Weihnachten mit der Band von Rockryu (Mein Weihnachtsgeschenk für LittleJojox) ================================================================================ Kapitel 1: Einziges Kapitel --------------------------- Das Licht in Erics kleiner Wohnung war angenehm dämmrig. Es war zwar erst halb fünf, aber trotzdem schon zappenduster draußen. Heiligabend. Obwohl noch immer viele Leute unterwegs waren, war die Stadt irgendwie ruhig. Bald würde er zu Alan gehen. Er hoffte sehr, dass ihm sein Geschenk gefallen würde, doch Sorgen machte er sich keine. Bis dahin entspannte er sich noch etwas. Ein wunderschöner Nachmittag war es. Nur… „Du bist verliebt!“ Eine Sekunde lang hätte Eric Luc dafür erwürgen können, dass er ihn aus seiner Besinnlichkeit gerissen hatte. Aber dann konnte er schon nicht mehr wirklich böse sein. Dieses blonde, große, dünne, lebhafte Etwas mit einem geradezu gruseligen Gespür für die Gefühle anderer erinnerte ihn einfach etwas an Ronald, und war außerdem sehr lieb. Das würde er ihn allerdings nicht merken lassen, jedenfalls wollte er das. „Was soll denn das jetzt? Lass mich doch mal zwei Sekunden in Ruhe!“ Aber Luc grinste nur. „Erstens bist du gerade unser Gastgeber und kannst uns nicht einfach ignorieren, zweitens weichst du aus.“ Eric versuchte, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen und grummelte: „Na schön. Und wie kommst du jetzt darauf?“ „Du bist kaum noch zuhause, ständig total abwesend, gehst nicht mal mehr auf Partys, hast das Rauchen aufgegeben und trinkst kaum noch. Aber du wirkst total zufrieden und spielst deinen Bass besser als je zuvor“, zählte Luc an den Fingern ab. „Also, da müsste ich mir echt Sorgen machen, wenn du nicht verliebt wärst. Dann wärst du nämlich ein Alien, der unseren Eric entführt hat.“ „Was für ein Alien hat Eric entführt?“ Martin, der gerade vom Balkon kam, hatte wohl nur den letzten Satz mitbekommen und blinzelte verwirrt. Luc lachte, aber Eric bekam nur einen resignierten Seufzer heraus. Typisch Martin, total verpeilt. Die Dauerkifferei von früher schien ihm ein paar Hirnzellen mehr vergiftet zu haben, als er verkraften konnte. Heute rauchte und trank er Gott sei dank nur noch „normales“ Zeug und in Maßen. Im Grunde hatte Eric ja nichts gegen Nervensägen. Erstens wäre das Leben sowieso langweilig ohne sie und zweitens ließen sie sich meist auch leicht ärgern. Und diese Nervensägen waren immerhin seine Band, und damit verbunden außerdem die Menschen, die ihn in diesem Leben am längsten und treuesten begleitet hatten und immer für ihn dagewesen waren. Aber in so Momenten wusste er einfach nicht, ob er lachen oder weinen sollte und er hasste dieses Gefühl. Eines der Dinge die er an Alan so liebte: Alan konnte ihn absichtlich, auch wenn das immer aus Verzweiflung seinerseits resultierte, in jede erdenkliche Art mentalen Tiefs stürzen und konnte ihn genauso leicht wieder glücklicher machen, als gesund war, aber er würde ihn nie SO in Verlegenheit bringen. Luc und Martin waren nun mal die Obernervensägen, das konnte niemand abstreiten, nicht einmal sie selbst. Luc war einfach ein Bündel Motivation, das hatte seine Vorteile, konnte aber schnell anstrengend werden. Er und Eric hatten die Band mehr oder weniger „gegründet“. Als Eric einmal ohne Job und Wohnung, aber guter Dinge durch die Klubs getigert war, hatte er sich zuviel hinter die Rinde gegossen. Ein freundlicher Barkeeper nahm ihn mit nach Hause – Luc. Am nächsten morgen kamen sie ins Gespräch und trafen sich von da an ab und zu, um Musik zu machen. Doch aufzutreten kam nicht infrage. Eric konnte zwar singen, besaß aber nicht die Ausstrahlung und den Elan eines „Showmachers“. Und Luc, der dieses hatte, konnte nicht singen, er konnte lediglich seine Gitarre rocken. Eines Tages kam Eric ihn besuchen und da saß ein Punk in seiner Wohnung, total zugedröhnt. Martin war abhängig und von