F(r)ischluft von Hyoura ================================================================================ Kapitel 1: Monday Morning ------------------------- Müde rieb sich James die verklebten Augen. Die Digitaluhr auf dem Piano schrie ihm in rot leuchtenden Ziffern die Uhrzeit 5:56 zu. Noch vier Minuten, dann würde sein Wecker klingeln. Nicht wirklich nötig, immerhin war er die ganze Nacht wach gewesen. Trübsinnig ließ er den Blick zu der getanen Arbeit schweifen, die es fast ausnahmslos in den Papiermüll geschafft hatte. Mehr oder weniger, so manches zerknülltes Blatt dekorierte auch mal den dunklen Parkettboden. Nur eines hatte die harte Prüfung bestanden und thronte nun auf der Notenablage über den schwarzen und weißen Tasten. Die Ränder ausgefranst und zerknickt, überall durchgestrichene und dann wieder darüber gekritzelte Noten und doch siegreich gegenüber seinen unglücklich verendeten Geschwistern. James hatte das Gefühl, als würde sein Kopf jeden Moment gegen die Klaviertastatur fallen. Nach mehreren mentalen Anläufen schaffte er es schließlich, sich von dem Hocker zu erheben und schleppte sich in die Küche, wo noch die Überreste seines gestrigen Abendbrotes – Spaghetti Bolognese – vor sich hin oxidierten, und schmiss die bereits vielfach benutzte Kaffeemaschine an. Während das leise Gluckern die Küche erfüllte, machte sich James daran, dass übriggebliebene Koch-Chaos zu beseitigen. Schließlich war der Kaffee fertig und mehr oder weniger elegant goss er ihn in eine Metalltasse. Halb liegend, halb sitzend positionierte er sich auf dem Küchenstuhl und blickte den blanken Stahl an, in dem sich eine verzerrte Reflektion seines müden Gesichtes spiegelte. Fast schwarzes, ungekämmtes, verwuscheltes Haar fiel ihm in ungeordneten Strähnen in die Stirn und über die Augen unter denen sich deutliche Augenringe abzeichneten, die ihn älter aussehen ließen als die 27 Jahre, die er eigentlich alt war. Er war etwas blasser, als er es sein sollte – wobei er doch schon unter normalen Umständen nicht unbedingt aussah wie ein eifriger Sonnenanbeter – dafür stachen die dunklen, braunen Augen umso mehr heraus. Gekleidet war er immer noch in Hose und Hemd, beides mittlerweile durch die durchwachte Nacht zerknittert. Ein Blick auf die marinblaue Uhr, die über der Anrichte hing, verriet, dass er bereits eine knappe Viertelstunde damit verbracht hatte, auf dem Küchentisch herumzudösen und darauf zu warten, dass der Kaffee abkühlte. Lustlos stand er auf und tapste barfuß über die weißen Küchenfließen zum Kühlschrank. Eine kalte Brise wehte ihm entgegen, also schnappte er sich schnell seine Lieblingsmarmelade – Himbeere – und machte ihn schnell wieder zu. Zurück zum Küchentisch damit, dann noch schnell einen kümmerlichen Rest Graubrot, Brett und ein Messer herausgesucht und schon konnte das Frühstück beginnen. Juchhu. Nach dem überaus reichhaltigen Frühstück – eine Brotscheibe war für ihn zu dieser Zeit vollkommen ausreichend – kramte er aus dem Kleiderschrank ein schwarzes T-Shirt hervor und warf das zerknitterte Hemd in den Wäschekorb. Der Besuch im Bad ließ ihn erkennen, dass die verwegenen Stubbeln um seine Kinnlinie herum etwas länger waren als angemessen, aber er hatte weder Zeit noch nötige Motivation um sich darum zu kümmern, eine Tatsache, die für ihn mit seinem doch mehr ausgeprägtem Ordnungssinn untypisch war. Aber er war müde und würde froh sein, wenn er den Arbeitstag hinter sich brachte, ohne auf dem Schreibtisch einzuschlafen. Ein gewaschenes Gesicht, geputzte Zähne und gekämmte Haare später schnappte er sich seine Umhängetasche und den schwarzen Trenchcoat Coat vom Kleiderständer und verschwand durch die Tür nach draußen. Ruckelnd kam die Bahn