Leben
Leben
In den nächsten Tagen hatte Ruîn das Gefühl sie hätte bereits
mehr über das WoE gelernt als in den letzten 2 Jahren. Bei Ice
war es natürlich viel anstrengender und Sowel war sehr streng.
Während dem WoE gab es für ihn nur eines, und das war absoluter
Gehorsam. Er und seine Leute wussten ganz genau, was wann
zutun war.
Mit der Zeit erfuhr Ruîn auch das Sowel und einige andere
Mitglieder vorher in ein paar der Top Gilden verstreut gewesen
waren. Vor einigen Jahren, als Ruîn noch absolut gar nichts vom
WoE gewusst hatte, hatte es eine sehr starke Gilde gegeben in der
schon einige ihrer jetzigen Kollegen, unter anderem auch Thuris,
zusammen gewesen waren, allerdings hatte sich diese wegen einem
Streit der Leader damals aufgelöst.
Und jetzt hatten sich die meisten der Ehemaligen wieder zusammen-
geschlossen. Die Zeit war Reif für eine Veränderung gewesen.
Mit der Zeit lernte Ruîn auch was sie zutun hatte. Sie gehörte zu den
Leuten deren Aufgabe es war die gegnerischen Schlüsselcharaktere,
wie Sowel sie nannte, auszuschalten und alle anderen erstmal zu
ignorieren. Das waren in erster Linie die Leader der feindlichen
Gilde oder deren Wizzards. Im Prinzip bestand der Erfolg von Ice in
genau dieser Strategie.
Es mussten nur die richtigen Gegner ausgeschaltet werden, dann waren
auch Gilden von der drei- bis vierfachen Größe kein Problem.
An den Abenden nach den WoEs saßen sie dann entweder bei Isan
Zuhause oder im Gildenhaus entweder in kleiner oder großer Runde
zusammen und besprachen die verschiedensten Strategien untereinander,
jene die geklappt hatten und jene die nicht funktionierten, aus welchen
Gründen auch immer.
Ihre Tage verbrachte Ruîn nun meistens in ihrer Abysslake Party, ab
und zu versuchten sie sich auch mal an einem anderen Trainingsort
oder suchten ein wenig nach einem bestimmten Item oder einer Card.
Wobei sie da eher weniger Glück hatten. Sie fanden ein Paar Equipment
Teile im Abysslake die sie von Isan verkaufen ließen, aber das geschah
zu selten als das es sich ausgezahlt hätte.
Hin und wieder kamen auch andere Leute mit hinunter zu den Drachen,
meist ein weiterer Priester und jemand der töten konnte.
An Solar dachte Ruîn während dieser Zeit herzlich wenig und hatte
auch keine Lust ihn zu besuchen um über ihren Streit zu sprechen.
Und da er ja auch nicht zu ihr kam nahm sie an das er wohl dasselbe
dachte.
Nach ihrem Drachen- Training gingen sie meist noch zu Viert etwas
Essen, es gab ein wirklich gutes Restaurant in Louyang wie sie
herausfanden, oder Jeran nahm sie irgendwo hin mit. Oft traf sie
sich auch mit Isan, entweder um etwas zu tratschen oder, wie
heute, um Faihu zu sitten damit die Whitesmith auch mal was mit
ihrem Mann alleine machen konnte. Wobei es langsam wirklich
schwer wurde, da der Kleine angefangen hatte ziemlich flott
umherzulaufen, um dann mit großer Freude alle Schranktüren
und Laden zu öffnen um den Inhalt überall zu verteilen und dabei
Geschichten zu erzählen, bei denen man langsam auch die
Wörter verstehen konnte. Und ans schlafen war da schon mal
gar nicht zu denken. Isan musste grinsen als sie mal wieder
zurückkamen und der Kleine in seinem Gitterbett stand und mit
den Stofftieren spielte, während Ruîn auf einem Sessel daneben
eingeschlafen war.
„Du kannst auch gerne die Nacht hier schlafen wenn du möchtest.“
Thuris hatte Ruîn geweckt während Isan ihren Sohn aus dem
Bett nahm und ein wenig im Zimmer herumtrug.
„Ach das ist nicht nötig, beim Heimweg wach ich dann ja wenigstens
wieder auf.“
Die Assassine streckte sich und gab dem Kleinen zum Abschied
einen Kuss auf die Stirn. Auf ihrem kurzen Weg ins Gildenhaus
wurde sie dann tatsächlich wieder hellwach.
