hatte ich das Gefühl, dieser Anblick gehörte verboten? Ich setzte mich auf die Matratze und hob meine Hand an, legte sie auf zögernd auf Elias Brustkorb und fühlte die warme Haut. Ich ließ meine Fingerkuppen leicht über seinen Körper wandern. Eigentlich wollte ich ihn jetzt nur ungern wecken, aber es musste sein. Immerhin wollte ich ihm doch unbedingt von meiner Heldentat berichten! Ich beugte mich vor und betrachtete Elias Gesicht. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse. Ich vergaß meine Beherrschung und griff mit meinen Fingern nach Elias Mundwinkeln. Dann zog ich sie ihm einfach nach oben, zu einem breiten Grinsen. Ich konnte nicht anders, als laut anfangen zu lachen. Elias wachte grummelnd auf und schob meine Hände weg. „Weißt du eigentlich wie spät es ist?“, meinte er im Halbschlaf und zog mich in eine Umarmung. Meine Hände auf seiner Brust, den Kopf an seinem Hals und mein Körper halb auf ihm liegend, stieg mir die Hitze ins Gesicht. Ich hatte das Gefühl meine Ohren würden brennen. Angetan schmiegte mich an ihn. „Ich hab Cha Cha ausgesetzt.“, murmelte ich und stellte fest, dass Elias wohl ein neues Shampoo benutzte. Ich schloss die Augen und holte tief Luft. Elias roch so gut. Ich spürte seine streichelnden Hände an meinem Körper und entspannte mich. „Du machst mir Sachen. Ich hab mir Sorgen gemacht, du bist doch krank.“, erwiderte Elias und lehnte seinen Kopf gegen meinen. „Wieso hast du mich nicht gefragt?“ Ich hob meinen Kopf und sah Elias entgeistert an. „Weil man bei dir nicht weiß, ob man auch wieder lebend zurück kommt.“ Elias grinste. „Aber ich werde langsam besser. Wo hast du Cha Cha denn hingebracht?“, fragte er mich neugierig und zwirbelte meine Haare in seinen Fingern. „Na, ans Meer. Etwas abseits.“, meinte ich voller stolz. Elias zog die Stirn kraus. „Wieso nicht zu einem Züchter, oder einer Tierhandlung? Im Meer setzt du ihn doch allen möglichen Gefahren aus, Garnelen sind leichte Beute.“, klärte er mich auf. Ich sah Elias entgeistert an. „Ich hab was?!“, brüllte ich entsetzt. Hieß das etwa, ich habe meine Garnele als lebendiges Menü den Aasgeiern im Meer vorgesetzt? Statt ihr das Leben zu schenken, hab ich sie direkt in den sicheren Tod geschickt! Ich setzte mich ruckartig auf und verlor dabei das Gleichgewicht, polternd fiel ich zu Boden. Ich blieb einfach liegen und sah zu Elias, der näher zu mir heran kroch. Er grinste. Ich konnte nicht anders und musste über meine eigene Naivität lachen. „Hahahaha...das nächste Mal informiere mich bitte vorher!“ Lachend kugelte ich mich auf dem Boden. Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich bekam mich kaum noch ein. Als ich mich wieder beruhigt hatte, sah ich schwer atmend zu Elias auf. „Komm ins Bett.“, säuselte er und streckte mir seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und er zog mich zu sich. Ich krabbelte aufs Bett und direkt in seine Arme. Elias zog die Bettdecke über uns und drückte mich fest an sich. ◆ ◆ ◆ Mitten in der Nacht ertönte auf einmal ein lautes klirren. Erschrocken wachte ich von dem schepperndem Geräusch auf. Was war das? Elias setzte sich neben mir im Bett auf. Er kratzte sich am Kopf und gähnte. „Was war das?“, fragte er verwirrt. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hörte hastige Schritte auf dem Flur. Was war passiert? Elias befreite sich von der Bettdecke und ich tat es ihm gleich, als er das Bett verlassen wollte. Wir liefen zur Tür, wobei ich mich ängstlich hinter Elias versteckte. Im ganzen Haus war Licht. Calvin kam ebenfalls verschlafen aus seinem Zimmer. „Was ist das für ein Krach?“, fragte er angepisst. Wir sahen ihn nur unwissend an und zusammen gingen wir ins Wohnzimmer. Meine Eltern standen dort und als sie uns bemerkten, kam meine Mutter auf uns zu. „Bleibt hier stehen, es ist alles voller Glasscherben!“, meinte sie aufgebracht und zog ihren Schlafmantel enger um sich. Verwirrt sah ich über Elias Schulter nach vorne. Mein Vater hielt etwas in der Hand. Ich konnte es nicht ausmachen. Ich fröstelte und bemerkte erst jetzt, dass die riesige Glasscheibe in unserem Wohnzimmer zerstört war. Es hingen nur noch Zacken im Rahmen hervor, alles lag auf dem Boden verteilt. „Da ist Blut!!!“, schrie ich entsetzt auf. Hosted by Animexx e.V. 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