seiner Familie längst abgeschrieben worden. Da er keinen Platz hatte wo er hin konnte, hatte Luc ihn aus Mitleid vorerst aufgenommen. Der Punk hatte nichts, also auch keinen Antrieb etwas zu verändern. Luc und Eric versprachen ihm, dass er ihr Drummer werden könnte, vorausgesetzt er schaffte den Entzug. Das war Motivation genug und er schaffte es. Einen besseren Drummer hätten sie nicht finden können, die Welt könnte untergehen und er würde den Rhythmus halten. Die Freundschaft zu ihrem Sänger fing weniger gut an. In der Hoffnung, Geld zu verdienen, nahm Eric an einem illegalen Turnier im Käfigkampf teil. (Luc und Martin wussten nichts davon.) Aber sein Gegner besiegte ihn nicht nur, sondern schlug ihn innerhalb von drei Sekunden bewusstlos. Umso stinkiger war er daher, als dieser ihm wieder begegnete, drei Tage später, und ihn vor einem Schläger rettete. Leider war da Luc dabei und er konnte ihn nicht mit etwas Dank abwimmeln. Eric gewöhnte sich schnell an Tetsuya, hörte allerdings nie ganz auf, ihn als Konkurrenz zu betrachten. Wie Eric konnte dieser alle Weiber im Umkreis zum schmelzen bringen, allerdings auf eine andere Art als er. Er war ruhig und distanziert, besaß aber eine leicht weibliche Eleganz und einen kultivierten Charme, was beides auf seine Abstammung zurückzuführen war. Seine Eltern waren eingewanderte Japaner, doch während sie sich wegen Sprachproblemen schwer taten, beherrschte er bereits als kleines Kind beide Sprachen fließend. Sein Vater hatte darauf bestanden, dass er Karate lernte, und er war nahezu unschlagbar. Er war Tänzer im Theater und hatte eine markante, volle Singstimme, wie sie bei männlichen Japanern häufiger zu finden war, so hatte schließlich auch Eric nichts dagegen, dass er ihr Sänger wurde. Immerhin war jetzt jemand dabei, der Texte schreiben konnte. Als Eric, Martin und Tetsuya einmal in Lucs Wohnung saßen und auf ihn warteten, weil sie Proben wollten, brachte er noch jemanden mit. Hector war der Jüngste von ihnen. Er war 17 und war von zuhause weggelaufen, da er es mit seinen Eltern gar nicht mehr aushalten konnte. Er war ein Goth. Das war vielleicht nicht das einzige Problem, veranschaulichte diese aber ganz gut. Als das zweite Literaturmonster verstand er sich auf Anhieb sehr gut mit Tetsuya, weshalb dieser ihren neuen Keyboardmann bei sich übernachten ließ und es nicht wieder auf den gutmütigen Luc zurückfiel. Das war nun vier Jahre her. Eric und Luc komponierten, Tetsuya und Hector schrieben Texte, Hector beschaffte ihnen Auftritte. Tetsuya war immer noch beim Theater, Hector hatte einen eigenen Klub eröffnet, mit dem Erbe seines Großvaters, Luc war bei seinem alten Job gefeuert worden und arbeitete nun da, Martin arbeitete als Betreuer in der Suchtklinik und Eric schlenderte recht gelassen von Job zu Job. Die Klubauftritte der Band, die Hector mit allgemeiner Zustimmung „Nachtvogel“ getauft hatte, brachten genug ein, um die Wohnung zu halten, satt zu werden und genug zum anziehen zu haben, also war ihm der Rest relativ egal. Zu der Zeit als er Alan wiedergefunden hatte, war es gerade sehr ruhig gewesen. Und jetzt erschien er wie immer regelmäßig zu den Proben und unternahm auch hin und wieder etwas mit den Jungs. Aber seine Aufmerksamkeit galt stets Alan. Natürlich hatte er den anderen nichts erzählt, wie hätte er es ihnen auch erklären sollen? Dass er ein wiedergeborener Shinigami war und immer von seinem vorigen Leben geträumt hatte, bis schließlich ein anderer Schnitter ihn darüber aufgeklärt hatte, dass es Erinnerungen waren und er seinen Freund von damals wiederfinden musste, konnte er ihnen schlecht sagen, erst recht nicht wenn die Chance bestand, dass sie es glaubten. Die Wahrscheinlichkeit lag allerdings eher da, dass Martin ihn in seine Klinik schaffte. Und, nachdem die Bluttests durch waren, von da in die Psychiatrie, in deren Nähe er praktischerweise wohnte. „Mich hat kein Alien entführt“, murrte Eric. „Luc glaubt nur, dass ich verliebt bin.