Schneeträume von caramel-bonbon (Ich bin das Universum) ================================================================================ Zweiter Teil ------------ Diese fünf Tage schleppten sich in einem Tempo dahin, das schier uner-träglich war. Immer wieder schielte ich zur Schublade, in der ich das Koks, das Mel mir mitgeben hatte, versteckte. Ich durfte nicht anfangen, das auch während der Woche zu nehmen. Bis Freitagabend hielt ich durch. Weil ich wusste, dass ich in vielleicht nur einer Stunde zu meiner Dosis kam. Doch da irrte ich mich. Es dauerte länger. Viel länger. Im Zug bekam ich eine SMS. Sie hatten sich beim zweiten Treffpunkt verab-redet. Mel war auch schon da. Irgendetwas war anders als sonst. Ich konnte nicht sagen was. Es war komisch. Als ich ankam, warteten alle auf mich. Nur einen konnte ich nicht ausfindig machen. Nicht Slash, der war diesmal da, aber Ace fehlte. „Wo is’ Ace?“ „Ace ist tot.“ Stille. Unbegreifen. Ich verstand nicht ganz. Die anderen wussten es schon. Ace war der süchtigste Konsumierende, den ich kannte. Er schwor auf LSD. Und jetzt war er tot. Wir hatten es zwar irgendwie geahnt, dass es eines Tages soweit kommen musste. Aber gerade jetzt. So völlig unerwartet. Slash steckte sich eine Kippe zwischen die Lippen und zündete sie schwei-gend an. Wir warteten. Waren gespannt. Wollten wissen, was passiert war. Slash wusste es ausser Alpha als einziger, wollte es aber nicht erzählen, bevor ich nicht da war. Ace starb nicht an den Trips. Er war auch Kokser. Seit über zehn Jahren. Vor einigen Wochen war er schon einmal beim Arzt gewesen. Zerfressene Nasenwand. Kam vom Koks. Die Hirnblutungen wurden zu spät festgestellt. Oder gar nicht. Er starb ganz allein in seiner kleinen Wohnung an einem Schlaganfall, den Folgen von Hirnblutungen. Scheisse. Meine Hände wurden feucht. Ich hatte plötzlich kalt. Hatte ich Angst? Spüren tat ich nichts mehr. Nichts ausser Leere. Dunkle, kalte Leere. Ich suchte Mels Blick. Sie versuchte stark zu sein. Ihre Tränen zu unterdrü-cken. Matti hatte sein Gesicht an ihrer Schulter vergraben. Für ihn war es be-stimmt der grösste Schock. Er hatte Ace immer verehrt, ihn geliebt. Wie einen grossen Bruder. „Ich glaube, ich geh nach Hause.“ Ich wusste nicht, ob ich das aushalten würde. An das Koks dachte ich nicht mehr. Meine Stimme war ungewohnt leise und zittrig. Alpha nickte. „Ja, Kleine, das wäre besser für dich. Matti, du auch.“ Auch er musste seine Stimme stark unter Kontrolle halten. Sie war noch rauer anzuhören als sonst. Die anderen nickten zustimmend. Matti und ich liefen zusammen durch die Stadt. Ich konnte mich von aussen betrachten, wie ich mit gesenktem Kopf durch die Gassen ging. Wenn ich Drogen nahm, konnte ich mich auch irgendwie von aussen be-obachten. Aber es war anders als sonst. Ich war nicht eins mit meiner Umgebung, ich war ein Fremdkörper. Distan-ziert. Nicht dazugehörend. Beziehungslos zu allem um mich herum. Ich kannte mich selber nicht mehr. Am Bahnhof verabschiedeten wir uns wie zwei flüchtig Bekannte. Ich merkte nicht, wie ich einen alten Mann anrempelte, stieg in den Zug, der mich nach Hause bringen würde. Dieses Wochenende wurde zum längsten und monotonsten seit Monaten. Die Zeit dehnte sich aus wie ein Luftballon. Ich wusste nicht, was tun. Ich lag apathisch starrend auf