zum Stehen und James drängte sich zwischen alten Männer und Frauen mit schreienden Babies im Arm zum Ausgang. An mit Werbeplakaten zugekleisterten Wänden vorbei über den Aufgang (die Rolltreppe war bereits seit Monaten kaputt und bisher war anscheinend niemand gekommen, um sie zu reparieren) hoch ans Tageslicht. Es war ein eher kühler Herbstmorgen und eine hellgraue, homogene Fläche aus Wolken sperrte die Sonne aus. Die U-Bahn Station hinter sich lassend überquerte er den noch recht leeren Platz, über den nur einige Früheinkäufer und andere Menschen auf dem Weg zu Arbeit strollten. Vor ihm ragte die recht moderne Glasfassade auf, drei Stockwerke hoch, dafür aber nicht sehr breit. Scheinbar willkürlich war quer über das Glas mit leuchtend giftblauer Farbe das Wort 'Soundbolt' geschmiert. Ohne darauf zu achten drückte James die Tür auf und die Wärme des Eingangszimmer empfing ihn. Marcus Vöigirs Handy klingelte. Es klingelte allgemein immer dann, wenn es das nicht tun sollte. Zum Beispiel jetzt, wo er viel lieber schlafen wollte. Unwillig, die Augen zu öffnen, tastete er blind auf dem Nachtschrank herum, stieß dabei fast seinen Wecker um und fand endlich das Handy. „Hier Marcus“, grummelte er verschlafen. „Wo bist du?“, meckert Amanda mit einem gereizten Unterton. „Wir warten schon seit einer halben Stunde bei 'Soundbolt' auf dich und du liegst noch im Bett und verpennst unseren Termin.“ Markus gähnte ausgiebig während Amanda am anderen Ende der Leitung Zeter und Mordio schrie. „Keine Panik auf der Titanic“, sagte er mit einer Hand am Telefon, während er mit der anderen versuchte, sich eine Hose anzuziehen. „Wir sehen uns dann in...“ Er überlegte kurz. „Zwanzig Minuten. Tschüss, Amanda.“ „Wa- Warte, du kannst doch ni-“ Tut tut tut. Marcus steckte das Handy in die mittlerweile angezogene Hose und suchte im Kleiderschrank nach einem ansehbaren Oberteil. Fündig wurde er mit einem beigen Hemd, welches er sich überstreifte und sich dann in das Badezimmer trollte. Er putzte sich die Zähne, rasierte die über Nacht gewachsenen Barthaare weg und richtete die straßenköterblonden Haare einigermaßen so, wie er es wollte. Aus dem Abstellraum kramte er eine Dose Katzenfutter hervor. Vodka, seine schwarze Hauskatze, strich bereits erwartungsvoll um seine Beine herum und hätte ihn beinahe zum Fallen gebracht, als er ihr gefülltes Napf zu ihrem Fressplatz trug. Selber verzichtete er auf ein Frühstück – Amanda würde an die Decke gehen, wenn er sich noch mehr verspätete – zog sich seine Lederjacke an, schnappte sich seinen Bass und die Ausrüstung und verließ das Haus. Wie zu erwarten gewesen war, stand er bereits nach fünf Minuten Fahrt im ersten Stau. Der allmorgendliche Berufsverkehr Hamburgs floss wie immer zäh dahin und mit ihm Hunderte von hupwütigen Autofahrern, die mit ihrem grauenvollen Konzert Marcus Nerven strapazierten. Es war ja nicht so, als würde es schneller gehen, je höher der Schallpegel auf der Autobahn stieg. Im Radio kündigte ein etwas zu fröhlicher Sprecher an, dass im Verlaufe der Woche vielleicht noch mit Sonne zu rechnen war, es heute aber eher zu Nieselregen und durchgehend bedecktem Himmel kommen würde. Der Mann verabschiedete sich zu Gunsten irgendeines grauenvollen Popliedes, dass Marcus ungewollt schon mindestens zwanzig Mal gehört hatte. Endlich schaffte er es von der Autobahn herunter zu fahren und schleppte sich durch die nicht wenig verstopfte Innenstadt Hamburgs. Als er endlich auf den Parkplatz vom Tonstudio Soundbolt fuhr, war er bereits zehn Minuten über seiner angekündigten Ankunftszeit. Schnell schnappte er sich seine Ausrüstung und stapfte über den Kiesweg zum Eingang. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)