“ „Ah, du bist verliebt? Seit wann den? Und wie hat er das gemerkt?“ Martin war wirklich ein Vollpfosten. Und das hier war selbst für Luc zuviel. „Maaann, Woodstick, das merkt man doch, so wie der drauf ist in letzter Zeit!“ „Kann ich doch nicht wissen, Mann!“ Woodstick war einfach der in der Band gängige Spitzname für Martin. Er passte in mehrfacher Hinsicht… In diesem Moment kamen Tetsuya und Hector mit den selbstgemachten Cocktails aus der Küche, und verursachten so wie selbstverständlich eine gemütliche Runde auf der Couch. Eric nippte nur an seinem Getränk, Alan würde wütend sein, wenn er betrunken bei ihm auftauchte. Das Thema von eben schien sich erledigt zu haben und er glaubte schon, er sei gerettet, doch da sprach Luc ihn wieder an. „Erzähl mal Bassist, wie ist sie denn so?“ Eric beschloss, sich dumm zu stellen. „Wie ist wer?“ „Wir wissen alle, dass du ne Freundin hast, also tu nicht so“, mischte sich Hector ein, der sonst eigentlich nicht zu den Nervensägen gehörte. „Ich hab keine Freundin, Dracula.“ Er drehte sich von ihm weg, was sich als Fehler erwies, da er so genau in Tetsuyas überlegenes Lächeln sehen konnte, das ihm eine leicht gefährliche Aura verlieh und die Mädels in der Regel zum schmelzen brachte. „Nein? Und wie ist es mit einem Freund?“ Jetzt saß er in der Patsche. Eigentlich hatte er den Jungs nicht erzählen wollen, dass er schwul oder zumindest bi war, von Alan ganz zu schweigen. Aber belügen wollte er sie auch nicht. „Ja, ich hab nen Freund. Nun zufrieden?“ Die Reaktionen fielen nicht ganz so aus wie er erwartet hatte. „Gratuliere“, murmelte Hector nur leicht abwesend und nippte an seinem Cocktail. Martin brach in schallendes Gelächter aus und kriegte sich so bald auch nicht wieder ein, doch das beachtete niemand weiter. Tetsuyas Grinsen wurde noch breiter, doch diesmal galt es Luc. „Das macht 30 Pfund, Lassie.“ „Hey, wieso 30? Abgemacht waren 10!“ „10 dafür, dass ich nicht der Schwule in der Band bin. Und 20 dafür, dass es Eric ist.“ „Ja, ja, schon gut, ich gebe es dir, sobald ich es hab.“ Eric konnte es nicht fassen. Tetsuya hatte es die ganze Zeit geahnt und dann wirklich mit Luc gewettet. Da fragte er sich doch… „Wie lang lief diese Wette schon?“ Es war keine Härte in seiner Stimme, nur Resignation. Aufregen war nicht so seine Art, ganz abgesehen davon, dass bei denen sowieso alles zu spät war. „Schon über ein Jahr“, antwortete Luc, ausnahmsweise mal ernsthaft. „Als du plötzlich anfingst, Telefonbücher zu kaufen und ständig unterwegs warst ohne uns zu sagen, was los ist.“ O weh, natürlich mussten die Jungs was merken. Wirklich normal war seit dem Tag, an den Ronald auf seinem Balkon erschienen war, schließlich nichts mehr gewesen. „Du warst total unruhig und in den Proben nicht bei der Sache. Und seit etwa vier Monaten bist du wieder total entspannt und glücklicher als je zuvor“, ergänzte Tetsuya. Inzwischen hatte sich auch Martin wieder eingekriegt und aufmerksam zugehört. „Na komm schon, Bassist, erzähl uns von ihm!“ Um ein paar Worte würde er wohl nicht herumkommen. Also fing Eric an, zu erzählen. „Alan ist Übersetzer. Und er kann toll kochen. Und er… weiß immer, was ich will und was mich beschäftigt, als könnte er meine Gedanken lesen. Manchmal halst er sich selbst zuviel Arbeit auf, dann muss ich dafür sorgen, dass er langsamer tritt.“ „Wie süß“, grinste Luc. „Übersetzer? Meinst du, er kann Japanisch“, fragte Tetsuya. Eric zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Kann’s mir aber gut vorstellen.“ „Ich möchte ihn gerne kennenlernen. Er scheint dir immerhin sehr wichtig zu sein“, meinte Hector und bekam von allen Zustimmung durch mehr oder weniger energisches Nicken. „Lasst uns ihn besuchen!“ Luc war schon aufgesprungen, aber Erics energische Stimme ließ ihn innehalten. „Du gehst nirgendwohin!