meinem Bett. Zum ersten Mal wurde mir unbewusst klar, dass mir mein Leben ohne die end-wöchentlichen Drogenpartys keinen Spass mehr machte. Ich konnte nichts mehr anfangen mit meinem Leben. Ich fühlte mich wie ein Alkoholiker, der sich selbst erst richtig wahrnahm, wenn er getrunken hatte. Genauso fühlte ich mich erst lebendig, wenn ich wusste, dass es für mich noch zwei oder vier Lines zu ziehen gab. Ohne fehlte mir der Antrieb. Ich hatte nicht einmal Lust, etwas zu essen. Es ging mir echt beschissen. Konnte nichts tun. Dümpelte den ganzen Tag alleine vor mich hin. Mal im Bett, mal vor der Glotze. Ich nahm sogar mal wieder ein Bad. Es war überhaupt nichts Besonderes, nicht so, wie ich gehofft hatte. Ich war nah dran, irgendjemanden anzurufen. Aber ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Also liess ich es bleiben. Die Schublade zog meinen Blick an. Das Coke war noch drin versteckt. Koksen, wenn man schlecht gelaunt ist, sollte man eigentlich nicht machen. Oder war das bei Trips so, ich wusste es nicht mehr genau. Ich stand auf, befand mich plötzlich vor der geöffneten Schublade. Das Coke in meiner Hand. Mechanisch bewegte ich mich auf mein Pult zu. Kramte meine ID hervor. Ich hatte keinen Spiegel. Im Badezimmer war einer. Meine Mutter war zu Hause. Also tat ich so, als ob ich auf die Toilette müsste. Möglichst leise nahm ich den Handspiegel aus der Schublade mit den Haarbürsten. Drückte die Spülung, liess das Wasser kurz laufen. Versteckte den Spiegel in meiner Trainerjacke. Zurück in meinem Zimmer setzte ich mich nervös an mein Pult. Mein Herz klopfte wahnsinnig schnell. Beinahe verschüttete ich das weisse Pulver über die Tischplatte. Mit der ID zerhackte ich die kleinen Kristalle. Ich tat es nicht ordentlich, konnte es kaum erwarten, endlich eine Line zu ziehen. Mit zittrigen, feuch-ten Händen brachte ich das Coke in seine zwei Spuren. Mir fiel ein, dass ich gar nichts da hatte, womit ich es sniefen konnte. Mel hatte immer Röhrchen dabei. Wir benutzten nie Geldnoten. Wegen den Bakterien, hatte Mel einmal gesagt. Ich hatte keine Röhrchen. Aber einmal mit einer Note konnte mich nicht gleich umbringen, andere be-nutzten nur Geld dazu. In meinem Kässeli fand ich eine halbwegs glatte Fünfzigernote. Perfekt. Hastig rollte ich sie zusammen, beugte mich tief über den Spiegel. Das eine Ende der Note in meinem Nasenloch, das andere am Anfang der Line. Mit einem tiefen Atemzug durch das eine Nasenloch zog ich die Spur weg. Wechselte automatisch Nasenloch und Line und zog den Rest in meine Na-se. Mein Hirn explodierte. War vielleicht eine etwas zu dick geratene Line. Es fegte mich richtig weg. Schwebte zur Decke hoch. Scheisse war das geil! So ein Idiot, dieser Ace, wie konnte der nur wegen Koks verrecken? Das war die beste Droge der Welt, verdammt noch mal und der starb einfach weg. Aber was ging das mich an, war mir scheissegal. Aber meine Mam, die hatte ich wirklich extrem lieb. Ich musste es ihr sagen. Ich biss mir auf der Lippe rum. Kaugummi hatte ich keinen. Ich ging nach vorne, wo meine Mutter am Tisch hockte und einen Kleiderka-talog durchblätterte. „Mami, ich hab dich lieb“, sagte ich und umarmte sie. Drückte sie ganz fest an mich. Sie strahlte mich an. Umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich auch sehr lieb, mein Spatz.