So wach das sie dann gar nicht mehr einschlafen konnte.
Nachdem sie sich etwa eine Stunde hin und her gewälzt hatte,
stand sie wieder auf, zog sich das nötigste an und verließ ihr
Zimmer. Vielleicht war ja auch Jeran noch wach, beziehungsweise
sie würde ihn wecken. Sie schlich sich im Cloaking die Treppe
nach oben und durch den langen steinernen Flur bis zu seinem Zimmer.
Sie klopfte.
Erst leise und dann etwas lauter.
Im Zimmer blieb alles still. Sie lauschte kurz an der Tür und drückte
dann vorsichtig an der Türklinke.
Es war abgeschlossen. Er war nicht da.
Sie seufzte und wandte sich zum gehen hielt aber nach dem ersten
Schritt inne und drehte sich wieder um. Sie überlegte kurz und setzte
sich schließlich auf die Fensterbank gegenüber der Tür. Vielleicht
kam er ja auch bald zurück. Einige Zeit lang beobachtete Ruîn die
dunkle Straße vor dem Gildenhaus.
Sie hatte keine Ahnung wie lange sie schon dort gesessen hatte
und zwischendurch war sie sicher auch ein wenig eingenickt, denn
das nächste was Ruîn wahrnahm war ein dumpfes Poltern im
unteren Stockwerk und dann näher kommende Schritte auf der
Treppe. Vor lauter schreck ging sie sofort in den Cloaking und
zog die Beine hoch auf den Sims des Fensters. Die Schritte wurden
lauter und dann hörte sie Gekicher. Langsam kam Jeran die Treppe
nach oben mit einer Gypsy an der Hand. Am Anfang des Ganges
küssten sich die beiden und die Gypsy schwenkte eine halbvolle
Flasche deren Inhalt sehr streng nach Alkohol roch. Dann flüsterte
sie Jeran etwas ins Ohr und Beide kicherten. Sie hatten die Tür
erreicht und während Jeran aufschloss fiel ihm die blonde Frau
um den Hals und sie verschwanden eng umschlungen im Zimmer.
Langsam ließ Ruîn die Beine vom Fenstersims sinken und glitt auf
den Boden. Für einen kurzen Moment starrte sie noch auf die
Zimmertür dann schlich sie sich langsam in ihr Stockwerk zurück.
Sie schlief in dieser Nacht gar nicht.
„Himmel, wie siehst du denn heute aus? Du wirst doch nicht etwa
krank werden?“ Jeran hatte den Gemeinschaftsraum der Gilde
betreten und war zu Ruîn an den Tisch gekommen wo diese
gerade versuchte wenigsten einen Apfel runter zu kriegen.
Sie hatte knallrote, blutunterlaufene Augen.
„Ich konnte nicht schlafen, das ist alles.“ Sie sah ihn nicht an.
„Und wie hast du geschlafen?“
„Sehr gut, nur zuwenig. Ich war gestern Abend noch etwas mit
Duir in Comodo unterwegs, is spät geworden.“
Er streckte die Arme über den Kopf und gähnte.
„Aha.“ Mit Duir unterwegs also.
Sie schnippte die Hälfte ihres Apfels zurück auf den Teller, vielleicht
ein wenig heftiger als sie gewollt hatte. „Hmmm, bist du sicher das
es dir gut geht?“
Er rückte mit dem Sessel näher an sie heran und strich ihr einige
Haare aus dem Gesicht.
„Ich kann das Training auch absagen oder verschieben. Das ist
kein Problem.“
Mit seiner Hand fuhr er ihr sanft über die Wange und drehte ihr
Gesicht zu sich um ihre geröteten Augen zu betrachten. Sie sah
ihn an, ihr Blick streifte seine Lippen und sie sah die Gypsy vor
sich wie sie ihm um den Hals fiel und ihn küsste.
„Das ist nicht nötig, es geht mir gut.“
Damit erhob sie sich und verließ den Raum so schnell sie konnte
ohne zu rennen. Jeran blickte ihr etwas verdutzt hinterher.
Während der Trainingsparty versuchte sie sich nichts anmerken zu
lassen. Es gelang ihr auch einigermaßen, sie war ja lediglich sehr müde.