“ Alle Augen richteten sich etwas perplex auf ihn. „Ihr werdet jetzt nicht einfach Alans Wohnung stürmen. Ich gehe heute sowieso zu ihm, da kann ich ihn auch fragen, ob und wann es ihm passt.“ Er wollte Alan auf keinen Fall mit unerwartetem Besuch konfrontieren. Mal abgesehen davon, dass er total sauer auf ihn wäre und das das einzige war, wovor Eric Angst hatte, hatte Alan auch immer noch eine gewisse Scheu vor fremden Menschen. Und obwohl Weihnachten für zwei Männer, die die Erinnerung an ein Leben als Shinigami in sich trugen, nicht denselben Stellenwert hatte wie für normale Menschen, wollte Eric es ihm auf keinen Fall verderben. Das schienen zumindest Luc und Martin nicht zu verstehen. „Warum denn nicht heute?“ „Ja, warum nicht? Du kannst ihn doch anrufen und fragen, ob’s okay ist.“ „Lasst es gut sein, Jungs. Die beiden werden allein sein wollen“, versuchte Hector zu vermitteln. Er sah wohl, dass es Eric sehr nah ging. „Das können sie doch immer noch, wenn wir wieder nach Hause gehen“, maulte Martin. Tetsuya setzte zu einer Erwiderung an, und das war schlecht. In solchen Fällen war er so gut wie immer auf Hectors Seite und er hatte eine sehr spitze Zunge, blieb zudem auch immer nach außen ruhig. Hector selbst neigte zu weniger spitzen, aber umso bösartigeren Bemerkungen, wenn er sich stritt, Luc wurde zu einem wahren Rumpelstilzchen und Martin maulte ohne Pause, auch wenn das Thema eigentlich erledigt war. Eric musste was tun, bevor der Streit da war. „Ich ruf ihn an“, beeilte er sich zu sagen. „Aber wenn er nein sagt, ist auch nein, klar?“ Dagegen sagte niemand etwas, also schnappte er sich das Telefon und schlug die Balkontür hinter sich zu. „Eric? Warum rufst du mich an?“ „Es tut mir leid, Alan, aber ich muss dich von der Band was fragen.“ „… wann hast du ihnen von mir erzählt?“ „Gerade eben. Es tut mir leid, aber die wussten wohl schon lange, dass es jemanden gibt, den ich liebe und sind auch darauf gekommen, dass du ein Mann bist, da wollte ich sie auch nicht belügen.“ „Schon gut, ich war nur überrascht. Nun, was ist den so wichtig, dass du mich beim Arbeiten störst?“ „Du ARBEITEST? Hast du sie noch alle?“ „Ich muss doch noch…“ „Du legst SOFORT den Zettelkram weg!“ „Eric…“ „Keine Widerrede! Heute ist Weihnachten, da machst du mal Pause und entspannst dich!“ „Eh… okay. Okay, ich arbeite heute nicht mehr. So, und warum hast du mich angerufen?“ „Ah, äh… Also die Jungs, die wollen dich unbedingt kennenlernen, am besten noch heute. Ich hab gesagt, das geht nicht, aber die wollten unbedingt, dass ich wenigstens anrufe und dich frage.“ „Und du Dickkopf hast dich weichklopfen lassen?“ „Die waren kurz davor zu streiten, da musste ich was machen.“ Er hörte, wie Alan leise lachte. Dann war es einen Moment still. „… Kommt mich ruhig alle besuchen.“ „… Alan? Bist du dir sicher?“ „Ich kann mich nicht ewig vor deinen Freunden verstecken, oder? Und außerdem bist du ja dabei. Vielleicht wird es ja… ein bisschen wie die Firmenfeiern bei der Shinigami Haken Kyoukai, weißt du noch?“ Oh ja, Eric wusste es noch. Wie Ronald einmal gemeint hatte, er müsse DJ spielen, und dann einen Monat ohne seine Lieblingsmusik auskommen musste, da Will sie beschlagnahmt hatte. Und wie Grell im Kleid aufgetaucht war und versucht hatte, Will zum Tanzen zu überreden. Kein Wunder, dass Will keine Firmenfeiern mochte. Vielleicht könnte es mit den Jungs von „Nachtvogel“ ähnlich lustig werden. Ausgeflippt genug waren sie ja… „Wir sind gleich bei dir, Alan“, sagte er und legte auf. Wenig später standen sie vor dem Mietshaus in einem der besseren Viertel, in dem Alan wohnte. Tetsuya zog eine Augenbraue hoch. „Sag mal, Bassist…“ „Ja?“ „Dein Freund wohnt hier?“ „Ja…“ „In welchem Stockwerk?“ „Im Dritten. Warum, wenn ich fragen darf?“ „Ich glaube, ich hab ihn schon gesehen. Ein sehr hübscher Kerl, gratuliere.