“ Ihre Augen glitzerten so schön. „Was machst du denn in deinem Zimmer? So alleine?“ Ich kokse Mami, konnte ich schlecht sagen. Aber lügen konnte ich. Kein Problem, ich war Meisterin im Lügen. „Ich lese.“ „Was denn so?“ War ja klar, dass es sie interessierte. „Ach, irgend so ein Buch für die Schule.“ Sie glaubte es mir ohne weiteres, ich grinste sie an. Versuchte mir nicht auf die Unterlippe zu beissen. „Aber ich muss jetzt wieder weiterlesen. Wollte dir nur sagen, dass ich dich lieb hab.“ Noch ein strahlendes Lächeln, dann verschwand ich wieder in meinem Zimmer. Ich konnte sie eben gut aufmuntern, ich sah doch, dass es ihr nicht besonders ging. Aber ich konnte alle aufmuntern. Ich war eben Göttin der Aufmunterung. In meinem Zimmer übte ich Handstand. Ich wusste, jetzt konnte ich es. Ich konnte mein Lachen fast nicht unterdrücken, als ich mir fast das Genick brach. Scheisse, war das komisch. Ich schüttelte mich vor lauter Lachen. Dann dachte ich wieder an Ace und wurde plötzlich traurig. Warum musste dieser Depp denn auch einfach sterben. Ich könnte ihn ver-prügeln. Aber ich wollte gar nicht an ihn denken. Ich wollte nur glücklich sein. Koksen und glücklich sein. Mein Glücksgefühl allerdings ging gerade den Bach runter. Ich schielte zum Koks, das noch auf meinem Pult war. Noch zwei klitzekleine Lines. Nur zwei kleine. Ich hatte ja noch so viel. Es blieb nicht bei der zweiten Runde. Es kam noch zu einer zweiten und dritten. Ich wollte nicht süchtig sein. Ich war nicht süchtig, ich hatte Angst davor, süchtig zu sein. Ich kokste nur gelegentlich, aber ich war nicht süchtig. Ich hatte alles unter Kontrolle. Ich wusste genau, wann ich aufhören sollte. Das dachte ich mir, als ich die erste Line der dritten Runde sniefte. Dann war alles wieder vergessen und ich sonnte mich nur noch in meiner imaginären Stärke. Ich war einfach die Beste, die Grösste im Universum. Ich jumpte auf dem Bett herum. Schlug den Kopf gegen die Kante, als ich herunterstürzte. Aber mir konnte schon nichts passieren, ich war unver-wundbar. Ich war unverwundbar. Und im nächsten Augenblick lag ich heulend auf der Matratze, meinen Teddy an mich drückend. Scheisse, warum musste er nur sterben. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte ihn zurück und am Leben bleiben. Dieses Teufelszeug, ich würde nie wieder koksen. Ende der Geschichte, es war vorbei. Das wars. Blut rauschte in meinen Ohren. Salzige Perlen tropften auf das Kissen und auf den Teddy. Ich versprach mir, nie wieder zu koksen. Es versaute mir nur mein Leben. Ich war erst achtzehn, mein ganzes Leben lag noch vor mir. Und auch meine Abschlussprüfungen. Ich versprach mir, nie wieder zu koksen. Das darauf folgende Wochenende blieb ich dann zu Hause. Offiziell war ich krank. Ich verkrümelte mich in meinem Zimmer und blies Trübsal. Schaute Fernsehen. Wusste wirklich nicht was machen. Nicht einmal mehr Shoppen brachte mich auf andere Gedanken. Ich kaufte mir einen dicken, braunen Pulli. Er gefiel mir. Aber irgendwie hasste ich ihn. Wie er in dem Plastiksack steckte und nichts tat. Zu Hause warf ich ihn in eine Ecke. Schaute wieder Fernsehen. Das Koks hatte ich verpackt und versteckt. Ich verschwendete viele Gedan-ken daran. Irgendwann kam eine SMS von Mel. Ob es mir besser ginge. Die Bestat-tung fand nächsten