Auch Jeran benahm sich eigentlich wie sonst immer. Langsam
schluckte dann auch Ruîn ihren Ärger hinunter.
Ring hin oder her. Solange sie verheiratet war, hatte sie kein Recht
auf Jerans Frauengeschichten sauer zu sein. Es war schon schlimm
genug das sie überhaupt Eifersüchtig war.
Die nächsten paar Tage und Wochen begann sich Ruîn mit zwei
unliebsamen Tatsachen zu beschäftigen.
Erstens: sie wusste das ihre Ehe mit Solar zu Ende war. Selbst wenn
sie sich wieder mit ihm aussöhnen würde, sie konnte nicht mehr zu
ihm zurück, egal wie sehr sie sich das auch einreden wollte. Sie hatte
ihn aus den falschen Gründen geheiratet, das wusste sie und es tat
ihr wirklich Leid. Leider war eine Scheidung nicht gerade billig und
ihre Ausgaben für Waffen und Potions konnte sie ja auch nur grade
mal so mit Hilfe von Isan und deren Beziehungen zur Merchantgilde
lösen. Da sie kein Glück mit wertvollen Items hatte, begann sie nun
wieder damit jeden Abend ein oder zwei Stunden lang in der Nähe
von Payon die Poison Sporen zu jagen. Diese giftigen Monster,
die ein wenig wie große blaue Pilze aussahen, verfügten über giftige
Sporen die man ganz gut an Alchemisten verkaufen konnte. Das
war zwar nicht viel, rechnete sich aber auf Dauer. So würde sie
ihre Scheidung in den nächsten Monaten bezahlen können.
Die zweite Sache war ein Fenster im Gemeinschaftsraum des ersten
Stocks. Vom Sims aus konnte man genau die Eingangstüre des
Gildenhauses sehen. Auch wenn sie sich bald wie ein Stalker
vorkam saß sie nun fast jeden Abend dort und beobachtete die
Tür. Sie fand heraus das Jeran durchschnittlich 2-3 Mal in der
Woche irgendwelche Frauen mitbrachte. Ein paar Mal blieb er
auch ganz weg. Tagsüber ließ er sich allerdings nie etwas anmerken.
Langsam wurde Ruîn wirklich neugierig auf die Partys in Comodo.
Waren dort wirklich immer so viele Leute?
War das wirklich so lustig?
Konnte man dort echt so viele Frauen kennen lernen?
Sie war zwar schon das ein oder andere Mal dort gewesen,
allerdings hatte sie nie so auf die anderen Leute dort geachtet.
Nun, Comodo war eine freie Stadt und es stand Jedem zu
dorthin zu reisen wann immer man wollte.
Sie wartet ein paar Tage ab bis Jeran und Duir wieder mal nach
dem Wochenendstraining Partypläne schmiedeten und klopfe
sicherheitshalber auch ein paar Mal an seine Tür um sicher zu sein,
das er auch wirklich nicht da war. Dann nahm sie den Kafra-
Teleportservice zuerst nach Morroc und weiter nach Comodo.
Die Stadt der Feste war nachts von unzählbaren Lichtspielen und
Feuerwerken erhellt und zahlreiche Menschen liefen überall umher.
Man konnte sich die, in ganz Midgard berühmten, Tanzvorführungen
der Gypsys und Dancer der Comodo Tanzschule auf mehreren
Freiluftbühnen, oder der großen Tanzhalle ansehen, oder den
Barden und Clowns bei ihren Musikspielen lauschen. Überall
konnte man Süßigkeiten und kleine Naschereien von Händlern
und Ständen erwerben und zu trinken gab es auch genug. Obwohl
Ruîn schon einige Male in Comodo gewesen war, machte sie immer
noch große Augen im Angesicht des fröhlichen Treibens das
anscheinend in der ganzen Stadt stattfand. Sie drängelte sich durch
mehrere Bars, wobei sie ein oder zwei sehr exotisch aussehende
Getränke unbedingt versuchen musste, und hörte gerüchteweise
von einem großen Fest das gerade in der großen Tanzhalle stattfand.