“ „…“ Hector lachte laut. Der Typ hatte sowieso Stimmungsschwankungen wie eine Frau. Manchmal war er todernst, zurückhaltend, und desinteressiert, und mal fast so nervig und niedlich wie Luc. Das war jetzt wieder so ein Moment. „Mann Bassist, sag bloß, du wusstest bisher nicht, wo Elite wohnt.“ Erics Kopf drehte sich fragend wieder zu Tetsuya. Dieser lächelte amüsiert. „Ich wohne im vierten Stock. Aber ich kenne deinen Alan nicht. Niemand kennt ihn, er lässt sich kaum blicken und redet mit niemandem. Er hat nur manchmal recht seltsamen Besuch, den er anscheinend selbst nicht leiden kann. Dich hab ich hier bisher noch nicht gesehen, liegt aber wahrscheinlich an meinen Arbeitszeiten.“ Eric nickte nur, es traf alles zu. Alan war scheu und zurückgezogen, er bekam vom Verlag die schwierigsten und nervigsten Klienten und zu den Zeiten, wo er selbst hier auftauchte, war Tetsuya entweder noch arbeiten oder längst zuhause. Als sie dann zunächst schweigend die Treppen hinaufstiegen, meinte Tetsuya plötzlich: „Sag mal, was war den das vor etwa vier Monaten? Da war unter mir plötzlich Lärm, es klang, als würde etwas gegen die Wand geworfen und irgendwer hat ziemlich wütend irgendwas gebrüllt. Ich glaube, das warst du. Was war den da los?“ Einen Augenblick hielt Eric inne und ging die Ereignisse durch, dann fiel es ihm wieder ein. Wieder kochte die Wut in ihm hoch. „Ach das. Da war… Wir hatten Besuch“, knurrte er, holte tief Luft und ballte die Fäuste. Dann ging es wieder. Luc zog eine Augenbraue hoch. „Ui. Ich will gar nicht wissen, was das für ein A**** war, wenn er dich SO wütend macht.“ „Schade, dass du da noch nicht gewusst hast, dass ich hier wohne“, meinte Tetsuya todernst. „Ich hätte das Problem schnell und sauber für dich regeln können.“ Das brachte ihn zum lächeln. Die Jungs vertrauten ihm so sehr, dass sie gar nicht fragten, was der „Besuch“ getan hatte. Sie vertrauten darauf, dass er nicht zu Unrecht so wütend wurde. Da fiel ihm noch etwas ein und er drehte sich auf der Treppe um. „Ach Jungs, eins noch: Sprecht Alan NIEMALS auf seine Vergangenheit an!“ Er sagte es ruhig, aber mit Nachdruck. Die Jungs sahen sich an, dann nickten sie wortlos und er machte sich keine Sorgen mehr. Sie konnten furchtbare Nervensägen sein, aber im Ernstfall konnte man sich auf sie verlassen. Schließlich standen sie vor Alans Tür und er klingelte. Als Eric das letzte Mal so nervös gewesen war, hatte er in diesem Leben zum ersten Mal vor dieser Tür gestanden. Na gut, so nervös war er nun doch nicht. Trotzdem war es ähnlich. Er hatte Angst davor, wie Alan reagieren würde. Denn seine Jungs… Martin betrachtete, genau wie die anderen, neugierig die Tür. Er trug ausgelatschte Turnschuhe und eine zerrissene, schwarze Jeans. Über dem ebenfalls zerrissenen, weißen T-Shirt mit der seltsamen Fratze drauf trug er einen dunklen AC-DC Kapuzenpulli und er hatte ein „Hundehalsband“, wie Luc es nannte. Zugegebenermaßen war seine Kleidung nicht mehr so punkig wie früher, aber gelinde gesagt war seine Frisur ein Hingucker. Er hatte eigentlich einen rot-schwarz gemusterten Irokesen, benutzte für diesen aber kein Haargel, und so hingen die langen Strähnen von der Mitte des Kopfes überall herum. Außerdem hatte er sich den restlichen Kopf eine Weile nicht mehr geschoren, so war dieser mit einem kurzen, braunen Fell bedeckt. Da fielen einem das Piercing in der Nase und die vielen Ohrringe kaum noch auf. Hector direkt neben ihm sah zum Fürchten aus. Das schwarze, lange Oberteil mit den silbernen Knöpfen an der Seite erinnerte etwas an eine Uniformjacke und wurde durch eine wie ein Orden getragene, silberne Fledermausbrosche ergänzt. Die schwarze Stoffhose und die Stiefel sahen aus wie aus einem Musketierfilm und die Fingernägel waren angespitzt und schwarz lackiert. Und ja, er konnte damit Keyboard spielen, auch mit dem schweren Ring an seinem