Samstagmorgen statt. Ich wollte nicht hingehen. Ich ging trotzdem. Mit gepuderter Nase. Wie immer trafen wir uns am Bahnhof. Quetschten uns dann in Mels und Alphas Autos und fuhren zur Kirche. Ace lag ganz unschuldig in dem weissgepolsterten Sarg. In einem Anzug. Er war Geschäftsmann. Seine Kollegen standen auf der einen Seite des Sarges. Auf der anderen Seite standen seine Eltern. Die Mutter hatte den Kopf gesenkt. Sie weinte nicht. Die anderen Familienangehörigen standen daneben. Einer sah aus wie sein Bruder. Längere Haare, aber genau die gleichen Gesichtszüge. Ich wusste nicht, dass Ace einen Bruder hatte. Wir standen ein bisschen abseits vom Geschehen, doch wir verstanden je-des Wort, das gesprochen wurde. Als alles vorbei war, trat ich an seinen Sarg heran. Er sah aus, als ob er nur schliefe. So unschuldig. Er hatte plötzlich nichts mehr von einem Drogen-süchtigen. Alle Merkmale wurden weggeschminkt. Tränen standen mir in den Augen. Verbittert wandte ich mich ab. Ich konnte das nicht mehr länger sehen. Als wir gingen, sechs still in sich gekehrte Personen, fing es an zu schneien. Der erste Schnee in diesem Jahr. Ich blieb stehen und schaute in den hellgrauen Himmel. Einige Schneeflo-cken fielen wie kleine Sterne auf mein Gesicht und schmolzen sofort. Ich liebte den Schnee. Er war so rein. Alpha drehte sich um und sah mir kurz dabei zu, wie ich in den Himmel starrte. Dann kam er zu mir. Legte seinen Arm um meine Schulter. „Komm, Kleines, du erkältest dich sonst wieder.“ Ich hatte meinen Schal zu Hause gelassen. Daran gedacht hatte ich nicht mal, als ich das Haus verliess und nach draussen kam. Nicht mit dem Koks intus. Die Kälte spürte ich nicht. Ich nickte nur und zusammen folgten wir der kleinen Gruppe. Wir gingen zu Mel nach Hause. Eigentlich wollte ich dort nicht hin. Aber sie und Rich hatten vor zu kochen und hatten uns eingeladen. Also ging ich mit. Um nicht alleine zu sein. Ich genoss es, mal etwas anderes mit ihnen zu machen als die ganze Zeit nur an Partys zu gehen und Drogen in mich hineinzustopfen. Obwohl die Stimmung sichtbar schlechter war. Während dem Essen sprachen wir nicht viel und es blieb auch eine Menge übrig. Niemand hatte wirklich Hunger. Es war Nachmittag, als ich nach Hause ging. Vielleicht war das das letzte Mal, dass ich sie gesehen hatte. Nachdem ich heute Morgen meinen letzten Rest Koks weggesnieft hatte, wollte ich eigentlich nichts mehr mit all dem zu tun haben. Ich hatte es mir versprochen. Und obwohl mir das immer präsent war und mir der Schock von Aces Tod noch immer in den Knochen steckte, verabredete ich mich bereits für nächstes Wochenende wieder mit den andern. Ace war tot, aber Ablenkung würde uns allen gut tun. Das leuchtete mir ein. Also verbrachte ich den nächsten Freitagabend in einem Club, tanzend und lachend. Ace war wirklich wie vergessen an diesem Abend. Mel hatte wieder Koks dabei. Ich machte keine Anstalten, sie darauf anzu-sprechen. Unter innerem Zwang schaffte ich es sogar abzulehnen, als sie mir anbot, mitzukommen. Die sah mich an, als wäre die Welt nicht mehr in Ordnung. Alpha fragte mich, ob ich nicht mal Ecstasy probieren wollte. Gereizt hatte es mich schon lange, aber da ich immer auf Koks war, konnte ich keine Tablette nehmen. Mischkonsum hatten sie mir von Anfang an verboten. Fand ich auch gut so. Aber heute hatte ich Gelegenheit, E auszuprobieren. War schliesslich auch etwas absolut anderes als Koks. Ich nickte. Alpha brach die Tablette entzwei. Und gab mir nur eine Hälfte. „Nur mal zum Testen, nicht dass du gleich ne Überdosis hast.