Als sie an der Halle ankam, standen dort wirklich viel mehr
Leute herum als anderswo und man konnte die Musik bis
weit an den Strand hinunter hören. Der große Saal war beinahe
ganz dunkel, überall blinkten Lichter im Takt der Musik und
wohin man auch blickte tanzte die Menge. Oben auf einer
der Zuschauerplattformen saß auch Jeran in einer Gruppe
von ungefähr sieben, acht Leuten die miteinander tanzten,
lachten oder auf den Stühlen herum saßen und sich immer
mal wieder, wegen der Musik laut brüllend, unterhielten.
In der Gruppe war eine grünhaarige Scolar, der er es wohl
angetan hatte, denn sie hatte einen Arm um seinen Hals gelegt
und flüsterte ihm ständig irgendwas ins Ohr. Die Hälfte
verstand er zwar wegen der herrschenden Lautstärke sowieso
nicht, allerdings kitzelte es ganz angenehm. Er nahm einen
Schluck aus einer grauen Flasche während seine Bewunderin
laut kicherte und damit begann ihn am Hals zu kitzeln.
Langsam ließ er den Kopf in den Nacken sinken und vernahm
das sie wieder irgendetwas flüsterte, aber er hörte nicht hin.
Als er wieder aufblickte sah er Ruîn am Ende der Plattform
am Aufgang stehen.
Durch das helle Licht hinter ihr konnte Jeran zuerst nur ihre
Silhouette erkennen, aber sie war es unverkennbar. Mit einer
fließenden Armbewegung stand er auf und schob die Scolar
von sich weg. Ruîn sah ihn mit erhobenem Kopf an und lächelte
wissend. Langsam kam er auf sie zu. Sie trug die Boyscap die
er ihr mal geschenkt hatte und ihren Assassine Cross Body.
Die Rüstungsteile und den roten Schal hatte sie komplett
weggelassen, trug nur die Handschuhe und die Overknees.
Und sie hatte den Ring an einer goldenen Kette um den Hals.
Noch nie hatte er eine Frau so sexy gefunden wie Ruîn in
diesem Moment. Sie legte ihm die Arme um die Schultern, er
umfasste sie an den Hüften und sie tanzten.
Er fragte sie nicht warum sie hier war, sie fragte ihn nicht nach
der Scolar, sie tanzten nur, Stunde um Stunde verging, die
Musik wechselte von langsam zu schnell und wieder zurück,
die Lichter blinkten im Takt. Seine Hände wanderten über
ihren Rücken, fuhren durch ihre Haare, zogen sie an ihn.
Schweißperlen glitzerten im Schein der zahlreichen Lichter
auf ihrer Haut. Sie sah ihn von unten herauf an, sie lächelte.
Als seine Stirn die ihre berührte schloss sie die Augen. Der
Rhythmus der Musik wurde schneller. Die Assassine ließ erst
den Kopf und dann den ganzen Oberkörper nach hinten fallen
und Jeran hielt sie an den Hüften fest. Mit einem Ruck zog er
ihren rechten Oberschenkel nach oben und richtete sie wieder
auf. Er küsste sie. Heftig, wild, tief. Sie konnte seine Fingernägel
an ihrem Bein spüren. Langsam löste sie sich von ihm und drehte
ihm den Rücken zu. Ruîn hob die Arme über den Kopf und
schwang sie im Takt mit der Musik. Jeran hatte die Arme um
sie gelegt. Sie bewegten sich langsam, fließend ganz mit der
Musik. Ruîn hatte den Kopf nach hinten in den Nacken gelegt
und der Clown ließ seine Lippen langsam über ihre Haut streifen.
In dem Moment sah er ihn. Unten am Eingang mit einem Knight
und einem Hunter. Solar. Die Drei standen ein wenig herum und
sahen sich auf der unteren Ebene um, dann blickte der Assassine
nach oben. Ein oder Zweimal streifte er Jeran mit seinem Blick
schien ihn aber nicht zu erkennen. Dann allerdings blickte er ihn
direkt an. Er hatte ihn ohne Zweifel gesehen. Und mit ihm natürlich
auch Ruîn. Er starrte ihn ein paar Sekunden lang an, Wut erfüllte
seinen Blick. Dann fuhr er herum und verließ das Fest. Beinahe
konnte man die Tür unter der Musik zuknallen hören. Jeran
schloss die Augen und grinste.
Was für eine Genugtuung!
Er hatte gewonnen!
Sie war bei ihm.