Zeigefinger. Die platinblonden Haare waren streng zurückgekämmt und zu einem Zopf gebunden, das Gesicht nahezu kalkweiß geschminkt und die Augen mit schwarzem Kajal umrandet. Tetsuyas Aufmachung sah auf den ersten Blick ähnlich aus, denn auch er benutzte Kajal. Allerdings weißelte er sein Gesicht nicht und zog die Striche auch nicht so dick, daher wirkte es nicht so krass. An seiner Frisur war nicht besonderes, lediglich seine dichten, rabenschwarzen Haare an sich hatten das Potenzial, Neid zu wecken. (Allerdings nicht bei Eric.) Auch seine Kleidung sah, abgesehen davon, dass auch er komplett in Schwarz war, auf den ersten Blick normal aus, auf den zweiten Blick, als wäre sie aus der Damenabteilung. Das recht enge Hemd schimmerte metallisch, die Hose saß relativ eng, jedenfalls enger als bei den anderen, und die hohen Lederstiefel mit kurzen Absätzen hatten mit zeitgemäßer englischer Herrenmode wirklich nichts zu tun. Mit Damenmode schon eher… Bei Luc dagegen sah es so aus, als wäre das ganze Schwarz Zufall. (Das war es auch.) Muskelshirt, Trainingshose, Adidasjacke und Turnschuhe. Und ein Stirnband, das seine wilde, blonde Mähne zumindest ansatzweise zähmte. Jedenfalls passten sie auf den ersten Blick gar nicht zusammen und drei von vier Gestalten sahen zum Davonlaufen aus. Eric unterdrückte ein Schlucken, als Alan die Tür öffnete. Alan betrachtete seine Besucher einen Augenblick, dann lächelte er und meinte: „Frohe Weihnachten allerseits. Kommt doch rein.“ Während die Nachtvögel nach und nach in Alans Wohnzimmer traten und sich vorstellten, hätte Eric sich innerlich ohrfeigen können für seine Blödheit. Natürlich machte es Alan nichts aus, wie die Jungs aussahen. Er selbst war auch ein Typ für Lederjacken und außerdem hatte Alan in seinem letzten Leben einen Grell Sutcliff gekannt. Da hatte man auch vor drei schwarzen Monstern keine Angst mehr. Und wenn Eric bedachte, wie offen Alan damals mit Sebastian umgegangen war, kam er sich endgültig wie ein Idiot vor. Auch um sich selbst davon abzulenken, fragte er in die Runde: „Ich mach uns jetzt was zu Essen. Wer will mir helfen?“ „Kochen wir doch alle zusammen“, schlug Luc vor. „Natürlich nur, wenn Alan nichts dagegen hat.“ „Nein“, sagte Alan lächelnd und ging als erster in die Küche. Eric und Alan hatten sich schon vor drei Tagen auf Lasagne geeinigt und das Rezept, das in Alans Schrank herumlag, hätte für sie beide eh drei Tage gereicht, also gab es keine Planänderungen. Nur dass es so viel lustiger war, als wenn sie allein gekocht hätten. Luc verhinderte eine Katastrophe, als Martin die große Auflaufform aus dem Schrank holte und fallen ließ, dieser wiederum bekam fast einen Nervenzusammenbruch, als Hector unter lautem Knirschen und Knacken eine Lasagneplatte roh kaute. Tetsuya wurde von der Soße angespuckt und einige glühend heiße Tropfen landeten auf seiner Hand. Er fluchte unflätig auf Japanisch und erhielt eine Schelte von Alan, ebenfalls auf Japanisch. Während die Lasagne im Ofen weilte, begann Alan, zunächst zögernd, die Nachtvögel in ein Gespräch zu verwickeln. Er fragte nach der Musik, nach ihren Jobs und nach ihren Familien. Eric erfuhr hierbei Sachen, die er vorher nicht einmal geahnt hatte. Zum Beispiel, dass Lucs Mutter anscheinend eine Prostituierte war, die sich nie so recht für ihn interessiert hatte und wer sein Vater war, wusste er nicht. Für einen Familienmenschen wie Luc musste das ziemlich hart sein. Und Tetsuyas Eltern waren geschieden und beide wieder verheiratet. Da die neuen Familien der beiden ihn nicht gerne sahen, hatte er kaum noch Kontakt zu ihnen. Zumindest wusste Eric jetzt, warum sie Weihnachten nie bei ihren Familien, sondern immer mit der Band verbrachten. Während des Essens gab es allerdings keine Gespräche, da jeder damit beschäftigt war, so viel es ging von der leckeren Lasagne in sich hineinzuschaufeln. Martin schlug