“ Klang plausibel. Ich warf sie in den Rachen und schluckte sie herunter. Währenddessen kam Mel herunter. Rauchend. Zugedröhnt. Ich konnte mir gut vorstellen, dass ich auch immer so aussah, wenn ich gekokst hatte. Ich war immer eine der ersten gewesen und hatte die andern nie gesehen, wenn ich nüchtern war. Jetzt hoffte ich nur noch, dass das Ecstasy anfing zu wirken. Ansonsten hielt ich das nicht aus. Langsam wurde ich ungeduldig. Nach einer halben Stunde reichte es mir. Von Alpha verlangte ich die andere Hälfte. Er gab sie mir. Ich schmiss sie, ohne gross zu überlegen. Und wieder hiess es warten. unterdessen hörte ich Mel und Rich zu, die im Zeug rum laber-ten. Unglaublich. Dieser Müll. Jetzt konnte ich gut verstehen, was Rich noch vor vier Wochen sagte. Sie redeten wirklich Schwachsinn zusammen. Langsam verflog meine Müdigkeit. Meine Anspannung löste sich. Ganz ru-hig sass ich auf einem Sofa und sah der Menge beim Tanzen zu. Wenn ich sie mir genauer ansah, konnte ich mir vorstellen, wie viele hier auf Drogen waren. Bestimmt mehr als die Hälfte. Allmählich begann das Ecstasy zu wirken. Mir wurde schwindelig. Alles drehte sich. Eine Sekunde lang, dann war es vorbei. Anstelle dessen stieg ein Panikgefühl in mir hoch. Scheisse, was sollte das? Dann breitete sich ein wohliges Gefühl in mir aus. Mir wurde ganz warm und leicht ums Herz. Es war alles plötzlich ganz wunderbar. Ich war okay, der Club war okay, die andern waren okay und das Ecstasy war okay. Alles war okay. Ich fühlte mich toll. Die Musik dröhnte lauter als vorher. Der Bass zwang mich zum Tanzen. Ich musste tanzen. Also stand ich auf, ich konnte nicht mehr stillsitzen. Alpha kam mit mir, als ich ihm sagte, dass ich unbedingt tanzen wollte. Aber nicht alleine. Auf der Tanzfläche hatte es nicht viel Platz. Es störte mich überhaupt nicht, ich freute mich für die andern, dass sie Spass hatten am Tanzen. Und ich freute mich, dass Alpha mit mir tanzte. Ich umarmte ihn. Sah, wie er lächelte. Wir tanzten. Von Lied zu Lied. Einmal kamen noch Rich und Mel zu uns. Tanzten mit. Wir waren eine grosse, zugedröhnte Familie. Ich fand das super, dass wir alle so miteinander tanzten. Das hatten wir schon lange nicht mehr gemacht. Ich mochte sie wirklich unglaublich gerne. Und ich Idiotin hatte mir tatsächlich überlegt, mich nicht mehr mit ihnen zu treffen. Darüber konnte ich nur noch lachen. Ich konnte nur noch über mich lachen. Wie dämlich ich doch war. Und dann erzählte ich alles Alpha. Dass ich nie mehr wieder Koks nehmen wollte und dass ich mir Gedanken darüber gemacht hätte, den Kontakt mit ihnen abzubrechen. Wenn ich nüchtern gewesen wäre, hätte ich mich dafür geschlagen. Aber ich war auf E. Folglich ruhig und gelassen und in Hochstimmung. Und Alpha auch. Er verstand mich. Und er war froh, dass ich das nicht gemacht hatte. Also, den Kontakt abgebrochen. Dann erzählte er mir von sich. Mir wurde das erste Mal bewusst, dass ich eigentlich überhaupt nichts von ihm wusste, ausser dass er zwanzig war und irgendwo in einer Firma arbeitete. Er hatte Ace kennen gelernt, als er noch Lehrling war. Ace betreute ihn da-mals. Vor sechs Jahren. Bei den Abschlussprüfungen hatte Ace ihm sehr geholfen. Und an der Abschlussparty war Ace eingeladen. Im Schlepptau Mel und Rich. Und da erzählte Mel ihm, sie habe Koks dabei. Aus heiterem Himmel. Sie kannten sich gar nicht. Verrückt. Alpha hatte sich nichts dabei gedacht. Seit da hing er an den Drogen. „Ich wollte auch schon aufhören.