besonders eifrig zu und zeigte auch die wenigsten Tischmanieren, sah man davon ab, dass Tetsuya die Tischmanieren eines Japaners an den Tag legte: Schlürfen und Schmatzen, und sich dabei möglichst nah zu seinem Essen beugen. Normalerweise langte Eric auch gut zu, doch heute behielt er Alan sehr genau im Auge. Dieser schien sich aber weder an Martins Fresswut noch an Tetsuyas Tischmanieren zu stören, eher schien es ihn zu amüsieren. Nach den Essen wurde Quartett gespielt. Alan gewann jedes Mal, ohne zu schummeln. Er konnte sich einfach behalten, auch bei fünf Gegnern, wer nach was gefragt hatte, egal ob er gefragt worden war oder jemand anderes. Schließlich war es halb zwölf und Erics Befürchtungen hatten sich sämtlich als grundlos erwiesen. Es war eine sehr lustige kleine Weihnachtsfeier gewesen. Nachdem Quartett zu langweilig geworden war, hatte Luc Tetsuya zum Singen überredet. Dann hatte sich Alan spontan zum Mitsingen entschlossen und schließlich sangen sie alle. Später stritten sich Martin und Hector, ob AC-DC oder die deutsche Band Blutengel besser war. Schließlich hatte Tetsuya ungehalten gemeint: „Schluss jetzt! Egal wer besser ist, an Malice Mizer kommen sie beide nicht heran!“ Alan hatte ungläubig geguckt und gefragt: „Diese Geisterhausstatisten? Ist das dein Ernst?“ Tetsuya hatte noch versucht, beleidigt zu gucken, hatte dann aber doch mit den anderen gelacht, während Eric sich gefragt hatte, ob irgendwer außer den Beiden diese Band kannte, er nämlich nicht. „Wir sollten jetzt nach Hause gehen“, meinte Tetsuya plötzlich. „Warm denn? Und wenn du glaubst, ich geh bei dem Wetter heim, täuschst du dich“, erwiderte Luc ein wenig patzig. „Weil es spät ist. Und weil Eric und Alan heute sicher noch mal gern allein wären. Und wegen dem Wetter“, er deutete auf das Schneegestöber draußen, „könnt ihr von mir aus alle bei mir übernachten.“ „Ja? Wir alle? Super! Danke, Elite!“ Tetsuya trat einen Schritt zur Seite, um Lucs dankender Umarmung zu entgehen. In diesem Moment erinnerten sie Eric ein wenig an William und Grell, nur dass Luc sich nicht auf die Nase legte. Hector trat vor und schüttelte dem etwas verwirrt dreinblickenden Alan die Hand. „Danke für die Gastfreundschaft, Alan. Es war ein sehr schöner Abend.“ Von Eric verabschiedete er sich lediglich mit einer Geste, als er sich zur Tür wendete. Tetsuya folgte ihm. „Macht euch noch einen schönen Abend.“ „Tschau, Bassist. Halt die Ohren steif, Alan. Sollte irgendwas sein, Elite wohnt ja über dir.“ Luc winkte fröhlich und flitzte den beiden hinterher. „Hey Lassie, warte auf mich! Bis irgendwann mal.“ Martin schloss die Tür hinter sich und eine Weile war es vollkommen still in Alans Wohnung. Die Lebendigkeit und die Fröhlichkeit waren mit den Nachtvögeln gegangen. „Hey Alan“, begann Eric schließlich zögerlich, „wie war es für dich?“ Alan lächelte. „Ich denke, ich mag deine Jungs. Es war… ein wenig wie früher.“ Er öffnete die Balkontür und trat ins Schneetreiben hinaus. Eric folgte ihm und legte einen arm um seine Schultern. „Alan?“ „Es ist alles in Ordnung. Ich bin nur müde.“ „Ich hab noch ein Geschenk für dich.“ Er holte eine Brosche in Form einer weißen Blume hervor und pinnte sie an Alans Krawatte. Für einen Moment war Alan überrumpelt, dann lächelte er wieder. „Es ist doch sonst nicht deine Art, sentimental zu sein, Eric. Das ist sehr hübsch, ich danke dir. Ich hab auch was für dich, schau.“ Mit einem Rehblick, bei dem Eric fast zerflossen wäre, hielt er ihm ein Paar schwarze Lederhandschuhe entgegen. „Ich dachte, die würden gut zu deiner Jacke passen.“ Ein wenig sprachlos nahm Eric sie entgegen. Wieder verstrich ein Augenblick, in dem sie sich einfach nur ansahen, dann nahm er Alan in den Arm. „Ich liebe dich“, flüsterte dieser. Eric drückte ihn zur Bestätigung ein wenig fester an sich. Die Fröhlichkeit der Feier, die sich lange verflüchtigt hatte, hatte wenig zu tun mit diesem Glück. Ruhig und wehmütig, zufrieden und unsagbar warm fühlte es sich an, so zusammen zu sein. Für Eric war es, als hielte er die ganze Welt in seinen Armen. Die Schneeflocken, die sein Haar durchnässten und in sein Gesicht stachen, bemerkte er kaum. Er war ein wenig böse auf Gott gewesen. Er selbst war der Frevler, und doch war Alan mit der grausamen Strafe belegt worden. Doch jetzt war er dankbar, dass er mit ihm zusammen sein und ihn beschützen konnte. Vielleicht war das eine Prüfung gewesen, doch er verfolgte den Gedanken nicht weiter, das war nicht seine Art. Es war nicht wichtig. Es gab nur eins, was jetzt wichtig war. Ganz in der Nähe hoben sich drei Gestalten auf einem Dach gegen den Nachthimmel ab und beobachteten, wie sie sich in den Armen lagen. „Ach Will, ist das nicht wundervoll“, seufzte Grell, auf seine Kettensäge gestützt. William rückte mit seiner Death Scythe seine Brille zurecht. „Hm. Bemerkenswert, dass sich die Beiden letztlich gefunden haben, obwohl es zunächst so schien, als würde Eric sich nicht erinnern“, sagte er lediglich und warf dabei einen Seitenblick auf Ronald, welcher mit einem Klos im Hals beschloss, ihn zu ignorieren. William mochte vermuten, dass er Eric kontaktiert hatte, wissen konnte er es nicht. „Ich vermisse Eric-senpai und Alan-senpai“, meinte er schließlich. „Wollen wir sie nicht mal besuchen? Schließlich erinnern sie sich an uns.“ „Es ist uns nicht erlaubt, außerhalb unserer Aufgaben Kontakt zu Menschen aufzunehmen. Zudem haben wir zu tun. Was du allerdings in deinem Urlaub tust, werde ich nicht überprüfen.“ Ronald kannte William gut genug um zu wissen, dass dies bereits mehr war als er erwarten durfte: „Tu was du willst, solang es dich nicht in der Arbeit beeinflusst und an keine offiziellen Stellen gerät, ich tue so, als sähe ich nichts.“ So war er klug genug, dankbar die Klappe zu halten. „Aber sag mal, Will“, meinte Grell plötzlich, „warum hat Eric eigentlich eine zweite Chance bekommen? Er hat doch nie etwas bereut.“ „Alan wurde damals krank, weil seine Seele nicht geeignet war für die Arbeit eines Shinigami. Er war sehr pflichtbewusst und eifrig, aber dafür zu leben, anderen das Leben zu nehmen, passt nicht zu ihm. Er ist gestorben, als er sich für jemand anderen geopfert hat, und genau das liegt in seinem Wesen. Er hatte diese Krankheit und Eric wollte ihn retten. Er wollte ihn so sehr retten, dass er dafür alle Gesetzte der Shinigami gebrochen hat. Shinigami müssen sich unbedingt an die Regeln halten, aber für Menschen gilt dies nicht unbedingt. Sie wurden als Menschen wiedergeboren, sodass Alan in seinem leben anderen helfen kann. Und Eric konnte ihn retten, ohne anderen zu schaden. Das Leben als Menschen passt besser zu ihnen.“ Ronald nickte gedankenverloren. „Die meisten Menschen töten aus Egoismus. An Erics Taten war nichts Egoistisches. Er war ein schlechter Shinigami, aber er hat die Chance bekommen, ein guter Mensch zu sein.“ „Auch als Mensch wären diese Morde nicht zu rechtfertigen gewesen“, warf William ein. „Das hab ich auch nicht gesagt“, gab Ronald zurück. „Aber einen Menschen könnte man auf diese Weise auch nicht retten.“ „Hört schon auf“, meinte Grell. „Ihr könnt doch auch nicht beurteilen, was richtig und was falsch ist. Lasst uns lieber diese lästige Arbeit erledigen.“ „Oh. Jupp, auf geht’s!“ Ronald stieß sich schwungvoll vom Dach ab und Grell folgte ihm. Einen Moment stand William noch da und beobachtete, wie Eric Alan ins warme Haus zurückführte. Für einen Augenblick stahl sich ein leises Lächeln auf sein Gesicht. Er hielt Erics Taten nach wie vor für ungeheuerlich, aber irgendwie war er nicht mehr wütend und wünschte ihm und Alan alles Gute. Das nennt sich wohl Vergebung, dacht er noch, als er seinen beiden Kollegen folgte und in der Nacht verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)