“ Seine Drogenkarriere begann also mit achtzehn. Mit Koks. Genau wie bei mir. „Warum hast du’s nicht gemacht?“ Dumme Frage. Natürlich aus dem gleichen Grund wie ich. Sie waren Freunde. Und er kam nicht mehr davon los. Um nicht die ganze Zeit mit Rupfen zu verbringen, liess er sich dann einmal LSD von Ace geben. Allerdings war er bereits der eher stillere Typ und LSD machte ihn extrem müde. Als Zwischenlösung fand er Ecstasy. Irgendwann einmal stieg er komplett darauf um. Ecstasy war seine Droge. So wie LSD Aces Droge war. Und so wie Koks die Droge von Mel war. Der Schneekönigin. Die Drogen schweissten uns zusammen. Zu einer bunten, konsumierenden Familie. Und ich war froh, ein Teil davon zu sein. Ein Teil unserer Drogen-familie. Wir tanzten die ganze Nacht durch. Bald mal ohne Mel und Rich. Die ver-schwanden andauernd auf der Toilette. Alpha und ich hingegen schmissen noch eine ganze Tablette. Kurz bevor wir gingen. Die Nacht verbrachten wir bei Mel. Wie immer. Meine ruhige Hochstimmung hatte mich noch immer nicht verlassen. Allerdings war ich nicht so wach wie auf Koks. Meine Augen waren schwer. Starrten in die Flimmerkiste. Der Film, den wir schauten, komisch. Ich schloss kurz die Augen. War weg. Auf der Stelle. Sackte gegen Mels Schulter. Dann, mit einem Ruck war ich wieder bei Sinnen. Vollständig da und wach. Der Film lief immer noch. Mel sah mich an. „Alles okay?“ „Ja klar, ich bin nur eingeschlafen.“ Blinzeln. „Für eine Sekunde?“ Eine Sekunde. Es fühlte sich an, als ob ich mindestens einen Tag verschla-fen hätte. Ich nickte ein wenig bedröppelt. Wandte mich wieder dem Film zu. Meine Zähne schmerzten. „Alpha, meine Zähne tun weh.“ Er sah mich lieb an. „Das ist normal. Beim ersten Mal.“ Beim ersten Mal. Ich kam mir vor, als hätte ich null Ahnung von Drogen. Als hätte ich das erste Mal in meinem Leben Drogen konsumiert. Aber das stimmte nicht. Überhaupt nicht. Das erste Mal war schon fast vier Monate her. Das erste Mal Ecstasy allerdings war vor sechs Stunden. Und ich spürte deutlich, wie die Wirkung nachliess. Übelkeit breitete sich in meinem Magen aus. Mein Kiefer verspannte sich schrecklich. Ich wollte nur noch kotzen. Alles drehte sich. Mir war heiss. Draussen war es weiss. Der Schnee hatte den ganzen Balkon verdeckt. Schnee war kalt. Mir war heiss. Ich wollte zum Schnee. Mein Körper wollte nicht. Er war taub. Spielte nicht mehr mit. Ich bekam Panik. Zitterte am ganzen Leib. Die anderen schienen nichts zu merken. Sassen ruhig auf dem Sofa und glotzten in den Fernsehen. Ich hätte am liebsten geschrien. Aber mein Kie-fer war so verspannt, dass ich ihn nicht mal bewegen konnte. Mir war so heiss. So schrecklich heiss. Mein Magen zog sich zusammen. Ich wollte kotzen. Alles drehte sich. Es tat weh. Alles tat mir weh, mein ganzer Körper zitterte und schmerzte. Ich wollte sterben. Lieber sterben als das noch eine Minute länger ertragen zu müs-sen. Der Fernseher warf flackernde Lichter an die Wand. Und die Schatten. Frat-zen. Fratzen auf den Wänden. Bösartig. Hilfe. Ich wollte schreien. Sie hörten mich nicht. Starrten in den Fernseher. Er-starrt. Wie Puppen, bewegungslos. Versteinert. Mein Atem wurde immer heftiger. Mein Herz zog sich zusammen, alles schmerzte, alles verkrampfte sich. Alles gefror zu Eis. Panik. Ich hatte Panik. Hyperventilierte. Meine Augen rollten. Ich konnte nichts mehr fixieren, mein Blick schweifte über meine Freunde, über die Wände und die Fratzen. Die Fratzen. Sie wurden grösser, waren lebendig. Kamen näher. Hilfe. Sie hörten mich immer noch nicht. Hilfe. Warum halfen sie mir nicht. Die Fratzen. Wurden rot. Begannen zu verlaufen. Rote Farbe verschmierte die Wände. Rot wie Blut. Blut tropfte die Wände runter. Blut und Gedärme. Die Augen. Meine Augen. Sie liessen sich nicht schliessen. Ich wollte sie schliessen, sie waren weit aufgerissen. Hilfe. Ich bekam keine Luft mehr. Die Wände bekamen Risse. Blut tropfte heraus. Spritze in mein Gesicht. Ich schrie. Und ich schrie wirklich. Die versteinerten Puppen neben mir schreckten auf. Ich kippte vorüber. Schweissgebadet, zitternd vor Kälte. Leichenblass. Sofort waren alle um mich herum versammelt. Beugten sich über mich. Ihre Fratzen starrten mich an. Hilfe. Alpha drehte mich vorsichtig um. Mel verschwand hastig im Badezimmer und kam mit einem nassen Lappen zurück. Die Fratzen sollten verschwinden. Ich wollte, dass sie weggingen. Mit aller Kraft presste ich meine Augen zusammen. Tränen überströmten mein Ge-sicht. Mel drückte mir den nassen Lappen ins Gesicht. Über die Augen. Ich spür-te, wie mich jemand hochhob, klammerte mich an ihm fest. Ich hatte immer noch Angst. Ich wusste, dass die andern jetzt wieder für mich da waren. Aber die Fratzen. Ich wollte einfach, dass mich jemand festhielt. Mich beruhigte. Bei mir blieb. Ich zitterte noch immer am ganzen Leib. Viele Stunden mussten vergangen sein. Ich hatte mich einigermassen be-ruhigt. Das Zittern jedenfalls hatte aufgehört. Mel und Alpha sassen die ganze Zeit bei mir und redeten mit mir und mit sich selbst. Ich wusste es, auch ohne dass die beiden es aussprachen. Ich hatte einen Horrortrip. Alpha meinte, die letzte Tablette wäre zu viel gewe-sen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich noch nicht über Aces Tod hinweggekommen bin. Es tat ihm leid. Wie oft er das sagte. Ich wusste nur noch, dass ich nie mehr in meinem Leben Ecstasy schlucken würde. Nie mehr wieder. Ich hatte Angst vor dem Einschlafen. Angst davor, dass die Fratzen wieder auftauchen würden. Die Fratzen und das Blut. Sehr viel Zeit verging, bis ich vollkommen runterkam. Bis der Horrortrip und die Wahnvorstellungen vorbei waren. Bis ich keine Angst mehr hatte, die Augen zu schliessen oder alleine zu sein. Dafür heulte ich den Rest des Tages. War total fertig. Und abends war dann alles vorbei. Ende des Horrors. Ende der Panik. Nie wieder Ecstasy. Dafür tauchte Ralph auf. Er hatte noch Acid. Also LSD. Er wollte sie uns schenken. Eigentlich hatte er sie für Ace organisiert, aber der war nun mal nicht mehr am Leben. Wir nahmen sie. Obwohl niemand hier LSD schmiss. Schaden konnte es nicht, dachten sie. Sie konnten sie immer noch verkau-fen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)